Impressum

Digitale Neuausgabe Februar 2018

© 2018, dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

Dies ist ein Neuauflage des bereits 1990 beim Rowohlt-Verlag erschienenen Titels Lestrade und der tasmanische Wolf
Aus dem Englischen übersetzt von Hans J. Schütz

© 1986 by M. J. Trow
First published by Macmillan, London.
Titel des englischen Originals: Brigade: Further Adventures of Inspector Lestrade

Covergestaltung: Miss Ly Design
unter Verwendung von Motiven von
© ian woolcock/shutterstock.com und © FOTOGRIN/shutterstock.com
Korrektorat: Lennart Janson

ISBN: 978-3-96087-328-0
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-359-4

Über dieses E-Book

Inspektor Lestrade bekommt den Auftrag, das wilde Treiben einer geheimnisvollen Bestie in Cornwall aufzuklären. Dort wurden etliche Schafe zerfetzt – doch der Inspektor ist verstimmt: Der Fall ist eindeutig unter seiner Würde!
Plötzlich nimmt der scheinbar harmlose Fall eine dramatische Wendung und ein Dorfbewohner kommt grausam ums Leben. Dass dieser Routinefall der Anfang einer umfangreichen Mordserie werden könnte, wird dem Inspektor erst im Laufe der Ermittlungen klar. Die Ereignisse geraten ins Rollen und Lestrade ist als Undercover-Agent gefragt …

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Über den Autor

M. J. Trow stammt aus Wales, studierte Geschichte am Londoner King’s College und ist bekennender Fan des viktorianischen Zeitalters. Er verfasste spannende und humorvolle Kriminalgeschichten um Inspektor Lestrade, der in den Geschichten von Arthur Conan Doyle oft mit seinem Zeitgenossen Sherlock Holmes aneinandergerät. Doch während bei Trow der arrogante Sherlock Holmes die meiste Zeit nur pfeiferauchend in seinem Zimmer sitzt, löst der Scotland-Yard-Inspektor Lestrade mit außergewöhnlichem Scharfsinn die ungewöhnlichsten und skurrilsten Fälle. 

Mehr zum Autor findest du unter

www.digitalpublishers.de/autoren/autor-m-j-trow/

Weitere Titel aus der Inspektor Lestrade-Krimi-Reihe bei dp DIGITAL PUBLISHERS:

Die Weiße Lady

ISBN: 978-3-96087-327-3
Taschenbuch ISBN: 978-3-96087-360-0

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Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

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Beastie

Benjamin Beeson, Ex-Sergeant der Metropolitan Police, saß in Lestrades Büro, mit seiner Faust den unvermeidlichen Becher Tee umklammernd. Walter Dew, Constable der Metropolitan Police, lümmelte vor ihm auf Lestrades Tisch herum, bis der Inspektor ins Zimmer glitt, worauf besagter Dew sich aus dem Staub machte, um sich emsig mit einer Akte zu beschäftigen. Beeson nahm Haltung an, als sein alter Chef hereinkam.

»Hallo, Beastie«, grinste Lestrade, »ich würde Ihnen ja die Hand geben, wenn ich nicht ...« Und er hielt seinen verbundenen Finger in die Höhe.

»Ach du liebe Güte«, knurrte Beeson auf seine altvertraute Weise. »Nichts Gewöhnliches, hoffe ich, Sir.«

Einen Augenblick lang hatte Lestrade Beesons besondere Art von Humor vergessen. Er gab Dew einen Wink, ihm Tee einzugießen, und bot Beeson eine Zigarre an. »Nein, danke, Sir. Ich rauche nicht mehr ...«

Lestrade spürte, dass den Mann etwas bedrückte, und er bemerkte die zerfransten Manschetten und abgetragenen Schuhe. Die Pension wird ihm nicht reichen, dachte er und stopfte Beeson zwei Zigarren in die Brusttasche.

»Nun«, sagte er und drang durch seinen wuchernden Schnurrbart zum dampfenden Becher vor. Seit er sich den Finger gebrochen hatte, konnte er den Bart nicht mehr richtig stutzen. Trotzdem, dachte er, war es besser gewesen, Mr. Manchesters Angebot abzulehnen, ihm mit dem Rasiermesser zu Hilfe zu kommen. »Nun, wie steht’s, Ben?«

»Nicht gut, Sir.«

Lestrades Grinsen verschwand. »Die Pension?«

»Wahrhaftig, nein, Sir. Ich kann davon leben. Nein, es ist mein alter Kumpel, Joe Towers. Er ist tot.«

»Tut mir leid, das zu hören, Ben. Wie ist es passiert? Ein Unfall?«

»Nein, Sir. Ich denke, es war Mord.«

Lestrade beugte sich in seinem Sessel vor. »Also ist dies eigentlich kein freundschaftlicher Besuch?«

»Stimmt, Sir. Ich bin nicht gern zu Ihnen gekommen, Sir, aber ich dachte, 26 Jahre bei der Polizei zählen vielleicht ein wenig.« Lestrade nickte. Beeson war vor ihm beim Yard gewesen. »Dew, schenken Sie dem Sergeant noch etwas Tee ein. Dann erzählen Sie mal, Beastie.«

Wäre Beastie Beeson ein gewöhnliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft gewesen, hätte die Sache sich vielleicht anders dargestellt. Wäre seine Beschreibung der Leiche und der Todesart ungewöhnlicher und wäre John Towers nicht 62 Jahre alt gewesen – wenn das alles so oder anders gewesen wäre, hätte Lestrade eine routinemäßige Exhumierung der Leiche angeordnet. In dreifacher Ausfertigung das Formular ausgefüllt. Stundenlanges Klappern auf der braven Remington im ersten Stock.

Indessen vertraute Lestrade auf Beasties sechsten Sinn. Auf die »Nase«, die sein alter Sergeant besaß. Außerdem hatte der Mann recht – 26 Jahre beim Yard mussten schließlich für etwas gut sein. Und er setzte seine Karriere aufs Spiel.

Kensal Green hatte nie zu den Lieblingsorten Lestrades in London gehört. Bei Nacht schon gar nicht. Es ist schon erstaunlich, dachte er, wie ein Geräusch die Nacht durchdringt, als die schmiedeeisernen Tore unter den schweren Beißzangen, die er ansetzte, klirrten und zitterten. Es war nicht schwierig. Er stieß das Tor auf. Selbst ein wohlmeinender Richter würde ihm dafür zehn Jahre verpassen, um zu demonstrieren, dass das Gesetz korrupte Polizisten härter bestrafte als korrupte Bürger.

»Hier entlang, Sir.« Beeson stapfte mit dem ganzen Gewicht seiner 26 Dienstjahre über den Kies. Ohne Lampen war es schwierig, sich zurechtzufinden. Die zwei Männer stolperten durch das Unterholz und ein Gewirr von Rhododendronbüschen auf das gesuchte Grab zu. Ringsum wurden die sauberen und wohlgestutzten Reihen der Grabmäler verblichener Londoner stumme Zeugen ihres Eindringens. Schneider aus Pimlico rieben ihre staubigen Steine an Ladengehilfen aus Norwood und dem wunderlichen pensionierten Admiral, der sinnigerweise aus Gravesend stammte. Beeson stieß mit einem weinenden Engel zusammen, doch lediglich seine Hutkrempe trug eine Delle davon. Im huschenden Mondlicht warfen das glatte Weiß der verzierten Urnen und die geriffelten Säulen Schatten auf das Gras, das vom Morgenfrost bereift war.

»Hier.« Neben dem frischen Grab, auf das Beeson deutete, ließ Lestrade sich auf die Knie nieder. Ein einfacher Hügel auf der braunen, feuchten Erde. Lestrade sah auf die Uhr. Im Mondlicht konnte er verschwommen die Zeiger erkennen. Beinahe Viertel vor zwei. Sie machten sich an die Arbeit und begannen mit ihren Spaten die Erde aufzugraben. Beeson hatte trotz seiner Körperkräfte seine beste Zeit hinter sich. Ein Mann, der sich seit drei Jahren im Ruhestand befindet, kann nicht in bester Verfassung sein. Auch Lestrades Beitrag hielt sich in Grenzen, da er gewissermaßen mit Hand und Ellenbogen grub, um die Schmerzen in seinem Finger so gering wie möglich zu halten. Beeson war besorgt und benahm sich wie eine Glucke, denn bei jedem neuen Spatenstich entschuldigte er sich bei Lestrade, dass er ihn in diese Sache hineingezogen habe. Lestrade hatte allen Grund, einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen, als sein Spaten auf Holz stieß. Selbst mit den Tauen, die Beeson mitgebracht hatte, war es keine geringe Plackerei, den Sarg hochzuziehen, und beide Männer fluchten und keuchten, als Joe Towers schlaff in das bereitgelegte Segeltuch plumpste und Beeson ihn darin einschnürte.

»Tut mir leid, Joe«, murmelte er, »aber es geschieht in bester Absicht. Wissen Sie, Inspektor, ich komme mir vor wie der alte Ben Crouch, der Leichenräuber.«

»War vor meiner Zeit«, zischte Lestrade und ließ den Sarg so gut er konnte wieder hinunter.

Ein flüchtiger Beobachter zu nächtlicher Stunde hätte jetzt, da der Kranz und die Grabnummer wieder an ihrem Platz waren, im Äußeren des Grabes kaum einen Unterschied bemerkt. Lestrade fragte sich, ob man bei einem erfahrenen Totengräber, der das Grab bei hellem Tageslicht in Augenschein nahm, wohl denselben Mangel an kritischer Beobachtungsgabe voraussetzen konnte. Doch jetzt war es zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die ersten Anzeichen des Morgens zeigten sich im Osten, und er hüllte den Raureif auf Grabsteinen und Grüften in ein unheimliches Licht. Zwischen sich schleppten sie ihr trauriges Bündel den Hügel hinab und beschleunigten ihre Schritte, als sie sich dem Tor näherten. Sie lehnten Towers gegen eine Säule, wo er seinen leinwandumhüllten Kopf auf Beesons Schulter ruhen ließ, während Lestrade hastig die durchtrennte Kette durch eine andere ersetzte, die er bei sich trug. Er ließ das Vorhängeschloss einrasten und bildete sich nicht wenig auf die Tricks ein, die er von Dutzenden von Schränkern gelernt hatte, die nun zweifellos ebenso vermoderten wie Joe Towers, freilich lebendig begraben in Pentonville oder den Scrubs.

»Denken Sie dran, Dew«, rief Lestrade der vermummten Gestalt zu, die auf dem Bock der Droschke saß, »Sie haben nichts gesehen und nichts gehört.«

»Ich werde stumm sein wie ein Grab, Sir.« Lestrade und Beeson warfen dem Constable einen Blick zu, der sich plötzlich auf seinem Sitz ziemlich albern und unbedeutend vorkam. Auf ein Zeichen Lestrades ließ er die Zügel knallen, und das Gefährt rumpelte in Richtung Croydon davon.

Es war fast Morgen, als Joe Towers auf dem Küchentisch in 2o Sanderstead Road lag. Das Gaslicht flackerte grün auf den Wänden.

»Ich bin nie dahintergekommen, was bei einer Obduktion eigentlich passiert«, sagte Beeson, »aber mit dem alten Joe ist irgendwas nicht in Ordnung.«

»Erzählen Sie’s noch mal«, sagte Lestrade und schlug das Laken zurück. »Von Anfang an.«

Beeson machte es sich auf seinem Stuhl bequem und zündete seine Pfeife an.

»Wie ich schon sagte, Sir. Ich und Joe waren Kumpels, seit Urzeiten. Waren zusammen in der Armee. Indien. Dann wurde ich zu den Zwölften Lanzenreitern versetzt, und er blieb beim alten Haufen. Wir verloren uns für ’ne Weile aus den Augen, und ich ging zur Polizei. Das muss ungefähr« – er hielt inne und zählte an den Fingern – »Anfang ’67 gewesen sein. Na ja, ich war schon seit Jahren Streifenpolizist, und eines Tages – ich sag Ihnen, wann das war, es war der Tag im Jahr ’81, als der alte Dizzy starb – eines Tages marschierte ich über den Ratcliffe Highway.« (Lestrade war dankbar, dass der Sergeant nicht den abgedroschenen Ausdruck »Ich bewegte mich in Ausübung meiner Pflicht in östlicher Richtung« benutzt hatte.) »Und ich sah Joe Towers, meinen alten Kumpel. Nun, wir haben uns kräftig einen auf die Lampe gegossen an diesem Abend – nach Dienstschluss natürlich, Sir.« Lestrade lächelte mechanisch, lockerte Joe Towers’ Beerdigungsschlips und öffnete den Kragenknopf. Ein leichter Fäulnisgeruch machte sich breit. Nicht sehr stark. Lestrade hatte Schlimmeres gerochen, doch er musste daran denken, Beeson zu sagen, er solle das Fenster öffnen, wenn alles vorüber war.

»Joe arbeitete im Royal Albert. Schauermann war er. Ja, danach sahen wir uns häufig. Seine Alte war ’ne gute Seele und machte uns oft genug Frühstück, wenn wir mal wieder getagt hatten. Er hob gern einen, der alte Joe.«

»Lebt seine Frau noch?«, fragte Lestrade und untersuchte die geschwärzten, starren Finger auf Spuren eines Kampfes.

»Nein, Chef. Starb vor vier Jahren an Diphtherie. Sie war ein Goldstück.«

Beeson fing an, seine bescheidene Küche der Länge nach zu durchmessen, hin und wieder einen betrübten Blick auf das schwarz-gelbe Gesicht seines alten Kumpels werfend, der ausdruckslos vom Küchentisch zur Kugel des Gaslichtes hinaufstarrte. »Er war der kräftigste Mann seines Alters, den ich kannte. Hat jede Stunde, zu der Gott und Ben Tillet ihn riefen, geschuftet. Nie einen Tag gefehlt.«

»Ben Tillet?« Als er das gestreifte Hemd öffnete, zitterten Lestrades Nasenflügel. Er roch noch etwas anderes.

»Joe war seine rechte Hand im Dockerstreik. ›Klopper‹ Towers nannten sie ihn immer. Das war natürlich ein bisschen übertrieben. Sie wissen ja, wie das damals war, Schlagstöcke und Entermesser und all das.« Lestrade wusste es.

»Ich fand ihn in seinem Wohnzimmer. Saß in seinem Lehnstuhl. Wissen Sie, zuerst dachte ich, er wolle mich zum Narren halten. Dann begriff ich, dass er tot war.«

»Wie lange war er wohl schon tot, Ben?«

»Nun ja, er war steif wie’n Brett«, erwiderte der Sergeant.

»Rigor mortis«, murmelte Lestrade, der sich im Stillen in der Rolle eines Coroners gefiel, während er die Lider des Toten hochzog.

»Also etwa zwölf Stunden.«

»Wenn Sie es sagen, Sir. Was diesen wissenschaftlichen Kram angeht, war ich nie sehr gut – das überließ ich den Oberschnüfflern. Oh, bitte um Verzeihung, Sir – den Detectives.« Unter gefurchten Augenbrauen warf Lestrade Beeson einen Blick zu. »Kommen Sie mal her, Ben.« Der Sergeant gehorchte wortlos. »Was riechen Sie?«

»Tod, Sir«, kam die Antwort.

»Ja, den habe auch ich zuerst gerochen. Aber atmen Sie mal tiefer ein. Hier, besonders unterm Hemd. Da ist was anderes.« Beeson presste seine Nase auf die Brust seines alten Kumpels. »Nein, Sir. Nichts.«

»Bittere Mandeln, Beastie. Können Sie nichts riechen?« Beeson schüttelte den Kopf.

»Und ich wette fünf zu eins, dass der Coroner es auch nicht könnte. Und ebenso wenig der Arzt, der den Totenschein ausgestellt hat.« Lestrade hielt inne. »Gab’s einen?«

»O ja, Sir. Ein schäbiger Armenarzt namens ... Ich kann mich nicht erinnern.«

»Macht nichts.« Lestrade tauchte seine Hände in die Wasserschüssel auf dem Abtropfbrett. Das Wasser war eiskalt. »Sie hatten recht, Beastie. Sie wussten nicht, warum, nicht wahr? Wie sagten Sie noch? Irgendwas ist nicht in Ordnung. Nun, es hat sich ausgezahlt. Joe Towers wurde ermordet, Ben. Blausäure.«

»Ist das wirklich wahr?«, rief Ben.

»Ich weiß nicht, wie sie verabreicht wurde«, erwiderte Lestrade. »Haben Sie, als Sie ihn fanden, irgendwelchen Schaum oder Speichel an seinem Mund bemerkt?« Beeson war nichts aufgefallen. »Zeichen eines Kampfes? Zuckungen?« Nein.

Nach der ersten Welle des Triumphes bemerkte Lestrade, dass der Verband an seinem Finger von Wasser durchtränkt war. Es würde Stunden dauern, bis er wieder trocken war. »Was geschieht jetzt, Sir?«

»Na, jetzt bringen wir ihn zurück, Beastie. Es muss heute Nacht geschehen. Und, Beastie ...«

»Sir?«

»Wir kriegen ihn. Darüber gibt’s gar keinen Zweifel. Was freilich die etwas ... hm ... unorthodoxe Art und Weise betrifft, wie wir den alten Joe da rausgeholt haben, könnte man uns einen Haufen Fragen stellen. Ich habe jetzt einen neuen Chef, einen gewissen Nimrod Frost. Er ist einer von der Sorte, der es peinlich genau nimmt. Wir müssen vorsichtig vorgehen, sehr vorsichtig.«

In dieser Nacht beerdigten Beeson und Lestrade ›Klopper‹ Towers mit derselben Leichtigkeit wie zuvor. Es ging alles so glatt und problemlos, dass Lestrade sich ein wenig unbehaglich fühlte. Vielleicht hatte er die Sache doch falsch angefangen.

Also ging Lestrade vorsichtig zu Werke. Und bevor er überhaupt damit anfangen konnte, erhielt er Besuch von John Watson, MD, aus Baker Street.

»Aber hier steht es schwarz auf weiß, Lestrade. Im London Charivari vom 8. April – ›Die Abenteuer von Picklock Holes‹. Und sie haben die Stirn, ihren Scherz mit Conan Doyles Namen zu treiben – Cunnin Toil! Erbärmlich!«

»Was hat Sie denn so geärgert, Doktor? Die Tatsache, dass man Sie nicht erwähnt hat?«

»Unsinn! Außerdem haben sie’s getan.« Watson richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich werde als ›Potson‹ bezeichnet. Kindischer Blödsinn!«

»Ihre Sherlock-Holmes-Geschichten?«

»Nein. Der geistige Diebstahl des Charivari. Verdammt noch mal, Lestrade, Sie treiben mich absichtlich auf die Palme.«

Der Inspektor grinste. »Nein, nein, lieber Watson. Dew, Tee«, rief er durch den Flur und wedelte mit seiner verbundenen Hand, um zu erklären, warum er selbst untätig blieb.

»Sagen Sie mir, tauche ich in diesem Plagiat auch auf?«

»Nein«, schnaubte Watson und ließ sich in Lestrades zweitem Sessel nieder.

»Nun, das erleichtert die Sache«, sagte Lestrade. »Ich brauche wenigstens die Redakteure des Punch nicht wegen Beleidigung zu verklagen.«

»Was soll das heißen?«

»Während der letzten zwei Jahre haben Sie und Dr. Conan Doyle meinen Namen missbraucht. Sie haben ihr Bestes getan, das Vertrauen der Leute in Scotland Yard zu untergraben, insbesondere das Vertrauen, das ich genieße.«

Watson errötete und schwenkte vor Verlegenheit seine grauen Schnurrbartenden von einer Seite zur anderen. »Aber das alles geschieht mit größtmöglicher Delikatesse, Lestrade. Holmes und ich ...«

»Sherlock Holmes ist tot, Dr. Watson. Wenn ich mich recht erinnere, stürzte er vor achtzehn Monaten in die Reichenbachfälle, als er mit einem unbeteiligten Zuschauer kämpfte, den er fälschlicherweise für Sie hielt.«

»Sch!« Aus Furcht, sie könnten belauscht werden, drehte sich Watson in alle Richtungen.

»Ist schon in Ordnung. Dew ist taubstumm. Ist’s nicht so, Constable?«

Dew stellte den Tee auf Lestrades Tisch und wandte sich wieder seiner Arbeit zu, als habe er nichts gehört. »Verstehen Sie, was ich meine?«

»Gütiger Gott, Lestrade. Es ist furchtbar, dass man einen Mann, dessen natürliche Fähigkeiten derart dezimiert sind, in der Metropolitan Police duldet!«

Lestrades resignierter Blick hätte einen helleren Kopf vernichtet. »Lestrade. Sholto. Sie haben versprochen ...«

»Jetzt mal im Ernst, Dr. Watson. Ich kann gegen den Punch nicht das Geringste unternehmen. Auch diese Leute haben ihre Beziehungen im Yard, wissen Sie. Außerdem gibt es wichtigere Dinge.«

»Wirklich?« Watson prüfte seinen Tee sorgfältig, bevor er den ersten Schluck nahm. »Wohnen Sie jetzt in Baker Street?«

»Ja«, sagte Watson. »221 B. Ich habe versucht, ein bisschen von Holmes’ Geist am Leben zu erhalten. Leider war Mycroft keine Hilfe.«

»Mycroft?«

»Der Bruder des großen Detektivs. Ist beim Außenministerium.« Als er hörte, welcher Beiname dem toten Süchtigen verliehen wurde, zuckte Lestrade zusammen. »Und Mrs. Hudson?«

»Es sind alles Lügen, sage ich Ihnen.« Watson erkannte, dass er ein wenig zu heftig geworden war. Er prüfte umgehend seinen Puls. Lestrade spürte, dass er einen empfindlichen Nerv getroffen hatte, und versuchte es anders.

»Sie haben eine Praxis in Butcher Row, nahe Ratcliffe Highway?«

»Ja.« Watson begann, sich unbehaglich zu fühlen.

»Sie sind das, was man gemeinhin einen Armenarzt nennt?«

»Ich denke, dass es meine Christenpflicht ist ...«

»Schon gut. Und haben Sie am 17. März im Haus Havering Court einen Totenschein ausgestellt?«

»Am 18. März? Hm ...«

»Ein Hafenarbeiter namens Joseph Towers.«

»O ja, ich erinnere mich. Natürlicher Tod.«

»Blausäurevergiftung.«

»Was?« Watson sprang auf die Füße.

»Können Sie Mandeln riechen, Doktor?«

Watson blickte sich um und schnupperte wie ein Verrückter.

»Nicht jetzt«, sagte Lestrade, »im alltäglichen Leben.«

»Mandeln? Natürlich.«

»Aber bei der Untersuchung einer Leiche können Sie sie offenbar nicht riechen. Was war mit den Pupillen?«

»Wessen Pupillen?«

»Mit denen des Toten?«

»Ah ... Gott, Lestrade. Sie sprechen von einer Sache, die drei Wochen zurückliegt.«

»Ich spreche von Mord, Doktor. Waren die Pupillen erweitert?«

»Nein«, sagte Watson so bestimmt er konnte, und dabei war ihm klar, dass er sich nicht im Geringsten erinnern konnte. »Aber woher wissen Sie, dass es Mord war?«

Da Lestrade nicht die Absicht hatte, vor dem guten Doktor seine Karriere aufs Spiel zu setzen, zog er sich auf die gerissenste Art aus der Affäre. »Wir stellen hier die Fragen, Sir.« Lestrade begann an den Wänden seines Zimmers entlangzuwandern. Er hatte wieder einmal Zeit, die Pracht der Architektur von Norman Shaw eines Blickes zu würdigen, als sein Blick aus dem Fenster auf die Brandmauer fiel. Wenn er den Hals ein bisschen verdrehte und auf Dews Schultern stand, konnte er, wenn er sich bückte, ein Stückchen Wasser in der Morgensonne sehen. Doch da der Fluss ihm nicht unbekannt war, konnte er sich die Verrenkungen wirklich sparen.

»Es ist Ihnen also an dem Toten nichts aufgefallen, das den Verdacht nahelegte, es könne sich um ein Verbrechen handeln?«

»Leider nicht.« Watson zweifelte nicht nur an seinen vielen Jahren als praktischer Arzt, sondern auch an den vielen Jahren, die er mit dem großen Detektiv zusammengearbeitet hatte. Lestrade beschloss, es dabei bewenden zu lassen. Watson spürte das und wechselte das Thema.

»Ich habe von Ihrem Abenteuer im Westen gelesen, Inspektor. Wie haben Sie den ... äh ... gefunden?«

»Den Tasmanischen Wolf.«

»Ja.« Watson schlug sich aufs Knie und strebte der Tür zu. »Hm, ich weiß nicht, ob ich’s sagen soll, Lestrade. Besonders im Hinblick auf den Charivari, aber ... Nun, ich habe« – ein erneuter Blick, um sich zu überzeugen, dass Dew noch immer taub war – »darüber nachgedacht, Sherlock Holmes vielleicht wieder zum Leben zu erwecken, ihm einen neuen Fall zu übertragen. Wie wär’s mit Der Wolf der Ashburtons

»Sie wollen Holmes meinen Fall geben?«, fauchte Lestrade, und selbst sein verbundener Knöchel wurde weiß.

»Nein, nein, nicht speziell. Aber ...« Watson schob sich durch die Tür, »vielleicht könnte man die Geschichte Das Untier der Ureinwohner nennen, oder?« Und der Doktor schlüpfte durch die Tür, als Lestrade seinen Bowler nach ihm warf. Während der Doktor fluchtartig das Gebäude verließ, rief Lestrade ihm nach: »Warum nennen Sie sie nicht Der Hund der Baskervilles

Ben Tillet saß da, als warte er auf einen Fotografen, mit einer Weste bekleidet, die Ärmel aufgerollt, flankiert von zwei Schwergewichten aus dem Hafen, Wharf, Riverside und General Workers’ Union, die Lestrade aus ungezählten Ausgaben der Police Gazette wiederzuerkennen glaubte. Jeder der beiden, dachte er, hätte mit seinen Ellenbogen Walnüsse knacken können.

»Ich habe ihn aus den Augen verloren, Mr. Lestrade«, sagte Tillet, ein Mann, der niemals jemanden mit seinem Titel anredete. »Das letzte Mal habe ich Joe Towers gesehen vor ... ja ... vor drei Jahren.«

»Sie sind inzwischen aufgestiegen?«, sagte Lestrade vorsichtig.

»Ich mache mir nichts draus, dass ich ein Ratsherr der City of London bin, ein Mitglied des Parlamentarischen Komitees des Gewerkschaftskongresses und voraussichtlich ins Parlament kommen werde. Aufgestiegen? Nein, ich bin immer noch ein Mann des Volkes, wie ich es ’89 war. Stimmt’s, Jungs?«

»Ja, Mr. Tillet«, sagten die Schwergewichte unisono, als habe Tillet zwei Automaten in Gang gesetzt.

»Und wie steht’s mit Ihrer Arbeit bei der unabhängigen Labour Party?« Lestrade dachte, er könne ihn vielleicht, da er nun schon mal da sei, ein wenig aushorchen.

»Verzeihung, Mr. Lestrade. Ich dachte, Sie untersuchten den Tod von Joe Towers, nicht meine politischen Neigungen. Falls ich mich irre, muss ich natürlich darauf bestehen, dass mein Anwalt anwesend ist.«

»Also, Towers.« Lestrade kam wieder zum Thema. »Der Mann hat eng mit Ihnen zusammengearbeitet. Wie gut kannten Sie ihn? Hatte er Feinde?«

»Damals, ’89, hatten wir alle Feinde, Mr. Lestrade – die Säulen der Gesellschaft, die Reichen, die Bourgeoisie in ihren hübschen Mittelklassehäusern – ganz zu schweigen natürlich von den Burschen in Blau.« Lestrade überhörte den Seitenhieb.

»Aber wir hatten auch Freunde – Tausende von Dockern im Hafen von London, Ingenieure wie Tommy Mann und John Burns. Wir bekamen für unseren Kampf sogar 30000 Pfund von unseren Brüdern in Australien. Nun, das ist die Solidarität der Arbeiterklasse, Mr. Lestrade. Etwas, worauf ich stolz bin. Joe Towers war ein Teil dieses Ganzen. Ich erinnere mich, als ich ihn zum ersten Mal sah, am Haupttor der West India Docks. Er war ein Gelegenheitsarbeiter, Mr. Lestrade, einer jener ungezählten Männer, die es vor ’89 jeden Morgen zum Hafen trieb, in der Hoffnung, ein Schiff zum Entladen zu kriegen. Er erzählte mir, er hätte seit vier Tagen keine Arbeit und seit drei Tagen nichts mehr gegessen. Es ist komisch, aber wegen Joe Towers, der so übel dran war wie jeder andere, habe ich zum Dockerstreik aufgerufen. Für Männer, wie er einer war, haben wir um den ›Sixpence‹ gekämpft. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er im Versammlungszimmer neben Kardinal Manning stand und wie sich das Entzücken auf seinem Gesicht ausbreitete, dass der große Mann zu unseren Gunsten sprach.«

»Aber wirkliche Feinde hatte er nicht?«

»Nein, er war ein gutmütiger Mann. Jeder mochte Joe.«

Lestrade merkte, dass Tillet ihm nicht mehr sagen konnte, und stand auf, um zu gehen.

»Natürlich sind wir alle«, fuhr der Ratsherr fort, »gutmütige Männer, und unsere Zahl geht in die Tausende. Es gibt eine Gewerkschaft der Verkäufer, der Lehrer, der Handelsgehilfen, einen Zusammenschluss der Grubenarbeiter, der in diesem Jahr 200000 Mitglieder zählt. Alle zusammen sind wir über anderthalb Millionen. Wie viele Leute gibt es bei der Metropolitan Police, Inspektor?«

»Genug, Mr. Tillet.«

»Ist doch klar«, fing der Ratsherr wieder an, »wenn ihr uns nicht schlagen könnt, warum schließt ihr euch uns nicht an? Stellen Sie sich mal vor, ein Polizistenverband. Volle Pensionsansprüche, Krankengeld, Beerdigungszuschuss, Streikgeld. Das wird kommen.« Doch Lestrade war bereits auf der Treppe, über die er gekommen war, draußen im warmen Sonnenlicht, wo die Luft frisch war.

Walter Dew war ein Polizist mit durchschnittlichen Fähigkeiten. In dieser Feststellung lag nichts Verächtliches. War es nicht eine Tatsache, dass der Charivari regelmäßig verkündete, dass die große Masse der Metropolitan Police nur über durchschnittliche Fähigkeiten verfügte? Nimrod Frost, der Leiter der Obersten Kriminalpolizeibehörde, war darauf bedacht, die Schwachstellen in seiner Abteilung auszumerzen. So kam es, dass Constable Dew, das Haar perfekt geölt und den Schnurrbart ebenso perfekt gekämmt, an diesem Tag gegen Ende April vor Frosts Büro stand, und zwar, ungewöhnlich für einen einfachen Bobby, in voller Uniform, den schimmernden Helm in der Armbeuge. Lestrade hatte ihm eingeschärft, klug zu taktieren, auf der Hut zu sein (Eigenschaften, die Dew eigentlich bei Geschäftemachern vermutete), weil die Beweise, die im Zusammenhang mit Joe Towers’ Tod auf Mord deuteten, ohne Lestrades inoffizielle Untersuchungsergebnisse mehr als dürftig waren.

Immerhin war Frost von Beesons Verdacht, der sich auf eine so lange Erfahrung im Dienste der Polizei gründete, ebenso beeindruckt, wie Lestrade es gewesen war, und duldete es, dass Dew alle und jeden befragte, die Joe Towers gekannt hatten, einschließlich jener, die ihn zuletzt lebend gesehen hatten. »Also, Dew, nehmen wir uns die letzten vor.« Frost legte seine Wurstfinger auf die riesige Samtfläche seiner Weste.

Dew schlug seinen Notizblock auf und fing an. »Am vierundzwanzigsten diesen Monats ergab sich die Notwendigkeit für mich, ein öffentliches Lokal aufzusuchen ...«

»Ein öffentliches Lokal, Dew?«, unterbrach ihn Frost.

»Rein dienstlich«, beeilte sich Dew zu versichern. »Ein öffentliches Lokal, das Pig and Helmet hieß oder so ähnlich ...«

»Oder so ähnlich, Dew?«

Dew räusperte sich, um seine Unterlassungssünde vergessen zu machen, und fuhr fort: »... wo ich eine halbe Stunde nach Mitternacht mit einem gewissen Abel Seaman zusammentraf.«

»Abel Seaman? Machen Sie einen Witz?«

Dew merkte, dass Frosts Gesichtsfarbe sich allmählich dem Purpurrot seiner Weste näherte.

»Tut mir leid, Sir, so war der Name des Mannes – zumindest behauptete er es.« Frosts Augenbrauen verschwanden unter dem, was von seinem Haaransatz noch übrig war, doch er sagte nichts.

»Dieser Mann erzählte mir, er habe den Verstorbenen an dessen Todestag gegen halb vier getroffen und ihn ein Stück heimwärts begleitet, dahingegen ...«

»Dahingegen, Dew?«, wiederholte Frost und wurde einer Schleiereule zusehends ähnlicher.

»Ah ... Mr. Lestrade riet mir, das hinzuzufügen, Sir.«

»Weiter.«

»Dahingegen ist dieser Abel Seaman uns bekannt, Sir. Er war zeitweilig Abkassierer, war als Leichenklemmer und Taschendieb bekannt, der ...«

»Dew!« Frost erhob sich mit aller Geschwindigkeit und Würde, die seine Körperfülle ihm gestatteten. »Könnten Sie das in Englisch ausdrücken, bitte? Immerhin ist es die Sprache der Königin.«

Dew sah ein wenig beschämt aus. »Natürlich, Sir. Er war zeitweilig Zuhälter, hat sich ein wenig als Leichenfledderer betätigt und Betrunkenen in die Tasche gegriffen.«

»Kein Mann, auf dessen Aussage man sich verlassen kann?« Frost nahm eine Prise Schnupftabak aus der kunstvoll gearbeiteten Dose auf seinem Tisch. Dew konnte die auf dem Kopf stehende Inschrift lesen (tatsächlich fiel es ihm so leichter), »Von den dankbaren Bürgern Granthams«, bevor Frost den Deckel zuklappte und daranging, gierig das orangefarbene Pulver von seinem Handrücken aufzusaugen.

»Ich denke, in diesem Fall können wir ihm glauben, Sir.« Frost wartete, bis er fortfuhr.

»Seaman sprach mit Towers über dieses und jenes, und Towers sagte ihm, dass er am Nachmittag jemanden erwarte, und lehnte sein Angebot ab, mit ihm einen heben ... ein Bier trinken zu gehen. Seaman war auf dem Weg zur Tanzkaschemme ... ich meine, in ein Varieté, und verbrachte vielleicht fünf Minuten in Towers’ Begleitung.«

»Wie kann ein erwachsener Mann bloß ein Varieté besuchen, Dew?« Frost wollte es nicht glauben.

»Nun, wenn Sie mich fragen, Sir, ging es wahrscheinlich um eine Partie Kümmelblättchen«, und als Frost mit der Geschwindigkeit eines kummervollen Faultiers herumfuhr, verbesserte er sich, »um Falschspiel, Sir.«

»Hat Seaman mehr über Towers’ Besucher erfahren?«

»Nein, Sir, außer dass er Trasseno war.«

»Ein Italiener?« Frost hatte das Gefühl, dass er in der Beherrschung des Jargons Fortschritte machte.

»Nein, Sir, ein übler Bursche.«

Frost räusperte sich, um die Verärgerung zu verbergen, dass er sich geirrt hatte, und fuhr fort, sein Büro zu durchmessen. »Es ist also anzunehmen, dass Seaman – wenn wir seiner Aussage überhaupt Glauben schenken wollen – die letzte Person war, die Towers lebend gesehen hat, und dass dieser ... äh ... Trasseno sein Mörder war – falls er wirklich ermordet wurde, und dabei stützen wir uns natürlich bloß auf Exsergeant Beesons sechsten Sinn.« Dew fühlte, wie der Boden unter ihm wankte. Seien Sie auf der Hut, hatte Lestrade gesagt, seien Sie auf der Hut.

»Ja, Sir.« Das war alles, was Dew an Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit zusammenbrachte.

Frost nahm Dews Notizblock und blätterte ihn durch. Der Mann kann ja kaum schreiben, dachte er. Die Zeilen hätten ebenso gut von einem geistesgestörten Schimpansen stammen können. »Sagen Sie mal, Dew, was wollen Sie eigentlich werden, wenn Sie mal erwachsen sind?«

»Sir?« Angesichts der ungewöhnlichen Leutseligkeit des Leiters des C.I.D. runzelte Dew die Stirn.

»Was ist Ihr berufliches Ziel, Dew?« sagte Frost, als müsse er einem Schwachsinnigen etwas klarmachen.

»Nun, Sir«, bei der Aussicht musste Dew grinsen, »eines Tages wäre ich gern Chiefinspektor, Sir ... und ...«

Frost begriff, dass da noch ein »und« war. Als ob die erste Hoffnung nicht schon aussichtslos genug sei. »Und?« Er beugte sich zu Dews rechtem Ohr hinunter.

»Und ich möchte ein Buch schreiben, Sir, eine biographische Beschreibung meines größten Falles. Es soll heißen Ich fing ... und dann der Name des Erzschurken.«

Frost saß stumm im Polster seines ledernen Armsessels, aus dem er sich nur mit Mühe erhob.

»Das ist alles, Dew«, sagte er, und sein ehrgeiziger junger Constable wandte sich zum Gehen. Dann sagte er mit aller Sympathie und Ermutigung, die er aufbringen konnte: »Ich glaube, Sie würden Schwierigkeiten haben, sich eine Erkältung einzufangen.«

Der neue Besen

Seit seinem ersten Gehversuch hatte Sholto Lestrade bewunderungswürdige Fortschritte gemacht. Doch mittlerweile war er fast vierzig. Er stellte fest, dass er an diesem Morgen seine Füße mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtete. Der alberne Punch hatte wieder einmal die Metropolitan Police Ihrer Majestät lächerlich gemacht, und der größte Teil des Witzes war natürlich nicht über das Gossen-Niveau hinausgelangt – an den Haaren herbeigezogene Scherze über die großen Plattfüße der Polizisten. Ich finde nicht, dass meine Füße zu groß sind, dachte Lestrade.

»Morgen, Sir.« Dixons herzliche Begrüßung ließ Lestrade aufblicken.

»Sergeant«, erwiderte Lestrade seinen Gruß. »Gibt’s heute irgendwas für mich?«

»Seine ’zellenz«, sagte Dixon mit einer Kopfbewegung nach oben, »möchte Sie sprechen, falls Sie einen Augenblick Zeit haben.«

»Zellenz?«, fragte Lestrade.

»Der Assistant Commissioner persönlich, Sir. Mächtig feiner Herr.«

Lestrade marschierte zur Treppe, dann dachte er daran, das könne möglicherweise schlecht für seine Füße sein, und nahm stattdessen den Lift. Dieser neumodische Apparat, weniger als drei Jahre alt, trug ihn ehrwürdig surrend und klappernd in die zweite Etage, wo Lestrades palastgleiches Büro lag, eingeklemmt zwischen einem Besenschrank und einer Latrine. Constable Dew erwartete ihn mit einem Becher Tee in der Hand.

»Heute Morgen nicht, Dew, mir ist der Appetit vergangen.«

»Woran könnte es liegen, Sir? An Mrs. Manchesters Cremetörtchen?«

Doch Lestrade war gegangen, und Walter Dew sah sich einmal mehr jenem unvermeidlichen Schweigen gegenüber, in das sich der Inspektor, je nach Laune, gewöhnlich zu hüllen berechtigt glaubte. Die Tür, die für Lestrade immer noch die von McNaghten war, stand rechteckig und massiv vor ihm.

»Herein.«

McNaghten war nicht mehr da. Er hatte vor einem Monat sein Amt aufgegeben, ein Mann, den der Tod seiner Tochter vernichtet hatte. An seinem Platz stand der größte Mann, den Lestrade je gesehen hatte. Nach Lestrades Schätzung wog er nahezu neunzehn Stones, und der größte Teil davon befand sich irgendwo zwischen seiner Brust und seinen Knien. Er hatte den Gesichtsausdruck einer läufigen Bulldogge, rotunterlaufene Augen und weiche, zitternde Lippen.

»Inspektor Lestrade, Sir. Sie wollten mich sprechen?«

»Ja.« Die Bulldogge kam knurrend hinter ihrem Schreibtisch hervor.

»Mein Name ist Frost. Nimrod Frost.« Die Bulldogge umkreiste Lestrade, und ihre Masse schwankte vor ihm wie ein Gemüsekarren in Covent Garden. »Assistant Commissioner. Der neue Leiter des Criminal Investigation Department.« Jedes Wort wurde mit Präzision und Behagen ausgesprochen. Lestrade versuchte aus der Redeweise auf die Person zu schließen. Dixon lag falsch: Woher immer dieser Bullenbeißer stammte, er war kein feiner Herr. Die Stimme war trainiert, von einem Mann geformt worden, der gewartet und gelauert hatte, bis er von unten hochgekommen war. Es gab keinen härteren Polizisten. »Sie werden in der kommenden Zeit eine Menge von mir hören.« Der Bullenbeißer beschloss seinen Rundgang und nahm seinen Platz wieder ein.

»Sholto Joseph Lestrade.« Frosts Augen verengten sich über dem Stummel, der seine Nase war. »Bachelor.« Er sprach das Wort wie eine Anklage aus. Frost schien auf ein Zeichen der Zustimmung zu warten. »Geboren in Pimlico. Januar 1854. Vater: Police Constable Joseph Lestrade, Metropolitan Police. Mutter: Martha Jane Appleyard, Wäscherin.« Der Bullenbeißer wartete abermals auf ein erklärendes Wort. Vergebens. »Ältestes von drei Kindern, die anderen starben im Säuglingsalter. Schulbildung ...« Frost hielt inne. »Hm. Schule in Blackheath. In Ordnung, das reicht erst mal.« Der Bullenbeißer tappte wieder durch das Zimmer. Hin und wieder ließ er seine Blicke zum Fenster und über die sonnenvergoldeten Skulpturen des Parlamentsgebäudes wandern.

»Lestrade«, sagte er unvermittelt, »das ist ein ausländischer Name, nicht wahr?«

»Ein hugenottischer Name, Sir, soweit ich weiß.«

»Ein Franzmann, wie?«

»Schon lange her, Sir. Während meiner Schulzeit bei Mr. Coulson in Blackheath habe ich aufgeschnappt, dass am Ende des siebzehnten Jahrhunderts eine große Zahl hugenottischer Weber in dieses Land kam. Mein Großvater sagte immer, die Lestrades seien aus La Rochelle gekommen und hätten sich in Spitalfields niedergelassen ...«

»Vielen Dank für die Geschichtsstunde, Lestrade.« Der Bullenbeißer hatte anscheinend mehr zu schlucken bekommen, als er verdauen konnte. »Warum sind Sie Polizist geworden?« Er wandte sich wieder Lestrades Personalakte zu. »Damals hielt ich es für eine gute Idee.«

»Recht so. Klagen?«

»Über den Yard? Nein, Sir. Das hängt immer von einem selbst ab.«

»Recht so. McNaghten hielt viel von Ihnen. Sie haben einen ganz ordentlichen Schnitt.«

Lestrade war im ersten Augenblick über dieses Kompliment überrascht. »Ich denke, Eleganz und Tüchtigkeit lassen sich unter einen Hut bringen, Sir«, sagte er, doch dann ging ihm auf, dass Frost die Zahl seiner Verhaftungen, nicht die Eleganz seines Anzuges gemeint hatte.

»Was ich an Detective Inspektor nicht mag«, knurrte der Bullenbeißer, »ist Sinn für Humor. Er passt nicht zu ihnen.« Eine gewichtige Pause, dann ein neuer Anlauf. »Ist Ihnen das letzte Papier des Innenministeriums, die Metropolitan Police betreffend, bekannt, Inspektor?« Fehlanzeige.

»Das dachte ich. Junge Polizisten, ob gut, schlecht oder gleichgültig, pflegen solche Dinge nicht zu lesen. Ein Jammer. Es ist keine schlechte Sache, die Ansichten jener Männer zu kennen, die uns Lohn und Brot geben.« Lestrade hatte einen anzüglichen Vergleich auf den Lippen, behielt ihn jedoch für sich.

Frost beförderte einen Stapel amtlich aussehender Dokumente zutage, räusperte sich und las laut vor: »Allen denjenigen, die sich durch unerfreuliche Ereignisse gezwungen sehen, polizeiliche Hilfe zu suchen, erscheint ein Inspektor wie ein Wächter, Beschützer und Schiedsrichter. Anders als in der Vergangenheit muss ein Inspektor ein Mann von Bildung« - der Bullenbeißer machte eine bedeutungsvolle Pause – »und Urteilsvermögen sein; die Öffentlichkeit muss ihm gegenüber Vertrauen empfinden. Nun, Lestrade, sind Sie dieser Mann?«

Ein Finger stach dramatisch in die Luft, nur ein paar Zoll von Lestrades Gesicht entfernt. »Guter Gott, Mann.« Frost war plötzlich verblüfft. »Sie haben ja keine Nasenspitze!«

»Ein Stück davon liegt vermutlich noch immer auf einem Bürgersteig in Cambridge. Es passierte im Dienst. Ein größeres Stück ist auf dem Friedhof von Highgate beerdigt. Das war eine Privatsache. »

»Sehr rätselhaft«, knurrte die Bulldogge, aber Lestrade wusste, dass sie das nicht lustig fand. »Dem Department«, fuhr Frost fort, »stehen personelle Veränderungen bevor. Die Leute haben Jack the Ripper nicht vergessen.« Das galt auch für Lestrade. »Oder die Struwwelpeter-Morde.« Auch Lestrade hatte sie nicht vergessen. »Der Punch« – es war, als habe Frost die Gedanken gelesen, die Lestrade heute auf dem Weg zum Yard gehabt hatte – »fährt fort, uns ›Defekt-‹ statt Detective-Abteilung zu nennen. Das ist nicht komisch, Lestrade, überhaupt nicht komisch.« Seine Stimme verlor an Lautstärke, der er sich bislang befleißigt hatte. »Sir Melville McNaghten sprach von Ihnen als seinem besten Mann.«

»Das ist sehr schmeichelhaft, Sir.«

»Ja, ist es das? Aber ich will wissen, ob es stimmt. Ich will keine Primadonnen in meiner Abteilung, Lestrade. Ich will ein Team von einsatzfreudigen, zuverlässigen Beamten.« Er fing wieder an herumzuwandern. »Ich hätte da eine kleine Aufgabe für Sie ...«

»Oberjäger«, so nannte Sergeant Dixon bald den neuen Chef des Criminal Investigation Department wegen seines Vornamens, doch nur hinter dessen Rücken und mit gesenkter Stimme. Der neue Besen fegte durch die staubigen Korridore von New Scotland Yard, kehrte die Scharen von Sergeants vor die Tür, die nahezu drei Jahre lang im Kellergeschoß gelauert hatten, bestand darauf, dass Inspektor Athelney Jones die schlechtsitzende Uniformjacke, die er und seine Männer sechzehn Jahre lang getragen hatten, durch eine andere ersetzte, und war immer und überall präsent. Jedenfalls verlangsamte sich die Nachrichtenübermittlung in dem weitläufigen Gebäude, da die Aufzüge, die ursprünglich acht Personen trugen, jetzt fünf Personen und Assistant Commissioner Frost beförderten. Es tat den anderen drei gut, die Treppen hinauf- und hinunterzurennen. Jedenfalls tat man gut daran, in Form zu bleiben. Doch Inspektor Lestrade bekam wenig davon mit. Am Tag nach seiner ersten Unterredung mit Nimrod Frost war er unterwegs nach Swindon. Als er das letzte Mal diese Strecke befuhr, hatte er wegen der verdammten breiten Brunel’schen Spur umsteigen müssen. Inzwischen hatte die Eisenbahngesellschaft Vernunft bewiesen und diese Gleise abgebaut. Trotzdem musste er wegen Gleisarbeiten in Swindon umsteigen, und der Tee und die Sandwiches am Great-Western-Buffet waren genauso ekelerregend, wie er sie in Erinnerung hatte. Mrs. Manchester hatte ihn gebeten, ein paar von ihren Pasteten mitzunehmen, doch da er nach Cornwall unterwegs war, hätte ihn das ein wenig an Kohle und Newcastle erinnert. Er blätterte die Zeitschriften in der Auslage von W. H. Smith durch und schauderte, als seine Finger ein Exemplar des Strand Magazine zu fassen bekamen. Für einen Augenblick fragte er sich, ob Watson, dieser Idiot, Conan Doyle immer noch mit diesen lächerlichen Geschichten über Sherlock Holmes fütterte, obgleich der Mann inzwischen schon anderthalb Jahre tot war.

Er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzusinnen, weil die Lokomotive pfiff. Er flitzte durch den Dampf, um den Zug zu erwischen, der zwanzig nach zwei nach Exeter abfuhr.

In der Nacht, warm für April, leistete ihm das Glockengeläute der Kathedrale Gesellschaft. Lestrade war nicht das, was man gemeinhin einen Romantiker nennt, doch die gewaltigen grauen Steine und der feierliche Glockenklang sorgten ganz von selbst für eine betörende Stimmung. Nach dem Abendessen, das, angesichts der kärglichen Spesen, die Frost ihm zugestanden hatte, bescheiden genug ausfiel, schlief er friedlich.

Am folgenden Nachmittag überschaute Inspektor Lestrade, begleitet von einem Sergeanten und zwei Constables der Cornwall Constabulary, den Helford-Fluss. Hinter ihnen war der riesige, stumme Erdwall, der die kleine Kirche von Mawnan umgab. Durch die teilweise sonderbar verkrüppelten Bäume konnten die Polizisten das Meer sehen, dessen graue Fläche sich hob und senkte, unablässig auf der Suche nach dem Ufer. Es herrschte eine Stille, die Lestrade bemerkenswert vorkam. Im lärmenden Getriebe der Stadt war er immer noch am glücklichsten, wenn er auch bei seiner Geburt die Glocken von Mary le Bow nicht hatte hören können.

»Sie sagten, dort wäre es gesehen worden?«

Der Sergeant nickte, und indem er versuchte, Lestrade zuliebe sein breites Cornwall-Idiom ein wenig zu mäßigen, sagte er: »Dreimal, Sir. Einmal dort im Wald. Einmal am Ufer hinter uns, und der Pfarrer hat’s in der Krypta gesehen.«

»In der Krypta?«, fragte Lestrade ungläubig.

»Da ist er übrigens.« Der Sergeant deutete auf einen älteren Herrn, der mit Hilfe eines Stockes beherzt über den Erdwall schritt. »Neolithikum«, rief der Vikar. »Lestrade«, erwiderte der Inspektor.

»Ach ja. Mein Name ist Ashburton.« Lestrade musste wohl eben etwas falsch verstanden haben. »Ja, dieser Erdwall«, fuhr der Vikar fort. »Jungsteinzeit, wissen Sie. Wo jetzt die Kirche steht, befand sich vermutlich einmal eine keltische Befestigung von beträchtlicher Größe, meinen Sie nicht?« Lestrade stimmte ihm zu.

»Wenn Sie mit den Constables fertig sind, Inspektor, kann ich Ihnen alles zeigen. Und anschließend sind Sie herzlich eingeladen, uns beim Abendessen Gesellschaft zu leisten. Meine Teure macht eine wundervolle Pastete.«

Diese war zwar wundervoll, doch der Brandy des Vikars war besser. Im heimeligen Studierzimmer des Pfarrhauses fühlte sich Lestrade an diesem Abend mit jeder Minute heimeliger. Aber er hatte einen Auftrag durchzuführen.

»Können wir alles noch einmal durchgehen, Sir?«

»Gewiss, Inspektor, aber sagen Sie mir, ob Ihnen Gilbert White aus Seiborne ein Begriff ist?«

»Gilbert White, der Fälscher?«

Der Vikar lächelte. »Nun, das ist er vielleicht gewesen, aber als Naturforscher ist er besser bekannt. Lange Zeit vor all dem Blödsinn, den die Darwins und Huxleys verzapfen, sammelte der Reverend White Exemplare aller Arten und fertigte von der Flora und Fauna seines Geburtsortes Seiborne Zeichnungen an. Mit weit weniger Kunstfertigkeit habe ich hier in Mawnan versucht, etwas Ähnliches zu machen. Ringsum sehen Sie die Früchte meiner Bemühungen.« Lestrade war die Unmenge von Vogeleiern, ausgestopften Wassermolchen und aufgespießten Schmetterlingen im Besitz eines anglikanischen Geistlichen ein wenig zu zoologisch vorgekommen, aber es musste auch solche Leute geben.

»Ich kenne mich mit allen Lebewesen aus, Inspektor, die es in Cornwall und Devon gibt, aber so etwas wie die Kreatur, die ich letzte Woche auf meinem Kirchhof sah, habe ich noch nie zu Gesicht bekommen.«

»Was für ein Tier war das?«

»Ich sagte bereits, dass es dämmrig war. Ich hatte gerade die Glocken geläutet. Sind Sie Campanologe?«