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Titel

Impressum

Widmung

APHRODITE

Vorwort

2016

2017

2018

2019

2021

2023

2024

2025

Nachwort

MEHR SPANNUNG VON RAIMUND KARRIE BEI DEBEHR

 

 

 

 

 

Raimund Karrie

 

 

 

Die Medizin der Lüste

 

 

 

 

 

ROMAN

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright by Raimund Karrie

Herausgeber Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2017

ISBN: 9783957533593

Grafiken Copyright by Fotolia by © yotrakbutda, © Michael Stifter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Meiner lieben Frau –

der das Buch gar nicht recht gefallen wollte.

 

 

 

 

 

 

 

APHRODITE

In Dir bildet sich die himmlische

Zeugungskraft

zu dem vollkommenen Schönen,

das alle Wesen beherrscht

und welchem von Göttern und Menschen

gehuldigt wird.

Homer, Hymnus 5. 1-6

 

Vorwort

 

Sehr geehrte Frau Leserin, sehr geehrter Herr Leser,

 

Dr. Kaiser, Wissenschaftler auf dem Gebiet der Chemie, Spezialgebiet Pharmazeutik, hat ein besonderes Aphrodisiakum erfunden, von dem in diesem Buch die Rede sein soll. Es ist in der Tat ein gewaltiges Mittel, von dem ich Ihnen an dieser Stelle nicht mehr verraten möchte, als dass es sehr gewaltig, ja geradezu allgewaltig ist, jedenfalls gewaltige Auswirkungen auf Mensch und Tier und Politik und Wirtschaft hat. Nicht von ungefähr eben auch auf die Wirtschaft, die Dr. Kaiser die Formel gerne abjagen, abkaufen oder rauben möchte. Selbstredend ist sie ein gut gehütetes Geheimnis, das sich der Erfinder nicht so einfach entreißen lässt.

 Freuen Sie sich auf ellenlange medizinische Abhandlungen und Vorträge und Langeweile auf höchstem Niveau. Alles schön einschläfernd dargeboten von einem Autor, der beim Schreiben selbst wiederholt eingeschlafen ist. Also die reine Bettlektüre für Sie. Oder wollen Sie vor dem Einschlafen lieber etwas Aufregendes lesen? Sicherlich nicht. Man will ja schließlich nicht die halbe Nacht wach liegen und die Probleme des Autors wälzen, die der in seiner Nonchalance mit dem restlichen Müll so einfach über Sie ausgeschüttet hat.

 Wer Erotik nicht mag – aber wer ist das schon? – ist hier auch gut aufgehoben. Erotik gibt es in meinen Büchern nicht. Meine Bücher lesen sich dann auch eher wie Kinderbücher. Erotik lässt einen auch nicht gut einschlafen. Entweder erregt das schmutzige Zeug oder es klopft an das schlechte Gewissen nach dem Motto: Du hast es mal wieder übertrieben. Führt zu Augenschäden. Manche beklagen sich hingegen auch über zu viel Augenlicht, Sie verstehen?

 Ach, da sind ja auch noch die ethnischen Gruppen, also Islamisten, Juden, Schwiezer und Urwaldvölker – alle in alphabetischer Ordnung aufgeführt – zu erwähnen, die da auch nicht immer so gut wegkommen. Na ja, vielleicht die Islamisten, die Dr. Kaiser von einem Joch befreien, aber erst, als er sich zu Allah, Islam und Dschihad bekannt hat. Sie sehen schon, alles total langweiliges Zeug. Es ist das Buch, das das langweilige Zeug zum Buchpreis hat.

 Und nun reißen Sie sich zusammen und gehen Sie es an. Mindestens bis Seite zehn lesen oder besser noch bis zwanzig! Sie müssen dem Buch die Chance geben, dass es wenigstens von einem Leser gelesen wird.

Verbleibt mir nur noch, Ihnen einen schönen Tag zu wünschen, von schöner Lektüre kann ja wohl eher nicht die Rede sein.

 

 Der Autor

 

2016

 

Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. Gaius Kaiser lief aufgeregt auf und ab, her und hin und hin und her. Er stand kurz vor dem Durchbruch und Zusammenbruch. Wenn ihn doch wenigstens seine Frau in Ruhe ließe. Gut, es war ihr Geburtstag heute und die vielen geladenen und ungeladenen Gäste waren auch schon da. Und das Dinner habe schon begonnen und die Freunde stellten schon dumme Fragen. Sie habe sie alle auf ihre heitere Art hinhalten können. Aber jetzt sei Schluss mit lustig. Wenn er jetzt nicht unten erscheine, dann fingen sie ohne ihn an. Das wäre ihm dann auch am liebsten, ließ er sie noch wissen, denn all die vielen Leute störten ja nur. Wie sollte er dann noch einen vernünftigen Gedanken fassen können.

 Aus drei Gründen musste heute noch der Durchbruch erfolgen, er würde auch erfolgen. Er stand ja kurz davor. Noch zwei, drei Minuten oder auch ein bisschen mehr und er hätte es. Der zweite Grund war sein Chef, also Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. Gustav Zimpermann und das von ihm gestellte Ultimatum. Ja, und der dritte Grund war eben seine Frau, also das Geburtstagskind des Abends. Wo hatte er nur sein Geburtstagsgeschenk für sie deponiert? Er griff sich an den Kopf. Das hatte er ja noch gar nicht gekauft! Dann brauchte er es jetzt auch nicht zu suchen. Umso besser! Also machte er weiter, wo er stehen geblieben war. Oder besser gesagt, er hätte gerne. Doch das Miststück war mal wieder abgestürzt, der Bildschirm schwarz von nun auf jetzt.

 Das war zu viel für ihn. Er begann, auf dieser Errungenschaft der Neuzeit herumzuhämmern, wohl wissend, dass solches Treatment dem Computer eher schaden als nützen würde. Er dachte an die vielen Menschen, die alle, wie er heute, von diesem Wunderwerk der Technik schon im Stich gelassen worden waren, jämmerlich und gemein. Wie viele von ihnen anschließend wohl in den zahlreichen Psychiatrien dieser Welt einsaßen, weil das verdammte Ding sie um den Verstand gebracht hatte? Ihm hingegen war ja eigentlich Gutes widerfahren, das musste er sich jetzt doch mal eingestehen, denn diese Gerätschaft hatte soeben seine Ehe gerettet. Einen letzten Tritt noch und er begab sich nach unten zu seiner Frau und ihren Gästen. Die meisten von ihnen kannte er gar nicht oder nur flüchtig, alte Freunde aus Juttas alten Zeiten. Von daher verstand er auch die Aufregung seiner Frau nicht recht.

 Noch saß man nicht zu Tische, sondern verharrte in kleinen Grüppchen, das Sektglas in der Hand schwenkend, in Gespräche vertieft. Geschickt war es ihm gelungen, sich unbemerkt unters Volk zu mischen, das heißt, seine Frau hatte ihn schon entdeckt, sich aber klugerweise nichts anmerken lassen. Und so hatte er vermeintlich wohl schon den ganzen Abend unter ihnen verweilt, kaum dass jemand der Anwesenden irgendeine Notiz von ihm genommen hätte. Und das war auch nur allzu verständlich, war es ja ihr Geburtstag heute und nicht seiner und somit hatte auch nur sie im Mittelpunkt zu stehen und nicht er. Er war dann lediglich Beiwerk. Und diese Rolle war ihm nicht unangenehm, konnte er doch auf diese Weise seinen Gedanken nachhängen. Auch ohne Computer.

 Also rief er kurzerhand besagte Kummerformel wieder auf und sein innerer Bildschirm lieferte jedes noch so kleine Detail. Er schob die Formel hin und her, entnahm oder fügte etwas hinzu, veränderte dieses und jenes. Plötzlich tat er einen Schrei: „Heureka, ich hab’s! Sekt für alle!“ Jetzt erst bemerkte er, dass die vielen Gläser bereits gefüllt und einige aufgrund seines urplötzlichen Schreis zu Boden und Bruch gegangen waren. Und eh man sich versah, war der Spuk vorbei und er verschwunden.

In seiner Dachkammer hielt er das Ergebnis schnell noch fest, bootete den Computer wieder hoch, streichelte ihn wie einen Hund, da dieser, wieder voll angesprungen, nun erneut zu Diensten stand. Er kontrollierte das Ergebnis, machte die Rolle vor- und rückwärts. Es bestand kein Zweifel mehr. Die Schlacht hatte er gewonnen. Morgen würde er die Akte „Cancer no more“ dem Chef auf den Schreibtisch knallen, Lob und Gehaltserhöhung cool über sich ergehen lassen und allen an diesem Projekt beteiligten Kollegen einen ausgeben, das heißt, den Chef einen ausgeben lassen. Und wenn der alte Knauser es wagen sollte, sich davor drücken zu wollen, würde er ihn vor der gesamten Mannschaft blamieren. Endlich war er wer, war in der Position, den Ton anzugeben und nicht nur den.

 Erneut gesellte er sich zu den Gästen, die diesmal bereits am Tisch Platz genommen und weniger auf ihn als auf das Abendessen gewartet hatten. Er erhob sein Glas, eigentlich das seines Tischnachbarn in Ermangelung eines eigenen und erging sich in einem Toast.

 „Liebe Gäste, ich habe euch etwas Bahnbrechendes in der Geschichte der Menschheit zu vermelden. Soeben ist es mir gelungen, die von Krebs und Tumoren heimgesuchten Todgeweihten von der sie bedrohenden Geisel, Geißel natürlich – ihr seht, ich bin furchtbar aufgeregt – zu befreien. Zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin ist die Wunderformel gegen den Krebs erfunden worden und dies von keinem Geringeren als mir. Was sagt ihr nun?“

 „Das ist alles gut und schön, mein lieber Caesar, aber wir sind ja nicht hier, um mal wieder einen deiner sogenannten Erfolge zu feiern. Es lebe hoch das Geburtstagskind! Jutta, lebe hoch!“

Jutta hatte sich den gesamten Abend zurückgehalten. Doch im Schlafzimmer machte sie ihrem Unmut Luft.

 „Mein lieber Mann hatte sich mal wieder in den Vordergrund gedrängt. Wurde dann im letzten Moment noch ausgebremst. Mir ist mal wieder so richtig bewusst geworden, was für ein egozentrischer Mensch du bist. Und wer es von unseren Freunden noch nicht wusste, hat es spätestens heute Abend mitbekommen. Welch ein Auftritt! Stellt sich hin und beweihräuchert sich, statt seiner Frau zum Geburtstag zu gratulieren. Und das Schönste ist, jeder weiß doch, wie oft du schon kundgetan hast, was du da so alles geforscht und erfunden hast, du großer Dr. natter. rerum Löffelstiel. Es kotzt die Leute langsam an und mich schon lange.“

 „Bist du fertig, ja? So einen Mann wie mich hast du gar nicht verdient. Während andere Männer lediglich einem schnöden Broterwerb nachgehen, widme ich mich der Forschung und rette die Menschheit. Ich warte bis heute noch auf ein kleines Wort der Anerkennung. Aber nichts ist. Gar nichts. Stattdessen nur Schmäh! Ach, was bist du doch so einfältig. Und obendrein ziehst du dich an diesem Hallodri von Heini hoch, der dir toll zum Geburtstag gratuliert und im gleichen Atemzug deinen Mann blamiert hat. Dem hättest du sofort Einhalt gebieten müssen. Stattdessen hast du dich gesonnt in deinem Glorienschein. Merkst gar nicht, wie der dir schon lange nachgeifert, dieser geile Bock.“ Seine Frau sagte hierzu nichts. Und er beließ es dann auch bei seinen Worten.

 Endlich war er das ständige Grübeln los und konnte sich wieder anderen Dingen zuwenden. Und überraschend schnell hatte er zu diesen Dingen und somit auch der schönsten Nebensache der Welt zurückgefunden. Jutta hatte inzwischen begonnen, ohne sich dessen bewusst zu werden, mit einem ganz privaten Striptease, nur für ihn und quasi als nachträgliches Geburtstagsgeschenk. Er betrachtete genüsslich das, was sich da vor seinen Augen vollzog, dieses wunderbare Vorspiel. Heute würde er wieder ganz der Alte sein, jung und elastisch, einfach unwiderstehlich. Er war stolz, so ein wunderbares Geschenk der Natur sein eigen nennen zu dürfen. Sie würde sich ihm hingeben wie in ihren Studentenjahren, wo sie beide bis in den Vormittag hinein geschlafen hatten und statt Vorlesung nebeneinander und miteinander immer wieder das auskosteten, was ihnen der Herrgott zum Thema „Wachset und mehret euch“ mit auf den Lebensweg gegeben hatte. Doch vermehret hatten sie sich nicht. Und so hatten auch keine quengelnden Kinder ihr trautes Tête-à-Tête jemals zu stören vermocht, damals nicht wie heute. Nur sie beide zählten und waren füreinander da – auch an diesem schönen Geburtstag. Jedenfalls sah er das so. An ihm sollte es dann auch nicht liegen und so blies er zum Halali. Zunächst ging er es verbal an.

 „Es tut mir leid, dass ich dich heute Abend so enttäuscht habe. Weißt du, meine Arbeit hatte mich einfach zu sehr gestresst. Ich hab die ganze letzte Zeit nur unter Druck gestanden, also Zeitdruck. Und immer der Gedanke: Jetzt kommt der große Durchbruch. Aber das ist jetzt alles vorbei. Weißt du was? Ich nehme einfach Urlaub. Den habe ich mir schon lange verdient. Fahre irgendwohin, wo’s schön ist.“

 „Bla, bla, bla! Ich kann’s nicht mehr hören. Wie oft habe ich mir das schon anhören müssen. Der wievielte Durchbruch ist das jetzt eigentlich schon? Kannst du mir das mal sagen? Geh du deinen Weg, ich geh’ meinen.“

 Damit verschwand sie unter der Bettdecke, verhüllte ihren schönen Körper – sie war Nacktschläferin – und ließ ihn mit seinen Gedanken allein. Und diese Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen, waren sie doch alles andere als jugendfrei. Dennoch soll hier wenigstens so viel berichtet werden: Jutta fand auch keinen Schlaf, was er aber nicht wissen konnte. Und so kam es dann doch noch einmal zu einer kurzen Unterhaltung in jener Nacht.

 „Was machst du da?“, meldete sich Jutta zurück.

 „Was soll ich denn schon machen?“

 „Meinst du etwa, ich wüsste nicht, was du da treibst.“

 „Und was treibe ich da so?“

 „Das weißt du ganz genau, oder meinst du, ich wär’ blöd?“

 Die hat was gemerkt, ging es ihm durch den Kopf. Und jetzt?

 „Das ist wohl dein schlechtes Gewissen, Jutta, das dir hier was vorgaukelt. Jedenfalls scheint es dir den Schlaf zu rauben. Aber ich wüsste schon etwas, das hier sehr hilfreich wäre. Für uns beide. Und dann könnten wir beide auch schön schlafen.“

 „Ihr Männer seid doch wirklich alle Schweine.“

 Diese Platitude wollte nun gar nicht mehr verfangen.

 „Ach ja, und ihr Frauen kennt so etwas nicht?“ Er glaubte, jetzt deutlicher werden zu dürfen. Er war ertappt und musste zum Gegenangriff antreten. „Du vielleicht nicht. Jedenfalls hast du dich bis jetzt nicht ertappen lassen. Vielleicht erlebe ich das ja mal. Würde dir gerne dabei zugucken. Komm, wir tun uns jetzt zusammen und vergessen das Ganze. Betrachten es als Vorspiel. He! Du sagst ja nichts.“ Die ist doch tatsächlich eingepennt! Vielleicht tut sie auch nur so. Bei so einem Thema einpennen! Und das, wo ich jetzt so hellwach bin.

 Dann schickte er seine Gedanken auf Reisen und gelangte so zu der schönen Praktikantin. Sie saß im Nebenzimmer seines Büros, von ihm nur getrennt durch eine Scheibe. Sie hatte er bei all seiner Arbeit bisher genau so wenig wahrgenommen wie seine eigene Frau. Doch einmal, da hatte sie etwas fallen lassen, bückte sich, wobei sich ihr Miniröckchen ein wenig hob. Das hatte er nur am Rande wahrgenommen, aber jetzt schien er alles nachholen zu wollen. Und so hob sich jetzt das Röckchen mehr und mehr und er sah, was gewiss keiner der Kollegen je gesehen hatte. Und im Rausch der Sinne kam ihm jetzt ein verwegener Gedanke. Die hat das extra gemacht! Die wollte dich anmachen! Und damit nicht genug. Die quatsche ich morgen an. Und dann schau’n wir mal. Die Vorfreude war dann auch so groß, dass er überlegte, ob er seine schlafende Frau, falls sie überhaupt schliefe, kurz mal wecken und sie dann einfach mal ein bisschen vergewaltigen sollte oder die Sache besser klammheimlich unter der Hand zu erledigen sei. Und dann gab es noch eine Möglichkeit. Er würde jetzt nicht das eine und auch nicht das andere tun. Er würde sich das alles für den nächsten Tag aufheben und dann in die Vollen gehen. Deswegen schaltete er auf den Kanal „Chefsache“ und stellte sich auf die Begegnung des folgenden Tages mit seinem Chef ein, worauf er erst recht keinen Schlaf mehr fand.

 Am nächsten Tag schlich er durch das Büro, total unausgeschlafen und mürrisch, begab sich zu Zimpermann, der ihm nicht minder mürrisch erschien, so als hätte er auch nicht gut geschlafen. Am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht und Chef Chef sein lassen, wäre da nicht das Ultimatum gewesen. Also präsentierte er seinem Chef den Erguss langer Mühen und endlosen Fleißes inklusive schlafloser Nächte an der Seite seiner vernachlässigten Frau. Zimpermann schaute kurz hinein in das Dossier und meinte dann nur: „Gut, also gehen wir in die entscheidende Phase der Erprobung. Morgen früh um acht treffen wir uns bei Pharma Nota und reichen unsere Unterlagen ein. Die werden Augen machen.“

 Seinen Chef hatte er beglückt. Nun fehlte nur noch die Praktikantin. Voller Tatendrang schwang er sich auf und landete ready for new business in ihrem Büro. „Hallo, schöne Frau …“, rief er vergnügt, als er auch schon feststellte, dass sie gar nicht zugegen war. Na, so was! Wo steckt die denn? Enttäuscht und auch ein wenig ratlos verließ er ihr Büro. Später dann in der Kantine traf er sie doch noch an. Sie saß allein an einem Tisch und er hoffte, es würde auch so bleiben. Also setzte er sich zu ihr, sah sich nach allen Seiten um, ob da auch kein Störenfried im Anmarsch war und ging es schließlich an.

 „Aline, wir haben Grund zu feiern. Ich habe soeben unserem Chef die Akte mit unseren Forschungsergebnissen auf den Tisch geknallt. Das Projekt geht jetzt in Erprobung. Endlich! Endlich! Ich hoffe, du hast heute Abend noch nichts vor und wenn, musst du alles absagen. Denn heute muss gefeiert werden.“ Er war ein wenig aus der Puste gekommen und atmete erst einmal kräftig durch. Das musste er auch, denn Aline Stiffler wusste seine Begeisterung nicht recht zu teilen.

 „Also feiern möchtest du. Und deine Frau ist auch dabei, nehme ich mal an. Weißt du, Caesar, dann kann ich meinen Freund vielleicht auch mitbringen, wär’ dir doch recht, oder?“

 „Klar doch, und deine Mutter bringst du mit und deine Oma und …“

 „Was bist du denn so sauer auf einmal?“

 „Ich hatte lediglich davon gesprochen, dass wir beide, und nur wir beide feiern wollen, denn nur wir beide, nicht meine Frau und nicht dein Freund, haben Grund zu feiern. Schließlich haben die ja wohl nichts zum Gelingen des Projekts beigetragen, oder wie seh’ ich das?“

 „Habe verstanden. Und deine Frau hat nichts dagegen?“

 „Was sollte sie denn dagegen haben, wenn ich eine Kollegin mal aufgrund eines gemeinsamen Erfolges einlade?“

 „Ich könnte mir vorstellen, dass sie dir Fragen stellt, zum Beispiel, warum du nur mich und nicht die anderen Kollegen dieser Abteilung auch einlädst. Ich stelle mir übrigens diese Frage auch. Haben doch die Kollegen mindestens so hart daran gearbeitet wie ich, ach, was sage ich, noch viel härter.“

 „Vergiss das Ganze, Aline, du komplizierst das alles nur. Habe einen Tisch bestellt im ‚Cock Inn’. Den sag ich halt ab. Schönen Tag noch.“ Damit ließ er Aline und das Mittagessen allein, begab sich wütend in sein Büro und verfluchte nachträglich das ganze Projekt.

 Der Abend kam und gefeiert wurde doch. Ihm war es gelungen, seine Frau einzuladen. Nach all den Entbehrungen der letzten Zeit habe sie sich eine kleine Belohnung verdient und überhaupt sei doch nun eine neue Zeit angebrochen und Urlaub habe er übrigens auch schon eingereicht. Und da Frauen, vornehmlich Ehefrauen, gutmütige Wesen sind und sich über jeden Neuanfang freuen, und sich gerne mal aus- und verführen lassen, war ihm die Wende gelungen. Bei Kerzenschein und einem guten Roten war dann auch die traurige Vergangenheit sehr bald schon vergessen und als die leckere Vorspeise noch weitere Freuden des Abends versprach, lenkte er geschickt das Gespräch sehr bald schon auf die erfreulichen Dinge ihres Ehelebens, wie da waren die bereits erwähnten Studienzeiten und die wunderschönen gemeinsamen Reisen und Abenteuer.

 Sie hatten einen freundlichen Zweiertisch am Fenster erwischt, keinen tristen Katzentisch, wie er des Öfteren zwei Personen in einer Ecke nahe den Toiletten zuteil wird, weshalb von daher schon die ersten Voraussetzungen für einen gelungenen Abend gegeben waren. Wenn das Gespräch mal ins Stocken kam, konnte man sich unbeschwert den Passanten zuwenden, die da vom Fenster aus draußen zu beobachten waren, die man sah, ohne gesehen zu werden. Und so erklärt sich auch, dass Dr. Kaiser, alias Caesar, recht gelassen blieb, als er plötzlich seine Kollegin Aline Stiffler entdeckte. Er fragte sich noch nicht einmal, was sie wohl dahin geführt hatte, zumal sie auch noch ohne Begleitung war. Auch als sie sich eigentlich schon recht verdächtig der Lokalität näherte, kamen solche Fragen nicht auf.

 „Hallo, Herr Dr. Kaiser, darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Einen Stuhl schwenkend, grinste sie ihn frech an und meinte dann noch: „Bei der Gelegenheit lerne ich auch mal Ihre Gattin kennen. Möchte der werte Herr Doktor mich der Dame nicht vorstellen?“

 „Frau Aline Stiffler aus unserer Abteilung, meine Frau Jutta. Aline, jetzt sag du doch mal, was dich hierher geführt hat?“ So fragte er gelassen und versuchte, mit einem breiten Lächeln jeglichen Verdacht einer Peinlichkeit im Keim zu ersticken.

 „Ja, Caesar – so nennen ihn alle Kollegen im Büro, müssen Sie wissen – ich habe noch so etwas wie Feiern in Erinnerung. Ihr Mann war so nett, mich heute Abend hierher einzuladen, aber ich hatte abgelehnt. Wissen Sie, ich traute dem Ganzen nicht so recht, habe es mir aber, wie Sie jetzt sehen, doch anders überlegt. Ich hoffe, ich störe nicht. So eine schöne Einladung bekomme ich nicht jeden Tag.“

 „Herr Ober, bitte noch mal die Karte!“ Und zu seiner Frau gewandt: „Du hast doch sicherlich nichts dagegen, dass Aline mit uns zu Abend speist?“

 Seine Frau wäre am liebsten aufgestanden, hätte ihm noch eine kräftige Ohrfeige verpasst und dann erhobenen Hauptes das Lokal verlassen. Sie beschloss jedoch, im letzten Augenblick sozusagen, die Lokalität schon erhobenen Hauptes zu verlassen, aber noch nicht sogleich. Sie würde dieses unwürdige Spiel mitspielen, konnte sie diesem jungen Ding doch nicht kampflos das Feld überlassen. Darum lächelte sie jetzt und nickte ihr aufmunternd zu. Die Frage ihres Mannes ließ sie unbeantwortet, stattdessen meinte sie nur: „Suchen Sie sich was Schönes aus. Vielleicht essen wir ja das Gleiche. Vorweg hatten wir Hummerschwänze in Soße nach Art des Hauses. Als Hauptgang haben wir Boeuf bourguignon gewählt und dazu einen passenden Roten.“

 „Nehm’ ich.“

 „Herr Ober, den Hauptgang möchten wir gemeinsam einnehmen. Die Dame möchte auch boeuf … Sie wissen schon.“

 „Also dann dreimal Boeuf bourguignon für die Herrschaften.“

 „Vielen Dank auch für die Einladung. Finde ich so was von nett von Ihnen.“

 „Du hättest doch deinen Freund mitbringen können, Aline“, mimte er dann noch schnell.

 „Ja, hätte ich. Aber ich war nun mal allein in der Stadt, einkaufen und so, und habe dich zufällig hinter dem Fenster erblickt. Deine Frau habe ich da noch nicht gesehen. Ich hab tatsächlich gedacht: ‚Der feiert allein’, weil ich hatte ja abgesagt. Und weil du mir da leid tatest, habe ich dir Gesellschaft leisten wollen.“

 „Und das ist ja jetzt auch der Fall. Und ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Jutta, und wenn ich Aline sagen darf?“

 Caesar staunte nicht schlecht: „Frauen sind doch die besseren Diplomaten. Wie die beiden das hingekriegt haben!“, so dachte er leise vor sich hin. Das gab er seiner Frau auch auf dem Heimweg zu verstehen. Kein Wort des Vorwurfs, keine Seitenhiebe.

 „Ist doch nett, die Kleine. Und solange du mit ihr nur essen gehst, soll mir das recht sein. Konntest ja zu dem Zeitpunkt morgens im Büro noch nicht wissen, dass ich mitkomme. Musstest auch nicht damit rechnen. Also hast du sie eingeladen. Sie hatte schon recht. Wer will schon gerne alleine feiern?“ Dabei lächelte sie ihm schelmisch zu. Sie gab ihm Rätsel auf, diese seine Frau. Wie auch immer, es wurde noch eine schöne Nacht. Es wurde sogar eine lange Nacht, hatte er doch so viel nachzuholen.

 Der folgende Tag brachte den Alltag zurück. Aber nicht ganz. Man hatte ihn in eine andere Abteilung versetzt, denn mit Abschluss des Projekts war er eigentlich obsolet geworden. Dieses Gefühl wurde er auch nicht los, als er sich seinen neuen Arbeitsbereich näher anschaute. Und so kam er dann auch schon bald zu dem Schluss, dass er eher die Leiter runtergefallen war. Aufgrund des gewaltigen Durchbruchs in Sachen Krebsforschung hätte er doch etwas anderes erwartet. Seine Enttäuschung war riesengroß, was er auch seinem Chef kundtat.

 „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns mal unterhalten, Gustav.“ Man duzte sich inzwischen. „Ich bin der Meinung, ich hätte etwas Besseres verdient. Meine neue Arbeit ist doch das Allerletzte: Terminüberwachungen, Terminabsprachen, Hotelreservierungen und demnächst vielleicht auch noch Toilettendienst. Das sind die Arbeiten einer Sekretärin vielleicht, eines Mannes meines Schlages total unwürdig.“

 „Caesar, ich bin mit der Lösung auch nicht zufrieden, aber im Augenblick habe ich noch nichts anderes für dich.“

 „Gut und schön, das betrifft unser Leukämie-Projekt. Und was ist mit den anderen Projekten hier an unserer Uni?“

 „Sind alle vergeben. Also Leukämie, wie du weißt, macht Meyer, Leber macht Kerschenstein, Hoden macht Boden und …“

 „Ja, ja, ja, weiß ich, weiß ich.“

 „Na und?“

 „Was ‚na und‘“

 „Du müsstest dich da erst einarbeiten. Und als Mann vom Fach weißt du, dass das nicht von heute auf morgen geht.“

 „Aber von übermorgen bis nächste Woche Nachmittag. In meinem Falle. Ich bin da schnell wie ein Wiesel. Eher noch schneller. Also was?“

 „Wie was?“

 „Also, Gustav, so kommen wir nicht weiter. Ich verlange auf der Stelle die Zuweisung eines neuen Projekts mit der Leitung desselben zum späteren Zeitpunkt.“

 „So geht das nicht, mein lieber Caesar. Ich würde ja gerne deine Forderung erfüllen und alle weiteren, falls die noch kommen, aber mir sind die Hände gebunden, glaub mir.“

 „Ich glaube dir kein Wort, mein lieber Prof Gus. ‚Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, er kann gehen’, läuft bei mir nicht. Lass dir also etwas einfallen!“

 „Soll das etwa eine Drohung sein?“

 „Nenn es, wie du willst: Drohung, Erpressung, Nötigung, alles was dir hierzu einfällt. Mehr möchte ich jetzt nicht dazu sagen. Aber mal etwas anderes: Hat Pharma Nota schon von sich hören lassen?“

 „Nee, hat noch nicht. Warum auch? Die führen erst einmal Studien durch. Testen auf Nebenwirkungen. Das dauert. Aber das weißt du doch auch.“

 „Haben die überhaupt schon was gezahlt? Ich mein’, die Uni muss doch ihre Leute auch bezahlen. Und das nicht schlecht. Also, wenn ich bedenke, was ich so verdiene und das im Moment als subalterner Angestellter.“

 „Die werden schon zahlen. Und das nicht schlecht. Da sind Millionen im Spiel. Vielleicht zahlen sie auch gar nichts, weil unser Projekt von denen als failure eingestuft wird. Und dann verlangt die Uni das Geld von dir zurück, das du da die ganze Zeit verdient, oder genauer gesagt, nicht verdient hast.“

 „Och!“

 „War nur’n Scherz. Jetzt bist du doch mal ganz schön blass geworden. Aber du siehst, erst wenn das Projekt als Erfolg deklariert ist, mein teurer Freund, kannst du Ansprüche stellen. Mehr möchte ich jetzt nicht dazu sagen.“

 Zurück im Büro griff er mal kurz unter seinen Schreibtisch, zog eine Buddel hervor und nahm erst einmal einen Kurzen. Aline hatte ihm vom Nebenzimmer, also durch die Scheibe, zugesehen und Schlimmes geahnt. Also nahm sie jetzt Kurs auf sein Büro, bereit, ihm alle Hilfestellungen zu geben, jedenfalls die bürorelevanten.

 „Caesar, was ist los?“

 „Seit heute habe ich jegliche Freude an meinem Job verloren.“

 „Geht mir nicht anders, Caesar, aber was machen? Ich bin ja nur ein kleines Licht hier, aber du könntest doch …“

 „Habe ich soeben. Habe Gustav gehörig die Meinung gesagt und ihm Feuer unterm Kessel gemacht.“

 „Und?“

 „Der hat sich von mir nicht anmachen lassen. Ist ein eiskalter Typ. Aber der hat die Rechnung ohne mich gemacht. Und das wird ihn teuer zu stehen kommen, kannste mir glauben.“

 „Wenn ich nur wüsste, was ich da für dich tun könnte?“

 „Oh, da wüsste ich schon was.“

 „Und das wäre?“

 „Na ja, was wohl?“

 „Du kannst scheint’s auch nur an das eine denken, Caesar.“

 „Jedenfalls würde mir das jetzt gut tun, gewaltig gut tun.“

 „Selbst wenn, hier könnte ich dir den Wunsch nicht erfüllen. Jedenfalls nicht hier.“

 „Ja. Leider. Und heute Abend? Gemeinsam dinieren im ‚Cock Inn’?“

 „Geht leider nicht. Bin schon anderweitig eingeplant.“

 „Bei deinem Freund? Willst du den nicht mal zum Mond schießen? Hab dich neulich mal mit dem in der Stadt gesehen. Der macht doch nichts her. Sieht aus, als könnte er nicht eins und eins zusammenzählen.“

 „Er ist aber ganz lieb. Und nicht so einer wie du. Der würde mich nie betrügen wollen.“

 „Vielleicht nicht wollen. Aber kann er das? Ist schließlich auch nur’n Mann. Ich hoffe das wenigstens für dich. Komm, lass den sausen, wenigstens heute Abend mal. Aline, ich brauche dich so.“

 „Du brauchst nicht mich. Du brauchst etwas anderes. Schäm dich, Caesar, du hast eine so nette Frau.“

 „He, he, was soll das Gerede? Du denkst zu viel. Ich will doch nur deine nette Gesellschaft. Mehr nicht. Glaub mir. Und nun sitze ich heute Abend ganz alleine zu Hause. Meine Frau hat nämlich ihren Bridge-Abend.“

 „Du bist doch gar nicht allein. Hast doch deine Modellbahn. Da hast du doch Gesellschaft – von all deinen Loks und ICE und …“

 „Hab schon verstanden. Was bist du doch so herzlos.“

 Er beließ es bei seinen Anspielungen und Wehleidigkeiten.

 Der Feierabend kam und damit sein trautes Heim. Seine Frau hatte ihm sein Lieblingsessen gekocht, wusste sie doch von seinem schweren Gang zu Gustav, dem Gewaltigen.

 „Was für eine Überraschung! Und mein Lieblingsessen! Oh, wie ich dich liebe! Aline wollte mir an diesem bedenklichen Tag heute auch was Gutes tun. Habe ich aber abgelehnt. Wollte den Abend nach diesem anstrengenden Tag nur mit dir verbringen, Jutta, nur mit dir.“

 „Und was wollte sie dir Gutes tun? Versteh ich nicht. Für Gutes ist doch deine Frau zuständig oder übernimmt sie langsam meine Rolle?“

 „Ah wo! Wo denkst du hin. Sie hat erst heute wieder zu mir gesagt, wie sympathisch sie dich findet. Wir könnten sie doch mal einladen zu uns hier. Und ihren Freund könnte sie auch gleich mitbringen. Ein gut und intelligent aussehender junger Mann. Macht irgendwo auf der Uni rum. Lektor oder so. Bestimmt ein interessanter Typ. Hab die beiden neulich mal in der Stadt gesehen. Und wie verliebt die taten. Aline jedenfalls schaute ganz glücklich drein.“

 „Was hat denn nun die Unterredung mit deinem Chef gebracht?“

 „Natürlich nichts, also nicht wirklich. Kurzum, er hatte gemeint, also sinngemäß, ich sollte glücklich sein, dass ich den momentanen Job hätte, vor allem bei dem Gehalt.“

 „Kannst du doch auch. Wer verdient schon über zehntausend im Monat! Du hast ihm doch hoffentlich kein Maul angehängt, so wie das deine liebe Art so ist? Oder muss ich mir Gedanken machen?

 „Kein Maul, ein kleines Mäulchen vielleicht.“

 „Denk dran, unser Haus ist noch nicht abbezahlt und unsere Kreuzfahrt wird auch nicht billig. Ja, und dann willst du doch den Porsche noch und viele neue Loks für deine Bahn.“

 „Höre ich ‚Kreuzfahrt’?“

 „Na ja, du hast doch Urlaub eingereicht. Und kurzfristig ist da noch was zu machen. Jedenfalls sind die Luxusschiffe noch nicht ausgebucht.“

 „Wer sagt denn, dass ich auf Kreuzfahrt will? Wo ich doch so leicht seekrank werde. Übrigens mein Urlaub ist abgelehnt worden“, log er noch schnell. „Frag mich nicht, warum. Die haben doch für alles eine Ausrede.“

 Nach dem feinen Dinner wurde noch fein gekuschelt und Caesar schmiegte sich an sein teures Weib. „Am Schönsten ist es zu Hause, da hat das Fernweh Pause“, erinnerte er sich an einen alten Schnulzensong. In der Tat waren alle Alines so fern, als hätte es sie nie gegeben. Und in der Tat hatten sie wieder zueinandergefunden, so, als hätte es die lange Auszeit nie gegeben. Doch bei aller alten Vertrautheit blieb noch genügend Unentdecktes. Jutta brachte sich ein mit Zärtlichkeiten, die er so noch nicht an ihr erlebt hatte. Oder war ihm inzwischen Vieles entfallen? Vielleicht hatte sie sich aber auch weitergebildet in jener Zeit der Abstinenz, in all den Wochen und Monaten, als er nicht zur Verfügung stand. Plötzlich erschrak er. Und so plötzlich hielt er inne. Er musste an diesen Heini denken. Der hatte ihn doch hoffentlich nicht würdig vertreten in all den Nächten, in denen er sich ausschließlich der Wissenschaft verschrieben hatte?

 „Was ist mit dir, Gaius? Warum machst du nicht weiter? Jetzt wo es so schön ist. So etwas hast du ja noch nie gemacht. Ein derartiger Interruptus! Sag, was hast du auf einmal?“

 „Mir wird es auf einmal schlecht. Richtig übel ist mir.“ Da hatte er noch nicht einmal die Unwahrheit gesagt. Wie auch immer, mit Heini im Kopf war nicht gut Liebe machen.

 „Warte, ich hol dir mal dein Hasper Maggi. Oder lieber einen Heiligen?“ Ersterer war der Ewersbusch aus Hagen und der andere der St. Vitus von Aldi. Doch weniger sein Körper verlangte nach Schnaps als vielmehr seine Seele nach einem erlösenden Wort von seiner Frau. Er entschloss sich dann für alle drei. Erst nahm er Vitus und Ewersbusch, dann war Heini dran.

 „Jutta, was ich dich immer schon fragen wollte oder anders ausgedrückt, sag mal, hast du mich schon mal betrogen, ich meine, wo ich dich doch lange Zeit so vernachlässigt habe und du so viele Verehrer hast. Also den Heini und den …?“

 „… Ach, bewahre! Den Heini schon mal gar nicht. Und die anderen sind alles nur gute Bekannte. Hat dir das etwa im Magen gelegen? Du kannst ja richtig eifersüchtig sein! So kenne ich dich ja gar nicht!“ Und als sie jetzt so richtig aufrichtig lachte, ging es ihm gleich besser. Diese Ansage bewirkte, wozu zig Schnäpse nicht in der Lage gewesen wären. Und wann immer seine Frau „Ach, bewahre!“ sagte, durfte er sich auf der sicheren Seite wähnen. Worauf Caesar seine Frau nahm, wie er sie noch nie genommen hatte. Das Liebesglück war in den Kaiserpalast zurückgekehrt.

 

Die Büroarbeit erwies sich als immer unerträglicher von Tag zu Tag. Da jetzt weisungsbefugt, jedenfalls soweit es die Praktikantin Aline anbetraf, war Caesar jetzt selbst so etwas wie ein Chef. Und da gute Chefs einen großen Teil der anfallenden Arbeit an ihre Untergebenen zu delegieren wissen, wollte auch er ein guter Chef sein und so hatte er alle Sekretariatsarbeiten an Aline übergeben, also Terminabsprachen, Schriftkram, Hotelreservierungen, Annahme von Telefonaten und all das andere subalterne Zeug. Aline war überglücklich, solche verantwortungsvollen Aufgaben tätigen zu dürfen und Caesar total unglücklich, saß er nun arbeitslos da und hatte nur noch eine Aufgabe, die Zeit angemessen totzuschlagen.

 Inzwischen hatte er für sich Computerspiele entdeckt, lud sich auch schon mal einen Porno runter, wonach ihm dann stets der Sinn nach Aline stand, war sie doch greifbar nahe und seine und andere Frauen so fern. Während er diese unanständigen Dinge tat, war Aline entweder nicht zugegen oder er hatte ihr kundgetan, dass er für einen Augenblick nicht gestört sein möchte. Der Computer stand dann auch mit dem Rücken zur Glasscheibe, sodass von daher keine Gefahr drohte. Ein Exhibitionist war er nun wirklich nicht. Er sah sich an das nächtliche Erlebnis unter seiner Bettdecke und das anschließende Gespräch mit seiner Frau erinnert. Peinlichkeiten dieser Art waren ihm verhasst.

 Kaum eine Frau hätte Verständnis für diese Art des männlichen Vergnügens, Pornos anzuschauen. Und immer wieder hatte er sich gefragt, warum das wohl so sei. Und Bordelle mit männlichen Prostituierten wurden ja in der Regel auch nur von Männern und nicht von Frauen frequentiert. Doch ging er in seinen Betrachtungen nicht so weit zu behaupten, dass dem weiblichen Geschlecht der Begriff der Lust unbekannt sei. Bei den Frauen hatte Lust stets etwas mit Zuneigung und Liebe zu tun, wobei Männer auch notfalls ohne auskamen. Hauptsache die Lust stimmte. Und die wusste Mann sich bereits freudig zu verschaffen – auch beim Betrachten von Schweinskram, wie diese schönen Dinge so abfällig von Frau tituliert werden.

 Doch auch die lustvollste Betätigung wird eines Tages langweilig, wenn alltäglich. Und so besorgte sich Caesar Zeitungen, Illustrierte und Magazine. Auch studierte er Kommentare zu politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, lernte auf diese Weise Prominente kennen, von denen er vorher nie gehört hatte. Jetzt erst merkte er, wie ihn bislang seine zeitraubende Arbeit versklavt hatte und er nahm sich vor, niemals wieder eine solche Abhängigkeit dulden zu wollen. Und doch, diese alles absorbierende Forschungsarbeit hatte ihn beglückt, so beglückt, dass er sogar bisweilen Essen und Trinken vergessen hatte.

 Er hatte jetzt viel Zeit, viel Zeit auch für seine Frau. Und da sich eine solche Zeit am ehesten vermittels eines gemeinsam zu verbringenden Urlaubs realisieren ließ, hatte er bei seinem Chef einen solchen beantragt und einer Ablehnung prophylaktisch bereits einen Riegel vorgeschoben. Das ging allerdings nur im Rahmen einer Drohung vonstatten. Und so ergab sich folgendes Gespräch:

 „Gustav, ich möchte gerne endlich in den Genuss meines Jahresurlaubs kommen. Und ich sage dir auch gleich, eine Absage werde ich nicht hinnehmen. Ich brauche den Urlaub umgehend. Bin total urlaubsreif. Meine Frau liegt mir auch ständig in den Ohren und bis Jahresende ist ohnehin nicht mehr viel Zeit.“

 „Mein lieber Caesar, bei allem Verständnis für deine Argumente, den Urlaubsgesuchen wird ja auch in den meisten Fällen stattgegeben, aber in manchen Fällen geht das halt nicht. Und du bist so ein Fall.“

 „Und warum bin ich so ein Fall? Wenn du mir das bitte mal erklären würdest.“

 „Also, das ist so, oder anders ausgedrückt“, Gustav kam ins Stottern, „also sieh es mal so: Es sieht einfach so aus, dass wir dich momentan sehr brauchen. Ja, in der Tat können wir im Augenblick nicht auf deine Arbeitskraft verzichten. Tut mir wirklich leid.“

 „Und warum bin ich momentan so unentbehrlich?“ Caesar blieb ruhig und schaute seinen Chef nur an. Dieser sah sich dann auch in Zugzwang.

 „Du wirst es nicht glauben, es ist eine Anordnung von oben. Mir sind in dem Fall die Hände gebunden.“

 „Kein Problem. Du nennst mir jetzt kurz den da oben und ich werde mal sehen, ob es da einen noch Oberen gibt und, und, und. Und wenn ich bis zum Papst nach Rom gehe.“

 „Also, so lass ich mit mir nicht reden. Du brauchst nicht auf Rom zu warten, du kannst auch gleich gehen, hol dir deine Papiere ab und genieße deinen Urlaub, bis zum Nimmerleinstag von mir aus.“

 „Vielleicht klopfe ich ja auch mal bei Pharma Nota an. Die können einen erfahrenen Mann wie mich bestimmt gebrauchen. Übrigens, gibt’s Neuigkeiten von denen?“

 „Nee, gibt’s nicht. Aber du kannst ja bei deinem Besuch bei denen gewiss ’ne Menge erfahren.“

 „Vor allem, warum wir so schlechte Arbeit gemacht haben. Vielleicht war die ja gar nicht so schlecht und die haben geschlampt bei der Herstellung der Medikamente oder ihren tollen Studien, oder beides. Mit richtigen Dingen geht das bei denen ja wohl nicht zu. Und bei uns hier vielleicht auch nicht.“ Mit diesem gewaltigen Schlusswort verabschiedete er sich – vielleicht sogar für immer.

„Na, hat mein lieber Mann den Urlaub bewilligt bekommen? Sag nichts. Dein Gesicht spricht Bände.“

 „Du sagst es. Urlaub abgelehnt.“

 „Worauf du dem Alten so richtig die Meinung gesagt hast, könnte ich mir jedenfalls vorstellen.“

 „Sagen wir es so: Ich hab das nicht wortlos hingenommen.“

 „Und wie hat er darauf reagiert?“

 „Beschissen.“

 „Kannst du dich noch ein wenig genauer ausdrücken?“

 „Na ja, wenn du’s halt genau wissen willst, er hat mir die Kündigung nahegelegt.“

 Danach blieb es ruhig. Beide hatten etwas zu verdauen. Und schon schleppte er seinen Hagener Doppelwachholder herbei. Nach dem dritten meldeten sich die Lebensgeister zurück.

 „Ja, so ist das, meine Liebe.“

 „Meinst du? Und was gedenkst du nun zu tun?“

 „Ich werde das tun, was ich schon lange tun wollte. Ich schmeiß’ den Laden hin. Und das war’s dann.“

 „Da werden die aber sehr traurig sein“, höhnte sie voller Wut und Enttäuschung. Dabei beließ man es zunächst, bis seine Frau sich wieder aufrappelte, ihm trotzig ins Gesicht schaute und zischelte: „Das könnte denen so passen. Du wirst das nicht tun. Du bleibst, selbst wenn die dir den Koffer vor die Tür stellen. Mensch, Gaius, denk doch mal nach und sitz da nicht so da wie ein begossener Pudel! Ich sag dir jetzt mal was. Aber darauf hättest du schon lange selber kommen müssen. Ich beobachte das schon die ganze Zeit: Die wollen dich loswerden. Ja, du hörst richtig. Lieber heute als morgen.“

 „Und warum kündigen die mir dann nicht? Stattdessen halsen die mir eine absurde Beschäftigung nach der anderen auf. Total ätzend ist das. Wirklich, total absurd.“

 „Das sehe ich auch so. Die Frage muss also lauten: Warum tun sie das? Und zahlen zig Tausende, schmeißen die förmlich aus dem Fenster.“

 Danach wurde es wieder still. Man dachte nach.

 „In der Tat eine gute Frage. Ja, warum verhalten die sich so töricht?“

 „Vielleicht ist das ja gar nicht so töricht, was die da machen, Caesar. Ich glaub’ sogar, da streckt System dahinter. Unsere Frage muss also lauten: Was wollen sie bezwecken, wenn sie dich Müll arbeiten lassen? Genau das nämlich, was dein Chef dir angeboten hat, du sollst dich verpissen.“

 „Und warum sollte ich mich verpissen, wie du es so schön ausdrückst, obwohl ich immer gute Arbeit geleistet hab?“

 „Gute Arbeit? Das sagst du. Aber war die wirklich so gut? Ist jemals eins deiner Projekte ein Erfolg gewesen? In deren Augen wohl eher nicht, oder? Also, entweder bist du tatsächlich ein Versager und die wollen dich deshalb loswerden oder …“

 „Was ‚oder’?“

 „Ich hab da so eine Idee. Sag mal, welche Erfolge haben denn eigentlich deine Kollegen zu verzeichnen, ich meine, die Abteilungsleiter der anderen Arbeitsgruppen?“

 „Das sind genauso Volltrottel, wie ich einer bin.“

 „Ihr seid also ein Konglomerat von Volltrotteln. Und wer ernährt euch?“

 „Die Uni natürlich.“

 „Und wer ernährt die Uni, die Alma Mater?“

 „Der Staat, also der Steuerzahler.“

 „Ah ja. Und der Staat beziehungsweise Steuerzahler wirft seit Jahren sein Geld in ein offenes Loch, auf Nimmerwiedersehen, und stellt keine Fragen.“

 „Na ja, jeder weiß doch, dass die Krebsforschung ein Fass ohne Boden ist.“

 „Ja, gewiss doch, so wie ihr das betreibt. Ach, Gaius, mach dir nichts vor. Das Ganze stinkt zum Himmel. Da werden Millionen verbraten für nichts und wieder nichts. Glaubst du nicht auch, dass da was faul ist?“

 „Wenn du meinst. Aber was soll denn da faul sein? Mir fällt da nichts ein.“

 „Aber mir umso mehr, mein lieber Mann!“

 „Dann lass mal hören! Bin gespannt, was dir dazu wohl eingefallen ist.“

 „Was ich jetzt sage, Gaius, ist eine reine Hypothese und durch nichts belegt. Jedenfalls noch nicht. Aber pass auf! Ich wage zu behaupten, dass hinter all dem ein System steckt. Fassen wir erst einmal die Fakten zusammen, denn davon sollte man stets ausgehen.

 Fakt eins: Nicht nur du, auch die maßgeblichen Kollegen haben angeblich keine Erfolge vorzuweisen.

 Fakt zwei: Sie geben einem Wissenschaftler wie dir keine dir angemessene Arbeit.

 Fakt drei: Sie bieten dir die Kündigung an.

 Jetzt brauchen wir nur noch eins und zwei und drei zusammenzuzählen und wir erhalten die Antwort auf unsere Frage.“

 „Dann zähl mal schön. Ich geh’ derweil mal aufs Klo.“

 Entspannt und gut gelaunt kehrte er zurück.

 „Also, dann schieß mal los!“

 „Erst noch eine Frage: Haben sich die gescheiterten Kollegen mal geäußert, irgendwie?“

 „Nein nirgendwie.“

 „Und sind die mal gekündigt worden? Und wenn, warum?“

 „Wenn die gekündigt wurden, kann ich die ja wohl kaum noch fragen.“

 „Ist denn mal der eine oder andere gekündigt worden?“

 „Nicht, dass ich wüsste. Will aber nichts heißen, bin ich doch auch noch nicht gekündigt. Und werde es auch so bleiben, dank der guten Ratschläge meiner Frau. Und wenn die auch so schlaue Frauchen haben …“

 „Lass es gut sein, Gaius Julius Caesar, Kaiser der Nutzlosen auf gut dotiertem Posten.“ Dann schaute sie ihn keck an und meinte nur noch: „Ich bin also zu folgendem Schluss gekommen: Wir müssen die ganze Sache erst einmal überschlafen. Morgen tagen wir weiter.“ Dann lachte sie über sein verdutztes Gesicht und gab Entwarnung.

 „Nein, war nur’n Scherz. Hättest mal dein Gesicht sehen sollen. Also, hier die Lösung des Rätsels, ausgegraben und dargereicht von Jutta Kaiser, Gemahlin des erhabenen Imperators aller Tumore und Krebse eines gewaltigen Weltreichs.“

 „Jetzt genug der Vorfreude. Kommen wir zum Hauptteil. Referentin des heutigen Abends: Jutta, Kaiserin aller armen Krabbler und Wichte dieser Welt.“

 „Pass auf, die gewaltige Lösung kommt. Hier ist sie: Es gibt ein Spiel und das heißt Krebsforschung. In diesem Spiel gibt es wie in jedem Spiel Gewinner und Verlierer. In unserem Spiel gibt es zwei Gewinner, der Rest sind die Verlierer. Und auf welcher Seite steht wohl mein geliebter Gemahl?“

 „Auf der Verliererseite natürlich.“

 „Ja, aber nur im Augenblick, also bei dem momentanen Spielstand. Und da haben wir zurzeit die beiden Gewinner: Pharma Nota und Zimpermann.“

 Jutta genoss den Augenblick absoluter Stille im Raum und das große Fragezeichen auf der Stirn ihres Mannes. Dann holte sie zum großen Schlag aus.

 „Gesetzt der Fall, deine und vielleicht auch die Ergebnisse der anderen Beteiligten eurer Forschung wären nicht falsch – ich tendiere zu dieser Ansicht – dann muss das Verhalten von Pharma Nota und Zimpermann in einem gänzlich anderen Licht gesehen werden. Diese Herren arbeiten eng zusammen und das hat seinen Grund. Pharma Nota verdient Milliarden mit den Medikamenten aus der Krebsforschung der Vergangenheit. Nun ist das Zeitalter der jungen Forschung angebrochen und so viel ich von dir weiß, arbeitet ihr alle an der Wunderwaffe gegen Krebs. Und jetzt kommt’s: Wenn Pharma Nota die von euch entwickelten Produkte verkauft, kann dieser Konzern seine alten, teuren Medikamente verschrotten. Wenn das so ist, wie du mir erklärt hast, Gaius, dass ihr eine Heilungsquote von über 90 Prozent erwartet bei einem Medikament, das nur einen Bruchteil kostet von dem Geld, das heute noch für mehr oder weniger wirksame Krebsmedikamente ausgegeben wird, dann könnte eure Medizin die medizinische Welt von morgen revolutionieren und das Leben von Millionen von Menschen retten. Doch die Habgier dieses Pharmakonzerns weiß den finanziellen Aderlass geschickt zu umgehen, indem sie euch eure Erfolge vorenthält und ihren alten Scheißdreck weiterhin auf den Markt bringt. Und Zimpermann weiß davon und ist stiller Teilhaber dieser Goldmine. So sehe ich die Dinge, mein Lieber.“

 „Gewagte These. Kaum vorstellbar. Ich glaube doch eher die offizielle Version, nämlich dass wir noch nicht den richtigen Wirkstoff und damit die Voraussetzungen für ein neues Medikament geschaffen haben. Und weil ich so eine Flasche bin, will man mich loswerden. Und mit Schikanen aller Arten hoffen sie auf die Kündigung meinerseits und sparen insofern riesige Summen von Abfindungen und Entschädigungen und was noch so alles.“

 „Klingt ja nicht unlogisch, gebe ich zu, dennoch bleibe ich bei meiner Version.“

 „Und warum wollen die mich dann loswerden, wenn ich so gut bin, wie du da behauptest?“

 „Die wollen dich loswerden, weil du ständig dumme Fragen stellst, dumm in deren Ohren. In Wirklichkeit stellst du intelligente Fragen, Fragen, die deinem Chef Angst machen. Und wenn sie dir kündigen würden, was sie ja am liebsten täten, müssten sie mit irgendwelchen Racheakten deinerseits rechnen. Dass du also mal der Sache auf den Grund gehen könntest. Und deine Kollegen, die das Maul halten, weil denen ein gutes Gehalt genügt und denen ihre Arbeit im Grunde scheißegal ist, stellen eben diese Fragen nicht, stellen keine Gefahr dar.“

 „Hm, könnte schon sein, ist aber bestimmt nicht.“