ISBN: 978-3-96586-210-4
1. Auflage 2020, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2020 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de
Titelbild: Umschlagsgestaltung Klarant Verlag.
Anmerkung des Autors: Es handelt sich bei dem Ostfrieslandkrimi »Fetenmord in Neuharlingersiel« um eine frei erfundene Geschichte. Eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Personen, Firmen, Gesellschaften, Behörden, Vereinen oder Örtlichkeiten wären grundsätzlich rein zufälliger Natur. Lediglich einige Orte und Personen der Handlungen wie zum Beispiel der Kurverein Neuharlingersiel e.V. – Marketingleiterin Susanne Mäntele –, die Kite- und Windsurfschule Windloop – Geschäftsführer Fabian (Fabbel) Bertschat und Stefan Oest –, die Fußballschule von Hannover 96 – Trainingsleiter des Sommercamps in Neuharlingersiel, Michael Wolf – sind real, aber im Zusammenhang mit der frei erfundenen Geschichte ausschließlich fiktiv eingebunden. Dies gilt auch für das Seemannshus auf Langeoog und das Captains Dinner in Greetsiel.
DJ Carsten Kröger lag mit dem Kopf gegen den Fußsockel des Küchenschranks gelehnt auf dem Boden. Seine toten Augen starrten verwundert ins Leere. Auf seinem T-Shirt hatte sich in der Bauchgegend ein riesengroßer blutiger Fleck ausgebreitet. Neben ihm lag ein blutverschmiertes großes Küchenmesser.
Gestern noch quicklebendig auf der Bühne und jetzt mausetot in seinem komfortablen Wohnmobil.
Draußen vor dem Wagen nahm eine junge Frau ihr Handy und wählte den Notruf der Polizei.
»Ich möchte einen Leichenfund melden in einem Wohnwagen auf dem Campingplatz Neuharlingersiel.«
»Kennen Sie den Toten? Befindet er sich noch im Wagen?«
Die Frau blickte auf ihre hellblauen Latexhandschuhe. »Ja, ich kenne ihn. Es ist DJ Carsten Kröger, der hier gestern die Strandfete musikalisch begleitet hat. Und jetzt liegt er alleine tot im Wagen. Was soll ich nur machen?«
Grundsätzlich galt in Ostfriesland, dass es in Bezug auf das Wetter nur auf die passende Kleidung ankam. Und bevor dem Ostfriesen das Wort Schietweer über die Lippen kam, brauchte es schon ein paar sehr feuchte Windstärken. Die jährliche Strandfete am Funny Beach in Neuharlingersiel aber brauchte vor allem warmen Sonnenschein. Fröhliche und durstige Strandbesucher fanden sich dann von ganz alleine ein. Ganz besonders, wenn Schulferien noch hinzukamen.
Hier hätte man im abgewandelten Sinne den alten münsterländischen Spruch anwenden können: »Wenn es im katholischen Münster regnet und es läuten die Glocken, dann ist Sonntag.« So hätte für Ostfriesland gelten können: »Wenn in Neuharlingersiel die Sonne scheint und es sind Ferien, dann ist Strandfete am Funny Beach.«
Mit dem Wetter lief in diesem Jahr schon mal alles wunschgemäß. Die Prognosen konnten nicht besser sein. Die Vorbereitungen für die Beachparty waren in vollem Gange und der Kurverein war zuversichtlich, dass alle Kur- und Feriengäste voll auf ihre Kosten kommen würden. Wie unzählige positive Rückmeldungen zeigten, freuten sich schon sehr viele Besucher ganz besonders auf das Highlight des Abends, die angekündigte Achtzigerjahre-Kultband mit ihren beliebten Fetenhits.
Die Nachricht am Montagmorgen, dass der Tourbus der Band am Wochenende während der Heimfahrt von einem Auftritt in einen schweren Unfall verwickelt gewesen war, schlug bei der Kite- und Windsurfschule Windloop in Neuharlingersiel, die für die Durchführung der Veranstaltung verantwortlich war, ein wie eine Bombe. Der Drummer und der Frontmann der Band lagen schwer verletzt im Krankenhaus. Die Band konnte ohne die beiden nicht auftreten.
Fabian Bertschat, den alle nur Fabbel nannten, und sein Kompagnon Stefan Oest klapperten telefonisch an diesem Montagmorgen alle Kontakte ab, um eine Ersatzband zu finden. Innerhalb von drei Tagen bis zum Fetenabend ein schwieriges Unterfangen. Überall Fehlanzeige. Nächste Woche, ja. Vielleicht auch am Wochenende, aber in drei Tagen am Donnerstag, leider nein.
»Wir müssen absagen«, stellte Stefan enttäuscht fest. »Meine Kontaktliste ist durch.«
»Meine auch«, stimmte ihm Fabbel zu. Die beiden leiteten gemeinsam die Kite- und Windsurfschule Windloop in Neuharlingersiel. Das war ihnen auch noch nicht passiert. Das jährliche Sommerhighlight in der Ferienzeit absagen, und das bei solch tollen Wetterprognosen, das hatte es noch nicht gegeben.
»Ich werde mal mit Susanne telefonieren. Vielleicht hat sie noch eine Idee«, wollte Fabbel die Hoffnung nicht aufgeben.
Susanne Mäntele war die Marketing- und Veranstaltungsleiterin des Kurvereins Neuharlingersiel e. V. Für Susanne stand fest: Absagen geht gar nicht. Es war Ferienzeit, und viele Gäste, insbesondere die Eltern von Schulkindern, kamen gerade deswegen zur Strandfete auf dem Funny Beach, um die Hits aus ihrer Jugendzeit, den achtziger und neunziger Jahren, zu hören. Doch woher so schnell eine Ersatzband mit dem gleichen Repertoire bekommen? Vor allem, nachdem Fabbel und Stefan ihre Kontakte bereits alle abtelefoniert hatten.
Schließlich hatte die Marketingleiterin bei einem kurzfristig einberufenen Krisenmeeting eine Idee: »Leute, wie heißt es im Marketing immer so schön: Kontakte schaden nur dem, der keine hat. Ich habe vielleicht noch ein Ass im Ärmel, die Visitenkarte von Carsten Kröger. Vielleicht kennt ihr ihn. Er ist hier in der Region als DJ und Spezialist für die achtziger und neunziger Jahre bekannt. Ihn könnte ich mal anrufen. Vielleicht steht er ja kurzfristig zur Verfügung. Dann hätten wir zwar keine Band zu bieten wie angekündigt, könnten aber den Gästen zumindest ihre geliebten und erwarteten Jugendhits bieten.«
»Aber es geht doch nichts über das Flair eines Open-Air-Konzertes einer Live-Band«, wand Fabbel ein.
»Warst du schon mal auf einer Veranstaltung von Carsten?«, fragte Susanne.
»Stefan war schon mal da und hat mir davon erzählt. Ich weiß, im Saal macht der einen guten Job«, antwortete der Angesprochene.
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst, Susanne«, meldete sich Stefan zu Wort. » Fabbel, der macht als DJ keine Musik aus der Büchse. Der präsentiert seine Show mit Videos über große LED-Wände. Das ist eine Stimmung, fast wie bei dem Auftritt von Live-Bands. An Carsten hab ich gar nicht gedacht, weil ich den bisher nur zweimal in Sälen gesehen habe. Susanne, meinst du, dass der das auch Open Air kann?«
»Jedenfalls hat er sich dafür beim Kurverein beworben, als wir die Veranstaltung noch selbst organisiert haben. Ich rufe ihn an. Wir werden sehen«, schlug die Marketingleiterin vor.
Carsten meldete sich sofort und zeigte sich sehr erfreut über den Anruf des Kurvereins aus Neuharlingersiel. Er müsste nur klären, ob seine Helfer auch unter der Woche von ihren Hauptjobs freibekämen. Er und seine Freundin hätten ohnehin zufällig in dieser Woche Urlaub. Und Open Air, gar kein Problem, wenn eine überdachte Bühne vorhanden wäre.
Carsten hatte gerade die Telefonate mit seinen Kumpels, Fokke Kopmann und Malte Berens, beendet, als seine Freundin, Meite Hansen, von einem Besuch bei ihrer Mutter zurückkam. »Wir haben für Donnerstag einen Auftrag«, überfiel er sie, noch bevor sie die Küchentür schließen konnte.
»Wer feiert denn mitten in der Woche eine Party, bei der du gefragt sein könntest?«, wunderte sich Meite.
»Strandfete am Funny Beach in Neuharlingersiel«, antwortete ihr Freund und hielt beide Daumen hoch.
»Wow! Aber du hast mir doch erzählt, dass die dafür eine Band engagiert hätten. Wieso auf einmal dieser Sinneswandel?«
»Ben liegt mit seinem Drummer nach einem Unfall am Wochenende schwer verletzt im Krankenhaus«, antwortete Carsten. »Hoffe, dass die beiden es gut überstehen.«
»Fuck! Was ist denn passiert?«, konnte Meite es nicht fassen.
»Mehr weiß ich auch nicht. Das hat mir die Marketingleiterin des Kurvereins erzählt. Aber so spielt manchmal das Leben. Wobei es mir um Ben und seine Leute leidtut.«
»Mir auch«, bestätigte die junge Frau.
»Fokke und Malte haben mir gerade am Telefon bestätigt, dass sie Donnerstag und Freitag freibekommen. Du weißt ja, bei einer Samstagsfete wäre der Sonntag zum Klarwerden. Nun muss dafür der Freitag ran«, zwinkerte Carsten seiner Freundin mit einem breiten Grinsen zu.
Meite wusste nur zu gut, wovon er in diesem Moment sprach. Bei Veranstaltungen durften sie, Carsten und die beiden Jungs den ganzen Abend zuschauen, wie sich die Gäste die Kante gaben, während sie bis nach dem Abbau des Equipments nüchtern bleiben mussten. Das holten die vier dann meistens, wenn alles verladen war, mit ein, zwei Flaschen Single Malt in Carstens komfortablem Wohnmobil – sozusagen als Druckbetankung – nach. Oft hatte einer der Jungs auch noch etwas Dope für Joints dabei.
»Ich kann am Donnerstag aber erst am Abend kommen«, dämpfte Meite dann etwas die Vorfreude ihres Freundes.
»Wieso das denn, wir haben doch Urlaub?«
»Ich war doch gerade bei meiner Mutter. Sie und ihre Damen-Teerunde feiern an diesem Tag den Geburtstag bei einer Freundin, die etwas außerhalb wohnt. Da soll ich sie hinfahren und auch wieder abholen, weil mein Vater einen dienstlichen Auswärtstermin hat. Aber ich denke, bis spätestens achtzehn Uhr bin ich in Neuharlingersiel«, beruhigte sie ihren Freund. Zudem war sie für den Aufbau der großen Anlage ohnehin nicht so sehr gefragt. Das war die Aufgabe der Jungs.
Die Jungs waren schon seit dem Kindergarten ein unzertrennliches Trio. Streiche waren ihr Markenzeichen gewesen. Eine Nachbarin hatte damals gemeint: »Sind wir jetzt hier in Astrid Lindgrens Bullerbü oder noch in Ostfriesland?!« Aber niemand konnte ihnen ernsthaft böse sein. Insbesondere Carsten mit seinem Charme und seiner Eloquenz hatte es schon als Kind immer wieder geschafft, dass letztlich Gnade vor Recht erging.
Schon damals fiel er mit seinen langen gelockten blonden Haaren unter den anderen Jungs seines Alters auf. Das hätte eigentlich in die siebziger Jahre gepasst. Aber seiner Mutter gefiel das im Gegensatz zu seinem Vater, der immer sagte: »Theda, Carsten ist ein Junge und kein Mädchen!« Insider munkelten aber unter vorgehaltener Hand, dass sich unter dem langen gelockten Haarschopf ein kleines Ohrproblem verbarg. Später fanden die Mädchen und Frauen seine Haarpracht schon fast wieder kultig cool. Fokke und Malte wirkten dazu fast wie ein Kontrastprogramm mit ihren kurzen Jungenhaarschnitten, die sie auch heute noch trugen. Nur Fokke hatte sich seit einigen Jahren einen dunklen Dreitagebart zugelegt.
Schon in der Pubertät hatte Carsten begonnen, sich für Popmusik zu interessieren. Als sich sein Vater den ersten großen Flachbildfernseher mit neuestem Dolby-Surround-System anschaffte, durfte sich Carsten über die alte Anlage seines Vaters freuen. Als selbstständiger Elektromeister war Hans Kröger diesbezüglich immer auf dem neuesten Stand. Wen wunderte es da, dass Carsten schon als Sechzehnjähriger mit der abgetretenen Anlage seines alten Herrn die ersten Gartenhaus-Partys seiner Klassenkameraden zum Discoevent machte. Den Transport seiner Anlage erledigten dann zumeist die Väter seiner Klassenkameradinnen und Kameraden. Mit siebzehn bekam er zum Geburtstag seine erste Nebelmaschine geschenkt. Mit dem Ergebnis, dass bei der nächstfolgenden Gartenparty die Feuerwehr anrückte. Inzwischen nannte sich das Trio das Big Apple Team. Sie hatten sich sogar das Apple-Emblem als roten Apfel auf schwarzem Grund als Poster drucken lassen. Dass dieses Emblem urheberrechtlich geschützt war, interessierte dabei weder die Teenies noch ihre Auftraggeber.
Als Carsten mit achtzehn seinen Führerschein in der Tasche hatte und von seinem Vater einen ausgedienten Ford Transit aus dem Geschäft geschenkt bekam, begann das Trio, als mobiles Discoteam Dorfsäle, Turnhallen und größere Gartenevents von Vereinen zu beschallen. Das nötige Equipment dafür liehen sie sich am Anfang bei entsprechenden Verleihern aus. Nach und nach rüstete Carsten von den Einnahmen seine Anlagen auf. Beim Neubau einer Lagerhalle seines Vaters erhielt er dazu einen eigenen abgeschlossenen Raum, sogar mit einem separaten Rolltor.
Schon sehr früh war Carsten ebenfalls als Elektromeister Juniorpartner seines Vaters geworden. Aber zu Hause war er bereits vor Jahren ausgezogen. Insbesondere in Bezug auf sein Liebesleben fühlte er sich von seiner Mutter – so gerne er sie sonst auch mochte – zu stark kontrolliert. Er war einfach in eines der Ferienhäuser gezogen, von denen seine Eltern einige besaßen. Anfang dieses Jahres konnte er in sein eigenes Haus ziehen. Es gab zwar außenrum noch viel zu tun, aber im Haus war alles bereits fertig.
Meite war vor einigen Monaten bei ihm eingezogen. Eigentlich hatte er sie schon als Kind gekannt. Er war acht Jahre älter als sie. Ihre und seine Eltern waren seit vielen Jahren eng befreundet. Kurz nach seinem Einzug in sein eigenes Haus waren Meite und er sich bei einer Veranstaltung von ihm zufällig begegnet und sich auf einmal nähergekommen. In dieser Nacht sogar sehr nahe und Meite hatte ihm gestanden, dass sie schon als Teenager in ihn verliebt gewesen sei, er aber in ihr immer nur die kleine Tochter der Freunde seiner Eltern gesehen hatte. Jetzt war sie mit zwanzig eine erwachsene und attraktive junge Frau geworden. Sicher hätte sie bei der Wahl der Miss Ostfriesland nicht unbedingt die besten Chancen gehabt. Aber sie hatte eine tolle Figur und mit ihren blonden langen Haaren und ihren meeresblauen Augen eine sehr sympathische Ausstrahlung.
Am nächsten Morgen fuhr Carsten nach Neuharlingersiel, um mit der Marketingleiterin des Kurvereins, den beiden Geschäftsführern der Kite- und Windsurfschule sowie dem Leiter des Trainingscamps der Fußballschule von Hannover 96 die Details des Nachmittags- und Abendprogrammes abzuklären.
Die Höhe der Gage hatte er mit Susanne Mäntele bereits telefonisch abgestimmt. Da für die Band natürlich ein höheres Budget eingeplant war, hatte es dafür genügend Verhandlungsspielraum gegeben, sodass man sich schnell einig geworden war. Auch war bereits abgeklärt, dass auf dem Campingplatz für ihn mit Freundin und seine zwei Helfer unweit vom Strand zwei Standplätze reserviert waren. Dass die beiden Plätze nicht nebeneinander lagen, war dabei für Carsten kein Problem. Seinen Anhänger für das Equipment würde er bei der Bühne abstellen können, was für ihn und seine beiden Roadies kurze Wege bedeutete. In Neuharlingersiel schien – auch bildhaft gesprochen – wieder die Sonne.
Beim Meeting mit den Veranstaltern war man sich sehr schnell einig geworden, dass Carsten auch gleich das gesamte musikalische Begleitprogramm ab zwölf Uhr dreißig übernehmen würde. Dabei hätte sowohl die 96-Fußballschule als auch die Kite- und Windsurfschule Windloop die Möglichkeit, über Carstens Equipment und die LED-Wände Teile ihrer Programme und auch Ausschnitte der aktuellen Trainingshighlights in kurzen Video-Spots vorzustellen.
Am Donnerstagmorgen war Carsten mit Malte auf dem Weg nach Neuharlingersiel. Mit seinem großen Wohnmobil zog er den Anhänger mit der Anlage und den großen LED-Wänden. Fokke folgte ihnen mit seinem Audi und dem inzwischen in die Jahre gekommenen Campinganhänger. Sie sollten sich bei der Anmeldung des Campingplatzes melden. Dort würden sie eingewiesen.
Sie wurden bereits von einer Angestellten des Kurvereins erwartet. Carmen Niehus arbeitete dort in der Saison als Aushilfe. »Schau mal, wer uns da empfängt«, sagte Malte, als er Carmen vor dem Gebäude der Campingplatzanmeldung stehen sah.
»Die hat mir gerade noch gefehlt!«, entfuhr es Carsten. Vor etwa einem Jahr war er einige Monate mit Carmen zusammen. Seine Freunde und er waren mit ihr in der Realschule in einer Klasse gewesen, bis Carmen von ihren Eltern in ein Internat geschickt wurde, wo sie ihr Abi machte. Und dann waren sie sich im letzten Jahr wieder begegnet. Es war Carmens Verführungskünsten geschuldet gewesen, dass sie zusammenkamen. Im Bett konnte sie aus einem Mann auch wirklich das Letzte herausholen, wie Carsten es mal seinen Freunden bei einem Saufgelage gestanden hatte. Aber seine große Liebe wurde sie nicht. Sie fand es gar nicht lustig, als er ihr schließlich gestand, dass für ihn Sex nicht alles sei. Seitdem versuchte er, Begegnungen mit ihr zu vermeiden.
Trotzdem begrüßte er sie nach dem Aussteigen mit einem flüchtigen Wangenkuss. Sie stieg mit ihrem Fahrrad hinten in das Wohnmobil. Dann lotste sie Carsten zu Fokkes Standplatz. Nachdem dieser Hänger und Auto abgestellt hatte, stieg auch er im Wohnmobil zu. Von da aus fuhren sie mehr als hundert Meter weiter, wo Carsten nachher sein Mobil abstellen sollte. Obwohl sie sich alle gut kannten, wurde kaum gesprochen. Irgendwie schien das geplatzte Verhältnis von Carsten und der jungen Frau noch nachzuwirken. Am Strand war die Bühne bereits aufgebaut, sodass jetzt nur noch der Aufbau der Anlage und der LED-Wände von Carsten und seinen Freunden erfolgen musste.
Carmen verabschiedete sich mit einem kühlen »Macht’s gut, viel Erfolg!« und radelte davon.
»War nicht besonders drauf, die Gute«, kommentierte Fokke. »Schade eigentlich, mich hat sie ja nicht gewollt. Aber so spielt das Leben.«
»Fokke, komm, pack an!«, würgte ihn Carsten ab. »Wir haben jetzt keine Zeit für Gefühlsduseleien.« Er wusste natürlich, dass sein Freund schon in der Schule ein Auge auf Carmen geworfen hatte. Das war auch vielleicht mit ein Grund dafür gewesen, dass er sich nicht in Carmen hatte verlieben können.
Die Jungs packten kräftig zu und kurz nach elf Uhr hatten sie sogar schon den Soundcheck erfolgreich abgeschlossen. Die Party konnte beginnen. Meite würde ja erst gegen Abend mit eigenem Wagen nachkommen, da sie an diesem Nachmittag mit ihrer Mutter zu der Geburtstagsfeier fahren musste.
Gegen Mittag waren die Deichwiesen und der Strand bereits gut gefüllt. Feriengäste, überwiegend Familien mit ihren Kindern, aber auch Einheimische, deren Nachwuchs an den Programmen der vergangenen Tage, sowohl der 96-Fußballschule als auch der Kite- und Windsurfschule Windloop, teilgenommen hatte, warteten gespannt auf die Ehrungen ihrer Kiddies.
Pünktlich um zwölf Uhr dreißig eröffneten Fabbel als Veranstaltungsleiter und die Marketingleiterin des Kurvereins, Susanne Mäntele, das Programm. Fabbel begrüßte die zahlreichen Gäste. »Schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben. Nordseeurlaub in Neuharlingersiel, das heißt: Relaxen im Strandkorb, spazieren im Watt oder sportlich aktiv sein mit Kite- und Windsurfen, Fußball oder Beachvolleyball, aber auch die vielfältigen Thalasso-Angebote im BadeWerk nutzen – hier haben Sie die freie Wahl. Einfach mal die Seele baumeln lassen, den Wind und die Weite genießen und beim Strandspaziergang tief durchatmen. Als besonderes jährliches Highlight haben wir dieses Jahr zum elften Mal die Fußballschule von Hannover 96 mit einem Trainingscamp für die Nachwuchskicker von nah und fern im Programm. Freuen Sie sich später auf die Beiträge und Ehrungen der jungen Akteure unserer Kite- und Windsurfschule Windloop und der 96-Fußballschule. Aber zunächst haben wir heute Nachmittag den Kindern viel zu bieten. Unsere Kinder-Animateure vom ›Leuchttürmchen-Club‹ des Kurvereins, die Teams der ›Kirche unterwegs‹ und des ›Bibellesebundes‹ haben sich wieder viele Spiele und Wettkämpfe für euch ausgedacht. Unsere Clowns werden ab sechzehn Uhr mit den Kids eine Kinderdisco veranstalten. Wir wünschen euch viel Spaß dabei!«
Um achtzehn Uhr übernahm Fabbel erneut das Mikro von DJ Carsten. Einleitend ging er kurz auf die rasante Entwicklung ein, die der Kite- und Windsurfsport, aber auch das sogenannte SUP, das Stand-up-Paddeln, in den letzten Jahren genommen und damit inzwischen viele Fans gewonnen hatte. Dann zeigte er auf den LED-Wänden Ausschnitte aus den Trainingsprogrammen seiner Trainerinnen und Trainer der vergangenen Tage hier am Strand von Neuharlingersiel. Wenn Jubel aus verschiedenen Ecken des Platzes aufbrauste, zeigte das die Begeisterung der Jugendlichen, die sich in den Spots als die Akteure wiedererkannten.
Zum Abschluss legte Carsten den Surfklassiker der Beach Boys auf, Surfin’ U.S.A., wobei er über sein Mikrofon den Refrain umdichtete in »Surfin’ Neuharlingersiel«, was auch gleich von den Gästen begeistert mitgesungen wurde.
Anschließend übernahm der Leiter des Sommercamps der 96-Fußballschule, Michael Wolf, das Mikrofon: »Das Nordsee-Sommercamp der 96-Fußballschule und Neuharlingersiel sind inzwischen mit der elften Veranstaltung zu einer festen und bekannten Institution geworden. Aus den Anmeldungen und Gesprächen mit unserem Kickernachwuchs und ihren Eltern wissen wir, dass für manche dieses Sommercamp bereits zum regelmäßigen Bestandteil ihrer Urlaubsplanung geworden ist. Darüber freuen wir uns ganz besonders. Aber natürlich freuen wir uns genauso über die rege Teilnahme aus der hiesigen Region. Ihnen allen ein herzliches Willkommen und … das Motto der Sechsundneunziger: ›Niemals allein – wir gehen Hand in Hand!‹.«
Bevor er weiterreden konnte, schaltete ihm DJ Carsten das Mikrofon ab und spielte den Fußballklassiker, die 96-Hymne »Alte Liebe« von Dete und Ossy, ein. Über die LED-Wände flimmerte ein Liveauftritt der Band im 96-Stadion. Davon inspiriert wurde die Deichwiese des Funny Beach fast zum Fußballstadion und schien nur von 96-Fans belagert zu sein, die ihr Schlachtlied begeistert mitsangen. Überall sprangen Mädchen und Jungs in 96-Trikots herum, die sie beim Trainingscamp erhalten hatten.
»Danke! Besser kann man unser 96-Motto gar nicht umsetzen!«, übernahm Michael Wolf wieder das Mikrofon, als der Song ausgeklungen war. »Ich dachte, ich bin zu Hause in unserer Fußball-Arena! Mit so einer gelebten authentischen Begeisterung motiviert man Kids für Sport und Bewegung im Freien und unseren geliebten Fußball!
Aber wir haben noch mehr für euch im Gepäck. Gleich bei den Ehrungen unserer jungen Kickerinnen und Kicker werdet ihr noch kurze Spots mit den Highlights eurer Kiddies zu sehen bekommen.«
Nachdem die ersten Kurzvideos mit den jungen Akteuren aus dem Publikum über die LED-Wände gelaufen waren, spürte man förmlich die Spannung, die in der Luft lag.
Als Nächstes erhielten die Teilnehmer ihre Urkunden und Pokale. Die Zeit verging wie im Flug. Carsten wusste die Stimmung auch musikalisch am Kochen zu halten. Nachdem die letzte Ehrung der Champions über die Bühne war, legte er den Song der Songs hierzu auf: Freddy Mercury – We are the Champions. Der Strand am Funny Beach wurde mit Sonne, Wellen und blauem Himmel fast zur Sport-Arena und tobte.
***
Der Erste Kriminalhauptkommissar Bert Linnig, Leiter des Polizeikommissariats Wittmund, und seine Teampartnerin und seit eineinhalb Wochen frischgebackene Ehefrau, Kriminalhauptkommissarin Nina Jürgens, hatten es heute nach Dienstschluss eilig gehabt, nach Hause zu kommen. Heute Abend wollten sie zur Strandfete am Funny Beach von Neuharlingersiel. Auf Abendessen zu Hause hatten sie verzichtet. Sie wollten sich ein paar maritime Köstlichkeiten bei den Buden am Strand gönnen.
Nachdem sie eine Woche auf Langeoog geflittert hatten, waren sie erst seit Montag wieder im Dienst. Die Woche war bisher sehr ruhig gewesen, obwohl Ferienzeit und Hochsaison für Tausende Urlaubsgäste an der ostfriesischen Küste war.
Das Ja-Wort hatten sich die beiden Kommissare in der historischen Friesenstube des Seemannshus auf Langeoog nur im ganz kleinen Kreis gegeben. Selbst im Kommissariat wussten nur wenige von diesem Ereignis.
Die Besonderheit einer Hochzeit im Seemannshus auf Langeoog lag darin, dass sich die Eheleute anschließend – wohl im wahrsten Sinne des Wortes – verewigen konnten. Denn der Hof des liebevoll erhaltenen Insulanerhauses von 1844 war mit roten Backsteinen gepflastert, die das Hochzeitsdatum und die Initialen der Brautpaare enthielten, wie man auf der Website der Insel nachlesen konnte. Nina hatte in ihrem schlichten weißen, knielangen Chiffonkleidchen chic ausgesehen. Daneben wirkte Bert in seinem dunklen Anzug, dem violetten Hemd und der schwarzen Fliege wie ihr Bodyguard aus einem James-Bond-Film.
Da beide ihre bisherigen Namen behalten hatten, war es für Außenstehende nicht erkennbar, dass aus der Lebensgemeinschaft Linnig/Jürgens eine Ehegemeinschaft geworden war. Es war zwar inzwischen auch für Eheleute kein Problem mehr, in einer Polizeidienststelle gemeinsam Dienst zu tun, aber Bert und Nina waren immer wieder auch in gemeinsamen gefährlichen Einsätzen gewesen, was eigentlich vom Dienstherrn nicht gern gesehen wurde. Allerdings hatte die höher besoldete Einsicht, wie Bert gerne seine Dienstvorgesetzten nannte, immer wieder beide Augen zugedrückt. Denn die beiden zusammen waren ein äußerst effizientes und erfolgreiches Team, wie viele gelöste Fälle belegten.
Jetzt waren sie mit ihren Fahrrädern auf dem Radweg neben der Straße Friedrichsgroden unterwegs von ihrem Wohnort Carolinensiel aus nach Neuharlingersiel. Auf dem gut ausgebauten Fahrradweg konnten die beiden gemütlich nebeneinander herfahren und sich unterhalten. »Vor einer Woche waren wir noch auf der Insel unterwegs«, schwärmte Nina. »Wir hätten vielleicht doch noch eine Woche dranhängen sollen. Urlaub haben wir doch noch genug.«
»Habe ich auch gerade überlegt«, sagte Bert. »Aber dann hätten wir heute nicht zur Strandfete nach Neuharlingersiel mit dem Achtziger-Musikprogramm fahren können.«
»Das stimmt natürlich, Bert. Ich freue mich schon riesig auf die Musik aus unserer Jugendzeit, wobei ich ja eher der Neunziger-Fan bin. Eine Zeit, die meinen Musikgeschmack stark geprägt hat.«
»Bei mir waren das die achtziger Jahre. Da hatte ich gerade in Essen mit meiner Polizeikarriere begonnen. Wenn in der Grugahalle der Punk abging, hatten wir meistens Einsatz. Damals wurden die Rockpalastnächte von ARD und WDR live im Fernsehen übertragen. Und wenn Depeche Mode, ZZ Top, The Who oder Prince auftraten, dann war die Hölle los. Wir hatten alle Hände voll zu tun, wenn die Stars mit ihren Karossen angereist kamen. Dafür hast du draußen aber auch eine Menge von den Konzerten mitbekommen. Und dafür mussten wir noch nicht einmal bezahlen«, schob Bert noch lachend nach.
»So ging es mir in Hannover auch zu Beginn meiner Ausbildung in den neunziger Jahren. Nur da war es die Eilenriedehalle, wenn zum Beispiel AC/DC, Bon Jovi oder Mike Oldfield auftraten.«
Die Nachmittagshitze war einer angenehmen Wärme gewichen und die beiden Polizisten genossen die Sonne des frühen Abends und die Fahrt hinter dem Deich.
»Schade, dass man von hier das Meer nicht sehen kann«, bedauerte Nina. »Wir sollten oben auf dem Deich fahren können.«
»Wäre fürs Auge sicher sehr schön, aber für die Deichschafe Stress pur, wenn sie dauernd durch Spaziergänger, Jogger und Radfahrer gestört würden«, erwiderte Bert.
Schon bald hatten sie Neuharlingersiel erreicht, ihre Fahrräder abgestellt und waren auf dem Weg zum Strand. Dort waren die Ehrungen der Fußballjugend gerade abgeschlossen und es dröhnte »We are the Champions« aus den Lautsprechern und unzähligen Kehlen der Besucher.
»Tolle Stimmung. Da sind wir ja schon mittendrin«, freute sich Bert.
Das schien auch DJ Carsten so empfunden zu haben, denn er nutzte die Stimmung seines Publikums, um nahtlos in sein Abendprogramm mit »The Final Countdown« von Europe überzuleiten. Auch dieser Refrain wurde begeistert mitgesungen. Alle hatten die Hände oben und über die LED-Wände tobte die Band in einem Livemitschnitt aus einem ihrer Konzerte.
»In die Band hätte unser DJ hier mit seiner blonden Mähne aber auch gut reingepasst«, stellte Nina auf dem Weg zum Bierstand fest und Bert zeigte mit dem emporgestreckten Daumen seine Zustimmung an.
Dort trafen sie, als sie sich gerade mit Bier versorgten, den Leiter der Spurensicherung, Sören Nansen, und seine Frau Lene. Sören war wie Bert über einen Meter achtzig, aber im Gegensatz zu seinem Freund, der eine kräftige Figur hatte, meinte man bei Sören, sogar durch das Hemd sein Sixpack sehen zu können. Lene war von der Optik her eine typische Ostfriesin. Mittelblondes und mittellanges Haar, blaue Augen und ovale sympathische Gesichtszüge. Mit Facestyling und Klunkern, wie Nina es immer nannte, hatte sie es genauso wenig wie die Kommissarin.
Als dann aus den Lautsprechern »Highway to Hell« von AC/DC dröhnte, sangen auch die vier begeistert mit. Da Sören und Lene ebenfalls noch nichts zu Abend gegessen hatten, zogen sie danach weiter zum Fischwagen, um sich frische Krabben- und Matjesbrötchen zu holen. Dort mussten sie zwar ein wenig Schlange stehen, was sich allerdings durch das Musikprogramm sehr kurzweilig gestaltete.
Carsten war inzwischen bei der Neuen Deutschen Welle angekommen und der »Kommissar« von Falko dröhnte aus den Boxen. »Der singt von euch«, kommentierte Lene lachend.
Dann wollten die Krabben und der Matjes schwimmen und die vier zogen wieder an den Getränkestand um.
»Wir hätten ein Taxi nehmen sollen«, stellte Bert fest, nachdem sie das zweite Bier geleert hatten. »üä«
»Ihr könntet aber auch eure Räder stehen lassen«, bot Sören an. »Wir sind mit dem Auto da und Lene fährt zurück. Wir können euch mitnehmen. Und morgen fahrt ihr auf dem Weg zum Dienst mit Berts Kombi hier vorbei und holt eure Räder ab. Da passen die doch sicher beide rein, oder?«
»Die passen rein, wäre nicht das erste Mal«, bestätigte Nina lachend.
»Danke, Sören, und ich übernehm die nächste Runde«, fügte Bert grinsend hinzu.
Die beiden Männer verband schon seit längerer Zeit eine über das Dienstliche hinausgehende Freundschaft. Und auch Nina und Lene hatten sich inzwischen angefreundet. So waren die beiden auch die Trauzeugen vor eineinhalb Wochen in der romantischen Friesenstube des Seemannshus auf Langeoog gewesen. Da war es nicht verwunderlich, dass sich Bert und Sören inzwischen die Frage stellten, warum sie sich eigentlich nicht gleich für den Abend verabredet hatten. Aber es war bei Sören eine spontane Entscheidung gewesen, weil Lene aufgrund des sehr guten Wetters gerne zu der Strandparty gewollt hatte. Sonst wäre er wohl gar nicht hier gewesen.
Carsten heizte unterdessen von der großen Open-Air-Bühne vor der malerischen Kulisse des Wattenmeeres dem Publikum ordentlich ein. Sein Repertoire umfasste nicht nur Rock- und Popsongs beispielsweise von den Scorpions, Michael Jackson, Rolling Stones oder Pink, sondern auch bekannte Hits aus den sechziger und siebziger Jahren oder deutsche Schlager, die er auf Wunsch seines Publikums flexibel einspielte. Dazu liefen Auszüge aus Liveauftritten der Interpreten und Bands über die Show-Wände. Für die Gäste der Strandfete hatte es dadurch schon fast den Charakter eines Open-Air-Konzerts.
Nina war inzwischen auf Softdrinks umgestiegen, während die beiden Männer immer noch beim Bier geblieben waren. »Was haltet ihr davon, wenn wir einen Ortswechsel auf den Deich vornehmen?«, fragte Lene. »Wir werden gleich einen tollen Sonnenuntergang erleben und den sieht man am besten entweder direkt vom Wasser oder von der Deichkrone aus.«
Nachdem sich die beiden Männer noch mit einem frischen Bier versorgt hatten, zogen die vier um auf den Deich, wo sich allerdings inzwischen schon viele Gäste der Strandparty eingefunden hatten. Hämmerten gerade noch die Rolling Stones »Satisfaction« über den Strand, wechselte der DJ in dem Moment, als die Sonne langsam begann in der Nordsee zu versinken, zu George Michael und Elton John im Duett mit »Don’t Let the Sun Go Down on Me«.
Wildfremde Menschen nahmen sich auf dem Deich und am Strand bei der Hand und bildeten eine Menschenkette. Manche verdrückten vor Ergriffenheit ein Tränchen oder fielen sich spontan um den Hals. Nachdem die Sonne in der Nordsee versunken war, drehte Carsten wieder auf. Die Getränkestände hatten erneut regen Zuspruch.
Als der DJ gegen zweiundzwanzig Uhr das Ende seines Programms ankündigte, forderten nicht wenige Zuschauer in Sprechchören »Zugabe«.
Es war bereits zweiundzwanzig Uhr fünfzehn, als Susanne Mäntele, die Marketingleiterin des Kurvereins, das Mikrofon ergriff und die Anwesenden darüber informierte, dass die für einen Kurort geltenden Ruheregeln einzuhalten seien. Schließlich wollte man keine Anzeige bei der Polizei provozieren.
»Die ist schon da«, schrie ein Mann am Bierstand. »Ich sehe hier sogar drei Kommissare vom Wittmunder Kommissariat.« Er zeigte auf Nina, Bert und Sören.
Nina hatte den Zeigefinger über ihre Lippen gelegt und rief dem Mann lachend zu: »Wir sind hier doch heute Abend undercover!« Sie hatte mit Schmunzeln einen alten Bekannten erkannt, der schon einige Male die Ausnüchterungszelle in Wittmund von innen gesehen hatte.
Aber Susanne konnte ihn auf der Bühne sowieso nicht hören und Carsten beendete jetzt endgültig sein Programm. Danach begann er mit Meite und seinen Freunden mit dem Abbau. Der Platz leerte sich rasch, zumal auch der Bierausschank inzwischen geschlossen hatte. Ebenso machten sich die Kommissare auf den Heimweg. Vorher hatten sie sicherheitshalber ihre beiden Fahrräder noch mit einem weiteren Fahrradschloss, welches Sören im Auto gehabt hatte, zusammengekettet.
***
Es war kurz vor Mitternacht, als Carsten endlich seinen Anhänger abschließen und damit sein teures Equipment sichern konnte. Er machte sich mit Meite, Fokke und Malte auf den Weg zu seinem Wohnmobil. Sie hatten einiges nachzuholen. Und wie sich rausstellte, hatte Fokke auch etwas Dope dabei.
Es war schon gegen zwei Uhr, als Meite eine WhatsApp-Nachricht auf ihrem Smartphone erhielt. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah, und ging mit ihrem Handy in das kleine Bad des Wohnmobils. Sie ließ das Video ein paar Mal ablaufen. Aber es gab keinen Zweifel: Bei dem Mann, der nackt unter einer weiblichen Person lag, von der bei dem Selfie nur Teile des nackten Busens zu sehen waren, handelte es sich eindeutig um Carsten.
Wutschnaubend ging Meite zu den Jungs zurück und sagte zu Fokke und Malte: »Es ist besser, wenn ihr jetzt sofort geht! Carsten und ich haben was zu klären.«
Die beiden Angesprochenen verzogen sich mit einem breiten Grinsen. Sie glaubten zu wissen, worauf sich Meite inzwischen in dem kleinen Bad vorbereitet hatte. Und vor allem, warum sie so plötzlich mit ihrem Freund alleine sein wollte. Von der nun folgenden lauten Auseinandersetzung der beiden bekamen sie in ihrem Wohnwagen, der über hundert Meter entfernt stand, nichts mehr mit.
Es sollte der letzte Abend dieses Freundschaftstrios, das schon seit der Kindheit durch dick und dünn gegangen war, gewesen sein.