Der Roman Keine halben Sachen wurde mit dem Peter-Härtling-Preis ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Für Aaron
Ich sah dich das erste Mal vor unserem Haus. Plötzlich standst du da, so, als hätte dich der Morgenwind in die Toreinfahrt getrieben. Shirt, Jeans und Hoodie in der Farbe meiner Laune. Zu Grau verwaschenes Schwarz.
Du zündetest dir eine Selbstgedrehte an. Der Geruch stach mir in die Nase. Ein kurzes sehnsüchtiges Zwicken.
Doch für so etwas blieb keine Zeit. Wie jeden Morgen war ich genau dieses Quäntchen zu spät, das meine Lehrer inzwischen auf die Barrikaden trieb. Dabei wohnte ich nur zwei Minuten von der Schule entfernt.
Aber eben diese zwei Minuten verlangten mir alles ab. Eine unfassbare Müdigkeit hielt mich morgens fest in ihren Klauen. Außerdem wollte ich überall sonst sein, nur nicht hier: auf dem Weg in die Schule, die ich hasste. Die öden, dahinkriechenden Stunden, meine langweiligen Mitschüler, die enttäuschten Lehrer, diese ganze Lebenszeitverschwendung.
»Auch einen?« Dein Grinsen war breit. Breiter, als es eine normale Zigarette verursacht haben könnte.
Was für ’n Idiot, kifft vor der Schule?! Für’s Kiffen konnte man fliegen. Wenigstens nicht zu fliegen schien noch wichtig zu sein.
Ich antwortete dir nicht. War zu kaputt und hatte zu schlechte Laune. Du hättest mir egal sein müssen, wir kannten uns nicht. Stattdessen wurde ich richtig wütend.
Wut wiederum kannte ich. Sie kam oft. Als hätte es da einen Topf in mir gegeben, der auf einer heißen Herdplatte stand und brodelte. Mit Deckel. Manchmal genügte der Blick eines Fremden, manchmal eine Haarsträhne, die nicht gut lag, und ich kochte über.
Es war diese unerklärliche Wut gewesen, die meine Mutter dazu gebracht hatte, vor zwei Wochen einen Termin bei einem Jugendpsychologen auszumachen. Ich war mitgegangen. Die einzige Chance, möglichst schnell wieder in Ruhe gelassen zu werden. Der Termin war absolut sinnlos. Dass ich zu depressiven Stimmungen neigte, wusste ich auch schon vorher. Immerhin war ich immer dabei gewesen.
Im Weitergehen wurde mir klar, dass du genau die Frisur trugst, die ich gestern dem Friseur zu beschreiben versucht hatte. Doch der hatte mich nicht verstanden oder es einfach nicht hingekriegt. Darum trug ich eine Mütze.
Die in der Hairfabrik hatten mich definitiv das letzte Mal gesehen. In dem Eckladen vorn an der großen Kreuzung hatte vor zwei Wochen ein neuer Friseur eröffnet. Bis vor einem Monat hatte der Typ da drin noch Döner verkauft. Zusammen mit seinem Bruder und seinem Cousin. Jetzt schnitten die drei Haare. Waren wohl Alleskönner. Man musste lange warten, bis man dran war, bezahlte dann aber nur einen Zehner und hatte wenige Minuten später eine ziemlich gediegene Frisur. Hinten und an den Seiten auf sechs Millimeter, oben lang, nach links liegend, scharfe Kanten. Keine Ahnung, warum ich gestern trotzdem und wie immer dorthin gegangen war, wo sich auch meine Mutter die Haare schneiden ließ. Vielleicht wegen des Wie-immers. Es sollte mir eine Lehre sein. Beim Türken wäre es auch noch fünf Euro billiger gewesen und ich konnte gerade jeden Cent gebrauchen.
Die zwei Minuten waren um und ich betrat die Schule. Als ich mich kurz umdrehte, sah ich, dass du mir in den Klassenraum gefolgt warst. Dich sogar, immer noch breit grinsend, neben mich setztest. Wahrscheinlich, weil dort der einzig freie Stuhl stand. Dabei hatte ich den leeren Platz neben mir gemocht. Der war die letzten drei Jahre immer da gewesen. Nun saßt du auf diesem sonst leeren Platz, und ich konnte nichts dagegen sagen, weil tatsächlich kein anderer Stuhl frei war.
Mich wunderte es, dass unser Lehrer dich nicht vorstellte. Aber vielleicht hatte ihm dein lässiges Nicken in seine Richtung genügt. Einer, der sich um sich selbst kümmerte. In einem Haufen pubertierender Neuntklässler wahrscheinlich ein willkommenerer Gast als ein hilflos lächelnder Streber, der am liebsten an die Hand genommen worden wäre. Wie die meisten wirkte auch mein Klassenlehrer etwas überfordert. Er starrte unzählige Male aufs Smartphone, prüfte, ob die Stunde bald vorbei sei. Manchmal sogar öfter als wir. Hin und wieder tat er mir leid. Aber letztlich war das sein Problem.
Du hattest nichts dabei. Kein Buch, kein Heft, keinen Stift, nicht einmal einen Beutel. Nur diese Bauchtasche, die du quer über der Brust trugst. Sie roch so stark nach Gras, dass ich mich fragte, warum keiner etwas sagte.
Und dann war da noch die Flasche Mate. Die stelltest du vor dich auf den Tisch. Eigentlich dürfen wir im Unterricht nichts trinken. Da wusste ich noch nicht, dass du so eine Flasche ständig mit dir herumtragen würdest, weil du süchtig nach dem Zeug warst.
Du klemmtest die Füße unters Pult und lehntest dich zurück. Dein Stuhl kippte gefährlich weit nach hinten. Plötzlich wünschte ich mir, dass du umfielest. Oder dass wenigstens die Flasche Mate herunterfallen und zerbrechen würde. Als hättest du das gehört, grinstest du mich an. Ich fühlte mich ertappt und ärgerte mich darüber. Dann schämte ich mich. Doch deine übertrieben lässige Art nervte mich extrem.
Erst später begriff ich, dass mir deine Unbekümmertheit eigentlich imponierte. Aber an diesem ersten Tag konnte ich das nicht zugeben. Weil du alles warst, was ich nicht war. Und weil ich das vom ersten Moment an kapiert hatte.
Auf dem Heimweg liefst du neben mir. Wie ein Schatten. Obwohl es umgekehrt war.
Ich blickte auf deine Sneakers. Nike Air Max. Zweihundertundzehn Euro. Als ich meiner Mutter gesagt hatte, dass ich diese Schuhe wollte, hatte sie mich bloß angeschaut, als ob ich sie nicht mehr alle hätte. Wir haben fünfzig die Woche für Lebensmittel. Ein Paar Schuhe im Gegenwert des Essens eines ganzen Monats – Wahnsinn.
Deine Nähe machte mich nervös. Als würdest du mich irgendwie herausfordern.
»Was ist dein Problem, Alter?«, fuhr ich dich an.
Du zucktest die Schultern. Grinsend, an einer Selbstgedrehten ziehend.
»Du klebst mir schon den ganzen Tag im Nacken«, schnauzte ich. »Was willst du von mir?«
Du bliebst stehen, tratst sorgsam deine Kippe aus, hobst sie vom Boden, verstautest sie in deiner Hosentasche, schautest dann auf und mich an.
»Nichts. Aber vielleicht willst du ja was von mir?«
Dann gingst du davon.
»Und was soll das sein?«, rief ich hinter dir her.
Doch du zucktest im Weitergehen erneut mit den Schultern.
Ich blickte dir nach, hoffte, du würdest dich noch mal umdrehen, antworten, grinsen. Meinetwegen auch winken. Einfach irgendwas. Aber du würdest niemals das tun, was ich mir gewünscht hatte. Das wusste ich nur noch nicht.
Als du um die Ecke gebogen warst, hatte ich plötzlich ein komisches Ziehen im Bauch. So etwas wie Bedauern. Solche Gefühle versuchte ich normalerweise zu vermeiden, legte und klebte unwichtige Gedanken oder sinnlose Zahlenfolgen darüber. Meistens funktionierte das auch.
Nur diese bescheuerte Wut bahnte sich immer ihren Weg.
Ich fluchte leise vor mich hin. Die Sonne schien sommerwarm vom Himmel. Auf mich wartete nur die PlayStation hinter den heruntergelassenen Jalousien meines Zimmers. Es war nicht so, dass ich niemanden hatte. Mit meinen alten Kumpels traf ich mich nach wie vor. Wir chillten im Park. Übten rauchen. Tranken Bier, das wir inzwischen mit dem Feuerzeug öffnen konnten. Hörten Hip-Hop. Lachten über gemeinsame Erinnerungen an völlig idiotische Streiche, die wir anderen gespielt hatten. Schauten den Mädchen aus der Ferne zu.
Wir kannten uns schon seit der Grundschule. Jetzt ging jeder in eine andere weiterführende Schule. Abends trafen wir uns unter der Blutbuche. Nachts in irgendwelchen OnlineSpielen. Wenn man zusammen von den Viertklässlern verhauen worden war und später selbst die Erstklässler dazu gebracht hatte, mit alten Strohhalmen aus Pfützen zu trinken, dann schweißte das zusammen. Miteinander ausgestandene Pein und ein gemeinsam entwickeltes schlechtes Gewissen waren nicht die verkehrteste Basis.
Trotzdem fiel es mir immer schwerer, sie als meine Freunde zu bezeichnen. Sie waren irgendwie nicht genug. Oder das, was wir sagten und taten, war es nicht. Ich fühlte mich nie hundertprozentig richtig. Nicht mit ihnen. Aber auch mit niemandem sonst. Nicht einmal mit mir selbst.
Mit mir selbst am allerwenigsten.
Alles war nur fast. Beinahe gechillt, beinahe krass, beinahe echt. Als hätte einem ein Wort auf der Zunge gelegen, eines, das gerade ganz genau gepasst hätte. Man konnte es aber nicht aussprechen, weil es einem trotzdem nicht einfiel.
Und das waren noch die guten Tage.
Dann gab es die schlechten. An denen fühlte ich mich so außerhalb von allem, dass ich mich nach der Schule direkt ins Bett legte und dort liegen blieb. Netflix, zwei Tüten Gummibärchen und ein Liter Kakao.
Ich hätte mich nicht direkt als Einzelgänger bezeichnet. Aber vielleicht war ich das trotzdem irgendwie.
Zumindest, bis ich dich traf.
Am nächsten Morgen warst du wieder da. Während es gestern Zufall gewesen sein konnte, hattest du an diesem zweiten Tag ganz klar auf mich gewartet. Mich freute das dermaßen, dass ich Schiss bekam, wie ein dämliches Honigkuchenpferd zu grinsen.
Statt einer Begrüßung hieltest du mir eine Kippe entgegen. Ich nahm sie und du gabst mir Feuer. Gerade so konnte ich das Husten nach dem ersten Zug unterdrücken.
»Das wird schon«, sagtest du, inhaliertest tief, um dann den Qualm in den blauen Himmel zu blasen.
Wir schauten ihm nach, als hätte er irgendeine tiefere Bedeutung. Indianerrauchzeichen. Es war gut, mit dir da zu stehen.
»Alles klar«, sagte ich und meinte es genau so.
In der Sekunde war alles klar.
»Leo«, sagtest du plötzlich.
Ich starrte dich verständnislos an.
»Mein Name.«
Ich starrte dich weiter an. Nun überrascht.
»So heiße ich«, fügtest du hinzu.
»Das habe ich kapiert«, murmelte ich. »Mir war nur nicht klar, dass ich bis gerade eben deinen Namen noch überhaupt nicht kannte.«
Es war, als bräuchtest du keinen. Du warst du. Fertig. Nun also Leo. Der Löwe. Vor einigen Jahren wäre ich gern einer gewesen oder hätte wenigstens gern wie einer geheißen. Doch jetzt war das seltsam peinlich. Obwohl es dir nichts auszumachen schien.
»Robin«, sagte ich.
»Weiß ich«, sagtest du.
Klar. Die Mathelehrerin hatte mich gestern auf dem Kieker gehabt. Obwohl ich gar nichts gemacht hatte. Weil ich gar nichts gemacht hatte.
»Hausaufgaben sind das Mindeste, Robin«, hatte sie mich in ihrer säuerlichen Art wissen lassen.
Später würde sie das revidieren. Dann würde Anwesenheit das Mindeste sein.
Wir grinsten uns an. Leo und Robin. Robin und Leo. Das klang irgendwie total richtig.
Nach der Schule liefen wir in den Park. Die letzte Stunde fiel aus. Von den Jungs keine Spur. Irgendwie erleichterte mich das. Als hätte ich ein Geheimnis, das ich noch nicht preisgeben wollte.
»Lust auf ’nen Gemüsedöner?«, fragtest du.
»Es gibt Döner aus Gemüse?«
»Hinter welchem Mond lebst du denn.«
Es war keine Frage. Du klangst, als wüsstest du genau, wo ich lebte, und auch, wie ich da wegkäme.
Wenn ich es gewollt hätte.
»Meine Mutter wartet mit dem Essen auf mich«, sagte ich.
Du nicktest, als hättest du auch das gewusst.
»Kocht sie gut, deine Mutter?«, wolltest du später wissen, als wir nebeneinander auf der Wiese saßen. An einem anderen Ende des Parks als sonst üblich.
Nicht weit entfernt lagerte wie immer eine Horde Jugendlicher. Sie trugen Goahosen, dealten mit Partydrogen, hörten lauten Techno und waren eigentlich immer drauf. Die Leute guckten komisch, wenn sie an ihnen vorbeigingen. Manche hatten Angst vor ihnen. Zwei der Goajungs kannte ich von früher aus dem Sportverein. Wir grüßten uns. Die anderen waren viel älter.
Ich blickte in ihre Richtung und zuckte die Schultern. »Glaub schon, keine Ahnung. Ich esse nicht so viel. Eigentlich nur Pizza, Pommes, Hähnchennuggets, Nudeln mit Senf und so.«
»Gesund ist das nicht«, sagtest du.
Ich wandte meinen Kopf und schaute dich an. In der rechten Hand hieltest du den halb gegessenen Gemüsedöner, in deiner linken brannte eine Zigarette. Zwischen deinen Füßen klemmte die Flasche Mate.
»Stimmt«, gab ich leicht sarkastisch zurück.
Du deutetest mit dem Kinn zwischen qualmender Kippe und Gemüsedöner hin und her. »Das kompensiert sich.«
»Klar, wegen der vielen Vitamine«, sagte ich grinsend.
»So wird das nichts mit uns beiden und einem gemeinsamen Mittagessen«, sagtest du. Dann blicktest du mir in die Augen. »Gibt aber genug andere Sachen, die wir zusammen genießen können.«
Plötzlich schlug mein Herz ziemlich heftig. Ein Gefühl, das ich normalerweise hasste. Es war seltsam eklig. Irritierend körperlich und organisch. Wenn ich mein Herz schlagen spürte, wusste ich, dass ich am Ende sterben werde.
In diesem Moment empfand ich jedoch keine Sterblichkeit, sondern so etwas wie Leben. Neugierde. Obwohl mir dein breites Grinsen sagte, ich solle mich mal entspannen, weil alles halb so wild sei.
Aber ich war mir sicher, die halben Sachen waren vorbei.
Später bemerkte ich schon im Treppenhaus, dass es nach nichts roch. Nach nichts Essbarem. Jedenfalls nach nichts, das ich hätte essen wollen. Zwar waberte wie immer der Gestank von Kohlsuppe in den unteren drei Etagen unseres Hauses, aber in der vierten wurde der normalerweise vom Duft nach Pizza und Co. überlagert. Als ich unsere Wohnungstür aufschloss, wurde es zur Gewissheit. Kein Mittagessen heute.
»Mama?«
Sie antwortete nicht. Ich suchte sie, klopfte gegen die Badezimmertür, schaute in der Küche nach ihr. Schließlich hörte ich aus ihrem Schlafzimmer ein leises Schluchzen.
»Mama? Alles okay?«, fragte ich durch die geschlossene Tür.
»Komm ruhig rein.«
Meine Mutter saß auf ihrem Bett, ein Kissen im Rücken, Kopf gegen die Wand, die Decke hochgezogen. Ihre Augen waren verheult.
»Was ist los?«, fragte ich und setzte mich neben sie auf die Matratze.
Sie deutete auf einen Brief, der neben dem Bett lag. Alarmiert griff ich danach. Wer schrieb denn heute noch Briefe? Irgendwelche Ämter, meine Großeltern, vielleicht Geister aus der Vergangenheit. Mein Erzeuger. Nichts davon würde Gutes bedeuten.
Doch dann konnte ich die Schrift nicht entziffern. »Ich kann das nicht lesen.«
Meine Mutter schnäuzte sich. »Stephie hatte schon immer eine Sauklaue.« Beinahe sah es so aus, als würde sie lächeln. Doch das täuschte. Denn plötzlich quollen neue Tränen aus ihren Augen. »Das ist alles so furchtbar. Stephie hat Krebs.«
Ich kannte die beste Freundin meiner Mutter aus Studientagen nicht besonders gut. Aber Krebs war der Endgegner. Keine Frage.
»Scheiße«, sagte ich.
Sie nickte. »Und was für eine. Gerade jetzt, wo sie sich von ihrem Freund getrennt hat.«
Ehrlich gesagt war ich etwas erleichtert, dass die Tränen meiner Mutter nichts mit mir zu tun hatten. Doch dann taten mir meine Gedanken leid. Krebs, Alter. Das wünschte man keinem. Und Stephie war immerhin ihre älteste Freundin. So etwas zählte. Auch wenn sie sich nicht so oft sahen.
»Hat sie nicht ’ne Tochter?«, fragte ich.
Meine Mutter nickte. »Mara ist jetzt in der ersten Klasse.«
Verdammt, so klein. Das hatte ich nicht gewusst.
»Scheiße«, sagte ich noch einmal.
Das laute Knurren meines Magens unterbrach die folgende Stille. Egal, was passiert, das Leben und seine Prozesse gehen eben weiter.
»Willst du auch eine Pizza?«, fragte ich und erhob mich.
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Appetit.«
In der Küche heizte ich den Ofen vor. Dann lief ich noch mal zu ihr zurück.
»Du brauchst mir ab jetzt übrigens kein Mittagessen mehr zu machen«, sagte ich.
Erschrocken schaute sie mich an.
»Keine Panik, ich bin nicht beleidigt oder so was und du machst alles richtig. Aber ich muss anfangen, mich um mich selbst zu kümmern.«
Jetzt versuchte sie tatsächlich zu lächeln. Zumindest schoben sich ihre verquollenen Augen wie bei einer glücklichen Japanerin zusammen. Obwohl sie ganz sicher nicht glücklich war.
»Das finde ich sehr gut, mein Schatz.«
Von einem plötzlichen Energieschub gepackt, warf sie die Decke weg und sprang aus dem Bett. Sie holte ihr Portemonnaie aus ihrer Tasche und drückte mir fünfundzwanzig Euro in die Hand.
»Essensgeld für die Woche«, sagte sie. »Halbe-halbe. Damit kaufst du dir einfach, was du gerne magst. Geh aber zum Discounter. Sonst reicht es nicht.«
Ich schaute auf den Zwanziger und die Münzen in meiner Hand. Der Gemüsedöner vorhin hatte fünf gekostet. Wie kam man nahrungsmäßig mit fünfundzwanzig Euro durch die Woche?
Ich sollte das nicht herausfinden. Denn ich würde aufhören zu essen.
Wir saßen im Park auf der Wiese. Du drehtest einen Joint. Ich nahm den ersten Schluck aus einer Flasche Mate, die ich mir geleistet hatte. Er schmeckte nicht. Wahrscheinlich konnte man das in meinem Gesicht ablesen.
»An den Geschmack gewöhnt man sich«, sagtest du grinsend und lecktest das Paper an.
Ich hatte zwei fünfzig zum Gramm beigesteuert. Die Mate war teurer gewesen.
»Geld ist kein Problem, ich hab so viel, wie ich brauche«, hattest du zwar abgewehrt. Aber mir war es unangenehm, mich von dir einladen zu lassen. Ich wollte meinen Kram selbst bezahlen.
Dass zu meinem Kram nun auch Gras gehören sollte, war ein bewusster Entschluss. Ich hatte mich entschieden, mit dem Kiffen anzufangen. Genauso wie vor drei Wochen für das Rauchen. Natürlich kannte ich das Dafür und das Dagegen. Wie blind und ignorant musste man sein, um das nicht zu kennen. Ich brauchte keine bessere Aufklärung. Ich hatte sämtliche Informationen gegeneinander abgewogen. Für mich war die Sache klar. Ich wollte das. Ich versprach mir etwas davon. Etwas, das auf jeden Fall größer sein würde als die Schäden, die das Rauchen verursachte oder das Kiffen verursachen sollte. War ja nicht mal sicher, ob es Letztere überhaupt gab.
Mit den zehn Euro Taschengeld, die ich in der Woche bekam, hatte ich insgesamt fünfunddreißig zur Verfügung. Das Essensgeld für Gras, Mate, Alkohol und Zigaretten auszugeben, kam mir vor, als würde ich mein eigenes Geld dafür verdienen. Lohn fürs Hungern.