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Buch

Katja ist Anfang dreißig und arbeitet beim »Sonntags-Blitz«, der Gratis-Zeitung ihres Heimatorts, bei der sie nach dem Praktikum irgendwie hängen geblieben ist. Während ihr Freund Jonas das Projekt Eigenheim vorantreibt, überkommt Katja beim Brunch mit werdenden Müttern und Pärchenausflügen zur »langen Nacht der Musterhäuser« zunehmend ein Gefühl der Beklemmung. Sie flüchtet sich in einen schrägen Zirkel kleinstädtischer Möchtegernliteraten und -künstler und begegnet auf einer der alkoholgeschwängerten Abendveranstaltungen dem Krimiautor Robert Klotzky, dem mit »Die Geschändeten von Heusenstamm« ein Überraschungserfolg gelang – und in den Katja sich verliebt …

Autorin

Susanne Hasenstab, geboren 1984, studierte Romanistik und Skandinavistik in Frankfurt/Main und Lausanne. Sie arbeitet als freie Autorin und Kolumnistin für unterschiedliche Printmedien und beim Radio. Zusammen mit ihrem Bühnenpartner Emil Emaille tritt sie mit kabarettistischen Leseprogrammen auf. In ihrer Freizeit macht sie gern Yoga, reist und belauscht andere Leute, um Inspirationen für ihr Bühnenprogramm zu sammeln. »Irgendwo zwischen Liebe und Musterhaus« ist ihr erster Roman bei Limes.

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Susanne Hasenstab

Irgendwo zwischen Liebe und Musterhaus

Roman

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1. Auflage

Copyright © 2019 by Limes in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Susann Rehlein

Umschlaggestaltung: Favoritbuero, München

Umschlagmotiv: Bernhard Lang/Stone/Getty Images

AF · Herstellung: sam

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-23125-5
V001


www.limes-verlag.de

Kapitel 1

WIR HÄTTEN AN diesem Freitag einfach wie immer zum Fettgriechen gehen sollen. Einfach wie immer zum Fettgriechen, und alles wäre beim Alten geblieben. Aber ausgerechnet an jenem Tag hatte Herr Böhmann Lust auf Veränderung.

Zunächst ist alles wie immer. Pünktlich um dreizehn Uhr tritt er an meinen Schreibtisch, legt seine Hand mit dem unheimlichen, vom Nagelpilz zerstörten Zeigefingernagel neben meiner Tastatur ab, dann seufzt er tief, halb ermattet, halb erleichtert, dass jetzt in Kürze die Mittagspause eine Schneise der Hoffnung in seinen trüben Tag schlagen wird.

»Also ich wär so weit«, sagt er.

»Ja, gehn wir«, erwidere ich, den Blick aber auf dem Bildschirm, weil immer noch was zu aktualisieren ist oder irgendwelche Fenster zu schließen sind.

»Gehn wir?«, fragt Herr Böhmann, immer dieser kleine Beckett-Dialog zwischen uns, bis wir endlich aufbrechen.

»Ja, ich bin fertig«, sage ich, stehe aber nicht auf.

»Keine Hektik.« Herrn Böhmanns Hand verharrt während des Mittagspausen-Einstiegsgesprächs stets neben meiner Tastatur, als mahnendes Zeichen des Aufbruchs oder was weiß ich, jedenfalls beeile ich mich wirklich, abmarschbereit zu werden, weil ich nicht ständig den gruseligen zersplitterten Fingernagel aus dem Augenwinkel ansehen mag.

»Bist du so weit?«

»Ja, gehn wir.«

»Keine Hektik.«

»Nee, ich bin fertig. Gehn wir.«

Dann fragt Herr Böhmann, und das ist die folgenschwere Abweichung in unserem verkrusteten Ritual, ob man heute nicht ausnahmsweise den Nudeltag beim Da Giovanni wahrnehmen könne statt wie gewohnt das Freitagsmenü beim Fettgriechen.

»Okay, können wir machen.« In diesem Moment ist mein Schicksal quasi besiegelt, aber zum Glück weiß ich davon noch nichts. Ich aktualisiere noch mal die E-Mails, nichts Neues. Während ich meine Handtasche einräume, erläutert Herr Böhmann seine Motive. Nach dem letzten Besuch beim Fettgriechen am vergangenen Freitag habe er das ganze Wochenende über Sodbrennen gehabt, auch große Mengen Bullrich-Salz und Heilerde hätten ihm keine Linderung verschafft, und er sei sich nicht sicher, ob die Dionysos-Platte, die er damals gegessen hatte, in der Zwischenzeit überhaupt schon seinen Körper verlassen habe.

»Kein Problem, gehn wir zum Da Giovanni«, sage ich schnell, bevor er seine Verdauungsproblematik noch detaillierter ausführt.

Um 13.12 Uhr verlassen wir die Redaktion und machen uns auf den Weg zum Nudeltag. Der Fettgrieche, der eigentlich Poseidon heißt, ist berüchtigt für seine riesigen, verklumpten Fleischberge, die einem den Magen über Stunden wie Flüssigbeton ausfüllen, dafür kostet der Mittagstisch aber auch nur 4,50 Euro, weniger als im Thai Express. Egal, ich kann nachvollziehen, dass man ein Unbehagen gegen ein Restaurant entwickeln kann, dessen Gerichte einem über Tage hinweg störrisch im Darm verharren.

Wir gehen schweigend die Bahnhofstraße entlang in Richtung Marktplatz, wo sich der Da Giovanni befindet. Als ein herbstlicher Nieselsprühregen einsetzt, wühlt Herr Böhmann umständlich einen rot-grün karierten Knirps aus seiner Herrenhandtasche, befindet den Niederschlag dann wohl aber doch als zu schwach, um sich dagegen mit einem Schirm zu rüsten, und zieht stattdessen eine knisternde Kapuze aus einem Wulst am Nacken seiner wetterfesten blauen Übergangsjacke und stülpt sie sich über die Glatze.

Herr Böhmann wird von Besuchern in der Redaktion manchmal für behindert gehalten, dabei ist er einfach nur sehr freundlich, leise und unbeholfen. Eine Kollegin erzählte mir, Herr Böhmann habe vor zehn Jahren einen Unfall beim Bungee Jumping gehabt. Er sei in Neuseeland von einem Hochhaus gesprungen und blöd mit dem Kopf irgendwo aufgekommen, und seitdem sei er »so«. Ich kann es überhaupt nicht glauben, dass Herr Böhmann jemals im Höhenrausch und voller Adrenalin von einem Hochhaus gesprungen sein soll, wenn ich ihn so anschaue, wie er jetzt neben mir her trabt in seinen schwarzen Gesundheitsschuhen. Irgendwann werde ich ihn fragen, ob die Story stimmt. Jedenfalls mag ich ihn gerne. Herr Böhmann läuft oft schräg hinter mir wie ein freundliches Begleitfahrzeug. Auch er scheint nicht ungern mit mir seine Mittagspause zu verbringen – sonst stünde er wohl nicht Tag für Tag an meinem Schreibtisch, um mich abzuholen – zeigt jedoch keinerlei Interesse an meiner Person. Gegenseitiges Desinteresse ist wahrscheinlich eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Beziehung, überlege ich mir. Wenn man sich einfach gegenseitig in Ruhe lässt, kommen kein Streit und kein Zwist auf, und man kann in Frieden zusammen alt werden.

Wir überqueren den Marktplatz, Herr Böhmann mit wehem Blick und etwas gekrümmt, vielleicht wegen des Herbstwinds, der uns entgegenbläst, vielleicht weil er in seinen Eingeweiden eine acht Tage alte, halb verweste Dionysos-Platte mit sich herumträgt, ich stelle keine Fragen. Vor dem schmucklosen Marktplatzbrunnen liegen sechs Heuballen, daneben ein Schubkarren voller Kürbisse, Überbleibsel von irgendeiner Erntedankfeierlichkeit. Weder Herr Böhmann noch ich kommentieren das seltsame Ensemble. Weitgehender Kommunikationsverzicht ist die tragende Säule unserer jetzt schon seit anderthalb Jahren bestehenden Mittagspausenpartnerschaft.

Wir bestellen beide Spaghetti mit Meeresfrüchten, dann holt jeder sein Smartphone heraus. Ich habe eine WhatsApp von Jonas. Ob ich an den Termin denke heute um fünf. Wir haben eine Hausbesichtigung in einem Neubaugebiet. Ein »sympathisches Reihenendhaus in bester Lage«. Ich weiß nicht, was die Nachricht soll. Als hätte ich je einen Besichtigungstermin verpasst. Wahrscheinlich merkt er, dass sich bei mir eine gewisse Gereiztheit in Bezug auf sein Häuslichkeitsprojekt eingestellt hat. Ich tippe »Ja«, woraufhin Jonas »Super, freu mich« schreibt und ein rosa Herz schickt. Obwohl alles gesagt ist, schreibt er noch mal »Also, dann bis um fünf«, als wäre mir wirklich zuzutrauen, dass ich die Uhrzeit vergesse, schließlich schickt er noch ein rotes Herz und einen Daumen-nach-oben-Smiley, was für eine dämliche Kombination. Ich schicke ihm ein von einem Pfeil durchschossenes blaues Herz und einen Knutsch-Smiley, dass endlich Ruhe ist.

Ruhe ist natürlich nicht, stattdessen schickt er drei selige Smileys mit Heiligenscheinen, was zeigen soll, wie glücklich ihn das durchschossene blaue Herz und der Knutsch-Smiley machen. Ich stecke das Handy wieder in die Handtasche und spüre eine plötzliche Niedergeschlagenheit.

Herr Böhmann zeigt mir ein verwackeltes Katzenvideo, das ihm seine Frau geschickt hat. Eine Katze steht vor einer Spiegelwand und kämpft gegen sich selbst. Da wir die einzigen Gäste bei Giovanni sind, kann er den Ton anlassen, und man hört Leute lachen und »Oh my gaaad!« rufen, während die Katze gegen die Spiegel knallt. Giovanni steht derweil vor dem Fenster und raucht. Eigentlich heißt er Jens und kommt aus Mannheim. Seine Frau ist die Köchin, sie heißt Oana und kommt aus Rumänien. Das Altöl, in dem sie die Meeresfrüchte brät, kommt aus dem Schwarzen Meer, so vermuten Herr Böhmann und ich zumindest. Egal, was man im Da Giovanni bestellt, es schmeckt fischig und schwer, weswegen wir meistens die Meeresfrüchtenudeln nehmen, denn wenn die fischig und schwer schmecken, ist das natürlicher, als wenn man eine Salamipizza oder Hackfleischlasagne mit Fischgeschmack isst.

Alle paar Monate fährt die Rumänin zu ihrer Familie in die Hafenstadt Constanza, wo sie wahrscheinlich die für den Restaurantbetrieb benötigten Altölbestände auffüllt. Während Oana weg ist, kocht Jens, aber vermutlich wärmt er nur von Oana vorgekochte Gerichte auf, denn die langen Absenzen der Köchin haben sich noch nie in einer kulinarischen Veränderung bemerkbar gemacht.

Mein Handy vibriert in der Handtasche. Jonas schon wieder. Er schreibt, das Möbelhaus Soundso bei Wiesbaden veranstalte heute die »Lange Nacht der Musterhäuser«, von zwanzig Uhr bis drei Uhr morgens. Inga und Borke hätten ihn gerade gefragt, ob wir Lust hätten, da hinzugehen.

Ich habe nicht die geringste Lust, auf die Lange Nacht der Musterhäuser zu gehen. Es ist höchste Zeit, aktiv zu werden, das ahne ich, irgendetwas muss geschehen, sonst wird sich die Schlinge namens Eigenheimerwerb immer enger um meinen Hals ziehen. Ich überlege, wie viel Geld ich auf dem Konto habe und wie lange ich damit überleben könnte, wenn ich alles abheben und verschwinden würde. Es gibt doch so billige Länder, Thailand oder so, da kann man mit zwei Euro am Tag angeblich königlich leben, aber ich will überhaupt nicht nach Thailand, das ist viel zu weit weg, und die Leute sind so klein. Ich will aber auch nicht mit einem befreundeten Pärchen auf die Lange Nacht der Musterhäuser.

»Weiß nicht, mal gucken«, schreibe ich Jonas.

Dieser schickt umgehend ein verdutzt dreinschauendes Smiley. »Wieso, wir ham doch sonst nix vor, oder? Inga und Borke würden uns auch abholen und wieder heimfahren.«

Na dann ist ja alles bestens. Wir können uns bei der Langen Nacht der Musterhäuser ja gleich zusammen mit Inga und Borke ein schlüsselfertiges Musterhaus aussuchen und in einem familienfreundlichen Gebiet errichten lassen. Da drin wohnen wir dann, zwei befreundete Pärchen, bald Ehepaare, und ein Kinderzimmer nach dem anderen wird gefüllt. Mich überfällt Mutlosigkeit. Ich kann Jonas nicht begreiflich machen, was ich an Unternehmungen wie der ominösen Musterhausnacht so schlimm finde, weil ich es ja nicht einmal selbst verstehe.

Giovanni tischt die Meeresfrüchtenudeln auf.

»Bin grad beim Essen, können ja kurzfristig entscheiden«, schreibe ich. Kurzfristig entscheiden, das klingt doch gut, es klingt nach Spontaneität und Schwung, nicht nach missmutiger Verweigerungshaltung.

Die Oktopusse und Krabben haben die Konsistenz lange gelagerter Gummibärchen, man kann sie kaum kauen, sie werden aber auch nicht kleiner, wenn man sie lutscht. Wir haben gerade den zweiten Bissen im Mund, da geht wie im Bauerntheater die Tür auf, und herein kommt Heinrich Waldemar Ertel, gefolgt von seinem unsympathischen, nervösen Hund – irgendein langbeiniges, dünnes Mischlingsvieh mit rotbraunem Zottelfell.

»Katja, was für ein Zufall! Wie schön, dich mal wieder zu sehen!«, ruft Heinrich lauthals durch das zum Glück leere Lokal – auch die Anwesenheit anderer Gäste hätte ihn nicht dazu veranlasst, seine Lautstärke zu drosseln. Mit dramatisch ausgebreiteten Armen tritt er an unseren Tisch, wedelt mit den Armen, was seinen zuckenden Hund noch nervöser macht, und ich stehe auf, noch mit vollem Mund, um Heinrich die Begrüßungsumarmung zu gewähren.

Er presst mich so fest an sich, dass es mir den Ölnudel- und Meeresfrüchtebrei in der Speiseröhre ein Stück nach oben drückt. »Katja«, sagt er noch einmal, »was für eine Fügung, wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen!« Er streichelt mir über den Rücken, während zu unseren Füßen der hagere Zottelhund im Quadrat springt und mit seinem langen Schwanz gegen Stuhl- und Tischbeine schlägt. Ganz so erregt wie sein Hund ist Heinrich zwar nicht, trotzdem entwinde ich mich möglichst schnell seiner Umklammerung und lasse mich wieder in der schützenden, geschlechtslosen Aura von Herrn Böhmann nieder.

Heinrich trägt eine dunkelblaue Baskenmütze, seinen Körper umhüllt ein beiges Textiliensammelsurium, das man vielleicht als eine Art Herren-Freizeitanzug beschreiben könnte, viel luftig geschnittenes Leinen und Hirschholzknöpfe sind dabei. Ich habe ähnliche Kleidungsstücke kürzlich in einem Film gesehen, der in den zwanziger Jahren auf einem Hochseedampfer spielte, wo Herren in solchen flatternden Freizeitanzügen übers Deck flanierten, oft mit Spazierstock, ein Detail, das in Heinrichs Gesamtkomposition fehlt.

Es sind ein paar Wochen vergangen, seit er mich zum letzten Mal zufällig in der Stadt abgefangen und sich an mir festgelabert hat, und seitdem ist ihm ein Bart gewachsen, wie er ekliger kaum sein kann, denn eigentlich ist es nur ein grauer, buschiger Ring rund um den Mund herum.

Heinrich Waldemar Ertel war früher Leiter des Wasserwirtschaftsamts. Seit seiner Frühpensionierung betätigt er sich als Schriftsteller und versucht zwanghaft, in unserer Provinzstadt eine Art Künstlerszene zu erschaffen, was mangels hier ansässiger Künstler an sich schon ein interessantes Kunstprojekt ist. Ihm schwebt eine Art Rhein-Main-Bohème vor, in die er auch mich mit Gewalt eingliedern will.

Heinrich legt den Mantel ab, die Baskenmütze behält er seltsamerweise auf, lässt sich auf den Stuhl an der Stirnseite fallen, winkt Giovanni heran und bestellt einen Wermut. So was hätten sie nicht, sagt der Wirt knapp. Heinrich behauptet, neulich bei seiner Studienreise nach Bologna regelmäßig als Aperitif einen Wermut getrunken zu haben, und das hier sei doch schließlich auch ein italienisches Lokal, aber Giovanni weiß nicht einmal, was ein Wermut ist.

Dann fällt Heinrich ein, dass er den Wermut gar nicht in Bologna, sondern in Barcelona getrunken hat, Giovanni verdreht die Augen, Heinrich bestellt stattdessen einen Ramazotti.

»Katja, was gibt’s Neues in deinem Leben? Schreibst du, bist du produktiv? Mach dich auf was gefasst, ich hab gleich noch einen Anschlag auf dich vor! Aber iss erst mal in Ruhe fertig!«

Herr Böhmann wird von ihm komplett ignoriert. Während Heinrich mit einer Hand versucht, den sich ständig aufbäumenden Hund dauerhaft unter die Tischplatte zu drängen, fummelt er mit der anderen ein Kärtchen aus der Brusttasche und legt es neben meinen Teller. »Schau mal, meine neuen Visitenkarten, hab ich gerade abgeholt, du bist die Erste, die eine bekommt!«

Auf dem unangenehm uringelben Kärtchen steht: »Heinrich Waldemar Ertel – Schriftsteller und Mensch«.

Heinrich ist übrigens frühpensioniert wegen eines Überfalls, den er gar nicht miterlebt hat. Der Ex-Wasserwirtschaftsamtsleiter stand vor etwa acht Jahren im DM – Markt hinten beim Hundefutter, als vorne an der Kasse ein Junkie die Kassiererin mit einer unechten Waffe bedrohte. Weil die Waffe so unecht aussah, schickte die Kassiererin den Räuber weg und rief die Polizei, die ihn zwei Straßen weiter festnahm. Als Heinrich mit seinem Hundefuttersack zur Kasse kam und von dem Vorfall unterrichtet wurde, erlitt er einen Zusammenbruch, von dem er sich laut eigener Aussage bis heute nicht erholt hat. Der Zusammenbruch, so behauptet er, sei entstanden aufgrund einer Bedrohung, die gerade deshalb so bedrohlich gewesen sei, weil er zum Zeitpunkt ihrer Existenz nichts davon geahnt habe. Wäre er direkt mit der Bedrohungssituation konfrontiert gewesen, hätte er diese im Nachhinein besser verarbeiten können, so aber mündete seine psychische Zerrüttung letztlich in einem Antrag auf Frühpensionierung, dem stattgegeben wurde. Jetzt ist er nicht mehr Wasserwirtschaftsamtsleiter, sondern »Schriftsteller und Mensch« und hat endlos Zeit für sogenannte Studienfahrten nach Bologna, Barcelona und anscheinend auch nach Marokko, denn gerade erzählt er von einer einwöchigen Wüstenwanderung durch die Sahara. Ihm sei von den Tuareg ein persönliches Kamel zugewiesen worden, und er habe nach fünf Tagen dann auch eine Bindung zu dem Kamel aufbauen können, nachdem es ihn zunächst abgelehnt habe.

Mit letzter Kraft esse ich unter Heinrichs ungeduldigen Blicken auf und bedecke die knorpelartigen Tintenfischreste mit der Papierserviette, die sich sofort mit braunem Öl vollsaugt. »So, jetzt aber zur Sache«, sagt Heinrich, bestellt einen zweiten Ramazotti, dann wendet er sich mir zu, legt mir die Hand auf die Schulter und sieht mir tief in die Augen, als wolle er mir einen Heiratsantrag machen. »Das ist wie gesagt eine glückliche Fügung, dass ich dich hier treffe, denn heute Abend findet die große Premiere statt, und ich möchte, dass du dabei bist.«

»Was für eine Premiere?«

»Hast du meine Rundmail nicht gelesen?« Heinrich schickt ständig Rundmails mit kulturellen Ausgehtipps und Einladungen zu Vernissagen, Finissagen und Poetenstammtischen, ich lösche alles sofort.

»Ich weiß nicht, du schickst immer so viel Zeug rum, ehrlich gesagt les ich das nicht alles.«

»Richtig so«, freut er sich und hebt den Ramazotti lobpreisend in die Höhe, »der wahre Künstler darf sich nicht zu vielen Außenreizen aussetzen, er muss sich der Überflutung widersetzen, löblich, dass du nicht alles liest, was dir so ins Postfach schneit!«

Viel wichtiger sei der Kontakt von Mensch zu Mensch, weshalb er mir hier und jetzt verkünde, dass heute Abend zum ersten Mal sein seit Monaten geplantes Soiree-Konzept »Heinrich, still und leise« über die Bühne gehen werde.

»Heinrich, still und leise?«

»Ein genialer Titel, oder? Es findet bei mir zu Hause statt, ich kreiere eine Art Verschmelzung von Soiree, Come-Together, Kunst und Geselligkeit, jeden ersten Freitag im Monat. Es gibt Kurzlesungen, Musik, Performance ist auch dabei, sozusagen die Auferstehung des literarischen Salons, aber auch mit crazy Elementen!«

Aha. Es reicht ihm nicht mehr, einfach nur Schriftsteller und Mensch zu sein, jetzt sieht er sich anscheinend auch noch als Gertrude Stein vom Untermain. Der Titel sei ihm in der letzten Nacht der marokkanischen Wüstenwanderung eingefallen, »Heinrich, still und leise«, denn er sei zwar offen für Kunstdarbietungen aller Couleur, jedoch dürfe aufgrund seiner kunstfeindlichen Nachbarn eine gewisse Lautstärke nicht überschritten werden. »Und stell dir vor, wenn sich das rumspricht, dass ich Künstlern eine Plattform biete, da rennen mir doch die ganzen Rockbands die Bude ein, also Musik ja, aber nur akustisch, heute Abend spielen die Blackmailed Tombstones of Vienna, kennst du die?«

Ich schüttele den Kopf.

»Die machen so begleitende Impressionen, lassen sich von den Gästen und der Stimmung im Raum inspirieren, so bisschen tempelmusikmäßig. Und im Wintergarten gibt’s immer eine Vernissage, da ist Platz für circa zehn Bilder und auch die ein oder andere Skulptur, jeden Monat will ich da einen anderen Künstler vorstellen, unter dem Motto ›Räumchen, wechsel dich!‹, auch hervorragend gewählt, der Titel, oder? Um acht Uhr geht’s los, du kannst aber auch früher kommen, dann mix ich dir einen persönlichen Begrüßungscocktail.«

Auch der ignorierte Herr Böhmann hat mittlerweile aufgegessen und schaut auf die Uhr. Leider drängt er nicht zum Aufbruch, sondern bestellt sich bei Giovanni noch ein Tiramisu und einen doppelten Fernet Branca, wohl in der Hoffnung, den abscheulichen Hauptgang dadurch retten oder zumindest neutralisieren zu können.

»Ja, danke für die Einladung, aber ich hab heute keine Zeit.«

»Katja, das kannst du mir nicht antun, was hast du denn Wichtiges vor, dass du dir so eine Premiere entgehen lässt?«

»Ich muss noch arbeiten und hab danach eine Hausbesichtigung mit Jonas.«

»Dein Freund?«

»Ja.«

»Ihr wollt euch ein Haus kaufen?«

»Vielleicht, wir schauen erst mal nur.« Warum lasse ich mich so in die Enge treiben, es geht ihn überhaupt nichts an, weswegen ich seiner bescheuerten Soiree nicht beiwohnen werde.

Heinrich holt ein feuchtes Erfrischungstuch aus der Hosentasche, eines, wie man es nach Hähnchenverzehr bekommt, und wischt sich damit ausgiebig unter seinem Herrenfreizeitdress die Achseln aus, riecht dann kurz am Erfrischungstuch, stopft es zurück in die aufgerissene Packung und die Packung zurück in die Hosentasche.

»Und wenn ich dir sage, dass sich sogar ein Großschriftsteller angekündigt hat für heute Abend, könnte dich das umstimmen? Ob du es glaubst oder nicht, zur Premiere von ›Heinrich, still und leise‹ hat sich Robert Klotzky angekündigt!« Er sieht mich triumphierend an. Ich kenne keinen Robert Klotzky.

Dafür kommt plötzlich Leben in Herrn Böhmann. »›Die Geschändeten von Heusenstamm‹!«, ruft er aus und erhebt das Glas.

»Genau«, schreit Heinrich und haut mit der Hand auf die Tischplatte, so dass sein Hund jaulend auffährt, sich unter dem Tisch im Kreis dreht und wieder mit dem Schwanz zu schlagen beginnt. »Der Mann kennt sich aus!« Heinrich deutet auf Herrn Böhmann, den er nun erstmals wahrnimmt, dann schiebt er auch ihm eine seiner Schriftsteller-und-Mensch-Visitenkarten zu. »Entschuldigung, ich war so auf Katja fixiert, ich habe mich gar nicht vorgestellt, Sie sind wohl ein Arbeitskollege? Heinrich, sehr erfreut.«

»Böhmann«, sagt Herr Böhmann, und sie geben sich die Hand.

»Jedenfalls hat sich für heute Abend Robert Klotzky angekündigt!«

»›Die Geschändeten von Heusenstamm‹«, wiederholt Herr Böhmann, unablässig nickend, »ein sehr gutes Buch, grausam, aber gut«.

»Tut mir leid, ich kenn den nicht«, sage ich.

»Sie kennt Robert Klotzky nicht.« Heinrich sieht Herrn Böhmann voller Bedauern an, er will sich mit ihm gegen mich verbünden, aber Herr Böhmann bearbeitet nun wieder unbeteiligt sein klumpiges Tiramisu.

»›Die Geschändeten von Heusenstamm‹, noch nie gehört? Das war der erste Regionalkrimi, der deutschlandweit Beachtung gefunden hat, Spiegelbestsellerliste und so.«

»Grausames Buch«, sinniert Herr Böhmann vor sich hin, »sehr grausam. Aber gut!«

»Katja, stell dir doch mal vor, du liest heute Abend was vor von deinen Gedichten, der Robert Klotzky hört das, es gefällt ihm, er empfiehlt dich weiter, das ist ein einflussreicher Mann, und zack, so schnell geht’s, dann hast du nächstes Jahr den Büchner-Preis!«

Das wird ja immer besser, ich bin anscheinend nicht als Besucherin zu dieser ominösen Soiree geladen, sondern als Akteurin. Ich soll mich in Heinrich Waldemar Ertels Wohnzimmer setzen und Gedichte vorlesen, am Ende noch zur improvisierten, tempelmusikmäßigen Begleitung der Blackmailed Tombstones of Vienna, in der Hoffnung, von einem mir unbekannten angeblichen Großschriftsteller entdeckt zu werden. Ich finde, Heinrich hätte lieber in Marokko bleiben und die Bindung zu seinem Kamel vertiefen sollen, anstatt sich so einen Schwachsinn auszudenken.

Dass ein anscheinend deutschlandweit aktiver Autor seiner Soiree beizuwohnen gedenkt, beflügelt ihn auf ungute Weise. Es ist eine Untermauerung seiner Trugwelt, in die er mich jetzt umso zwanghafter integrieren will, wieder und wieder sagt er, ich müsse kommen heute Abend.

»Überleg’s dir, Katja«, fällt mir Herr Böhmann mit ungewohnt eindringlicher Stimme nun in den Rücken, »das könnte eine Chance sein, sonst sitzt du bis in alle Ewigkeit im Sonntags-Blitz, so wie ich.«

»Das ist mir aber jetzt zu kurzfristig, ich hab wie gesagt halt leider schon was anderes vor. Vielleicht beim nächsten Mal.«

Heinrichs Blicke gewinnen eine immer unangenehmere Intensität. »Manche Chancen bieten sich nur einmal im Leben, und man muss sie ergreifen, bevor sie vorbeigeschwommen sind. Du weißt, dass ich mich sehr für dich einsetze, für dich als Künstlerin – und als Mensch. Aber ich kann es dir auch nicht alle Tage bieten, dass ich so einen dicken Fisch an der Angel habe. Ich kann dir diesen dicken Fisch nur heute Abend exklusiv in der Bratpfanne servieren, mit Zitrone und Rosmarin garniert, und es ist an dir, ob du zum Essen vorbeikommst oder nicht. Eigentlich eine gute Formulierung, oder? Dieser Vergleich mit dem dicken Fisch? Muss ich mir gleich notieren.« Und tatsächlich holt er sein Handy hervor und beginnt, genau die gleichen Sätze noch einmal als Sprachmemo hineinzusprechen.

Ich glaube ihm sogar, dass er irgendeinen Halbpromi engagiert hat, um seiner Soiree Glamour zu verleihen, er ist sehr findig, was so schreckliche Tätigkeiten wie Networking angeht. Während er überdeutlich seine Fischvergleiche ins Smartphone spricht, bin ich hypnotisiert von seinen Lippen, die sich wie ein Fischmaul auf und zu bewegen, wodurch sich sein struppiger Mund-Umrundungs-Bartring abwechselnd vergrößert und verkleinert.

Auf seine Mundpartie starrend, muss ich mir eingestehen, dass ich Heinrich Waldemar Ertel eins meiner peinlichsten Geheimnisse verdanke. Nämlich einen unsäglichen Kuss. Und ehrlich gesagt nicht nur einen, sondern mehrere. Zumindest hatte er damals, vor etwa zwei Jahren, den hässlichen Bart noch nicht, was aber keine Entschuldigung sein kann. Wenn Jonas davon wüsste, würde er keineswegs mit mir den Kauf eines Eigenheims planen. Im Prinzip, überlege ich, wäre, ihm von meiner nächtlichen Hinterhof-Knutscherei mit Heinrich Waldemar Ertel zu berichten, die einzige Möglichkeit, ihm die Schnapsidee mit dem Sesshaftwerden und Heiraten und Hauskaufen auszutreiben. Wie alt ist Heinrich überhaupt, mindestens fünfundfünfzig, die Frühpensionierung war vor zehn Jahren, hat er erzählt, mit siebenundvierzig, also ist er jetzt siebenundfünfzig, herrje.

Zu dem Vorfall kam es, weil ich ab und zu Gedichte schreibe. Eigentlich nur so für mich, ohne Ambitionen auf Veröffentlichung, wobei ich dann doch einmal den Fehler machte, eines bei einem Nachwuchswettbewerb einzureichen, den der mir damals noch nicht bekannte Heinrich als Vorsitzender der mittlerweile wieder aufgelösten Dichtervereinigung Reim-Erlös ausgeschrieben hatte. Mein Gedicht belegte den ersten Platz, wobei die Jury aus Heinrich und sonst niemandem bestand und es außer mir nur vier weitere Einsendungen gab. Der Preis bestand in einer Lesung in der Buchhandlung Schmökerbär, zusammen mit der Zweit- und Drittplatzierten des Nachwuchswettbewerbs, einer Mittvierzigerin namens Hermine, die »spirituelle Aphorismen« schrieb, und einer Mundartdichterin, die, auf einen Rollator und auf einen Urenkel gestützt, den Buchladen betrat. Wir rezitierten abwechselnd unsere Gedichte, vor insgesamt neun Zuhörern, alles in allem ein heilsamer, desillusionierender Ausflug in die Welt des Literaturbetriebs, der von meiner Seite aus keiner Wiederholung bedurfte, wobei Heinrich und auch der rotbackige Buchhändler überaus zufrieden mit der Veranstaltung waren. Es sei nicht normal, dass bei einer Lesung so viel mehr Zuhörer als Literaten anwesend seien, erfuhr ich, und beim Soundso, der Buchhändler nannte einen Namen, den ich nicht kannte, seien neulich nur vier Leute gekommen, und der habe immerhin schon beim Bachmannpreis gelesen.

Danach viel, viel Sekt im Hinterhof der Buchhandlung. Und ich war ziemlich enttäuscht, dass weder Jonas noch meine Eltern noch sonst wer, den ich kannte, zu meiner ersten und einzigen Lesung gekommen waren. Die sieben Zuhörer – außer Heinrich und dem Buchhändler – stellten sich als Angehörige der Zweit- und Drittplatzierten heraus, euphorisiert und lachend standen sie bei ihren frisch gekürten Lyrikpreisträgerinnen, und ich stand blöd, angetrunken und einsam mit meinem Sektglas daneben, was wiederum Heinrich auffiel und was er geschickt als Einstiegsluke für ein »intensives Gespräch« nutzte, dessen Inhalt ich zum Glück vergessen habe, es bestand, glaube ich, nur aus Huldigungen meiner Kunst und meiner Person und mündete gegen Mitternacht in eine Abfolge sektklebriger Küsse und eine Klammer-Umarmung, aus der ich mich nicht so entschieden herauswand, wie ich es wahrscheinlich gemusst hätte. Aber in dem Moment tat er mir auch leid, weil er alles so akribisch organisiert und solch einen nutzlosen, von niemandem gewürdigten Enthusiasmus an den Tag gelegt hatte. Wie dem auch sei: Seit diesem unseligen Ereignis beißt sich Heinrich regelmäßig, aber zum Glück nur verbal an mir fest, wenn wir uns zufällig in der Stadt über den Weg laufen, was nicht selten passiert, da er ja den ganzen Tag nichts anderes macht, als mit seinem ruhelosen Tier herumzulaufen, »Eindrücke zu sammeln« und sich als literarischer Flaneur zu fühlen.

Gerade steckt Heinrich das Smartphone wieder weg, hebt den Kopf und kratzt sich ausgiebig am Kinn, wie um seinen vom Bart umrankten Mund noch besser zu präsentieren, damit ich auch ja nicht vergesse, wie nah wir uns waren, die aufstrebende Literatin und ihr reifer Mentor, im Rausch der Sinne vereint, wie das eben so ist im freigeistigen Milieu der Rhein-Main-Bohème.

Was ein Elend. Ich bin einunddreißig Jahre alt, sitze im Da Giovanni und stoße toxischen Tintenfischbrei auf. Neben mir ein windiger Kulturschaffender, mit dem ich damals wenigstens nicht im Bett gelandet bin, aber vielleicht auch nur deswegen nicht, weil in der gegebenen Situation kein Bett erreichbar war, außer wir hätten den freundlichen Buchhändler gefragt, ob wir die Leseliege im Schmökerbär benutzen dürften. In drei Stunden muss ich mit Jonas ein Reihenendhaus besichtigen, er scheint wirklich ernsthaft in Erwägung zu ziehen, so etwas zu kaufen und mit mir bis zu unserem Tod dort zu wohnen. Ich bin gerade wahnsinnig dankbar für die Anwesenheit Herrn Böhmanns, der als glatzköpfiger Ruhepol mir gegenüber den letzten Bissen Tiramisu sorgfältig auf der Gabel platziert, ihn sich in den Mund steckt und schluckt.

»Also, meine Liebe«, sagt Heinrich mit Milde in der Stimme, »ich hab es dir angeboten, aber wenn du keine Zeit hast … Wo habt ihr die Hausbesichtigung?«

»Im Libellenweg.«

»Ah, draußen im Neubaugebiet. Im Tal der glücklichen Familien.«

»Heißt das so?«

»Ja, sagt man so, weil da nur glückliche junge Familien wohnen.«

»Man nennt es auch die Känguru-Siedlung«, wirft Herr Böhmann ein, »große Sprünge, nix im Beutel.«

»Das ist gut, das muss ich mir merken«, ruft Heinrich begeistert, holt sein Handy und spricht »Känguru-Siedlung, große Sprünge, nix im Beutel, weil die sich ja alle beim Hauskauf so überschulden« in die Diktiergerät-App. »Überschuldet ins Familiengrab, das wäre auch ein schöner Titel für einen Roman, oder, Katja? Vielleicht kann ich dich dann bald als Expertin befragen!«

»Es ist ganz unverbindlich«, sage ich genervt, »wir schauen uns das einfach mal an.«

»In der Straße hat doch der eine Tatort-Schauspieler gewohnt«, sagt Heinrich, »ist schon ein paar Jahre her, der da dann seine Geliebte erwürgt hat.«

»Der hat da gewohnt, ja«, weiß Herr Böhmann, »aber die Geliebte hat er nicht in dem Haus erwürgt, wo er gewohnt hat. Die hat bei ihm geklingelt und wollte ihn zwingen, sie seiner Frau vorzustellen, deshalb ist er mit ihr ins Industriegebiet gefahren und hat sie am Mainufer erwürgt.«

Es erstaunt mich sehr, dass Herr Böhmann über solche Dinge so genau Bescheid weiß.

Heinrich klopft jovial auf die Tischplatte und steht auf. Sein Hund schießt voller Aufbruchsfreude unterm Tisch hervor und stranguliert sich dabei fast, da sich im Zuge seiner Selbstumkreisungen die Hundeleine mehrfach um ein Stuhlbein geschlungen hat und ihm nur einen äußert kleinen Radius lässt.

»Also Katja, überleg’s dir. Falls ihr nach der Besichtigung nicht gleich zum Notar geht und anfangt, Umzugskisten zu packen, kannst du ja vielleicht doch noch vorbeikommen.« Heinrich entwirrt die Hundeleine und raunt zum Abschied, es sei ihm »sehr, sehr wichtig«, dass die Veranstaltung »besucht« aussehe, eben wegen des bedeutenden Gasts. »Er kommt immerhin extra aus Frankfurt!«

»So weit ist Frankfurt doch gar nicht«, sage ich, »da fährt er ne halbe Stunde.«

»Nie und nimmer ist man in einer halben Stunde in Frankfurt, schon gar nicht, wenn Stau ist«, protestiert Heinrich, um die Weitgereistheit des ominösen Herrn Klotzky zu betonen.

Heinrich und Hund verlassen mit großem Getöse die Gaststube, Herr Böhmann winkt nach der Rechnung, und ich bin plötzlich wahnsinnig müde.