© 2019 Jürgen Gießing
ISBN: 9783749438044
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Satz und Layout: DeinSatz Marburg
Illustrationen: Jakob Janßen
Umschlagabbildungen: shutterstock.com / Lebedev Roman Olegovich (Bodybuilder),
marilyn barbone (Nahrungsmittel), dotshock (LäuferInnen)
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Abb. 1 : Strukturformel von Kreatin
Abb. 2: Produktion von GAA in den Nieren
Abb. 3: Kreatinsynthese in der Leber
Abb. 4: Verteilung des Kreatins im Körper
Abb. 5: Strukturformel von Kreatinphosphat
Abb. 6: Energiebereitstellung bei muskulärer Beanspruchung
Abb. 7: Kreatinphosphat im Ruhezustand
Abb. 8: Abbau von Kreatin zu Kreatinin in der Niere
Abb. 9: Täglicher Bedarf an Kreatin zur Vergrößerung der Kreatinphosphatspeicher
Abb. 10: Kreatin-Entdecker Michel Eugène Chevreul
Abb. 11 : Justus von Liebig
Abb. 12: Kreatinphosphat im Ruhezustand
Abb. 13: Blutkonzentration des Hormons Testosteron
Abb. 14: Prostaglandin-E2-Spiegel im Blutplasma von Läufern
Abb. 15: Muskelglykogengehalt
Abb. 16: Laktatkonzentration im Blut
Abb. 17: Zunahme des Muskelquerschnitts des M. quadriceps femoris
Abb. 18: Zunahme der Magermasse
Abb. 19: Kreatinausscheidung während einer Ladephase mit anschließender Erhaltungsdosis
Abb. 20: Plasma-Kreatinspiegel nach der Einnahme von Kreatin
Abb. 21: Prozentualer Anteil des im Körper gespeicherten Kreatins bei Einnahme von Kreatin
Abb. 22: Kreatinausscheidung nach der einmaligen Einnahme von zwei Gramm Kreatin gelöst in Wasser
Abb. 23: Verlauf des Kreatinspiegels im Blutplasma nach der Einnahme von zwei Gramm Kreatin in Wasser gelöst bzw. als Bestandteil eines Steaks
Abb. 24: Kreatinausscheidung nach der einmaligen Einnahme von zwei Gramm Kreatin gelöst in Wasser bzw. in Form eines Eiweiß-Kohlenhydrat-Riegels
Abb. 25: Der Restspeicher-Effekt
Abb. 26: Zerfall von Kreatin bei unterschiedlichen pH-Werten
Abb. 27: Blutkonzentration des Hormons DHT
Tab. 1: Bislang gefundene Unterschiede im Kreatinstoffwechsel von Männern und Frauen
Tab. 2: Ungefährer Kreatingehalt des jeweiligen Nahrungsmittels
Tab. 3: Veränderung von Magermasse und Kraftwerten nach einwöchiger Immobilisierung des Arms
Tab. 4: Kreatingehalt unterschiedlicher Kreatinverbindungen
Tab. 5: Löslichkeit von Kreatin auf einen Liter Wasser
Tab. 6: Einteilung in drei unterschiedliche Typen von Respondern
Die Wissenschaft befasst sich fortwährend mit der Wirkung von (Nähr-) Stoffen und der Rolle, die der jeweilige Stoff im Körper spielt. Hin und wieder treten dabei neue Erkenntnisse zu Tage, die erstaunlich, nützlich und wissenswert sind. So verhält es sich auch mit der Erforschung der Wirkungen von Kreatin. Üblicherweise werden interessante Forschungsergebnisse aufgegriffen und es wird mehr oder weniger fundiert darüber berichtet. Im Fall von Kreatin werden dabei teilweise Beschreibungen verwendet, die eher an ein Wundermittel erinnern als an eine Substanz, die sowohl im Körper selbst produziert wird als auch über die Nahrung aufgenommen werden kann. Wenn in diesen Berichten Formulierungen verwendet werden wie „legales Doping“, „Anabolikum light“ oder „Wunderwaffe für Sportler“, verlangt das geradezu nach einer eingehenden Analyse, was sich dahinter verbirgt. Um genau diese Analyse geht es im vorliegenden Buch.
Kreatin ist nicht nur ein Nahrungsbestandteil, sondern wird auch als Nahrungsergänzungsmittel produziert und verkauft. Das Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln ist mittlerweile ein riesiger globaler Markt, der für den Verbraucher kaum noch zu überblicken ist. Der weltweite Umsatz in diesem Geschäft wird auf etwa 70 bis 100 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Verlässlichen Hochrechnungen zufolge beträgt der Anteil von Kreatin an diesem Umsatz weniger als zwei Prozent. Daraus zu schließen, dass Kreatin keine allzu große Bedeutung hat, wäre jedoch unzutreffend. Dem geringen kommerziellen Marktanteil steht nämlich eine enorme Verbreitung gegenüber. Aktuellen Studien zufolge nehmen oder nahmen mehr als 20 Prozent aller Fußballer, mindestens ein Drittel aller Rugby- und Footballspieler weltweit sowie eine noch größere Anzahl ambitionierter Fitnessathleten und Bodybuilder Kreatin zur Leistungssteigerung ein. Und in einigen Disziplinen des Hochleistungssports gibt es „keinen, der es nicht nimmt“, so zumindest die Aussage einer deutschen Leistungssportlerin im Nachrichtenmagazin Spiegel. Welche Bedeutung hat Kreatin als Nahrungsbestandteil oder -ergänzungsmittel also tatsächlich? Welche Wirkungen sind wissenschaftlich erwiesen? Gibt es Wirkungen, die auch über den Sport hinaus relevant sind? Diese Fragen sind aber bei weitem nicht die einzigen. Sobald man sich eingehender mit der Thematik befasst, stößt man auf zahlreiche, immer wieder auftretende Fragen wie die folgenden:
Diese und viele weitere Fragen werden in diesem Buch beantwortet. An fundierte Informationen über Kreatin zu gelangen, ist nicht immer einfach. Das liegt nicht etwa daran, dass es zu wenige Informationen über Kreatin gäbe. Ganz im Gegenteil: In den wissenschaftlichen Datenbanken finden sich hunderte von Studien über Kreatin sowie unzählige weitere über angrenzende Themenbereiche, die für die Wirkung von Kreatin ebenfalls von Bedeutung sind. Aus diesem Grund war eine umfangreiche Quellenarbeit erforderlich, um die entsprechenden Informationen zusammenzutragen und unseriöse Werbeaussagen oder Dosierungsempfehlungen als solche zu entlarven. Nur so ist es möglich, fakten- und evidenzbasiert mit einigen verbreiteten Mythen aufzuräumen.
Anhand der vorliegenden Informationen können Sie sich selbst ein fundiertes Bild darüber machen, welche Bedeutung Kreatin hat und wie hoch eine sinnvolle tägliche Zufuhr für Sie persönlich ist.
Noch ein Hinweis in eigener Sache: Kreatin ist eine Substanz, die in geringen Mengen vom Körper selbst produziert wird. Außerdem gibt es zahlreiche Lebensmittel, die unterschiedliche Mengen an Kreatin enthalten. Darüber hinaus kann Kreatin als Nahrungsergänzungsmittel erworben werden. Ich selbst verkaufe weder Kreatin noch bin ich an einer Firma oder am Umsatz einer Firma beteiligt, die Kreatin herstellt oder vertreibt. Alle hier gemachten Angaben beruhen auf dem aktuellen Stand der Forschung und sind mit der entsprechenden Quellenangabe gekennzeichnet, sodass Sie bei Interesse die Quelle selbst ansehen und Ihre eigene Recherche vertiefen können.
Wenn Sie die wissenschaftlichen Hintergründe überspringen möchten und es Ihnen hauptsächlich um praktische Fragen der Anwendung geht, können Sie Ihre Lektüre auch auf die Zusammenfassungen beschränken. Diese finden Sie am Ende des jeweiligen Kapitels in einem Kasten wie diesem hier. Konkrete Fragen zur praktischen Anwendung von Kreatin werden dann in Kapitel 20 ausführlich beantwortet.
Kreatin ist eine natürliche Substanz, die sowohl vom menschlichen Körper selbst gebildet als auch mit bestimmten Nahrungsmitteln aufgenommen wird. Da Kreatin auch im Körper selbst gebildet wird, zählt es nach geltender Definition nicht zu den essenziellen Nährstoffen.
Aufgrund ähnlich klingender Bezeichnungen wird Kreatin mitunter verwechselt mit anderen Substanzen wie Keratin, Carotin, Carnitin, Carnosin oder Kreatinin. Diese Begriffe bezeichnen aber allesamt andere chemische Verbindungen und sind daher nicht zu verwechseln mit dem Stoff, um den es im Folgenden geht und der für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit des Menschen eine besondere Bedeutung hat: Kreatin.
Abb. 1 : Strukturformel von Kreatin
Bei Kreatin (C4H9N3O2) handelt es sich um eine körpereigene Substanz, die in einem mehrstufigen Prozess in den Nieren, der Bauchspeicheldrüse und der Leber aus den drei Aminosäuren Glycin, Arginin und Methionin gebildet wird.
Obwohl Kreatin aus drei Aminosäuren gebildet wird, handelt es sich beim Kreatin selbst nicht um eine Aminosäure, sondern um eine Guanidium-Verbindung, bestehend aus einem Kohlenstoffatom, an das drei Stickstoffatome gebunden sind. Eine weitere Bezeichnung für Kreatin ist daher α-Methyl-Guadinio-Essigsäure [1].
Zunächst wird in den Nieren sowie der Bauchspeicheldrüse aus den Aminosäuren L-Arginin und Glycin der Kreatin-Vorläufer Guanidinoacetat (GAA) hergestellt.
Abb. 2: Produktion von GAA in den Nieren
Über den Blutstrom gelangt das GAA zur Leber. Dort wird dann aus der Verbindung von GAA mit der Aminosäure Methionin (über die Vorstufe S-Adenosylmethionin, abgekürzt: SAM) das Kreatin gebildet und ins Blut abgegeben. So gelangt das Kreatin dann über den Blutkreislauf in das Gehirn, die Organe und die Muskulatur.
Für die endogene Kreatinsynthese benötigt der Körper neben den drei Aminosäuren Glycin, Arginin und Methionin auch ausreichende Mengen an Vitaminen, insbesondere Folsäure und Vitamin B12. Bei einer Unterversorgung mit den beiden genannten Vitaminen kommt es zu einer messbaren Beeinträchtigung der endogenen Kreatinsynthese [2]. Im Tierversuch zeigte sich eine verminderte Kreatinsynthese, wenn nicht genügend Vitamin E zugeführt wurde [3]. Außerdem ist inzwischen bekannt, dass für die körpereigene Kreatin-Produktion noch ausreichende Mengen an Cholin und Vitamin B2 sowie den Aminosäuren Serin, Histidin und Tryptophan erforderlich sind [4].
Abb. 3: Kreatinsynthese in der Leber
Der Mensch benötigt insgesamt ca. drei bis vier Gramm Kreatin pro Tag. Der Körper produziert durch Synthese aus den drei genannten Aminosäuren etwa ein bis zwei Gramm, also knapp die Hälfte des täglichen Bedarfs. Der Rest des benötigten Kreatins muss über die Nahrung zugeführt werden. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als der Körper jeden Tag ca. zwei Gramm Kreatin über das Abbauprodukt Kreatinin ausscheidet [5].
Wie im Folgenden noch ausführlich erläutert wird, ist Kreatin eine immens wichtige Substanz für zahlreiche Stoffwechselprozesse. Kreatin besetzt geradezu eine Schlüsselfunktion im Hinblick auf Gesundheit und sportliche Leistungsfähigkeit.
Kreatin findet sich praktisch im ganzen Körper, wobei etwa 95 Prozent in der Muskulatur zu finden sind. Die übrigen 5 Prozent verteilen sich vorwiegend auf das Gehirn, die Leber und die Nieren. Aber auch Nervenzellen, die Netzhaut im Auge, das Innenohr, die Hoden und weitere Zellen des Körpers enthalten Kreatin.
Abb. 4: Verteilung des Kreatins im Körper
Das im Muskel enthaltene Kreatin liegt zu einem kleineren Teil in Form von freiem Kreatin und zu ungefähr 60 bis 75 % als Kreatinphosphat vor. Eine andere Bezeichnung für Kreatinphosphat lautet Phosphokreatin. Dadurch erklärt sich auch, warum die übliche Abkürzung für Kreatinphosphat „PKr“ lautet. Hierbei kommt es hin und wieder zu dem Missverständnis, diese beiden Begriffe würden unterschiedliche Substanzen beschreiben, was jedoch nicht der Fall ist. Phosphokreatin und Kreatinphosphat sind Bezeichnungen für ein und dieselbe Substanz. Im Folgenden wird einheitlich der Begriff Kreatinphosphat verwendet. Beim Kreatinphosphat handelt es sich um ein sogenanntes Phosphagen („energiereiches Phosphat“). Es wird durch das Enzym Kreatinkinase aus freiem Kreatin und Adenosintriphosphat (ATP) gebildet und in der Muskulatur gespeichert, bis es zur Energiegewinnung benötigt wird.
Dieses in der Muskulatur gespeicherte Kreatinphosphat liefert die Energie während der ersten Sekunden einer Muskelkontraktion.
Abb. 5: Strukturformel von Kreatinphosphat
Die einzige direkt vom Muskel nutzbare Energiequelle ist ATP. Damit ein Muskel kontrahieren kann, benötigt er daher zwingend ATP, das durch Phosphatabspaltung die erforderliche Energie für die Muskelkontraktion liefert und dadurch zu Adenosindiphosphat (ADP) wird. Über die aus der Nahrung (Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel) gewonnene Energie wird ATP aus ADP resynthetisiert. Das in der Muskulatur gespeicherte ATP beläuft sich auf etwa 12,2 Gramm pro Kilogramm Trockengewicht des Muskels und reicht bei intensiver Muskelarbeit nur für ein bis zwei Sekunden. Um das verbrauchte ATP sofort zu resynthetisieren, nutzt der Körper das Kreatinphosphat. Dieses liefert das Phosphat, damit aus dem Adenosindiphosphat wieder ATP für die weitere Muskelarbeit gebildet werden kann. Für diese Prozesse ist neben dem Kreatin auch das Enzym Kreatinkinase erforderlich. Somit ist das Kreatinphosphat der entscheidende Phosphatlieferant für die ATP-Bildung bei allen Muskelkontraktionen mit einer Dauer von etwa zwei bis sieben Sekunden, je nach Intensität der Beanspruchung. Je höher der Gehalt an Kreatinphosphat in der Muskulatur ist, desto mehr intensive Kontraktionen sind möglich, bevor die anaerobe Glykolyse (ATP-liefernder Teilabbau von Kohlenhydraten) zum Tragen kommt.
Zeitablauf der Energiebereitstellung
Abb. 6: Energiebereitstellung bei muskulärer Beanspruchung
Das Kreatinphosphat in der Muskulatur wirkt dabei gleich auf zwei unterschiedliche Arten leistungsfördernd, da es nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Puffer für anfallendes Laktat dient.
Neben seiner Bedeutung als sofort verfügbare Energiequelle, dient Kreatin als Energietransportsystem zwischen den Mitochondrien, den sog. Kraftwerken der Zelle, und den Orten im Körper, an denen Energie verbraucht wird. Durch diese zweite Funktion sind die Kreatinressourcen im Körper nicht nur für intensive oder schnelle Muskelkontraktionen von Bedeutung, sondern auch für die Ausdauer und die Regeneration nach körperlicher Anstrengung [1].
Im Körper eines 70 Kilogramm schweren Mannes finden sich etwa 120 bis 140 Gramm Kreatin, wobei der genaue Wert von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfällt und um mehrere Gramm vom o. g. Wert abweichen kann. Da sich das Kreatin u.a. im Gehirn, im Herzmuskel, in den Organen, aber zu insgesamt rund 95 Prozent in der Skelettmuskulatur befindet, hängt die Menge des Gesamtkreatins im Körper direkt von der Muskelmasse bzw. der gesamten fettfreien Masse ab.
Geschlechtsspezifische Aspekte
Bezüglich des täglichen Kreatinbedarfs wird in der Regel nicht zwischen Männern und Frauen differenziert. Auch wenn es einige geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich des Kreatin-Stoffwechsels gibt, fallen diese bei der Berechnung des Gesamtbedarfs nach derzeitigem Foschungsstand nur unwesentlich ins Gewicht. Warum das so ist, erläutert der Beitrag einer Forschergruppe vom Hudson Institut für medizinische Forschung in Melbourne, Australien aus dem Jahr 2016. Darin heißt es: „Eine Auswertung der Literatur insgesamt legt eindeutig nahe, dass Männer und Frauen Kreatin auf eine geschlechtsspezifische Weise speichern, verstoffwechseln und verbrauchen“ [6]. Eine Auflistung der bislang gefundenen Durchschnittswerte macht auch deutlich, dass diese Unterschiede letzlich kaum von Bedeutung sind:
Tab. 1: Zusammenfassung der bislang gefundenen Unterschiede im Kreatinstoffwechsel
von Männern und Frauen nach Angaben von Ellery et al. (2016),
jeweils umgerechnet in Gramm [6].
erwachsener Mann | erwachsene Frau | |
körpereigene Kreatinsynthese | 0,49 bis 1,0 Gramm/Tag | 0,34 bis 0,81 Gramm/Tag |
Serumkreatinin | 4,6 Milligramm/Liter | 5,7 Milligramm/Liter |
Kreatininausscheidung | 1,0 Gramm/Tag | 0,75 Gramm/Tag |
Fleischkonsum (Ø) | 146 Gramm/Tag | 107 Gramm/Tag |
Kreatinaufnahme über Nahrung (Ø) | 1,0 Gramm/Tag | 0,66 Gramm/Tag |
Skelettmuskelmasse (Ø) | 33 Kilogramm | 21 Kilogramm |
Muskelkreatingehalt (M. Vastus lateralis) |
17,3 Gramm | 19.0 Gramm |
Auf den ersten Blick erscheinen die in der Tabelle aufgeführten Unterschiede bezüglich des Kreatinstoffwechsels bei Männern und Frauen bedeutender als sie es tatsächlich sind. Bezieht man diese Unterschiede nämlich auf das jeweilge (Muskel-)Gewicht der betreffenden Person, nähern sich die Werte sehr stark an. Das wird z. B. daran deutlich, dass Frauen zwar durchschnittlich weniger Kreatin zu sich nehmen und ihr Körper etwas weniger Kreatin produziert als der von Männern, gleichzeitig aufgrund des geringern Muskelgewichts aber auch der Bedarf geringer ist. Die übliche Vorgehensweise, den Kreatinbedarf einer Person anhand ihres Gewichts und ihrer Trainings- und Ernährungsgewohnheiten zu berechnen, eignet sich somit für beide Geschlechter gleichermaßen.
Bedeutung der Muskelfaserzusammensetzung
Deutliche Unterschiede bestehen in Bezug auf die Muskelfaserzusammensetzung, die von Person zu Person variiert. Die jeweiligen Anteile verschiedener Muskelfasertypen eines Menschen sind von erheblicher Bedeutung für den Gesamtkreatingehalt im Körper. Muskelfasern vom Typ II, das sind die schnellen weißen Fasern, die überwiegend glykolytisch (anaerob) arbeiten, haben einen höheren Kreatingehalt als die langsameren „Ausdauer“-Fasern vom Typ I. Somit haben Menschen mit einem hohen Anteil an weißen Typ II-Fasern in der Regel auch einen höheren Kreatingehalt im Körper als Personen mit einem hohen Anteil an Typ I-Ausdauerfasern.
Abb. 7: Kreatinphosphat in Mikromol pro Kilogramm Muskel-Trockengewebe
im Ruhezustand, modifiziert nach Sant'Ana et al. (1996) [7]
Umgerechnet entsprechen diese Werte einem Kreatingehalt von 8,7 Milligramm pro Kilogramm Muskelgewicht in Typ I-Fasern und 9,5 Milligramm in Typ II-Fasern. Ein erwachsener Mann mit einem Körpergewicht von 70 Kilogramm kommt so auf einen Ganzkörperkreatingehalt von durchschnittlich ca. 120 Gramm. Davon entfallen etwa ein Drittel auf Kreatin und zwei Drittel auf Kreatinphosphat. Dieses Kreatinphosphat ist als muskuläre Speicherform des Kreatins aus gesundheitlicher wie aus sportlicher Sicht hoch interessant.
Der körpereigene Kreatinkreislauf
Der Körper synthetisiert nicht nur jeden Tag neues Kreatin, er baut es auch jeden Tag wieder ab. Bei dieser chemischen Gleichgewichtsreaktion wird das Kreatin zu Kreatinin abgebaut, welches dann über die Nieren mit dem Harn ausgeschieden wird. Auf diese Weise werden täglich etwa 1,5 bis 2 Prozent des Gesamtkreatins abgebaut und ausgeschieden, was je nach Größe des körpereigenen Kreatinspeichers rund 1,5 bis 3 Gramm entspricht [1]. Für Sportler lohnt es sich, etwas genauer hinter diese Durchschnittswerte zu schauen. So zeigt sich nämlich, dass der Durchschnittswert von 1,7 Prozent täglichem Kreatinabbau zu einem deutlich größeren Anteil aus Kreatinphosphat, also im Muskel gespeichertem Kreatin, besteht. Ersten Untersuchungen zufolge baut der Körper nämlich pro Tag nur etwa 1,1 Prozent des im übrigen Körper befindlichen Kreatins ab, während der Abbau an Muskelkreatin mit 2,6 Prozent Abbau pro Tag mehr als doppelt so hoch ausfällt [8].
Da dieser Prozess nahezu konstant abläuft und sich rund 95 Prozent des Kreatins im menschlichen Körper in der Muskulatur befinden, kann die Bestimmung der Kreatinin-Ausscheidung über den Urin innerhalb von 24 Stunden in der Medizin sogar dazu genutzt werden, die Gesamtmuskelmasse eines Patienten abzuschätzen [9].
In einer aufwendigen Studie aus dem Jahr 2006 gelang es mittels Magnet-Resonanz-Spektroskopie (MRS) die tägliche Umwandlungsrate von Kreatin zu Kreatinin genau zu bestimmen, wobei sich der Durchschnittswert für den täglichen Kreatinabbau von 1,7 Prozent bestätigte [10]. Zehn Jahre später kam eine aktualisierte Studie zu dem exakt gleichen Ergebnis [11].
Abb. 8: Abbau von Kreatin zu Kreatinin in der Niere
In der Bilanz stellt der Körper pro Tag somit etwa 1 bis 2 Gramm Kreatin aus Aminosäuren her, scheidet aber rund 1,5 bis 3 Gramm aus. Somit entsteht ein täglicher Kreatinbedarf in der Größenordnung zwischen 0,5 und 2 Gramm, der über die Nahrungszufuhr gedeckt werden muss, um den Kreatinpool zumindest auf dem Ausgangsniveau zu halten. Die genauen Werte variieren von Person zu Person, da sie direkt von der Gesamtmuskelmasse sowie der Menge des in der Muskulatur vorhandenen Kreatinphosphats abhängen. Wie im Folgenden noch ausführlich gezeigt wird, ist es für verschiedene Personengruppen – gerade auch für Sportler – von Vorteil, den Kreatinspeicher des Körpers nicht nur gleich zu halten, sondern zu vergrößern.
Wenn eine Erhöhung des muskulären Kreatinphosphats angestrebt wird, muss die Kreatinzufuhr geringfügig über der Ausscheidung liegen. Somit entsteht in Abhängigkeit von der Muskelmasse und der Muskelfaserzusammensetzung ein Bedarf in einer der Größenordnung von 2 bis 4 Gramm pro Tag.
Warum größere Mengen nur in ganz speziellen Ausnahmen zu empfehlen sind, in aller Regel aber weder notwendig noch sinnvoll sind, wird im Folgenden noch ausführlich erläutert.
Abb. 9: Täglicher Bedarf an Kreatin zur Vergrößerung der Kreatinphosphatspeicher
Als Faustregel kann somit festgehalten werden, dass 3 Gramm pro Tag erforderlich sind, um den täglichen Verlust nicht nur zu ersetzen, sondern auch zusätzliches Kreatinphosphat in der Muskulatur anzureichern. Bei Personen mit geringerer Muskelmasse und mehr langsamzuckenden Fasern dürften hierfür bereits 2 Gramm Kreatin pro Tag ausreichen. Athleten mit einer großen Muskelmasse und einem höheren Anteil an schnellen Typ II-Fasern hingegen sollten sich eher am oberen Ende der Bedarfsskala orientieren und 4 Gramm veranschlagen.
Dass sich eine erhöhte Kreatinaufnahme günstig auf die sportliche Leistungsfähigkeit – insbesondere den Muskelaufbau sowie Kraft- und Schnellkraftleistungen – auswirkt, haben Sportler seit dem Altertum festgestellt, ohne die Hintergründe zu kennen. So erklärt es sich, dass dem Verzehr von Fleisch bereits in der Antike eine kräftigende Wirkung zugeschrieben wurde. Dies lässt sich auch an der Geschichte der im 19. Jahrhundert aufkommenden Bodybuilding- und Gesundheitsbewegung ablesen. Aufgrund der starken Bedeutung des Gesundheitsaspekts lag dabei ein Schwerpunkt auf natürlicher, vollwertiger und überwiegend pflanzlicher Nahrung. Nicht wenige Sportler empfahlen sogar eine rein vegetarische Ernährungsweise. Entgegen diesem Trend zum Vegetarismus, der ursprünglich auch unter den ersten modernen Bodybuildern verbreitet war, erschien 1948 ein Beitrag in der Kraftsportzeitschrift Ironman mit dem Titel „Diet of the Strongman“. Darin wurde eine vollwertige, vitaminreiche und naturbelassene Ernährungsweise propagiert, die wegen der stärkenden Wirkung aber auch Fleisch umfassen solle [12]. Erst später wurde den Bodybuildern und Kraftsportlern klar, dass es nicht das Fleisch selbst war, von dem diese Wirkung ausging, sondern vor allem das darin enthaltene Kreatin [13].
Kreatin ist eine natürliche Substanz, die im menschlichen Körper in mehreren Schritten aus drei Aminosäuren gebildet wird. Für die verschiedenen Schritte der Kreatinbildung sind außerdem bestimmte Vitamine und weitere Aminosäuren erforderlich. Auf diese Weise produziert der Körper rund die Hälfte des täglichen Kreatinbedarfs. Der Rest muss über die Nahrung zugeführt werden, wobei Fleisch (einschließlich Fisch, Geflügel etc.) die reichhaltigste Quelle darstellt. Veganer und Vegetarier weisen deutlich geringere Kreatinspiegel auf. Kreatin findet sich in fast allen Körperzellen und ist in seiner Speicherform (Kreatinphosphat) eine wichtige Energiequelle für die Zellen des Körpers wie Herz-, Nerven, Netzhaut-, Gehirn- und weitere Zellen, vor allem Muskelzellen. 95 % des gesamten Kreatinphosphats befindet sich in den Muskeln. Bezogen auf die Körpermasse haben Frauen und Männer etwa den gleichen Kreatingehalt im Körper. Der Gesamtkreatingehalt im Körper eines erwachsenen, nicht sportlich aktiven Mannes wird auf rund 120 Gramm beziffert.
Entdecker und Namensgeber der Substanz, die wir heute Kreatin nennen, war der französische Chemiker Michel Eugène Chevreul (1786–1889). Als Wissenschaftler und Forscher genoss Chevreul derart großes Ansehen, dass sein Name, zusammen mit 71 weiteren Persönlichkeiten, als Inschrift an der Fassade des Eifelturms verewigt wurde. Chevreul stieß bei seinen Forschungsarbeiten auf zahlreiche interessante Stoffe und Zusammenhänge. Bekannt sind vor allem seine Entdeckungen und Kategorisierungen verschiedener Fette. Die Bezeichnungen Margarine, Glycerin, Lanolin und Cholesterin stammen ebenso von Chevreul wie die Entdeckung, dass es feste und flüssige Formen von Fetten gibt. Seine Forschungen zur Fettchemie hatten dabei einen angenehmen kommerziellen Nebeneffekt: Auf der Basis der von ihm entdeckten Stearinsäure entwickelte Chevreul Kerzen, die nicht tropften, weniger Ruß entwickelten als die damals gebräuchlichen Talgkerzen und zudem keinerlei giftige Gase produzierten. Dies machte sie ideal für den Gebrauch in Wohnräumen. Chevreul erwarb ein entsprechendes Patent und gründete zusammen mit einem Partner eine Kerzenfirma. Ein kommerzieller Erfolg wurden die Kerzen zwar erst zu einem Zeitpunkt, als Chevreul die Firma und sein Patent bereits verkauft hatte, Chevreuls Beitrag wurde aber später noch auf andere Weise gewürdigt. Aufgrund ihrer günstigen Eigenschaften wurden die Stearinkerzen zu einer wichtigen Licht- und Wärmequelle bei Polarexpeditionen, was Chevreul die Ehre einbrachte, dass eine Reihe von Kliffs in der Antarktis nach ihm benannt wurden. Chevreul war bis kurz vor seinem Tod ein unermüdlicher Forscher und Entdecker. Erst 1889 beschloss Chervreul, aus Altersgründen nicht mehr an den Tagungen der französischen Akademie der Wissenschaften teilzunehmen und keine Fachartikel mehr zu publizieren. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits 102 Jahre altund verstarb kurze Zeit später.
Abb. 10: Kreatin-Entdecker Michel Eugène Chevreul
Bei seinen Forschungen zum Fett entdeckte Chevreul im Jahr 1832 jenen aus Fleisch isolierbaren Stoff, um den es hier geht. Nach dem griechischen Wort für Fleisch („kreas“) nannte Chevreul diese Substanz „Kreatin“.
1847 identifizierte der Gießener Chemie-Professor Justus von Liebig (1803– 1873) das von Chevreul entdeckte Kreatin chemisch als Methyl-Guadinio-Essigsäure. Liebig beschrieb diese Verbindung als „Bestandteil der Flüssigkeiten des Fleisches“ und publizierte im gleichen Jahr einen Aufsatz, in dem er nicht nur das Kreatin vorstellte, sondern auch dessen Abbauprodukt Kreatinin [14]. Liebig fand bei seinen Forschungen auch heraus, dass das Muskelfleisch wildlebender Tiere einen höheren Kreatingehalt aufweist als das von Nutztieren in Gefangenschaft. Daraus schloss Liebig, dass körperliche Aktivität den Kreatinstoffwechsel in der Muskulatur günstig beeinflusst.
Justus von Liebig war es auch, der eines der weltweit ersten Nahrungskonzentrate herstellte. Zwischen 1847 und 1852 arbeitete er an Methoden zur Herstellung eines Fleischextrakts. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in Europa erstmals zu Cholera-Epidemien. Bei dieser durch Bakterien ausgelösten Krankheit droht den Erkrankten aufgrund extremen Flüssigkeitsverlusts der Tod durch Austrocknung. Als 1853 die Tochter eines Freundes an Cholera erkrankte und keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen konnte, verabreichte Justus von Liebig ihr den Fleischextrakt. Bereits nach wenigen Tagen setzte eine merkliche Kräftigung ein und die Patientin wurde wieder völlig gesund. Daraufhin veröffentlichte Liebig das Rezept des von ihm entwickelten Konzentrats in der Zeitschrift Annalen der Chemie unter dem Titel „Eine neue Fleischbrühe für Kranke“. Liebig ging davon aus, dass seine Brühe noch zahlreiche wichtige Bestandteile des Fleisches enthielt und deshalb ernährungsphysiologisch ähnlich wertvoll sei wie das Fleisch selbst. Liebig erkannte, dass beim Einkochen des Fleisches ein brauner Sirup entsteht, in dem sich weiße Kreatinkristalle abzeichnen. Offensichtlich blieb das Kreatin bei der Herstellung seiner Fleischbrühe erhalten. In einem weiteren Arbeitsschritt gelang es ihm schließlich, aus seinem Fleischkonzentrat ein trockenes Pulver herzustellen.
Abb. 11: Justus von Liebig
Justus von Liebig sah den Nutzen seines Extraktes nicht nur auf den medizinischen Einsatz beschränkt. So regte er in seinen Veröffentlichungen an, die Inhaltsstoffe des Fleisches – darunter natürlich auch das Kreatin – durch den Extrakt auch jenen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, die sich kein Fleisch leisten konnten. Der Umsetzung dieses guten Gedankens standen jedoch zwei Probleme im Weg: Zum einen war die Herstellung des Extraktes unter Einbeziehung aller Kosten ähnlich teuer wie das Fleisch selbst. Zum anderen gab es Kritik an Liebigs Definition des Fleischextraktes als Nahrungsmittel. Zeitgenössische Kollegen wandten ein, es handele sich dabei nicht um ein Nahrungsmittel, sondern um ein Genussmittel. Liebig empfand dies als qualitative Abwertung seines Konzentrats und war wenig begeistert.
Dennoch wurde „Liebigs Fleischbrühe“ als gewissermaßen erstes Kreatinsupplement der Geschichte ein weltweiter Erfolg. Dies ist vor allem auf zwei Ursachen zurückzuführen. Der Leibarzt des damaligen bayerischen Königs kannte Liebigs Arbeiten und war vom gesundheitlichen Nutzen des Fleischextraktes so überzeugt, dass er ihn nach Liebigs Rezept für den König herstellen ließ [15].
Zum anderen wurden August Hoffmann und Georg Giebert, zwei deutsche Auswanderer, die sich in Südamerika niedergelassen hatten, auf Liebigs Extrakt aufmerksam und entdeckten darin eine Lösung für ein bei ihnen vorliegendes Problem: Das Fleisch der riesigen Viehbestände in Südamerika konnte aufgrund der Hitze und fehlender Kühlungsmöglichkeiten nicht als Nahrungsmittel für die Bevölkerung erschlossen werden. Die Tiere wurden zwar erlegt, dann aber nur ihre Fettschicht, das Fell und die Knochen verwertet. Das Fleisch verdarb innerhalb kürzester Zeit aufgrund der klimatischen Bedingungen. Hoffman und Giebert erwarben daraufhin von Liebig das Einverständnis, nach seiner Rezeptur und Zubereitungsmethode den Fleischextrakt herzustellen. Von Liebig stellte einige Bedingungen, die in erster Linie die Qualität des Endprodukts sicherstellen sollten [16]. Dazu gehörte z. B., dass nur hochwertiges Muskelfleisch ohne Fett, Sehnen und Bindegewebe verwendet werden durfte. Auf diese Weise wurde ein sehr hoher Kreatinanteil des Konzentrates sichergestellt, da sich das Kreatin nur im Muskelfleisch in hoher Konzentration findet, während die anderen Bestandteile des Fleisches nur Spuren davon aufweisen.
Da Hoffmann und Giebert diese Bedingungen akzeptierten, willigte von Liebig ein, dass der von den deutschen Auswanderern produzierte Extrakt seinen Namen tragen dürfe, zunächst noch unter der lateinischen Bezeichnung Extractum Carnis Liebig. Durch das Überangebot an Fleisch in Südamerika war die Herstellung des Extraktes dort vergleichsweise kostengünstig. Ein weiterer Vorteil war die lange Haltbarkeit des Konzentrats sowie der Umstand, dass es im Gegensatz zu Frischfleisch keiner Kühlung bedurfte und dadurch von Südamerika aus weltweit vertrieben werden konnte. So ließ sich von Liebigs ursprünglicher Plan, durch die Fleischbrühe die wertvollen Inhaltsstoffe des Fleisches auch der weniger wohlhabenden Bevölkerung zugänglich zu machen, doch noch umsetzen.
Auch wenn reine Kreatinkonzentrate erst seit den 1990er Jahren verfügbar sind, gab es dank von Liebigs Extractum Carnis bereits ab 1863 eine weltweit verfügbare und erschwingliche Quelle für konzentriertes Kreatin. Da nur reines Muskelfleisch ohne Fett und Bindegewebe für die Herstellung der Fleischbrühe verwendet wurde, enthielt sie pro Gramm etwa doppelt so viel Kreatin wie eine vergleichbare Menge Fleisch [17].
Erste Studie zur Kreatinsupplementierung
Bereits im frühen 20. Jahrhundert kam es zu ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Kreatin-Supplementierung. Nachdem im Jahr 1914 eine Methode zur Bestimmung von Kreatin und Kreatinin im Urin publiziert worden war [18], entschlossen sich elf Jahre später zwei amerikanische Forscher zu einem Selbstversuch. Prof. Alfred Chanutin von der medizinischen Fakultät der Universität Virginia und sein Assistent Dr. Loren Guy führten 1925 die erste dokumentierte Studie zur gezielten Supplementierung mit Kreatin beim Menschen durch. Vor Beginn der Supplementierung reduzierten die beiden Forscher ihre Kreatinaufnahme über die Nahrung, indem sie sich sechs bzw. acht Wochen lang rein vegetarisch ernährten. Anschließend konsumierten beide – Chanutin 20 Tage und Guy 35 Tage lang – Lösungen konzentrierten Kreatinpulvers in aufsteigender Dosierung. Die Gesamtaufnahme an Kreatin über diesen Zeitraum betrug 250 Gramm bei Chanutin und 340 Gramm bei Guy. Während des gesamten Zeitraums der Supplementierung wurden der Kreatin- und der Kreatiningehalt des Urins analysiert. Chanutin und Guy publizierten die Ergebnisse ihres Selbstversuchs im Jahr 1926 im Journal of Biological Chemistry [19]. Mit ihrem Selbstversuch wiesen die Autoren nach, dass Kreatin und Kreatinin in in einer Beziehung zueinander stehen und keine voneinander unabhängigen Substanzen sind. Ihre Studie beleuchtete weitere bedeutende Zusammenhänge, die heute noch von Bedeutung sind. So bezifferten sie das Gesamtvorkommen an Kreatin im Körper eines 70 Kilogramm schweren Erwachsenen auf rund 115 Gramm – ein Wert, den moderne Studien in etwa bestätigten. Außerdem kamen Chanutin und Guy zu dem Schluss, dass sich die Speichermenge an Kreatin durch Supplementierung um 33 bis 50 Prozent vergrößern lässt.
Weitere Ergebnisse von Chanutin und Guy, die bis heute nichts an Relevanz eingebüßt haben:
Ein Aspekt, der aus sportlicher Sicht sehr interessant ist, wurde von Chanutin und Guy offenbar bereits erkannt, aber nicht weiter thematisiert: der Zusammenhang zwischen Kreatinsupplementierung und körperlicher Aktivität. Zu Beginn ihrer Ausführungen schreiben die Autoren:
„Während des Experiments war tägliches Training Teil des Tagesablaufs. Die Art des durchgeführten Trainings war nicht strapaziös und variierte von Tag zu Tag.“ Der ausdrückliche Hinweis auf ihr Training deutet darauf hin, dass die beiden Autoren einen erwähnenswerten Zusammenhang zwischen Kreatinsupplementierung und körperlicher Aktivität vermuteten oder am eigenen Körper spürten, auch wenn sie diesem Aspekt nicht weiter nachgingen.
Neben ihren Erkenntnissen zur Aufnahme, Konzentration und Ausscheidung überschüssiger Mengen an Kreatin zeigten Chanutin und Guy mit dem Hinweis auf ihr tägliches Training, wie weit sie ihrer Zeit im Hinblick auf die Erforschung von Kreatin als möglichem Nahrungskonzentrat voraus waren. Inspiriert durch die Studie von Chanutin und Guy erschien 1930 ein Artikel in der Biochemischen Zeitschrift, in dem vermutet wird, dass Kreatin eine entscheidende Komponente bei Muskelkontraktionen ist [20].
Es kann nicht überraschen, dass Chanutin und Guy zu angesehenen und bekannten Wissenschaftlern wurden. Ihr herausragender Beitrag zur Erforschung des Kreatins wird dabei allerdings bis heute kaum gewürdigt und meist sogar völlig übersehen. Im Fokus stehen bei beiden ganz andere Verdienste: Prof. Alfred Chanutin wurde bekannt für seine Forschungen über rote Blutkörperchen sowie zur Bedeutung arteriellen Bluthochdrucks bei bestimmten Herzerkrankungen. Dr. Loren Guy wurde Augenarzt in New York und erhielt mehrere Auszeichnungen für erfolgreiche Behandlungen von Kindern, deren Erblindung abgewendet werden konnte.
Dass Chanutin und Guy mit ihrer Kreatinforschung auf weniger Interesse stießen als mit ihren anderen Arbeiten, könnte damit zusammenhängen, dass die Bedeutung des Kreatins für den Körper damals noch nicht erkannt wurde. Obwohl bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung von Chanutins Beitrag das Phosphokreatin als im Muskel gespeicherte Form des Kreatins entdeckt wurde, dauerte es noch mehrere Jahrzehnte bis die Wissenschaft sich wieder eingehender mit dem Thema Kreatin befassen sollte. Erst in den 1960er bis 1980er Jahren gab es dann wieder einzelne Forschungsarbeiten, die aufzeigten, wie wichtig Kreatin für den Organismus ist. Erste Überlegungen gingen nun in die Richtung, dass insbesondere unter leistungsphysiologischen Aspekten Kreatin in seiner Speicherform als energiereiches Phosphat von großer Bedeutung sein könnte. Zu diesen Erkenntnissen gehörte u. a., dass ...
Das Jahr 1992 und die erste Kreatinstudie der „Neuzeit“
Im Jahr 1992 erschien eine Studie, die auf Umwegen das Interesse an Kreatin, insbesondere unter Sportlern, förmlich explodieren ließ. Diese Studie leitete praktisch ein neues Zeitalter der Kreatinforschung ein. Ein Team von Forschern um Prof. Eric Hultman, vom Karolinska Institut in Stockholm befasste sich seit den 1970er Jahren mit der Bedeutung der Phosphate für den Muskelstoffwechsel. Ermöglicht wurden diese Forschungsarbeiten durch eine damals neu entwickelte Methode zur Entnahme von Muskelgewebe zu Untersuchungszwecken. Auf diese Weise konnte neben dem Glykogengehalt, mit dem sich die Forscher zunächst beschäftigten, auch der Kreatingehalt der Muskulatur unter verschiedenen Bedingungen analysiert werden.
1992 publizierte Professor Hultman mit seinen Kollegen Harris und Söderlund die genannte Studie. Darin wurde 17 Probanden Kreatin als Supplement verabreicht, um zu überprüfen, ob das zusätzlich zur Nahrung eingenommene Kreatin
Wie die Daten zeigten, bestätigten sich beide Annahmen. Damit lag auf der Hand, dass die auf diese Weise erhöhte Konzentration an Kreatin im Muskel positive Auswirkungen auf die sportliche Leistungsfähigkeit wahrscheinlich macht.
Vielleicht wäre diese Studie in Sportlerkreisen ebenso wenig beachtet worden wie frühere Studien, die bereits ähnliche Zusammenhänge angedeutet hatten. Doch es gab eine Aussage, mit der sich die Autoren in ihrem Fazit auf eine Studie aus dem Jahr 1981 beziehen [25]. Darin hatten Sypilä und Kollegen mehreren Patienten mit der Augenkrankheit Atrophia gyrata – einer Degeneration der Netz- und Aderhaut – ein Kreatinsupplement verabreicht und dabei erstaunliche Effekte festgestellt, die mit der Therapie der Augenkrankheit eigentlich gar nichts zu tun haben. Und genau auf diesen Nebeneffekt gehen Hultman, Harris und Söderlund noch einmal ein und erwähnen erstmals konkrete Auswirkungen von Kreatin auf die muskuläre Leistungsfähigkeit:
„Wir glauben, dass die gegenwärtigen Resultate für diejenigen von Interesse sein werden, die mit sportlicher Leistungsfähigkeit befasst sind, insbesondere falls sich herausstellt, dass eine Erhöhung des Gesamtkreatins zu einer Verbesserung des Leistungsvermögens führt. Bemerkenswerterweise haben Sypilä et al. in ihrer Studie mit Patienten mit Atrophia gyrata, die mit täglich 1,5 Gramm Kreatin als Supplement behandelt wurden, vom Eindruck zunehmender Körperkraft berichtet sowie davon, dass ein Studienteilnehmer, ein Sprinter, seine bisherige persönliche Bestzeit über 100 Meter verbessern konnte“ [26].
Wissenschaftliche Fachpublikationen wie diese erregen üblicherweise kaum öffentliches Interesse, insbesondere, wenn die Quintessenz sich auf ein Ergebnis bezieht, das schon gut zehn Jahre zuvor veröffentlicht und kaum wahrgenommen wurde. Doch diesmal kam alles anders. Der zitierte Absatz, versteckt auf der letzten Seite einer wissenschaftlichen Fachpublikation, war die Initialzündung für eine bahnbrechende Veränderung innerhalb der Sporternährung und ihrer Vermarktung.
Der Artikel von Harris, Söderlund und Hultman wurde Anfang 1992 in der in Großbritannien herausgegebenen Fachzeitschrift Clinical Science publiziert. Üblicherweise fanden solche wissenschaftlichen Fachpublikationen damals in Sportlerkreisen ebenso wenig Beachtung wie schon die Studie von Sypiläs Arbeitsgruppe im New England Journal of Medicine elf Jahre zuvor. Doch dieser Artikel beeinflusste sogar den Verlauf der Olympischen Spiele.
Der Durchbruch von Kreatin als leistungssteigernde Substanz
Offensichtlich wurde der britische Leichtathletikverband auf diese Studien aufmerksam. Ganz besonders interessiert war man an der zitierten Aussage „dass ein Studienteilnehmer, ein Sprinter, seine bisherige persönliche Bestzeit über 100 Meter verbessern konnte“. Offensichtlich setzten die Sprinttrainer des britischen Leichtathletikverbandes die frisch gewonnene Erkenntnis sofort in die Praxis um: Die Sprinter des britischen Olympiakaders, die sich gerade in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele von Barcelona befanden, begannen daraufhin sofort mit der Einnahme von Kreatin.
Der britische Sprinter Linford Christie, der vier Jahre zuvor bei den Olympischen Spielen von Seoul als Dritter ins Ziel gekommen war und dabei mit 9,97 Sekunden einen neuen Europarekord über die 100 Meter aufgestellt hatte, trat 1992 erneut an. Viele Fachleute hielten den mittlerweile 32-Jährigen aber für zu alt, um noch mit der deutlich jüngeren Konkurrenz der Weltelite mithalten zu können.
Umso größer war die Sensation, als Linford Christie nicht nur die Goldmedaille im 100-Meter-Lauf gewann, sondern dabei auch noch seinen eigenen Europarekord verbesserte.
Im Jahr darauf wurde Christie Weltmeister über die 100 Meter und ein weiteres Jahr später gewann er erneut Gold bei den Europameisterschaften in Helsinki. Damit wurde Linford Christie der erste Athlet in der Geschichte der Leichtathletik, der gleichzeitig alle wichtigen internationalen Titel über 100 Meter hielt (Sieger der Commonwealth Games, Europameister, Weltmeister und Olympiasieger).
Spätestens jetzt, nach diesem Rekord, rechnete die Fachwelt mit dem Rücktritt des „alten Mannes“ vom Leistungssport, doch Christie hatte da bereits die Olympischen Spiele von 1996 in Atlanta im Auge. Und tatsächlich gelang es Linford Christie, den die Fachpresse 1992 schon für zu alt gehalten hatte, vier Jahre nach seinem Olympiasieg erneut, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren und 1996 in Atlanta noch einmal anzutreten. Zwar wurde Christie, der für seine blitzartigen Starts bekannt war, nach zwei Frühstarts disqualifiziert und konnte seinen Triumph somit nicht wiederholen. Dennoch galt allein schon seine erneute Olympia-Qualifikation als bisher nicht dagewesene Sensation für einen 100-Meter-Läufer. Zu diesem Zeitpunkt war Christie fast 37 Jahre alt und bereits Großvater.
The Times