
Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Bürgerstiftungen und die Globalisierung philanthropischen Engagements
I Zielsetzung, Visionen und Werte: Neue Rollen von Bürgerstiftungen in der ...
Von lokalen Institutionen zu transnationalen Akteuren: Zur Verbreitung und ...
Was ist eine Bürgerstiftung?
Bürgerstiftungen als »Glokalisierung« philanthropischen Engagements
Historische Ursprünge und frühe Entwicklung in den Vereinigten Staaten und Kanada
Wachstum und weltweite Verbreitung zur Jahrtausendwende
Von lokalen Einrichtungen zu transnationalen Akteuren
Fazit
Literatur
Quellen im Internet
Katalysatoren einer Kultur zivilgesellschaftlichen Engagements: Die neuen ...
1990 bis 2000: Der Stifter als Kunde
2000 und danach: Die Bürgerstiftung in einer Führungsrolle
Das 21. Jahrhundert: Auf dem Weg in die globale Zivilgesellschaft
Fazit
Literatur
Der Mythos der Neutralität von Bürgerstiftungen und ein Plädoyer für Social Justice
Sozialer Wandel in einer marktorientierten Wirtschaft
Der Mythos der Neutralität von Bürgerstiftungen
Definition von Social Justice
Fazit
Literatur
II Der Aufbau von finanziellem und sozialem Kapital: Die Arbeit von Bürgerstiftungen
Spielregeln für den Vermögensaufbau und Partnerschaften mit Stiftern
Welche Stifter wollen wir gewinnen?
Arbeit mit professionellen Beratern
Anerkennungskultur für Stifter
Berichterstattung an Stifter
Was wir feiern
Integration
Literatur
Quellen im Internet
Das Kapital einer Bürgerstiftung: Geld, Wissen und Beziehungen
Was bedeutet der Begriff Kapital?
Kapitale Erfolgsgeschichten
Kapital verstehen und maximieren
Wie lässt sich soziales und kulturelles Kapital aufbauen?
Fazit
Literatur
Quellen im Internet
III Community Leadership durch Bürgerstiftungen: Grundlagen, Ziele und Strategien
Bürgerstiftungen und Community Leadership: Mehr als nur Geld
Woher kommt das neue Interesse an Community Leadership?
Das Leadership-Potenzial einer Bürgerstiftung
Community Leadership-Rollen von Bürgerstiftungen
Voraussetzungen für die Übernahme einer Community Leadership-Rolle
Community Leadership-Strategien
Literatur
»Kalkulierte« Risiken für den Frieden: Die Erfahrungen einer Bürgerstiftung in ...
Eine Bürgerstiftung in einer gespaltenen Gesellschaft
»Frieden« vermitteln: Die europäische Dimension
Friedensstiftung und -konsolidierung: Die Ablehnung der Friedenstauben
Neue Wege der Friedensstiftung und -konsolidierung
Wohin führt der Weg?
Literatur
Quellen im Internet
Management für die Zukunft: Bürgerstiftungen in den kommenden hundert Jahren
Wo stehen wir heute?
Was wird die Zukunft bringen?
Vom Heute zum Morgen
Bürgerstiftungen im 21. Jahrhundert
Eichen für die Zukunft
Literatur
Die Autorinnen und Autoren
In Erinnerung an
Joe Breiteneicher
und
Ray Murphy
Bürgerstiftungen und die Globalisierung philanthropischen Engagements
Peter deCourcy Hero, Peter Walkenhorst
Lokale Ressourcen. Lokale Stakeholder. Lokale Lösungen. Diese Begriffe umreißen die wesentlichen Aspekte der Arbeit von Bürgerstiftungen. Durch ihren Fokus auf ein geografisch begrenztes Tätigkeitsgebiet und ihre im Wesentlichen lokal ausgerichtete Zielsetzung sind Bürgerstiftungen wirkungsvolle philanthropische Organisationen. In einer Zeit raschen gesellschaftlichen Wandels, der fast alle Bereiche des Lebens berührt, ist das Konzept des »Lokalen« jedoch immer mehr mit globalen Aspekten verknüpft. Bürgerstiftungen passen sich dieser Entwicklung an, indem sie sich zunehmend international engagieren. Ihre Zahl wächst, und mittlerweile ist diese Stiftungsform auf jedem bewohnten Erdteil zu finden (WINGS 2005: 3). Das Konzept der Bürgerstiftung wird in immer mehr Städten, Regionen und Metropolen in aller Welt genutzt, um sich der wandelnden Herausforderungen in den jeweiligen lokalen Gemeinwesen anzunehmen. Die Idee der Bürgerstiftung (Community Foundation) stammt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten. Inzwischen ist diese Stiftungsform weltweit verbreitet und bietet eine wirkungsvolle Struktur, um philanthropisches Engagement auf lokaler Ebene zu entwickeln.
Die globale Verbreitung von Bürgerstiftungen ist darauf zurückzuführen, dass ihre grundlegenden Ideale über nationale und kulturelle Grenzen hinweg anpassungsfähig sind. Die Idee einer auf lokale oder regionale Bedürfnisse ausgerichteten Stiftung, die durch Zuwendungen von Stiftern unterschiedlichster Art ein dauerhaftes Vermögen aufbaut, konnte in Ländern mit höchst unterschiedlichen kulturellen, gesellschaftlichen und rechtliche Rahmenbedingungen adaptiert werden. Genau diese Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ist ihre größte Stärke, und aus diesem Grund wird die anhaltende internationale Verbreitung von Bürgerstiftungen weitere Modifikationen des Konzepts mit sich bringen.
Ungeachtet der Unterschiede zwischen einzelnen Ländern stehen Bürgerstiftungen jedoch überall vor ähnlichen Herausforderungen und übernehmen vergleichbare Funktionen. Indem sie philanthropisches und soziales Kapital bilden, stärken sie den Zusammenhalt des Gemeinwesens, für das sie sich engagieren (Walkenhorst 2008). Obwohl Bürgerstiftungen nur einen kleinen Teil der gemeinnützigen Organisationen insgesamt ausmachen, ist ihre qualitative Bedeutung als Katalysatoren für die weitere Entwicklung philanthropischen Engagements erheblich. Sie sind unabhängig und flexibel und somit dazu prädestiniert, vielfältige gemeinnützige Aktivitäten auf lokaler Ebene zu fördern. Und indem ihnen Finanzmittel von vielen verschiedenen Stiftern1 zufließen, leisten sie zugleich einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung philanthropischen Engagements.
Obwohl sie lokal ausgerichtet sind, können Bürgerstiftungen eine Menge zu globalen Belangen beitragen. Denn viele der großen Herausforderungen unserer Zeit haben eine globale und eine lokale Dimension. Diese Probleme können folglich auf beiden Ebenen angegangen werden, je nachdem, welche Ressourcen und Kapazitäten vorhanden sind. Selbst kleine, aber strategisch eingesetzte Beträge können so zu weitreichenden und nachhaltigen Veränderungen führen. Angesichts der komplexen Natur vieler globaler Herausforderungen ist es jedoch wahrscheinlicher, dass sich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen eher durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure ergeben, die auf verschiedenen - lokalen bis globalen - Ebenen tätig sind.
Ihre Ressourcen, ihre Flexibilität und genaue Kenntnis des lokalen Gemeinwesens machen Bürgerstiftungen zu wichtigen Partnern von Stiftungen und anderen institutionellen Geldgebern, die national und/oder international tätig sind. Sie sind Katalysatoren für konkrete Aktivitäten vor Ort und bauen gleichzeitig Kontakte und Netzwerke mit anderen Bürgerstiftungen in verschiedenen Teilen der Welt auf. Der Maxime »global denken, lokal handeln« verleihen sie somit eine neue Bedeutung.
Historisch wurden Bürgerstiftungen durch den geografisch eingegrenzten Raum definiert, in dem sie tätig waren. Diese Ausrichtung verliert jedoch immer stärker an Gewicht in einer Ära, die von wachsendem internationalem Austausch und grenzüberschreitenden Aktivitäten gekennzeichnet ist. Moderne Kommunikationstechnologien und andere Globalisierungsprozesse sowie neue, auf Identitäten, Interessen und Erfahrungen basierende Formen von Gemeinschaft, die lokale und nationale Grenzen transzendieren, zwingen Bürgerstiftungen dazu, das lange als selbstverständlich vorausgesetzte Konzept des »lokalen Gemeinwesens« zu überdenken. Heute müssen sie sich in einem gesellschaftlichen Umfeld behaupten, in dem zahlreiche neue Akteure verschiedenster Art tätig sind.
»Auf dem Weg in die globale Zivilgesellschaft« untersucht die sich wandelnden Rollen von Bürgerstiftungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dieses Buch behandelt die gegenwärtigen und sich abzeichnenden Funktionen und Aufgaben von Bürgerstiftungen in internationaler Perspektive. Sein Ziel ist es, bestehende Praktiken kritisch zu überprüfen und neue Herausforderungen zu thematisieren. Der Band untersucht ferner die sich entfaltende transnationale Dimension der Tätigkeit von Bürgerstiftungen und ihr Potenzial, philanthropisches Engagement weiterzuentwickeln. Obwohl das Konzept der Bürgerstiftung gedeiht und sich immer weiter ausbreitet, ist diese Stiftungsform bislang kaum wissenschaftlich untersucht worden. In den vergangenen Jahren wurde verstärkt zur Zivilgesellschaft sowie zu Stiftungen und anderen gemeinnützigen Organisationen geforscht - Bürgerstiftungen fanden hingegen nur wenig Beachtung. Die spärlichen Veröffentlichungen konzentrieren sich zudem primär auf die Entwicklung in einzelnen Ländern. Ein wichtiges Ziel dieses Buches besteht darin, diese Forschungslücke zu schließen und eine Diskussion über die Herausforderungen und Chancen anzuregen, denen diese Stiftungen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts gegenübersehen.
Der vorliegende Band richtet sich auch an politische Entscheidungsträger und Wissenschaftler, ist jedoch vor allem für Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder von Bürgerstiftungen sowie anderer Stiftungen und gemeinnütziger Organisationen gedacht, die die Definition des »reflective practioner« erfüllen: Menschen, »die über das nachdenken, was sie tun, manchmal sogar, während sie es tun« (Schön 1983: 50). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben wir Beiträge von Praktikern der Bürgerstiftungsarbeit sowie von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern aufgenommen. Sie basieren auf der Beobachtung, dass Bürgerstiftungen immer wichtiger werden und damit auch Fragen der strategischen Ausrichtung und gesellschaftlichen Wirkung von Stiftungsarbeit.
Dieses Buch ist ein Produkt des Transatlantic Community Foundation Network (TCFN), das von der Bertelsmann Stiftung mit Unterstützung der Charles Stewart Mott Foundation gegründet wurde, um den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Bürgerstiftungen in Europa, Nordamerika und Mexiko zu unterstützen. Während seiner neunjährigen Tätigkeit hat sich das TCFN zu einer effektiven internationalen Lerngemeinschaft entwickelt, in der Praktiker aus Bürgerstiftungen ihre Erfahrungen und Ideen miteinander teilen und innovative Strategien für neue Herausforderungen erarbeiten (Martin, Haigwood und Pardini 2005). Die hier versammelten Beiträge sind ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Sie wurden zunächst in englischer Sprache unter dem Titel »Local Mission - Global Vision. Community Foundations in the 21st Century« veröffentlicht (Hero und Walkenhorst 2008) und liegen nun erstmals in deutscher Übersetzung vor.
Die Konzeption des Buches wurde während der »TCFN Academy« im kalifornischen Palo Alto diskutiert. Neunzehn Bürgerstiftungsexperten aus zehn Ländern kamen dort im Februar 2007 zusammen, und auf Grundlage ihrer Diskussionen und zusätzlicher Beratungen mit weiteren Experten wurden sämtliche Kapitel eigens für diesen Band in Auftrag gegeben. Das Hauptaugenmerk der Beiträge liegt daher auf der Entwicklung von Bürgerstiftungen in Nordamerika, Europa (einschließlich Russland) und Mexiko. Soweit möglich, wurden auch andere Erdteile berücksichtigt. Allerdings war es aufgrund der Vielschichtigkeit des Themas unvermeidlich, sich pragmatisch zu beschränken. Die Entscheidung, den Schwerpunkt auf die transatlantische Hemisphäre zu legen, spiegelt jedoch auch die Tatsache wider, dass diese Stiftungsform in den letzten beiden Jahrzehnten in dieser Region am stärksten gewachsen ist.
Alle Autorinnen und Autoren dieses Bandes sind überzeugt, dass sich Bürgerstiftungen - in Anlehnung an den Titel einer einflussreichen Studie zur Zukunft dieser Stiftungsform in den Vereinigten Staaten - »im Übergang zu neuen Chancen und Möglichkeiten« befinden (Bernholz, Fulton und Kasper 2005). Sie sind jedoch auch der Meinung, dass Bürgerstiftungen - um den an sie gerichteten Erwartungen gerecht werden zu können - ihre Ziele und Prioritäten, ihre Arbeitsweisen und Erfolgskriterien überdenken müssen. Die Beiträge dieses Buches sind ein erster Schritt in diese Richtung. Sie enthalten Gedanken zu den sich verändernden Rollen von Bürgerstiftungen und möchten damit eine Diskussion anstoßen, die letztlich auch Veränderungen in der Praxis bewirken soll. Diesem Anspruch wird der Band in dem Maße gerecht werden, in dem es ihm gelingt, Bürgerstiftungen bei der Verwirklichung ihres eigentlichen Anliegens zu unterstützen: der Stärkung ihres lokalen Gemeinwesens durch kreatives philanthropisches Engagement und umsichtige Führung.
Die Beiträge sind nach drei thematischen Schwerpunkten gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit den sich wandelnden Zielsetzungen, Visionen und Werten von Bürgerstiftungen in einer zunehmend globalisierten Welt. Fragen nach Zweck und Identität von Bürgerstiftungen werden diskutiert, die in den vergangenen Jahren nicht nur in Nordamerika immer stärker in den Vordergrund traten. Zunächst geht Peter Walkenhorst auf die Geschichte und die Entwicklung von Bürgerstiftungen in internationaler Perspektive ein. Als allgemeine Einführung gibt er einen Überblick über die globale Ausbreitung des Konzepts und analysiert die treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung. Darüber hinaus untersucht er die zunehmende Internationalisierung der Aktivitäten von Bürgerstiftungen.
Peter deCourcy Hero schreibt über die sich wandelnden Funktionen von Bürgerstiftungen. Er vertritt die Auffassung, dass ihre wichtigste Aufgabe darin besteht, eine »Kultur zivilgesellschaftlichen Engagements« zu schaffen, indem sie Menschen zusammenbringen, Beziehungen knüpfen und einen langfristigen Vermögensaufbau betreiben. Darüber hinaus skizziert er seine Vision einer zunehmenden transnationalen Zusammenarbeit von Bürgerstiftungen im 21. Jahrhundert. Emmett D. Carson behandelt das Thema Werte und konzentriert sich dabei auf die Rolle, die Bürgerstiftungen bei der Förderung von Social Justice spielen können. Seiner Ansicht nach müssen Bürgerstiftungen »Werte repräsentieren«, und eine Möglichkeit, diesem Anspruch gerecht zu werden, bestehe darin, zu aktiven Katalysatoren für soziale Gerechtigkeit zu werden. Carson argumentiert, dass Bürgerstiftungen keine völlig wertneutralen Organisationen sein können, da ihre Zielsetzung immer das Benennen schwieriger Fragen und das Artikulieren von Problemen erfordere. Statt Neutralität zu wahren, müssten sie mithin zwangsläufig Position beziehen.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Aufbau von finanziellem und sozialem Kapital. Zu den wichtigsten Funktionen einer Bürgerstiftung gehört der langfristige Aufbau des Stiftungsvermögens durch Beiträge einer möglichst großen Zahl von Zustiftern. Barbara McInnes behandelt diesen zentralen Aspekt und erörtert insbesondere die traditionellen und neuen Modelle von Dienstleistungen für Stifter (Donor Services), die der Hauptgrund für das außerordentliche Wachstum von Community Foundations in den USA und Kanada in den letzten Jahrzehnten waren. Geld ist jedoch nicht das einzige »Kapital« einer Bürgerstiftung. Monica Patten fasst in ihrem Beitrag diesen Begriff weiter, indem sie das Wissen und die Beziehungen einer Bürgerstiftung als zusätzliche wichtige Ressourcen hervorhebt. Am Beispiel Kanadas zeigt sie ferner, wie Bürgerstiftungen über ihre lokalen Gemeinwesen hinaus durch gemeinsame Aktionen Einfluss auf regionaler und sogar nationaler Ebene nehmen können.
Der dritte Teil befasst sich mit dem Thema Community Leadership und den Rollen, die Bürgerstiftungen in dieser Hinsicht übernehmen können. In Europa, Nordamerika, Mexiko und anderen Teilen der Welt ergreifen Bürgerstiftungen zahlreiche Maßnahmen zur Unterstützung ihres lokalen Gemeinwesens, die über die Vergabe von finanziellen Fördermitteln hinausgehen. Lewis M. Feldstein untersucht diese verschiedenen Formen der aktiven Beteiligung von Bürgerstiftungen am öffentlichen Leben. Er argumentiert, dass die Übernahme einer Führungsrolle innerhalb des lokalen Gemeinwesens untrennbar mit dem Wesen einer Bürgerstiftung verbunden ist, und nennt Beispiele für erfolgreiche Leadership-Aktivitäten in verschiedenen Ländern. Des Weiteren zeigt er, welchen Einfluss solche Aktivitäten auf politische Entscheidungsprozesse haben können und wie sie sich auf die Bürgerstiftung selbst und auf das lokale Gemeinwesen auswirken.
Nach diesem einführenden Beitrag legt Avila Kilmurray eine Fallstudie über die Arbeit der Community Foundation for Northern Ireland (CFNI) und ihren wichtigen Beitrag zum Friedensprozess in Nordirland vor. Zudem berichtet sie über Foundations for Peace, ein internationales Netzwerk, das mithilfe der CFNI gegründet wurde, um einen Erfahrungsaustausch zwischen Stiftungen und anderen Non-Profit-Organisationen zu ermöglichen, die sich auf ähnliche Weise um die Bewältigung der Folgen von Krieg und Gewalt in ihren Gesellschaften bemühen. Abschließend analysiert Lucy Bernholz einige für die künftige Arbeit von Bürgerstiftungen bedeutende Entwicklungen. Darüber hinaus stellt sie die Frage, welche langfristigen Visionen, Pläne und Erwartungen heute bei der Gründung und dem Aufbau einer Bürgerstiftung berücksichtigt werden sollten. Sie zeigt aktuelle Trends und Prozesse des gesellschaftlichen Wandels auf, weist auf mögliche überraschende Entwicklungen hin und diskutiert die Anforderungen, die diese Szenarien an die globalen und lokalen Entscheidungsträger von heute stellen.
Als Herausgeber hoffen wir, dass dieser Band Spiegel und Wegweiser in einem sein möge. Ein Spiegel, der die ungeheure Vielfalt und das Ausmaß der kreativen Aktivitäten sowie die gesellschaftliche Wirkung zeigt, die weltweit zum Markenzeichen dieser Stiftungsform geworden sind. Als Wegweiser soll er Orientierung bieten im manchmal nur schwer durchschaubaren Geflecht des sich wandelnden philanthropischen Engagements, soll erfolgreiche Strategien aufzeigen und anhand von Beispielen vor Fallstricken warnen. Nicht zuletzt soll er als Kompendium das Erfahrungswissen und die Einsichten internationaler Expertinnen und Experten bündeln: als Hilfestellung für alle, die sich in einer Bürgerstiftung und für ihr lokales Gemeinwesen engagieren.
Wie eine Bürgerstiftung wäre auch dieses Buch nicht ohne die Mitarbeit und das Engagement vieler Menschen und Organisationen denkbar. Wir sind allen Beteiligten zu größtem Dank verpflichtet. Als Herausgeber möchten wir vor allem den herausragenden Autorinnen und Autoren danken. Wir schätzen uns glücklich, dass wir einige der klügsten Köpfe dafür gewinnen konnten, ihr Wissen und ihre Erkenntnisse mit uns zu teilen. Des Weiteren möchten wir den Mitgliedern des Transatlantic Community Foundation Network (TCFN) danken, deren Anregungen in die konzeptuelle Planung des Bandes eingeflossen sind. Unser besonderer Dank gebührt den Teilnehmenden der zweiten TCFN Academy, die im Februar 2007 zusammen mit der Stanford Graduate School of Business in Palo Alto veranstaltet wurde, für ihre Ideen und Anregungen zur Konzeption des Bandes. Wir danken ferner Laura Arrillaga-Andreessen, die das TCFN nach Stanford eingeladen, und Alan Pardini, der unsere Diskussionen dort geleitet hat. Unser Dank geht darüber hinaus an Lewis M. Feldstein für seine wertvollen Ratschläge und an Eleanor W. Sacks, die uns an ihrem unvergleichlichen Wissen über die Entwicklung von Bürgerstiftungen in aller Welt hat teilhaben lassen.
In diesem Buch sind viele Ideen zahlreicher Autorinnen und Autoren vereint. Etwaige Fehler, die uns bei der Produktion entgangen sind, gehen jedoch allein zu unseren Lasten. Wir hoffen, dass dieser Band zu einem internationalen Dialog über die Rolle von Bürgerstiftungen und die Grundlagen ihrer Arbeit beitragen wird. Angesichts des anhaltenden Wachstums von Bürgerstiftungen weltweit ist ein solcher Dialog wichtiger denn je.
»Auf dem Weg in die globale Zivilgesellschaft« widmen wir Joe Breiteneicher und Ray Murphy, die 2007 gestorben sind. Sie waren nicht nur herausragende Kollegen, sondern auch Freunde und Förderer von Bürgerstiftungen. Auf jeweils eigene Art haben sie beide außerordentliche Beiträge zur Entwicklung von Stiftungen weltweit geleistet. Ihr Rat und ihr mutiges Engagement fehlen uns mehr, als Worte es je beschreiben könnten.
Peter deCourcy Hero
Peter Walkenhorst
Palo Alto und Gütersloh, Juli 2009
Literatur
Bernholz, Lucy, Katherine Fulton und Gabriel Kasper. On the Brink of New Promise. The Future of U.S. Community Foundations. 2005. Online unter www.communityphilanthropy.org/pdf/fullreport.pdf.
Hero, Peter deCourcy, und Peter Walkenhorst (Hrsg.). Local Mission - Global Vision. Community Foundations in the 21st Century. New York 2008.
Martin, Robert H., Diana Haigwood und Alan Pardini. Building an International Learning Community: Lessons and Insides from the Transatlantic Community Foundation Network. September 2005.
Schön, Donald A. The Reflective Practitioner: How Professionals Think in Action. New York 1983.
Walkenhorst, Peter (Hrsg.). Building Philanthropic and Social Capital. The Work of Community Foundations. 2., überarbeitete Auflage. Gütersloh 2008.
WINGS - Worldwide Initiatives for Grantmaker Support. 2005 Global Status Report, untersucht und verfasst von Eleanor W. Sacks. Mai 2005. Online unter www.wingsweb.org/information/publications_community.cfm.
I Zielsetzung, Visionen und Werte: Neue Rollen von Bürgerstiftungen in der globalisierten Welt
Von lokalen Institutionen zu transnationalen Akteuren: Zur Verbreitung und Evolution des Konzepts der Bürgerstiftung
Peter Walkenhorst
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich das Konzept der Bürgerstiftung (Community Foundation) weltweit verbreitet. Bürgerstiftungen sind in vielen Ländern eine der am schnellsten wachsenden Stiftungsformen. Immer mehr Städte, Regionen und Metropolen in aller Welt greifen die Idee der Bürgerstiftung auf, um philanthropisches und zivilgesellschaftliches Engagement auf lokaler Ebene zu fördern. Das Konzept stammt aus Nordamerika. Inzwischen hat es sich jedoch wahrhaft international entwickelt. Viele Bürgerstiftungen arbeiten heute über nationale und kulturelle Grenzen hinweg zusammen, um Erfahrungen und Kenntnisse auszutauschen und gemeinsam neue Ideen, Konzepte und Strategien zu entwickeln. Eine steigende Zahl von Bürgerstiftungen, besonders in den Vereinigten Staaten, vergibt neuerdings ebenfalls Fördermittel im Ausland, da sich ihre Stifter immer mehr auch für Probleme jenseits ihres lokalen Gemeinwesens interessieren. Bürgerstiftungen sind ihrer Natur nach lokale Einrichtungen, durch ihr Engagement über nationale Grenzen hinaus aber zugleich ein herausragendes Beispiel für die zunehmende Internationalisierung philanthropischen Engagements.
Dieser Beitrag untersucht die globale Verbreitung von Bürgerstiftungen und fragt nach den Ursachen für das rasante Wachstum dieses Stiftungstyps im Hinblick auf die Gesamtzahl von Community Foundations wie auch hinsichtlich der von ihnen verwalteten Vermögenswerte. Darüber hinaus geht es um die Frage, inwieweit Globalisierungsprozesse die Arbeit von Bürgerstiftungen beeinflussen. Zu diesem Zweck werden zunächst die historische Entwicklung in internationaler Perspektive dargestellt und die Gründe für die weltweite Attraktivität dieser Stiftungsform herausgearbeitet. Anschließend werden die zunehmenden transnationalen Aktivitäten von Bürgerstiftungen betrachtet und ihre Bedeutung für die künftige Fortentwicklung dieser Form des philanthropischen Engagements diskutiert. Zuerst ist es jedoch erforderlich, genau zu definieren, was wir meinen, wenn wir von einer »Bürgerstiftung« sprechen.
Was ist eine Bürgerstiftung?
Das Bürgerstiftungskonzept ist einfach und kompliziert zugleich. Einfach gesagt, mobilisiert eine Bürgerstiftung innerhalb eines geografisch begrenzten Gemeinwesens Ressourcen zur Lösung der dort vorhandenen Probleme. Kompliziert wird es dadurch, dass diese Aufgabe in vielfältiger Form wahrgenommen werden kann (Feurt 1999: 24). Dies hat zu unzähligen Versuchen geführt, das Konzept zu definieren. Für die Zwecke dieses Buches ist es ausreichend, einige wesentliche Merkmale aufzuführen, durch die sich eine Bürgerstiftung von anderen gemeinnützigen Einrichtungen unterscheidet (Abbildung 1).
Abb. 1: Was ist eine Bürgerstiftung?
Quelle: eigene Darstellung
Diese Merkmale wurden von der
Worldwide Initiatives for Grantmaker Support (WINGS) erarbeitet, einem globalen Netzwerk von Verbänden und Dachorganisationen, die Stiftungen unterstützen. Gemäß dieser Definition (WINGS 2005a: 5-6) sind Bürgerstiftungen philanthropische Organisationen, die
• bestrebt sind, die Lebensqualität aller Menschen in einem bestimmten geografisch abgegrenzten Raum zu verbessern;
• nicht der Kontrolle oder dem Einfluss anderer Organisationen, Regierungen, Behörden oder einzelner Stifter unterliegen;
• von einem Vorstand geleitet werden, dessen Zusammensetzung repräsentativ ist für das Gemeinwesen, in dem die Bürgerstiftung tätig ist;
• Fördermittel an andere gemeinnützige Organisationen vergeben, um eine Vielzahl von Problemen auf lokaler Ebene anzugehen;
• bestrebt sind, ein Stiftungskapital aufzubauen, was zumeist durch das Einwerben von Zustiftungen geschieht, die von unterschiedlichsten Stiftern (Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, staatlichen Einrichtungen sowie anderen Stiftungen oder gemeinnützigen Organisationen) stammen;
• Stifter und Spender darin unterstützen, ihre philanthropischen Ziele zu verwirklichen;
• sich aktiv am öffentlichen Leben des lokalen Gemeinwesens beteiligen und als Katalysatoren, Kooperationspartner oder Moderatoren dazu beitragen, Lösungen für wichtige Probleme zu entwickeln;
• hinsichtlich ihrer sämtlichen Tätigkeiten größtmögliche Transparenz praktizieren;
• der Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft ablegen, indem sie diese regelmäßig über ihre Ziele, Aktivitäten und Finanzen informieren.
Durch diese Funktionen und Merkmale unterscheidet sich eine Bürgerstiftung von anderen Stiftungen und gemeinnützigen Einrichtungen. Dabei gleichen sich Bürgerstiftungen natürlich nicht wie ein Ei dem anderen. Während auf einige Stiftungen die meisten der oben genannten Merkmale voll und ganz zutreffen, legen andere ihren Schwerpunkt auf einzelne Aspekte. Selbst in Ländern, in denen diese Stiftungen schon länger etabliert sind, bestehen hinsichtlich ihrer Organisations- und Führungsstruktur sowie der im Gemeinwesen übernommenen Rollen erhebliche Unterschiede. Mit der internationalen Verbreitung des Konzepts kam es folgerichtig zu zahlreichen Anpassungen an die jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten. Vor allem diese Flexibilität des Konzepts hat es Bürgerstiftungen in aller Welt ermöglicht, die Grundidee an die jeweiligen lokalen und nationalen Verhältnisse anzupassen (Feurt und Sacks 2001: 17).
Bürgerstiftungen als »Glokalisierung« philanthropischen Engagements
Über die Auswirkungen der Globalisierung auf Wirtschaft und Politik ist viel geschrieben worden. Weniger wissen wir hingegen darüber, wie sich die immer engere internationale Vernetzung wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Aktivitäten auf das philanthropische Engagement auswirkt. Soweit bisher zu beobachten, folgt jedoch dieses Engagement ebenso dem grundsätzlichen Muster der Globalisierung: Auch viele Stiftungen und Stifter haben ihre Fühler über nationale Grenzen hinweg ausgestreckt und sind zunehmend in transnationalen Aktivitäten engagiert. Obwohl die meisten Stiftungen wahrscheinlich aufgrund ihrer Satzung oder anderer Erwägungen ihr Augenmerk und ihre Tätigkeiten weiterhin primär auf das Inland richten werden, »ist ein grundlegender Trend hin zu verstärkten und größeren internationalen Aktivitäten vorhanden« (Anheier, Simmons und Winder 2007: 117).
In den Vereinigten Staaten, dem Land, für das wir die besten Daten haben, stiegen die international vergebenen Fördermittel von Stiftungen in den 90er Jahren drastisch an (Ruffin 2003: 6-11). Nach diesem Jahrzehnt des rapiden Wachstums ging die grenzüberschreitende Mittelvergabe in den Jahren 2002 und 2003 aufgrund der Turbulenzen am Aktienmarkt und des schwierigeren Klimas für internationale Transaktionen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 leicht zurück. Die Fördermittel für internationale Belange steigerten sich jedoch schon in den folgenden beiden Jahren erneut auf ein Rekordhoch von 3,8 Mrd. US-Dollar im Jahr 2005. Und was vermutlich noch wichtiger ist: Die von US-Stiftungen für Auslandsaktivitäten vergebenen Fördermittel stiegen in den letzten Jahren viel schneller als die Fördermittel insgesamt, und zwar unabhängig von der Stiftungsform (Renz und Atienza 2006: 1-2).
Ein wichtiger, doch oft übersehener Aspekt der Globalisierung besteht darin, dass diese auch eine lokale Dimension hat. Häufig werden die Auswirkungen globaler Prozesse durch lokale Faktoren abgeschwächt oder sogar verändert. Ein Beispiel sind die Bemühungen global agierender Unternehmen, ihre Standardprodukte an bestimmte Märkte und kulturelle Gegebenheiten anzupassen, sie also zu lokalisieren. Sozialwissenschaftler haben für diese Anpassung internationaler Trends und Produkte an bestimmte Länder oder Kulturen den Begriff »Glokalisierung« geprägt - ein Neologismus aus »Globalisierung« und »Lokalisierung«. Der Begriff betont die Gleichzeitigkeit von universalisierenden und partikularisierenden Tendenzen bei Prozessen der Globalisierung sowie das Zusammenspiel globaler und lokaler Aspekte, die daher als zwei Seiten derselben Münze betrachtet werden können (Robertson 1995). In diesem Sinne kann die weltweite Ausbreitung des Bürgerstiftungskonzepts als die »Glokalisierung« philanthropischen Engagements interpretiert werden.
Bürgerstiftungen sind ein hervorragendes Beispiel für das Zusammenspiel globaler und lokaler Prozesse. Ihre Entwicklung während der vergangenen 20 Jahre ist durch zwei simultane Trends gekennzeichnet: zum einen die internationale Ausbreitung des Konzepts und seine Anpassung an die jeweiligen nationalen und lokalen Gegebenheiten; zum anderen wurden auch die Netzwerke und Aktivitäten von Bürgerstiftungen selbst immer internationaler (Ruffin 2003: 11-18). Letztlich ergänzen und durchdringen sich beide Prozesse wechselseitig. Zum besseren Verständnis sollen sie in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels jedoch separat behandelt werden. Betrachten wir also zunächst die Geschichte und Ausbreitung des Konzepts der Bürgerstiftung.
Historische Ursprünge und frühe Entwicklung in den Vereinigten Staaten und Kanada
Kollektives philanthropisches Engagement auf lokaler Ebene ist kein neues Phänomen und auch keine Erfindung der westlichen Zivilisation. Die Idee einer Stiftung, die Ressourcen lokaler Stifter zur Lösung lokaler Probleme zusammenbringt, findet sich in vielen Kulturen weltweit. In der europäischen Tradition war das kollektive Stiften für lokale Zwecke bereits im Mittelalter bekannt (Smith und Borgmann 2001: 12-17). Die Motive, Praktiken und rechtlichen Rahmenbedingungen dieses philanthropischen Engagements haben sich zwar im Laufe der Jahrhunderte geändert, aber diese lange Tradition sollte bei der Beschäftigung mit den Bürgerstiftungen unserer Zeit nicht vergessen werden. Das Konzept der Bürgerstiftung, wie wir es heute kennen, ist jedoch jüngeren Ursprungs.
Die erste moderne Bürgerstiftung, die Cleveland Foundation, wurde am 2. Januar 1914 in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio auf Initiative des Bankiers Frederick Harris Goff gegründet. Als Verwalter zahlreicher großer Nachlässe wusste Goff aus eigener Erfahrung, wie schnell die Zwecke posthum errichteter Stiftungen obsolet werden konnten. Deshalb schlug er vor, mehrere Nachlässe in einer einzigen Stiftung zusammenzuführen und diese durch einen unabhängigen Vorstand verwalten zu lassen, der sich aus namhaften Bürgern zusammensetzte. Die Banken sollten weiterhin mit der Verwaltung der Fondsvermögen betraut sein, während der Vorstand für die Vergabe von Fördermitteln an lokale Einrichtungen und Initiativen verantwortlich war. Diese neue Stiftungsform würde Banken von der mühsamen Aufgabe der Fördermittelvergabe entlasten und gleichzeitig sicherstellen, dass diese Ressourcen auch künftig zur Lösung neuer Herausforderungen zur Verfügung stünden, selbst wenn der ursprüngliche Zweck einer Stiftung nicht mehr aktuell war (Tittle 1992: 24-33).
Goffs Idee stieß auf großen Anklang. Das in Cleveland begonnene Experiment fand rasch Nachahmer im Mittleren Westen und Nordosten der Vereinigten Staaten sowie in Kanada. Bereits 1915 entstanden in Chicago, Milwaukee, Detroit, Minneapolis und Boston Community Foundations. Die erste Bürgerstiftung Kanadas, die Winnipeg Foundation, wurde 1921 ins Leben gerufen (Hammack 1989: 25-32). Zwischen 1914 und 1924 wurden allein in den Vereinigten Staaten 26 dieser neuen Stiftungen gegründet - die meisten davon im Mittleren Westen. Das Bürgerstiftungskonzept war dabei nur eine von mehreren neuen Organisationsformen gemeinnützigen Engagements, die aus der als »Progressive Movement« bekannten politisch-sozialen Reformbewegung in den USA zu Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden. Zu den Idealen dieser Bewegung zählten die Säkularisierung philanthropischen Engagements und das Streben nach professionellen, unternehmensähnlichen Managementpraktiken sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch bei gemeinnützigen Einrichtungen. Es ist deshalb kein Zufall, dass Bürgerstiftungen zeitgleich mit der Gründung der ersten großen privaten Stiftungen aufkamen (Hall 1989: 181-190).
Die Große Depression in den 30er Jahren, als Ressourcen knapp waren und das Bankensystem vor dem Zusammenbruch stand, war auch für Bürgerstiftungen eine schwere Zeit. Die Weltwirtschaftskrise erschütterte zudem das Vertrauen in die Banken, weshalb die meisten Community Foundations nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Bürgerstiftungsbewegung wieder auflebte, nunmehr als gemeinnützige Gesellschaften (Charitable Corporations) errichtet wurden, sodass ihre Anlageentscheidungen vom Vorstand selbst - und nicht mehr von einer Treuhandbank - getroffen wurden (Hammack 1989: 32-35). Seit Ende der 40er Jahre stiegen die Zahl der Bürgerstiftungen und ihr Gesamtvermögen wieder kontinuierlich.
Eine rasante Zunahme dieses Stiftungstyps setzte jedoch erst in den 60er und 70er Jahren ein. Community Foundations wurden jetzt auch im Westen und Süden der Vereinigten Staaten errichtet. Zu dieser Entwicklung trug vor allem das Steuerreformgesetz von 1969 bei. Im Rahmen seiner Reformen wurde Bürgerstiftungen der steuerlich besonders begünstigte Status als »Public Charity« zuteil, wodurch sie gegenüber privaten Stiftungen (Private Foundations) erhebliche Vorteile erhielten. Hierzu gehören vor allem eine höhere steuerliche Abzugsfähigkeit für Spenden und Zustiftungen, die Befreiung von bestimmten Steuern und eine weniger strenge staatliche Aufsicht. Die zuvor nicht vorhandene Überprüfung der öffentlichen Unterstützung (»Public Support Test«), in deren Rahmen Bürgerstiftungen nachweisen müssen, dass mindestens ein Drittel ihrer Finanzmittel aus der allgemeinen Öffentlichkeit stammt, führte darüber hinaus zu verstärkten Anstrengungen auf dem Gebiet des strategischen Vermögensaufbaus und beim Einwerben von Zustiftungen (Hall 1989: 191-194).
Durch die rechtlichen Veränderungen, die 1969 verabschiedet wurden und Mitte der 70er Jahre Gesetzeskraft erlangten, kam es vorübergehend zu Unsicherheiten, die die Entwicklung von Bürgerstiftungen zunächst behinderten. Im Endeffekt förderte das Gesetz jedoch das Wachstum von Bürgerstiftungen in erheblichem Maße. Während der späten 70er und der 80er Jahre wuchs ihr Vermögen rasant an, das Konzept fasste im ganzen Land Fuß und wurde oftmals durch große private Stiftungen wie die Charles Stewart Mott Foundation oder die Ford Foundation unterstützt. Diese sahen in Bürgerstiftungen Partner für die Förderung philanthropischen Engagements bzw. die Durchführung gezielter Programme auf lokaler Ebene (Hammack 1989: 39-47).
Das wachsende Interesse von Stiftern an lokalem Engagement war zudem Ausdruck einer veränderten politischen Kultur. Vietnamkrieg, Watergate-Skandal und die stetig wachsende Einflussnahme der US-Bundesregierung auf das Leben der Einzelnen hatten das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Staat und seine Fähigkeit, für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit zu sorgen, erschüttert. Wie ein Beobachter anmerkt, »wirkte sich die Desillusionierung gegenüber Staat und Regierung auch auf das Stiftungswesen aus. In der öffentlichen Meinung waren die großen, privaten Stiftungen eng mit den in Misskredit geratenen staatlichen Sozialprogrammen und der Außenpolitik verbunden. Zwar glaubten die Amerikaner weiterhin an Sinn und Zweck philanthropischen Engagements als solchem, aber sie wandten sich verstärkt konkreten, greifbareren Formen der gemeinnützigen Tätigkeit zu, insbesondere solchen mit lokaler Wirkung« (Hall 1989: 195).
Dieser allgemeine Trend wurde durch die in den 80er Jahren erfolgten massiven Kürzungen staatlicher Ausgaben für kommunale Aufgaben und soziale Dienste weiter verstärkt. Vor dem Hintergrund sinkender staatlicher Haushaltsmittel interessierten sich immer mehr Stifter, Unternehmen und Stiftungen für die Möglichkeit, öffentliche Aufgaben und Güter mithilfe einer Bürgerstiftung zu verwirklichen. Als Folge dieser Entwicklung gab es 1989 in den Vereinigten Staaten mindestens 282 Bürgerstiftungen (einschließlich der 1985 gegründeten Puerto Rico Community Foundation) mit einem Gesamtvermögen von etwa 6 Mrd. US-Dollar (Renz, Mandler und Treiber 1997: 25, 53).
Bürgerstiftungen entwickelten sich auch in Kanada. Nach der Gründung der Winnipeg Foundation 1921 erlebte diese Stiftungsform während der nächsten Jahrzehnte ein langsames, aber stetiges Wachstum. Die zweite Bürgerstiftung wurde 1936 in Victoria (British Columbia) errichtet. Der Höhepunkt dieser Ära war die Gründung der Vancouver Foundation im Jahr 1943, die zur größten Stiftung Kanadas werden sollte. Ebenso wie in den Vereinigten Staaten war in Kanada in den späten 70er Jahren eine dynamische Entwicklung zu beobachten, als Bürgerstiftungen in Toronto, Ottawa, Calgary und Edmonton sowie in zahlreichen kleineren Kommunen gegründet wurden. Ende der 80er Jahre gab es in Kanada 35 Bürgerstiftungen mit einem Stiftungsvermögen von insgesamt 500 Mio. CN-Dollar (Sacks 2000: 12).
Während das Bürgerstiftungskonzept in den Vereinigten Staaten und Kanada an Dynamik gewann, wurde es auch auf der anderen Seite des Atlantiks bekannt. Die erste Bürgerstiftung außerhalb Nordamerikas, der Dacorum Community Trust, wurde 1976 in Großbritannien gegründet, gefolgt von der Community Foundation for Northern Ireland (ursprünglich Northern Ireland Voluntary Trust) im Jahr 1979. In den 80er Jahren entstand dort eine Reihe weiterer Bürgerstiftungen. Die politische und wirtschaftliche Situation Großbritanniens in dieser Zeit ähnelte in vielerlei Hinsicht der in den Vereinigten Staaten. Die Regierung beschnitt aktiv und gezielt Kompetenzen und Finanzen der Kommunen, die traditionell die wichtigste Finanzierungsquelle für gemeinnützige Organisationen darstellten. Diese hatten zunehmend Schwierigkeiten, Fördermittel von kommunalen Stellen einzuwerben und suchten daher nach neuen finanziellen Ressourcen.
Der Anstoß für die Entwicklung von Bürgerstiftungen kam von der Charities Aid Foundation (CAF), die zusammen mit der Regierung die Verwaltungs- und Anlaufkosten für sechs Pilotstiftungen übernahm (Humphreys 1999: 40-42). Im Jahr 1991 gab es bereits 15 Bürgerstiftungen, die einen landesweiten Dachverband gründeten - das heutige Community Foundation Network (CFN). Außer in Großbritannien fasste das Konzept mit der Gründung der Victorian Community Foundation 1983 auch in Australien Fuß. Bis in die 90er Jahre hinein wurden hier allerdings keine weiteren Bürgerstiftungen gegründet.
Insgesamt existierten somit 75 Jahre nach Erfindung dieses Konzepts in der angloamerikanischen Welt etwa 340 Bürgerstiftungen - die meisten davon in den Vereinigten Staaten. Nicht einmal zwei Jahrzehnte später sind Bürgerstiftungen in nahezu 50 Ländern und auf jedem Kontinent anzutreffen, ihre Zahl hat sich nahezu vervierfacht, und das Stiftungsvermögen vieler Community Foundations in den Vereinigten Staaten und Kanada ist über alle Erwartungen hinaus angestiegen. Diese dynamische Entwicklung, die weiter anhält, verdient eine genauere Betrachtung.
Wachstum und weltweite Verbreitung zur Jahrtausendwende
Abbildung 2