Man entdeckt keine neuen Länder, ohne bereit zu sein, die Küste für lange Zeit aus den Augen zu verlieren.
ANDRÉ GIDE
Vorwort
Wir haben unseren spirituellen Weg begonnen, weil wir mit dem Leben, so wie wir es bisher gelebt hatten, nicht glücklich waren. Irgendetwas bereitete uns große Schmerzen und zwang uns tief nach innen. Dabei haben wir nicht nur unsere Umgebung, sondern auch uns selbst untersucht und versucht, mit Gottes Hilfe neue Wege zu gehen.
Als ich anfing, mich auf meinen spirituellen Weg zu machen, hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie er denn aussehen würde: Er wird wahrscheinlich am Anfang recht steil bergauf gehen, was natürlich zu Beginn sehr anstrengend sein wird, aber dann, wenn ich gelernt habe, wie man »richtig« betet, »richtig« meditiert und »richtig« lebt, wird es ein gerader, herrlicher Spaziergang sein. Meine Mitmenschen werden voller Erstaunen daneben stehen und sich wundern, warum bei mir alles so gut klappt. Ich werde natürlich immer gesund, immer erfolgreich, immer strahlend und immer liebevoll sein. Ich werde in mir ein Gefühl völligen Friedens verspüren – schließlich will man ja nicht umsonst so lange meditiert haben -, und nichts, aber auch gar nichts wird mich aus der Ruhe bringen. Falls sich doch gelegentlich ein Schicksalsschlag in meine Gegend verirren sollte, werde ich den mit den nötigen Gebeten in etwas harmlosere Schranken verweisen oder – je nachdem – so schnell wie möglich meine Lehren daraus ziehen und dann weiterhin dem herrlichen Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang entgegengehen: selbstverständlich singend und in ewiger Glückseligkeit.
Gut, nicht wahr?
»Ha!«, wird sich da der liebe Gott schmunzelnd gedacht haben. »Das wäre doch aber zu langweilig. Bist du nicht hier auf Erden, um zu leben?«
Und meine Antwort hätte ungefähr so gelautet: »Gegen das Leben habe ich ja im Prinzip nichts einzuwenden, aber gegen die Aufregungen und gegen die Gefühle, dagegen möchte ich mich absichern.«
Herausforderungen, wie Stolpersteine, liegen nicht deswegen auf unserem spirituellen Weg, weil Gott gern zuschaut, wenn wir uns anstoßen. Sie liegen da, damit wir auf sie aufmerksam werden. In vielen Fällen, damit wir uns die Demut bewahren. Denn gerade auf unserem Weg zu Gott häufen sich die Gefahren der Arroganz, der Rechthaberei und der Intoleranz. Wir sind so begeistert von unserem neuen Weg und unseren neuen Erfahrungen, dass wir entweder mitleidig oder belehrend (mit allen Schattierungen, die es dazwischen gibt) auf unsere ungläubigen Zeitgenossen blicken und ihnen Ratschläge erteilen.
Meistens ungefragt, wie zum Beispiel im folgenden Fall.
Eine Besucherin meiner Erlebnisabende fragte mich einmal den Tränen nahe, ob ich sie denn auch umarmen würde, obwohl sie so eine schlechte Aura habe. Wie sie denn darauf komme, fragte ich sie. Sie erzählte mir, dass sie vor ein paar Monaten im Zug war und es neben ihr nur noch einen einzigen freien Platz gegeben habe. Sie beobachtete, wie eine Frau das Abteil auf und ab ging, um offensichtlich nach einem anderen Platz zu suchen, da sie den neben ihr anscheinend nicht nehmen wollte. Da aber nun wirklich kein anderer mehr frei war, setzte sie sich zögernd dorthin.
Nach kürzester Zeit begann sie ein Gespräch, das mit der folgenden Aussage einen entsetzlichen Abschluss fand: »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich mich doch sehr ungern neben Sie setze. Sie haben einfach eine furchtbar schreckliche Aura. Da sollten Sie mal was dagegen tun.«
Monate (!) später hat das meine Besucherin noch beschäftigt. Ich konnte an ihrer Aura nichts Schreckliches finden.
Nach über zehn Jahren intensiven spirituellen Trainings bin ich an einer Wegkreuzung angekommen. Vieles habe ich erfahren und lernen dürfen, und doch fehlt es mir an einigem.
Ich habe dieses Buch aus drei Gründen schreiben wollen: Einmal ist es für diejenigen gedacht, die gerade ihren spirituellen Weg beginnen. Die sich einer ungeheuren Masse an Informationen und Erfahrungen gegenübergestellt sehen und befürchten, entweder Fehler zu machen oder irgendwelchen Scharlatanen auf den Leim zu gehen. Fehler sind meiner Meinung nach unglaublich wichtig, denn sie helfen uns, bedeutsame Erfahrungen zu sammeln. Wir bezeichnen die Erfahrungen als »Fehler«, die uns Ergebnisse bringen, welche wir so nicht erwartet haben. Doch häufig sind es genau ebenjene Resultate (diese Fehler also), die uns helfen, uns darüber klar zu werden, was wir eigentlich wollen.
Natürlich ist es auch sehr wichtig, sich nicht jedem anzuvertrauen, der einem ein Weiterkommen auf dem Weg zur Erleuchtung verspricht. Wir müssen den Verstand eingeschaltet lassen. Und nur weil jemand etwas von Kristallen, elektromagnetischen Frequenzen und Feng Shui versteht, heißt dies noch lange nicht, dass man sein Leben in seine Hände legen soll. Im Gegenteil, der spirituelle Weg verlangt ein hohes Maß an Scharfsinn und kritischer Aufmerksamkeit. Denn jeder Lehrer und jede Lehrerin, die sich uns anbieten, haben auch immer selbst etwas zu lernen.
Ich war auf meinem spirituellen Weg bisher sehr zielstrebig. Ein bisschen zu zielstrebig, wie ich jetzt herausfinden durfte; denn damit ging auch eine gewisse Engstirnigkeit einher. Aber das kann man natürlich im Rückblick sehr viel leichter feststellen.
Während ich mich auf dieses Buch vorbereitete und mir überlegte, was denn alles mit hineingehört, kam mir plötzlich in einer Meditation der Gedanke, meine Familie und meine Freunde zu fragen, was sie denn am meisten an meinem spirituellen Weg gestört hat. Viele von ihnen haben ihn von Anfang an miterlebt und sind mit Entsetzen oder mit Staunen davor gestanden. Sie mussten am eigenen Leib erfahren, was es heißt, in meiner Nähe zu sein. Jemanden um sich zu haben, der nur noch ein Gesprächsthema kennt: Gott.
Vielleicht hilft es Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, durch deren Erzählungen mehr Verständnis für Ihr eigenes Umfeld zu bekommen: für Ihren Ehemann beziehungsweise Ihre Ehefrau, Partner(in), Kinder, Arbeitskollegen, Mutter, Vater, Geschwister, Freunde … Das war der zweite Grund für dieses Buch. Vielleicht, das wünsche ich mir sehr, inspiriert es Sie auch zu einer Leichtigkeit, die mir nicht gelang.
Als ich meine Freunde ansprach, etwas für mein Buch zu schreiben, bat ich sie um Folgendes:
»In meinem neuen Buch würde ich gern eure Gedanken oder Erlebnisse mit dabeihaben. Der Gedanke dieses Buches ist es, großzügiger mit uns selbst und verständnisvoller mit den Menschen in unserer Umgebung umzugehen. Oftmals fällt uns erst im Nachhinein auf, wie genervt unsere Mitmenschen durch uns waren. Besonders in den extrem intensiven Jahren unseres spirituellen Wachstums. Mein Gedanke dabei ist, dass ihr aus eurer Sicht die besonders anstrengenden Phasen beschreibt. Nicht nur eure eigenen, sondern auch die, die ihr an mir oder anderen beobachtet habt. Es geht also um zwei Aspekte, über die ihr schreiben könnt. So lang oder so kurz, wie ihr wollt. Sie werden nicht verändert, sondern nur (falls notwendig) übersetzt.
Die Erfüllung der ersten Bitte sollte euch wahrscheinlich am leichtesten fallen: Schreibt auf, was euch während meines spirituellen Wegs besonders an mir genervt hat (keine Zurückhaltung bitte!). Zweitens irgendwelche ungewöhnlichen, lustigen, warnenden spirituellen Erfahrungen, die ihr selbst gemacht habt. Dazu gehört natürlich auch die Frage (rückblickend euren eigenen spirituellen Weg betrachtend): Wo hättet ihr im Nachhinein großzügiger mit euch selbst sein können? Wo, scheint es euch heute, habt ihr euch Sachen ab- und angewöhnt, die so nicht notwendig waren?«
Langsam, sehr, sehr langsam, trudelten die ersten Briefe und E-Mails ein. Und viele musste ich gleich wieder zurückschicken, weil sie so liebevoll geschrieben waren, dass ich mir wie auf meiner eigenen Beerdigung vorkam. Die größte Herausforderung dabei stellte sich meinen spirituellen Freunden. Da sie ja fast zur gleichen Zeit durch ähnliche Erfahrungen gegangen waren – und im Zweifel vergleichbar nervig für ihr Umfeld waren wie ich -, fiel ihnen meine Seltsamkeit natürlich nicht auf. Sie waren ja ähnlich »seltsam«.
Es gab da gelegentlich einige Aspekte in den Geschichten, die meine Freunde geschrieben haben, an die ich mich kaum erinnern konnte.
Und wie immer geht es natürlich auch in diesem Austausch nicht anders: Was man denkt zu sagen, was man sagt und was die anderen hören, sind drei verschiedene Dinge. Trotzdem war es mir wichtig, nichts zu verändern. Schließlich sind es die Eindrücke meiner Freunde, die sich in ihrem Gedächtnis so abgespeichert haben.
Viele Erlebnisse, die ich beschreibe, sind jetzt, im Nachhinein betrachtet, einfach nur lustig. Und vielleicht mag Ihnen mein neues Buch auf den ersten Blick nicht »ernsthaft« genug sein. Dennoch hat jede Erfahrung eine Lehre für mich hinterlassen. Und ich wünsche mir, dass Sie auch hier die Liebe zu Gott, die gebotene Ernsthaftigkeit sowie die nötige Leichtigkeit und den Wunsch nach einem tiefen Austausch finden werden.
Der dritte Grund für dieses Buch sind die Herausforderungen spiritueller Lehrer. Jeder, der als Schüler begann (und natürlich immer irgendwie Schüler bleiben wird), ist auch ein Lehrer. Andere fühlen sich angezogen und suchen nach Informationen, Liebe, Zuneigung, Offenheit. Diese Phase ist eine große Herausforderung auf unserem Weg. Ich hatte bisher grandiose Lehrer – und habe von allen viel gelernt. Von einigen lernte ich, dass ich nicht auf sie hören soll, was ja auch immer eine sehr gute Lektion ist.
Wie heißt es so treffend: Man lehrt immer, was man selbst noch lernen will. Dem kann ich mich nur aus vollstem Herzen anschließen. Ich selbst bevorzuge es allerdings, Schüler zu sein. Ich finde das einfach sehr viel spannender.
Dieses Buch beschreibt die Herausforderungen auf dem spirituellen Weg, und so habe ich mich beim Schreiben genau darauf konzentriert. Das heißt, der Inhalt unterscheidet sich von meinen früheren Büchern besonders dadurch, dass ich beschreibe, was meiner Meinung nach nicht funktioniert. Natürlich gibt es Hunderte von Erlebnissen, die großartig waren. Tausende von Meditationen, die mir tiefen Frieden geschenkt haben, und jede Menge Menschen, denen ich unendlich dankbar bin, weil sie mir viel beigebracht haben und ich durch sie viel Liebe erfahren durfte. Ich habe keine Sekunde auf meinem spirituellen Weg bereut.
Irgendjemand sagte mir mal, dass das Wichtigste, was jemand geben kann, seine Zeit ist. Ich möchte mich bei Ihnen herzlich für Ihre Zeit bedanken, die Sie sich für mein Buch nehmen.
Gott segne Sie.
Mai 2004
www.sabrinafox.com
Andere überzeugen wollen
Die Dame, die da neben mir im Flugzeug saß, wollte reden. Sie schaute mich aufmunternd an, und ich begrüßte sie höflich. Ich hoffte, dass man mir meine Abneigung einem Gespräch gegenüber nicht ansah. Ich wollte sie schließlich nicht verletzen.
Wenn ich allein fliege, genieße ich die Stille und Ruhe auf so einem Elf-Stunden-Flug von Los Angeles nach Deutschland. Gott sei Dank in der Business Class, freue ich mich an jeder Minute, in der ich mich um nichts kümmern muss. Im Gegenteil, die wunderbaren Flugbegleiter der Lufthansa sorgen dafür, dass ich mit allem versorgt bin.
Ich hatte ein Buch dabei, ebenso meine Musik, und bereitete mich darauf vor, mich durch sämtliche deutschen Magazine durchzuschmökern. Von Spiegel über Stern, von Focus über Bunte, von Gala über Brigitte und sogar Cosmopolitan und GQ – man kann ja stets noch was dazulernen. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass ich neunzig Prozent der porträtierten Menschen in Deutschland nicht mehr kenne. Sechzehn Jahre Amerika verwischen Spuren.
Doch an meinem gemütlichen Schmökern wurde ich durch die Sitznachbarin erst mal gehindert. Was ich denn so mache, wollte sie wissen, und ich zögerte mit der Antwort.
Noch vor Jahren wäre ich begeistert gewesen: ein weiteres Opfer! Natürlich hätte ich es nicht so genannt, aber dies wäre für mich wieder mal eine herrliche Gelegenheit gewesen, über mein Lieblingsthema »Gott« zu reden. Natürlich, war ich mir sicher, hatten da meine Engel ihre Hand im Spiel. Wahrscheinlich brauchte diese Frau Hilfe und hatte vielleicht sogar ihren Glauben verloren; und so wurde ich neben sie gesetzt, um ihr zu helfen.
Ich hätte ohne Punkt und Komma über Gott, Engel, spirituelles Wachstum, Visionquests (die Suche nach Visionen durch Naturerlebnisse) und heilige Pfeifen geredet, bis die Frau neben mir entweder begeistert gewesen wäre oder sich schleunigst hinter die Schlafbrille geflüchtet hätte.
Mich hatte damals, von 1993 an, sonst nichts mehr interessiert – meine Tochter mal ausgenommen. Ich kannte kein anderes Gesprächsthema, und ich hatte auch kaum mehr Freunde, deren Lebenszentrum nicht Gott war. Wer mit mir zusammen war – oder sich unglücklicherweise gerade in meiner Nähe befand -, wurde zwangsläufig überrannt. Zumindest bot ich eine Umarmung an, manchmal legte ich die Hand auf, gemeinsam wurde gebetet oder gelegentlich auch mal für zwanzig Minuten meditiert. Natürlich empfand ich mich überhaupt nicht als anstrengend oder stur. Diejenigen, die am anstrengendsten und stursten sind, sehen sich nie so. Selbstschutz, nehme ich an. Oder Blindheit. Ich wollte ja nur helfen! Die anderen werden mir eines Tages schon dankbar sein …
Obwohl ich auf Dankbarkeit nicht mal so aus war. Ich wollte einfach nur möglichst vielen Menschen das geben, was ich für mich gefunden hatte: eine Rückkehr zu Gott und damit einen besseren Weg zum Leben. Irgendwann einmal, so hoffte ich, wird das Samenkorn, das ich jetzt lege, seinen Weg ins Wachstum finden. Darin zumindest hatte ich ein gewisses Gottvertrauen.
Der Weg von der Begeisterung für ein bestimmtes Thema bis hin zur Besessenheit ist nicht sehr weit. Die Geschichte unseres Planeten ist voller Beispiele von Fanatikern. Natürlich war ich keiner! Selbstverständlich nicht! Ich war ja schließlich friedlich. Höflich. Freundlich. Normal.
Nun ja, was ist schon normal?
Natürlich entgingen mir nicht die immer weiter aufgerissenen Augen meiner Gegenüber, wenn ich mal wieder zu lange über mein Thema sprach. Mein damaliger Mann Richard, der mit Gott wenig anfangen konnte und mit meiner Besessenheit schon gleich gar nichts, schüttelte häufig genervt den Kopf.
Niemand, der irgendwie in meine Nähe kam, wurde verschont.
Ich betete mit Menschen, die nicht beten wollten.
Ich erklärte Leuten das Leben von Jesus, wie ich es sah, die es nicht erklärt haben wollten.
Ich erzählte von Channelings, früheren Leben und was diverse Krankheiten spirituell bedeuten, und der andere wollte nur wissen, ob man, wenn man rechts abbiegt, zum Bahnhof kommt.
Die Frau im Flugzeug neben mir fragte mich noch mal, was ich denn beruflich mache, und ich sagte ihr zögernd, dass ich Bücher über Spiritualität schreibe. Neugierig schaute sie mich an, und ich merkte, dass sie sich gedanklich ihren Fragenkatalog zurechtlegte.
Das hatte ich befürchtet. Ich begann mich unwohl zu fühlen. Jahrelang hatte es mir großen Spaß gemacht, über Gott zu reden oder über meine Bücher. Doch das ist nicht mehr so.
Ich erinnerte mich daran, wie ich vor ein paar Jahren beschlossen hatte, meine Belehrungen endlich abzulegen. Ich gewöhnte mir an, nur in kurzen Sätzen zu antworten. Früher benutzte ich jede Gelegenheit, um ohne Pause selbst auf die harmloseste Frage ewig lang und mit prall gefüllten Sätzen einzugehen. In meine Antworten schob ich geschickt weitere spirituelle Informationen hinein – natürlich immer ungefragt. Zum Beispiel erklärte ich auch gleich in diversen angefügten Halbsätzen, was der Sinn der Lebens ist, wie die Welt funktioniert oder warum Reinkarnation so wichtig ist. Wenn der andere nur den »Fehler« machte, sich irgendwie weiter interessiert zu geben (und ich nahm jedes auch noch so kleine Zeichen als höchstes Interesse wahr, selbst ein verzweifelt gemurmeltes »Hm«), fuhr ich mit meinen Ausführungen fort.
Später ermöglichten es meine kurzen Antworten dem Gesprächspartner hingegen, sich darüber klar zu werden, ob er denn wirklich mehr von mir hören wollte. Manche mochten es, manche mochten es nicht. Irgendwann gelang es mir, das einfach so hinzunehmen. Ohne Beurteilung, wie »weit« der andere denn spirituell sei.
So erwiderte ich auch die erste Frage meiner Nachbarin im Flugzeug (»Wie sind Sie denn dazu gekommen, Bücher über Spiritualität zu schreiben?«) mit einem kurzen »Durch Schmerzen«.
Ich konnte sofort sehen, dass sie mehr wissen wollte, deshalb gab ich auch zögernd die Antworten auf ihre nächsten Fragen.
Ich hatte sechs Monate zuvor endlich beschlossen, mir zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben eine zweijährige Arbeitspause zu gönnen, und wollte nicht über meine spirituelle Arbeit reden. Ich hatte es schon Tausende Male getan. Ich war in meinem Sabbatjahr und wollte über andere Dinge reden. So sagte ich es ihr einfach.
Sie war überrascht.
Ich war erleichtert.
»Das ist aber ungewöhnlich«, meinte sie nach einer kurzen Pause, »die meisten Leute, die sich mit Gott beschäftigen, sind immer ein bisschen – na, wie soll ich sagen? – belehrend«, fügte sie fast entschuldigend hinzu.
»Ja«, seufzte ich, »schrecklich. Da kannte ich auch mal eine …«
ERLEBNISSE
Meine Schwester Susanne Adlmüller gibt Energie-Ganzkörpermassagen, ist Dozentin an der Paracelsusschule, leitet Visionquests und Seminare, organisiert Touren für spirituelle Lehrer wie Samantha Khury (die mit Tieren kommuniziert) und Sharon Walker (Energiearbeiterin), weiterhin kümmert sie sich auch um unser Büro in München und arbeitet als Supervisorin im Castingbereich. Susanne ist vier Jahre jünger als ich, hat eine erwachsene, verheiratete Tochter, Beatrice, und wird jetzt bald Oma, worauf sie unsagbar stolz ist. Sie schreibt:
»Am Anfang war das Missionieren.
In der Zeit konnte man Sabrina nichts erzählen, ohne sofort den ultimativen Ratschlag zur Veränderung seines Lebens zu erhalten. Nicht, dass ich keine Ratschläge mag, aber immer, bei jeder Gelegenheit, hm … Das hielt sich am längsten.
›Der heilige Blick‹ oder ›Das selige Lächeln‹.
Das gehört auch zur Anfangsphase. Ein sanftes Lächeln im Gesicht mit einem Blick, dass man meinen konnte, die Heiligsprechung durch den Papst sei schon vollzogen worden.
Wenn Sabrina in München ist, wohnt sie bei mir; sie hat dort ein eigenes Zimmer, das sie auch selbst eingerichtet hat. Ich wohne in einem alten Bauernhof, den ich sehr liebe, der aber auch sehr hellhörig ist.
Ich bin bekennender Fernsehschauer. Mit Sabrina war es schwierig, fernzusehen.
Sobald etwas ansatzweise brutal war oder Action hatte, floh sie regelrecht aus dem Zimmer, und es hallte Meditationsmusik, bevorzugt von Enya, durchs Haus. Ich hab mir dann angewöhnt, mit Kopfhörern fernzusehen, denn jedes noch so kleine Geräusch von Action hatte die Folge, dass Sabrinas Stimme von oben den ultimativen Satz ›Kannst du leiser machen?‹ sprach. Andere Musik gab es bei ihr auch kaum mehr. Die Phase ist Gott sei Dank vorbei.
Essen und Trinken.
Sabrina in München bedeutete immer Coca-Cola und Spezi, Semmeln mit warmem Leberkäs, Hofpfisterei-Brot und Bierschinken. Das war immer so, bis die große Veränderung stattfand. Ich hatte, wenn sie zu Besuch kam, diese Sachen vorher eingekauft.
Auf einmal erklärte sie, dass sie keine Getränke mit Kohlensäure mehr trinkt. Also besorgte ich beim nächsten Mal statt Coca-Cola Wasser.
Dann erklärte sie, dass sie kein Fleisch mehr isst, sondern nur noch Fisch. Also besorgte ich, bevor sie kam, Fisch.
Das ging einige Jahre ganz gut, bis sie alles änderte und wieder Fleisch aß. Spezi und Coca-Cola trinkt sie inzwischen auch wieder. Die Zeit ohne Alkohol ist ebenfalls vorbei; und ich genieße es sehr, mit ihr abends ein Glas Wein zu trinken.
Rauchen.
Das war sehr nervig. Bei jeder Zigarette (und ich weiß, dass es schädlich ist und stinkt und, und, und …) das ultimative Augenbrauenhochziehen. Dann die Frage ›Musst du schon wieder rauchen? ‹ oder ›Du hast vor einer Stunde erst eine geraucht …‹ und so weiter und so fort.
Dann der Höhepunkt: Es war an der Zeit, meine Pfeife zu bekommen, die indianische Zeremonienpfeife. Sabrina ergriff die Gelegenheit und erklärte mir, dass ich die Pfeife erst bekommen würde, wenn ich zu rauchen aufhörte.
Nur als Anmerkung: Bei Sabrinas Pfeife wurde ihr vom Spirit gesagt, dass sie, Sabrina, ihre erst bekäme, wenn sie mit dem Rauchen aufhörte, was sie dann auch sofort tat. Ich hatte nie das Gefühl, dass das bei mir ebenfalls stimmt.
Monate später gestand sie mir, sie habe mich nur zum Aufhören bewegen wollen.
Obdachlose.
Das war sehr nervig und peinlich: Man geht mit jemandem spazieren, und alle zehn Meter bleibt man stehen, um mit einem Obdachlosen zu reden oder ihn zu umarmen. Das hat sich inzwischen auf ein normales Maß reduziert. Und wenn sie darauf angesprochen wird, dass jemand Hunger hat, gibt sie ein Frühstück oder Mittagessen aus.
Das Highlight: die Abfallphase.
Man soll seinen Abfall nicht auf die Erde werfen, das wissen wir alle. In unserer Familie wird das auch nicht gemacht. Doch wenn man mit Sabrina vor etwa vier Jahren spazieren ging, kam man nicht sehr weit, da sie Müll immer aufhob. Wenn ich schreibe ›immer‹, meine ich ›immer‹. Jedes kleine oder große Fitzelchen, egal, ob im Wald oder in der Stadt.
Es kam vor, dass sie mit zwei prall gefüllten Tüten voll Dreck zurückkam. Es war auch sehr lustig, dass Sie nie mit Plastiktaschen das Haus verlassen hatte. Diese fand sie ebenfalls auf ihren Spaziergängen.
Einmal, als sie bei mir war und im Wald und am Wegesrand Abfall gesammelt hatte, drei Tüten voll, hielt ein Autofahrer an, um sie mitzunehmen. Sie war sehr froh darüber, denn der Dreck hatte ein ziemliches Gewicht.
Es war ein älterer Imker, der sie nach Hause gefahren hat. Später kam er zu uns, um sie zu besuchen und ihr Avancen zu machen. Darauf ist sie aber leider nicht eingegangen, sonst hätte ich heute ausgezeichneten Honig frei Haus.
Als mich Sabrina gebeten hatte, aufzuschreiben, was mich auf ihrem spirituellen Weg am meisten genervt hat, dachte ich, dass es unheimlich viele Dinge waren. Erst beim Schreiben ist mir aufgefallen, dass es doch gar nicht so viele waren.
Aber mir fiel auf, dass ich in meiner Anfangszeit auch einigen Freunden ziemlich auf die Nerven gegangen sein muss. Eine meiner ältesten Freundinnen hat mir sogar einmal angedroht, mir das Haus zu verbieten, falls ich das Wort ›Engel‹ noch einmal benutzen würde. Wir sind immer noch befreundet.«
Die jüngste von uns drei Schwestern heißt Renate. Sie ist acht Jahre jünger als ich. Im Gegensatz zu meiner mittleren Schwester Susanne ist sie auch körperlich die »Kleine« geblieben. Allerdings habe ich noch nie so viel Durchsetzungsvermögen und so viel Mut in einem Meter neunundfünfzigeinhalb gefunden wie bei ihr. Sie arbeitet in der Münchner Rheumaklinik und leitet dort das Büro eines der Professoren. Sie ist seit ein paar Jahren mit Boris verheiratet und hat aus einer vorherigen Beziehung einen sechzehnjährigen Sohn namens Steven:
»Es ist ungefähr zehn Jahre her, die Anfangszeit von Sabrinas ›Neuanfang‹. Ich war mal wieder in L. A. Rita, eine Freundin von Sabrina, war auch bei ihr, und sie hatte ebenfalls gerade angefangen zu meditieren. Wir waren in einem Restaurant, als die beiden auf einmal damit begannen, auf mich einzureden, ich solle mit ihnen meditieren. Ich wollte das aber nicht. Mich interessierte es überhaupt nicht, für mich war das einfach zu ›bescheuert‹, dazusitzen und vor sich hin zu ›omen‹. Aber die zwei ließen nicht locker, ständig fingen sie wieder an: ›Probier’s halt einfach mal‹ und ›Mach doch mit.‹ Ich wollte aber nicht, ich war sogar recht froh, als ich wieder nach Hause fliegen konnte. Ich bin eigentlich immer gern bei meiner Schwester gewesen, aber diesmal war mir das echt zu viel des Guten.
Die erste Zeit war wirklich extrem, Sabrina steigerte sich so rein, und sie hatte nur noch ein Gesprächsthema – ›Meditieren und Engel‹. Eine Zeit lang dachte ich wirklich, jetzt dreht sie langsam, aber sicher durch. Sie erzählte mir zum Beispiel, dass sie drei Stunden bewegungslos dastand und nicht mal mit den Augen zuckte. Als Susanne dann auch noch anfing zu meditieren, dachte ich wirklich: ›O Gott, lass das nicht wahr sein!‹ Ich hatte eigentlich immer geglaubt, dass meine ›mittlere‹ Schwester wie ich auch auf dem Boden der Tatsachen lebte, ich hatte und habe jedoch immer noch das Gefühl, dass Susanne nicht ganz so ›durchgeknallt‹ ist wie Sabrina. Sorry!
Susanne und Sabrina fingen aber nach kurzer Zeit an, auf mich einzureden, ich solle doch auch zu meditieren beginnen – jedes Mal. Und ich dachte mir nur: ›Lasst mich bitte in Ruhe‹, aber sie taten es nicht. Immer und immer wieder forderten Sie mich auf, mich nervte es bloß noch, die beiden sprachen über nichts anderes mehr.
Als Sabrina dann ihre erste Meditationskassette gemacht hatte, fragte sie mich, ob ich sie mir anhören wolle.
Ich dachte mir: ›Tu ihr den Gefallen, vielleicht gibt sie dann Ruhe.‹ Ich ließ mir zu Hause Badewasser einlaufen, begab mich in die Wanne – dort entspanne ich mich am besten -, legte die Kassette ein, schloss die Augen und hörte relaxt zu, was bei Sabrinas Stimme sehr leicht fällt, sie ist so angenehm und ruhig – aber dann … erst Stille, darauf plötzlich ein schrilles, lautes ›Kling‹ mit einer Triangel.
Ich hab mich richtig erschrocken, und das Ganze ging, glaube ich, zehn Minuten lang, ständig erst Stille und dann wieder dieses nervige ›Kling!‹. Ich wurde total aggressiv, stellte die Kassette ab und stieg völlig genervt und grantig aus der Wanne.
Ich rief Sabrina an, um ihr zu sagen, dass ich wegen der Kassette stinkig sei und dass das alles andere als entspannend für mich war.
Sabrina sagte mir dann jedoch: ›Siehst du, es hat aber was in dir berührt, auch wenn es ins Negative gegangen ist‹ – und ich doch eigentlich im Innersten von mir wüsste, dass ich meditieren sollte. Ich war aber zu ›bodenständig‹, und ich dachte mir auch, ich hätte für so was gar keine Zeit als allein erziehende Mutter und voll berufstätig. Ich muss dazu sagen, ich bin immer noch die Einzige von uns dreien, die nicht meditiert.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Sabrina mal unsere Mama besuchte. Es war im Herbst beziehungsweise fast Winter, und sie ging vors Haus, zog ihre Schuhe aus und tanzte um einen Baum herum. Ich dachte bloß: ›Mich trifft der Schlag‹, weil ein paar Leute dastanden und ihr zuschauten. Es war mir so peinlich, das kann sich keiner vorstellen. Es war ja auch wirklich schon recht kalt draußen, und Sabrina tanzte barfuß umher und machte irgendein indianisches Ritual. Ich glaube, sie bemerkte die Leute gar nicht – oder ihr war’s einfach egal, was sie von ihr dachten. Ich dachte mir bloß: ›Hoffentlich sieht das keiner von den Leuten, die mich kennen.‹ Ich hätte mich fürchterlich geschämt.
Irgendwann fing sie an, ihr Essen zu segnen. Wenn sie bei uns zu Besuch war und das machte, war es mir egal, aber sie und Susanne, die tat es ja ebenfalls – bald machten sie es auch im Lokal. Das war mir sehr unangenehm. Man muss sich das so vorstellen: Das Essen wird gebracht, und die beiden schließen ihre Augen, legen die Hand über den Teller und murmeln vor sich hin. Ich wäre früher am liebsten in ein Mauseloch geflohen, weil natürlich jeder wieder geschaut hat. Ich weiß gar nicht, ob die beiden das eigentlich noch machen; ich glaube, nicht. Aber heute sehe ich das auch wieder mit anderen Augen, und ich denke nur: ›Ach, lass sie schauen.‹
In den vergangenen Jahren hat sie endlich eingesehen, dass sie mich nicht ›bekehren‹ kann. Sie probiert es auch nicht mehr. Gott sei Dank. Jetzt lese ich gern ihre Bücher und höre mir ab und zu auch die Kassetten an. Wir sind uns wieder näher gekommen, denn ich hatte mich oft ausgegrenzt gefühlt, wenn wir drei Schwestern mal zusammen waren, weil ich ja nie ›spirituell‹ gewesen bin.
Heute bin ich stolz auf Sabrina und auch darauf, ihre Schwester sein zu dürfen – so, wie ich bin.«
Mon Müllerschön ist Kunstmanagerin mit eigener Firma, Mutter zweier großartiger Jungs und eine ebenso großartige Frau.
Das Gleiche gilt für Ursula Karven. Sie ist Schauspielerin, Yogabuch-Autorin und Mitinhaberin der Firma »bellybutton«. Sie ist verheiratet und Mutter zweier toller Kinder. Alle drei sind wir seit Jahren eng befreundet.
Von dem folgenden Erlebnis gibt es zwei verschiedene Versionen. Ursula erzählte mir, dass sie sich erinnert, wie seltsam ich mal bei einem Abendessen bei Mon war. Ursula war regelrecht besorgt um mich; sie befürchtete, dass ich verrückt geworden bin oder »reif für die Klapsmühle«, wie sie sich ausdrückte. Ich e-mailte Mon, und ein paar Tage später bekam ich ihre Antwort:
»Hatte ich ganz vergessen … hab gestern mit Ursula gesprochen. Wir erinnern uns an zwei verschiedene Versionen. Ich erinnere mich an einen gemütlichen Spätnachmittag in unserem wunderschönen Haus auf der Klippe, wo wir vor dem Kaminfeuer saßen. Wir meinen, du, Richard, Niki, ich, Ursula, Jimmy, eventuell auch Jessika und Al, da bin ich mir nicht mehr sicher … Wir hatten angeregte Diskussionen, besonders Niki und du seid in heiße Debatten über Spiritualität und so geraten. Du standest immer in Kontakt zu deinen Freunden von ›Outer Space‹. Es wirkte so, als hättest du mit anderen Wesen, die nur du wahrnimmst, innige Gespräche. Du lachtest zum Himmel hoch, hast wissend nach oben geschaut, genickt, gegrinst, laut aufgejuchzt, komplett surreal … sehr irritierend.
Richard hat es tapfer negiert und wir anderen auch alle. Das war halt Sabrina. Als alle weg waren, sagte Niki zu mir: ›Richard muss ein Heiliger sein, wie hält er das aus?‹ Auch Ursula und ich haben uns am Tag danach natürlich köstlich amüsiert – auf deine Kosten. Nachträglich eine Bitte um Entschuldigung, grins …
Ursula meinte, wir wären bei mir gewesen mit lauter Freundinnen … ich denke aber, es waren eher wir Paare. Ja also, das war wohl eine der merkwürdigsten Situationen mit dir.
Ich habe immer darüber nachgedacht, wie schwer es sein muss, so unterschiedlich zu leben, sowohl für Richard als auch für dich.«
Erstaunlicherweise kann ich mich daran überhaupt nicht mehr erinnern. Und Richard auch nicht. Ich bin natürlich sicher, dass es so – oder so ähnlich – irgendwie stattgefunden hat. An eine Sache kann sich Richard allerdings noch sehr genau erinnern:
»Ich müsste Sabrina doch wirklich am besten kennen. Und dennoch hat sie mich immer wieder überrascht. Sabrinas spirituelle Reise brachte sie auf viele Wege. Ich war ein Beobachter – neugierig, meistens respektvoll, ab und zu skeptisch und häufig zynisch. Der Tag, von dem ich schreiben will, im April 1995, gehört auf jeden Fall in die letztere Kategorie.
Es war während der Zeit, in der Sabrina ihre Mittwoche als stille Tage deklarierte, was bedeutete, dass sie vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang nicht sprach. Wir waren auf einem Cruiseschiff, um den Geburtstag einer unserer engsten Freundinnen zu feiern. Wir legten an der Insel St. Bart an und hatten die Wahl, entweder an Bord zu bleiben oder an Land zu gehen. Wir entschlossen uns für den Landausflug. Und, wie Sie wahrscheinlich schon ahnen, es war ein Mittwoch, Sabrinas stiller Tag.
St. Bart ist eine sehr kleine Insel, und die einzige Möglichkeit für einen Touristen, sie zu erkunden, ist neben dem Zu-Fuß-Gehen, sich in einer Art Golfcart fortzubewegen. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Chance, mit Ihrem Partner gemeinsam Zeit in einem sehr idyllischen und romantischen Ort zu verbringen, allerdings verfahren Sie sich gelegentlich, die Einwohner sprechen nicht Ihre Sprache, und Ihr Partner spricht gleich überhaupt nicht! Ja, sie hat immer noch ihre Meinung, welche sie unkenntlich in ein kleines Notizbuch schreibt. Oder sie presst Ihnen einen Ellbogen in die Rippen, starrt Sie mit riesigen offenen Augen an, und Sie lesen irgendetwas wie ›Was um Himmels willen hast du nun vor?‹ oder ›Was machst du denn jetzt?‹ heraus. (Sie müssen dabei auch wissen, dass es sich hierbei nicht um unseren ersten stillen Mittwoch handelte, sondern es war eher unser zwanzigster; und diese Frustration, die wir gemeinsam fühlten, war keine neue Erfahrung für uns.)
Vor uns lag ein Mittagessen mit unserer Gruppe von Freunden, und ich tröstete mich damit, dass meine einseitige Konversation bald ein Ende haben würde. Was mein stiller Partner und ich nicht wussten, war, dass wir über eine Stunde zu spät zu diesem gemeinsamen Mittagessen eintreffen würden. Zu unserer Ankunft waren die anderen schon fast fertig mit ihrem Mahl, und das Restaurant war voll, mit Ausnahme von einem Tisch, der abgelegen stand und gerade mal zwei Sitze bot.
Ja, sie hatte ihr Notizbuch, und ja, sie ist wundervoll. ›Das kann doch wohl nicht das Ende der Welt sein‹, werden Sie sich denken. Aber unglücklicherweise ist Sabrinas Handschrift die zweitschlimmste der Erde – nach meiner. Wenn man dann alle Fragen gestellt hat, die mit Nein oder Ja beantwortet werden können, was leicht passieren kann nach einer dreistündigen Fahrt mit einem Golfwagen – dann ist man am Ende angekommen.
Endlich war unser Mittagessen vorbei – Yippee!!! -, und in weiter zelebrierter Stille fuhren wir mit dem Golfwagen zurück zum Hafen. Wir blieben ein paar Mal stehen und kauften Geschenke ein, und dann brachten wir den Wagen wieder zurück zur Verleihfirma. Die Dame dort begrüßte uns, ich füllte die notwendigen Formulare aus, um den Wagen abzuliefern.
Sabrina versuchte, der Dame irgendwie klar zu machen, dass ihr Sicherheitsgurt klemmte und nicht mehr richtig aufging. Die Dame beobachtete zuerst Sabrina, konnte deren pantomimischen Erklärungen nicht folgen und wandte sich dann Hilfe suchend an mich. Wahrscheinlich würde ich ja wohl wissen, was sie ausdrücken will. In diesem Moment, ich hob gerade die diversen Pakete und Geschenke aus dem Rücksitz und lud sie in Sabrinas Armen ab, sagte ich: ›Ignorieren Sie einfach meine Frau. Sie ist blond, taub und stumm. Aber zum Sachentragen ist sie ganz gut zu gebrauchen. ‹<
Die Dame starrte mich erschrocken an und konnte meinen Kommentar nicht fassen, und Sabrina wollte gerade was sagen, aber hielt sich noch im letzten Moment zurück. Sie schaute mich an, und wir beide brachen in schallendes Gelächter aus.
Sabrinas Versprechen, mittwochs still zu sein, wurde geehrt – aber wenigstens konnten wir ab und zu herzlich und laut darüber lachen.
PS: Diese Tage, ohne dass sie etwas sagte, zeigen vielleicht, wie weit wir in unserem Miteinander gereist sind. Ich erinnere mich nämlich auch an ein Erlebnis ziemlich früh in unserer Ehe, als wir uns über irgendetwas gestritten hatten. Nachdem es eine Weile hin und her gegangen war, sagte ich zu ihr, dass ich ihr nicht mehr zuhören würde. Daraufhin rief sie mir zu, schließlich sei sie mal Fernsehmoderatorin gewesen: ›Ich werde fürs Reden bezahlt. Und du kriegst es umsonst, und es interessiert dich nicht einmal.‹<
Tja, so ändern sich die Zeiten.«
Kathy Ojjeh lebt in der Schweiz, ist seit zwanzig Jahren verheiratet und hat vier wunderbare Kinder. Ich fühle mich ihr sehr nah. Wir haben in unserem Leben häufig ähnliche Herausforderungen, und unsere Gewohnheiten gleichen sich. Kathy versorgt ihre große Familie mit viel Liebe, und ihr Freundeskreis ist enorm. Sie schafft es mit Leichtigkeit, Menschen zusammenzubringen, und ist die perfekte Gastgeberin:
»Meine Freundin Sabrina auf ihrer unaufhörlichen Suche, um ihre ›göttlichen‹ Erfahrungen zu erweitern, hat vor vielen Jahren entschieden, am Mittwoch nicht mehr zu sprechen. Die meisten Leute, die davon hörten, waren schlichtweg verwirrt. Warum sollte irgendjemand beschließen, an einem Tag der Woche nicht sprechen zu wollen? Was versuchte Sabrina zu beweisen?
Da ich eine gute Freundin von ihr bin, war ich nicht sehr überrascht von ihrer Entscheidung. Ehrlich gesagt, bewunderte ich sie sogar. Ich kenne schlichtweg niemanden, der sich solch eine schwierige Aufgabe aussuchen würde – noch dazu eine im sozial-menschlichen Umfeld behindernde -, um sich persönlich zu entwickeln. Es war interessant, zu beobachten, wie die Leute das Interesse daran verloren, mit ihr zu kommunizieren, als Sabrina Antworten auf Zettel schrieb. Als Freundin von ihr war es häufig schmerzhaft, zu sehen, wie die anderen mit den Augen rollten und ihre Körpersprache genervt nur rausschrie: ›Warum antwortest du nicht einfach? ‹ Aber Sabrina blieb bei ihrer Entscheidung.
Es war auch interessant, dass manche Leute nicht mit ihr kommunizieren wollten an diesem Tag, weil sie dachten, Sabrina wolle nicht mit ihnen kommunizieren. Dem war aber nicht so. Sie schrieb immer alle Antworten auf, wenn sie irgendetwas gefragt wurde, und fragte selber. Die Mechanik der Konversation hatte sich verändert, nicht aber die Intensität. Das konnte ich viele, viele Male beobachten.
Ich fand Sabrinas Disziplin erstaunlich. Sogar heute, neun Jahre später, habe ich immer noch Freunde, die mich fragen, wie es denn meiner Freundin geht, die am Mittwoch nicht spricht. Dies ist fast so etwas wie ihr Mini-Vermächtnis geworden, über das noch viel gelacht wird, aber auch ein ehrenhaftes und ernsthaftes Ziel.
Ich muss allerdings zugeben, dass Sabrina einmal an einem Mittwoch mit mir sprach während dieses Jahres, in dem sie das ausprobierte. Wir waren mit einer Gruppe gemeinsam in Urlaub, und es passierte etwas Privates, über das ich mir große Sorgen machte.
Das war wundervoll, denn sie wusste intuitiv, dass sie die Einzige war, die die Schwere, die auf mir lag, erleichtern konnte. Sie hat dieses eine Mal ihr Versprechen gebrochen und redete mit mir – und half mir damals in dieser Krisenzeit.«
Als ich die Entscheidung traf, mittwochs nicht mehr zu sprechen, war mir nicht klar, dass ich trotzdem noch kommunizierte. Der erste Schritt bestand darin, die Stimme nicht zu benutzen, dennoch war ich nicht in Stille. Obwohl ich nie las, weder Radio hörte noch fernsah und mich auch sonst nicht ablenkte, lebte ich mein normales Leben. Nur eben komplizierter. Ich musste alles aufschreiben; was bei meiner Handschrift ein nicht unerhebliches Risiko darstellte.
Erst ein paar Monate später wurde mir klar, dass ich mit diesen stillen Mittwochen nicht weniger Stress, sondern mehr hatte. Und erst dann ging ich den Schritt weiter. Überhaupt nicht mehr zu kommunizieren. Also auch nichts aufzuschreiben und keine pantomimischen Handzeichen zu machen. Ich hielt mich in meinem Meditationszimmer, in meinem Garten und in meinem Haus auf. Ich erledigte ganz normale Hausarbeiten und war bemüht, mich ganz darauf zu konzentrieren. Aber Julia war damals gerade mal vier Jahre alt. Für sie gab ich meine Mittwoche auf. Für Mütter ist das auf Dauer nicht geeignet. Wie bei vielen Dingen, die ich ausprobiert habe, war es mir auch bei dieser Übung wichtig, den Effekt zu erleben. Zu sehen, ob das etwas ist, was ich in mein Leben einfügen will. Und doch war es einer meiner vielen Versuche, mehr im »Jetzt«, also mehr in der Gegenwart zu leben.
Das Ergebnis war eher dürftig, wenn ich es genauer betrachte. Außer ein paar herrlichen Geschichten, über die heute noch gelacht wird, habe ich nur daraus gelernt, dass ich sehr stur sein kann, wenn ich mir etwas vornehme. Aber auch das wusste ich schon vorher.
LD (ausgesprochen »Eldie«) Thompson ist Fernsehproduzent, Autor, intuitiver Berater und ein Trancemedium. Wir sind seit einigen Jahren eng befreundet. Hier ist seine Geschichte zum Thema spirituelle Sturheit:
»Am Anfang, als ich Sabrina kennen lernte, leitete ich einen Solano-Workshop auf Maoi, an dem sie teilnahm. Das Center war an einem herrlichen Zipfel an der nördlichen Seite der Hawaii-Inselgruppe gelegen, und wie wir alle bald herausfinden sollten, veränderte sich das Wetter häufig.
Eins der Dinge, die Sabrina mir mal erzählte, war, dass sie gern im Freien schläft und ihr Zarathustra [der von Jacqueline Snyder gechannelt wurde] mal gesagt hat: ›Wenn du wissen willst, wer Gott ist, dann schlafe unter dem Sternenhimmel.‹ Und so schnappte sich Sabrina jeden Abend nach dem Workshop ihren Schlafsack, um draußen zu übernachten. Allerdings füllte sich das Firmament jede Nacht mit Wolken, um dann irgendwann während der Nacht, manchmal um drei Uhr morgens, manchmal um fünf, alle Tore aufzumachen, und alles angesammelte Wasser schüttete auf Sabrina.
Nun, Sabrina ist die entschlossenste Frau, die ich kenne. Diese Regenflut hatte keinen großen Einfluss auf sie. Sie trocknete den Schlafsack während des Tages in der Sonne, nachts legte sie sich wieder unter den Sternenhimmel. Und jede Nacht wurde sie klatschnass. Ich glaube, was Sabrina letztlich in diesen Nächten über Gott erfahren hat, ist das: Wenn Gott es regnen lassen will, dann ist es besser, wenn man unter einem Regenschutz schläft.«
Das Einzige, was ich daraus gelernt hatte, war, dass ich mir sofort nach der Rückkehr von dem Workshop einen Biwaksack als Regenschutz für meinen Schlafsack kaufen sollte. Offensichtlich bin ich langsamer im Lernen, als LD es vermutet.
Zwischen Vorsicht
und Selbstverständlichkeit
Plötzlich klickt es. Da gibt es eine Weggabelung, die die zukünftigen Verhaltensweisen verändert. Das Heimliche wird abgelegt, die Vorsicht zurückgelassen. Da kommt der Moment, in dem wir – manche von uns zögerlich, manche mutig – uns zu Gott bekennen.
Und egal, wie wir dort angekommen sind, langsam oder schnell, geplant oder überraschend, das Ergebnis ist das gleiche: Wir sind anders.
Nachdem ich mich entschlossen hatte, meine Spiritualität, mein Interesse und meine Liebe zu Gott nicht mehr zu verheimlichen, begann eine neue Zeit. Ungefähr ein Jahr lang hatte ich im Stillen meditiert und nur mit sehr wenigen Freunden über meine neuen Interessen gesprochen. Ich hatte Angst, dass mich die anderen für verrückt hielten. Doch dann konnte und wollte ich meine neuen Erlebnisse und Erfahrungen nicht mehr verheimlichen. Ich schrieb auch gerade an meinem ersten Buch Endlich aufgewacht und musste mich damit auseinander setzen, dass in kürzester Zeit meine Reputation als Fernsehmoderatorin durch mein spirituelles Interesse ins Schwanken geraten würde.
Und so machte ich mich auf, für meinen Glauben geradezustehen. Mir war klar, dass ich beurteilt werden würde. Man würde mich vielleicht für verrückt halten, denken, ich sei einer Sekte verfallen, oder mich möglicherweise sogar verdächtigen, ich wolle selbst eine gründen. Zumindest aber würde man annehmen, dass ich zu lange ungeschützt in der kalifornischen Sonne gesessen habe. Einige werden hoffen, dass sich diese Phase schnell wieder »verwächst« – was sich allerdings als unwahrscheinlich herausstellte.
Wie bei allem, was man sich angewöhnt, ist die erste Zeit eine Phase des Ausprobierens. Es fühlt sich noch fremd an. Wir müssen jedes Mal darüber nachdenken, bevor wir in Aktion treten. Es ist noch nicht »natürlich«.
Ich lerne gerade Tango tanzen, und in der Tanzschule fiel mir ein Plakat auf mit den verschiedenen Phasen, die man dabei durchläuft:
1. Lernen der Schritte.
2. Unbeholfener Gebrauch der Schritte.
3. Bewusster Gebrauch der Schritte.
4. Selbstverständlicher Gebrauch der Schritte.
So ging es mir bei allen meinen Veränderungen. Es dauert einfach, braucht eine gewisse Übung, bis bestimmte Verhaltensweisen sich geändert haben. Doch wann kommt etwas aus tiefstem Herzen, und wann müssen wir uns dazu zwingen?
Als ich zum ersten Mal in meinen Meditationen hörte, dass ich einen Bettler umarmen sollte, riss ich vor Schreck die Augen auf. Um Gottes willen, das kann doch wohl nicht ernst gemeint sein?
Es dauerte fast ein Jahr, bis ich es endlich schaffte. Übrigens, das Umarmen eines Bettlers ist für mich immer noch nicht selbstverständlich geworden. Aus zwei Gründen: Als Erstes habe ich nun mal eine feine Nase, und daran wird sich in Zukunft wohl auch sehr wenig ändern. Zweitens will der Obdachlose vielleicht auch keine Umarmung von einer Wildfremden. Übrigens ein Gedanke, der mir erst sehr viel später als Einsicht kam. Welcher Größenwahnsinn von mir, zu glauben, dass solch ein Obdachloser doch froh sein kann, wenn er umarmt wird! Deshalb habe ich es mir angewöhnt, das Geld oder was immer sonst gleich in die Hand zu geben, den anderen direkt anzuschauen, ihn oder sie anzulächeln und noch ein paar Worte zu sagen. Manchmal merke ich natürlich sofort,wenn der/die Betreffende gerade lügt oder mir ein Märchen erzählt. Dann schmunzle ich meistens und sage, was für eine hervorragende Geschichte das sei, allein schon dafür sollte er/sie was bekommen.