Tausend Dank an all die lieben Menschen,die mich mal wieder bei der Entstehung dieser Geschichte unterstützt haben.
Danke an Katrin für ihr Insiderwissen!
An Satria und Steff, die mein Gejammere über Schreibblockaden ertragen haben.
An Natalie und ihre Kreativcouch!
An meine Eltern.
Und natürlich: Danke, liebes Universum! Du machst einen wirklich guten Job!
Die Autorin
Jana Voosen, Jahrgang 1976, studierte Schauspiel in Hamburg und New York. Es folgten Engagements an Hamburger Theatern. Seitdem war sie in zahlreichen TV-Produktionen (Tatort, Marienhof, Hochzeitsreise zu viert u. a.) zu sehen. Jana Voosen lebt und arbeitet in Hamburg. Prinzessin oder Erbse? ist ihr siebtes Buch.
Mehr über die Autorin finden Sie im Internet unter www.janavoosen.de
Lieferbare Titel
Er liebt mich … – Zauberküsse – Mit freundlichen Küssen — Allein auf Wolke Sieben
»Und der diesjährige Deutsche Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels geht an ›Geborgte Stunden‹ von Stefanie May!« Tosender Applaus brandet auf, während ich mich mit wackeligen Knien erhebe und in Richtung Bühne stolpere. Jemand fasst mich am Handgelenk, wirbelt mich zu sich herum und drückt mir einen langen Kuss auf die Lippen.
»Herzlichen Glückwunsch, Fanny. Du hast es verdient«, sagt der Mann. Ich versuche, ihm in die Augen zu sehen, aber sein Gesicht ist merkwürdig verschwommen. Verwundert kneife ich die Lider zusammen. Muss der Schock sein, beschließe ich dann. Ist ja auch kein Wunder. Du meine Güte, mein Roman gewinnt einen Preis. Wo sich doch für meine ersten beiden Bücher niemand wirklich interessiert hat. Meine beste Freundin Julia sitzt in der ersten Reihe und klatscht wie verrückt in die Hände. Ich darf auf keinen Fall vergessen, sie in meiner Dankesrede zu erwähnen. Wie oft hat sie sich mein Gejammer angehört, dass niemand meine Bücher lesen will? Wie viele Teller Spaghetti hat sie für mich gekocht, wenn ich mich im Schreibrausch nicht vom Computer losreißen konnte? Ich löse mich von meinem Begleiter, streiche den Rock meines fliederfarbenen Kleides glatt, dessen fließender Schnitt meine etwas zu breiten Hüften geschickt kaschiert, und fingere aufgeregt in dem kleinen Beutel herum, der mit einem samtenen Band an meinem Handgelenk befestigt ist. Wie gut, dass ich meine Rede zu Papier gebracht habe. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so fühlen könnte. So losgelöst. Und so vollkommen verwirrt. Erneut werfe ich einen Blick auf den Mann, der mich eben so zärtlich geküsst hat und dessen Name mir nicht einfallen will. Vielleicht habe ich ihn ja in meiner Dankesrede erwähnt, hoffe ich und falte das kleine weiße Papier auseinander, während ich auf meinen hohen Absätzen die Treppe hinaufbalanciere. Wie in Trance nehme ich den Preis entgegen. Die applaudierende Menge verschwimmt vor meinen Augen, Männer in teuren Smokings, die Frauen in Abendkleidern aus edlen Stoffen. Und alle klatschen sie. Für mich. Mich überrollt ein Glücksgefühl, so übermächtig, dass es fast schmerzhaft ist. Schließlich verebbt der Applaus, und ich lehne mich ein wenig in Richtung des Mikrofons, das vor meiner Nase von der Decke herunterbaumelt.
»Danke«, sage ich krächzend und räuspere mich. Mit klarer Stimme fahre ich fort: »Ich danke Ihnen allen.«
»Fannyyyy!«, ruft Julia, und es sind vereinzelt Lacher zu hören.
»Juliaaaa«, rufe ich zurück und winke ihr lächelnd zu. Dann werfe ich einen Blick auf meinen Spickzettel und hole tief Luft: »Ich glaube, jeder, der selber schreibt, weiß …«
»Fannnyyyy«, erklingt es erneut aus der ersten Reihe, und ich hebe irritiert den Kopf. »Fanny, Fanny, Fanny!«
»Sie findet mich nicht lustig, das ist mein Spitzname«, erkläre ich dem Publikum.
»Fanny, Fanny!«
»Ja. Danke«, sage ich nachdrücklich. »Also, wie ich sagte, jeder, der selber …«
»Fanny, Fanny!« Jetzt beginnt Julia auch noch, mit den Fingerknöcheln auf ihrem Stuhl herumzuklopfen. Sie gebärdet sich wie eine Verrückte, und alle recken die Köpfe, um zu sehen, was sie da treibt. Fassungslos starre ich meine Freundin an, die jetzt aufsteht und sich dem Publikum in ihrem silbergrauen Seidenkleid präsentiert. Wie ein Megafon legt sie beide Hände um ihren Mund und ruft immer lauter: »Fanny, Fanny, Fanny.« Mir wird schwindelig, die Gesichter in der Menge verwandeln sich in eine wabernde, wogende Masse.
»Julia, hör auf damit«, versuche ich zu rufen, aber meine Kehle ist wie zugeschnürt. Wieso tut sie mir das an? Warum verdirbt sie mir meinen Triumph?
»Fanny, Fanny«, hallt es in meinen Ohren, und plötzlich verliere ich das Gleichgewicht und sinke zu Boden. »Fanny, du musst aufstehen«, ruft Julia mir zu.
Mit einem Ruck setze ich mich auf. Wo bin ich? Mein Blick fällt auf das goldgerahmte Engelsbild an der gegenüberliegenden Wand. Unter meinen Händen fühle ich den kühlen Satin meiner dunkelblauen Bettwäsche.
»Fanny, Fanny«, erklingt es von der anderen Seite der Tür. Es war nur ein Traum. Verdammt. Und wieder bin ich nicht dazu gekommen, meine Dankesrede zu halten.
»Ist ja gut«, rufe ich schlecht gelaunt und lasse mich in die Kissen zurücksinken. Die Türklinke wird heruntergedrückt, Sekunden später steht Julia vor meinem Bett und schaut kopfschüttelnd auf mich herunter. Sie hat den silbernen Fummel gegen einen knallengen, roten Jogginganzug getauscht, die soeben noch ihr Gesicht umspielenden, kastanienbraunen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre braunen Augen leuchten, sie wirkt vergnügt und unheimlich fit. Wie immer.
»Willst du nicht mal aufstehen?« Sie macht Anstalten, mir die Bettdecke wegzuziehen, die ich mit den Oberschenkeln umklammere.
»Nö«, knurre ich, drehe mich auf die andere Seite und schließe die Augen. Vielleicht kann ich ja noch mal einsteigen bei der Preisverleihung.
»Wie lange hast du denn gestern Nacht noch geschrieben? «
»Du meinst wohl, heute Morgen? Bis halb sechs.«
»Donnerwetter!« Ich öffne ein Auge und sehe, wie sie neugierig auf meinen Schreibtisch zugeht und einen ehrfürchtigen Blick auf den dort liegenden Stapel beschriebenen Papiers wirft. »Sag nicht, du bist…?« Mit der ihr eigenen Grazie dreht sie sich halb um die eigene Achse und sieht mich mit leuchtenden Augen an.
»Fertig!« Mit einem Satz springt sie in mein Bett, um mich stürmisch zu umarmen. »Uff«, mache ich.
»Stell dich nicht so an! Gratuliere!«
»Ja, danke.« Sie mustert mich skeptisch.
»Na, du bist ja begeistert.«
»Ich bin müde. Wieso weckst du mich zu so nachtschlafender Zeit? Wie spät ist es eigentlich?«
»Gleich halb zehn.« Gut gelaunt beginnt sie damit, meinen Nacken zu massieren. »Du bist total verspannt«, kommentiert sie knetend, während ich irgendwo zwischen Schmerz und Wohlbehagen stöhne.
»Und warum bist du um diese Uhrzeit schon so wach und gut drauf?«
»Was heißt hier schon? Ich bin um sechs aufgestanden und habe bereits ›Yoga für Frühaufsteher‹ unterrichtet. Heute ist doch Montag.« Ach ja, stimmt. Ich werde nie begreifen, dass Menschen sich morgens um sieben zum Sport aufraffen. Auch wenn Julia immer behauptet, dass Yoga so viel mehr ist als nur Sport. »Yoga wäre genau das Richtige für dich. Das wirkt Wunder gegen diese Art von Verspannungen.« Ich grunze unwillig.
»Sport ist Mord.«
»Yoga ist so viel mehr als nur Sport«, erwidert sie, und ich grinse in mich hinein.
»Ja doch, ich weiß! Nächste Woche komme ich mal mit.«
»Wer’s glaubt«, unkt sie und beendet die Massage. Leider. »Stehst du jetzt auf?«
»Warum sollte ich?« Mein Job im Call-Center einer Bank beginnt erst um zwölf. Das kommt mir sehr entgegen, weil ich häufig die Nächte durchschreibe. Ich werfe einen wehmütigen Blick auf den Papierstapel auf meinem Schreibtisch. Irgendwie ist es immer wie ein kleiner Tod, wenn man einen Roman abschließt. Ohne jetzt allzu pathetisch klingen zu wollen.
»Weil du einen Termin bei deinem Agenten hast«, antwortet Julia achselzuckend. »Oder ist der nicht heute?«
»Verdammt!« Mit einem Satz bin ich aus dem Bett und haste in Richtung Badezimmer. »Ich komme zu spät.«
»Sag ich doch«, bestätigt Julia gelassen und folgt mir, während ich bei meinem eigenen Anblick im Spiegel das dringende Bedürfnis verspüre, mich wieder unter der Bettdecke zu vergraben. Meine hellroten Locken stehen mir wie Putzwolle kreuz und quer vom Kopf ab und erinnern an ein frisch geborenes Rosettenmeerschweinchen. Mehr schlecht als recht bändige ich sie mit einer Haarspange, spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, putze in Windeseile meine Zähne und lege dann ein notdürftiges Make-up auf.
»Ich finde ja immer noch, du solltest mal braune Wimperntusche ausprobieren. Bei so hellen Augen ist schwarz einfach zu dominant«, fachsimpelt Julia. Als hätte ich keine anderen Sorgen.
»Können wir darüber sprechen, wenn ich nicht gerade einen Termin mit meinem Agenten verpasse, der sowieso nicht allzu gut auf mich zu sprechen ist?«
»Natürlich.« Ich werfe einen abschätzenden Blick in den Spiegel. Das muss reichen, für mehr ist keine Zeit. Julia folgt mir zurück in mein Zimmer, wo ich mich in Jeans, hochhackige Stiefel und einen olivgrünen Pullover mit V-Ausschnitt werfe. »Ich finde, dein Agent hat allen Grund, stolz auf dich zu sein«, meint sie und nimmt mein Manuskript in beide Hände. »Du bist fleißig, fantasievoll und stellst kaum Ansprüche. Was kann man sich mehr wünschen von einer Autorin?« Ich sehe sie mit einer Mischung aus Rührung und Verständnislosigkeit an.
»Wie sollte man auch Ansprüche stellen, wenn keiner lesen will, was man schreibt?«, erkundige ich mich, bemüht, nicht allzu bitter zu klingen.
»Ich will es lesen!« Sie strahlt mich an.
»Lieb von dir.« Ich nehme ihr den Stapel aus der Hand. »Aber jetzt nehme ich es erstmal mit zu Herrn Krause.«
»Darf ich’s mir ausdrucken?« Ich zucke mit den Schultern, obwohl mir ihr Interesse natürlich schmeichelt.
»Klar. Wenn noch genug Tinte im Drucker ist.« Im Hinausgehen nehme ich meine Jacke von der Garderobe.
»Vielleicht wird das der Durchbruch. Qualität wird sich durchsetzen!«, ruft sie mir hinterher, aber da werfe ich die Tür unserer Drei-Zimmer-Altbauwohnung schon mit Schwung hinter mir zu. Ich renne die drei Stockwerke im Eilschritt hinunter und hinaus auf die Straße, wo ich vor Kälte erschaudere. In den letzten Tagen war es schon recht mild für Ende Februar, doch über Nacht scheint noch einmal der Winter über uns hereingebrochen zu sein. Schneeflocken fallen vom Himmel, und ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke bis unters Kinn hinauf. Suchend sehe ich die Marktstraße hinunter, die mitten im Hamburger Karoviertel liegt und von gemütlichen Cafés, schrammeligen Kneipen und witzigen Klamottengeschäften gesäumt ist. Wo habe ich geparkt? Alle Autos sind mit einer dünnen Puderzuckerschicht bedeckt, was die Sache nicht einfacher macht. Bevor ich erneut in Panik verfallen kann, entdecke ich meinen uralten, rostroten Fiat Punto schräg gegenüber. »Viel Rost, wenig Rot«, wie Julia immer so schön sagt. Aber Hauptsache, er fährt.
Während ich mich durch den Hamburger Verkehr kämpfe, der durch den plötzlichen Wintereinbruch noch zäher fließt als sonst, wandern meine Gedanken zurück zu dem Traum von heute Nacht. Der Deutsche Buchpreis. Ja, das wär’s! Aber eigentlich würde es mir schon genügen, wenn sich wenigstens eine einigermaßen ansehnliche Leserschaft für meine Romane begeistern könnte. Mehr als für die ersten beiden, die zwar veröffentlicht, aber leider kaum verkauft wurden. Mit einem tiefen Seufzer sehe ich auf das dicke Manuskript auf dem Beifahrersitz. Die Geschichte einer Ehefrau und Mutter, deren krebskranke erste Liebe plötzlich auftaucht und ihre heile Welt ins Wanken bringt. Über ein Jahr lang habe ich in jeder freien Minute daran geschrieben, neben meinem öden und unterbezahlten Job im Call-Center. Ich versuche, möglichst nicht darüber nachzudenken, warum ich mit Anfang dreißig noch immer von einem Aushilfsjob leben muss. Das hatte ich mir nach Abschluss meines Studiums der Germanistik zugegebenermaßen etwas anders vorgestellt. Aber eigentlich ist es schon so etwas wie ein Ritterschlag, wenn man als Autor überhaupt einen Verleger findet und sogar ein paar Euro verdient. Wenn auch in meinem Fall nicht genug, um davon leben zu können. Mein Agent hat mir ja schon mehrere Male durch die Blume gesagt, dass sich »fröhlichere Bücher« besser verkaufen würden als die schwermütigen, melancholischen Geschichten, die ich schreibe. Wieder fällt mein Blick auf das Deckblatt mit dem Titel »Geborgte Stunden«. Auch nicht gerade leichte Kost. Und wieder kein Happy End. Aber das Leben ist schließlich auch nicht immer leicht. Außerdem ist mir die Idee zu dieser Geschichte, genau wie bei meinen vorigen Romanen, einfach irgendwann zugeflogen. Wie genau das passiert, ist mir immer noch nicht ganz klar, aber so funktioniert es nun einmal. Und es sind immer die schwierigen, traurigen Aspekte des Lebens, über die ich schreibe. Das muss doch schließlich auch irgendwer tun, oder nicht? Und vielleicht hat Julia Recht, denke ich hoffnungsvoll. Vielleicht wird das der Durchbruch.
»Ich habe leider keine guten Nachrichten für Sie, Frau May«, sagt mein Literaturagent, als ich ihm eine Viertelstunde später, abgehetzt und außer Atem, in seinem geräumigen Büro gegenübersitze. Entsetzt sehe ich ihn an. Norbert Krause hatte nämlich noch nie gute Nachrichten für mich, mal abgesehen von den zwei Anrufen vor mittlerweile einem und drei Jahren, in denen er mir berichten konnte, einen Verlag für mich gefunden zu haben. Danach kam nur noch eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Wie die Romane von einem Programm ins nächste geschoben wurden, das Werbebudget drastisch gekürzt, statt der versprochenen Doppelseite im Katalog gab es plötzlich nur noch eine halbe, und von den Verkaufszahlen möchte ich gar nicht anfangen. Aber nie hat Herr Krause es für nötig gehalten, schlechte Nachrichten anzukündigen.
»Ja …«, krächze ich, um Haltung bemüht. Er räuspert sich ausgiebig.
»Hrrm, hrrm.« Los doch, raus damit, möchte ich am liebsten schreien. Stattdessen umklammere ich mit den Händen das Manuskript auf meinem Schoß und bemühe mich, das flaue Gefühl in der Magengegend zu ignorieren. »Nun, die Abrechnungen sind gekommen, und, ähm, also …«
»Und?« Ich wage nicht einmal zu atmen. »Sagen Sie es einfach«, fordere ich ihn auf und versuche, meiner Stimme einen gefassten Tonfall zu verleihen. Es kann nicht schlimmer werden als beim ersten Gespräch dieser Art vor eineinhalb Jahren. Als ich noch daran glaubte, mit meinem Weltkriegsdrama »Im Wandel der Zeiten« möglicherweise einen Bestseller geschrieben zu haben. Die Zahl 2873 traf mich damals wie ein Schlag in die Magengrube. Mein Baby, mein Augapfel, mein erster Roman, in den ich so viel Arbeit und Herzblut gesteckt hatte, war bei den Lesern durchgefallen. Und zwar gründlich. Danach war ich eine Woche nicht aus meinem Bett aufgestanden. Schließlich habe ich mich doch aufgerafft. Und an meinen Schreibtisch geschleppt. Einen neuen Roman angefangen, eine moderne, weibliche Version der »Leiden des jungen Werther« über ein junges Fotomodell, das an seiner Hypersensibilität zerbricht. »Kalte Welt« erschien vor sechs Monaten. Und die Verkaufszahlen sind anscheinend so unterirdisch, dass Norbert Krause, seit zwanzig Jahren Literaturagent und mit allen Wassern gewaschen, jetzt nicht damit herausrücken will. »Nun sagen Sie schon.« Es klingt wie ein Jaulen. Er räuspert sich erneut und fährt sich mit der Hand über die schweißnasse Stirnglatze. »Machen Sie einfach den Mund auf und sagen Sie die Zahl«, spreche ich ihm Mut zu, obwohl das doch eigentlich sein Job wäre. »Ohne darüber nachzudenken, sprechen Sie es ein…«
»1508«, unterbricht er mich und mein Herz setzt für einen Moment aus. Habe ich das richtig verstanden? 1508 Bücher? Das ist nichts. Weniger als nichts. Und was am schlimmsten ist: Es ist weniger, als ich in meinen allerschlimmsten Alpträumen erwartet habe.
»Sehen Sie«, ich wundere mich selbst über die Gelassenheit in meiner Stimme, »das war doch gar nicht so schwer.«
»Nein«, kommt es dumpf zurück. Dann schweigen wir beide. Ich fühle mich wie betäubt. Müsste ich nicht irgendwie reagieren? Mein Roman ist ein Flop. Und zwar ein noch größerer Flop als der erste, was wahrscheinlich niemand für möglich gehalten hätte, auch nicht der Verlag, der mir trotz miesester Verkaufszahlen noch eine Chance gegeben hat. Die ich, wie es aussieht, gründlich vermasselt habe. Was wäre eine angemessene Reaktion auf die Zahl 1508? Doch wohl mindestens ein Tränenausbruch, oder? Stattdessen: Nichts. Nur Leere. »Das ist leider noch nicht alles.«
»Was denn noch?« Es geht noch schlimmer?
»Wegen der niedrigen Absatzzahlen wird ›Im Wandel der Zeiten‹ verramscht.« Das Wort jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken. So sieht also das Ende meines Werkes aus, verschleudert für ein paar Euro auf dem Grabbeltisch. Ich nicke langsam. »Geht es Ihnen gut, Frau May?« Ich zwinge mich zu einem humorlosen Grinsen.
»Gut wäre nicht das Wort meiner Wahl, aber ich werde nicht zusammenklappen, falls Sie das meinen.«
»Ah, ja, gut.«
»Allerdings könnte es durchaus sein, dass ich gleich auf Ihren teuren Teppich breche«, gebe ich zu bedenken, worauf er erschrocken aufspringt und mir hilfreich seinen braunen Plastikpapierkorb über die Schreibtischplatte hinweg anbietet.
»Danke, es geht schon«, lehne ich höflich ab. Das fehlte gerade noch. Wir schweigen einander an, die Stille nur hin und wieder unterbrochen von Herrn Krauses Geräusper, das mich langsam wahnsinnig zu machen beginnt. »Das sind in der Tat keine besonders guten Neuigkeiten. « Ich ringe mir so etwas wie einen kleinen Lacher ab, der aber gründlich misslingt. Mir gegenüber ohrenbetäubendes Schweigen. Dann wieder ein Räuspern.
»Hrmmm, hrmm.« Ich wünschte, er würde damit aufhören. Schon beim Zuhören tun mir die Stimmbänder weh. Außerdem wünschte ich, er würde etwas sagen. Irgendetwas.
»Nun, wir müssen nach vorne sehen, nicht wahr?«, versuche ich, mich optimistisch zu geben. »Ich habe gestern Nacht mein neues Manuskript fertiggestellt«, erkläre ich mit allem Selbstbewusstsein, das ich zusammenkratzen kann, »und ich habe es Ihnen mitgebracht.« Damit hebe ich den Papierstapel von meinem Schoß und präsentiere ihn mit einem verheißungsvollen Nicken.
»Soso.« Nicht die Reaktion, die ich mir erhofft hatte.
»Wollen Sie es lesen?«, frage ich nach einer Pause.
»Hrrrmm, hrrmm.«
»Sie sollten es mal mit Ingweraufguss probieren«, sage ich so freundlich, wie meine bis zum Zerreißen gespannten Nerven es zulassen. »Ingweraufguss. Gegen Ihr Räuspern.«
»Ach so, danke. Hhhrrrrrrm.«
»Also, wollen Sie?«
»Was?«
»Mein Manuskript lesen«, wiederhole ich verzweifelt.
»Wissen Sie …« Seine Stimme klingt mitleidig.
»Ich bin sicher, es wird Ihnen gefallen«, falle ich ihm ins Wort, und er seufzt.
»Es kommt leider gar nicht darauf an, ob es mir gefällt. «
»Wie meinen Sie das?«, stelle ich mich dumm, obwohl ich ganz genau weiß, was er meint. Noch bevor er es ausspricht, weiß ich, dass meine Autorenkarriere beendet ist.
»Ich werde keinen neuen Verlag für Sie finden können«, sagt er bedauernd, »nicht mit diesen Verkaufszahlen. Selbst wenn Ihr Manuskript das Zeug zum nächsten Twilight-Roman hätte.«
»Was es Ihrer Meinung nach nicht hat«, erwidere ich steif und zutiefst beleidigt.
»Frau May …« Mein Gegenüber hört gar nicht mehr damit auf, den Kopf zu schütteln.
»Ja, schon gut«, lenke ich ein und suche verzweifelt nach einem Ausweg. »Wie wäre es, wenn man es unter Pseudonym veröffentlicht? Oder es zumindest so beim Verlag anbietet?«
»Frau May«, werde ich rüde unterbrochen, »sind Sie vielleicht schon mal auf den Gedanken gekommen, dass Verkaufszahlen irgendetwas aussagen könnten? Ganz offensichtlich gibt es für Ihre Romane keine Leserschaft. «
Eine halbe Stunde später öffne ich die Tür zu unserer Wohnung und blicke mich einen Moment verwirrt um. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich hierhergekommen bin.
»Julia«, rufe ich leise, aber sie antwortet nicht. Ein stechender Schmerz fährt durch meine rechte Schulter, und ich bemerke, dass ich mein Manuskript noch immer mit aller Kraft an mich presse. Habe ich es zum Autofahren überhaupt aus der Hand gelegt? War ich wenigstens angeschnallt? Kurz verdrängt die Erkenntnis, dass ich es wohl nur durch ein Wunder unfallfrei zurück nach Hause geschafft habe, die Erinnerung an den unerfreulichen Besuch bei meinem Agenten. Oder, um es korrekt zu sagen, meinem Ex-Agenten. Langsam stolpere ich in mein Zimmer und versuche, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich ab heute eine andere bin. Stefanie May, Nicht-mehr-Romanautorin. Was bleibt von mir übrig, ohne meinen Traum? Ohne meine Geschichten, meine imaginären Freunde? Eine Frau Anfang dreißig, mit feuerroten Locken, hellgrünen Augen, im Gesicht eine Million Sommersprossen. Eine schlanke Figur, wenn man von dem Brauereipferdearsch einmal absieht. Mein Hintern hat mich nie sonderlich gestört, schließlich saß ich sowieso meistens darauf. Wenn man tage- und nächtelang vor dem Computer sitzt, dann braucht man Sitzfleisch. Aber das ist nun vorbei. Gedankenverloren lasse ich meinen Blick umherschweifen. Seit zehn Jahren wohnen Julia und ich schon hier, und seit wir eingezogen sind, hat sich in meinem Zimmer nicht viel verändert, außer dass ich alle drei Jahre die freie Wand der Tür gegenüber in einer anderen Farbe gestrichen habe. Im Moment ist sie knallrot. An der linken Wand lehnt ein aus alten Obstkisten gezimmertes Regal, das mit Büchern und CDs vollgestopft ist, neben einer kleinen, roten Couch, ausgebleicht und verschlissen, aber urgemütlich, daneben das Bett, das nur aus einem Lattenrost und der darauf liegenden Matratze besteht. Rechts gegenüber und direkt unter dem großen Fenster steht mein Heiligtum – der Schreibtisch. Davor der sündhaft teure rückenfreundliche Sessel, darauf mein geliebter Computer mit der ergonomischen Tastatur, der Drucker, mit dem ich gestern Nacht »Geborgte Stunden« ausgedruckt habe. Meinen dritten und letzten Roman. Gedankenverloren starre ich auf den Ort meines Schaffens. Wie viele Stunden meines Lebens habe ich dort verbracht? Glückliche Stunden. Nutzlose Stunden. Die vierhundertsiebenundzwanzig Blatt Papier in meinen Händen fühlen sich plötzlich schwer an, als hätte ich die Buchstaben in Steinplatten gemeißelt. Ich sehe darauf herab und drehe mich kurz entschlossen auf dem Absatz um.
»Fanny, was ist passiert?« Vor meinen Augen tanzen tausend Lichter, und als ich in die Richtung blicke, aus der ich Julias Stimme höre, sehe ich sie durch einen Schleier dichten, schwarzen Qualms. »Geht es dir gut?« Sie rennt an mir vorbei und reißt das Küchenfenster auf. Der Rauch sucht sich seinen Weg nach draußen, die Sicht wird klarer.
»Au!« Überrascht sehe ich auf meine Hand hinunter und lasse das brennende Stück Papier darin in den großen Spaghettitopf fallen, in dem ein schönes Feuer lodert. Mit schmerzverzerrtem Gesicht reibe ich über die gerötete Haut, greife dann aber zum nächsten Blatt, um es den Flammen zu übergeben.
»Sag mal, bist du vollkommen übergeschnappt? Was machst du da? Willst du unsere ganze Bude abfackeln? Bist du noch ganz dicht? Moment mal, ist das etwa …?« Fassungslos schaut sie auf den Herd. Ich nicke düster. »Mein Spaghettitopf. Mein schöner Topf!« Reflexartig greift sie nach dem Henkel und zieht mit einem Aufschrei die Hand zurück. »Au, verdammt!«
»Vorsicht, heiß.« Mit einem grimmigen Lächeln entzünde ich Seite 78 meines Manuskripts. Noch liegt ein langer Weg vor mir, bis ich meine Vergangenheit gelöscht habe und ein neues Leben anfangen kann.
»Ist dir klar, dass unsere Küchenmöbel aus Holz sind?« Wütend entreißt Julia mir das brennende Papier und wirft es in den Topf, der mittlerweile schon ein wenig zu glühen begonnen hat.
Bevor ich wieder nach dem Stapel greifen kann, stürzt sie sich auf mich und ringt mich zu Boden. Ich bin dermaßen perplex, dass ich mich erst zu wehren beginne, als ich schon bäuchlings unter ihr liege und sie mir den linken Arm auf den Rücken gedreht hat. »Lass das«, keuche ich, ohne mich mehr als zehn Zentimeter in die eine oder andere Richtung bewegen zu können.
»Du beruhigst dich jetzt«, sagt sie nachdrücklich, ohne ihren Polizeigriff zu lösen.
»Lass mich los.« Ich sammele alle meine Kräfte und bäume mich auf, aber es ist deutlich zu erkennen, wer von uns beiden die letzten Jahre im Yogastudio verbracht hat. Ich habe nicht die geringste Chance gegen meine zierliche Mitbewohnerin. Während ich meine lächerlichen Versuche unternehme, sie abzuschütteln, ruht ihr Blick besorgt auf dem Spaghettitopf, aus dem mittlerweile etwas weniger Rauch quillt. Meine Muskeln erlahmen, ich lasse mich schwer auf den Boden zurücksinken und dann spüre ich Julias Hand an meiner Wange.
»Was ist denn bloß passiert?«, fragt sie leise, und ich breche in Tränen aus.
Nachdem das Feuer gelöscht und meine Tränen versiegt sind, sitze ich mit einer Tasse Yogi-Tee an unserem runden Küchentisch und starre düster vor mich hin, während Julia an ihrem Spaghettitopf herumscheuert.
»Also, ich glaube, der ist hin.«
»Tut mir leid!« Schuldbewusst sehe ich zu ihr auf.
»Ach, schon gut, den konnte ich sowieso nie leiden«, lügt sie und stellt ihn mit einem Seufzer neben unseren roten Küchenabfalleimer. Dann sieht sie besorgt auf die rauchgeschwärzte Wand über dem Herd. »Ich glaube, ich weiß schon, was wir nächstes Wochenende machen.«
»Was heißt hier, wir? Ich streiche die Küche. Das wäre ja noch schöner. Reicht ja schon, dass ich beinahe die Wohnung abgefackelt hätte.«
»Soll ich im Call-Center Bescheid sagen, dass du heute nicht kommst?« Ich schüttele den Kopf.
»Nein, danke. Ich rufe selber an und sage, dass ich gar nicht mehr komme. Ich bin keine Schriftstellerin mehr«, erkläre ich auf ihren verständnislosen Blick hin, »also muss ich auch keinen dämlichen Nebenjob mehr machen. «
»Du willst aufhören? Nur weil dein Agent ein Idiot ist?«
»Nein, nicht weil mein Agent ein Idiot ist, sondern weil niemand lesen möchte, was ich schreibe. Außer dir«, füge ich schnell hinzu, bevor sie den Mund öffnen kann. »Und meinen Eltern«, ergänze ich noch mit einem humorlosen Grinsen.
»Du kannst doch nicht einfach aufgeben.«
»Ich gebe nicht auf. Ich denke um«, sage ich knapp. »Ich suche mir einen richtigen Job und höre endlich auf, mir einzubilden, dass ich Talent hätte.«
»Du hast Talent.«
»Mach es mir nicht noch schwerer, bitte.«
»Na gut. Wie kann ich dir helfen? Soll ich das hier mit zum Altpapiercontainer nehmen? Die nächste Yogaklasse fängt gleich an.« Sie steht vom Tisch auf und greift nach meinem Manuskript, das noch immer, um die ersten achtundsiebzig Seiten ärmer, auf der Arbeitsfläche neben dem Herd liegt.
»Du willst es bloß lesen.« Ich springe auf, bereit, mich auf einen weiteren, hoffnungslosen Zweikampf einzulassen.
»Ich hab’s mir doch sowieso … Nein, ich verspreche dir, es wegzuwerfen«, antwortet sie, doch ich schüttele den Kopf.
»Das mache ich selbst.«
»Okay.« Sie drückt mir den Stapel in die Hand. »Ich muss los. Kann ich dich alleine lassen?« Ich nicke. »Machst du keine Dummheiten?« Ich schüttele den Kopf. »Okay«, sagt sie zweifelnd und drückt mir einen Kuss auf die Wange. »Weißt du, es ist schade um den Spaghettitopf, und es wäre auch echt blöd gewesen, wenn die Wohnung abgebrannt wäre, aber …«
»Ja?« Ihre braunen Augen schwimmen plötzlich in Tränen.
»Ich weiß nicht, ob ich es überlebt hätte, wenn du dich bei dieser Aktion selber abgefackelt hättest.« Sie schlingt ihren Arm um meinen Hals und drückt mich fest an sich.
»Ich hab dich auch lieb«, sage ich.
Mein Manuskript landet im Altpapier und alles, was ich jemals auf meinem Computer geschrieben habe, mit einem Klick im Papierkorb. »Möchten Sie diesen Ordner in den Papierkorb verschieben?« Ich atme tief durch und klicke auf JA. »Möchten Sie die Elemente im Papierkorb unwiderruflich löschen?« JA. Ich warte auf den Aufschrei in meinem Inneren, aber alles bleibt still. Ich fühle gar nichts. So leicht ist es also, sein bisheriges Leben auszuradieren und ein neues zu beginnen. Ich bin ein weißes Papier, ein unbeschriebenes Blatt. Bei diesem Gedanken erfasst mich dann doch so etwas wie Trauer, und ich suche nach einem Vergleich, der mich nicht schmerzhaft an das Leben erinnert, das ich vergessen möchte. Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass die Suche nach Worten nicht mehr zu mir gehört. Seit heute nicht mehr. Seufzend stehe ich von meinem Schreibtisch auf. Das Leben in Worte zu fassen, das ist meine Vergangenheit. Es zu leben, soll meine Zukunft sein.
Ein Rezept zum Verlieben
Wer hätte das gedacht? Ein von vielen schon totgesagtes Fernsehformat erhält neuen Aufschwung.
Die Telenovela »Liebe à la carte« bricht alle Rekorde. Mit fünf Millionen Zuschauern täglich hat die Serie sogar den Dauer-Quotenrenner »Schöne Tage, schlechte Tage« vom Thron gestürzt und wurde zudem gerade als beste tägliche Serie für die Goldene Rose nominiert. Was hat diese moderne Version des Aschenputtelmärchens, das anderen in der Vergangenheit fehlte und sie kläglich scheitern ließ (siehe zum Beispiel: »Spatzen auf dem Dach«)? An der Originalität der Story – tollpatschige Kellnerin verliebt sich in Starkoch und Restaurantbesitzer – kann es nicht liegen. Wohl eher an der erfrischend selbstironischen Inszenierung gepaart mit witzigen Dialogen und einer exzellenten Besetzung. Neben der beliebten Seriendarstellerin Nadja Reichert brilliert der bisher völlig unbekannte David Mory, der auf der Bühne des Stadttheaters Bruchsal entdeckt und vom Fleck weg für die Rolle engagiert wurde. Sein unvergleichlicher Charme gepaart mit den grünsten Augen des deutschen Showbiz allein ist ein Grund, um 18.15 Uhr den Fernseher einzuschalten. Und Nadja Reichert, bisher gerne als die schöne Unnahbare besetzt, überrascht in der Rolle der Lara durch eine ans Herz gehende Natürlichkeit und Naivität, die sie trotz ihrer atemberaubenden Ausstrahlung zu einer Identifikationsfigur für die weiblichen Fans werden lässt.