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Das Buch

Seit Adam Smith ist eine der zentralen Thesen der Wirtschaftswissenschaften, dass freie Märkte und freier Wettbewerb die besten Voraussetzungen für allgemeinen Wohlstand sind. Die Wirtschaftsnobelpreisträger George A. Akerlof und Robert J. Shiller üben radikal neue Kritik an dieser Theorie der sich selbst regulierenden Märkte. Sie beweisen erstmals mit Fokus auf die Anbieterseite, dass auch Manipulation und Täuschung feste Bestandteile jedes Marktes sind. An zahlreichen anschaulichen Fallbeispielen machen sie klar, dass wir ständig verleitet werden für Dinge, die wir nicht wollen, zu viel zu bezahlen und mehr Geld auszugeben als wir haben. Auch die Werbung steuert uns stärker als wir glauben und sogar unsere Politik ist massiv durch Geld beeinflusst.

Solange Profite erzielt werden können, werden Verkäufer uns manipulieren, unsere psychologischen Schwächen ausnutzen und uns in unserem Unwissen täuschen. Anstatt von sich aus gutartig zu sein und immer die besten Produkte hervorzubringen, sind Märkte voller Tricks und Fallen. Finanzkrisen sind deswegen kein Zufall.

Phishing for Fools erzählt zugleich von Menschen, die sich gegen den Betrug in der Wirtschaft gewandt haben und wie wir ihm durch mehr Wissen, Reformen und Regulierungen begegnen können.

Ein überzeugender Blick auf den keine Moral kennenden freien Markt – von zwei Wirtschaftskoryphäen.

Die Autoren

Georg A. Akerlof ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Georgetown University in Washington. Bereits 1970 wies er in seinem viel beachteten Aufsatz »The Market for Lemons« nach, dass freie Märkte nicht optimal funktionieren können, wenn Verkäufer und Käufer über einen ungleichen Zugang zu Information verfügen. 2001 hat George A. Akerlof den Wirtschaftsnobelpreis erhalten.

Robert J. Shiller ist Professor in Yale und wurde 2013 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Schon im Jahr 2005 warnte er, dass der amerikanische Aktien- und Immobilienmarkt zu einer Blase geworden sei, die zu erheblichen Abstürzen und auf lange Sicht zu einer weltweiten Rezession führen könne.

GEORGE A. AKERLOF
ROBERT J. SHILLER

9783430202060-1.ai

Manipulation und Täuschung in
der freien Marktwirtschaft

Aus dem Amerikanischen
von Stephan Gebauer

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Econ

Die Originalausgabe erschien 2015
unter dem Titel Phishing for Phools
bei Princeton University Press, Princeton

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ISBN: 978-3-8437-1365-8

© 2015 by Princeton University Press, Princeton
© der deutschsprachigen Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016
Covergestaltung: FHCM GRAPHICS, Berlin

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Über das Buch und die Autoren

Titelseite

Impressum

Vorwort

Die Produkte des freien Marktes

Was der Markt für uns tut

Über Phish und Fool

Woher wissen wir das?

Dinge, die unmöglich jemand wollen kann

Das Ziel von Phishing for Fools

Fußnoten des Kapitels

Einleitung

Fingerübung 1: Cinnabon®

Fingerübung 2: Fitness-Studios

Fingerübung Nr. 3: Die Vorlieben des Affen auf der Schulter

Das angeblich optimale Gleichgewicht des freien Marktes

Die Psychologie und der Affe auf der Schulter

Informations-»Dummköpfe«

Theorie und Praxis

Welche Richtung wir von hier aus einschlagen: Ein Überblick über Phishing for Fools

Fußnoten des Kapitels

Teil 1

1. Kapitel

Suze Orman gegen die Grundsätze der Ökonomie

Die Leute, die sich von Suze beraten lassen

Die statistische Geschichte

Eine andere Perspektive

Der Grund

Fußnoten des Kapitels

2. Kapitel

Minderwertige (und möglicherweise verfaulte) Avocados

Sieben Fragen

Warum waren die Investmentbanken anfangs vertrauenswürdig?

Warum bewerteten die Ratingagenturen die »Avocados« seinerzeit korrekt?

Wie veränderten sich die Geschäftsanreize für die Investmentbanken, so dass sie glaubten, das Vertrauen sei keine unerlässliche Voraussetzung mehr für ihr Geschäft?

Wie kam es, dass die Ratingagenturen die veränderten Anreize übernahmen?

Warum war das Reputation Mining so einträglich?

Warum waren die Käufer der faulen Wertpapiere (»Avocados«) so leichtgläubig?

Warum erschütterte die Entdeckung, dass die »Avocados« verfault waren, das Finanzsystem in seinen Grundfesten?

Zusammenfassung

Nachtrag: Die Nebenattraktion der Kreditausfall-Swaps

Fußnoten des Kapitels

Teil 2

3. Kapitel

Die Funktion von Erzählungen im menschlichen Denken und die Rolle der Werbung

Werbung als Geschichtenerzählen

Phischen nach »Dummen«

Die Evolution des Marketing: Der Verkauf des Präsidenten, damals und heute

Anhang: Malaysia Airlines Flug 370

Fußnoten des Kapitels

4. Kapitel

Phischen im Schauraum

Abzocke beim Hauskauf

Abzocke an der Kasse

Der Preis der Wunderpille

Fußnoten des Kapitels

5. Kapitel

Demokratie, die Rolle des Geldes in der Politik – und einmal mehr wird nach »Dummen« gephischt

Informierte und uninformierte Wähler

Lobbying und Geld

Aber spielt es wirklich eine Rolle?

Zusammenfassung

Fußnoten des Kapitels

6. Kapitel

Ein Sprung ins 21. Jahrhundert

Vioxx

Wie die Zulassungsbehörden ausgetrickst werden

Wie man an die Zulassung durch die FDA kommt

Die Vermarktung von Medikamenten

Zusammenfassung

Anhang: Pillen und Preise

Fußnoten des Kapitels

7. Kapitel

Die Grundlagen des Wirtschaftswachstums

Solow-Residuum und Phishing

Drei Erfindungen

Fußnoten des Kapitels

8. Kapitel

Rauchen und Gesundheit

Alkohol

Fußnoten des Kapitels

9. Kapitel

Die Plünderung

Die Ursprünge der Krise

Das Problem geht nicht von alleine weg

»Dumme« phischen und ausplündern

Der Immobilienmarkt wird erfasst

Aus der Erfahrung nichts gelernt

Fußnoten des Kapitels

10. Kapitel

In Nordkalifornien wird wieder Gold gefunden

Sechs Erkenntnisse

Fußnoten des Kapitels

11. Kapitel

Die Wächter der Standards

Helden in der Unternehmenswelt

Helden in der Politik

Helden in den Aufsichtsbehörden und die Vereinnahmung von Aufsichtsbehörden

Zusammenfassung

Fußnoten des Kapitels

Teil 3

Schluss: Beispiele und allgemeine Lehren

Das Phischen nach »Dummen« ist selbst eine Geschichte

Die Reformära

Die Legitimierung einer neuen Erzählung

Drei Beispiele

Die Sozialversicherung und ihre »Reform«

Börsenaufsicht

Citizens United

Ergebnis

Fußnoten des Kapitels

Nachwort

Das Versagen im Kampf gegen den Krebs

Frühere Arbeiten über das Phischen nach »Dummen«

Der Unterschied

Die Rolle des Gleichgewichts auf vom Wettbewerb geprägten Märkten

Die offenbarten Präferenzen bleiben unangefochten

Geschichten aufpfropfen

Zusammenfassung

Fußnoten des Kapitels

Danksagungen

Bibliographie

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

Vorwort

»It’s the economy, stupid!«, sagte Bill Clintons Wahlkampfberater James Carville im Jahr 1992. Er hatte die Schwachstelle von Präsident George H. W. Bush erkannt, in dessen Amtszeit eine Rezession begonnen hatte. Aber es gibt noch eine allgemeinere Interpretation von Carvilles Aussage: Viele unserer Probleme haben ihren Ursprung in der Natur unseres Wirtschaftssystems. Wenn sich die Unternehmer so selbstsüchtig und eigennützig verhalten, wie die Wirtschaftstheorie annimmt, bringt der freie Markt Manipulation und Täuschung hervor. Das Problem ist nicht, dass die Welt voller schlechter Menschen ist. Die meisten von uns halten sich an die Regeln und versuchen einfach, genug Geld für ein gutes Leben zu verdienen. Aber da sich die Unternehmen auf dem freien Markt im Wettbewerb behaupten müssen, nutzen sie Täuschung und Manipulation, um uns dazu zu bewegen, überteuerte Produkte zu kaufen, die wir nicht brauchen, und Tätigkeiten nachzugehen, in denen wir wenig Sinn finden. Und am Ende müssen wir uns fragen, was in unserem Leben schiefgelaufen ist.

Wir sind Anhänger der freien Marktwirtschaft. Dieses Buch haben wir geschrieben, um Ihnen dabei zu helfen, in diesem Wirtschaftssystem nicht die Orientierung zu verlieren. In der Wirtschaft ist Trickserei allgegenwärtig, und das müssen die Menschen wissen. Wir alle müssen lernen, uns in diesem System so zu bewegen, dass wir unsere Würde und Integrität wahren können, und wir brauchen Halt inmitten all des Wahnsinns rund um uns. Wir haben dieses Buch für die Konsumenten geschrieben, die sich vor einer Vielzahl von Tricks hüten müssen, mit denen sie hinters Licht geführt werden sollen. Wir haben es für Geschäftsleute geschrieben, die unter dem Zynismus einiger ihrer Kollegen leiden, sich aus wirtschaftlicher Notwendigkeit jedoch nicht dagegen wehren können. Wir haben es für Politiker und Beamte geschrieben, denen die undankbare Aufgabe obliegt, dafür zu sorgen, dass sich die wirtschaftlichen Akteure an die Regeln halten. Wir haben es für Freiwillige, Philanthropen und Meinungsführer geschrieben, die sich für Integrität einsetzen. Und wir haben es für junge Menschen geschrieben, die am Anfang ihres Berufslebens stehen und sich fragen, wie sie in ihrer Arbeit einen persönlichen Sinn finden können. Eine Studie über das Phishing-Gleichgewicht – über die wirtschaftlichen Kräfte, die Manipulation und Täuschung in das System einschleusen, sofern wir nicht mutig genug sind, sie zu bekämpfen – nutzt all diesen Menschen. Wir brauchen auch Geschichten von Helden, von Menschen, die aus persönlicher Integrität die Täuschung in unserem Wirtschaftssystem auf ein erträgliches Maß verringern. Wir werden zahlreiche Geschichten solcher Helden erzählen.

Die Produkte des freien Marktes

Ende des 19. Jahrhundert hatten die Investoren viel zu tun: Sie mussten sich entscheiden, ob sie in das Automobil, das Telefon, das Fahrrad oder das elektrische Licht investieren wollten. Eine weitere Erfindung jener Zeit hat sehr viel weniger Aufmerksamkeit erhalten: die »Slot Machine«. Der Terminus Slot Machine (Münzautomat), der im Englischen mittlerweile mit »Spielautomat« gleichgesetzt wird, hatte anfangs noch nicht die heutige Konnotation. Zu jener Zeit war mit der Slot Machine jede Art von Münzautomat gemeint: Man steckte eine Münze in den Schlitz und konnte etwas aus dem Automaten ziehen. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts konnte man an den Münzautomaten Kaugummi, Zigarren und Zigaretten, Operngläser, einzeln verpackte Schokoriegel und sogar einen kurzen Blick auf die Adressverzeichnisse kaufen, die ein Vorläufer des Telefonbuchs waren. Man konnte alle möglichen Dinge aus dem Automaten ziehen. Die grundlegende Innovation war ein Schloss, das durch den Einwurf einer Münze geöffnet wurde.

Aber dann wurde ein neues Einsatzgebiet für den Münzautomaten entdeckt: Es dauerte nicht lange, bis auch Spielautomaten aufgestellt wurden. In einem zeitgenössischen Zeitungsartikel wird das Auftauchen dieser Slot Machines auf das Jahr 1893 datiert.1 Einer der ersten Automaten belohnte den Gewinner nicht mit Geld, sondern mit Süßigkeiten, und es dauerte nicht lange, bis alle Welt einem seltenen Zufall eine besondere Bedeutung beimaß: dem Auftauchen von drei Kirschen.

Das Jahrhundert war noch nicht vorüber, da war ein neues Suchtverhalten aufgetaucht: die Abhängigkeit vom Glücksspielautomaten. Im Jahr 1899 berichtete die Los Angeles Times: »In fast jedem Saloon findet man zwischen einem und einem halben Dutzend dieser Maschinen, an denen sich von morgens bis abends eine Schar Spieler drängt. […] Hat man sich das Spielen einmal angewöhnt, so wird es beinahe zu einer Manie. Man kann junge Männer beobachten, die stundenlang ohne Unterbrechung an diesen Automaten stehen. Fest steht, dass sie am Ende als Verlierer nach Hause gehen.«2

Der Gesetzgeber schaltete sich ein. Die Spielautomaten ruinierten das Leben so vieler Menschen, dass sie verboten oder zumindest strikten Vorschriften unterworfen werden mussten, und dasselbe galt für das Glücksspiel im Allgemeinen. Die Automaten verschwanden aus dem öffentlichen Leben und wurden fast vollkommen marginalisiert: Sie durften nur noch an speziellen Orten, die als Kasinos bezeichnet wurden, aufgestellt werden, und zwar im Staat Nevada, wo die Vorschriften lockerer waren und Spielautomaten mittlerweile in Supermärkten, Tankstellen und an Flughäfen zu finden sind. In Nevada gibt der durchschnittliche Erwachsene vier Prozent seines Einkommens für Glücksspiele aus, neunmal so viel wie im nationalen Durchschnitt der USA.3 Aber selbst in Nevada gibt es gewisse Grenzen: Im Jahr 2010 lehnte es die Glücksspielbehörde des Staates ab, zu erlauben, dass Kunden von Nachbarschaftsläden statt des Wechselgelds Kredit für Glücksspielautomaten erhielten.4

Mit der Computerisierung ist das Glücksspiel in eine neue Entwicklungsphase eingetreten. In Anlehnung an den Titel eines 2012 erschienen Buchs von Natasha Schüll kann man sagen, dass die neuen Spielautomaten per Design süchtig machen.5 Am Beispiel von Mollie, einer Spielerin, die Schüll bei Gamblers Anonymous in Las Vegas kennenlernte, kann man die menschliche Seite dieser Sucht veranschaulichen. Mollie zeichnete für die Forscherin eine Karte, die zeigt, wie sie sich selbst sieht:6 Sie ist ein einsames Strichmännchen, das an einem Spielautomaten steht, der sich im Mittelpunkt einer Ringstraße befindet – Molly ist gefangen. Die Straße verbindet sechs der wichtigsten Orte in ihrem Leben miteinander: das MGM Grand, wo sie in der Reservierungsabteilung arbeitet, drei Lokale, in denen sie spielt,7 den Standort von Gamblers Anonymous, wo sie versucht, sich von ihrer Spielsucht zu befreien, und den Ort, an dem sie sich das Medikament holt, das sie braucht, um ihre Angststörung unter Kontrolle zu halten. Molly ist sich ihres Problems vollkommen bewusst: Wenn sie spielen geht, erwartet sie nicht zu gewinnen.8 Sie weiß, dass sie verlieren wird. Sie leidet unter einem Zwangsverhalten. Und wenn sie ihrer Spielsucht nachgibt, ist sie einsam. Das Spiel ist schnell und regelmäßig. Mollie tritt in »die Zone« ein. Sie drückt auf den roten Knopf. Sie gewinnt oder verliert. Sie drückt erneut den roten Knopf. Und noch einmal. Und noch einmal. Wieder und wieder … so lange, bis sie kein Geld mehr hat.

Mollie ist kein Einzelfall. Vor zehn Jahren waren Todesfälle durch Herzstillstand ein großes Problem der Kasinos. Die Notärzte hatten Schwierigkeiten, sich einen Weg durch die Menge der Spieler zu bahnen. Die Kasinos reagierten, indem sie eigene, speziell geschulte Defibrillationstrupps aufstellten. Auf einem Überwachungsvideo ist zu sehen, warum diese spezielle Schulung nötig ist: Während das Nothilfeteam des Kasinos versucht, einen Spieler mit Herzstillstand zu retten, spielen die Gäste rundherum weiter. Sie wachen nicht aus ihrer Trance auf, obwohl das Opfer buchstäblich vor ihren Füßen liegt.9

Was der Markt für uns tut

Die Geschichte des »guten« und der »bösen« Münzautomaten von 1890 bis in die Gegenwart illustriert, warum die Marktwirtschaft für uns ein zweischneidiges Schwert ist. Grundsätzlich begrüßen wir den freien Markt. Er ist ein Produkt von Frieden und Freiheit und gedeiht in Zeiten der Stabilität, wenn die Menschen nicht in Furcht leben. Aber dasselbe Gewinnstreben, das die Automaten hervorbrachte, in deren Fächern etwas liegt, das wir brauchen, hat auch Automaten hervorgebracht, die uns nach der Drehung der Walze süchtig machen und uns für die Befriedigung dieser Sucht unser Geld abnehmen. Im Großteil dieses Buches geht es im übertragenen Sinn nicht um die guten, sondern um die bösen Münzautomaten, denn als Reformer des ökonomischen Denkens und der Wirtschaft wollen wir nicht ändern, was richtig, sondern was falsch ist. Aber bevor wir damit beginnen, sollten wir uns Klarheit darüber verschaffen, was der Markt für uns tut.

Dazu müssen wir weit ausholen und in die Zeit Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts zurückkehren. Im Dezember 1900 beteiligte sich der Bauingenieur John Elfreth Watkins Jr. an dem beliebten Spiel, das darin besteht, vorauszusagen, wie das Leben in hundert Jahren sein würde. Er prognostizierte, dass »heiße und kalte Luft aus Hähnen« kommen werde. Schnelle Schiffe würden die Menschen »in zwei Tagen nach England bringen«. Es werde Luftschiffe geben, die vor allem für militärische Zwecke genutzt würden, aber auch Passagiere und Fracht transportieren könnten. »Opern werden per Telefon an Privathäuser übertragen und so harmonisch klingen, als genösse man sie in der Loge.«10 Er hatte noch weitere derartige Voraussagen auf Lager.

Watkins räumte ein, seine Zukunftsprognosen klängen »sonderbar und beinahe unmöglich«, aber bemerkenswerterweise hat der freie Markt, der Anreize dafür gibt, zu erzeugen, was die Menschen wollen – sofern Gewinn damit erzielt werden kann –, dafür gesorgt, dass diese Voraussagen und noch vieles mehr wahr geworden sind.

Aber der freie Markt liefert eben nicht nur Überfluss an den Dingen, die wir wirklich wollen. Er erzeugt auch ein wirtschaftliches Gleichgewicht, das günstige Bedingungen für wirtschaftliche Unternehmungen schafft, die unser Urteil manipulieren oder verzerren. Dazu setzen sie Geschäftspraktiken ein, die Ähnlichkeit mit Krebsgeschwüren haben, die sich im normalen Gleichgewicht des menschlichen Körpers einnisten. Der Glücksspielautomat ist ein besonders krasses Beispiel dafür. Es ist kein Zufall, dass die Spielautomaten derart verbreitet waren, dass man ihnen nicht aus dem Weg gehen konnte, bis sie strengen Vorschriften unterworfen und teilweise verboten wurden. Wenn wir nicht wissen, was wir wirklich wollen, und wo solche Schwächen mit Gewinn ausgenutzt werden können, werden sich Marktakteure finden, die versuchen werden, diese Schwächen auszunutzen. Sie werden uns ins Visier nehmen und uns ausnutzen. Sie werden uns als »Dummköpfe phischen«.

Über Phish und Fool

Der Neologismus »Phishing« wurde nach Angabe des Oxford English Dictionary im Jahr 1996 geprägt, als sich das Internet etablierte. Das Wörterbuch definiert Phishing so: »Betrug im Internet, um Personen persönliche Informationen zu entlocken, insbesondere, indem sich der Betrüger als angesehenes Unternehmen ausgibt; Online-Betrug durch ›Angeln‹ persönlicher Information.«11 In diesem Buch weiten wir die Bedeutung des Worts Phishing aus.

Wir betrachten die Definition, die das Phishing auf betrügerische Aktivitäten im Internet beschränkt, als Metapher. Anstatt Phisching als illegal zu betrachten, schlagen wir vor, es als Aktivität zu definieren, die sehr viel verbreiteter und sehr viel älter ist: als Aktivität, die dazu dient, Menschen dazu zu bewegen, etwas zu tun, was nicht in ihrem Interesse, sondern nur in dem der Phischer ist. Es geht ums Angeln, darum, einen künstlichen Köder ins Wasser zu werfen und zu warten, bis ängstliche Fische vorbeischwimmen, einen Fehler machen und anbeißen. Es gibt so viele Phischer, und sie sind so erfinderisch darin, immer neue Köder zu entwickeln, dass wir aufgrund der Gesetze der Wahrscheinlichkeit früher oder später alle in ihr Netz gehen, so vorsichtig wir auch sind. Niemand ist vor den Phischern sicher.

Den Fool definieren wir als einen Menschen, der aus irgendeinem Grund erfolgreich gephischt wird. Es gibt zwei Arten solcher »Dummköpfe«: die psychologischen und die Informations-»Dummen«. Die psychologischen »Dummen« können wiederum in zwei Typen unterteilt werden: Beim ersten Typus überwältigen die Emotionen den gesunden Menschenverstand: Dieser lässt sich durch kognitive Verzerrungen, die optischen Illusionen vergleichbar sind,12 zu einer falschen Interpretation der Realität verleiten und handelt entsprechend. Mollie ist ein Beispiel für eine emotionale »Dumme«, aber sie ist kein kognitiver »Dummkopf«. Sie ist sich ihres Verhaltens an den Spielautomaten durchaus bewusst, kann sich jedoch nicht dagegen wehren.

Informations-»Dumme« lassen sich in ihrem Handeln von Informationen leiten, die absichtlich irreführend gestaltet sind. Ein Beispiel sind die Aktionäre von Enron. Der Aufstieg des Unternehmens beruhte auf einer irreführenden (und später betrügerischen) Buchführung. Enrons außergewöhnliche Gewinne waren das Ergebnis einer »Mark-to-Market«-Buchführung, bei der die erwarteten zukünftigen Gewinne aus einer Investition zum Zeitpunkt dieser Investition verbucht wurden.13 Die übliche Praxis besteht darin, zu warten, bis die Gewinne tatsächlich realisiert sind. Von 1995 bis 2000 war Enron nach Ansicht von Fortune das innovativste Unternehmen der Vereinigten Staaten.14 Und Fortune hatte Recht – nur verstanden die Redakteure die Natur dieser Innovationen nicht.

Die Frage, ob Geschäftsleute moralisch integer (oder verwerflich) handeln, ist nicht Thema dieses Buches, obwohl wir manchmal auf beide Seiten der Medaille stoßen werden. Stattdessen besteht das grundlegende Problem in unseren Augen darin, dass der vom Wettbewerb beherrschte freie Markt die Akteure unter Druck setzt, sich unanständig zu verhalten. Der Markt versteht es, unternehmerischen Helden Anreize zu geben, innovative Produkte zu entwickeln, die wirklich gebraucht werden, und sie dafür zu belohnen. Aber eine andere Art von Heldentum honoriert der nicht regulierte freie Markt nur selten: Er kümmert sich nicht um jene, die darauf verzichten, die psychologischen Schwächen oder den Informationsmangel ihrer Kunden auszunutzen. Aufgrund des Wettbewerbsdrucks werden Manager, die Zurückhaltung an den Tag legen, eher durch solche ersetzt, die weniger moralische Bedenken haben. Die Zivilgesellschaft und die gesellschaftlichen Normen bremsen ein solches Phischen teilweise, aber wenn sich im Marktgleichgewicht eine Gelegenheit zum Phischen bietet, werden auch Unternehmen, die von moralisch integren Managern geleitet werden, normalerweise zu einem solchen Verhalten übergehen müssen, wenn sie sich im Wettbewerb behaupten und überleben wollen.

Woher wissen wir das?

Wir gehen davon aus, dass dieses Buch, gelinde gesagt, wenig Begeisterung bei denen wecken wird, die überzeugt sind, dass die Menschen im Grunde immer die Entscheidungen fällen, die für sie am besten sind. Sie werden fragen: Wie können Bob und George sich anmaßen zu behaupten, dass der einzelne Mensch nicht – immer und ausnahmslos – am besten entscheiden kann, was gut für ihn ist? Wie viele ökonomische Prinzipien ist auch dieses theoretisch einleuchtend. Aber wenn wir dieses Prinzip auf reale Menschen anwenden, die reale Entscheidungen fällen (genau das werden wir in diesem Buch tun), stellen wir fest, dass sie bemerkenswert oft als »Dumme« gephischt werden und Entscheidungen fällen, die nicht zu ihrem Vorteil sind – was sie erkennen würden, wenn sie ihren gesunden Menschenverstand nutzen würden.

Es ist keineswegs anmaßend zu behaupten, dass Menschen falsche Entscheidungen fällen. Wir wissen, dass sie das tun, weil wir sehen, wie Menschen Entscheidungen fällen, die unmöglich jemand wollen kann. Henry David Thoreau erklärte, die meisten Menschen führten »ein Leben in stiller Verzweiflung«.15 Bemerkenswert ist, dass anderthalb Jahrhunderte später in den Vereinigten Staaten, einem der reichsten Länder der Welt, immer noch allzu viele Menschen ein Leben in stiller Verzweiflung führen. Man denke nur an die arme Mollie in Las Vegas.

Dinge, die unmöglich jemand wollen kann

In vier Bereichen können wir sehen, wie verbreitet Dinge sind, die unmöglich jemand wollen kann. Diese Bereiche sind: persönliche finanzielle Sicherheit, makroökonomische Stabilität (die Stabilität der Wirtschaft insgesamt), Gesundheit und Qualität der Regierung. In jedem dieser vier Bereiche werden wir sehen, dass sich das Phischen nach »Dummen« erheblich auf unser Leben auswirkt.

PERSÖNLICHE FINANZIELLE SICHERHEIT. Es gibt eine grundlegende Tatsache des Wirtschaftslebens, die nie in den Wirtschaftslehrbüchern auftaucht: Selbst in den reichen Ländern legen sich die meisten Erwachsenen nachts mit der Sorge schlafen, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Die Ökonomen sind der Meinung, es sei für Privathaushalte einfach, ihre Ausgaben dem verfügbaren Einkommen anzupassen. Dabei lassen sie außer Acht, dass wir uns selbst dann, wenn wir 99 Prozent der Zeit in finanziellen Dingen umsichtig sind, im verbleibenden ein Prozent so verhalten, als »spiele das Geld keine Rolle«. Und diese kleinen Ausreißer können die Selbstbeherrschung, die wir normalerweise an den Tag legen, zunichtemachen. Die Wirtschaft ist sich dieser Ein-Prozent-Momente vollkommen bewusst. Unternehmen konzentrieren sich auf die Augenblicke in unserem Leben, in denen Liebe oder andere Beweggründe unsere budgetäre Umsicht aushebeln. Bei manchen Menschen ist es ein alljährlicher Ausgabenrausch zu Weihnachten. Bei anderen passiert es bei Übergangsritualen wie Hochzeiten (die Hochzeitsmagazine versichern den Bräuten, die »durchschnittliche Hochzeit« koste fast die Hälfte des jährlichen Pro-Kopf-BIP)16, bei Beerdigungen (wo der Leiter des Bestattungsinstituts die Särge richtig präsentiert, um die Wahl der Hinterbliebenen zu beeinflussen; beispielsweise sollen sie zum Kauf des Modells Monaco bewegt werden, »mit Meeresdunst-Hochglanzlackierung, ausgekleidet mit vollendet wattiertem und gekräuseltem Aqua Supreme Cheney-Samt«)17, oder bei Geburten (wo Babies »R« Us einen »Personal Registry Advisor« anbietet).18

Aber Übergangsriten sind nicht die einzigen Momente im Leben, in denen uns eingeredet wird, es sei erbärmlich, auf das Budget zu achten. Daher ist es kein Zufall, dass die meisten amerikanischen Erwachsenen trotz des historisch unvergleichlichen Reichtums, in dem sie leben, sich immer noch mit der Sorge schlafen legen, ihre Rechnungen möglicherweise nicht bezahlen zu können. Die Hersteller sind ebenso erfinderisch in dem Bemühen, uns das Gefühl zu geben, wir brauchten ihre Produkte, wie in dem Bemühen, unsere tatsächlichen Bedürfnisse zu erfüllen. Niemand möchte sich mit Geldsorgen ins Bett legen. Und doch tun die meisten Leute genau das.19

Ein Grund dafür, dass wir uns Sorgen über unsere Rechnungen machen müssen, ist die Abzocke: Wenn wir unsere Sicherheitszone als Konsumenten verlassen und einen außergewöhnlichen, teuren Kauf machen, sind wir besonders anfällig dafür, zu viel zu bezahlen.20 In rund 30 Prozent der Hausverkäufe an neue Käufer in den Vereinigten Staaten machen die Transaktionskosten (für Käufer und Verkäufer) mehr als die Hälfte der vom Käufer üblicherweise aufzubringenden Eigenmittel aus.21 Die Autoverkäufer haben eigene Techniken entwickelt, um uns mehr Zubehör zu verkaufen, als wir wirklich wollen, und um uns dazu zu verleiten, viel zu viel für unser Auto zu bezahlen. Niemand will abgezockt werden. Aber es passiert uns – und das sogar bei den Käufen, über die wir besonders gründlich nachdenken.

FINANZIELLE UND MAKROÖKONOMISCHE INSTABILITÄT. Das Phischen nach »Dummen« auf den Finanzmärkten ist die Hauptursache für die Finanzkrisen, die zu den schwersten Rezessionen führen. In Bezug auf Finanzkrisen ist der berühmte Satz »Diesmal ist es anders« zugleich zutreffend und falsch.22 Im Aufschwung, der dem Crash vorausgeht, überzeugen die Phischer, die Wertpapiere verkaufen wollen, deren Käufer davon, dass es »diesmal anders ist«. Beispiele dafür sind die schwedischen Streichhölzer in den zwanziger Jahren (Ivar Kreuger von Kreuger und Toll), Dotcoms der neunziger Jahre, die Subprime-Hypotheken zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Angelo Mozilo von Countrywide). Und es ist tatsächlich jedes Mal anders: Die Geschichten unterscheiden sich, die Akteure sind andere, und sie bieten andere Dinge an. Gleichzeitig ist es jedes Mal dasselbe: Es gibt Phischer, und es gibt »Dumme«. Und kommt die angehäufte Masse an zunächst nicht entdeckten Täuschungen (der Ökonom John Kenneth Galbraith bezeichnete sie als »Unterschlagung«)23 schließlich zum Vorschein, so brechen die Vermögenspreise ein. Die Investmentmanager, die im Vorfeld der Finanzkrise von 2008 Pakete minderwertiger Hypotheken gekauft hatten, konnten diese wertlosen Papiere unmöglich gewollt haben. Und als der Schwindel aufgedeckt wurde, stellten sich furchtbare Nebenwirkungen ein: In der gesamten Wirtschaft ging das Vertrauen verloren, die Aktienkurse sanken um die Hälfte, Beschäftigte verloren ihre Arbeit, und Arbeitslose konnten keine neuen Jobs finden. Die Langzeitarbeitslosigkeit stieg auf ein seit der Great Depression in den dreißiger Jahren nicht mehr gesehenes Niveau.

GESUNDHEIT. Die Gesundheit ist vermutlich das Wichtigste für jene Menschen, die bereits gut genährt, gut gekleidet und angemessen untergebracht sind. Aber selbst die Anbieter von Medikamenten phischen die »Dummen« unter uns. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als Daniel Pinkham bei einem Besuch in New York auffiel, dass sich die Frauen dort große Sorgen über Nierenprobleme machten, schrieb er nach Hause, diese Probleme sollten der Liste der Leiden hinzugefügt werden, die angeblich von den Pinkham Pills aus der Fabrik seiner Familie geheilt wurden.24 Der Rat wurde sofort angenommen. Heute ist es nicht mehr damit getan, dass ein Pharmaunternehmen der Liste der Indikationen für sein Medikament einfach eine weitere Krankheit hinzufügt. In den Vereinigten Staaten müssen die Pharmaunternehmen zwei Hindernisse überwinden: Sie müssen für ihre Arzneimittel eine Zulassung der Lebensmittel- und Medikamentenbehörde FDA (Food and Drug Administration) einholen, die randomisierte, kontrollierte Studien vorschreibt, und sie müssen die Ärzte vom Nutzen ihrer Medikamente überzeugen. Aber sie haben auch mehr als ein Jahrhundert Zeit gehabt, um zu lernen, wie sie diese Hindernisse umgehen können. Manche Medikamente, die beide Prüfungen bestehen, haben lediglich einen marginalen Zusatznutzen. Viel schlimmer ist jedoch, dass einige tatsächlich schädlich sind. Ein Beispiel dafür ist Vioxx, ein entzündungshemmendes Mittel, das zwischen 1999 und 2004 in Hormonersatztherapien eingesetzt wurde. In dieser Zeit verursachte Vioxx in den Vereinigten Staaten schätzungsweise 26 000 bis 56 000 Todesfälle durch Herzversagen,25 und da es Ärzte und Pharmaunternehmen unterließen, die Patientinnen über die Zweifel an der Hormonersatztherapie aufzuklären, wird vermutet, dass Vioxx etwa 94 000 Brustkrebsfälle hervorgerufen hat.26 Und wir dürfen annehmen, dass niemand an schädlichen Medikamenten interessiert ist.

Die Auswirkungen auf die Gesundheit gehen weit über die Schäden durch schlechte Medikamente hinaus. Nehmen wir den Schwindel mit Nahrungsmitteln und seine Folgen. 69 Prozent der amerikanischen Erwachsenen sind übergewichtig, mehr als die Hälfte von ihnen (36 Prozent) sogar fettleibig.27 Eine Kohortenstudie mit mehr als 120 000 Teilnehmern liefert ein überraschend präzises Bild:28 Die gesundheitliche Entwicklung der Befragten, die überwiegend Krankenschwestern und -pfleger waren, wurden von Ende der siebziger Jahre bis 2006 in Abständen von jeweils vier Jahren kontrolliert. Sie nahmen durchschnittlich 1,5 Kilo in vier Jahren zu, was einer Gewichtszunahme von gut 7,5 Kilo in 20 Jahren entsprach. Nach einer statistischen Analyse entspricht die Gewichtszunahme von 1,5 Kilo dem Verzehr von 0,76 Kilo Kartoffelchips, 0,6 Kilo Pommes frites und 0,45 Kilo Erfrischungsgetränken. Diese Krankenschwestern und -pfleger konnten nicht aufhören, an Kartoffelchips (Salz und Fett) zu knabbern, Pommes frites (Fett und Salz) zu verschlingen und Coca-Cola (Zucker) zu schlürfen. Sie wählten diese Lebensmittel freiwillig. Aber wir wissen, dass die Lebensmittelindustrie Forschungslabore beauftragt, »sensorische Profile« zu erstellen, die dem Geschmack der Konsumenten am besten entsprechen – und diese Profile weisen einen hohen Gehalt an Zucker, Salz und Fett auf.29 Das ändert nichts daran, dass niemand fettleibig sein will.

Tabak und Alkohol sind weitere Produkte, mit denen »Dumme« gephischt und gesundheitlich geschädigt werden. Es gibt jedoch einen bemerkenswerten Unterschied zwischen ihnen: Niemand glaubt, dass es klug ist zu rauchen. Während George diesen Absatz schreibt, sitzt er in einem großen Bürogebäude in Washington, dem HQ I (Headquarters I) des Internationalen Währungsfonds. Im Gebäude ist das Rauchen verboten. Wenn George am Morgen zur Arbeit kommt, geht er an einer Schar von Rauchern vorbei, die draußen vor dem Gebäude stehen und alle seinem Blick ausweichen. Ohne dass er ein Wort verlieren müsste, wissen sie, was er denkt: Sie setzen ihr Leben für einen Genuss aufs Spiel, der das kaum wert sein kann. Infolge dieser Zensur und Selbstzensur ist der Anteil der Raucher in den Vereinigten Staaten um mehr als die Hälfte gesunken, seit in der schlechten alten Zeit Leute, die es besser hätten wissen müssen, behaupteten, das Rauchen sei gut für die Gesundheit,30 weil man dadurch Gewicht verliere.31

Neben dem Tabak gibt es eine weitere legale Droge, die durchaus noch größeren Schaden anrichten könnte, aber auf sehr viel weniger Ablehnung stößt. Der britische Forscher David Nutt und seine Kollegen und die Niederländer Jan van Amsterdam und Willem van den Brink richteten Expertengruppen ein, um den relativen Schaden zu bewerten, den verschiedene Drogen in ihren Ländern anrichteten.32 Berücksichtigt man neben dem Schaden, den der Süchtige selbst erleidet, auch den Schaden, den seine Sucht den Menschen in seiner Umgebung zufügt, so ist der Alkohol nach Erkenntnis von Nutt und Kollegen die zerstörerischste aller Drogen; van Amsterdam und seine Kollegen gelangten zu dem Ergebnis, dass der Alkohol den zweiten Rang direkt hinter Crack einnimmt.33 Wir werden an lebensbegleitenden Studien sehen, dass der Alkoholmissbrauch vermutlich den größten Schaden im Leben der Amerikaner anrichtet. Trotzdem drängen uns Bars, Restaurants, Fluglinien und unsere Freunde bei Partys, doch ein Glas zu trinken, und dann noch eines, und noch eines … Dabei wird kaum bedacht, dass ein weiterer Drink eine Entscheidung ist, die uns bereits zu leicht fällt. Niemand will ein Alkoholiker sein. Aber anstatt uns vom Trinken abzuhalten, werden wir dazu verleitet.

SCHLECHTE REGIERUNG. So wie der freie Markt funktioniert auch die Demokratie unter idealen Bedingungen zumindest annehmbar gut. Aber die Wähler sind mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, weshalb es ihnen praktisch unmöglich ist, herauszufinden, wann ein Politiker ihre wahren Wünsche in Bezug auf die Gesetzgebung missachtet. Und da wir menschlich sind, neigen wir dazu, die Person zu wählen, die es uns am leichtesten macht. Das führt dazu, dass die Politik für die einfachste Form des Phischens anfällig ist: Politiker sammeln in aller Stille Spendengelder bei Interessengruppen ein und verwenden dieses Geld anschließend, um den Wählern zu zeigen, dass sie »einer von ihnen sind«. Im Kapitel »Phischen in der Politik« beschreiben wir den Wahlkampf des Senators Charles Grassley aus Iowa, der im Jahr 2004 Vorsitzender des Finanzausschusses des US-Senats war und in seinem Heimatstaat dank einer mit mehreren Millionen Dollar gefüllten Kriegskasse Wahlspots im Fernsehen bezahlen konnte, in denen er als »ganz normaler Bürger« zu sehen war, der auf dem Rasenmäher Runden auf dem Rasen vor seinem Haus dreht. Das Geld spielte in diesem Wahlkampf keine ungewöhnliche Rolle. Im Gegenteil, wir haben dieses Beispiel gewählt, weil es so typisch ist. Dabei möchte (fast) niemand eine Demokratie, in der Wahlen auf diese Art gekauft werden.

Das Ziel von Phishing for Fools

Wir wollen in diesem Buch eine Reihe von Beispielen für das Phischen nach »Dummen« beschreiben, die zeigen, wie nachhaltig sich diese Praxis auf unser Leben auswirkt: auf unser Handeln, unser Denken, unsere Ziele und unsere Fähigkeit, diese Ziele zu erreichen. Einige Fallbeispiele stammen aus dem täglichen Leben und betreffen unsere Autos, unsere Nahrung, unsere Medikamente und die Eigenheime, die wir kaufen und verkaufen. Andere sind technischer und betreffen Systeme wie die Finanzmärkte. Aber all diese Beispiele sind bedeutsam für die Sozialpolitik und für die Funktion des Staates, der den freien Markt nicht behindern soll, aber ergänzen muss, denn so wie wir unsere Computer vor Schadsoftware schützen müssen, müssen wir uns auch ganz allgemein davor schützen, dass in unserer Gesellschaft nach »Dummen« gephischt wird.

Fußnoten des Kapitels

1. »A Nickel in the Slot«, in: Washington Post, 25. März 1894, S. 20.

2. »A Crying Evil«, in: Los Angeles Times, 24. Februar 1899, S. 8.

3. Bernard Malamud, »Nevada Gaming Tax: Estimating Resident Burden and Incidence« (University of Nevada, Las Vegas, April 2006), S. 1, abgerufen am 5. März 2015, https://faculty.unlv.edu/bmalamud/estimating.gaming.burden.incidence.doc.

4. Richard N. Velotta, »Gaming Commission Rejects Slot Machines at Cash Registers«, in: Las Vegas Sun, 18. März 2010, abgerufen am 12. Mai 2015, http://lasvegassun.com/news/2010/mar/18/gaming-commission-rejects-slot-machines-cashregis/?utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter. Senator Harry Reid wurde als Vorsitzender der Nevada Gambling Commission berühmt, weil er gegen den Einfluss der Mafia kämpfte. Der Film Casino beruht angeblich auf Reids Auseinandersetzung mit Frank Rosenthal (vgl. »Harry Reid«, Wikipedia, abgerufen am 1. Dezember 2014, http://en.wikipedia.org/wiki/Harry_Reid).

5. Natasha Dow Schüll, Addiction by Design: Machine Gambling in Las Vegas (Princeton: Princeton University Press, 2012).

6. Ebd., S. 24f.

7. Dazu gehören eine Tankstelle mit Minimarkt und ein Supermarket, in dem sie manchmal spielt, vor allem aber Palace Station Casino.

8. Schüll, Addiction by Design, S. 2. Mollie erklärte im Gespräch mit Schüll: »Ich spiele nicht, um zu gewinnen. Ich spiele, um zu spielen – um in der ›Automatenzone‹ zu bleiben, wo alles andere bedeutungslos wird.« Wir danken Natasha Schüll für ein Telefongespräch am 13. Februar 2014, in dem sie uns Mollie und ihr Verhalten genauer beschrieb.

9. Ebd., S. 33. Schüll beschreibt ein Überwachungsvideo, auf dem eine Defibrillation zu sehen ist: »Obwohl der Mann buchstäblich vor ihren Füßen lag und die Beine ihrer Stühle berührte, spielten die anderen Spieler weiter.«

10. John Elfreth Watkins Jr., »What May Happen in the Next Hundred Years«, in: Ladies Home Journal, Dezember 1900, S. 8, https://secure.flickr.com/photos/jonbrown17/2571144135/sizes/o/in/photostream/. Vgl. »Predictions of the Year 2000 from The Ladies Home Journal of December 1900«, abgerufen am 1. Dezember 2014, http://yorktownhistory.org/wp-content/archives/homepages/1900_predictions.htm, zwecks Bestätigung, dass die Ausgabe aus dem Dezember stammte.

11. Oxford English Dictionary, »phish«, abgerufen am 29. Oktober 2014, http://www.oed.com/view/Entry/264319?redirectedFrom=phish«eid.

12. Es ist kein Zufall, dass sich Daniel Kahneman und Amos Tversky, die zu den Pionieren der modernen Kognitionspsychologie zählen, anfangs mit optischen Täuschungen beschäftigten. Kahneman erklärte George, dass die Verzerrungen des Denkens, mit denen sich die Verhaltensökonomie befasst, den »optischen Täuschungen« vergleichbar sind. (Persönliches Gespräch vor etwa 25 Jahren.)

13. Kurt Eichenwald, A Conspiracy of Fools: A True Story (New York: Random House, 2005), sowie Bethany McLean und Peter Elkind, The Smartest Guys in the Room: The Amazing Rise and Fall of Enron (New York: Portfolio /Penguin Books, 2003).

14. Bethany McLean und Peter Elkind, »The Guiltiest Guys in the Room«, in: Fortune, 5. Juli 2006, abgerufen 12. Mai 2015, http://money.cnn.com/2006/05/29/news/enron_guiltyest/.

15. Henry David Thoreau, Walden oder Leben in den Wäldern (Köln: Anaconda, 2009).

16. Nach Angabe von Rebecca Mead führt Condé Nast alljährlich eine American Wedding Study durch, in der die durchschnittlichen Kosten von Hochzeiten ermittelt werden. Im Jahr 2006 kosteten sie 27 852 USD, das heißt 60 Prozent des Pro-Kopf-BIP. Mead, One Perfect Day: The Selling of the American Wedding (New York: Penguin Books, 2007), Kindle-Positionen 384–92 von 4013. Seit der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre sind die Hochzeitskosten gemessen am Pro-Kopf-GDP gesunken. Die neueste Schätzung für das Jahr 2014 liegt bei »über 28 000 USD«, was etwa 51 Prozent des Pro-Kopf-BIP entspricht. »BRIDES Reveals Trends of Engaged American Couples with American Wedding Study«, 10. Juli 2014, abgerufen am 1. Dezember 2014, http://www.marketwired.com/press-release/brides-reveals-trends-of-engaged-american-couples-with-american-wedding-study-1928460.htm.

17. Jessica Mitford, The American Way of Death Revisited (New York: Knopf, 1998), Kindle-Positionen 790–92 von 5319.

18. »Von Ihrem ersten Termin bis zur Geburt Ihres Kindes wird Ihnen der Personal Registry Advisor auf Ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Orientierungshilfe zu allem geben, was Sie für Ihr Baby brauchen.« Babies »R« Us, »Baby Registry: Personal Registry Advisor«, abgerufen am 20. März 2015, http://www.toysrus.com/shop/index.jsp?categoryId=11949069.

19http://www.apa.org/news/press/releases/stress/2014/stress-report.pdf

20. Wir verwenden den Begriff Abzocke zur Beschreibung von Transaktionen, bei denen Konsumenten einen überhöhten Preis für Produkte und Dienstleistungen zahlen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen meinen wir damit keine illegalen Transaktionen. Im Wikipedia-Eintrag für »Ripoff« ist diese Verwendung des Begriff berücksichtigt: »Eine schlechte finanzielle Transaktion. Normalerweise ist damit ein Vorgang gemeint, in dem eine Person einen überhöhten Preis für etwas bezahlt.« Abgerufen am 13. November 2014, http://en.wikipedia.org/wiki/Ripoff.

21. Nach Angabe von Sheharyar Bokhari, Walter Torous und William Wheaton lag die Loan-to-value-Quote (das Verhältnis zwischen Kreditbetrag und Verkehrswert des Hauses) in den Vereinigten Staaten Ende der neunziger Jahre und Anfang des 21. Jahrhunderts, das heißt vor dem Immobilienboom, nur bei 40 Prozent der Eigenheimkäufe, die mit von Fannie Mae gewährten Hypothekenkrediten getätigt wurden, bei weniger als 80 Prozent. Geht man davon aus, dass die Transaktionskosten etwa zehn Prozent des Verkaufspreises ausmachen (sechs Prozent für Maklergebühren, vier Prozent für Abwicklungskosten), so bedeutet dies, dass diese Kosten bei 60 Prozent der Eigenheimverkäufe 50 Prozent oder mehr der Anzahlung des Käufers ausmachten. Vgl. Bokhari et al., »Why Did Household Mortgage Leverage Rise from the Mid-1980s until the Great Recession?« Massachusetts Institute of Technology, Center for Real Estate, Januar 2013, abgerufen 12. Mai 2015, http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.269.5704&rep=rep1&type=pdf.

22. Vgl. Carmen M. Reinhardt und Kenneth Rogoff, Dieses Mal ist es anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrisen (München: FinanzBuch Verlag, 2010).

23. John Kenneth Galbraith, Der große Crash 1929: Ursachen, Verlauf, Folgen (München: FinanzBuch Verlag, 2009), S. 172.

24. James Harvey Young, Toadstool Millionaires: A Social History of Patent Medicines in America before Federal Regulation (Princeton: Princeton University Press, 196), S. 248.

25. Aussage von David J. Graham vor dem Finanzausschuss des Senats, 18. November 2004, http://www.finance.senate.gov/imo/media/doc/111804dgtest.pdf. Zum Zeitpunkt seiner Aussage war Graham Associate Director für Wissenschaft und Medizin in der Sicherheitsabteilung der Food and Drug Administration. Wir übernehmen seine Schätzungen von 88 000 bis 139 000 zusätzlichen Fällen von Herzinfarkt oder plötzlichem Herzstillstand infolge der Einnahme von Vioxx; 30–40 Prozent dieser Vorfälle führten zum Tod (S. 1). Wir werden uns in Kapitel 6, »Lebensmittel, Pharma und Phishing« erneut mit David Graham befassen.

26. John Abramson, Overdosed America: The Broken Promise of American Medicine (New York: Harper Perennial, 2008), S. 70. Diese Schätzung beruht auf einer Hochrechnung der Erkenntnisse der britischen Million Women Health Study auf die amerikanische Einwohnerzahl. In einem Artikel in The Lancet (August 2003) gelangten die Autoren dieser Studie zu folgendem Ergebnis: »Der Einsatz der Hormonersatztherapie bei britischen Frauen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren hat in den vergangenen zehn Jahren zu schätzungsweise 20 000 zusätzlichen Brustkrebserkrankungen geführt, von denen 15 000 mit Östrogen-Progestagen zusammenhängen; die Zahl der zusätzlichen Todesfälle kann nicht zuverlässig geschätzt werden.« Vgl. Valerie Beral, Emily Banks, Gillian Reeves und Diana Bull, Million Women Study Collaborators, »Breast Cancer and Hormone-Replacement Therapy in the Million Women Study«, in: Lancet 362, Nr. 9382 (9. August 2003): S. 419–27. Die Hochrechnung führt zu einer konservativen Schätzung, da die Hormonersatztherapie in den Vereinigten Staaten häufiger eingesetzt wurde als in Großbritannien.

27. Centers for Disease Control and Prevention, Health, United States, 2013: With Special Feature on Prescription Drugs, S. 213, Tabelle 64, abgerufen am 1. Dezember 2014, http://www.cdc.gov/nchs/data/hus/hus13.pdf. Zahlen für die Jahre 2011–12 für Erwachsene im Alter von 20 und mehr Jahren. Wir weisen darauf hin, dass der Anteil der als fettleibig eingestuften Personen von 22 Prozent im Zeitraum 1988–1994 um mehr als 50 Prozent gestiegen ist.

28. Dariush Mozaffarian et al., »Changes in Diet and Lifestyle and Long-Term Weight Gain in Women and Men«, in: New England Journal of Medicine 364, Nr. 25 (23. Juni 2011): S. 2395f., abgerufen am 30. Oktober 2014, http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1014296?query=TOC«t=articleTop.

29. Michael Moss, Das Salz-Zucker-Fett-Komplott: Wie die Lebensmittelkonzerne uns süchtig machen (Kiel: Ludwig Verlag, 2014), S. 25ff.

30. Der Raucheranteil sank zwischen 1965 und 2014 von 43 auf 18 Prozent. Vgl. »Message from Howard Koh, Assistant Secretary of Health«, in: US Surgeon General, The Health Consequences of Smoking – 50 Years of Progress (2014), abgerufen am 6. März 2015, http://www.surgeongeneral.gov/library/reports/50-years-of-progress/full-report.pdf.

31. Die bekannteste Werbekampagne, in der die Zigarette als Schlankmacher dargestellt wurde, trug den Titel »Reach for a Lucky Instead of a Sweet«. Der umfangreiche Werbetext, der die vorteilhaften Auswirkungen der Lucky auf Gesundheit und Schönheit hervorhob, endete mit der Erklärung: »Ein angemessener Zuckergehalt der Nahrung wird empfohlen, aber die große Mehrheit der Experten ist überzeugt, dass zu viele dickmachende Süßigkeiten gesundheitsschädlich sind und dass die Amerikaner zu viel davon essen. Daher sagen wir im Interesse der Mäßigung: ›Greifen Sie zu einer Lucky statt zu etwas Süßem.‹« Aus einer Werbeanzeige für Zigaretten der Marke Lucky Strike (1929), in: Julian Lewis Watkins, The 100 Greatest Advertisements, 1852–1958: Who Wrote Them and What They Did (Chelmsford, MA: Courier, 2012), S. 66. Abgedruckt auf https://beebo.org/smackerels/lucky-strike.html. Abgerufen am 29. März 2015.

32. David J. Nutt, Leslie A. King und Lawrence D. Phillips, im Auftrag des Independent Scientific Committee on Drugs, »Drug Harms in the UK: A Multicriteria Decision Analysis«, in: Lancet 376, Nr. 9752 (6.–12. November 2010): S. 1558–65; Jan van Amsterdam, A. Opperhuizen, M. Koeter und Willem van den Brink, »Ranking the Harm of Alcohol, Tobacco and Illicit Drugs for the Individual and the Population«, in: European Addiction Research 16 (2010): 202–7, DOI:10.1159/000317249.

33. Nutt, King und Phillips, »Drug Harms in the UK«, S. 1561, Abb. 2.