Pierre Bayle

Verschiedene Gedanken

über einen Kometen

 

 

 

Pierre Bayle: Verschiedene Gedanken über einen Kometen

 

Übersetzt von Johann Christoph Faber

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Louis Elle, Porträt des Pierre Bayle, um 1675

 

ISBN 978-3-7437-1672-8

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1628-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1629-2 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Rotterdam 1683. Der Text folgt der von Johann Christoph Gottsched herausgegebenen Übersetzung durch Johann Christoph Faber: Hamburg 1741.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Pierre Bayle: Verschiedene einem Doktor der Sorbonne mitgeteilte Gedanken über den Kometen, der im Monat Dezember 1680 erschienen ist. Leipzig: Philipp Reclam jun., 1975.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

Pierre Bayle

 

 

Verschiedene einem Doktor der Sorbonne mitgeteilte Gedanken über den Kometen, der im Monat Dezember 1680 erschienen ist

 

 

(Pensées diverses, écrites à un docteur de Sorbonne, à l'occasion de la comète qui parut au mois de décembre 1680)

Vorrede des Verfassers

Zwei Ursachen, die mir wichtig zu sein schienen, verbinden mich, diesem Werk eine Vorrede vorzusetzen. Ich habe es für nötig gehalten, meinen Lesern gleich anfangs zu berichten: 1. Warum ich mich in diesem Werk allezeit der Schreibart eines Römisch-Katholischen bedient habe, es mag nun von Sachen, die in die Religion oder in die Staatskunst gehören, die Rede sein. 2. Warum diese dritte Ausgabe nicht so beschaffen ist, wie ich sie versprochen hatte.

Die Erläuterung des ersten Punktes wird man aus folgenden Zeilen sehen, darin ich einige Dinge anführe, die den Ursprung dieses Werkes betreffen.

Da ich öffentlicher Lehrer der Weltweisheit zu Sedan war, so wurde ich bei Gelegenheit desjenigen Kometen, der im Monat Dezember des 1680. Jahres erschien, von vielen neugierigen oder bestürzten Personen beständig mit hundert Fragen geplagt. Ich suchte, soviel möglich, denjenigen Mut zuzusprechen, die sich über dieses sogenannte Unglückszeichen ängstigten, allein durch alle meine philosophischen Schlüsse gewann ich sehr wenig bei ihnen. Man antwortete mir allezeit: Gott zeigte uns diese großen Luftzeichen, um den Sündern Raum zu geben, dasjenige Unglück abzuwenden, was über ihrem Haupt schwebte. Ich hielt es also für sehr undienlich, von der Sache weitläufiger zu handeln, wenn man nicht durch gründliche Folgerungen zeigen könnte, daß es den Eigenschaften Gottes zuwider sei, die Kometen zu einer solchen Wirkung zu bestimmen. Ich dachte der Sache nach und kam gar bald auf den aus der Gottesgelehrtheit genommenen Beweis, den man in dieser Schrift finden wird. Ich besann mich nicht, selbigen in irgendeiner Schrift gelesen oder jemals davon reden gehört zu haben. Dieser Schein einiger Neuigkeit[29] brachte mich auf die Gedanken, von dieser Sache einen Brief zu schreiben, der in den Mercure galant eingerückt werden könnte. Ich gab mir alle mögliche Mühe, die Grenzen eines solchen Briefes nicht zu überschreiten, allein der Überfluß dieser Materie erlaubte mir die gehörige Kürze nicht und nötigte mich, ein anderes Mittel zu ergreifen, das heißt meine Schrift als ein Werk anzusehen, welches besonders herausgegeben werden müßte. Nunmehr zwang ich mich zu keiner Kürze mehr, ich ließ mich ohne allen Zwang über jeden Satz aus, dennoch ließ ich den Herrn Visé, Verfasser des Mercure galant, niemals aus den Augen. Ich entschloß mich, ihm mein Schreiben zu übersenden und ihn zu ersuchen, daß er es seinem Buchdrucker geben und mir entweder die Erlaubnis des Herrn de la Reinie, sofern selbige zum Druck meines Werkes ausreichend wäre, wenn nicht, einen Befreiungsbrief des Königs selbst auswirken möchte, wenn es nicht anders sein könnte. Er behielt diese Schrift eine Zeitlang bei sich, ohne den Namen des Verfassers zu wissen, und da man ihn deswegen befragte, so antwortete er: Er wüßte gewiß, daß der Herr de la Reinie es nicht wagen würde, die Folgen dieser Sache ganz allein auf sich zu nehmen, und daß man, ehe man um das königliche Privilegium anhalten könnte, zuvor die Genehmhaltung der theologischen Fakultät haben müßte, dieses aber sei eine verdrießliche, langwierige und beschwerliche Sache, daß er die Muße nicht hätte, sich damit einzulassen. Man forderte ihm also die Abschrift ab, und da die Aufhebung der Hohen Schule zu Sedan mich veranlaßte, im 1681. Jahre nach Holland zu gehen, so ließ ich den Vorsatz fahren, mein Werk von den Kometen in Paris drucken zu lassen.

Hier sieht man die Ursache, warum ich mich der Schreibart eines Römisch-Katholischen bedient und bei den Staatsangelegenheiten die Ausdrücke des Herrn Visé nachgeahmt habe. Dieses war zu einem Werk, welches in Paris gedruckt werden sollte, unumgänglich notwendig, zumal, so hielt ich dafür, die Nachahmung des Mercure galant in einigen Stücken mir entweder die Einwilligung des Herrn [30] de la Reinie oder die königliche Freiheit desto eher zuwege bringen würde. Und da ich mir alle mögliche Mühe gegeben, daß ich nicht für den Urheber dieser Gedanken von den Kometen möchte gehalten werden (welche kurz darauf in Holland gedruckt wurden), so änderte ich in oft gedachter Schreibart gar nichts, indem ich glaubte, daß nichts als eben dieselbe vermögen könnte, das Urteil zu verhindern: Diese Schrift sei von einem Menschen verfertigt, welcher der Religion wegen aus Frankreich gegangen wäre.

Diejenigen, die sich die Mühe geben wollen, hierauf achtzugeben, werden unfehlbar alle gewünschte Erklärung finden. Noch eins muß ich sagen: Man schaltete während des Druckes (besonders bei der zweiten Ausgabe) ziemlich viele Sachen ein, welche in dem Manuskript, das man dem Verfasser des Mercure galant geschickt, nicht gestanden hatten.

Ich komme jetzt auf den anderen Punkt: Warum ich in dieser dritten Ausgabe nicht alles geleistet, was ich versprochen hatte.

Ich hatte meinen Lesern versprochen, daß diese Ausgabe mit vielen neuen Beweisen und Antworten auf die gemachten Einwürfe vermehrt werden sollte, und gleichwohl ist sie der zweiten ganz gleich. Ich habe nichts hinzugesetzt, nichts weggelassen, kurz, nichts geändert. Dieses ist aus folgenden Ursachen geschehen: Ich dachte, daß dieses Werk, welches ohnedies den Flüssen gleicht, die nur so dahinschleichen, durch einige neue Zusätze notwendig verdrießlich werden müßte. Hierdurch hätte ich meine Leser in ein Labyrinth geführt oder sie auf einen Fluß Mäander eingeschifft, und beides beliebt ihnen nicht. Ich weiß nicht, ob andere Schriftsteller die Geschicklichkeit gehabt haben möchten, ein solches Werk nach Art lebendiger Geschöpfe wachsen zu lassen, das heißt, durch eine gleiche Verteilung der Säfte über den ganzen Leib denselben allenthalben gleich zu vergrößern. Was mich betrifft, so erkenne ich mich dazu für unfähig, und also werde ich derjenigen Art nachahmen, wodurch, wie man sagt, die Natur die leblosen Körper vergrößert. Sie wachsen,[31] spricht man, per iuxta compositum, das heißt durch eine Materie, die sich an ihre äußeren Teile ansetzt. Auf eben diese Weise werde auch ich meine Zusätze zu einem neuen Teil aufsparen, den ich besonders drucken lassen will, sobald ich mit der Arbeit meines kritischen Wörterbuches etwas weiter gekommen sein werde, daran ich noch beständig arbeite. Diesen Aufschub nehme ich mir, weil ich bei genauerer Untersuchung der Einwürfe, die man gegen die Vergleichung des Heidentums mit der Gottesverleugnung machen kann, gefunden, daß man sie alle durch die Grundsätze, die ich vorausgesetzt, und durch diejenigen Antworten, die ich bereits vorgetragen, aufheben kann. Ich kann mir also schon Zeit nehmen. Derjenige Einwurf, der der stärkste zu sein scheint und am meisten verdient, recht weitläufig auseinandergesetzt zu werden, ist derjenige, den ich im 234. Absatz untersuche. Gleichwohl weiß ich nicht, ob ich mich in dem neuen Teil, den ich hier verspreche, gar zu lange dabei aufhalten werde; denn die Sache ist ungemein kitzlig, man kann sie weder recht erläutern noch untersuchen, ohne daß man gewisse Schranken überschreitet, die man lieber gar unberührt lassen muß. Es gibt, ich weiß nicht was für ein Schicksal, daß, je mehr man von den Eigenschaften Gottes, den allerdeutlichsten und erhabensten Begriffen nach, die die Metaphysik nur hat, nachsinnt, man desto mehr einer Menge Schriftstellen gewahr wird, die einem zuwider sind. Ungeachtet, daß dieses nicht in den Sachen selbst, sondern nur in dem Unterschiede der Schreibart gegründet ist, so ist es doch schwer, diesen Widersinn auf eine solche Art zu heben, daß sie allen Gemütern ein Genüge tut. Und überhaupt darf man sich nicht wundern, wenn Leute, die keine andere Schule gehabt haben als die Eingebung und die sich allezeit nach der Fähigkeit des gemeinen Mannes haben richten müssen, was die Begriffe betrifft, die ihre Ausdrücke zu enthalten scheinen, mit solchen Schriftstellern nicht einig sind, die die Regeln der Wortableitung erlernt haben, die selbige beachten und von allen Wörtern eine richtige Erklärung geben, dieselben allezeit in[32] ein und demselben Sinn nehmen, die nur die spekulative Besserung im Sinn haben und ihre Lehren nicht nach der Notwendigkeit einrichten, nach welcher der Pöbel durch grobe Bilder erbaut werden muß. Ich werde in meinem Wörterbuch in dem Artikel Gregorius Arimini etwas mehr hiervon sagen.

Dies ist es alles, was ich hier zu sagen gehabt. Weil aber der Drucker die folgende Seite gern voll haben will, so will ich noch eine Anmerkung hersetzen, die mir sehr geschickt zu sein scheint, den gemeinen Wahn in Hinsicht auf die Kometen zu widerlegen.

Der Krieg, welcher im Okzident vom Jahre 1688 bis ins Jahr 1697 gewährt hat, ist einer der heftigsten und kläglichsten gewesen, die man jemals gesehen. Gleichwohl ist weder kurz vorher noch während seiner Dauer irgendein Komet erschienen, vielmehr hat man im Monat September 1698 einen Kometen gesehen, als Europa schon vom Krieg befreit und im Begriff war, den Frieden zwischen den Türken und Christen wiederhergestellt zu sehen. Da haben wir also einen Kometen, der sich in derjenigen Zeit gezeigt hat, in der zwei Friedensschlüsse gemacht wurden, welche in allen Ecken von Europa die allgemeine Ruhe herstellten und den Zustand aller Sachen auf einen viel besseren Fuß setzten, einen Kometen, sage ich, der die glücklichen Zeiten wiederbrachte, da der Janustempel wieder zugeschlossen ward. Können wir es schon nicht hoffen, so wollen wir zumindest wünschen, daß selbige Zeiten, nebst einer langen Dauer, die gleichen sein mögen, welche Virgil in dem 1. Buche seiner Aeneis im 291. Verse prophezeit:

 

Aspera tum positis mitescent saecula bellis,

Cana fides, et Vesta, Remo cum fratre Quirinus

Iura dabunt: dirae ferro, et compagibus arctis

Claudentur belli portae. Furor impius intus

Saeva sedens super arma, et centum vinctus abenis

Post tergum nodis fremet horridos ore cruento.

 

Gegeben den 1. Jun. 1699[33]

 

Erster Teil

1. Die Veranlassung zu dieser Schrift

Darin hatten Sie zwar ganz recht, mein Herr, da Sie mir schrieben: Es würden diejenigen nicht lange warten dürfen, den Kometen zu einer bequemeren Zeit wiederzusehen, welche denselben nicht hatten sehen können, als er zu Ende des Novembers und mit Anfang des Dezembers sehr früh am Himmel stand. Denn er hat sich wirklich den 22. des vergangenen Monats gleich bei anbrechender Nacht wieder blicken lassen. Allein das kann ich nicht begreifen, wie Sie mir zureden können, Ihnen meine Gedanken darüber schriftlich zu eröffnen, und warum Sie mir versprechen, alles dasjenige richtig zu beantworten, was ich Ihnen davon schreiben würde. Vielleicht wissen Sie noch nicht, wieviel ein solches Zumuten zu sagen hat. Ich bin es nicht gewohnt, meine Gedanken von einer Sache ordentlich und gründlich aufzusetzen. Will ich es schon zuweilen tun, so werde ich doch gar bald anderen Sinnes, Ich gerate sehr oft auf Nebendinge. Ich verfalle auf Sachen, da man wohl Mühe haben würde, zu erraten, wie ich darauf gekommen, und es ist mir ganz was Leichtes, die Geduld eines Doktors zu ermüden, der durchgehend alles nach der Schärfe einer philosophischen Lehrart haben will. Sie überlegen es daher wohl, mein Herr, und erwägen mehr als einmal, was Sie mir zumuten. Ich gebe Ihnen vierzehn Tage Zeit, einen endgültigen Entschluß zu fassen. Diese Erinnerung und die Wünsche, die ich bei diesem Jahreswechsel für Ihr Wohlsein abstatte, sind alles, was Sie für diesmal zum neuen Jahr von mir haben sollen. Ich bin Dero

A..., den 1. Jänner 1681

Pierre [35]Bayle

 
2. Welcher Lehrart man sich hier bedienen wird

Da Sie nach vorhergegangener reiflicher Überlegung doch noch von mir haben wollen, daß ich Ihnen meine zufälligen Gedanken von der Beschaffenheit der Kometen eröffnen soll, und da Sie sich zugleich anheischig machen, dieselben nach der Schärfe zu untersuchen, so kann ich freilich nicht umhin, ich muß Ihnen dieselben aufsetzen. Nur dieses bitte ich mir von Ihnen aus, daß Sie mir erlauben, meine Nebenstunden dazu anzuwenden, und mir alle Freiheit verstatten, so zu schreiben, wie sich die Sachen meinen Gedanken darstellen werden. Sie verlangten zwar, daß ich gleich anfangs einen Aufriß machen und denselben von Stück zu Stück ausarbeiten soll. Allein das erwarten Sie nur nicht von mir, mein Herr. Das schickt sich wohl für eigentliche Skribenten, die ihre Sachen nach einer ordentlichen und abgemessenen Absicht ausführen müssen. Diese tun wohl, wenn sie sich gleich anfangs einen Entwurf zu ihrer Arbeit machen, alles in Bücher und Kapitel einteilen, sich überhaupt vorstellen, was sie in jedem Kapitel ausführen wollen, und sich in der ganzen Ausarbeitung danach richten. Ich für meine Person aber begehre kein Skribent zu sein. Sie werden mir daher erlauben, daß ich mich dieser Art der Sklaverei nicht unterwerfe. Ich habe Ihnen meine Art gesagt. Sie haben Zeit gehabt, sie zu untersuchen, ob sie Ihnen gefällt oder nicht. Fällt sie Ihnen also künftig beschwerlich, so geben Sie mir nicht die Schuld. Sie haben es so haben wollen. Doch ich schreite zu meinem Vorhaben.

 
3. Daß die Vorbedeutungen der Kometen auf seichten Gründen beruhen

Ich höre alle Tage viele Leute von der Beschaffenheit der Kometen sprechen, und obwohl ich zwar aus der Astronomie weder mein Handwerk mache noch Wissenschaft genug darin besitze, so bin ich doch gewohnt, alles sorgfältig[36] zu untersuchen, was die geschicktesten Köpfe hiervon geschrieben haben. Soviel aber muß ich Ihnen, mein Herr, gestehen, daß mir darin nichts begründet vorkommt, als was sie dem irrigen Wahn des Pöbels entgegensetzen, der mit Gewalt haben will, daß die Kometen der Welt unzähliges Unglück androhen sollen. Ich kann es daher gar nicht zusammenreimen, wie ein so großer Doktor, als Sie sind, sich vom Strome hat hinreißen lassen, und wie Sie sich, ohne auf die Gründe zu sehen, die der kleine Haufe rechtschaffener Gelehrter für sich hat, mit dem gemeinen Mann einbilden können, daß die Kometen gleichsam Herolde sind, die dem menschlichen Geschlecht im Namen der Gottheit den Krieg ankündigen; da Sie doch die Wiedererscheinung unseres Kometen so richtig vorhergesagt und nur dieser Ursache wegen wissen sollten, daß es Körper sind, die sich nach den ordentlichen Gesetzen der Natur richten, keineswegs aber Wunderzeichen, die ohne Regeln erfolgen. Wenn Sie ein Prediger wären, so wollte ich es Ihnen noch zugute halten, denn dergleichen Gedanken sind ihrer Natur nach sehr geeignet, die prächtigsten und nachdrücklichsten Zierate der Beredsamkeit anzunehmen. Man kann Ehre damit einlegen, wenn man sie geschickt anzubringen weiß, und die Gewissen der Zuhörer werden dadurch stärker gerührt als durch hundert andere Sätze, die noch so überzeugend bewiesen wurden. Allein, da Sie ein Doktor sind, der das gemeine Volk nicht lehren darf und der seinen Verstand nur mit Sätzen der geläuterten Vernunft anfüllen soll, so will es mir gar nicht gefallen, daß Sie in diesem Stück so schlecht bewiesene Meinungen hegen und sich mit Erzählungen und Stellen aus Poeten und Geschichtsschreibern abspeisen lassen.

 
4. Von dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Dichter

Man kann gar keinen seichteren Grund haben, als dieser ist. Ich will bei den Dichtern anfangen. Sie wissen, daß[37] dieselben sich fest einbilden, sie müßten ihre Gedichte mit vielen prächtigen Beschreibungen, wie z.B. Beschreibungen der Wunderzeichen, ausschmücken und das Wunderbare in die Begebenheiten ihrer Helden überall mit einflechten, und daß sie, diese ihre Absichten zu erreichen, tausend erstaunliche Dinge voraussetzen müssen. Weit gefehlt demnach, daß ich ihnen auf ihr Wort glauben sollte, daß der Untergang der römischen Republik eine Wirkung zweier oder dreier Kometen gewesen. So würde ich nicht einmal glauben, daß dieselben zu der Zeit erschienen sind, wenn es sonst niemand als sie allein gesagt hätte. Denn man muß sich von einem Menschen, der sich vorgenommen hat, ein Gedicht zu verfertigen, schon einbilden, daß er sich zu gleicher Zeit der ganzen Natur bemächtigt habe. Himmel und Erde bewegen sich nun nicht mehr, weil er es haben will. Es geschehen Sonnen- und Mondfinsternisse oder Schiffbrüche, nur nach seinem Gefallen. Alle Elemente kommen in Bewegung, nachdem er es für gut befindet. In der Luft schweben Armeen, auf Erden wüten Ungeheuer, so viel, wie er haben will. Gute und böse Engel erscheinen, sooft er es befiehlt. Die Götter selbst sitzen auf Maschinen und warten nur, bis er ihre Hilfe nötig hat. Und da er vor allen Dingen Kometen haben muß, weil man schon hinsichtlich ihrer eingenommen ist, so nimmt er auch bei Gelegenheit, soviel er deren in der Historie findet. Trifft er da keine an, so macht er sich einige selber und gibt ihnen eine solche geschickliche Farbe und Figur, daraus man abnehmen kann, auf was für eine besondere Art der Himmel an dem Handel, von dem die Rede ist, teilgenommen. Wer wollte sich alsdann des Lachens enthalten können, wenn man gewahr wird, wie eine sehr große Anzahl von Leuten keine anderen Beweise von der Schädlichkeit dieser neuen Gestirne angibt, als daß sie die Stelle:

 

Terris mutantem regna cometen,

Kometen ändern oft die Lage ganzer Länder

 

aus dem Lucanus,

[38] Regnorum eversor, rubuit letale cometes,

Der Länder Untergang, dies tödliche Gestirn,

erschien ganz feuerrot

 

aus dem Silius Italicus,

Nec diri toties arsere cometae,

So häufig brannten nie die drohenden Kometen

 

aus dem Virgil,

Nunquam terris spectatum impune cometen,

Wann hat sich ein Komet der Welt umsonst gezeigt

 

aus dem Claudian und andere dergleichen Sprüche der alten Propheten anführen.

 
5. Von der Glaubwürdigkeit der Historienschreiber

Was die Geschichtsschreiber anbelangt, so gebe ich zwar zu, daß sie sich nicht die Freiheit nehmen, dergleichen außerordentliche Erscheinungen am Himmel vorzugeben. Allein, die meisten lassen doch so viel Belieben an der Erzählung aller der Wunder und Erscheinungen, die die Leichtgläubigkeit der Heiden in Schwang gebracht hat, blicken, daß man gegen die Klugheit verstoßen würde, wenn man ihnen alles glauben wollte, was sie uns in diesem Stück vorschwatzen. Es kann sein, daß sie glauben, ihre Sammlung der Geschichte würde allzu trocken aussehen, wenn sie die nach dem Laufe der Natur vorgefallenen Begebenheiten nicht mit unzähligen Wunderzeichen und übernatürlichen Zufällen vermischten. Oder sie erhoffen vielleicht durch diese, nach dem natürlichen Geschmack der Menschen gewürzte Abwechslung, ihre Leser beständig bei der Lust zu halten, da sie ihnen immer etwas zu bewundern darstellen, oder sie bilden sich wohl gar ein, ihre historische Erzählung würde dadurch bei der Nachwelt[39] ein besonderes Ansehen bekommen, wenn dieselbe dergleichen wunderbare Zufälle darin aufgezeichnet finden würde. Dem sei inzwischen, wie ihm wolle, so kann man doch nicht in Abrede stellen, daß die Geschichtsschreiber nicht eine besondere Neigung haben sollten, alles, was nach Wundern schmeckt, zusammenzutragen.1 Titus Livius gibt uns hiervon einen starken Beweis in die Hand. Denn ob er zwar ein Mann von großem Verstand und einer der erhabensten Geister war, der uns eine Historie hinterlassen, die der Vollkommenheit ziemlich nahekommt, so hat er doch darin einen Fehler begangen, daß er eine unerträgliche Sammlung der allerlächerlichsten Wunderzeichen zusammengetragen, die der heidnische Aberglaube durch Opfer zu versöhnen gedachte, welches auch nach einiger Meinung2 die Ursache gewesen, warum St. Gregorius, der Papst, sein Werk zum Feuer verurteilt hat. Welch eine Unordnung erblickt man nicht in den großen ungeheuren Folianten, die die Geschichte aller unserer Mönchsorden enthalten! Scheint es nicht, als ob man sich hier ein Vergnügen daraus gemacht hätte, alles das ohne Überlegung übereinanderzuhäufen, was man sich nur von eingebildeten Wundern vorstellen kann, um nur die Freude zu haben, der Nacheiferung oder vielmehr dem Neide ein Genüge zu tun, den diese Gesellschaften gegeneinander hegen? Doch das sei nur unter uns geredet, denn Sie wissen wohl, mein Herr, dem gemeinen Volk kein Ärgernis zu geben und die Herren Patres nicht böse zu machen, muß man sich in acht nehmen, die Fehler ihrer Jahrbücher zu entdecken, und nur damit zufrieden sein, daß man sie eben nicht lesen muß.

3Ich wundere mich, wie diejenigen, welche uns so vieles von der Ähnlichkeit der Poesie und Historie vorreden, die uns auf Ciceros und Quintilians Glauben versichern, daß die Historie eine von der Scansion befreite Poesie sei, und des Lukianus Zeugnis anführen, der da sagt: Es würde das Schiff der Historie schwer und unbeweglich sein, wenn der Wind der Poesie nicht in seine Segel striche; die ferner sagen, daß man ein Poet, sein müßte, wenn[40] man ein guter Geschichtsschreiber werden wollte, und daß der Übergang von der Poesie zur Historie ganz unmerklich sei, obgleich bisher noch niemand denselben hätte wagen wollen; ich wundere mich, sage ich, wie diejenigen, welche uns so viele herrliche Dinge erzählen, ohne zu wissen, daß Agathias4 erst ein Poet, dann ein Historikus geworden, und daß ihm diese Veränderung ebenso vorgekommen, wie wenn er aus einem Vaterland in das andere reisen müßte, nicht gesorgt haben, den Kritikverständigen Gelegenheit an die Hand zu geben, den Geschichtsschreibern vorzuwerfen, daß sie in der Tat in einer bewunderungswürdigen Sympathie mit den Poeten stünden und ebenso gerne wie diese sich mit der Erzählung von allerhand Wundern und Erdichtungen aufhielten. Glücklich sind jene zwei vortrefflichen Poeten, die an der Historie Ludwigs des Großen arbeiten. Denn da diese voller wirklicher Wundertaten ist, so können sie, ohne zu erdichten, die herrschende Neigung, außerordentliche Dinge zu erzählen, welche den Dichtern und Geschichtsschreibern so eigen ist, vollkommen sättigen.

Bei alledem bin ich doch nicht willens, mein Herr, das Ansehen der Geschichtsschreiber zu schmälern. Ich bin es gar wohl zufrieden, wenn man, ohne auf ihre Leichtgläubigkeit zu sehen, ihnen glaubt, daß wirklich so viel Kometen erschienen, wie sie aufgezeichnet haben, und daß in den darauffolgenden Jahren ebensoviel Unglück sich ereignet habe, wie sie uns berichten. Ich habe wider alles dieses nichts einzuwenden. Allein, das ist auch alles, was ich Ihnen, mein Herr, zugestehe und was Sie vernünftigerweise von mir fordern können. Wir wollen nunmehr sehen, was daraus folgen wird. Bei aller Ihrer Scharfsichtigkeit können Sie doch unmöglich daraus folgern, daß die Kometen entweder die Ursache oder die Vorbedeutung der Unglücksfälle gewesen, die sich nach ihrem Erscheinen zugetragen haben. So beweisen also die Zeugnisse der Geschichtsschreiber nur so viel, daß Kometen erschienen sind und daß darauf viel Unruhe in der Welt entstanden sei. Dadurch aber ist noch lange nicht erwiesen, daß eines von[41] beiden die Ursache oder die Vorbedeutung des anderen gewesen sei, man müßte denn etwa zugeben, daß ein Frauenzimmer, welches auf der St.-Honorius-Gasse wohnt und niemals zum Fenster hinaussieht, da sie nicht einige Karossen vorbeifahren sehen sollte, sich einbilden könnte, sie sei die Ursache, warum Karossen vorbeifahren, oder wenigstens ein gewisses Zeichen für die ganze Gasse, daß, wenn sie am Fenster stünde, bald Karossen vorbeifahren würden.

 
6. Daß die Geschichtsschreiber gern Abschweifungen machen

Sie werden mir unfehlbar einwenden, die Geschichtsschreiber sagten doch gleichwohl ausdrücklich, daß die Kometen Zeichen oder gar Ursachen der Verheerungen gewesen, die darauf erfolgt sind, und folglich sei ihr Ansehen gültiger, als ich behauptet hätte. Gar nicht, mein Herr. Sie können das, was sie sagen, als eine Anmerkung hinzugesetzt haben. Denn sie lassen ihr Urteil gern mit einfließen und vertiefen sich zuweilen so sehr in moralische Betrachtungen, daß der Leser, dem es zuwider ist, wenn sie die historische Erzählung abbrechen, ihnen gern zurufen würde, wenn er sie nur allemal bei sich hätte: Riservate questo per la predica, dieses sparet für die Kanzel. Sie wollen sich auch in solchen Sachen gelehrt erweisen, die eigentlich für sie nicht gehören. Daher geraten sie zuweilen auf unzeitige Abschweifungen. So sagt uns z.B. Ammianus Marcellinus5 bei Gelegenheit eines Erdbebens, das unter der Regierung des Constantius geschehen, den ganzen Aristoteles und Anaxagoras her, verliert sich in tiefsinnigen Schlußreden, führt Stellen aus Poeten und Gottesgelehrten an. Da er auf die Sonnenfinsternis, unter ebendiesem Constantius, zu reden kommt, so dringt er mit aller Gewalt in die Geheimnisse der Astronomie, erläutert den Ptolomäus und verirrt sich so weit, daß er über die Ursachen der Nebensonnen zu philosophieren anfängt.6[42] Daraus folgt aber nicht, daß die Anmerkungen der Historienschreiber der gemeinen Meinung ein Gewicht geben können, denn sie machen diese Anmerkungen bei Sachen, die für einen Geschichtsschreiber eigentlich nicht bestimmt sind. Wäre die Rede von einem Staatsrat, von einer Friedensunterhandlung, von einer Schlacht, von einer Belagerung usw., so könnte das Zeugnis der Historie den Ausschlag geben. Denn das kann wohl sein, daß ihre Verfasser die Archive durchsucht, die geheimsten Dokumente gelesen und aus den reinsten Quellen der Wahrheit geschehener Dinge geschöpft haben. Da aber vom Einfluß der Gestirne, von den verborgenen und unsichtbaren Triebfedern natürlicher Dinge die Rede ist, so haben die Herren Geschichtsschreiber kein Recht mehr, unseren Beifall zu fordern. Man sieht sie nunmehr als Privatpersonen an, die ihre Mutmaßung so hinsetzen, und läßt dieselbe viel oder wenig gelten, je nachdem man etwa weiß, daß der Autor viel oder wenig in der Physik getan hat. Auf solche Art müssen Sie mir, mein Herr, zugeben, daß das Zeugnis der Geschichtsverfasser wenig Gültigkeit übrigbehält, denn sie sind gemeiniglich schlechte Naturverständige.

 
7. Von dem Ansehen der Tradition

Vermöge dessen, was bereits gesagt wurde, würde es überflüssig sein, wenn ich das Vorurteil der Tradition insbesondere widerlegen wollte. Denn wenn die vorgefaßte Meinung, die man seit undenklichen Zeiten von den Kometen hat, einigen tüchtigen Grund haben kann, so ist es augenscheinlich, daß derselbe bloß auf das Zeugnis ankommen muß, welches die Historienbücher und andere Schriften in allen Jahrhunderten hiervon abgelegt haben. Ist also dieses Zeugnis von keiner Erheblichkeit, wie ich es gezeigt habe und im Folgenden noch deutlicher zeigen will, so wird man die Menge der Stimmen, die darauf gegründet ist, nicht mehr zählen dürfen.[43]

Warum können wir doch das nicht sehen, was in dem Verstand der Menschen vorgeht, wenn sie eine Meinung erwählen? Ich bin überzeugt, wenn das geschehen könnte, so würde man gewahr werden, wie der Beifall so vieler tausend Leute sich nur auf das Ansehen zweier oder dreier Personen bezieht, welche einen Lehrsatz bekanntmachen. Man glaubt, daß sie denselben genau und gründlich geprüft haben. Durch das Vorurteil von ihrer Geschicklichkeit werden andere davon überredet. Diese überreden wiederum andere, die ihrer natürlichen Trägheit halber geneigter sind, alles, was man ihnen vorsagt, zu glauben, als mühsam zu untersuchen. Auf solche Art verstärkt sich von Tag zu Tag die Anzahl leichtgläubiger und nachlässiger Anhänger.7 Dieses ist ein neuer Antrieb, daß die anderen sich nicht Mühe geben wollen, die Meinung zu untersuchen. Sie sehen, daß dieselbe allgemein ist, und sind so einfältig, daß sie sich einbilden, sie habe nicht anders als durch die Richtigkeit der Gründe so allgemein werden können, dadurch müßte man sie im Anfang bestärkt haben. Endlich treibt uns die Not, daß man das glaubt, was alle Welt für wahr hält, weil man sonst befürchten müßte, man möchte für einen Störenfried gehalten werden, der für sich allein mehr wissen wollte als alle anderen und kein Bedenken trüge, dem ehrwürdigen Altertum ins Angesicht zu widersprechen. Und dieses geht so weit, daß man sich endlich eine Ehre daraus gemacht, daß man nichts mehr untersucht, sondern alles auf die gemeine Sage ankommen lassen habe. Urteilen Sie nur selber, ob etliche Millionen Menschen, die auf beschriebene Art eine Meinung angenommen, dieselbe wahrscheinlich machen können, und ob dieses große Vorurteil, das sein Gewicht von der Menge so vieler Anhänger bekommen hat, wenn man nach der Billigkeit verfährt, sich auf mehr als zwei oder drei Personen gründet, von denen man glaubt, daß sie das untersucht haben, was sie vorgetragen. Erinnern Sie sich nur, mein Herr, gewisser fabelhafter Meinungen, die man zu unserer Zeit abgeschafft, so groß auch die Anzahl der Zeugen war, die sie unterstützten, weil man sich klar[44] bewiesen, daß alle diese vielen Zeugen nur für einen einzigen gerechnet werden müßten, da immer einer das nachgesprochen, was der andere vorgesagt hatte, ohne das weiter zu untersuchen, was ein jeder von ihnen angeführt hätte. Und schließen Sie daraus, obgleich viele Nationen und viele Jahrhunderte den Kometen an all dem Unglück einhellig schuld geben, das nach ihrer Erscheinung auf der Erdkugel erfolgt ist, so kann doch dieses Urteil nicht größere Wahrscheinlichkeit für sich haben, als wenn es von sieben oder acht Personen gefällt worden wäre, weil deren in der Tat kaum mehr sein werden, die es glauben oder geglaubt haben, nachdem sie alles nach richtigen Gründen der Philosophie geprüft hatten.

 
8. Warum man das Ansehen der Philosophen nicht berührt hat

Sie werden vielleicht noch wissen wollen, warum ich der Philosophen nicht ebenso wie der Poeten und Geschichtsschreiber gedacht habe. Ich habe es deswegen nicht getan, weil ich glaube, daß, wo das Zeugnis der Weltweisen einigen Eindruck bei Ihnen, mein Herr, gemacht hat, die Ursache davon nicht in den Gründen zu suchen ist, darauf es beruht, sondern weil durch den Beitritt der Philosophen die Tradition Ihnen desto allgemeiner vorgekommen ist. Sie sind allzu gewitzt, als daß ein Weltweiser Sie hintergehen sollte, sofern er Sie nur durch Schlüsse angreift, und das Lob muß man Ihnen geben, daß Sie in Sachen, die von der Vernunft ausgemacht werden müssen, sonst niemand als der geläuterten Vernunft folgen. Folglich sind die Philosophen als Philosophen gar nicht schuld daran, wenn Sie, mein Herr, bei dieser Gelegenheit pöbelhaft denken, denn alle die Schlüsse, die jene zur Bestätigung des Einflusses der Gestirne anführen, sind recht jämmerlich. Allein, wollen Sie mir erlauben, daß ich es Ihnen als ein alter guter Freund sagen darf, woher es gekommen, daß Sie dieses Vorurteil des Pöbels angenommen,[45] ohne das Orakel der Vernunft dabei um Rat zu fragen? Sie glauben, es sei in diesen Dingen etwas Göttliches zu finden, wie man solches mit dem berühmten Hippokrates von einigen Krankheiten vorgegeben. Sie bilden sich ein, daß die einhellige Übereinstimmung so vieler Nationen durch alle Jahrhunderte hindurch eine gewisse göttliche Eingebung zur Quelle haben müsse: Vox populi, vox Dei, des Volkes Stimme ist Gottes Stimme. Als ein Gottesgelehrter sind Sie es schon gewohnt, die Vernunft beiseite zu setzen, sobald Ihnen ein Geheimnis vorkommt. Diese Behutsamkeit ist auch ganz gut, nur zuweilen geschieht dadurch ein Eingriff in die Rechte der Vernunft, wenn man sie allzu hoch treibt, wie solches der Herr Pascal8 sehr wohl bemerkt hat. Sie haben endlich ein allzu schüchternes Gewissen, daher glauben Sie leicht, daß die Verderbnis der Menschen den Arm des Höchsten mit den schrecklichsten Pfeilen ausrüste, die aber der gütige Gott doch nicht eher auf die Menschen abdrücken wolle, als bis er, wie ehemals vor der Sintflut, sie gewarnt und gesehen, ob sie sich vielleicht noch bessern möchten. Aus allen diesen Ursachen zusammen entsteht endlich in Ihrem Verstand ein Vorurteil des Ansehens, das Sie nicht verhüten können, so geschickt Sie auch sonst sind, die irrigen Schlüsse der Vernunftlehrer auseinanderzunehmen.

Es würde also vergeblich sein, wenn man sich unterfangen wollte, Ihnen durch philosophische Grundsätze Ihren Wahn zu nehmen. Man muß Sie entweder dabei lassen oder nach Sätzen der Frömmigkeit und Religion mit Ihnen sprechen. Und dieses will ich auch tun, denn ich will nicht gerne, daß Sie mir entwischen sollten. Damit ich mich aber meines Schadens erhole, so will ich Ihnen vorher einige Gründe der gesunden Vernunft zu bedenken geben, die alle beweisen, daß es eine verwegene Meinung ist, die man vom Einfluß der Kometen hegt. Sinnen Sie inzwischen nach (wo Sie können), was das wohl für Sätze der Frömmigkeit sein mögen, die ich für Sie in Bereitschaft habe. Erraten Sie dieselben, sage ich, wo Sie können, bis ich in meinen Nebenstunden mit einer kleinen Vorbereitung[46] fertig bin, die auf bekanntere Grundsätze hinauslaufen wird.

A..., den 15. März 1681

 
9. Erster Grund, wider die Vorbedeutung der Kometen: Es ist gar nicht wahrscheinlich, daß sie die Kraft haben sollten, auf der Erdkugel etwas hervorzubringen

Hier haben Sie, mein Herr, einige Gründe aus der Weltweisheit. Man kann fürs erste sagen: Es sei sehr ungewiß, ob Körper, die von der Erdkugel so weit entfernt sind wie die Kometen, eine Materie herabschicken könnten, die etwas Großes zu verrichten geschickt wäre. Denn wenn das die allgemeine Meinung der Philosophen ist, nachdem man gezwungen wurde, die gewöhnliche Meinung von der Materie der Kometen abzulegen, daß die Dunstkugel der Erde oder der ganze Raum, den die ringsum von der Erde aufsteigenden Dünste und Ausduftungen anfüllen, sich nur bis in die mittlere Gegend der Luft höchstens drei oder vier Meilen hoch erstreckte, warum sollte man glauben, daß die Dunstkugel der Kometen sich viele Millionen weit erstrecke? Man würde nicht eigentlich sagen können, warum denn eben die Planeten und Kometen merkliche Veränderungen auf der Erdkugel hervorbringen sollten, da doch diese solches in einer Entfernung von nur dreißig Meilen nicht tun kann.

 
10. Ob sie außer dem Licht noch sonst etwas herabschicken (I)

Wollte man sagen: Da wir von den Kometen Lichtstrahlen bekämen, so könnten sie uns wohl auch noch was anderes zuschicken, so ist darauf leicht zu antworten. Denn das Licht, das sie uns zuschicken, kommt ursprünglich von der Sonne her, und daß wir dasselbe von ihnen bekommen,[47] rührt daher: Ihre Körper sind dunkel, folglich prallen die Strahlen, die auf sie fallen, auf uns zurück. Man mag also die Fortpflanzung des Lichts erklären, wie man will, entweder nach des Aristoteles oder Epikurs oder nach des Cartesius Lehrsätzen, so wird man allemal mit leichter Mühe begreifen, wie die Kometen uns glänzen können, ohne daß sie ihrerseits etwas wirken und ohne daß sich das geringste von ihrem Wesen ablöst und auf unsere Erde fällt.

 
11. Ob ihr Licht etliche Stäubchen ablöst (II)

Wollte man sagen: Das Licht sondere viele kleine Stäubchen von dem Körper des Kometen ab und bringe sie in unsere Welt mit herunter, wenn es durch das Zurückprallen zu uns herabfällt, so habe ich keine neue Antwort nötig, wenn man sonst nichts als dieses einwendet. Ich darf nur sagen, daß die Teilchen, die die Sonne von dem Wasser und der Erde aufhebt, mit den gebrochenen Lichtstrahlen nicht weit fortgehen und daß es mit den übrigen Stäubchen, die die Sonne von anderen Körpern ablöst, eine gleiche Bewandtnis habe.

 
12. Wie groß wohl die Wirksamkeit ihres Lichtes sein kann (III)

Wollte man sagen: Die Lichtstrahlen an und für sich selber, die von den Kometen zurückprallen, vermögen dergleichen wichtige Wirkungen zu verursachen, so ist das ganz unwahrscheinlich. Denn das Licht der Kometen ist ja schon längst verschwunden, wenn die Wirkungen, die man ihnen zuschreibt, erst anfangen. Und überdies ist der Schein von diesem Licht im Hinblick auf uns so schwach, daß eine auf freiem Feld angezündete Lampe ringsherum heller leuchtet und mehr Wärme von sich gibt, als ein Komet jemals tun kann. Wie es also lächerlich[48] sein würde, wenn man dem Schein dieser Lampe außer der Beleuchtung noch die Kraft zuschreiben wollte, große Veränderungen in dem Bezirk ihrer Wirksamkeit hervorzubringen, so ist es gleichfalls lächerlich, wenn man dem Licht der Kometen das Vermögen zuschreibt, unsere Elemente zu verändern und die allgemeine Ruhe zu stören. Ich will nicht einmal sagen, daß, da das Licht der Kometen nichts anderes ist als ein sehr geschwächtes Sonnenlicht, es ebenso abgeschmackt sein würde, wenn man ihnen Wirkungen beimessen wollte, die die Sonne nicht einmal bewerkstelligen kann, als es abgeschmackt sein würde, wenn man sich von einem brennenden Licht, das auf freiem Platz steht, versprechen wollte, daß es alle Einwohner einer großen Stadt erwärmen würde, da ein jeder von ihnen bei einem starken Feuer, das im Ofen brennt, sich der Kälte nicht erwehren kann.

 
13. Daß die Dünste ebenso schwer sinken wie aufsteigen (IV)

Wollte man sagen: Zwischen der Erde und den Kometen sei ein großer Unterschied. Die Dünste könnten zwar von der Erde nicht bis in die Gegend der Kometen aufsteigen, deswegen aber könnte wohl die Kraft der Kometen unsere Erde erreichen, weil es leichter sei herabzufallen als aufzusteigen, und die Dünste von der Erde zu den Kometen aufsteigen müßten, da die Kraft der Kometen nur herabsinken dürfte, so kann auch dieser Einwurf leicht aufgehoben werden. Seine ganze Stärke, sofern er eine hat, kommt darauf an, daß man voraussetzt, die Erde sei der Mittelpunkt der Welt und alle schweren Körper hätten einen natürlichen Trieb, sich diesem Mittelpunkt zu nähern. Da aber nichts so schwer ist, als diesen angenommenen Satz zu beweisen, so ist auch nichts leichter, als alle die Folgerungen zu leugnen, die man daraus herleitet. Woher weiß man denn, daß die Erde im Mittelpunkt der Welt ist? Ist es nicht eine ausgemachte Wahrheit – wer[49] den Mittelpunkt eines Körpers bestimmen will, der muß erst die Oberfläche desselben wissen? Wie will aber der menschliche Verstand erkennen, ob die Erde im Mittelpunkt ruht oder nicht, da er die Grenzen der Welt nicht bestimmen kann? Noch mehr: Wie wollen wir wissen, daß es Körper gibt, die einen natürlichen Trieb zu dem Mittelpunkt der Welt haben? Ist uns nicht vielmehr das Gegenteil davon bekannt, daß nämlich alle Körper, die sich um einen Mittelpunkt bewegen, sich soviel wie möglich von demselben entfernen? Haben nicht die vielfältigen Erfahrungen, die man hiervon hat, die meisten Anhänger des Aristoteles bewegen, daß sie mit dem Cartesius gestanden: Es sei dies eines der allgemeinen Gesetze der Natur? Nichts ist daher abgeschmackter, als wenn man Körper annimmt, die natürlicherweise nach dem Mittelpunkt der Erde zu sich bewegen, und es ist weit vernünftiger, wenn man sagt, daß sie alle bemüht sind, sich von demselben zu entfernen. Diejenigen Körper, welche das Vermögen dazu haben, entfernen sich wirklich von demselben, woher es denn kommt, daß diejenigen, deren Kraft eingeschränkter ist, nach dem Mittelpunkt zu fortgetrieben werden, denn da alles in der Welt voll ist, so ist's unmöglich, daß ein Körper einen Ort verlassen sollte, ohne daß ein anderer denselben nicht einnehmen müßte.

Daraus kann man nunmehr leicht zeigen, wie schändlich sich diejenigen betrügen, welche sich einbilden, die Dünste der Kometen könnten eher auf die Erde herabfallen, als daß die Ausdünstungen der Erde gegen den Himmel zu aufsteigen sollten. Denn man mag ein System annehmen, was für eines man will, so muß man doch allemal zugeben, daß eine nicht geringe Bewegung um einen allgemeinen Mittelpunkt in der Welt vorgeht. Es mag nun diese Bewegung um die Erdkugel geschehen, wie die Scholastiker wollen, oder um die Sonne, wie die Kopernikaner sagen, oder teils um die Sonne und teils um die Erde, wie die Anhänger des Tycho Brahe behaupten, so liegt mir jetzt nicht viel daran. Soviel ist allemal gewiß, daß die Kometen da stehen, wo es[50] Körper gibt, die sich um einen gewissen Mittelpunkt bewegen. Nun bestreben sich aber alle diese Körper, soviel wie möglich von diesem Mittelpunkt wegzukommen, und tun dieses mit stärkerer Gewalt als alle übrigen Körper, die zwischen ihnen und der Erde sind. Folglich kann die Materie, die um die Kometen ist, nicht so leicht auf die Erde fallen, und es ist ihr ebenso schwer, daß sie herunterfallen sollte, wie es der irdischen Materie schwer ist, hinaufzusteigen. Wer gesehen hat, wie schwer ein Ballon, der voller Luft ist, sich ins Wasser untertauchen läßt, der wird überhaupt nicht sagen, daß es leichter ist zu sinken, als in die Höhe zu steigen. Es gilt dieses nur von solchen Körpern, welche die Kraft nicht haben, sich von dem Mittelpunkt der Bewegung zu entfernen. Bei solchen Körpern aber, die das Vermögen gehabt haben, sich von dem Mittelpunkt auf eine erstaunliche Art zu entfernen, muß es vielmehr schwerhalten, sie zum Sinken zu bringen. Da nun die Kometen in einer ungeheuren Entfernung vom Mittelpunkt der Bewegung stehen, so muß man daraus billig schließen, daß die Gewalt entsetzlich groß sein müßte, die etwas von daher zu uns stoßen sollte. Dieses einzige kann alle Scheingründe der Astrologie über den Haufen werfen.

Sie erlauben, mein Herr, daß ich sagen darf, die ganze Materie von hier an bis über den Saturn und die Kometen mache einen großen Wirbel aus. Sie erlauben ferner, daß ich diesen Wirbel einen Sonnenwirbel nenne. Ich verlange nicht im geringsten Ihr ptolemäisches System dadurch eines Fehlers zu beschuldigen. Ich tue es nur deswegen, damit ich dasjenige, was ich noch zu sagen habe, mit wenigen Worten ausdrücken kann.

 
14. Daß die Ausdünstungen der Kometen nichts wirken würden, wenn sie gleich bis auf die Erde kämen

Wir wollen auch zugeben, daß die Kometen unzählige Ausdünstungen auf die Erde schicken können. Wird denn[51] daraus eine merkliche Veränderung der Menschen erfolgen müssen? Gar nicht. Denn da diese Dünste einen so ungeheuren Raum zu durchlaufen hätten, so würden sie ja brechen und sich in unendliche kleine Teilchen zerteilen müssen, und diese würden sich alsdann in dem ganzen Umfang des Sonnenwirbels ausbreiten, wie sich etwa die Teilchen des Salzes in einer ganzen Menge Wasser verteilen, welches dieselben auflöst. Vergleichen wir nun den Kometen mit dem ganzen Sonnenwirbel, so werden wir finden, daß das Verhältnis desselben zu dem Sonnenwirbel nicht einmal so groß ist wie das Verhältnis eines Salzkörnchens zu einer Kubikmeile Wasser. Folglich hat man Ursache zu glauben, daß, wenn der ganze Komet zu Pulver gemacht und in diesen großen Sonnenwirbel ausgestreut würde, so würde die hier verursachte Veränderung nicht merklicher sein als die Veränderung, welche ein Salzkörnchen, welches in eine Kubikmeile Wasser geworfen wird, in allen Teilen dieses Wassers machen kann.

Es ist bekannt, wenn ein Trank in der Medizin seine Wirkung tun soll, so gehören zu seiner Zubereitung nicht nur verschiedene geistige Teilchen, sondern es müssen dieselben in gehöriger Menge darin anzutreffen sein. Auf gleiche Weise, sage ich, soll unsere Luft stark verändert werden, so ist es wegen der Menge der Materie, die die Luft in dem ganzen Umfang des Sonnenwirbels verkörpert, noch lange nicht genug, wenn einige Teilchen des Kometen hineinkommen. Es wird dazu eine größere und ausreichende Anzahl derselben erfordert. Nun aber ist es gewiß, daß die Luft nur ihren Anteil bekommt, nicht von dem ganzen Kometen, denn der wird in der flüssigen Materie des Sonnenwirbels nicht aufgelöst, sondern nur von den Stäubchen, die er hin und wieder aussät. Was kann also für jedes Teil unserer Welt davon übrigbleiben?

Ich will nicht hoffen, daß man mir einwenden wird: nur die Erdkugel nimmt an allem diesem teil, denn dadurch würde man voraussetzen, daß die Kometen ihre Ausdünstungen nur der Erde zuschicken und daß jene verhindern könnten, daß diese in einem so entsetzlich weiten Durchlauf[52] nicht ein einziges Mal von ihrer Bahn abwichen, welches, ohne die größte Torheit zu begehen, nicht gesagt werden kann. So vermute ich auch nicht, daß jemand sagen wird: es stünden vielleicht die Kometen nicht in derjenigen Entfernung von der Erde, wie diejenigen behaupten, welche dieselben noch weit über den Saturn hinaussetzen. Denn das wäre ein Einwurf, der wider mich nichts zu bedeuten hätte. Man mag die Kometen unter oder über den Saturn setzen, so muß man immer zugeben, daß ihre Ausdünstungen allen Teilen des Sonnenwirbels gleich zugehören, sowohl diesen Teilen desselben, die zwischen dem Jupiter und Mars sind, als diesen, welche die Erdkugel umgeben, als auch denen, die über dem Saturn, wie denen, die unter demselben sind. In Wahrheit, wenn ein Komet, der zwischen dem Jupiter und Saturn steht, die Gewalt hat, daß er die Materie, welche ihn umgibt, bis zum Mittelpunkt treiben kann, so muß er auch die Gewalt haben, dieselbe fast ebenso stark in den Umfang zu treiben; weil es ebenso leicht ist, schwere Körper in die Höhe zu bringen, wie es ist, leichte Körper sinkend zu machen, wie solches das Exempel des Ballons zeigt, der sich so schwer untertauchen läßt. Daher müssen wir versichert sein, daß alle Ausflüsse des Kometen sich ringsum durch den ganzen Umfang des Sonnenwirbels ausbreiten, so wie etwa die Teilchen eines Stückes Zucker, wenn man es oben in ein Glas Wasser aufhinge, sich durch das ganze Glas oben und unten ausbreiten würden, und dieses um so mehr, weil die ganze Materie des Sonnenwirbels in unaufhörlicher Bewegung ist. Weil nun der ganze Komet, wenn er in Tropfen zerflösse, sich zu dem flüssigen Wesen des Sonnenwirbels nicht einmal so viel verhalten würde, wie sich ein Salzkörnchen zu einer Kubikmeile Wasser verhält – welches ein Verhältnis ist, darin ich nicht glaube, daß weder Spiesglas noch das stärkste Gift etwas von seiner wirksamen Eigenschaft behalten könnte - , so kann man auch mit Wahrheit sagen, daß der Einfluß der Kometen, der so wenig Wesentliches im Vergleich mit den Kometen selbst enthält, nicht imstande wäre, eine allzu[53] große Wirkung hervorzubringen, wenn derselbe sich auch gleich bis auf unsere Erdkugel erstreckte.

 
15. Widerlegung der er, die da sagen, dieses sei unmöglich, oder die da behaupten möchten, daß die Einflüsse nicht aus kleinen Stäubchen bestünden (V)

Will man endlich noch behaupten, die Kometen könnten ja wohl eine sehr wirksame Materie oder Eigenschaft auf die Erdkugel herabschicken, so ist dies das einzige, was man noch mit einigem Schein anführen kann. Indessen heißt es doch auch soviel wie nichts. Denn es ist nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich, daß die Kometen weder Materie noch einige Eigenschaften, die etwas Wichtiges zu wirken vermöchten, auf die Erdkugel herabschicken können. Und in solchen Sachen, die auf beiden Seiten Gründe für sich haben, hat derjenige allemal mehr Unrecht, der sie bejaht, als der sein Urteil zurückhält. Da man also keine tüchtige Ursache angeben kann, warum man den Einfluß der Kometen für wahr halten sollte, und im Gegenteil viele Gründe wider denselben streiten, so fällt alles Unrecht auf diejenigen zurück, die sich zur ersten Partei schlagen.

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