Julius Stinde: Buchholzens in Italien
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Jan Dirksz Both, Italienische Landschaft am Abend, 1645
ISBN 978-3-7437-1034-4
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-0963-8 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-0964-5 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Berlin, Freund und Jeckel, 1883.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
»Kennst Du das Land,
Wo die Zitronen blühn?«
– – – – bin ich schon deshalb der Meinung, daß Sie als Herausgeber genannt werden müssen, weil zwei Namen auf dem Titel mehr ins Gewicht fallen und doppelt besser hält. Wegen eventueller Änderungen werden Sie sich leicht mit Frau Wilhelmine Buchholz verständigen, deren Werk ich um so eher zu verlegen geneigt bin, weil schriftstellernde Damen sehr en vogue sind.
Ihr Verleger
Berlin, 2. April 1883
– – – Hätte ich geahnt, daß Frau Buchholz ihre Drohung, ein Buch über Italien zu schreiben, wirklich wahr machen würde, wäre ich mit meinen Zusagen am Fuße des Vesuvs vorsichtiger gewesen. Jedenfalls löse ich mein Versprechen, ihrem Werke als Mentor zu dienen, ein, wenn es nicht noch in der zwölften Stunde gelingen sollte, sie von der Veröffentlichung abzuschrecken.
Zu diesem Zwecke schrieb ich der Dame in möglichst diplomatischen Wendungen, daß ihr Manuskript mir geradezu Bedenken einflöße. Zunächst erlaubte ich mir zu bemerken, daß sie Italien durchaus nicht erschöpft habe. Dann wies ich auf Längen hin, die Kürzungen erforderten, wenn sie das Vergnügen des Lesers nicht ganz außer acht zu lassen beabsichtigte. Das Hauptgewicht legte ich jedoch auf eine Reihe durchaus vom Herkömmlichen abweichender Ansichten, deren Ausmerzung geboten sei, falls sie nicht den ausgesprochenen Wunsch hege, gesteinigt zu werden.
Was den Stil anbelangt, so fürchte ich – unter uns gesagt –, daß der Gebrauch nicht salonmäßiger Ausdrücke, welche als sog. »slang« bei englischen und amerikanischen Humoristen allerdings höchlichst gepriesen werden, dennoch bei dem feinen Gefühl des Deutschen für seine Sprache, auf heftigen Widerspruch stoßen dürfte. Sobald ich eine Antwort erhalte, teile ich sie Ihnen unverzüglich mit.
Ihr usw. Dr. Julius Stinde
– – Ich merke schon: Sie wollen zurückzupfen. Damit haben Sie aber bei mir kein Glück. Sie sagen, ich hätte Italien nicht erschöpft. – Ja, habe ich denn das gewollt? Habe ich es kontraktlich, Italien zu erschöpfen? – Gehen Sie doch!
Auf Kürzungen lasse ich mich nicht ein. Was sollten Leute, welche nur zum Einschlafen Bücher lesen, ohne Längen anfangen? Nein die müssen auch bedacht werden. Dagegen möchte ich wohl, daß Sie recht viele Anmerkungen dazu schrieben, denn wenn man jetzt einen Klassiker in die Hand nimmt, findet man mehr Anmerkungen als Text und es würde mir sehr konvenieren, ebenso behandelt zu werden, über meine Ansichten machen Sie sich nur keine Sorge, wenn man mich steinigt, steinige ich wider. Also, Sie geben mein Buch heraus und dabei bleibt es.
Ihre usw.
Wilhelmine Buchholz
P. S. An gefühlvollen Stellen erlaube ich Ihnen gerne, ein bißchen Schwung in die Sätze zu bringen, und auch für Überschriften sorgen Sie wohl, denn darin habe ich nicht so die Übung.
– – – Wie Sie sehen, haben meine Einwendungen keinen Erfolg gehabt. Es würde mir jedoch lieb sein, wenn der Brief der Frau Buchholz publiziert wird, damit man mir die Sünden nicht zuschiebt, die sie begangen hat.
Ihr
Dr. J. St.
– – – Drucken wir doch die ganze Korrespondenz vor. Freilich ist Ähnliches bereits in Immermanns »Münchhausen« geschehen, aber den kennt das Publikum nicht, weil es stets nur den »Oberhof« liest. Wo aber bleiben wir mit den wertvollen Originalbriefen?
Ihr Verleger
– – Die stiften wir dem märkischen Museum.
St.
– – Wer hat nun recht – Sie oder ich? Sie, der Sie hinter meinem Rücken mein Buch bei unserem gemeinschaftlichen Verleger schlecht zu machen suchten, indem Sie kein gutes Haar daran ließen, oder ich, die ich mich um all Ihr Gequatsch gar nicht kümmerte? Nun ist kaum ein halbes Jahr verflossen, und die zweite Auflage muß gedruckt werden. Wer hat also recht? – Natürlich ich, denn wenn Sie wahrgesagt hätten, lägen die ganzen Bücher noch auf dem Boden, was mir bloß schon des Umschlags wegen leid getan hätte, der sich in den Schaufenstern so niedlich ausnimmt.
Was ich Sie jedoch fragen wollte, ist das: Soll ich das Buch wieder ebenso drucken lassen, wie es war, oder kann ich noch mancherlei hinzufügen, was mir nachträglich erst eingefallen ist? Sie wissen, wenn man vom Rathausturm herunterkommt, hat man mehr gesehen, als vorher. Auch möchte ich der Bergfeldten gerne noch einiges auswischen, da sie, wie ich von der Polizeileutnanten erfuhr, sich sehr mißliebig über mich ausgesprochen hat. Sie hat nämlich gesagt, ich hätte das Buch gar nicht selbst geschrieben, sondern ein junger Student, der auf diese Weise mein Schwiegersohn werden wollte. Das wissen Sie nun doch besser, Herr Doktor, denn Sie haben mein eigenhändiges Manuskript gesehen, und wenn es zum Prozeß kommen sollte, so hoffe ich, daß Sie sagen, wie die Sache sich verhält, und nicht flunkern wie so viele, sonst sehr angesehene Schriftsteller.
Ihre usw.
Wilhelmine Buchholz
– – – würde ich Ihnen sehr raten, die günstige Gelegenheit einer zweiten Auflage zu benutzen, um den Stil durch Entfernung der volkstümlichen Ausdrücke zu verfeinern und den Winken der Kritik Gehör zu geben, welche, soviel ich mich erinnern kann, Ihnen großes Lob, aber auch manchen Tadel erteilte. Wollen Sie Anklang bei den deutschen Professoren finden, so bedarf die Schreibweise einer unnachsichtlichen Änderung; wollen Sie die Zornfalten von dem strengen Antlitz einzelner Kritiker verscheuchen, so müssen Sie Ihre eigenen Ansichten durch allgemein gültige Anschauungen ersetzen, die weder links noch rechts anstoßen. Streichen Sie die Bosheiten, schließen Sie Frieden mit der Bergfeldt, schreiben Sie akademisch rein, und seien Sie neutral in der Gesinnung. Dann kann es nicht fehlen, daß Sie als eine beachtenswerte zeitgenössische Erscheinung gepriesen werden.
Ihr usw.
Dr. Julius Stinde
– – – Warum nicht gar? Wenn die Professoren mein Buch nicht mögen, so beruht das auf Gegenseitigkeit, denn ich mag ihre Bücher auch nicht. – Hat ein Kritiker mir vorgeworfen, ich wäre sentimental patriotisch, so läßt mich das kalt, denn würde ich bis dato mein Vaterland nicht innig geliebt haben, so hätte ich es jenseits der Alpen in der Fremde lieben lernen müssen. Und Liebe ist nun einmal eine Gefühlssache. – Nur ein Tadel hat mich anfangs verdrossen, nämlich der Vorwurf, den Theophil Zolling in der »Gegenwart« machte, daß wir Buchholzens in Italien nämlich die Kognakflasche zu fleißig herumgehen ließen. »Irgendein Tissot« – sagt er – »könnte die Sache leicht ernst nehmen und den starken Schnapskonsum für eine Eigentümlichkeit des bürgerlichen Reichshauptstädters halten, was doch der Wahrheit nicht entspricht.« – Sollte ich wegen irgendeines dammeligen Franzosen uns auch nur einen einzigen Schluck abknappen? I bewahre. Oder wegen Herrn Zollings Zartgefühl? Erst recht nicht. – »Laß ihn nur über den »Schnaps« die Augen verdrehen«, sagte Onkel Fritz. Hinterher habe ich über die Furcht, vor Tissotn sehr gelacht.
Im übrigen werde ich alle kritischen Ratschläge sowie die Ihrigen befolgen, das heißt, das nächste Mal, denn Buchholzens in Italien bleiben nun einmal so wie sie sind. Nur einige Zusätze kommen hinein und noch ein Kognak, den ich vergessen hatte.
Ihre usw.
Wilhelmine Buchholz
Berlin, 1. Dezember 1883
Wiederum ist eine neue Auflage nötig geworden. Mein Verleger sagt, es wäre nicht die letzte, dagegen müßten die Vorreden aufhören, weil die Hauptsache sonst erdrückt würde. Das tut mir leid, denn so eine Vorrede ist für den Verfasser gleichsam ein Handausstrecken, in der Erwartung, daß der Leser freundlich einschlage, damit man sich begrüße, wie gute Freunde zu tun pflegen. – Ich habe nun mit großer Sorgfalt alle Druckfehler herausgemacht, die ich finden konnte, aber der Himmel wird schon dafür sorgen, daß wieder neue hineinkommen. Das verehrte Publikum hat wohl die Güte, sie selbst zu suchen. Es ist das eine ganz amüsante Arbeit. – An alle Leser und Leserinnen die herzlichsten Grüße von meinem Karl, Onkel Fritz und
dero ergebensten
Wilhelmine Buchholz
Berlin, im Mai 1884
Es wäre mir ja nie im Traume eingefallen, daß ich in meinem Leben das Land sehen würde, wo die Zitronen blühn und die Kunst von den alten Meistern großgesäugt wurde, wenn nicht die Notwendigkeit gekommen wäre und gesagt hätte: »Wilhelmine, es hilft kein Sträuben, du mußt nach Italien!«
Diese Notwendigkeit war ein Rheumatismus, den mein herzensguter Mann, mein über alles geliebter Karl, sich geholt hatte und der nicht wieder weichen wollte. Als Salizyl und Elektrisieren auch nicht anschlugen, schüttelte unser Hausarzt Dr. Wrenzchen sein Haupt und erklärte, eine Klimaveränderung würde das beste sein, sonst setzte das Rheuma sich so fest, daß es später nicht mit einem Brecheisen loszukriegen sei. – Wir hatten in Berlin ja auch Klima, aber es war danach. Im Kalender stand Frühling, und auf den Dächern lag Schnee. Mit einem Worte, es war ein Hundewetter.
»Gehen Sie nach dem Süden!« sagte Dr. Wrenzchen. Mein Karl sträubte sich und meinte, ein Dampfbad täte wohl dasselbe. Mein jüngerer Bruder, den die Kinder immer Onkel Fritz nennen, stand jedoch dem Doktor bei und erbot sich zur Mitreise, da er in Italien persönlich Geschäftsverbindungen anknüpfen wollte.
»Du sollst sehen, wir beide amüsieren uns köstlich!« sagte er zu meinem Karl.
Dies Wort ging mir durch und durch. Oft genug hatte ich Ursache gehabt, Fritz zu ermahnen, den gefährlichen Junggesellenstand aufzugeben, und nun wollte er sich mit meinem Karl dort köstlich amüsieren, wo die glutäugigen Italienerinnen zu Hause sind und der Fremdling sofort erdolcht wird, wenn er sich bloß merken läßt, daß ihm eine gefällt. Dies konnte, dies durfte ich nicht dulden. Daher faßte ich einen heroischen Entschluß und rief: »Karl, ich lasse dich nicht allein unter Räuber und Mörder ziehen; dein treues Weib geht mit dir!« –
Onkel Fritz zog zwar die Mundwinkel etwas schief, als er meine Worte vernahm, aber mein Karl reichte mit die Hand und erwiderte: »Wilhelmine, du bist ein Engel. Nur ein bißchen kostspielig wird die Sache werden!«
»Wegen des Mammon mache dir keine Sorgen, mein Karl. Habe ich nicht stets ein anständiges Honorar für meine schriftstellerischen Arbeiten bekommen, und kann ich meine Ersparnisse besser anwenden als zu deiner Begleitung in ein wildfremdes Land? Es ist kein Groschen Hausstandsgeld dabei, das schwöre ich dir hoch und heilig!«
So war der wichtigste Einwand beseitigt, und als wir die Angelegenheit der Reise nun des weiteren berieten, stellte es sich nach und nach immer klarer heraus, daß mein Entschluß, mitzureisen, der vernünftigste von der Welt sei. Auch Onkel Fritz meinte schließlich, wenn es einmal einen Knopf anzunähen gäbe, so könnte ich das trefflich besorgen, und wehrte sich nicht länger gegen meine Begleitung. Es hätte ihm auch nichts genützt.
Nun teilten wir uns in die Vorbereitungen. Onkel Fritz hatte sich mit der Route zu befassen, für die Reisehandbücher zu sorgen und bei Leuten, welche schon in Italien gewesen waren, zu erkundigen, wie man die Sache am besten anfinge. Mir lag die ganze Ausrüstung ob, und mein Karl, das arme Rheumatismuswurm, wurde verpflichtet, Italienisch zu treiben, weil er sich um andere Dinge seines leidenden Zustandes wegen nicht viel kümmern konnte. Es war ein rührendes Bild, wenn die Dulderseele am Ofen saß und sich in der fremden Sprache belernte. Nach acht Tagen meinte er jedoch, daß er sich schon durchfinden werde, und am Tage der Abreise sagte er: »Das Italienische macht mir gar keine Mühe mehr!« Dies machte mich stolz und glücklich zugleich.
Ich hatte in der Zeit, die mir blieb, die Hände keineswegs in den Schoß gelegt, denn erstens mußte das hellgraue Reisekostüm für mich fertig gemacht werden und ein neues luftiges Sommerkleid zum Gondeln auf dem Golf von Neapel durfte auch nicht fehlen. Dann kam die neue Wäsche für meinen Karl und ein weißer Anzug. Den echt italienischen Strohhut wollten wir an der Quelle kaufen. Des Abends studierte ich Kunstgeschichte, denn nichts ist törichter, als wenn jemand nach Italien reist und von Kunst keine blasse Ahnung hat. Wer wegen Rheumatismus hingeht, den trifft natürlich in dieser Hinsicht kein Tadel, für den ist das milde Klima die Hauptsache. Aber was wollen Menschen in Italien, die weder wissen, was Antike, noch was Renaissance ist, die nie etwas von der Toscanischen oder der Umbrischen Schule gehört haben und in der Architektur nicht einmal die dürftigsten Kenntnisse besitzen? Derlei Leute täten besser, zu Hause zu bleiben, anstatt die Kunstwerke anzusehen wie der Mops den kalten Ofen.1 – Ohne Verdruß sollten diese Vorbereitungen jedoch nicht vorübergehen, denn erstens mußte ich mich über Onkel Fritz ärgern und zweitens über die Bergfeldten. Onkel Fritz sagte mir in Gegenwart der Kinder, ich hätte keine Idee vom Reisen, denn das, was ich in Szene setzte, sei das Spazierenführen von Koffern. Das Sommerkleid sollte ich nur zu Hause lassen und meines Mannes weißer Anzug sei ein Unsinn. »Bist du denn schon einmal in Italien gewesen?« fragte ich ihn spitz. – »Nein!« sagte er. – »Dann rede nicht über Dinge, die du nicht verstehst. Wo Apfelsinen reif werden, ist es warm, und wo es warm ist, geht man nicht in Winterzeug. Du hast die Geographiekarte wohl über Kopf gehalten und Samojedien für Italien angesehen!« Hierauf wußte er kein Wort zu entgegnen. Er zog allerdings mit den Schultern, als wenn er sagen wollte »Meinetwegen«, aber glaubhafte Gründe hatte er nicht auf Lager.
Mein Karl hatte inzwischen in dem Lexikon nachgeschlagen und rief: »Über Kopf heißt sopra testa!« – »Geh' hin und lerne was wie andere Leute!« rief ich. Mit diabolischem Gelächter verschwand Onkel Fritz. –
Den zweiten Ärger bereitete mir die Bergfeldten. Sie hatte natürlich von der Reise gehört und machte mir einen Neugiersbesuch »Also nach Italien?« fragte sie und fuhr dann fort: »Ja, der Mittelstand kann es nicht, der muß sich mit Treptow und dem Eierhäuschen behelfen!« – Ich setzte ihr auseinander, daß meines Mannes Rheumatismus die Reise notwendig mache, aber sie meinte, ihrem Manne habe damals Ochsenkroziuspflaster sehr gut getan, und was ich denn in Italien wollte, ich sähe ja gesunder aus als wie eine vom Lande.
Auf diese Impertinenz antwortete ich gar nicht, obgleich es mir innerlich kribbelte, sondern schenkte ihr kalt lächelnd die dritte Tasse Kaffee ein. Als sie diese beim Wickel hatte, fragte sie: »Und wo bleiben denn die beiden Töchter?« – »Hier im Hause.« – »Ganz allein?« – »Die alte Marie, unser Mädchen, sorgt für sie.« – »Dabei würde ich als Mutter mich nicht beruhigen.« – »Wieso?« – »Dienstmädchen machen selbst Torheiten!« – »Ich verstehe Sie nicht, meine Beste!« – Die Bergfeldten grifflachte vor sich hin und sagte: »Hübsch herangewachsen sind die beiden ja, aber gerade in solchem Alter muß man aufpassen. In Berlin laufen zu viel ledige junge Leute herum; von den Offizieren will ich gar nicht reden!«
Nun riß mir die Geduld. »Haben Sie nur keine Angst, meine Liebe, meine beiden sind auf Blaublindheit erzogen, die stürzen nicht ans Fenster, wenn einer in zweierlei Tuch vorübergeht. Meine Töchter brauchen sich nicht im Tiergarten bei der Flora mit einem Buch hinzusetzen und darüber weg nach Bräutigams zu glupen!« – »Meine auch nicht, meine Beste«, sagte die Bergfeldten giftig. – »Mir lieb zu hören«, rief ich, »aber sitzen tut Ihre da doch.« Das wäre Verleumdung, begehrte sie auf. Ich erwiderte, daß ich mir meine Kinder erst recht nicht verklatschen ließe und was ich gesagt hätte, wäre die Wahrheit. – Nun, wir schieden nicht gerade als intime Freundinnen.
Als die Bergfeldten fort war, sagte ich zu meinem Manne: »Karl, laß uns reisen, je eher, je lieber. Diese Person hat mir nur die Freude verbittern wollen. Ich weiß, daß ich mich auf die Kinder und auf die alte Marie verlassen kann. Zum Überfluß will ich die Krausen bitten, hin und wieder nach dem Rechten zu sehen!«
»Tue das, Wilhelmine!« antwortete mein Karl, »auch ich sehne mich nach dem milderen Klima. Wir schreiben schon den zweiten April und draußen wirbelt der Schnee in großen Flocken. April ist leicht zu behalten, er heißt italienisch aprile.«
Am nächsten Morgen früh ging Onkel Fritz unter die Linden nach dem Schlafwagen-Kontor und kaufte dort drei Rundreisebillets und die Tickets für den Schlafwagen bis München. Mein duldendes Lamm von Mann sollte es bequem haben, und auch ich liege des Nachts lieber, als daß ich in einer Waggonecke hocke. Was Onkel Fritz betrifft, so ist dem das Beste eben gut genug; ja er bildet sich sogar ein, die Schlafwagen seien extra seinetwegen erfunden worden. –
Am Nachmittag stiegen wir auf dem Anhalter Bahnhof in den Schlafwagen, und um halb Drei dampften wir mit dem sogenannten Römerzuge ab. Mit demselben Zuge fuhren auch in früheren Zeiten die deutschen Kaiser nach Italien2, so daß, genau genommen, das Historische der Reise schon beim Askanischen Platz anfängt, bis man, unten in Italien angelangt, nur so in der alten Geschichte herumwatet. Man muß vorher aber etwas über das Altertum gelesen oder von Sachkundigen erzählt bekommen haben, weil man sonst den historischen Boden für ganz gewöhnlichen Bauschutt hält und bei dem Betreten desselben keine anderen Gefühle hat, als wenn man bei den Rehbergen vorbeispaziert und auf einer Tafel die Inschrift liest: Hier kann Müll abgeladen werden.
In dem verklärenden Lichte der Geschichte jedoch wird auch das Unscheinbarste interessant, und wer graulicher Natur ist, den überlaufen auf historischem Boden mehr Gänsehäute als beim Durchlesen der Kriminalzeitung, auf welche Herr Krause abonniert ist und die wir mitunter leihen. Aber, wie gesagt: Vorstudium ist unbedingt dazu nötig!
Fußnoten
1 Meine verehrte Freundin geht hier ein wenig zu weit, aber sie ist insofern zu entschuldigen, als auch sie von der allgemein verbreiteten Ansicht beherrscht zu sein scheint, daß Italien eine Art von Museum sei, dessen Besuch kein Vergnügen, sondern eine Aufgabe ist, das der Deutsche durchrennt, um vor den verschiedenen Objekten sein vermeintliches Verständnis auszukramen, und das er verläßt, um in der Heimat Rechenschaft über die neuerworbenen Kenntnisse abzulegen. Da der Mensch im allgemeinen jedoch kein Examenstier ist und nicht nötig hat, sich auf Kunstgelehrsamkeit vereidigen zu lassen, so besucht auch derjenige mit Vorteil Italien, dem das Herz beim Anblick des Schönen aufjubelt und der sich diese Freude nicht durch die dumme Scham verkümmern läßt, nicht jeden bemalten Lappen, nicht jeden verwitterten Marmor, nicht jede umgefallene Mauer sachgemäß klassifizieren zu können. Anm. d. Herausgebers.
2 Frau Buchholz ramscht allerdings mit den Jahrhunderten, aber indem sie zur Abwechslung einmal die Gegenwart in die Vergangenheit eingräbt, folgt sie doch nur den antikisierenden Strömungen unserer Zeit. Anm. d. Herausgebers.
Berlin lag hinter uns, auch Lichterfelde mit der Kadettenfabrik war unseren Blicken längst entschwunden, und rastlos ging es in die weite Welt hinein. Ich dachte an die Kinder, und mir ward ganz weich ums Herz. »Nein«, sagte ich zu mir selber, »meine beiden sehen nicht aus den Fenstern nach jungen Männern. Die Bergfeldten ist ein alter verleumderischer Ekel-Drache!« –
Wir saßen sehr gemütlich in dem Schlafwagen, der ja wirklich wie ein kleines Hotel eingerichtet ist. Der Kondukteur – er hieß Stoll – machte uns einen delikaten Kaffee, und da es Bier auf Eis und andere labende Feuchtigkeiten gab, konnte jeder haben, was er wünschte, und meinem Karl tat ein Glas Warmes sehr gut.
»Wenn wir nur einen Skat spielen könnten, ständen wir gar nichts aus«, meinte Onkel Fritz.
»Pfui!« rief ich, »wie profan! Wir reisen dem klassischen Lande entgegen, und du kannst an dein verruchtes Kartenspiel denken.«
»Wilhelmine«, entgegnete Onkel Fritz, »wenn die alten Griechen und Römer den Skat gekannt hätten, würden sie nicht so dämlich zugrunde gegangen sein, denn Skatspielen hält munter.« – »Weiß Gott«, seufzte ich, »vor Mitternacht könnt ihr euch ja nie von den vier Wenzeln wegfinden!« – »Wie wäre es, Mienchen, wenn wir eine Partie Sechsundsechzig zu Dritt spielten?«
Onkel Fritz hielt meinem Karl ein nagelneues Spiel Karten unter die Augen, indem er sagte: »Das soll uns in Italien über manche langweilige Stunde hinweghelfen.« Tief beleidigt wandte ich mich ab und blickte, ohne ein Wort zu erwidern, aus dem Fenster in die Landschaft. Diese aber gewährte mir wenig Unterhaltung, denn sie bleibt sich meilenweit immer gleich und ist nur Oberfläche, ohne irgendeine anständige Höhe, wie der Kreuzberg. Als daher mein Karl mich nach einiger Zeit wieder zum Mitspielen einlud, sagte ich nicht nein, und als wir in Leipzig anlangten, hatte ich den beiden eine Mark und zwanzig Pfennig abgenommen, wofür ich auf dem Bahnhofe belegte Stullen einkaufte, die uns nachher sehr gut mundeten, da sie durchaus nicht abgelagert waren.
In Leipzig stieg ein Herr ein, mit dem wir gar bald bekannt wurden. Es war Herr Öhmichen, gemusterter Hosenstofffabrikant aus Glauchau, der nach Italien reiste, um dort zu studieren, wie er sich ausdrückte. Als ich mich darauf mit ihm in ein gebildetes Gespräch über die Antike einlassen wollte, von der ich zuletzt sehr viel Belehrendes gelesen hatte, sagte er: »Nee, mein gutes Madamchen, die Antike ist nichts für mich. Warum? Weil sie so absolut wenig an hat. Aber es müßte ganz merkwürdig zugehen, wenn ich in Italien nicht ein bis mehrere Motive zu Hosenstoffmustern fände. Warum? Weil die alten Meister doch auch Geschmack gehabt haben müssen, denn sonst wären sie wohl nicht berühmt geworden.« – Auf die neueren Maler war Herr Öhmichen durchaus nicht gut zu sprechen. Er sagte, sie hätten nicht die Spur von Phantasie; man könne die ganzen Kunstausstellungen durchrennen, ohne auch nur eine Andeutung von einem Motiv zu finden. »Warum? Weil sie immer nur solche Stoffe malen, die schon vor Jahren Mode waren, mit denen natürlich kein Geschäft mehr zu machen ist. Und welchen Reiz würden die Bilder haben, wenn die Maler sich Mühe geben wollten, neue Stoffmuster darzustellen. Da reden sie immer von Kolorit, aber auf das Muster geben sie gar nichts.«
»Wieso?« fragte ich Herrn Öhmichen. – »Nun«, sagte er, »die modernen Künstler vernachlässigen das Detail in unverantwortlicher Weise. Seh'n Sie sich bloß ein Porträt von Lenbachen an. Der steckt die Hände mehrstens hinter den Rücken, und wenn er sie schon malt, dann sehen sie aus wie ein Bündel Frankfurter Würste in Rembrandtschem Halbdunkel.« – Ich erwiderte: »Auf die Hände kommt es wohl nicht an, sondern auf den idealen Geist.« – »Na ja«, antwortete er, »auf den ooch, aber so'n Geist muß doch Hände und Füße und was anhaben.«
Herr Öhmichen war als Sachse ein geborener Skatspieler, und so wurde die ersehnte Partie denn auch komplett. Die Herren spielten, bis wir in Reichenbach ganz verhältnismäßig zur Nacht aßen und dann in die Koje gingen.
Herr Kleines von dem Schlafwagenbureau hatte dafür gesorgt, daß mein Karl und ich ein reizendes Kabinett für zwei Personen bekamen. Die Betten waren so einladend, daß ich es vorzog, mich gleich zur Ruhe zu begeben, und da ich meinem Karl wegen seines Rheumatismus keine Gymnastik zumuten konnte, so nahm ich das obere Bett für mich. Ich kam viel bequemer hinauf, als ich mir vorgestellt hatte, und als ich lag, sagte ich zu mir: »Besser kannst du es gar nicht haben, Wilhelmine. Der Länge nach im Bett liegen und dennoch nach Italien zu kommen ... dies ist förmlich überirdisch.« – –
Am andern Morgen waren wir in München, aber da wir im Schlafwagen uns nicht nur vortrefflich ausgeruht, sondern auch Toilette gemacht und Kaffee getrunken hatten, so konnten wir ohne Anstrengung gleich weiterrutschen. Ein Tag Aufenthalt und das Hotel waren gespart. – Außerdem lud das Wetter auch nicht zum Bleiben ein. Was wir von München sehen konnten, das lag im Schnee, und der Himmel machte ein Gesicht, als wenn er selbst nicht wüßte, ob er für den Tag lächeln oder maulen wollte.
So gemütlich wie in dem Schlafwagen war es in dem Coupé des Zuges nun nicht, den wir benutzen mußten, aber es ging doch. Herr Öhmichen blieb vorläufig in München, um zu versuchen, dort einige Motive aufzugabeln, was mir sehr leid tat, da er im ganzen sehr verständige und gediegene Ansichten hatte. Dafür machten wir die Bekanntschaft eines jungen Malers, der in unser Coupé einstieg und dem man sofort die höhere Bildung anmerkte, denn er trug Glacéhandschuhe und war nobel in der Frisur, was Maler sonst doch nicht an sich haben. Die Unterhaltung kam bald in guten Fluß, denn ich bin dafür, meine Mitreisenden anzureden, weil ich das vornehme Abschließen unterwegs für langweilig halte. Man will doch auch andere Menschen kennen lernen, und wer nicht fragt, der bekommt keinen Bescheid. Herr Spannbein entpuppte sich als ein charmanter junger Mann, so daß Onkel Fritz ihn sehr bald zur Zulassung an die Kognakflasche würdigte.
Ich fragte, um dem Gespräch eine sachgemäße Wendung zu geben, ob die Münchener Malerschule sehr in Flor sei? Herr Spannbein bejahte die Frage und fügte hinzu, daß in München alljährlich ein Dutzend berühmter Künstler entdeckt würde, namentlich Polen und Russen, daß aber nach fünf Jahren die Entdecker die Namen jener nicht mehr wüßten. An Kunstbrahminen fehle es München jedoch ebensowenig wie anderwärts.
»Was sind denn eigentlich Kunstbrahminen?« fragte ich ihn. – »Das sind Leute, die über Kunst schreiben und keinen Dunst davon haben«, antwortete er. »Lesen Sie nie ein Buch über die Kunst, verehrte Frau. Sehen Sie selbst, empfinden Sie selbst und kaufen Sie die Bilder, die Ihnen gefallen. Das ist der wahre Kunstsinn.« – »Aber man muß sich doch unterrichten!« warf ich ein. – »Unterrichteten sich die alten Griechen? Hatte Phidias ein Buch, aus dem er lernte? Haben die alten Meister nach der Kunstgeschichte gemalt, oder ist die Kunstgeschichte nach ihren Werken gemacht worden? Nein, die Kunst war eher da, als die Kritik, ebenso wie die Kochkunst eher da war, als das Kochbuch!«
Ich mußte gestehen, daß ich die Kunst von dieser Seite noch nicht betrachtet hatte, und auch noch mit niemand zusammengekommen war, der sich so sicher und allgemein faßlich über ein so schweres Thema auszusprechen imstande war wie Herr Spannbein. »Wer nach einem Kochbuch kochen will, ist verloren«, antwortete ich. »Bloß allein schon die Eier. Eine praktische Hausfrau braucht nur die Hälfte.« –
»Ganz wie die Auffassung in der Malerei«, entgegnete Herr Spannbein, »man kommt mit viel weniger aus, als allgemein angenommen wird. Ich kenne Maler, deren Bilder vor lauter Auffassung nicht anzusehen sind. Keine Farbe ist drin, keine Zeichnung, keine Technik ... aber Auffassung. Und vor so eine Krute stellen sich die Kunstbrahminen hin und verdrehen die Augen und wollen vor Wonne zerfließen. Anständig gemalte Bilder aber reißen sie herunter; davon kann ich ein Lied singen!«
Ich lieh die Flasche vom Onkel Fritz, der mit ihrer Verwaltung betraut war, und stärkte Herrn Spannbein, der sich mächtig in Eifer geredet hatte. – Dann fragte ich ihn: »Woher soll unsereins aber ein Urteil über die Kunst hernehmen, wenn nicht aus Geschriebenem?«
»Sehen Sie die Natur an und dann die Kunstwerke«, rief Herr Spannbein. »Finden Sie die Natur in den Werken der Künstler wieder, dann sind dieselben gut.« – Hierauf entgegnete ich, daß manches in der Natur doch nicht schicklich zu betrachten sei, wie meinetwegen Adam und Eva, und teilte ihm in bezug auf die Antike Herrn Öhmichens Meinung mit. Herr Spannbein lächelte mitleidsvoll und sagte: »In der Kunst ist alles schicklich. Übrigens brauchen Sie sich vor den Antiken in Italien nicht zu fürchten, denn der prüden Engländerinnen wegen sind die Statuen in den Sammlungen und Museen alle mit Feigenblättern dekoriert, als hätten sie einen Sündenfall getan. Es war auch eine Sünde, sich von Leuten ausgraben zu lassen, welche die Götterbilder ihrer Vorfahren bekleiden, damit sie von Pensionsfräuleins nicht shocking gefunden werden!«
Meinem Karl, der bis jetzt fleißig in seinem italienischen Sprachbuche gelernt hatte, schien der Dialog über die Intimitäten der Kunst nicht zu behagen und fragte Herrn Spannbein daher, ob er Skat spiele? Kaum hatte dieser die Frage bejaht, so war auch die Partie schon arrangiert. Diesmal kam mir die Unterbrechung sehr gelegen, beim Herrn Spannbeins Ansichten stimmten mit denen, welche ich kürzlich aus den Büchern geschöpft hatte, durchaus nicht überein, weshalb mir so wirr zu Sinn war, daß ich der Ruhe bedurfte und meinen aufgeregten Geist durch Betrachten der Landschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen suchte.
Der Schnee hörte allmählich auf. Feld und Anger zeigten die ersten Spuren von neuem Grün, wenn auch die Bäume noch unbelaubt standen und nur die Tannen in ihrem dunklen Nadelgewande andeuteten, wie ungefähr sich das Ganze ausnehmen würde, wenn es wieder Sommer geworden. Die Berge rechts und links wurden immer höher. Die meisten waren noch vom Winterschnee bedeckt, aber unten im Tal, durch das wir fuhren, ganz hart am Bahngeleise blühten schon die Schlüsselblumen. Das war der erste Gruß vom Frühling, der hinter den Alpen weilte und dem wir entgegenzogen, da er zu uns noch nicht kommen konnte, weil es ihm droben im Norden nicht warm genug war, denn nach den neuesten Untersuchungen der Gelehrten bringt, wie ich kürzlich in der Hausfrauenzeitung las, nicht der Frühling die Wärme, sondern die Wärme bringt den Frühling. Wie ganz anders erscheint doch die Natur, wenn man sie durch die Lorgnette der Wissenschaft betrachtet!