Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland. Geschildert in Briefen Lukanga Mukaras an den König Ruoma von Kitara
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Konstantin Makovsky, Afrikaner, 1882
ISBN 978-3-7437-1622-3
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-1730-5 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-1731-2 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Werther bei Bielefeld, Fackelreiter, 1913. Hier nach der 5. Auflage von 1922, herausgegeben von Franziskus Hähnel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Als in den Jahrgängen 1912 und 1913 der nunmehr mit dem »Kunstwart« verschmolzenen deutschen Zeitschrift für das Menschentum unserer Zeit »Der Vortrupp« die ersten Briefe des Negers Lukanga Mukara von Hans Paasche veröffentlicht wurden, da erregten sie großes Aufsehen. Hans Paasche war damals Mitherausgeber des von Dr. Hermann Popert begründeten »Vortrupp«. Alle Kräfte, die um die Aufartung unseres Volkes bemüht waren, wollte diese Zeitschrift widerspiegeln. In den Lukanga-Mukara-Briefen schlug Hans Paasche dazu einen neuen Ton an. Er ließ unser Land und Volk mit den Augen eines von jeder abendländischen »Kultur« unberührt gebliebenen offenen Negerhäuptlings schauen und in den Briefen an seinen König schildern.
Wer ist Lukanga Mukara? – Hans Paasche sagt es in seiner kurzen Einleitung zu den im »Vortrupp« erschienenen Briefen, die um drei zuerst in Walter Hammers »Junge Menschen« von mir veröffentlichten Briefen vervollständigt worden sind. Hans Paasche hatte sie mir während des Krieges zur freien Verfügung und zu späterer Veröffentlichung übergeben. Während des Krieges hätte die Zensur den Abdruck nicht zugelassen, obwohl sie sämtlich vor dem Kriege geschrieben worden sind. Die Urgestalt des Lukanga Mukara war ein Negerbursche, den Hans Paasche zur Bedienung hatte, als er seine Hochzeitsreise mit seiner jungen Frau Ellen nach den Nilquellen machte. Die Aufzeichnungen über diese Hochzeitsreise, zurzeit bis auf Bruchstücke noch unveröffentlicht, zeigen, dass Hans Paasche schon damals im Umgange mit einem klugen Negervolke die Zustände und »Kulturerrungenschaften« in Deutschland kritisch betrachtete und sich die Frage zu beantworten versucht hatte: Welchen Segen oder Unsegen bringt unsere deutsche Kultur einem Volke, das bisher von ihr unberührt geblieben ist? Da kam er auf seiner »Hochzeitsreise nach den Quellen des Nils« in seiner Schilfhütte von Ukarewe, am Strande des Viktoriasees (Januar 1910) u.a. auch zu folgendem Schlusse: »Je länger ich aber hier lebe, desto mehr sehe ich, dass wir vorsichtig sein müssen mit dem, was wir den Negern bringen. Wir halten wirklich vieles für gut, was in Wirklichkeit schädlich wirkt.«
Hans Paasche war damals immer stärker in den Gedanken der Lebensreform hineingewachsen. Er war davon überzeugt, dass so viele Unsitten und Missstände in unserem Vaterlande besiegt werden könnten, wenn viele Volksgenossen gleich ihm überzeugte Lebensreformer würden. Da war es ihm bedeutsam, wie ein Mann, der von solchen Dingen noch unberührt geblieben war, sie sehen und beurteilen musste. Hans Paasche hat mir mehrfach erzählt, wie ihn die Urteile seines Burschen gar oft weniger belustigt als zum Nachdenken gebracht hatten. Diese Einwirkung ist auch bei einem so warm aufgenommenen Vortrage auf dem VII. Deutschen Abstinenztage 1911 »Was ich als Abstinent in den afrikanischen Kolonien erlebte« (Mimir-Verlag, Stuttgart) zu spüren und ebenso in seiner Vortrupp-Flugschrift »Die Federmode« (Hamburg, Alfred Janssen, Vortrupp-Verlag).
Hans Paasche ist nie ein Freund der »grauen Theorie« gewesen; die Tat stand ihm über alles. Und so hoffte er auch, dass die Lukanga-Mukara-Briefe viele zur Tat führen könnten. Ihm galt es, offene Augen zu schaffen für das was schlecht und morsch war. Und dann offene Herzen zur Willensauslösung, zum kraftvollen Handeln. Deutsche Frauen und Männer, deutsche Jugend, – ihr könnt die Bahn frei machen zum Aufstieg, wenn ihr nur wollt. So dachte und sprach Hans Paasche. So glaubte er an die Zukunft unseres Volkes. Alle, die ihn verehren, sollten gleich ihm sich einsetzen. Gewiss werden die Lukanga-Mukara-Briefe nicht nur Hans Paasches Gedenken unter uns auffrischen, sondern die Zahl derer vermehren helfen, die sehend werden und unser Volk von »modernen« Unsitten frei machen wollen. Deshalb bin ich gern dem Wunsche zur Herausgabe der Briefe gefolgt.
Franziskus Hähnel
Auf meiner letzten Reise nach Innerafrika besuchte ich ein unerschlossenes Land, das eine eigene, alte, von europäischer weit abweichende Kultur hat. In seiner wundersamen Abgeschlossenheit bewahrte dies Land bis in unsere Tage Zustände und Volkssitten, die zum Vergleich mit der eigenen Denkart, der eigenen »Kultur« anregen. Ich konnte mich bisher nicht entschließen, über dies Land etwas zu veröffentlichen. Schien es mir doch, als genüge eine Reise von kaum fünf Monaten in jenem Lande nicht, um auf einen ganz vorurteilsfreien Standpunkt zu kommen. Ich brachte den Eindruck mit heim, dass unerschlossene Länder und Urvölker für uns ein Segen seien, weil wir an ihnen, die alle Errungenschaften unserer Kultur nicht kennen und nicht entbehren, die unsere Vorzüge nicht haben, aber auch von unseren Fehlern und Gewohnheiten frei sind, lernen können, uns selbst besser zu erkennen. Es blieb bei mir bis jetzt im wesentlichen bei diesem Bewusstsein. Fern lag es mir noch, mit solchen Betrachtungen hervorzutreten und zur Kritik unserer Zustände aufzufordern. Da fügte es ein ungewöhnliches Ereignis, dass mir meine Aufgabe offenbar abgenommen wurde.
Ein Neger, den ich am Hofe des Königs Ruoma traf, ist meiner Anregung gefolgt und hat sich von dem Herrscher des Landes Kitara den Auftrag geben lassen, Deutschland zu bereisen. Lukanga Mukara ist wie sein Name sagt, ein Mann, der von der Insel Ukara im Viktoriasee stammt. Er ist frühzeitig von der übervölkerten Insel nach der Nachbarinsel Ukerewe ausgewandert und hat dort bei den »weißen Vätern« Lesen und Schreiben gelernt. Dann ist er auf einer Reise dem Pater, den er begleitete entlaufen und bei Ruoma, dem König von Kitara geblieben, wo er als Dolmetscher, Erzähler und Gerichtsberater seine reichen Kenntnisse verwertete. Dort lernte ich ihn kennen.
Die Briefe des Lukanga haben einen besonderen Wert. Der fremde Mann legt an die Zustände in Deutschland seinen Maßstab. Was uns gewohnt erscheint, fällt ihm auf. Seine Beobachtungsgabe und die Nacktheit seines Urteils bringen es mit sich, dass er bedeutend über Dinge sprechen kann, denen wir selbst gar nicht einmal unbefangen gegenüberstehen können.
Hans Paasche
Berlin, den 1. Mai 1912
Omukama! Großer und einziger König!
Ich schreibe Dir als Dein gehorsamer Diener, den du aussandtest, zu sehen, ob es einen König gebe, der Dir gleiche und ob ein Land sei, das, von Menschen bewohnt, den Menschen mehr zu bieten habe als Dein Land, Kitara, das Land der langhörnigen Rinder.
Lass mich die Antwort auf diese Fragen gleich vorwegnehmen: es gibt kein solches Land, es gibt keinen solchen König.
Was ich auf meiner weiten Reise sah, ist aber wert, dass Du es wissest, und wenn ich gesund heimkehre, kann ich es Dir auch selbst erzählen, und du erfährst es dann genauer, als wenn Dir Ibrahimu, der Mann von der Küste, meinen Brief alleine, und, wenn es Dein Wille ist, noch öfter im Kreise Deiner Wakungu1 vorliest.
Als du mir zu reisen befahlst und mir aus Deinem weiten Reiche zwölfhundert marschfähige Rinder und zweitausend Ziegen mitgabst, damit ich bezahlen könne, was meine Reise im fremden Lande koste, da wusste niemand, dass ich schon jetzt, nach zwei Monden, kein einziges Deiner blanken Rinder mehr bei mir haben würde, und dass ich trotzdem, dank Deinem Reichtum und Deiner Macht nicht Not leiden würde.
Ich habe schon am großen See der Wasukama alle Deine Rinder und Ziegen gegen Metallstücke eingetauscht und diese Metallstücke wieder gegen ein beschriebenes Papier. Damit bin ich dann alleine weitergereist, und wo ich das Papier zeige, da bekomme ich die Münze, die ich gebrauche, um Nahrung zu kaufen. So mächtig wirkt Dein Name.
Wisse: das Land, in dem ich jetzt reise, heißt Deutschland. Die Eingeborenen des Landes bezahlen nicht mit Rindern und Ziegen, auch nicht mit Glasperlen oder Kaurimuscheln oder Baumwollstoff; kleine Metallstücke und buntes Papier ist ihre Münze, und das Papier ist wertvoller als das Metall. Es gibt ein braunes Papier, das ist mehr wert als eine ganze Zahl Deiner Rinder. Es ist etwa so, als wenn man am Sabinjoberge vier tragende Kühe für einen geflochtenen Grasring kaufen könnte. (Dabei weiß doch jeder Hutu2, dass man für zwanzig Grasringe noch nicht so viel Brennholz bekommt, wie eine Familie gebraucht, um sich in der Regenzeit eine warme Nacht zu gönnen!) Ich glaube, Dein Gesicht zu sehen, wie Du lachst über den Unsinn, den ich Dir aus Inner-Deutschland erzähle. Aber, großer König, eins muss ich Dir jetzt immer wieder sagen: Die Eingeborenen des Landes empfinden diesen und noch viel größeren Unsinn als etwas Selbstverständliches, und sie sind so sehr daran gewöhnt, dass sie erschrecken würden, wenn es anders wäre. Ja, wenn ich ihnen sage (ich spreche die Eingeborenensprache schon ganz gut), dass wir in Kitara mit anderer Münze zahlen, dann sagen sie, was sie hätten, sei besser, und fragen, ob sie kommen sollten und Dir das Bessere bringen. Sie nennen alles, was sie bringen wollen, mit einem Worte: »Kultur«. Da aber niemand etwas Besseres bringen kann, als er hat, und da mir das, was diese »Menschen« (so nennen sie sich in vollem Ernst!) haben, nicht gefällt, so antworte ich jedesmal, du ließest »bestens danken«. Das ist nämlich der Ausdruck, den sie anwenden, wenn sie sagen wollen, was in unserer Sprache heißt: »Nein, ich will nicht!«
Herr der Berge, du zürnst mir vielleicht, weil ich die hundert schnellfüßigen Boten und ihre hundert Briefbegleiter im Walde von Bukome, an der Grenze Deines Reiches zurückließ. Das musste ich tun, wenn ich überhaupt weite Länder und Meere durcheilen und in dies Land kommen wollte. Ich musste von dem Plan abstehen, für jeden Brief, den ich Dir schreibe, einen Boten und einen Briefbegleiter mitzunehmen. Denn man hält es hier ganz anders mit Briefen als in Deinem Lande. Bei Dir gilt es als Gesetz, das jeder kennt: es darf nur ein Brief an einem Tage in Deiner Stadt eintreffen. Diesen bringt ein Bote, und ein anderer begleitet ihn, denn einer alleine kann nicht Briefbote sein. Wenn die beiden den Ruhiga überschritten haben, dann eilt ihnen die Kunde des Kommens voraus, und man weiß es bald darauf in Deiner Residenz. Und wenn sie endlich, nach Tagen, über den Hochpass von Kibata hinabkommen, dann folgt ihnen eine vielköpfige Schar hochgewachsener Jünglinge, und die Trommler und Bläser ziehen den Abhang vor Kabares Hof hinab, ihnen entgegen.