Mara Laue

Die Kunst der Kürze

Leitfaden zum Schreiben spannender Kurzgeschichten



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Titel

 

 

 

 

Mara Laue

 

Die Kunst der Kürze

 

Leitfaden zum Schreiben spannender Kurzgeschichten

 

 

 

Impressum


Mara Laue – Die Kunst der Kürze

1. Auflage – 2020

© vss-verlag, 60389 Frankfurt am Main

vssinternet@googlemail.com

Titelbild: Hermann Schladt unter Verwendung eines Fotos von Pixabay

Lektorat: Hermann Schladt

 

In oder out?

 

Sind Kurzgeschichten noch zeitgemäß? Lohnt es sich, sie überhaupt zu schreiben, wo die Buchwelt von Romanen wimmelt und man Anthologien – Kurzgeschichtensammlungen – mit der Lupe suchen muss, sofern ihre Autorin, ihr Autor nicht bereits einen oder mehrere Romanbestseller vorgelegt hat? Muss man das Schreiben von Kurzgeschichten überhaupt lernen? Kann das nicht jeder, der sich mit dem Schreiben beschäftigt?

Die Antworten lauten: Ja. Ja. Ja! Und: Nein!

Kurzgeschichten sind die Urform der Geschichtenerzählung. Auch wenn heutzutage mehr Romane als Kurzgeschichten in Buchform publiziert werden, so sind sie doch in der Zeitschriftenbranche stark vertreten. Von Fachzeitschriften abgesehen; gibt es viele Journale, in denen regelmäßig mindestens eine Story zu lesen ist. Zeitschriften, die zum Beispiel „wahre Geschichten“ veröffentlichen, leben fast ausschließlich von Kurzgeschichten (auch wenn keine einzige davon jemals wahr gewesen wäre). Also ja, sie sind durchaus zeitgemäß.

Ja, es lohnt sich, nicht nur wegen der Veröffentlichungs- und Verdienstmöglichkeiten in der Zeitschriftenbranche, Storys zu schreiben. In Deutschland ist die Kurzgeschichte für viele Autorinnen und Autoren der Weg zu ersten Veröffentlichungen, da für die überwiegende Mehrheit der ausgeschriebenen Literaturwettbewerbe die Einsendung einer noch unveröffentlichten Kurzgeschichte verlangt wird. Wessen Story unter die zwanzig bis dreißig Besten gelangt, wird in eine Anthologie aufgenommen.

Je öfter das der Fall ist, gibt das den Verfassenden nicht nur die Bestätigung, dass sie gut genug schreiben, um veröffentlicht zu werden. Durch die Veröffentlichungen wächst auch die eigene Publikationsliste. Wendet man sich später mit dem ersten Roman an einen Verlag, erkennt dieser anhand der bereits erfolgten Veröffentlichungen, dass er es nicht mit einem blutigen Neuling zu tun hat. Und haben Sie eines Tages einen (oder mehrere) Romanbestseller geschafft, reißen die Verlage Ihnen Ihre gesammelten Kurzgeschichten ebenfalls aus der Hand.

Ja, man muss – vielmehr sollte – das Schreiben von (nicht nur) Kurzgeschichten unbedingt lernen, denn diese Kunst unterliegt anderen Regeln als das Schreiben von Romanen und hat auch einige genretypische Besonderheiten. Gerade Anfängerinnen und Anfängern ist das nicht immer bewusst, wodurch ihre Storys handwerkliche Schwächen aufweisen, die eine Veröffentlichung verhindern. Und nebenbei: Schreiben ist ein Handwerk, das man von der Pike auf lernen sollte, und zwar unabhängig davon, ob man Kurzgeschichten, Romane, Novellen, Erzählungen, Theaterstücke oder Lyrik schreiben will.

Und nein, nicht jede Person, die sich mit dem Schreiben beschäftigt, ist in der Lage, eine gute Kurzgeschichte zu verfassen. Ich erlebe immer wieder in meinen Schreibkursen, dass viele begeisterte Schreiberinnen und Schreiber zwar wundervolle Ideen für Storys (oder Romane) haben, aber sie haben oft (noch) keine Ahnung, was eine Story überhaupt ausmacht, worauf es beim Schreiben von Kurztexten ankommt, worin die Kunst besteht, mit ihnen die Lesenden zu fesseln. Das Ergebnis sind bemühte, aber suboptimale Texte, die nicht selten das Publikum mehr oder weniger stark langweilen. Selbst manche erfahrenen Romanautorinnen und -autoren scheitern an der Kunst der Kurzgeschichte. Umgekehrt gibt es auch begnadete Storyschreibende, die trotz aller Versuche keinen vernünftigen Roman zustande bringen.

Ein weiteres Argument, die Kunst des Storyschreibens zu lernen, soll nicht unerwähnt bleiben. Storys eignen sich hervorragend, um kleine, selbst erlebte Begebenheiten literarisch zu verarbeiten, dem Frust über unliebsame Mitmenschen (oder die lästige Verwandtschaft) Luft zu machen, Politikerinnen/Politiker, Stars und Sternchen oder andere Personen satirisch auf die Schippe zu nehmen, Sozialkritik zu üben oder die merkwürdigen „Blüten“, die das Zeitgeschehen treibt, durch den Kakao zu ziehen. Und schon mancher vierbeinige Liebling wurde durch solche Storys zum Star und sein Mensch verdiente damit gutes Geld.

Last but not least wird dieses Buch Ihnen helfen, sich auch im Alltag flüssiger und prägnanter auszudrücken. Viel Spaß beim Lesen!

 

Wie alles begann

 

Die Kurzgeschichte ist eine sehr alte Textgattung, ich wage zu behaupten, die älteste überhaupt, denn sie entstand aus den erzählten Geschichten der frühen Menschen am Lagerfeuer. Damals gab es keine Geschichten in Romanlänge. Noch bis weit ins Mittelalter und die Neuzeit hinein haben die meisten Autorinnen und Autoren mehr Kurzgeschichten als Romane verfasst.

Besonderes Gewicht erhielt sie mit der Einführung der Zeitschriften im 19. Jahrhundert. Veröffentlichungen in Zeitschriften brachten den sie Schreibenden damals bessere Verdienste als Bücher, weil erheblich mehr Menschen Zeitschriften mit ihren kurzen Texten und ihrem geringen Preis bevorzugten und viele Geringverdienende sich Bücher nicht leisten konnten.

Außerdem dauerte es damals wie heute viele Monate, wenn nicht Jahre, bis nach einem (ersten) Roman ein oder mehrere weitere folgen und das erste damit verdiente Geld ausgezahlt wird. Zeitungen erscheinen täglich oder zumindest wöchentlich und Zeitschriften vierzehntägig oder monatlich. Weil für Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften anders als bei Büchern den Schreibenden keine Tantiemen für jedes verkaufte Exemplar gezahlt wird, sondern ein einmaliges Honorar, gab und gibt es dementsprechend sofort Geld bei Ablieferung des Beitrags. Die Zahlungsabstände sind also gering genug, dass man keine monatelange Durststrecke überwinden muss. Aus diesem Grund schrieben Autoren wie Edgar Allan Poe hauptsächlich Kurzgeschichten und nur wenige Romane.

Nebenbei: Eine der ersten Kurzgeschichten der Welt(!)-Literatur war die Horrorstory „The Legend of Sleepy Hollow“ von Washington Irving, die später sogar mehrfach verfilmt wurde und eine auf ihr basierende Filmserie erhielt. Es gibt also keinen Grund für Verlage und Feuilletonschreibende die Nase über das Horrorgenre zu rümpfen, was viele von ihnen immer noch sehr gern tun.

In Deutschland kam die Kurzgeschichte um 1900 in Mode und erlebte einen Höhepunkt nach dem 2. Weltkrieg. Zu dieser Zeit versuchten viele deutsche Autorinnen und Autoren sich mit bewusst kurzen und auch (sozial)kritischen Texten von der bis dahin verbreiteten ideologielastigen Nazi-Literatur abzugrenzen und den Lesenden durch diese Kurzgeschichten Meinungen und Botschaften zu vermitteln. Ab etwa Mitte der 1960er Jahre verlor die Kurzgeschichte gegenüber Romanen an Bedeutung. Mit der Etablierung des Fantasy- und Science-Fiction-Genres in Deutschland ab ungefähr den 1980er und 90er Jahren wurde sie wieder moderner. Einen echten (beginnenden) Aufschwung erlebt sie aber erst, seit im Jahr 2013 der Literaturnobelpreis an die Kanadierin Alice Munro verliehen wurde, deren gesamtes literarisches Werk fast ausschließlich aus Kurzgeschichten besteht.

Und wer es zum Bestseller geschafft hat, kann die eigenen Kurzgeschichten ebenfalls problemlos vermarkten. Das beste Beispiel dafür ist der schottische Krimiautor Ian Rankin. Nach zweiundzwanzig Romanen über seinen Edinburgher Ermittler John Rebus veröffentlichte er im Jahr 2014 in dem Buch „The Beat Goes On“ sämtliche Rebus-Kurzgeschichten, das – wen wundert es? – prompt ebenfalls zum Bestseller wurden.

Sie, liebe Lesenden, begegnen den kürzesten Storys in Ihrem Alltag täglich, mindestens aber wöchentlich, denn in fast jeder Tageszeitung steht eine, in der Wochenendausgabe gibt es meistens mehrere. Darü-ber hinaus werden sie auf Partys und anderen geselligen Veranstaltungen im Rahmen von Smalltalk erzählt: Witze. Sie sind nichts anderes als humoreske Minikurzgeschichten.

 

Jedoch ist die Kurzgeschichte keine „leichte Kost“, obwohl die meisten Lesenden sie als solche wahrnehmen, als kleine literarische Snacks für zwischendurch. Gut geschriebene Kurzgeschichten sind anspruchsvoll. Unter der Oberfläche ihres reinen Unterhaltungswertes fordern sie die Lesenden zum Nachdenken heraus, denn sie enthalten unausgesprochene Botschaften, mit denen die Autorinnen/Autoren ihrem Lesepublikum etwas mitteilen wollen. Diese Botschaften erschließen sich meistens nicht auf Anhieb, denn gute Kurzgeschichten nutzen das „Eisbergmodell“. Das heißt, sehr vieles, besonders auch die Botschaft, der Kernpunkt der Story, wird nicht direkt ausgedrückt, sondern steht „zwischen den Zeilen“. (Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 1.3.)

Um dieses unter der Oberfläche Verborgene zu entdecken, genügt es nicht, beim Lesen die Story einfach nur zu konsumieren und hinterher als netten Zeitvertreib abzuhaken („Tolle Story!“ oder: „Hat mir gar nicht gefallen.“). Man muss sich auf sie einlassen. Deshalb sollten wir als Storyschreibende unsere Geschichten so gestalten, dass unser Publikum genau dazu animiert wird. Wie Sie das gut hinbekommen, verrät ihnen dieses Buch.

Selbstverständlich spricht nichts dagegen, wenn Sie ausschließlich Storys schreiben, die „nur“ unterhalten sollen und keine Botschaft, keine „Lehre“ für die Lesenden enthalten. Doch eines sollten sie immer haben: Einen Sinn, ein Ziel, auf den/das die gesamte Handlung hinausläuft. Mehr dazu erfahren Sie im nächsten Kapitel.