Der Antike Knigge

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Vorwort

Sie reisen demnächst nach Rom – und haben Sorge, man könnte sofort den Barbaren in Ihnen entlarven? Sie fürchten sich davor, sich in den Augen der Hauptstädter grobschlächtig zu verhalten, unbeabsichtigt Ihre Mitmenschen zu verärgern und womöglich die Chance auf Anerkennung, gute Geschäfte, nützliche Freundschaften und glanzvolle Heiratsverbindungen zu vertun?

Dieses Buch wird Rat Suchende in Ratgeber verwandeln. Es möge umsichtigen Männern und Frauen aus dem stürmisch voranschreitenden Nordwesten des Reiches als auskunftsfreudiger Spiegel für ihr Verhalten dienen, die sich in diesem neuen Goldenen Zeitalter fragen, wie sie sich anstellen und wie sie wahrgenommen werden – aber mehr noch, wie sie es auf der Höhe von Tugend und Klugheit wohl tun sollten.

 

Rom, im 15. Regierungsjahr unseres geliebten Princeps, des Imperator Caesar Titus Aelius Hadrianus Antoninus Augustus Pius

Allgemeine Hinweise für Zugezogene und Reisende aus der Provinz

Der erste Moment – der Anblick der Stadt aller Städte, des endlosen Häusermeers, in dem sich eine Million Menschen um die Prachtbauten unserer großen Vergangenheit und ebenso großen Gegenwart drängt – kann einem biederen Provinzmenschen schon Respekt einflößen. Was daheim eine ordentliche Metropole wäre, das käme hier allein schon in den Kasernen der Ordnungskräfte unter. Ja, wenn Sie alle Einwohner von Alexandria, Antiochia, Karthago und Ephesos in ein leeres Rom einziehen ließen, würden immer noch zwanzig kleinere Städte mit hineinpassen. Jahrhunderte einfallsreichen Großstadtlebens, Generationen an Kultur und Bildung drängen sich hier zusammen. Besser also einfach umdrehen? Das wäre jammerschade. Sie haben doch vermutlich das römische Bürgerrecht? Dann kommen Sie streng genommen nach Hause. Sie haben es nicht? Dann winkt hier die beste Chance, jemanden kennenzulernen, der es Ihnen verschaffen kann. Aber in jedem Fall sind nicht nur alle Völker der Welt in Rom vertreten, sondern jede Stadt, jedes kleine Dörfchen des Imperiums ist doch auch ein bisschen Rom. Darauf können wir aufbauen. Und: Alle Römer kommen eigentlich von ganz woanders her. So wie Sie!

Wir haben es alle schon in der Grundschule gelernt: Ehe Rom gegründet werden konnte, mussten erst die Trojaner unter Aeneas einwandern, und auch dann dauerte es noch Jahrhunderte. Ein paar wilde latinische Hirten aus der Gegend, ein paar geraubte Sabinerinnen und eine Menge Schutz suchende Kriminelle aus der ganzen Region, das waren die Anfänge. Seitdem sind die meisten freiwillig gekommen: Tarquinius Priscus, Roms fünfter und mächtigster König, war Etrusker, aber eigentlich ein Grieche aus einer korinthischen Adelsfamilie; die Claudier (die uns viele arrogante Feldherren und die meisten frühen Kaiser beschert haben) wanderten mit einer Menge Klienten aus den Sabiner Bergen ein; der vergöttlichte Augustus hat seine Kindheit in der friedlichen und sittsamen Landstadt Velitrae verbracht – und der göttliche Traian, der »Beste Kaiser«, ist sogar in Spanien geboren! Die Vorfahren unseres derzeitigen Herrschers sind mehrere Generationen lang Konsuln Roms und zugleich die wohl stolzeste Familie aus dem südlichen Gallien gewesen, Freunde der Kaiser. Unser erhabener Caesar Antoninus, der einen stolzen Adoptivsohn aus einer weiteren Provinzfamilie hat, würde in seiner Güte also gleich verstehen, wie es Ihnen geht, so wie er versteht, was er an allen seinen treuen Untertanen hat, in Rom, in Italien und in den Provinzen. Aber ehrlich gesagt: Für den Durchschnittsrömer auf der Straße gilt diese Weisheit und Einsicht nicht immer.

Mit Vorurteilen umgehen

In den ersten Wochen werden Sie – vor allem falls Ihr Latein einen charakteristischen Regionalakzent aufweist – mit den spitzen Bemerkungen leben müssen, die unsere Hauptstadtbevölkerung so berühmt gemacht haben. Wenn wir nicht gerade darunter leiden müssen, lieben wir sie ja dafür. Der vergöttlichte Hadrian selbst soll, wenn man seinen Kritikern glaubt, in jungen Jahren wegen seines Akzents ausgelacht worden sein, und das als Cousin Kaiser Traians – aber so ein unwürdiges Verhalten traut man dem würdigen römischen Senat, wo die Szene gespielt haben soll, doch nicht zu! (Schon weil Hadrian in Rom aufgewachsen ist, nicht aber Traian, und über dessen spanischen Akzent hat damals keiner zu lachen gewagt!)

Wenn Sie also ein paar herbe Worte über die Kleinheit Ihrer Heimatgegend und Ihres Horizonts hören, dann sehen Sie es als eine liebenswürdige Einladung zum Gespräch. Bewundern Sie die majestätische Größe der Hauptstadt und den feinen, hochintelligenten Witz ihrer geistreichen Bewohner: schon werden Sie ein gemeinsames Gesprächsthema haben.

Zu Unterhaltungen mit Ortsansässigen eignen sich wunderbar ausgesprochene Barbaren, die frisch in die römische Kultur hineingerutscht sind: Ziemlich viele Römer in Rom (auch die, die gar nicht aus Rom kommen) haben eine klare Meinung über zänkische, aufschneidende Gallier, tückische Nordafrikaner mit karthagischen Wurzeln, abergläubische Ägypter mit ihren tierköpfigen Gottheiten, leichtlebige Syrer oder arrogante, schmeichelnde, zum praktischen Leben unfähige Griechen. (Germanen kennen sie vor allem als Gladiatoren oder von den blonden Perücken, die nach wie vor in Rom gefragt sind …) Bizarre ausländische Kulte sind ein Reizthema. Westliche Intellektuelle, die einen reichen Gönner suchen, unterhalten sich gern mit Ihnen über diese elenden Ausländer von frisch eingewanderten östlichen Intellektuellen, die ihnen die Plätze im Haushalt eines Senators oder reichen Ritters streitig machen oder gar nach Posten in der kaiserlichen Verwaltung schielen.

Seien Sie bei der Gesprächsführung aber bitte feinfühlig! Welches Vorurteil gerade anwendbar ist, gibt Ihr stadtrömischer Gesprächspartner gerne selber vor. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er auf mindestens einer Seite von einfallsreichen Galliern, zuverlässigen Nordafrikanern, traditionsreichen Ägyptern, weltgewandten Syrern oder den Kulturbringern der zivilisierten Welt, den Griechen, abstammt. (Auch eine Handvoll respektable Germanen gibt oder gab es in Rom: vertriebene Fürsten in Freundschaft mit dem Kaiser, die Urenkel germanischer Leibgardisten …) Jeder Stadtrömer kennt mindestens eine Ausnahme von der Regel, die er verächtlich zitiert, und mitschimpfen dürfen Sie oft nur so lange, wie er selber schimpft und Ihnen nicht widerspricht.

Dosieren Sie Ihre Empörung über einen Dritten behutsam, geben Sie Ihrem Gesprächspartner recht und lassen Sie es im Zweifelsfall bei sicheren Feindbildern wie unserem Erbfeind, den dekadenten, verkommenen und nur durch bösartige Kriegslisten noch uneroberten Parthern hinter dem Euphrat. (Parther, die Sie beleidigen könnten, gibt es in Rom tatsächlich nur ganz wenige und die sind vermutlich ohnehin Spione.)

Urbanitas: auf raffinierte Weise bodenständig sein

Die großen Städte des Reiches nennen wir im Plural natürlich gerne urbes, aber wenn jemand sagt »Ich reise morgen in die urbs«, dann kann er eigentlich nur eine meinen: die Weltstadt, das Haupt und die Krone aller Städte, das ewige Rom. Und wie es nur eine wahre urbs gibt, gibt es auch nur eine ideale Verhaltensweise im Umgang mit Freunden und besonders mit den nur locker Bekannten: die urbanitas, das weltstädtische Denken.

Bei den Vornehmen und Gebildeten ist die urbanitas besonders daheim – aber sie strahlt auf ihre Weise ins ganze Rom aus. Sogar die dreckigsten Schimpfwörter in den Armenvierteln erscheinen einem irgendwie feinsinniger als anderswo. Das Ideal der urbanitas ist nicht so alt wie viele andere Traditionen. Es ist ein Kind der unruhigen Zeiten vor der Wiederherstellung der Republik durch unseren ersten Kaiser – dessen treue Anhänger aus Literatur und öffentlichem Leben ihm den letzten Schliff gegeben haben, nachdem die mit scharfer Klinge redenden (und manchmal auch zuschlagenden) Größen der Bürgerkriegszeit die Vorarbeit geleistet hatten. Die spitzeste Zunge Roms gehörte damals Cicero – von dem man bekanntlich sagt, er habe lieber einen Freund verprellt, als sich eine ironische Bemerkung zu verkneifen –, aber auch sonst standen die Redner damals vor dem interessanten Dilemma, dass sie sich mit Bekannten vertragen mussten, denen sie (wenn sie um ein Amt konkurrierten) in ihren Ansprachen Inzest mit der eigenen Schwester, kindliche Grausamkeit gegenüber Tieren und finanzielle Unsolidität vorgeworfen hatten. Oft genug setzte sich dieser Krieg nach dem Ende der Rede fort und Beleidigungen wurden blutig gerächt. Ciceros Kopf endete beispielsweise getrennt von seinem Körper, wie Sie wissen, und um die Zunge kümmerte sich Fulvia, die Frau seines letzten politischen Feindes Marcus Antonius, die ihre Portion an Ciceros Bosheiten abbekommen hatte. Er stichelte sie mit Zweideutigkeiten, sie stichelte sein totes Fleisch mit ihren Haarnadeln. So wird zumindest erzählt.

Wie viele Zehntausende sind damals gestorben, welche Vermögen verloren gegangen, wie viele Familien haben sich in kleine Kriegsgebiete voller Todfeinde verwandelt! Die urbanitas ist, wenn Sie so möchten, ein Kind dieser schrecklichen Erfahrungen. Nach fünfzig Jahren Bürgerkrieg mit Unterbrechungen und nach insgesamt hundert Jahren bitterer politischer Feindschaften mussten die besten Köpfe Roms, politisch und kulturell, erst einmal lernen, sich zu vertragen – so gut wie jede Familie hatte irgendwann auf irgendeiner Verliererseite gestanden. Denken Sie an die Blütezeit unserer Literatur unter dem Vergöttlichten Augustus und seinen Beratern! Horaz, der Dichter der urbanitas, hat als junger Mann schließlich bei Philippi auf der falschen Seite gekämpft. Unser lateinischer Homer wiederum, Vergil selbst, erwähnt nicht von ungefähr die bedauerlichen, aber politisch gebotenen Massenenteignungen zugunsten der Soldaten des Augustus und seiner unmoralischen Verbündeten; mit den Tausenden unschuldigen Bürgern aller Stände hatte damals auch seine Familie zu leiden. Wenn Horaz und Vergil nun jedes Mal für den Rest ihres Lebens Augustus böse Blicke zugeworfen hätten, wie hätte es je zum Goldenen Zeitalter der lateinischen Dichtung kommen sollen? Und wenn alle anderen sich an unbeglichene Rechnungen erinnert hätten, wie wäre der Frieden eingekehrt? Augustus hatte sich seine kleinen Jugendsünden längst verziehen, also verziehen sie ihm auch, erkannten seine guten Seiten und arrangierten sich mit der neuen Ordnung. Wie das in der Politik die anderen glücklichen Überlebenden auch taten …, und so haben sie (außer wenigen Unbelehrbaren) nach dem Krieg auch den Frieden überlebt. Damit begann Roms neuer Wohlstand und die Zeit der Weltherrschaft.

Sie sehen: Den richtigen Ton zu wählen kann in manchen Zeiten (über)lebenswichtig sein. (Unter dem einen oder anderen Kaiser hat es ja leider heikle Phasen gegeben.) Zu allen Zeiten wirkt es Frieden stiftend. Wenn wir Römer nicht gelernt hätten, auch schweren Herzens unbekümmert miteinander umzugehen, wenn wir nicht die Kunst erfunden hätten, unseren Spott und die Sticheleien nur bis zu einer bestimmten Grenze zu treiben, aber nicht zu weit – als Redner vor Gericht muss ich über den Mandanten der Gegenseite ja immer noch hässliche Dinge sagen, das gebietet der Beruf –, wenn unsere vornehmsten Leute sich alle Gefühle und bösen Gedanken ungesiebt an den Kopf werfen wollten, was dann? Dann hätten wir pausenlos Hofintrigen, Verrat, gefährliche Intimfeindschaften und außerdem bürgerkriegsähnliche Zustände. Das stolze Rom wäre wie ein schlechter Roman voller Räuber und Piraten, wäre nichts als spätrepublikanische Dekadenz. Und davor bewahrt uns außer der Weisheit des Kaisers und der Würde des Senats auch die urbanitas, die zur Tugend unserer Hauptstadtbevölkerung geworden ist!

»Aber was genau ist jetzt die urbanitas?«, fragen Sie sich vielleicht. Das lernt man am besten durch Beobachten; es ist eine Haltung, die man sich antrainiert. Zunächst einmal gehört dazu eine fröhliche Neugier – »mal sehen, was heute Peinliches passiert«. Wie alle Großstädter sind die urbanen Römer versessen auf Nachrichten und würzige Gerüchte aus der weiten Welt, die sich dann spitz und mit einem guten Bonmot kommentieren lassen. Männer sind beim Tratsch natürlich im Vorteil, weil sie ihn jeden Morgen vom Barbier geliefert bekommen (deshalb misstraue ich den uninformierten Leuten, die sich aus Geiz und falscher Genügsamkeit selber rasieren) – und dort lernen Sie auch eine weitere wichtige Komponente der urbanitas: warten können, bis der Moment zur Antwort da ist. Wenn Sie dem Barbier um jeden Preis gleich etwas Schlagfertiges antworten müssen, haben Sie wahrscheinlich einen Schnitt im Kinn …

Weil der Klatsch von Barbier zu Kunde zu Barbier läuft, haben sich Roms Frauen – wird behauptet – seit Ausbruch des kaiserzeitlichen Friedens diese komplizierten Frisuren zugelegt, die morgens gut eine Stunde brauchen. In dieser Zeit erfährt die ornatrix der Herrin in einer Arbeitspause schnell von den übrigen Haussklaven, was der tonsor gerade dem Herrn erzählt hat, und kann es direkt weitergeben, während sie an die nächste Portion Flecht- und Kräuselarbeit geht. Das ist nur wünschenswert: Eine kluge Frau lässt ihren Mann gern mit seinem sozialen Wissen glänzen, wenn beide in Gesellschaft sind, aber beraten können muss sie ihn unbedingt, und wie sollte das ohne aktuelle Gerüchte gehen? (Deshalb ist es auch so praktisch, wenn sie all die in Mode gekommenen Bücher liest, die er nicht lesen kann oder will, und wenn die inoffiziellen Gerüchte und Bonmots unter Freundinnen die offiziellen aus Politik und Männerkreisen ergänzen.)

Sie sehen, es ist harte Arbeit, mit der urbanitas aktuell zu bleiben! Idealerweise muss der urbane Römer alles, was gerade vor sich geht, so genau kennen, dass er bei nächster Gelegenheit einen Eingeweihten-Witz machen kann, allgemeines Gelächter erntet und dem Unglücklichen, der die Anspielung nicht verstanden hat, mit boshafter Nachsicht (und mit weiteren originellen Formulierungen, an denen der Rest der Anwesenden seinen Spaß hat) Nachhilfeunterricht geben kann.

Sie müssen nicht alles mitmachen und selbst praktizieren, aber Sie sollten idealerweise alles mit trockenem Humor kommentieren können. Wahlweise auch mit derbem!

Natürlich sollten Sie nicht in jedem dritten Satz ein schmutziges Wort unterbringen, sonst sortiert man Sie als peinlichen Brüllwitze-Erzähler ein. Wenn Sie urban sind, pflegen Sie die feine Ironie und werden bei seltenen, gut gewählten Gelegenheiten grob – wichtig ist, nur dann zu verletzen, wenn Sie das auch wollen. Wie die Freundschaft, so ist auch die Feindschaft in Rom traditionell eine beinahe offizielle Angelegenheit, die förmlich angekündigt wird, also möchten Sie sie bestimmt nicht aus Versehen vom Zaun brechen …

Urbanitas ist es auch, zu wissen, welche Witze und Anspielungen gerade aktuell sind und wie wissend (oder müde) man darüber lachen sollte. Auch hier geht es darum, jeder Situation in Gesellschaft gewachsen zu sein – Sie können nicht immer allem überlegen sein, aber Sie können einen überlegenen Eindruck machen und mit geübter Entspannung mitlachen, wenn ein Witz auf Ihre Kosten geht. Der perfekte urbanus steckt Boshaftigkeiten an seine Adresse nicht nur lächelnd weg (und revanchiert sich später in gleicher Münze, treibt die Angelegenheit aber nicht auf die Spitze), sondern lässt durchblicken, dass er zu schätzen weiß, wie schlau, individualisiert und treffsicher die Bosheit ausgedacht war. Als wäre sie eigentlich ein Gastgeschenk gewesen …

Über nichts sollten Sie besser informiert sein als über den Klatsch, der Sie selbst zum Thema hat!

Praktisches Wissen handhaben Sie ähnlich: Idealerweise geht man davon aus, dass Sie jede Frage in jeder Lebenslage klug und hilfreich beantworten können? Dann streiten Sie das lässig ab und machen ein paar selbstironische Scherze: Sie könnten ein Buch über griechische Bildhauer schreiben (oder das glaubt man zumindest) – aber Sie tun so, als hielten Sie Praxiteles für diesen schielenden Bankier beim Castortempel auf dem Forum; Sie kennen die besten Bezugsquellen für Parfüm und Damenschmuck in den Saepta Iulia auf dem Marsfeld – tun aber so, als hielten Sie jeden, der Roms größter Einkaufspassage auch nur nahekommt, für einen Schürzenjäger und Weiberknecht …, und das sagen Sie so durchsichtig, dass sich Ihre Zuhörer vor Lachen biegen (und ihrerseits kräftig verstellen müssen).

Wenn Sie das alles richtig machen, dann wird man Ihnen mit etwas Glück auch die echten, nicht beabsichtigten Peinlichkeiten (die uns allen passieren) als absichtliche, köstliche Selbstironie verzeihen oder sie für Anspielungen halten, die die Hörer leider nicht entziffern konnten. Das kann sehr hilfreich bei Gesprächsfeldern voller Fallgruben sein, wenn Sie zwangsläufig mindestens eines von zwei verfeindeten Lagern vor den Kopf stoßen – so ist im gebildeten Rom derzeit die große Frage, ob man es eher mit der klassischen lateinischen Literatur von Cicero bis Vergil hält oder sich zum in Mode gekommenen Archaismus schlägt, der nach den ruppigen, bissigen Schriften des älteren Cato oder den rumpelnden Versen der frühen Epiker nichts mehr gelten lässt. Für die Unterhaltung mit einem allzu tief in die stoische Philosophie geratenen Senator, der vor jedem Lächeln nachdenkt, ob heitere Mienen in Gegenwart von zwanzig leichtlebigen Standesgenossen sittlich gerechtfertigt sind, gilt dasselbe. Denn urbanitas ist die Kunst der Diplomatie in einer Welt, wo sich ohne Kompromisse und Geduld schlecht leben lässt und wo sich oft erst spät oder auf subtile Weise zeigt, wer der Stärkere ist.

Und da wir gerade beim Thema Ernst sind: Natürlich macht auch ein urbaner Mensch nicht den ganzen Tag nur leichte Witze und kräuselt den Mund. Aber die urbanitas verlangt, dass wir die Ernsthaftigkeit für die wenigen wirklich ernsthaften Sachen aufsparen (nicht wie der alte Cato). Wenn Sie als geistig großzügig gelten, ist es desto eindrucksvoller und bringt die Leute zum Nachdenken, sobald Sie ausnahmsweise strengere Töne anschlagen und grundsätzlich werden. Urbanitas verträgt sich wider Erwarten ausgezeichnet mit auctoritas, dem Eindruck, den ein solider römischer Charakter macht, und mit der Bereitschaft, sich seiner Meinung aus Einsicht anzuschließen.

Verhalten, das man grundsätzlich vermeiden sollte

Der urbanitas kommen Sie einen großen Schritt näher, wenn Sie nur ein paar Fehler vermeiden und nicht etwa in einen der folgenden Charaktertypen verfallen:

  • Der gaffende Tourist läuft durch Rom, bekommt das aufgerissene Maul nicht zu, zupft vor Aufregung sogar die Einheimischen am Ärmel und kann nie leise staunen.

  • Der Vergleichswütige misst alles an zu Hause: »Bei uns in Cucurbitopolis Minor hatten wir auch mal einen Löwen. Aber sonst nur Bären. Die Ratten könnten hier größer sein, da bin ich mir aber noch nicht sicher … Seht ihr die Thermen? Die würden sich daheim auch gut machen.«

  • Der biedere Bauer hat das Land nicht wirklich verlassen: »So teuer sind hier die Rettiche? Hätte ich mal welche mitgebracht! Richtig frisch sind sie auch nicht. Was sie in diesem Rom wohl an den Salat tun?«

  • Der Geizhals will die Stadt, aber zu Flachlandpreisen: »Ihr müsst doch sicher nicht schon wieder baden? Ihr wart doch erst gestern … Na schön, keine halbe Meile von hier habe ich neulich ein Bad gesehen, das sah nach moderaten Preisen aus.«

  • Den Fachidioten interessieren an ganz Rom nur die Hebekräne auf den Baustellen oder das Grab einer Familie, von der er einmal gehört hat und das natürlich vier Meilensteine vor der Stadt liegt, oder wer die Preise für die Fleischstücke von den Opfertieren festlegt. Und danach fragt er wirklich jeden.

  • Der Prahler kennt lauter dermaßen wichtige Leute fast persönlich, dass sein Gastgeber sich fragt, wieso er nicht lieber bei denen abgestiegen ist.

  • Der Indiskrete fragt, auch wenn ihm niemand antwortet, noch das dritte und vierte Mal auf offener Straße, ob die Kaiserin wirklich Liebschaften mit Gladiatoren und nach Salz stinkenden Fischern hat.

  • Der Altrömische beginnt kein Frühstück ohne den Hinweis, dass es früher fast gar nichts zum Frühstück gab – ist dann beim Abendessen aber ganz enttäuscht, weil zu Hause doch jeder weiß, dass es in Rom für ein Spottgeld Fasanenfleisch auf drei verschiedene Arten zu jeder Mahlzeit gibt.

  • Der Philosoph würzt den Blick auf Traians weltberühmtes Forum oder die extra gute gefüllte Gebärmutter vom Mastschwein mit der Betrachtung, dass solche Dinge für ein gutes Leben ja eigentlich gleichgültig sind, »aber solange sie unsere innere Einstellung nicht nachteilig beeinflussen, kann man sie aus einer überlegenen Haltung ruhig an sich vorbeiziehen lassen. – Sicher möchte niemand das letzte Stück?«

  • Der Standesbewusste mokiert sich lauthals über vornehme Leute, die ihre Abendempfänge mit der Anwesenheit eines Wagenlenkers oder Pantomimen beschmutzen – und das hauptsächlich, weil er keine Chance hat, je im Leben das nötige Bestechungsgeld für einen kurzen Backstage-Blick auf seinen Lieblingsgladiator aufzubringen (dessen Kampfstatistik er im Schlaf aufsagen kann), geschweige denn ihn zu einem Schaukampf beim Abendessen zu buchen. Aus Rom nimmt er nur eine Öllampe mit dem Abdruck seines – sehr schlecht getroffenen – Idols mit in seine Provinzheimat.

Generell leben Sie – nicht nur im unvergleichlichen Rom – schlecht, wenn Sie Angewohnheiten haben, die andere regelmäßig langweilen, verbal in die Ecke treiben oder in ein ungünstiges Licht setzen, das unvermeidlich auf Sie zurückstrahlt. Denken Sie daran: So viele Tugenden, dass man mehrere Dutzend davon auf Goldmünzen prägen kann, hat unter den Sterblichen nur unser Kaiser. Wir anderen sammeln, wenn wir Glück haben, die Münzen. Machen Sie anzügliche Bemerkungen, wenn Sie erfahren, dass jemand geschmackloserweise seine Konkubine vier Zimmer von der eigenen Ehefrau einquartiert hat, aber überlassen Sie Antoninus Augustus die Sittenaufsicht. Und machen Sie kein öffentliches Schauspiel aus sich, es sei denn, Sie können ganz sicher sein, dass die Zuschauer es mit Ehrfurcht und Begeisterung aufnehmen! (In Rom, wo man schon alles gesehen hat, sollten Sie dafür mindestens ein Praetor sein, der zu Gericht sitzt – lassen Sie es also besser.)

Machtverhältnisse und Freundschaft richtig einschätzen

Kein richtiger Mann kommt ohne virtus aus, ohne das Mannsein in all seinen Formen: mutig, würdig, zuverlässig, überlegt, in allen notwendigen Bereichen informiert, zutiefst moralisch … – all das gehört dazu. Doch selbst der tugendhafteste Mann müsste ohne Freunde schnell, wenn auch ehrenvoll untergehen. Wir alle leben mit und von unseren engen und entfernten Freunden: denen, die uns nützen, und denen, die wir mögen, denen, die uns ehren, und auch denen, die sich eher durch unsere Freundschaft geehrt fühlen müssen, mächtigeren Freunden und schutzbedürftigeren Freunden. Das macht uns sogar vielen Menschen bekannt, die wir sonst nie getroffen hätten, und so bringt uns die Freundschaft das Allerbeste überhaupt ein: Ruhm schon zu Lebzeiten und mit etwas Glück über den Tod hinaus. Unsere Taten und unser guter Charakter sind natürlich auch nicht unwichtig dabei, ein ordentlicher Grabstein mit einer hinreichend ausführlichen Inschrift kann postum sehr hilfreich sein, doch das Netz der Freundschaften fängt den Fisch des Ruhmes. Selbst wenn jemand völlig Unbekanntes uns bewundert, wem erzählen wir das schnellstmöglich? Na, unseren Freunden!

Denken Sie an den achtbaren, aber doch nicht überwältigend ruhmreichen Senator Plinius, der sicher keiner unserer großen Dichter war – aber alles, was ihm so zugestoßen ist oder einfiel und womit er in Erinnerung bleiben sollte, hat er seinen Freunden geschrieben, auch denen, die es vielleicht erst noch werden konnten. Sie waren berühmt, und nun ist es auch der längst gestorbene Plinius. In einem seiner Briefe schrieb er, Cornelius Tacitus (das ist ein bei Kennern noch immer gern gelesener Historiker) sei im Circus gefragt worden: »Bist du aus Italien oder aus den Provinzen?« Und Tacitus habe geantwortet: »Du weißt, wer ich bin, du hast nämlich etwas von mir gelesen.« Darauf der andere: »Bist du Tacitus oder bist du Plinius?« Plinius kommentiert das in seinem Brief mit: »Ich kann gar nicht sagen, wie gut mir das tut, dass unsere Namen für die Kultur überhaupt stehen, so als seien es Kulturbegriffe, keine Personennamen …« – Da zeigt sich der Nutzen der römischen Freundschaft! Ein Freund gibt Plinius höflich eine ruhmreiche Episode weiter, weil er weiß, dass sie den anderen mitehrt, und der freut sich gleich doppelt, wenn er sie einem Dritten schreiben kann, … der sie hoffentlich noch möglichst vielen weitererzählt.

Unser Ansehen und das unserer Freunde zu mehren ist ein Hauptgrund, Freunde zu werden, zu sein und zu bleiben. Freunde kann man also nie genug haben, auch wenn sie selbst und ihr Ansehen zu fördern selbstredend etwas Zeit und Kraft kosten kann. Was ist schöner, als in wichtigen Momenten von ganzen Freundesscharen umringt zu sein, so dass es alle sehen können, ja müssen? Aus manchen Beziehungen dieser Art wird sogar eine tiefe Übereinstimmung in vielen Dingen, und solchen Freunden können wir das eine oder andere Geheimnis anvertrauen oder unsere Gefühle ohne Vorüberlegung zeigen.

Denn so schlimm der Vorwurf ist, dass jemand etwas vorspielt, das er nicht meint, und umgekehrt seine wahren Gefühle und Gedanken verbirgt – es ist beinahe das Härteste, was wir über jemanden sagen können: dass er täuscht –, so unklug ist es umgekehrt, allen (selbst den Freunden) entgegenzuwerfen, was einem gerade durch den Kopf und das Herz geht, wie dem Sklaven in unserem Hausflur die verschwitzte Toga. Also müssen wir stets die Wahrheit sagen und dabei die ganze Wahrheit von der vollständigen Wahrheit, der kompletten Wahrheit und – in einigen seltenen, beneidenswerten Fällen von Freundschaft – vielleicht sogar der umfassenden Wahrheit unterscheiden. Maecenas, sozusagen die musische Seite des vergöttlichten Augustus, kannte seinen Freund so gut, dass er ihm ungestraft, als der Princeps einmal bei einer Gerichtssitzung etwas viele Todesurteile verhängte, ein Zettelchen zustecken konnte mit der Aufschrift »Jetzt mach schon Schluss, du Schlächter!«. Wahre Freunde können eine Bemerkung, die fast wie ein Vorwurf klingt, richtig einordnen. Das Beispiel zeigt übrigens auch, wie falsch diejenigen liegen, die uns erzählen wollen, Freundschaft sei nur unter Gleichgestellten möglich.

Freunde, Gönner, Patrone und Klienten

Ist ein unerfahrener junger Mann, der von einem älteren Politiker unter die Fittiche genommen wird (ob in Rom oder einem spanischen Landstädtchen), denn gleich stark oder angesehen wie dieser? Natürlich nicht, sonst könnte dieser ihn nicht fördern. Und ohne die gegenseitige Verbindung von Stärkeren und Schwächeren müsste unsere Ordnung zerplatzen wie schlecht gekneteter Ton im Brennofen. Nichts könnte wohltätiger sein, als wenn ein Mächtigerer als Patron für viele auftritt, die unter ihm stehen, aber als seine Klienten dennoch mit ihm verbunden sind. Der Patron schützt die Klienten vor Gericht und gegen die Irrtümer anderer wichtiger Männer, er beschenkt sie vielleicht und nennt sie großmütig seine Freunde; dafür ehren die Klienten ihn, indem sie ihm jeden Morgen ihre Aufwartung machen, befolgen seine Befehle, erfüllen seine Wünsche und stehen ihm wie einem Vater zur Verfügung, wenn seine Ehre oder gar sein Leben bedroht ist.

Dabei ist der Patron seinerseits vielleicht wiederum der Klient eines noch angeseheneren Patrons – und so geht die Kette hinauf über die Ratsherren und römischen Ritter bis zu den hochberühmten Mitgliedern des Senatorenstandes. Natürlich sind sie niemandes Klienten; der Kaiser sieht sie einfach gern täglich zur Morgenaudienz, weil sie alle seine Freunde sind, und lässt sie nach und nach in mehreren Gruppen zu sich, ehe sie dann in ihre Häuser zurückkehren und dort ihre Klienten empfangen. Und daran, dass all die wichtigsten Männer des Imperiums Freunde, engere Freunde oder besonders enge Freunde des Kaisers sind, zeigt sich äußerst gut, dass er von allen der beste, ruhmreichste und angesehenste Mann ist, der Maßstab für das Ansehen und die Stellung aller anderen.

Gefallen und Gegengefallen

Freunde tun sich gegenseitig Gefallen, dafür sind sie ja da. Eine Liebe ist der anderen wert. Das ist nicht zu verwechseln mit den Diensten, die ein Freigelassener seinem früheren Herrn schuldet, der jetzt sein Patron ist, oder mit den gesetzlichen Pflichten eines Bürgers (auch wenn wir Gesetzespflicht und Gefälligkeiten gern gleichermaßen als officium bezeichnen). Ein Gefallen ist auch kein Geschäft, bei dem irgendeine Ware gegen eine andere getauscht würde. Man tut, sagt oder gibt einfach etwas Hilfreiches und kann darauf rechnen, dass dafür irgendwann in der Zukunft etwas anders Hilfreiches getan, gesagt oder gegeben wird, an uns selbst oder an jemand anderen. Und zusätzlich bekommt man dafür die Freude und Dankbarkeit des Empfängers unseres Gefallens. Wenn er uns einen anderen dafür tut (oder wir ihn darum bitten, uns einen zu tun), freut er sich bestimmt noch einmal; ja er wird hoffen, dass das nicht der letzte Austausch von Gefälligkeiten war – und er wäre tief betrübt, sogar beunruhigt, uns einen Wunsch nicht erfüllen zu können. Deswegen muss unsere Erwartung natürlich so dosiert sein, dass sie sich prinzipiell erfüllen lässt … Dass man es schuldig ist, diesen Gefallen in aller Freiwilligkeit zurückzuerweisen, wenn man kann, versteht sich.

Für die Zeit zwischen Gefallen und Gegengefallen – oder zwischen vielen kleinen Gegengefallen für einen großen – gibt es keine festen Regeln; die Erinnerung daran sollte natürlich nicht verblassen (wenn doch, müssen Sie sie beim Einfordern durch einen zarten bis expliziten Hinweis auffrischen; auch höfliche kleine Geschenke mit begrenztem Wert sind ein gutes Mittel, natürlich vorwiegend von der Seite, die noch etwas auszugleichen hat). Eine sehr schöne Möglichkeit besteht übrigens in folgendem Vorgehen: Sie bitten jemanden um etwas, warten dann, bis Sie die Zusage bekommen, erklären daraufhin aber aus Großmut entweder, dass Ihnen die bloße Bereitschaft schon Anerkennung genug ist, oder Sie bitten nun, einer Person Ihrer Wahl statt Ihnen selbst diesen Gefallen zu erweisen. Das ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, um beispielsweise Ihre Klienten zu fördern, indem Sie Ihren Patron um kleine Posten und Ehren bitten, oder um einen Gefallen aus Ihrer einen Freundschaft in Ihre andere fließen zu lassen: dann geht die Ihnen mit besten Grüßen Ihres Freundes zugedachte Mastgans gleich zu Ihrem anderen Freund weiter und Sie bedanken sich dennoch so herzlich und aufrichtig, als hätten Sie selbst den Braten gerochen.

Nichts ist ehrenvoller, als wenn eine wichtige Person uns das Versprechen abnimmt, ihr demnächst einen Gefallen zu tun, und ihn einstweilen nicht nennt. Damit zeigt der Mächtigere sein Vertrauen, dass er sich auf unsere Hilfsbereitschaft und Diskretion blind verlassen kann, und verspricht sozusagen seinerseits, den Gefallen zwar überraschend, aber nicht unerfüllbar zu gestalten. Das ist fast schon die Errichtung einer dauerhaften Freundschaft zu uns, die noch sehr nützlich sein kann. Wir dürfen dann zurückversprechen, dass er jeden Wunsch äußern darf (im Vertrauen, dass er nicht jeden Wunsch äußern wird).

Umgekehrt dürfen wir ein nebenher gemachtes halbes Versprechen, das keine direkte und bewusste Gefälligkeit ist, auch nicht zu schwer wiegen lassen; das würde unsere Freundschaften gefährden. Der bekannteste Fall betrifft Sie selbst, wenn Sie auf Reisen sind; man hat von den durchreisenden Freunden eines Freundes so oft den Satz gehört: »Besucht uns doch unbedingt, wenn ihr mal in unserer Nähe seid!« Nur selten ist das eine Aufforderung, sich mit vier Wagen voller Reisender auf mehrere Wochen einzuquartieren, und nur ein grausamer Mensch wird auf das hilflose Erstaunen der Überfallenen antworten: »Aber du hast damals gesagt …« Gefällig klingende Versprechen zu machen, die unser Ohr erfreuen, ohne den Versprechenden allzu eng zu binden, ist eine angenehme Umgangsform unter kultivierten Menschen, und wer ihre Einlösung verlangt, ein Barbar – eine freundliche verbale Geste ist ja nicht dasselbe wie eine feierliche Rechtsformel vor dem Praetor, um einen Prozess einzuleiten!

Auch »Ich komme jederzeit leicht an Eintrittsmarken für den Circus Maximus, du brauchst nur etwas zu sagen« ist noch kein bindendes Versprechen, sie einem zu besorgen, sondern soll eher unsere Bewunderung wecken. Es ist völlig legitim, auf eine solche Bemerkung flüchtig zu äußern, wie schön das sein müsse, die Hand voller Tesserae für einen der großen Spieltage zu haben; die korrekte Antwort ist eine ebenso flüchtige Zusage wie »Ja klar, die paar Märkchen – das mache ich bestimmt, ganz sicher!«. Gehen Sie beruhigt davon aus, dass der Dialog damit korrekt abgeschlossen ist. Im Fall eines erfreulichen Missverständnisses, das Ihnen tatsächlich die Marken verschafft, können Sie sich dann immer noch freuen und aus vollem Herzen versichern: »Ich habe immer gewusst, dass du ein Mann deines Wortes bist und man sich ohne die Spur eines Zweifels auf dich verlassen kann!« Halten Sie es bei verfänglichen Bitten und Ihrer Reaktion darauf vorzugsweise mit diesen Kategorien, wenn Sie nicht wissen, welchen Ärger Sie sich einhandeln könnten.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein paar Worte über den Empfehlungsbrief verlieren. Ein klassischer Fall: Einer Ihrer Verwandten reist auf längere Zeit in eine unbekannte Stadt oder Sie selbst spekulieren auf ein schmuckes Ehrenamt. Ihr Gönner kann den Verwandten in ein paar Privathäuser und/oder Geschäfte empfehlen, um ihm die Türen zu öffnen, bzw. kann Ihnen entweder direkt zu dem Amt verhelfen oder aber (sei es schriftlich, sei es mündlich) an der richtigen Stelle fallen lassen, wie sehr er Sie für geeignet hält. Sprich: Er ist bereit, ein Partikelchen seines Einflusses geltend zu machen, selbst auf die Gefahr hin, dass derjenige, der über das Amt verfügt, seinerseits irgendwann eine kleine Gegengefälligkeit einfordert.

Ohne Empfehlungen könnten wir alle gar nicht leben. Kein kleiner Sekretärsposten in einer Verwaltungsstelle, keine Funktion in der Legion, die vom Latrinenschrubben befreit, wird ohne sie besetzt. Das bedeutet natürlich auch, dass die Empfehlung ihre Spielregeln hat, und deswegen will sie mit größter Genauigkeit gelesen oder angehört sein. Und zweitens bedeutet es, dass die Macht der Empfehlung immer begrenzt ist, selten absolut (dann käme sie geradewegs aus dem Kaiserpalast oder von annähernd ähnlich illustrer Stelle). Es ist hart, ja fast schon ein feindseliger Akt, die Bitte um eine Empfehlung abzuschlagen – folglich werden außer leuchtenden und dringenden Empfehlungen auch lauwarme und gleichgültige geschrieben, die weder sich noch dem Adressaten viel vom Empfohlenen versprechen. Das hilft beim Sortieren all der Briefstapel und Wortgebirge. »Ich würde es als große Vergünstigung mir gegenüber ansehen, wenn …« ist besser als »Sein verstorbener Vater hätte sich bestimmt gefreut, falls …«, aber gut ist es immer noch nicht.

Als Schreib- und Lesehilfe empfehlen wir die Klassiker. Haben wir nicht aus Ciceros literarischem Nachlass ein ganzes Briefbuch nur mit Empfehlungsschreiben? Auch die gut publizierten Briefe des weltklugen Plinius enthalten ausgezeichnete Muster dieser Gattung. Achten Sie einfach darauf, wann er persönliche Qualitäten des Empfohlenen lobt und wann er lediglich begrüßt, was für ein großer Plinius-Verehrer dieser ist, und schon sind Sie einen Schritt weiter.