Claudia Tülp

Biltong zum Frühstück

Roman

Einleitung

Jette ist noch nie aus Deutschland rausgekommen und lebt ein ganz normales Leben in ihrer Kleinstadt. Sie lernt an einem Abend eine Gruppe junger Menschen kennen, die von einem anderen Kontinent kommen, aus einem Land namens Namibia. Für Jette eher ein Scherz, aber die Wirklichkeit holt sie dann schnell wieder ein und sie verliebt sich in Ringo aus dieser Gruppe. Sie fliegt mit ihrer neuen Liebe in seine Heimat und erlebt dort viel Hass und Ignoranz. Aber durch Ringo lernt sie auch eine junge Frau kennen, die ihr Leben auf den Kopf stellt. Es entsteht eine wunderbare Freundschaft zwischen diesen beiden Frauen und diese Freundschaft sorgt auch dafür, dass Jette alles in Deutschland hinwirft und in Namibia ein neues Leben beginnt. Sie wird immer wieder begleitet von ihrer ersten großen Liebe, der sie belogen und betrogen hat. Doch in ihrem großen Schmerz lernt sie einen jungen Farmer kennen. Der zeigt ihr, dass man dieses Land lieben muss. Sie verliebt sich auf ein Neues, doch die alte Liebe bleibt hartnäckig in ihrem Leben.

Ein Buch über die Liebe in einem schwierigen Land als Frau in einem traumhaften Afrika.

Deutschland

„So ein Mist! Schon wieder diese Tür!“ Jeden Tag blieb Jette mit dem Ärmel an der Haustür hängen. Gerade an diesem Morgen, an dem der Kaffee schon nicht schmeckte und die Sonne sich hinter den Wolken aufhielt. Sie verschloss die Haustür und überlegte, ob sie das kurze Stück zum Büro nicht mit dem Fahrrad fahren sollte. Ein Blick in den Himmel und sie entschied sich. „Ich fahre mit dem Auto!“ Der Weg ist keine fünf Minuten lang, aber warum sich anstrengen. Sie fuhr in ihrem Kleinwagen los und stand auch schon an der ersten roten Ampel. Jette hatte mit ihren 25 Jahren einen Bürojob und verdiente gerade so viel, wie sie zum Leben benötigte. Eine Mietswohnung, ein eigenes Auto und etwas zum Leben. Bereits nach kurzer Zeit stand sie vor dem Bürogebäude. „Na typisch, kein Parkplatz!“ Sie fuhr eine Runde um das Gebäude und fing wieder an zu fluchen. Zweite Runde und noch immer nichts. Wäre ich bloß mit dem Fahrrad gefahren, dachte sie! Dieser Tag fing ja nun wirklich gut an! Endlich fuhr ein älterer Herr mit Hut aus einer Parklücke. Zumindest versuchte er es. Sie setze den Blinker und wartete. Ein Panzer hätte dort herausfahren können!

Der Tag zog sich dahin und zum Feierabend regnete es schon wieder. Jette war nun doch froh, in ihr Auto einsteigen zu können, statt auf dem Fahrrad nass zu werden. Zu Hause hatte sie dann zwei Anrufe auf dem Anrufbeantworter, aber Jette wollte erst einmal ihre Sachen loswerden und es sich dann auf dem Sofa bequem machen, als das Telefon erneut klingelte. „Ja?“ „Man hast Du eine Laune“, schepperte es ihr entgegen. Jettes beste Freundin Susanne rief leider meistens zum falschen Zeitpunkt an oder sie ahnte einfach die schlechte Stimmung von ihr. Jette erzählte ihr von dem Tag.“ „Du jammerst auf sehr hohem Niveau.“ Bemerkte Susi. Ha! Ich? Nicht schon wieder eine Predigt, ärgerte sich Jette, aber Susi ließ nicht ab. „Jetzt zieh dir mal etwas Nettes an und wir gehen aus. Das Wochenende stand kurz bevor und Jette hatte heute echt keine Lust darauf sich irgendwo hin zu setzen und sich von fremden Menschen anquatschen zu lassen. Wie es immer so ist, ließ sich Susi nicht davon abbringen und sie machten einen Treffpunkt aus. Jette nahm die Fernbedienung von dem Fernseher und schaltete durch die Programme. Immer nur Berichte über andere Kulturen oder Sendungen über Krankheiten. Sie wollte Spaß oder dumpfe Unterhaltung. Sie blieb auf einem Kanal, der gerade über die Townships in Südafrika berichtete. Die Armen! Aber was hätte sie von hier aus tuen sollen. Sie machte den Fernseher wieder aus und ging in das Badezimmer. Sie hatte noch nie ihrem Leben Urlaub im Ausland gemacht. Was heißt hier Ausland? Sie hatte es vielleicht gerade 300 Kilometer weit geschafft und wenn andere etwas von ihrem Skiurlaub oder Mittelmeerurlaub erzählten, dachte sie an Höhenangst und Sonnenallergie. Nein danke, sie blieb lieber hier in ihrem gewohnten Bereich, dachte sie für sich.

Am nächsten Morgen tat Jette nicht nur der Kopf weh, sondern auch die Füße. Sie war abends nach Hause gelaufen, da der letzte Bus schon weg war. Aus Frust legte sie die ganze Strecke zu Fuß zurück und das in ihren neuen Schuhen. Blasen an den Füßen und Kopfschmerzen vom billigen Wein. Immer dasselbe. Wenn sie nur zu Hause geblieben wäre. Sie musste nun aber los, sie war schon sehr spät dran. Sie wollte gerade die Haustür zuziehen, als sie mit dem Ärmel wieder hängen blieb. Fahrrad oder Auto? Nennt man das nicht Dejavu? Bin ich schon in dem Alter, wo sich nichts mehr verändert, dachte sie?

An diesem Freitagabend ging Jette mit Susi in ihre Stammdiskothek. Wie immer standen sie an dem kleinen runden Tisch in der Ecke, als ein junger Mann ihnen einen Drink hinstellte und ihnen zuprostete. „Cheers!“ Jette griff zum Glas und sagte „Prost!“ Ein Freund von ihm stellte sich dazu und gemeinsam hatten sie sie eine Menge Spaß zusammen an diesem Abend. Irgendwann fiel das Wort Namibia. Jette musste sehr unglaubwürdig geguckt haben und Susi fragte sofort nach. „Wo liegt das?“ „Das liegt zwischen Angola und Südafrika und wir leben dort.“ Ja, klar. Sie leben dort und kommen jedes Wochenende hier in die Diskothek! So ein Blödsinn hatten sie schon lange nicht mehr gehört. Sie wendeten sich ab und Jette zeigte den Beiden noch einen Vogel. Auf einmal lag ein Reisepass vor ihr. Da stand tatsächlich Namibia. Jette dachte das in Afrika alle Menschen eine dunkle Hautfarbe hätten. Aber hier standen zwei blonde Typen, die überhaupt nicht afrikanisch aussahen und auch nicht so sprachen. Zu viert hatten sie dann noch einen tollen Abend und bevor die beiden Frauen nach Hause gingen, tauschten sie gegenseitig die Telefonnummern aus.

Am nächsten Morgen wachte sie auf und dachte an die beiden Männer vom gestrigen Abend. Es war schwer zu glauben, dass sie wirklich von dem schwarzen Kontinent kamen. Es ist doch schon merkwürdig, dass sie gerade diese beiden hier in ihrer Kleinstadt traf. Jette hatte noch einen alten Weltatlas zu Hause liegen und schlug die Seiten mit dem afrikanischen Kontinent auf. Tatsächlich, da gab es ein Land mit dem Namen Namibia. Gar nicht mal so klein. Deutschland konnte sich da drin ein paar Mal verstecken. Gab es noch ein Leben außerhalb ihres Horizonts, lachte sie. Sie machte sich erst einmal einen Kaffee und überlegte, was sie noch unternehmen sollte. Da klingelte das Telefon. „Jette hier“, meldete sie sich. Sie hatte sich den Nachnahmen abgewöhnt. Erstens ging es niemanden etwas an und zweitens klang es einfach besser. „Hey! Hier ist Ringo. Wir haben uns gestern kennengelernt.“ Oh man, sie war sprachlos. Das ging aber schnell. „Wir machen heute ein afrikanisches Braai und wollten dich und Susi dazu einladen. Wäre mooi, wenn ihr um 15 Uhr am Beach seid.“ „Ähm ja, vielleicht aber was ist mö und brei?“ Ringo lachte. „Sorry, das heißt mooi und bedeutet schön und Braai ist eine Art von Grillen nur wir grillen das Fleisch direkt auf Holz und wir haben etwas anderes Fleisch dabei, als ihr es gewohnt seid.“ Gut, aber sie musste erst mit Susi sprechen. Außerdem wollte sie auf keinen Fall alleine dorthin. Was wusste sie schon von einem afrikanischen Braai? Jette rief ihre Freundin an und sie war natürlich Feuer und Flamme für die Aktion. Somit war der Tag schnell verplant und sie ließ sich mit einem unguten Gefühl überraschen.

Sie kamen zum Beach. Ein Lokal etwas außerhalb der Innenstadt an einem kleinen See. Jette liebte die Menschen dort. Alle waren so entspannt. Sie zog gleich ihre Schuhe aus und ging Barfuß durch den herrlich weißen Sand. An den ersten Tischen saßen Familien mit kleinen Kindern, die freudig im Sand buddelten. Ein paar Tische weiter saß eine Ausflugsgruppe, die mit ihren Fahrrädern eine Pause einlegten. Rechts neben den Liegen sah sie ein Feuer. Das musste es sein. Dort saß eine kleine Gruppe von Menschen, die lachten und miteinander sangen. Sie gingen auf die Gruppe zu und schon winkte Ringo sie zu sich. Jette hatte ihre kurze Jeans an und einfach nur ein T-Shirt und setzte sich in den Sand. Susi hatte da schon mehr Probleme. Mit kurzem Rock und der Bluse war es nicht so einfach, es sich bequem zu machen. Sie drängelte sich zwischen zwei Typen, die auf einen Baumstamm saßen und machte es sich gemütlich. Jette musste grinsen, da diese beiden sie ziemlich verdutzt anstarrten. Das bewunderte Jette an ihrer Freundin. Sie passte sich jeder Situation an. Ringo gab Jette ein Bier. Sie hasste Bier. Wie konnte man nur dieses Zeug trinken. „Du entschuldige bitte, aber ich trinke kein Bier.“ „Wie keinen Alkohol?“, fragte er ungläubig. „Doch, aber kein Bier. Ich gehe eben zur Bar und hole mir einen Longdrink.“ Sie stand auf und lief los. Was sollte sie hier, dachte sie auf den Weg zur Bar. Ist dieser Mann etwas für mich? Er war ganz nett, aber sie wollte sich auf gar keinen Fall mit einem Afrikaner einlassen. Sie schaute die Menschen an der Bar an, die sich dort unterhielten und zusammen lachten. Das konnte sie den ganzen Tag machen. Einfach nur sitzen und gucken. Sie bestellte sich einen Rum mit Cola. Viel zu früh für Alkohol, aber sie musste lockerer werden in dieser Gruppe. Langsam schlenderte sie zurück und hörte schon vom weitem, wie Susi sich amüsierte. Sie war so ungezwungen und konnte mit jedem ein Gespräch beginnen. Außerdem war sie blond. Ja, Jette hatte mit ihren roten Haaren immer etwas mehr Probleme und die Haut war weiß und mit Sommersprossen übersät. So sehr sie die Sonne liebte, sie verbrannte ihre Haut gnadenlos. Sie setzte sich wieder zu der Gruppe und das erste Fleisch lag auf dem Feuer. Ringo erklärte ihr, dass in Namibia viel Rind und Wild gegessen wird und kaum Schwein. Es wurde Boerewurst und Springbock ins Feuer gelegt. Boerewurst ist eine Bratwurst der Buren in Südafrika erklärte man ihr. Sie enthält andere Zutaten als die deutsche Wurst wie Lamm und Koriander. Ringo gab ihr ein großes Stück und stellte seine Freunde vor. „Da drüben sitzt Daniel. Der hat das ganze Fleisch organisiert. Er macht in Deutschland eine Ausbildung zum Metzger und da hat er irgendwelche Kontakte.“ „Kommen hier alle aus Namibia?“ fragte sie. „Nein, nur Daniel mit seiner Freundin Melly, Mark, Tom und ich.“ „Aber was macht ihr in Deutschland?“ Jetzt wollte sie es wissen. „Wir sind alle Deutsche mit dauerhaftem Aufenthalt in Namibia. Da es bei uns keine anständigen Ausbildungsberufe gibt, kommen wir hier her. Wir leben bei unseren Verwandten und machen unsere Ausbildung. Danach gehen fast alle zurück. Einige versuchen ihr Glück noch in England, aber wir werden in Europa nicht glücklich. Das Wetter ist zu nass und die Menschen sind etwas zu ernst.“ „Was heißt hier zu ernst?“ fragte sie. Er schaute ihr ins Gesicht und lächelte. “Du warst doch bestimmt schon mal im Süden. Dort ist die Lebensphilosophie eine andere.“ Nein, dachte sie. Ich war noch nie im Süden und kann auch nicht verstehen was du meinst. Sie sprach es aber nicht aus. Zum Glück kam gerade ein Teller mit Fleisch. Sie probierte erst nur ein kleines Stück von der Wurst. Jette fand sie etwas ungewöhnlich, aber sie schmeckte gut und erst das Springbockfleisch. So zart und lecker. Sie war total begeistert. Dazu gab es Knoblauchbrot. Was auch gut war, denn es kamen die ersten Mücken. Alle saßen dicht zusammen und Jette und Susi hörten immer wieder Wörter, die sie nie zuvor gehört hatten. Die Namibianer sprachen eine Mischung aus Deutsch und Afrikaans, wo sie hin und wieder Schwierigkeiten hatte etwas zu verstehen. Es ging aber sehr lustig zu und als alle aufbrachen, fragte Susi Ringo, was er an Geld dafür bekam. „Nein, ihr seid unsere Gäste und damit eingeladen.“

Alle schlenderten in Richtung Parkplatz, wo Daniel sein Auto parkte. Es wurden die Restbestände eingeladen und die gefüllte Mülltüte. Susi schrie. “Iiihh, konntet ihr den Müll nicht dort lassen!“ „Nein, konnten wir nicht“, antwortete Daniel genervt. „So typisch deutsch. Das können doch andere weg machen“, sprach er mit piepsiger Stimme und Susi war es sichtlich peinlich, dass er so reagierte. Melly, die Freundin von Daniel erklärte ihr. „In Namibia gehen wir fast täglich zum Braai und jeder nimmt seinen Müll wieder mit. In der Wüste gibt es keine Müllabfuhr. Ihr Europäer seid so verwöhnt!“ Das saß. Ihr Europäer! Ich bin Deutsche und fühle mich nun nicht gerade wie ein Europäer, ärgerte sich Jette. Sie versuchte sich nicht einzumischen, obwohl ihr ein blöder Spruch auf der Zunge lag. Ringo rettete die Auseinandersetzung, indem er Susi und Jette einhakte. „Meine Damen, ich bringe euch jetzt nach Hause, da es schon dunkel wird und die Straßen hier sind auch nicht mehr so sicher wie alle es immer sagen.“ Er blinzelte Jette zu und sie merkte erst jetzt, dass die Dämmerung schon angebrochen war. Es war so herrliche Luft, dass sie Lust hatte nach Hause zu schlendern und dabei mehr von diesem außergewöhnlichen Mann zu erfahren. Die drei gingen los und Ringo hakte sich tatsächlich bei den beiden unter. Sie lachten und Susi hatte die andere Sache mit dem Müll schon wieder vergessen, als ihr Handy klingelte. Sie blieb stehen, sprach ruhig in ihr Telefon und beendete das Gespräch. „Ich werde gleich abgeholt“, sage sie zu Jette. Oh nein! Nicht wieder von ihm. Als ob sie die Gedanken der Freundin lesen konnte meinte sie nur. „Ja, von dem, den du nicht magst.“ Es war nicht Jette ihr Problem, aber sie wusste, dass sie sich das Gejammer wieder anhören konnte, wenn Frank sie wieder mal versetzte. Dieser Mann war verheiratet und Susi kam nicht von ihm los. Was mochte sie nur an diesem Menschen, der andere so hintergeht und ihnen weh tut, aber es war nicht Jette ihr Problem. Ringo und Jette gingen alleine weiter und sie war so froh, dass er keine Fragen stellte. Sie hatte sowieso das Gefühl, das er anders erzogen wurde als die Männer, die sie bisher so kennengelernt hatte. Er nahm ihre Hand und beide gingen Hand in Hand weiter. „Sag einmal, was lernst du hier“, fragte Jette. Ringo schaute in den Himmel. „Bei uns kann ich die Milchstraße sehen und viele andere Sterne. Das vermisse ich hier. Deutschland ist einfach viel zu hell.“ Sie schauten beide hoch und Jette fand, dass es einen herrlichen Sternenhimmel zu sehen gab. Er schaute sie an und antwortete dann doch sehr ausführlich auf ihre Frage. „Ich lebe seit fast einem Jahr bei meiner Tante. Ich wollte nicht nach Deutschland, aber meine Familie musste mich wegschicken, weil ich nur Partys im Kopf hatte. Nun mache ich eine Ausbildung zum Klempner. Das liegt mir gar nicht, aber der Schwager meiner Tante hat ein eigenes Geschäft und da haben sie mich reingesteckt. Ich werde das nicht schaffen. Wenn ich schon Rohre sehe, drehe ich durch.“ Sogar Menschen von einem anderen Kontinent, haben die gleichen Probleme wie wir, dachte Jette nachdenklich. Ich fliege zu Weinachten nach Hause und werde dann mit meinem Vater sprechen. Er finanziert mir hier mein Leben und er sollte wissen, wie ich mich fühle.“ Ringo schaute auf den Boden und ging in Gedanken weiter. Weihnachten… Das ist erst in vier Monaten. Jette empfand es als verschwendete Zeit noch so lange zu warten. „Warum rufst du ihn nicht an und klärst das?“ „Nein, nicht bei meinem Vater! Er hat dafür kein Ohr. Weihnachten ist die Familie zusammen und sein Unternehmen hat dann auch Urlaub und da passt es einfach besser. Zwischen Weihnachten und Neujahr fahren bei uns sehr viele Menschen an die Küste. Im Inland ist es einfach zu heiß und somit auch nichts los. Die meisten Geschäfte machen Urlaub.“ „Wieso heiß? Wir frieren uns hier den Hintern ab und ihr schwitzt?“ „Ja, wir haben genau das gegenteilige Klima von euch. Naja und Herbst und Frühjahr ist auch nicht dasselbe. Wir haben keine Laubbäume die alles verlieren und Blumen die im Frühjahr überall zu sehen sind, sind auch Mangelware.“ Sie schaute Ringo an. Sein Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst oder täuschte es? Dieser Mann machte sie neugierig. Nicht nur auf ihn, sondern auch auf das Land, dem sie noch nie Beachtung in ihrem kleinen Leben geschenkt hatte. Beide gingen einige Zeit schweigend nebeneinander her. Plötzlich blieb Ringo stehen und schaute sie an. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und küsste zärtlich ihre Lippen. Ein warmer Schauer lief durch ihren Körper und im Bauch tanzten Schmetterlinge. Sie hatte sich verliebt! In einen Menschen, den sie gar nicht kannte und den sie hier nicht lieben konnte. Wer weiß, ob er nach dem Gespräch zu Hause wieder nach Deutschland kam. Sie gingen weiter und als ein Taxi vorbeifuhr, hielt Ringo es an und sie fuhren zu Jette. Vor der Haustür küsste er sie kurz auf die Wange. „Ich rufe dich an.“ Und er fuhr in dem Taxi wieder davon. Jette schaute ihm noch hinterher und spürte ein leichtes kribbeln in ihrem Magen.

Irgendwo in Namibia

Auf einen anderen Kontinent, ca. 10.000 Kilometer entfernt von Jette, saß ein kleines Mädchen im Garten auf der Farm und spielte mit einem kleinen Welpen, der gerade mal laufen konnte. Die Nanni war im Haus und bereitete gerade das Abendessen vor, als sie einen Schrei hörte. Sie rannte in den Garten und sah, wie ein Honigdachs um das Kind herumschlich und es anknurrte. Der Welpe lag neben dem Kind und blutete. Er war bereits Tod, als die Nanni sich zwischen dem Kind und dem Honigdachs stellte. Der Honigdachs überlegte nicht lange und griff an. Er erwischte das Kind nur leicht am Bein, bevor die Nanni es hochriss. Sie rannte los, auf das Haus zu, als das Tier wieder angriff. Diesmal biss es in ihre rechte Wade. Sie schrie und hielt das Kind weiterhin hoch. Doch der Honigdachs ließ nicht locker. Er griff wieder an und die Nanni fiel. Das Kind an ihre Brust gedrückt, blieb sie liegen und wartete was passiert. Sie spürte den Schmerz in der Wade und Tränen liefen in den heißen Sand. Plötzlich fiel ein Schuss! Das Tier erschrak, rannte über das Grundstück in die Büsche und war weg. Die Nanni drehte sich zitternd um und sah wie Core mit dem Gewehr ihres Vaters vom Parkplatz kam. „Lidia! Alles gut mit dir und der Kleinen? Er ist weg. Du kannst hochkommen!“ „Core, ich bin so froh, dass du da bist!“ Lidia stand humpelnd auf und gab Core ihr die kleine Schwester. „Wir müssen zum Arzt! Die Bisswunden müssen behandelt werden!“ Die Nanni schüttelte den Kopf. „Nein keinen Doktor. Das ist zu teuer.“ „Was soll das! Wir fahren jetzt zum alten Morris. Der kennt sich mit diesen Verletzungen aus.“ Core legte ihre Schwester auf die Rückbank und küsste sie. Sie weinte still vor sich hin, da sie noch unter Schock stand. Die Nanni rutschte daneben und drücke ihr Halstuch gegen die Wunde der Kleinen, während ihr eigenes Blut das Bein herunterlief.

Was hätte Core jetzt für einen Handyempfang gegeben! Leider hatten sie hier auf der Farm keinen Empfang und es war auch keine Zeit mehr um noch in das Haus zu gehen zum Festnetz. Sie musste jetzt sehr schnell zum alten Morris. Er war hier im Umkreis der einzige Arzt und nach Windhoek war es einfach zu weit. Gute zwei Stunden und das über Nebenstraßen. Sie sprang hinter das Lenkrad und gab Gas. Keine 15 Minuten später, mit einer Vollbremsung vor der Haustür des Arztes, rannte sie raus und nahm ihre kleine Schwester Amelie aus dem Auto und lief zur Tür. Dr. Morris hatte die Vollbremsung gehört und öffnete schon die Tür. „Hallo Core, was ist passiert?“ „Ein Honigdachs hat Amelie angegriffen. Ich habe Angst, dass etwas in der Wunde ist.“ „Lege sie hier hin. Ich schaue mir das einmal an.“ Lidia kam auch langsam reingehumpelt, sagte aber nichts. „Diese verdammten Viecher.“ Er untersuchte das Bein von Amelie und gab der Kleinen ein leichtes Schmerzmittel. Er reinigte die Wunde und verband das Bein. „Sie hat Glück gehabt. Das Tier hat sie nur leicht gestreift.“ Er blickte auf die Nanni. „Was ist mit ihr?“ Er brauchte keine weiteren Fragen, als er sah, wie das Blut am Bein runter lief. „Oh Gott! Das sieht schlimm aus. Das Tier hat sie mit voller Kraft erwischt. Sie muss in die nächste Stadt nach Windhoek in das Krankenhaus. Ich kann bis auf die Knochen schauen.“ „Nein Core! Ich nicht gehen in das Hospital der Weißen!“ „Beruhige dich. Ich kann dich auch nach Katutura bringen. Du weißt aber, dass du dort sehr lange warten musst.“ „Nein! Ich gehe nicht dahin! Ich muss unsere Medizin nehmen.“ „Bitte Lidia, werde doch vernünftig! Das muss genäht werden und nicht mit Hokuspokus behandelt“, schrie Core fast. Aber Lidia war nicht davon abzubringen. Sie hatte Angst vor den Geistern der Weißen. Immerhin nahm sie einen Verband von Dr. Morris entgegen und wickelte ihn im Auto um ihr Bein. Core konnte sie nicht überzeugen. Sie wollte nur noch nach Hause. Lidias Hütte war in der Nähe und Core brachte sie nach Hause. Es war nicht üblich, dass die Angestellten nach Hause gebracht wurden und deshalb kamen aus den anderen Hütten die ganzen Familien. Lidia ihr Mann kam zum Auto und öffnete die Tür. Er sah die rote Bandage und fing an in ihrer Stammessprache auf Lidia einzureden. Core konnte nichts tun. Sie wollte schnell nach Hause und ihre kleine Schwester ins Bett legen und einen Rooibuschtee mit ihrer Mutter trinken. Lidia humpelte, gestützt von ihrem Mann, in ihre Hütte. Dahinter ging der Medizinmann mit seinem Beutel. Core setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr nach Hause.

Schon als sie auf der langen Einfahrt zur Farm entlangfuhr, kam ihr Vater ihr entgegen. Mit einer großen Taschenlampe leuchtete er in das Auto. Die Nacht war sehr schnell gekommen und man sah ohne Licht nichts mehr. „Was ist passiert? Wir sind nach Hause gekommen und haben unseren kleinen Welpen hier liegen sehen. War das wieder ein Honigdachs?“ Core hielt an und schon sah sie ihre Mutter. Sie kam so schnell angelaufen, dass sie den kleinen Durchgang zum Parkplatz übersah und gegen den großen Stein lief, der dort lag. „Aua! Was ist mit Amelie!“ „Mama, beruhige dich. Sie schläft hinten auf der Rücksitzbank. Sie hat nicht viel abbekommen, bei Lidia sieht das schon anders aus.“ Cores Mutter Klara nahm vorsichtig ihre Kleinste aus dem Auto und brachte sie ins Haus. Core erzählte alles ihrem Vater, während sie zum Haus gingen. „Dann muss ich morgen zu Lidia hin. Es kann nicht sein, dass sie sich wieder mal auf diesen Medizinmann verlässt. Das ging letztes Mal schon fast schief, als sie Malaria hatte.“ Cores Vater war sehr aufgewühlt. Er konnte nicht verstehen, dass sie sich schon wieder in die Obhut ihrer Familie begibt, um solche Bisswunden zu heilen. Wenn er Lidia damals nicht mit Gewalt in das Krankenhaus von Windhoek gebracht hätte, wäre sie an Malaria gestorben. Es hatte sie sehr schlimm erwischt und die Kräuter des Medizinmannes halfen ihr nicht. „Ich fahre hin, wenn es hell wird.“ Das war gerade beschlossen und das brauchte auch niemand mehr mit Ludwig diskutieren.

Am frühen Morgen wurde Core vom Schreien der Zebras wach. Diese Tiere konnten aber auch laut sein. Sie kroch aus dem Bett, durch ihr Moskitonetz und roch schon den Kaffee aus der Küche. Ihre Eltern waren schon auf. Sie zog sich einen Pullover über und ging nach draußen um die kühle Morgenluft einzuatmen. Wie herrlich es war. Core setzte sich auf den Stuhl vor dem Haus und genoss die Ruhe. Ihre Mutter kam mit einem Kaffee raus und setze sich zu ihr. „Guten Morgen mein Schatz. Hast du gut geschlafen, nach der ganzen gestrigen Aufregung?“ Sie gab ihr den heißen Becher. „Danke Mom. Ja, ich habe geschlafen wie ein Stein. Ich musste nur noch einmal aufstehen und das Moskitonetz über mein Bett hängen. Die Moskitos sind schon wieder unterwegs. Das heißt, es wird wieder wärmer.“ „Amelie geht es wieder besser. Sie hat die Nacht auch durchgeschlafen. Dann brauche ich nicht mehr mit ihr nach Windhoek“, meinte ihre Mutter. „Ach, ist Papa schon losgefahren?“ Sie wusste, dass er mit den ersten Sonnenstrahlen aufsteht und bestimmt auch schon auf den Weg nach Windhoek mit Lidia war. „Ja, dein Vater ist schon um 6 Uhr losgefahren. Wenn alles gut geht, ist er um 8: 30 Uhr im Krankenhaus in Windhoek mit Lidia.“ „Wenn sie mitgeht“, lachte Core. Sie gingen Beide in die Küche, wo der kleine Ofen brannte. Es war noch Winter und die Temperaturen waren um die Zeit erst um die 5 Grad.

Nach einem gemütlichen Frühstück kam auch Sonja zum Arbeiten. Sie war das Hausmädchen auf der Farm. Sie gehörte zur Familie von Lidia. Die Familie lebte hier mit auf dem Farmland und fast alle arbeiteten hier. Die Farm sicherte somit das Einkommen mehrere Familien in Namibia. „Hallo Sonja“, sagte Klara. „Hat Ludwig Lidia mit nach Windhoek bekommen?“ Sonja lachte nur. „Ja, Klara, aber das war großes Theater. Lidia hat sich fast Tod gestellt, damit sie nicht in das Auto einsteigen musste.“ Sonja war als Kind auf eine Schule in Windhoek gegangen und hatte dort Lesen und Schreiben gelernt. Ihre Familie hatte sie dann wieder auf die Farm geholt, damit sie die Familie unterstützt konnte. Sonja wollte in Windhoek bleiben, aber sie hatte nicht das Recht, dies alleine zu entscheiden. Ludwig wollte ihre Ausbildung weiterhin finanzieren, aber es war nicht möglich. Jetzt bekam sie ein kleines Gehalt, um für ihre eigene Zukunft zu sorgen. Core konnte sich gut vorstellen, was da los war! Typisch Lidia! Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

Es war Samstag und Core brauchte heute nicht zur Schule. Sie lebte in der Woche im Internat in Windhoek und fuhr nur am Wochenende und in den Ferien auf die Farm zu ihren Eltern. Es war ihr Abschlussjahr und ihr Vater erwartete, dass sie dann nach Europa ging. Das war so üblich in der Familie Benton. Ihre ältere Schwester Heike studierte auch gerade in England. Sie zog sich ihre Reitsachen an und ging in den Stall. Peppito wartete schon ganz aufgeregt. Sie sattelte ihn und ritt los. Sie ritt zu ihrem Lieblingsplatz am großen Felsvorsprung. Dort konnte sie die ganze Farm überblicken und nahm sich die Zeit um nachzudenken. An diesen Vorsprung waren alte Buschmannzeichnungen und jedes Mal, wenn sie hier war, glitt ihre Hand darüber, und sie verspürte einen Zauber. Diese Geschichte faszinierte sie. Was wollten diese Menschen mit ihren Zeichnungen sagen? Die Farm lag am Rande der roten Kalahari Wüste und deshalb hatten sie viele von diesen Zeichnungen hier. Core dachte an ihre Zukunft. Was sollte sie nur machen? Sich wie ihre Schwester mit Touristen rumärgern? Das Gemecker anhören, wenn nicht gleich fließend Wasser aus dem Hahn kam? Oder die Buschmänner hinstellen für ein Foto mit einem Touristen? Nein, das wollte sie nicht. Sie musste für sich einen anderen Weg finden.

Sie ritt wieder nach Hause. Ihre kleine Schwester rannte ihr am Stall schon entgegen. Amelie war nicht ihre richtige Schwester. Sie war die Tochter von ihrem Onkel Tom. Der hatte sich erschossen, als seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Es war erst vor zwei Jahren passiert. Tom hatte lange alleine gelebt, als er bei einem Treffen der Rinderzüchter seine zukünftige Frau kennen lernte. Sie war 15 Jahre jünger als er und sie zog sehr schnell zu ihm auf die Farm. Sie bekamen Amelie und ein Jahr später wollte Angie nur schnell zum Nachbarn als sie hinter einer Kurve in eine Rinderherde fuhr. Durch das plötzliche bremsen überschlug sie sich und war sofort Tod. Tom hatte ein halbes Jahr versucht mit dem Schmerz zu leben, aber es war zu viel. Eines Morgens hörte sein Farmarbeiter einen Schuss. Er fand ihn hinter dem großen Schuppen mit seinem Gewehr. Er hatte vorher die Farm an Amelie überschrieben und jetzt führte ein deutscher Verwalter diese, bis Amelie 18 Jahre alt war.

„Na mein Engel. Wie geht es deinem Bein? Du rennst ja schon wieder“, rief Core ihr zu. „Ja, es tut auch nicht weh. Daddy ist wieder da und Jill hat auch schon angerufen“, rief sie vergnügt. Heute Abend war die Geburtstagsfeier von Jill. Sie wohnte auf der Nachbarfarm und die Beiden gingen zusammen in das Internat. Dort traf sie alle ihre Freunde und sie freute sich schon auf diese Party. Sie gab Peppito dem Stalljungen und ging zum Farmhaus.

„Hallo Vater. Na wie war es in Windhoek? Hast Du Lidia gut versorgen lassen?“ Lächelnd stand sie ihrem Vater gegenüber. „Hör bloß auf! Diese Frau ist der einzige Horror!“ Er war sichtlich genervt. Ihre Mutter musste lachen und bekam einen liebevollen Blick von Ludwig. Wie sehr sich die beiden liebten. „Ich habe Lidia heute Morgen eine geschlagene Stunde überzeugen müssen mit mir zu fahren. Sie hatte auch schon Fieber, aber nein, sie wollte nicht. Dann habe ich mir, in den zwei Stunden zur Klinik, das Gejammer anhören müssen, weil sie als Einheimische nicht in ein Krankenhaus für Weiße gehen wollte. Das war früher einmal so, aber heute gibt es das nicht mehr. Nein, sie wolle davon nichts wissen. Dann ist alles viel zu teuer und so weiter.“ Ihr Vater war wirklich gestresst von dem Tag. Er wollte doch immer nur das Beste für seine Farmarbeiter.

Auf einer Farm in der Nähe, hatte der Farmbetreiber seine Arbeiter geschlagen. Eines Morgens wachte er nicht mehr auf und das Haus stand in Flammen. Die Einheimischen hatten an dem Abend zuvor ein großes Fest gefeiert und sehr viel getrunken. Man nahm an, dass die Farmarbeiter das gewesen waren, aber man hatte den Brandstifter nie gefunden. Nun hatten die Farmarbeiter keinen Job mehr und konnten ihre Familien nicht ernähren. Sie sitzen den ganzen Tag vor ihren Hütten und trinken ihren selbst gebrannten Schnaps, der sie im Kopf durchdrehen lässt

Ihr Vater trank einen Schluck Kaffee. „Nun sitzt sie wieder in ihrer Hütte, weil sie nicht im Krankenhaus bleiben wollte und ist beleidigt. Sie haben ihr eine Tetanusspritze gegeben und die Wade mit wenigen Stichen genäht. Ich hoffe sie hält sich auch daran, dass sie eine Woche noch die Salbe auf die Wunde macht. Wer weiß was ihr der Medizinmann sonst darauf schmiert.“ „Ludwig, da pass ich schon drauf auf. Ich werde jeden Tag ins Dorf gehen und nach ihr sehen“, meinte Klara und drehte sich nach Core um „Jill hat angerufen. Du möchtest bitte heute um 17 Uhr da sein. Dann könnt ihr noch vor Sonnenuntergang das Feuer anzünden.“ Core sah auf die Uhr. Dann wurde es Zeit. Sie hatte 2 Stunden und wollte noch eine Runde im Pool schwimmen. Ihr Vater schaute sie an. „Core wir müssen morgen über deine Zukunft reden. Du hast noch ein Vierteljahr im Internat und ich muss jetzt endlich den Flug nach Europa buchen. Du musst mir endlich sagen, was du in Zukunft machen willst.“ Cores Vater klang sehr ernst. Sie wusste das sie es nicht mehr herausschieben konnte. Was sollte sie aber nur tun?