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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-280-1
Doktor Roberta Steinfeld hätte mit allem gerechnet, aber gewiss nicht mit ihrer Freundin Nicki, die unerwartet vor ihrer Tür stand und beinahe ihre Klingel abgerissen hätte, so heftig hatte sie Einlass begehrt.
So stürmisch zu sein, passte nicht zu Nicki, und an einem Sonntagmorgen so früh unterwegs zu sein, passte erst recht nicht.
Roberta starrte ihre Freundin wie einen Geist an, und ihr »Du?«, war nicht unberechtigt.
Nicki fiel Roberta um den Hals, dann sagte sie, und ihre Stimme klang atemlos: »Ich habe nur ganz kurz angehalten, um dich zu begrüßen, und ich fahre auch gleich weiter. Mein Gepäck lasse ich direkt im Kofferraum, und wenn ich …«
Roberta unterbrach ihre Freundin. Was war denn mit Nicki los?
Sie wirkte aufgewühlt, hatte hektische rote Flecken im Gesicht, war fahrig.
Roberta blieb ganz ruhig.
»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen«, sagte sie, »und dann kommst du erst einmal ins Haus und sagst am besten ganz langsam Heuwägelchen. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber augenblicklich überholst du dich selbst in der Kurve.«
Roberta legte ihrer Freundin einen Arm um die Schulter, und ehe sie mit ihr ins Wohnzimmer ging, sagte sie: »Schön, dass du da bist. Wir haben uns seit gefühlten Ewigkeiten nicht gesehen, und wir telefonieren auch kaum noch, seit du deinen Malcolm hast.«
Nicki reagierte heftig.
»Höre auf von dem. Den Namen möchte ich niemals mehr hören. Verstehst du, niemals mehr.«
Diese heftige Reaktion machte Roberta betroffen. Sollten sich ihre Befürchtungen bewahrheitet haben? Ohne ihn zu kennen, hatte sie vom ersten Moment an ein ungutes Gefühl gehabt. Ein Mann, der mich angeblich so sehr liebt, der trifft sich mit mir nicht nur in Hotels, sondern zeigt mir sein Haus und ist auch daran interessiert zu sehen, wie ich wohne.
Roberta schob ihre Freundin zu einem Sessel, bot ihr einen Kaffee an, den Nicki ablehnte.
»Ich bin eh gleich wieder weg«, sagte sie.
Wohin wollte sie eigentlich? Der Sonnenwinkel lag nicht gerade an einer Hauptverkehrsstraße. Und bei aller Liebe, ihretwegen hätte Nicki keinen großen Umweg gemacht.
»Nicki, ich habe kapiert, dass du auf der Durchreise bist. Aber jetzt möchte ich wissen, was los ist. Malcolm Hendersen war doch der Mann, den du heiraten wolltest. Zumindest ist das meine letzte Information. Was ist passiert?«
Nicki war so wütend, dass sie vor lauter Zorn nicht einmal weinen konnte.
»Er hat mir etwas vorgemacht. Er hat mich belogen, er hat geglaubt, mich mit seinem Geld kaufen zu können, dabei ist es nicht einmal sein Geld.«
»Halt, Nicki, bitte der Reihe nach. Wenn du sagst, es ist nicht sein Geld …, gehört es seiner Frau? Ist er verheiratet?«
Nicki bekam einen roten Kopf, und jetzt liefen doch ein paar Tränen.
»Ich bin zufällig dahinter gekommen, und natürlich konnte er mich nicht mit nach Hause nehmen, dort sitzen seine Frau und seine Kinder. Und jetzt weiß ich auch, dass sie das Geld hat. Aber sie ist großzügig genug, es ihn ausgeben zu lassen. Und er hat geglaubt, ich würde mich mit dem Status einer Geliebten zufriedengeben, wenn er mich nur verwöhnt und reich beschenkt. Ich bin doch nicht käuflich …, es ärgert mich ja so sehr, dass ich auf ihn hereingefallen bin und all seine Lügen. Ich habe ihm ganz gehörig meine Meinung gesagt, und dann bin ich gegangen. Dabei hat er mich angefleht, bei ihm zu bleiben. Aber die Geliebte eines verheirateten Mannes, das ist ja wohl ein absolutes No-Go. Ich hätte mich niemals auf ihn eingelassen, wäre mir das sofort bekannt gewesen.«
Sie atmete tief durch.
»Jetzt habe ich von Experimenten endgültig die Nase voll, und ich weiß, was ich zu tun habe. Ich werde zu Roberto fahren, ihm sagen, dass ich einen Fehler gemacht habe, und ich werde ihm sagen, dass ich bei ihm bleiben möchte. Er ist der tollste Mann, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, und da man ja bekanntlich nicht alles haben kann, bin ich fest entschlossen, für ihn den Sonnenwinkel und auch sein Restaurant in Kauf zu nehmen. Und zu ihm möchte ich jetzt, ich möchte keinen Augenblick versäumen. Ich habe schon zu viel Zeit vertrödelt. Ich liebe ihn, wie ich noch nie zuvor einen Mann geliebt habe. Es war dumm von mir, ihn zu verlassen. Aber wie sagt man so schön? Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen. Malcolm hätte ich mir ersparen können, und es gibt leider viele Malcolms auf dieser Welt. Einen Roberto gibt es nur einmal. Ich hätte auf dich hören sollen. Aber ist es nicht schön, dass ich mich besonnen habe und endlich schlau geworden bin? So verkehrt ist es doch überhaupt nicht, herzuziehen, ich bin dann auch in deiner Nähe. Ich vermisse schon die Zeiten, die wir miteinander verbracht haben, als du noch mit diesem schrecklichen Max verheiratet warst und in meiner Nähe wohntest.«
Manche Katastrophen bahnen sich an.
Doch mit dem, was sich da gerade abspielte, hätte Roberta nicht in ihren kühnsten Träumen gerechnet. Es war entsetzlich! Es war wie in einem schlechten Film!
»Nicki, setz dich wieder«, ächzte sie schließlich, während ihre Gedanken sich überschlugen. Wie sollte sie es Nicki beibringen?
Nicki dachte nicht daran, sie traf Anstalten, sich in Richtung Haustür zu bewegen.
Hier half kein Drumherumreden, hier kam sie nur mit der bitteren Wahrheit weiter.
»Nicki, es ist keine gute Idee, zu Roberto zu fahren«, sagte sie schließlich.
Nicki hielt inne, und Roberta atmete auf, als sie sah, dass Nicki sich wieder hinsetzte. Das war auch bitter nötig.
»Und wieso nicht? Heute ist Sonntag, da wird er gewiss nicht zum Großmarkt gefahren sein.«
Roberta atmete tief durch.
»Nein, aber es hat sich einiges geändert. Roberto ist nicht nur verheiratet, nein, seine Frau bekommt auch ein Kind …, ein Wunschkind. Die beiden sind sehr glücklich.«
Es war so still im Raum, dass man beinahe seinen eigenen Atem hören konnte.
Nicki war wie erstarrt, und Roberta überlegte fieberhaft, ob sie jetzt aufstehen und zu Nicki gehen sollte, um sie in den Arm zu nehmen.
Sie, die souveräne Ärztin, fühlte sich augenblicklich ziemlich überfordert.
Welch verfahrene Situation!
Roberto Andoni hatte Nicki über alles geliebt, und er hatte alles versucht, sie von sich und dem Leben mit ihm zu überzeugen.
Nach einer OnOff-Beziehung, nach einer wunderschönen Liebesnacht, hatte Nicki ihm einen Abschiedsbrief geschrieben, und dann war sie aus seinem Leben verschwunden.
Oh Gott!
Nicki fasste sich nach einiger Zeit zuerst.
»Und warum habe ich das nicht erfahren?«, blaffte sie Roberta an.
Die musste schlucken. Eine solche Anschuldigung konnte sie nicht auf sich sitzen lassen.
»Weil du mir verboten hast, über Roberto oder den ›Seeblick‹ zu reden. Du wolltest nichts mehr davon wissen, und als ich dennoch versuchte, dich zu informieren …«, sie machte eine kleine Pause, um ihren nächsten Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, »erinnerst du doch daran, dass du tagelang nicht mit mir gesprochen hast und mir sogar die Freundschaft kündigen wolltest, wenn ich es noch einmal gewagt hätte, über Roberto und sein Leben zu sprechen.«
Sie blickte Nicki an, die wie versteinert in ihrem Sessel saß. Sie konnte einem so richtig leidtun.
Es war auch ein bisschen viel auf einmal.
Zuerst erfahren zu müssen, dass der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte, verheiratet war. Und der Mann, den sie liebte, zu dem sie wollte, war es nun auch.
Aber bei ihm hätte es nicht sein müssen. Wenn sie es nur gewollt hätte, dann wäre sie die Frau an seiner Seite.
Das war ganz schön heftig.
Nach einer ganzen Weile erkundigte Nicki sich: »Und was ist das für eine Frau, die er geheiratet hat? Hoffentlich ist sie so ein richtiger Besen.«
Sie war verletzt, dabei gab es dafür überhaupt keinen Grund. Sie hatte ihn verlassen.
»Nein, sie ist sehr nett«, erwiderte Roberta wahrheitsgemäß.
Das war eine Antwort, die Nicki nicht gefiel.
»Nun ja, aber raffiniert scheint sie zu sein, denn sonst wäre es ihr nicht gelungen, sich an ihn heranzumachen und ihn dazu zu bewegen, sie zu heiraten.«
So, wie Nicki jetzt drauf war, würde sie kein gutes Wort an der armen Susanne lassen, dabei war die wirklich ein überaus sympathischer und herzlicher Mensch.
»Die beiden sind sich auf einer Verbrauchermesse begegnet, fanden sich sympathisch, und dann hat sich alles Weitere ergeben. Er war frei, sie war frei. Herrgott noch mal, Nicki, Roberto ist ein sehr attraktiver und liebenswerter Mensch. Da ist es doch normal, dass Frauen sich für ihn interessieren. Was hast du denn erwartet? Dass er dir ein Leben lang nachweinen soll? Du wolltest ihn nicht mehr, vergiss das nicht. Und jetzt nimm es hin und gönne ihm und Susanne sein Glück.«
Nicki warf ihrer Freundin einen bitterbösen Blick zu.
»Es sieht ja ganz so aus, dass du voll und ganz auf ihrer Seite bist.«
Sollte Roberta diese törichten Worte einfach ignorieren? Nein, das ging nicht.
»Ich gönne ihnen ihr Glück. Roberto hat ganz schön gelitten, als du Knall auf Fall gegangen bist. Nicki, was erwartest du eigentlich? Du hinterlässt verbrannte Erde und erwartest, dass darauf niemals mehr etwas wachsen kann. Wäre dieser Malcolm nicht ein solcher Reinfall gewesen, wäre es dir niemals in den Sinn gekommen, auch nur einen Gedanken an Roberto Andoni zu verschwenden. Aber weil dieser Malcolm ein Fehlgriff war, kam es dir in den Sinn, dass da doch noch etwas war. Nicki, es tut mir leid, du bist meine allerbeste Freundin, aber das bedeutet nicht, dass du Narrenfreiheit genießt. Werde jetzt nicht kleinlich und versuche, Susanne und Roberto niederzumachen.«
»Aber ich liebe ihn wirklich. Ich war zwischendurch nur etwas verblendet. Ich habe wirklich noch nie zuvor einen Mann so sehr geliebt wie Roberto.«
»Nicki, wenn es wirklich so gewesen wäre, dann hätte es dir nichts ausgemacht, dass er ein Restaurant hat, dass er in der halben Nacht täglich zum Großmarkt muss, und dann hättest du dich ohne darüber nachzudenken mit dem Sonnenwinkel arrangiert. Wenn man jemanden wirklich liebt, dann zählt der Mensch allein, dann zählen nicht die äußeren Umstände.« Sie zögerte kurz, warf Nicki einen nachdenklichen Blick zu, fragte sich, sollte sie oder sollte sie nicht. Sie entschloss sich dafür, es auszusprechen. »Sieh einmal, Susanne hatte auch nichts mit der Gastronomie am Hut, weil sie sich in Roberto verliebt hatte, hat sie bedenkenlos ihr altes Leben aufgegeben und ist mit ihm in den Sonnenwinkel gegangen, weil er dort lebte und sie sonst keine weitere Chance gehabt hätte, ihn näher kennenzulernen und mit ihm zusammen zu sein.«
Nach diesen Worten war es eine ganze Weile still zwischen den beiden Frauen.
Roberta fragte sich, ob sie gar zu weit gegangen war, und Nicki versuchte, ihre wild durcheinanderwirbelnden Gedanken ein wenig zu ordnen.
Für sie war alles so klar gewesen, in den Sonnenwinkel zu kommen und mit Roberto Andoni dort anzufangen, wo sie aufgehört hatten.
Dass es für ihn eine andere Frau in seinem Leben geben könnte, wäre ihr niemals in den Sinn gekommen.
Und nun?
Darüber nachzudenken, war sie überhaupt nicht in der Lage, sie hatte ihn verloren.
Er war mit einer anderen Frau verheiratet.
Schlimmer noch, die beiden erwarteten ein Kind!
Diese Tür war auf jeden Fall für alle Ewigkeit für sie verschlossen, und das machte sie nicht nur ganz schön fertig, sondern sie fühlte sich jeder Perspektive beraubt. Und was besonders schlimm war, Roberto erschien ihr auf einmal wie mit einem Glorienschein umgeben. So etwas wie ihn würde sie niemals mehr finden, und je mehr ihr das klar wurde, umso toller fand sie ihn.
Sie wurde von Schuldgefühlen gepeinigt. Der Gedanke war geradezu unerträglich, dass sie ihn hätte haben können. Sie hatte ihr Glück mit Füßen getreten!
Wie aus weiter Ferne bekam sie mit, wie Roberta sagte, nun doch einen Kaffee kochen zu wollen.
Roberta floh förmlich aus dem Raum, weil sie wirklich nicht wusste, wie sie sich ihrer Freundin gegenüber jetzt verhalten sollte.
Ihr zu sagen, alles sei überhaupt nicht so schlimm, war genauso dumm wie sie daran zu erinnern, es sei alles ihre eigene Schuld.
Während sie den Kaffee kochte, fragte sie sich, ob Nicki Roberto wirklich liebte, oder ob sie sich nur an ihn erinnert hatte, weil sie von diesem Malcolm so sehr enttäuscht worden war.
Nicki hätte aus ihrer jetzigen Situation heraus den Sonnenwinkel und seinen Beruf als Gastronom mit in Kauf genommen. Doch wäre das auf Dauer gut gegangen?
Das wagte Roberta zu bezweifeln. Sie kannte ihre Freundin Nicki. Sich darum jetzt noch Gedanken zu machen, das brachte überhaupt nichts. Das Thema Roberto Andoni war für immer vorbei und somit auch das Thema Sonnenwinkel. Roberto war mit Susanne verheiratet, in ein paar Monaten würden sie Eltern werden.
Als Roberta mit dem Kaffee ins Wohnzimmer kam, saß Nicki vollkommen in sich zusammengesunken in ihrem Sessel und weinte bitterlich.
Jetzt wurde es für Roberta allerhöchste Zeit, ihre Freundin zu trösten.
*
Auch Roberto und Susanne Andoni hatten gemütlich miteinander gefrühstückt und genossen gemeinsam den Sonntagmorgen. Jetzt saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, er hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt, und sie kuschelte sich vertrauensvoll an ihn.
Sie waren mit Susannes derzeitigem Lieblingsthema beschäftigt, einen Namen für ihr gemeinsames Kind zu finden.
Roberto ging Susanne zuliebe auf dieses Thema ein, das Männer nicht unbedingt so beschäftigte, wie es bei Frauen der Fall war.
Susanne wollte, dass sie sich auf Mädchennamen konzentrierten, weil sie glaubte, ein kleines Mädchen zu bekommen. Und Roberto zog sie damit auf, dass sie das ja nur wollte, weil man Mädchen so hübsche Kleidchen anziehen konnte.
Sie hatte ihm schon einige Namen vorgelesen, doch die gefielen ihm nicht, und umgekehrt war es auch der Fall. Was immer er auch sagte, fand nicht ihre Zustimmung.
»Maria«, sagte sie ganz spontan, »das ist ein schöner, traditionsreicher Name.«
Roberto lachte.
»Du willst ja unbedingt, dass unser Kind einen italienischen Namen bekommt«, sagte er, »aber weißt du, dass Maria in ganz Italien zu einem der häufigsten Vornamen gehört?«
Also das auch nicht, Susanne überlegte weiter.
»Francesca«, sagte sie schließlich. »Das klingt wie Musik, und so heißt gewiss auch nicht jeder.«
Roberto verstärkte den Druck seiner Arme. Er war so glücklich und entspannt mit Susanne.