Franzis Leben steht Kopf: Ihr Mann macht sich aus dem Staub, um sich in einem Kloster in Nepal selbst zu finden – und lässt sie mit einem großen Berg Schulden und seiner dicken Leonberger-Hündin Andromeda allein zurück. Weil Franzi unbedingt ihr gemütliches kleines Haus behalten möchte, die Raten allein aber nicht stemmen kann, zieht kurzerhand ihr Vater bei ihr ein. Das Chaos ist vorprogrammiert: Eigentlich hat Franzi nichts mit Hunden am Hut und muss sich auch noch mit den Macken ihres Vaters auseinandersetzen, der sie wie ein kleines Kind behandelt. Und dann ist da der neue Nachbar Mick, der ihr nicht nur einen Job verschafft, sondern sich auch immer öfter in Franzis Gedanken schleicht. Dabei hat ihr ein neuer Mann in ihrem Leben gerade noch gefehlt …
Elizabeth Horn wurde in Alexandria im Bundesstaat Louisiana, USA geboren. Vor der Einschulung übersiedelte sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach dem Abitur studierte sie in Mainz Germanistik, Anglistik und Amerikanistik und unterrichtete dann überwiegend Englisch, verfasste aber auch immer wieder Texte unterschiedlichster Art. Als sie 16 Jahre alt war, wurde ihre erste Geschichte in einer Frauenzeitschrift veröffentlicht. Auch darin ging es schon um die Liebe. 2016 erschien ihr erster Roman. Heute lebt sie mit ihrem Mann in einem idyllischen Ort in Hessen.
DIE LIEBE
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Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anne Pias
Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause
Covergestaltung Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Eric Isselee | Nicetoseeya | iadams | Anastasiia Skliarova | Anastasiya Sizykh
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-0221-8
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Für Wolfgang und Thomas
»Wenn du es unbedingt wissen willst, im Schlafzimmer ist bei uns auch nichts mehr los!« Das klang trotzig und gereizt und so gar nicht nach ihrer Mutter.
»Also, eigentlich ist das etwas, was ich absolut nicht wissen will. Wirklich, Mama! Ihr seid meine Eltern.« Franziska schüttelte sich unwillkürlich.
Ihr war zwar sehr wohl bewusst, dass Paare nicht mit spätestens Ende zwanzig aufhörten, miteinander zu schlafen, aber trotzdem.
Die Stimme ihrer Mutter aus dem Telefon drang in ihre Gedanken: »Warum quälst du mich dann mit deiner Fragerei, wenn du es nicht hören willst?«
»Ich will es einfach nur verstehen. Das kann doch nicht der Grund sein.«
»Natürlich nicht. Du verstehst das nicht, Kind. Du bist mit einem so aufmerksamen Mann verheiratet. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man sich plötzlich nur noch fühlt wie ein Möbelstück oder schlimmer noch – wie ein Haushaltsgerät.«
»Nun ja, wir sind ja nun auch nicht mehr in den Flitterwochen.«
Hätte Franziska den Drang verspürt, mit ihrer Mutter über ihr eigenes Liebesleben zu sprechen – was absolut nicht der Fall war –, so hätte sie ihr sagen können, dass bei ihr und ihrem Mann, Manolito, im Schlafzimmer auch nichts los war. Zumindest fast nichts. Und das nach elf Jahren, nicht nach vierzig. Hätte sie das wirklich gesagt, hätte ihr ihre Mutter sicher gute Ratschläge gegeben, wie sie Manolito, ihren wunderbaren Mann, den einzigartigen Schwiegersohn, der in den Augen seiner Schwiegermutter unfehlbar war, hätte bezaubern können. Aber zu diesem Gespräch würde es niemals kommen. Nicht mal unter Folter.
»Ich weiß ja, Papa ist nicht gerade der perfekte Gentleman, und sicher zeigt er dir nicht oft genug, wie wichtig du für ihn bist. Aber wieso kommst du denn jetzt nach all den Jahren auf die Idee, einfach zu gehen? Das verstehe ich nicht.«
»Seit dein Vater im Ruhestand ist, reden wir darüber, in Spanien zu überwintern.«
Nun, eigentlich redete ihre Mutter darüber, dachte Franziska, und ihr Vater brummte unverständliche Kommentare dazu.
»Ich habe ein sagenhaftes Angebot für eine schöne kleine Wohnung in einem Örtchen in Andalusien gefunden. Genau das, was wir uns vorstellen. Also habe ich für zwei Wochen gebucht und wollte deinen Vater damit überraschen. Wir hätten es uns erst mal in Ruhe ansehen können. Als er mit Klaus auf der Tour durch den Hunsrück war, habe ich für uns beide gepackt und mir dabei vorgestellt, wie dein Vater reagieren würde, und plötzlich war mir völlig klar, was er dazu sagen würde. Er würde tausend Einwände vorbringen und sagen, irgendwann könnten wir ja irgendwie, aber nicht gerade jetzt. Vom Friedhof aus vielleicht.« Franziskas Mutter knurrte regelrecht. »Irgendwann ist einfach Schluss! Ich habe Gerhards Sachen wieder in den Schrank geräumt, habe ihm einen Brief geschrieben und bin mit meinen Sachen an den Flughafen gefahren, bevor er zurückkam.«
»Was hast du denn geschrieben?«
»Lieber Gerhard! Ich bin nach Andalusien geflogen. Ich melde mich bei Franzi.«
»Mama, das ist kein Brief!«
»Was hätte ich denn schreiben sollen? Er hätte es ja doch nicht verstanden. Wahrscheinlich hätte er es nicht mal zu Ende gelesen. Genau, wie er mir immer nur zwei Sätze lang zuhört und dann nur noch so tut. Ach, verdammt, Franzi! Mir reicht es einfach.«
»Ich finde das Ganze ein bisschen radikal. Aber vielleicht tut euch beiden ja etwas Abstand ganz gut. Du kommst also in zwei Wochen zurück? Ich hoffe, es ist schön.«
»Nein, ich komme nicht in zwei Wochen zurück. Es ist traumhaft hier. Ich habe schon mit dem Vermieter gesprochen und die Wohnung erst mal für drei Monate gemietet. Das kann ich beliebig verlängern. Den Rückflug habe ich storniert.«
Franziska musste schlucken. War die wild entschlossene Frau am anderen Ende irgendwo in Spanien wirklich ihre vorsichtige Mutter? Wäre da nicht die Stimme, die angeblich genauso klang wie ihre eigene, hätte sie es nicht geglaubt.
»Wo bist du denn überhaupt, Mama?«
»In einer kleinen Feriensiedlung nicht sehr weit von der portugiesischen Grenze. Sie heißt Islantilla. Ist das nicht schon entzückend? Das heißt Inselchen. Die meisten Wohnungen in diesem Komplex sind Ferien- oder Wochenendwohnungen. Meine hat zwei kleine Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine kleine Küche, und das Tollste ist eine Terrasse mit einem winzigen Garten davor mit Blick auf den Atlantik und den endlosen blütenweißen Strand. Wenn ich auf dem Sofa sitze und hinausschaue, kann ich die Fischer rausfahren sehen. Im Moment ist noch recht viel los, aber die Saison geht langsam zu Ende. Über den Winter kostet die Wohnung fast nichts.« Ihre Mutter klang plötzlich ganz jung und geradezu ausgelassen.
Was sollte Franziska sagen? »Und wie soll das Ganze weitergehen, Mama?«
»Ganz einfach! Ich tue hier, was ich schon immer wollte, und dein Vater kann machen, was er will. Bitte, wenn du mit Manolito darüber sprichst, versuche, ihm meine Beweggründe zu erklären. Ich möchte nicht, dass er denkt, ich sei eine verantwortungslose Mutter, die einfach ihr Kind im Stich lässt.«
»Mama, ich bin nicht das Problem. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt. Papa ist das Problem.«
»Wieso denn? Der ist sogar sechsundsechzig Jahre alt!« Ihre Mutter klang nun regelrecht aufmüpfig, wurde aber gleich sanfter. »Hör zu, Franzi! Ich bin immer für dich da. Egal, um was es geht. Immer! Hörst du? Und schreib dir bitte meine Kontaktdaten auf.«
»Ja, ist gut, Mama! Mach dir um mich keine Sorgen.«
»Ja, ich weiß. Du hast einen wunderbaren Mann, der immer für dich da ist. Bitte versuche mich nicht zu verurteilen. Du hast meine Probleme zum Glück nicht. Grüß meinen Goldjungen von mir! Ich mache jetzt Schluss. Ich will noch einen Strandspaziergang machen. Habt einen schönen Abend, Kinder.«
Franziska ließ ihren Kopf gegen die Couchlehne sinken. Das war schon ein ziemlicher Hammer. Sie sah ihre Eltern regelmäßig und hatte nie das Gefühl gehabt, sie hätten ernsthafte Probleme. Aber was wusste man schon über andere Beziehungen. Das traf sicher auch auf die eigenen Eltern zu.
In dem Moment steckte der Mann, der immer für sie da war, Mutters Goldjunge, den blonden Lockenkopf zur Tür herein. Sein pelziger Schatten folgte ihm wie immer auf dem Fuß.
Franziska war froh, ihn zu sehen. Sie wollte unbedingt mit jemandem über den spontanen Entschluss ihrer Mutter reden. Dafür kam außer ihm kaum jemand in Frage.
»Abend, Schatz! Ich gebe dem Hund nur schnell Wasser und lasse ihn hier. Ich muss noch mal weg. Hast du was zum Abendessen geplant, oder soll ich unterwegs was essen?«
Mit dem »Für-sie-da-Sein« würde es also mal wieder nicht klappen.
»Mir ist irgendwie schlecht. Ich mag gar nichts essen.«
Manolito, der sich schon halb Richtung Küche gewandt hatte, blieb wie angewurzelt stehen. »Du bist doch nicht etwa schwanger?!« Seine tiefblauen Augen wurden riesengroß, und er starrte sie an wie ein hypnotisiertes Kaninchen.
»Ich wüsste nicht, wovon.« Franziska hörte selbst, dass sie irgendwie eingeschnappt klang.
»Sooo lange ist es auch wieder nicht her.«
»Doch! Wenn ich also schwanger wäre, dann nicht von dir!«
Manolito lachte und küsste sie auf die Wange. Ein gesundes Selbstbewusstsein hatte er, ohne Frage.
»Du bist es also sicher nicht?«
»Sicher nicht!«
Franziska glaubte regelrecht zu sehen, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel.
»Es wird spät. Warte nicht auf mich!«
Kann ich dich alleine lassen? Du siehst bekümmert aus. Du bist doch nicht etwa krank? Das alles sagte Manolito nicht, sondern »Tschüss!«, wuschelte dem Hund durch sein Fell und verschwand wieder.
Andromeda, ein goldbrauner Leonberger, kreuzte das Wohnzimmer auf dem Weg ins Hundebett.
»Du bekommst wenigstens Wasser und wirst getätschelt.«
Die Hündin wandte Franziska ihr fast schwarzes Gesicht zu, hob eine dicke Augenbraue und drehte ihr dann majestätisch ihren pelzigen Hintern entgegen.
Sie hatte ja recht.
Manolito hatte unbedingt einen Hund gewollt. Da Franziska inzwischen genau wusste, wie solche Vorhaben endeten, hatte sie sich nur einverstanden erklärt unter der Bedingung, dass sie nichts mit dem Tier zu tun hatte. Bis jetzt hatte das auch ganz gut geklappt.
Ihr Mann nahm den Hund jeden Tag mit ins Büro, und sie und der Leonberger ignorierten sich nach Möglichkeit. Sie wusste ganz genau, dass der kleinste Kompromiss dazu führen würde, dass ihr Göttergatte einen Hund haben und Franziska sich um ihn kümmern würde. Vielleicht machte Manolito der Gedanke an Kinder Angst, weil er im Grunde selbst noch eins war.
Andromeda. Was für ein blöder Name für ein riesiges Fellknäuel. Das war noch ein Grund, weswegen es vielleicht gut war, dass sie noch keine Kinder hatten.
Ihre Schwiegermutter hatte ihren einzigen Sohn nach einem Cowboy in einer Westernserie, für den sie heiß geschwärmt hatte, Manolito genannt. Der Name passte nicht nur nicht besonders gut, weil er blond und blauäugig und alles andere als ein Latin-Lover-Typ war, sondern auch weil Manolito Hasenzahl eine etwas unglückliche Kombination von Namen war. Vorsichtig ausgedrückt.
Leider hatte Mutter Hasenzahl ihrem Sohn auch ihren merkwürdigen Namensgeschmack vererbt. Es wäre sicher ein endloser Kampf geworden, ihre Kinder davor zu bewahren, als Django, Herkules, Esmeralda oder Xantippe Hasenzahl durchs Leben gehen zu müssen.
Da waren die Namen in ihrer Familie schon bodenständiger: Mutter Friederike, genannt Fritzi, Tochter Franziska, genannt Franzi, und Vater Gerhard, genannt Gerhard.
Oje! Gerhard – beziehungsweise Papa! Sie musste ihn unbedingt anrufen. Am besten jetzt gleich, ehe sie der Mut verließ. Sicher würde er sich Sorgen machen.
»Gerhard Walter am Apparat. Mit wem spreche ich?«
Es war eigentlich verwunderlich, dass er nicht noch sagte: »Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Hier spricht Franziska, deine Tochter. Papa, du siehst doch auf dem Display, dass ich es bin. Wie geht es dir?«
»Gut!«
Der Mann war einfach unfassbar.
»Ist alles in Ordnung bei euch?«, fragte Franziska scheinheilig.
»Aber sicher!«
»Kann ich mal mit Mama sprechen?«
»Sie ist nicht hier.«
»Verdammt noch mal, Papa!«
»Ich hatte gehofft, sie hätte sich bei dir gemeldet, als du angerufen hast.«
»Warum hast du dann mich nicht angerufen?«
»Was hättest du denn tun sollen? Ich dachte mir, du meldest dich schon, wenn du was weißt.«
»Mama hat angerufen. Es geht ihr gut.«
»Ah ja. Wo ist sie?«
»In Spanien in einer Feriensiedlung.«
»Das wusste ich schon. Hat sie gesagt, warum? Woher kommt plötzlich die Idee, nach Spanien zu wollen?«
»Papa, das ist jetzt nicht dein Ernst? Mama macht seit zwei Jahren einen Spanischkurs. Jedes Mal, wenn ich zu euch komme, zeigt sie mir neue Prospekte von Ferienanlagen. Also daraus hätte man vielleicht schließen können, dass sie da gerne hinwill.«
»Schon.«
»Du hast nie was dazu gesagt. Warum hast du nicht einfach gesagt, du willst nicht nach Spanien?«
»Ich will ja gar nicht nicht nach Spanien.«
»Du willst auch nach Spanien?«
»Das muss ich mir erst mal überlegen.«
»Hast du mit Mama darüber geredet?«
»Irgendwie schon. Aber was soll das nun plötzlich? Ich glaube, sie ist in die Wechseljahre gekommen. Da drehen manche Frauen regelrecht durch, habe ich beim Arzt in der Zeitung gelesen.«
»Papa, Mama ist dreiundsechzig. Da sind die Wechseljahre längst vorbei.«
»Dann hat sie wahrscheinlich dieses Prä… irgendwas Syndrom. Das ist auch nicht gut.«
Franziska unterdrückte einen Seufzer. Wie konnte man vierzig Jahre mit einer Frau verheiratet und Vater sein und so ahnungslos?
»Dazu ist Mama auch viel zu alt!«
»Franzi! Du vermutest doch nicht etwa …? Glaubst du, deine Mutter könnte dement geworden sein?«
»Nein. Ganz sicher nicht. Ich glaube einfach, Mama hatte es satt, zu warten, bis du dich entschließt.«
»Wenn du jetzt sagst, ich wäre schuld, dass deine Mutter plötzlich durchdreht …«
»Das tue ich doch gar nicht.«
»Dann ist ja gut. Tschüss dann und einen schönen Abend noch.«
»Warte Papa, ich gebe dir noch Mamas Adresse und Telefonnummer.«
»Ich … na gut!«
Franziska nannte ihm die Adresse und die neue Nummer ihrer Mutter.
»Okay. Tschüss dann.«
So schnell schrieb kein Mensch.
»Lies mir die Nummer noch mal vor!«
Am anderen Ende grummelte ihr Vater nur unverständlich.
»Gib es zu! Du hast sie gar nicht aufgeschrieben.«
»Wenn deine Mutter etwas von mir will, weiß sie, wo ich bin.«
»Papa, bitte schreib die Nummer auf!«
»Na schön. Ich suche ein Blatt Papier.«
Franziska war immer ein Papa-Kind gewesen. Ihr Vater war ihr Fels in der Brandung. Ein ewig grummeliger Fels. Und kommunikationsgestört war er ganz eindeutig auch. Das war ihr bisher nie so sehr aufgefallen wie jetzt.
»Los, Franzi diktier noch mal! Jetzt habe ich es wirklich.« Zum Beweis wiederholte er die Nummer.
»Ruf mich an, wenn du mich brauchst, Papa!«
»Mach dir keine Sorgen! Ich habe mindestens für zwei Wochen tiefgefrorenes Essen in der Kühltruhe. Mach’s gut!«
»Mach es auch gut, Papa.«
Plötzlich konnte sie ihre Mutter fast verstehen.
Franziska überlegte gerade, ob sie sich nicht doch ein Brot machen sollte, als es an der Tür klingelte.
Davor stand ein großer, extrem schlanker Mann in Anzug und Krawatte. Neben ihm saß ein Dalmatiner in würdevoller Pose. Beide schauten Franziska erwartungsvoll entgegen.
Ihr wurde bewusst, dass sie ausgeleierte Jogginghosen und ihr uraltes Kermit-T-Shirt trug.
»Mein Liebling war immer das Tier.« Der elegante Schlaks lächelte.
»Bitte?«
»Muppet! Mein Lieblingsmuppet! Kermit … drum kam ich drauf. Entschuldigung. Mein Name ist Michael Erhard, und das ist Pongo. Wir sind nebenan eingezogen.«
»Ah so! Mein Name ist Franziska Hasenzahl. Wir wohnen auch erst seit acht Monaten hier. Herzlich willkommen!«
»Leider muss ich zugeben, dass ich nicht nur zu einem Antrittsbesuch gekommen bin. Ich habe vielmehr gleich eine Bitte. Die Vorbesitzer haben alle Lampen mitgenommen. Und ich sitze gleich im Dunkeln. Eine Fassung und eine Glühbirne habe ich. Aber kein Werkzeug. Meine Sachen kommen erst morgen. Könnte ich mir bei Ihnen vielleicht einen Schraubenzieher leihen?«
»Aber sicher. Kommen Sie doch rein.«
»Soll ich Pongo an den Zaun binden?«
»Nein, bringen Sie ihn ruhig mit herein, das heißt, wenn er gut mit anderen Hunden auskommt. Der Hund meines Mannes ist da. Ich glaube, ihr macht das nichts aus.«
»Pongo ist meist zu blasiert, um sich mit anderen Hunden abzugeben. Zu Hundedamen ist er aber immer höflich.«
»Na dann!«
Als die drei den Flur betraten, setzte sich Andromeda auf und kläffte einmal laut. Ein kurzes »schon gut« führte dazu, dass der Hund sich wieder hinlegte und dem Besuch den Rücken zudrehte.
Pongo ging schwanzwedelnd auf den Korb zu und stupste Andromeda mit der Nase an. Die Hündin drehte sich um und knurrte ihn an. Daraufhin hob der Dalmatiner den Kopf und stolzierte an dem Korb vorbei.
Franziska wies die neuen Nachbarn an, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Als sie wenige Minuten später mit dem Werkzeugkoffer zurückkam, den sie aus dem Keller geholt hatte, lag Andromeda quer vor der Wohnzimmertür.
»Ihr Wachhund hatte wohl das Gefühl, er müsste uns im Auge behalten.«
»Sie ist kein Wachhund, eher ein Bürohund. Sie geht jeden Tag mit meinem Mann zur Arbeit. Sie ist ziemlich phlegmatisch. Da ist das scheinbar kein Problem.«
»Pongo geht auch mit mir ins Büro. Ich bin Makler. Er ist auch brav, aber für ihn ist das nicht so ideal. Er will natürlich lieber herumstromern. Zum Glück führen ihn meine Mitarbeiter ganz gerne mal etwas aus. Und abends zwingt er mich, mit ihm spazieren zu gehen. Das ist auch gut so. Ich habe nämlich eher ein Naturell wie Ihr Riesen-Teddy.«
Erstaunlich! Weniger ähnlich konnten sich zwei Kreaturen kaum sein.
»Und es ist schön, dass wir zusammen heimkommen. Seit meine Frau nicht mehr … Es ist merkwürdig, in ein leeres Haus zu kommen.«
»Oh! Sie ist doch nicht …«
»Was? Tot? Nein! Sie wohnt nur woanders mit jemand anderem. Völlig undramatisch. Pongo ist auch Single.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht, bevor er breit grinste.
»Ich habe Ihnen mal den ganzen Werkzeugkoffer gebracht. Mein Mann braucht ihn im Moment sicher nicht. Es hat keine Eile mit dem Zurückbringen.«
»Ihr Mann hält sein Werkzeug gut in Schuss.«
Franziska musste schmunzeln. Manolito hatte den schicken Koffer gleich beim Erwerb des Hauses gekauft, aber noch nie benutzt. Das war sicher auch besser so. Sehr praktisch war er nicht veranlagt.
»Unsere Häuser sind sich sehr ähnlich«, sagte der neue Nachbar.
»Das ist kein Zufall. Zwei Brüder haben sie in den Fünfzigern nebeneinander gebaut. Deshalb gibt es auch ein Tor zwischen unseren Gärten. Wenn Sie das stört, gibt es irgendwo einen Schlüssel, mit dem man es abschließen kann.«
»Darüber habe ich mich schon gewundert, zumal es nicht so ein kleines, provisorisches Törchen ist, sondern ein richtiges Schmuckstück.« Er schaute sich im Wohnzimmer um. »Es gefällt mir unheimlich gut, wie Sie Ihr Haus eingerichtet haben. Es hat eine ganz wunderbare Atmosphäre.«
»Oh, danke! Ich bin noch nicht ganz fertig. Mein Mann findet, die Einrichtung wäre das reinste Sammelsurium. Das stimmt ja auch.«
»Das fasziniert mich ja gerade so! Es passt einfach alles doch zusammen. Es ist wirklich sehr wohnlich.«
»Danke. Es freut mich, dass es Ihnen gefällt. Das Häuschen ist mein Traumhaus, und ich liebe es, es herzurichten. Aber wie gesagt, wir sind auch noch nicht so lange hier.«
»Ich werde sehr gut auf den Koffer aufpassen. Ich habe in einem anderen Leben mal Elektriker gelernt. Ich weiß, wie wichtig gutes Werkzeug ist. Vielen Dank für die Hilfe.«
Franzi brachte die beiden zur Türe, wozu sie praktisch über Andromeda steigen mussten. Den Dalmatiner würdigte sie kaum eines Blickes.
»Ich wünsche Ihnen eine gute erste Nacht in Ihrem neuen Heim und viele glückliche Jahre hier für Sie und Pongo.«
»Danke für die guten Wünsche! Gute Nacht, Frau Hasenzahl!« Dazu schenkte er ihr ein sehr ansprechendes Lächeln.
Franziska sah Herrn und Hund einen Moment lang hinterher. Zwei sehr gutaussehende Kerle, das musste man wirklich sagen. Sicher würde es nebenan nicht lange beim Single-Haushalt bleiben.
Nach einem ereignisarmen Vormittag im Büro und mehreren Stunden Gartenarbeit hatte Franziska immer noch keine Gelegenheit gehabt, mit jemandem über die Entwicklung bei ihren Eltern zu reden. Manolitos Verhalten der letzten Wochen gab wenig Grund zur Hoffnung, dass sie am Abend eine Chance dazu bekommen würde. Die Kollegen und Kolleginnen in der Druckerei waren zwar alle nett, aber da gab es niemanden, mit dem sie darüber hätte sprechen wollen. Sie hätte gerne mit jemandem geredet, der ihre Eltern kannte, der verstehen konnte, wie unerwartet die ganze Sache war und wie surreal sie schien.
Aber da gab es einfach niemanden. Gerade als sie drohte, über diesen Gedanken in Trübsinn zu verfallen, klingelte das Telefon.
»Hola, querida! Hier ist Mama! Wie geht es dir?«
»Gut, Mama! Viel interessanter ist, wie geht es dir? Bereust du deine Entscheidung noch nicht?«
»Nein. Ganz im Gegenteil, ich fühle mich jeden Moment heimischer hier. Die Leute sind alle wahnsinnig nett. Es sind etliche Deutsche hier, aber auch viele Spanier. Pablo, der Verwalter, ist ein echter Schatz und sehr, sehr hilfsbereit. Der Strand ist ein Traum. Manolito und du, ihr müsst unbedingt mal herkommen. So jung, wie ihr seid, reicht das zweite Zimmer gut für ein paar Tage. Sag, wie hat er denn darauf reagiert, dass ich nach Spanien gezogen bin? Verurteilt er mich?«
»Niemand verurteilt dich! Ich habe ihn noch gar nicht gesprochen seit unserem Telefonat. Aber er wird dich nicht verurteilen, das weiß ich.«
»Was?! Das war gestern Abend!«
»Er ist sehr beschäftigt im Moment, oft auch abends.«
»Franzi, du musst auf deinen Mann achten, dass er sich nicht kaputtmacht für euch. Hoffentlich habt ihr euch mit dem Haus nicht übernommen.«
»Nein, es ist alles gut.«
»Der Junge trägt halt die größte Last. Das ist natürlich schwer.«
»Mama, du weißt ganz genau, dass Manolito will, dass ich nur halbtags arbeite, damit ich das Haus instand setzen und mich um alles kümmern kann, was noch so erledigt und organisiert werden muss. Er will sich damit nicht belasten müssen, und du weißt, wie gerne ich so etwas mache. Aber es würde mich nicht stören, ganztags zu gehen.«
»Das weiß ich ja. Nun ja, ihr werdet es schon richtig machen. Nimm dir nicht deine Eltern zum Vorbild. Apropos! Kind, ich möchte nicht, dass du Papa meine neue Nummer gibst.«
»Das habe ich leider gestern schon gemacht.«
»Verdammt! Dann brauche ich eine neue Telefonnummer. Ich will nicht, dass er mich anruft.«
»Das ist doch absurd. Ich finde, Papa hätte ein Recht darauf, dass du mit ihm sprichst. Außerdem wird er dich nicht anrufen. Papa ruft nie von sich aus irgendwo an. Seitdem ich nicht mehr zu Hause wohne, hat er mich noch nie angerufen, das weißt du. Also mache dir keine Gedanken.«
»Das stimmt. Er sitzt nur da und lässt alles auf sich zukommen. Wie auch sonst im Leben. Na gut, mein Schätzchen. Ich mache Schluss. Nimm dir heute Abend mal Zeit für deinen Mann, das ist sehr wichtig.«
»An mir liegt es wirklich nicht …«
Ihre Mutter hatte schon aufgelegt.
Aufs Stichwort erschien Manolitos Kopf in der Tür mit praktisch dem gleichen Text wie am Abend zuvor, aber dann kam noch etwas anderes.
»Es wäre schön, Franzi, wenn du aufbleiben könntest, bis ich zurückkomme. Ich hoffe, es wird nicht zu spät. Wir sollten wirklich mal wieder miteinander reden, findest du nicht?«
Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
»Das wäre sehr schön, Schatz!«
Franziska spürte, wie Glücksgefühle in ihr aufstiegen wie Seifenblasen. Beschwingt lief sie ins Bad, um zu duschen und sich hübsch zu machen. Ein paar leckere Snacks konnte sie dann auch noch schnell zaubern.
Da Manolito noch nicht zurück war, ging Franziska in den Garten. Der war im Verhältnis zum Haus recht groß. Sie hatte schon einige Stauden in dem runden Blumenbeet mitten auf dem Rasen gepflanzt. In dessen Mitte plante sie, einen Springbrunnen aus Sandstein zu setzen – eine Säule, die eine Schale trug, mit einer Krönchen-Fontäne in der Mitte. Sie hatte sich schon ganz genau informiert. Aber Anschaffungen, die nicht unbedingt nötig waren, mussten erst einmal warten.
Auf der Terrasse standen Kübel mit blühenden Pflanzen: ein rotes und ein weißes Rosenstämmchen, die sie immer an Alice im Wunderland denken ließen, eine violette Fuchsie und eine leuchtend pinke Bougainvillea. Solche würde es bei ihrer Mutter in Spanien sicher massenhaft geben. Ob es ihr wohl wirklich gut ging, plötzlich ganz alleine in einem fremden Land?
Der ganze Garten war von einer mannshohen Buchenhecke eingefasst, so dass er völlig uneinsehbar war. Am Ende des Grundstücks befand sich ein schmiedeeisernes Tor mit wunderschönen floralen Elementen, das in den Nachbargarten führte.
Der Schlüssel! Franziska musste nach dem Schlüssel suchen, falls der neue Nachbar das Tor verschließen wollte. Als sie von der Arbeit gekommen war, hatte ein Umzugswagen vor dem Haus gestanden. Michael Erhard oder Pongo hatte sie aber nicht wiedergesehen.
Mit ihrer großen Zinkgießkanne stattete sie all ihren Lieblingen einen Besuch ab. Sie war gerade mit Gießen fertig, als das Telefon klingelte.
Hoffentlich wurde Manolito nicht aufgehalten. Sie freute sich so sehr auf etwas Zeit mit ihm. Als sie auf dem Display die Nummer ihrer Eltern erkannte, war sie aber nicht erleichtert, sondern erschrak regelrecht.
»Papa, ist etwas passiert?«
»Dir auch einen schönen guten Abend, Franziska! Was soll passiert sein? Darf ich nicht meine einzige Tochter anrufen?«
»Natürlich darfst du das, aber du rufst nie an, Papa!«
»Jetzt tue ich es aber. Störe ich euch? Ich wollte nur schnell was fragen.«
»Nein, du störst gar nicht. Manolito ist noch gar nicht da!«
Ihr Vater grummelte am anderen Ende etwas Unverständliches, dann sagte er: »Ich wollte nur wissen, ob deine Mutter gesagt hat, wann sie zurückkommt. Ich muss morgen zum Zahnarzt. Nicht, dass sie kommt und hat am Ende den Schlüssel nicht zur Hand.«
Franziskas Herz zog sich regelrecht zusammen. Wieso sollte ihre Mutter den Schlüssel nicht zur Hand haben? Konnte ihr Vater nicht einfach sagen, dass er seine Frau vermisste und sich wünschte, dass sie zurückkäme?
»Mama kommt morgen ganz sicher nicht zurück. Sie hat gesagt, dass sie die Wohnung für drei Monate gemietet hat. Man weiß natürlich nicht, ob …«
»Tja, so lange reicht das Essen definitiv nicht!«
»Warum rufst du sie nicht an und sagst ihr, dass du sie vermisst?«
»Wenn sie mit mir reden wollte, hätte sie nur hierbleiben müssen. Ich komme schon zurecht. Im Grünen Baum gibt es einen ganz guten Mittagstisch. Aber zuerst esse ich die Tiefkühltruhe leer. Tschüss!«
»Warte! Magst du Samstag zum Abendessen kommen? Vielleicht können wir draußen sitzen.«
»Willst du da nichts mit deinem Mann unternehmen?«
»Nein. Ich würde mich freuen und Manolito sicher auch. So um sieben?«
»Gut. Wenn dein Mann nichts dagegen hat …« Irgendwie kam Franzis Vater der Name »Manolito« nur schwer über die Lippen. »Aber du machst nicht dieses kalte Fischzeug, das gerade so modern ist, oder?«
»Nein! Ich dachte an Frikadellen!«
»Das ist gut. Hauptsache, kein Gulasch. Davon habe ich acht eingefrorene Portionen. Dann sehen wir uns am Samstag um sieben. Bis dann. Habt einen schönen Abend, falls dein Mann irgendwann heimkommt.«
»Ja, falls!« Franziska seufzte in Gedanken und betrachtete die Häppchen, die schon anfingen zu zerlaufen.
Vielleicht sollte sie sie doch in den Kühlschrank stellen und sich gleich dazusetzen. Sie fühlte sich auch schon nicht mehr so ganz frisch.
Gerade als Franzi die Platte in die Küche bringen wollte, kam Manolito herein. Andromeda begrüßte ihn mit einem Freudentanz und wurde dafür kräftig durchgeknuddelt. Franziska ging auf ihn zu und küsste ihn stürmisch auf den Mund. Der Hund warf ihr einen Blick zu, als würde sie mit unfairen Mitteln kämpfen, und verzog sich wieder ins Hundebett.
»Manolito, versprich mir, dass wir nie werden wie meine Eltern und einfach nicht mehr miteinander reden.«
»Wir müssen sogar ganz dringend reden, Franzi. Deswegen habe ich dich ja gebeten, auf mich zu warten. Also …«
»Schatz, erst muss ich dir erzählen, was meine Mutter gemacht hat. Du wirst es auch nicht fassen können.«
Schnell berichtete sie ihrem Mann von den Ereignissen.
Der hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen.
»Das ist schon ein Ding, oder? Eigentlich hatte ich immer das Gefühl, bei meinen Eltern liefe es prima«, sagte sie schließlich.
»Ich finde es nur zu verständlich, dass Friederike sich selbst verwirklichen will. Natürlich hätte sie deinen Vater informieren sollen. So ist das kein guter Stil. Also, Franzi, damit sind wir direkt bei dem, was ich mit dir besprechen wollte. Sicher ist dir aufgefallen, dass ich in letzter Zeit sehr beschäftigt war. Ich musste tausend Dinge erledigen.«
»Dann lehne dich einfach zurück, iss einen Happen, und ruhe dich aus.« Sie begann an Manolitos Ohr zu knabbern.
»Später! Obwohl, das sieht sehr lecker aus!«
Manolito verspeiste einen Käsespieß, dann noch einen und dann noch einen, aber nahm danach den Faden direkt wieder auf. »Ich muss etwas mit dir besprechen, Schatz. Irgendwie ergab sich einfach keine gute Gelegenheit dazu. Also, ich werde eine Weile weg sein. Ich habe mich in einem Kloster in Nepal angemeldet. Sie bieten Meditation, aber auch physische Ertüchtigung und so weiter. Wenn man das hinter sich hat, ist man ein völlig neuer Mensch.«
Von solchen Plänen hatte Franziska nie etwas gehört. Urlaube waren wegen des Hauskaufs erst mal gestrichen worden. »Wie lange wirst du dableiben?«
»Das kommt darauf an, wie gut ich vorankomme. Ich schätze mal so sechs bis acht.«
»Aber für so ein paar Tage – lohnt sich die lange Reise da überhaupt?«
»Ach, du Träumerle!« Manolito lachte geradezu ausgelassen, wenn auch etwas gezwungen. »Doch nicht Tage! Monate!«
»Sechs bis acht Monate?« Franziska konnte diese Information gar nicht richtig verarbeiten. »Kostet das nicht unheimlich viel Geld? Wo wir doch im Moment …«
Manolito tätschelte beruhigend ihr Knie. »Keine Sorge, Schatz. Ich habe über die letzten Wochen einiges zurückgelegt.«
»Was hast du? Ich habe mir seit Monaten nicht mal einen neuen BH gekauft. Ich denke, wir wollten sparen, damit wir möglichst schnell den Kredit abbezahlen können, und für die Reparaturen, die das Haus noch braucht.«
»Immer braucht das Haus etwas! Franzi, das brauche ich jetzt eben. Finde dich damit ab!«
»Wie soll das laufen? Hast du überhaupt so viel Urlaub zu bekommen?«
»Natürlich nicht! Wer bekommt schon monatelangen Urlaub? Manchmal bist du wirklich naiv, Schatz.«
»Also hast du unbezahlten Urlaub?«
»Nein, ich habe gekündigt. Ich weiß ja gar nicht, wie lange ich weg bin.«
»Und was soll danach werden? Wirst du dann professioneller Kung-Fu-Kämpfer oder was?« Franziska merkte, wie sie langsam die Fassung verlor, und versuchte tief ein- und auszuatmen.
»Ach, Unsinn. Mit Kung-Fu hat das gar nichts zu tun.«
»Und während du weg bist, wie soll es da laufen? Bekommst du noch ein Gehalt?«
»Nein. Von meinem letzten Gehalt habe ich den Flug und die Anzahlung bezahlt.«
»Dir ist schon klar, dass wir jeden Monat Raten für die Hypothek bezahlen müssen? Da reicht mein Gehalt nicht mal dafür, ganz zu schweigen davon, dass ich ja auch von etwas leben muss.«
»Ich habe mir gedacht, du bittest deinen Chef einfach um eine Ganztagsstelle. Du hast ja schon öfter gesagt, du hättest nichts dagegen.«
»Sicher. Aber in der Druckerei läuft es im Moment nicht besonders. Selbst wenn er das tut, wird er mir kaum genug zahlen, dass es reicht. Ach, Manolito! Was soll das?«
»Es ist wichtig für mich, und ich bin nicht bereit, es mit dir zu diskutieren. Irgendwie hatte ich schon befürchtet, dass du das nicht verstehst.«
»Ich verstehe es auch nicht. Du willst mich einfach so lange alleine lassen? Das macht dir gar nichts aus? Vor weniger als einem Jahr haben wir uns entschieden, uns dieses Häuschen zu kaufen und uns ein Zuhause zu schaffen. Vielleicht für eine Familie. Ich packe das nicht alleine. Es war klar, dass wir dazu dein gutes Einkommen brauchen würden, und du warst einverstanden.«
»Ich lasse mir von diesem Haus nicht diktieren, wie ich mein Leben leben soll.«
»Und von mir wohl auch nicht!«
»Nein, Schatz, von dir auch nicht. Aber reg dich nicht auf. Die Zeit wird vergehen wie im Flug. Wenn es etwas Dringendes gibt, bin ich alle vier bis sechs Wochen in einer American-Express-Vertretung zu erreichen. Das ist eine Anlaufstelle, wo Expeditionen und andere Reisende Nachrichten versenden und empfangen können. Ich habe es dir alles schon aufgeschrieben.«
»Hörst du dir eigentlich zu? Mit etwas Dringendem erreiche ich dich alle vier bis sechs Wochen?«
»Franzi, du bist eine gesunde erwachsene Frau. Du wirst wohl mal eine Weile alleine klarkommen. Es gibt einfach Dinge im Leben, die sind wichtiger als der alltägliche Kram.«
»Das haut nicht hin mit dem Haus. Das geht nicht, wenn du keinen Job mehr hast!«
»Dann verkaufe das Haus!«
»Ich liebe das Haus! Ich will es nicht verkaufen.«
»Dann verkaufe es nicht. Mach es, wie du willst.«
»Ich kann nicht machen, was ich will, weil ich das Geld nicht habe, kapierst du das nicht?«
»Bitte, Franzi, schreie mich nicht an. Wenn du es nicht bezahlen kannst, musst du es wohl verkaufen.«
»Dann stelle mir eine Vollmacht aus, dass ich alleine über einen Verkauf entscheiden kann.«
»Das betrifft aber doch nicht unser gesamtes Vermögen, oder?«
»Was für ein Vermögen? Alles, was wir hatten, haben wir in das Haus gesteckt.« Franziska merkte, wie ihr die Tränen kamen. So hatte das alles keinen Sinn. »Ich kann jetzt nicht mehr darüber reden. Ich gehe ins Bett. Ich schlafe im Gästezimmer!«
»Gute Nacht, Schatz!« Manolito küsste sie auf die Wange und lächelte sie an, als hätten sie gerade über einen Wochenendtrip nach Heidelberg gesprochen.
Vielleicht hatte er einen Hirntumor oder so was.
Hatte er wirklich seinen Job gekündigt? War alles schon fest? Manolito neigte zu verrückten Ideen, die sich meist schnell wieder verflüchtigten. Hoffentlich war er am nächsten Morgen wieder bei Verstand.
Trotz dieser vagen Hoffnung kam Franziska nur schwer zur Ruhe. Vielleicht war es eine Epidemie, dieses Alles-Hinwerfen-und-Wegrennen.
Franzi hatte das Gefühl, gerade eben erst eingeschlafen zu sein, als sie von Küssen auf Gesicht und Hals geweckt wurde. Wahrscheinlich träumte sie. Vorsichtig öffnete sie die Augen.
Aber nein! Manolito beugte sich im Bademantel über sie und raunte ihr ins Ohr: »Du hast dich beklagt, dass es so lange her ist, dass wir …«
Seine Hand wanderte in Richtung ihrer Brust, und sie seufzte genüsslich. Leider wachte genau in dem Moment ihr Gehirn auf, und die ganze Nepal-Geschichte fiel ihr wieder ein.
»Wenn du vorhast, mich monatelang alleine zu lassen, sollten wir vielleicht lieber nicht wieder damit anfangen, gerade wenn ich mich daran gewöhne, ohne auszukommen!« Das klang gereizt und zickig und einfach nur blöd.
Manolito richtete sich sofort auf. »Schade! Na ja, es wäre eh knapp geworden. Dann rufe ich mir ein Taxi und hüpfe in die Klamotten. Einen Kaffee kann ich ja am Flughafen trinken, wenn noch Zeit ist.«
»Was?«
»Vielleicht erinnerst du dich, dass wir darüber geredet haben, dass ich nach Nepal fliege?« Nun klang Manolito wirklich genervt.
Inzwischen war Franzi hellwach. »Was? Jetzt? Und das sagst du mir gestern Abend?«