Wie die Katze
Andreas Löhrer
Kriminalroman
Über den Autor:
Andreas Löhrer wurde 1968 in St.Gallen geboren. Seine Kinder- und Jugendjahre verbrachte er in der beschaulichen Appenzeller Landgemeinde Hundwil. Nach seinen Lehr- und Wanderjahren hat es ihn zusammen mit der Familie wieder in das Dorf zurückgezogen. Er ist verheiratet und Vater einer erwachsenen Tochter und eines erwachsenen Sohnes.
Ein Hobby begleitet ihn seit seiner Jugend: Krimis. Vor einigen Jahren kam die Idee auf, dass ein eigener Kriminalroman zu schreiben, ein spannendes Projekt sein könnte. Und das familiäre Umfeld hätte nicht besser sein können: Die Tochter liest ebenso gerne Krimis. Der Sohn arbeitet bei der Polizei. Und die Frau entlarvt mit ihrem detektivischen Spürsinn selbst die kleinste Notlüge.
Andreas Löhrer ist mit dem fachlichen Fokus Finanzmanagement und Controlling an der OST – Ostschweizer Fachhochschule als Professor am Institut für Unternehmensführung tätig.
Erscheinungsjahr: 2020
Texte: © Copyright by Andreas Löhrer
Umschlaggestaltung: © Copyright by Andreas Löhrer, unter Verwendung eines Bildes von Daria Shatova, gefunden auf www.unsplash.com
Verlag: Andreas Löhrer, Äckerli 852, 9064 Hundwil, Schweiz
kontakt@wiediekatze.ch
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
ISBN: 978-3-7531-1372-2
Prolog
Rosa Horat nahm sich jeden Monat drei Tage Zeit für die Bewegung, die sie Jahre zuvor ins Leben gerufen hatte. Sie nannte sie die Partei der aufrechten Schweiz. Kurz: PDAS. Und betrachtete sich als deren Präsidentin. Eine Partei im rechtlichen Sinne war die PDAS nicht. Sie wollte keine Aufmerksamkeit auf die Bewegung lenken und hatte auf eine offizielle Gründung verzichtet. Zumal sie ihre wahren Absichten ohnehin nicht offenlegen konnte. Die Statuten wären immer eine Farce geblieben.
Im politischen Denken hingegen verstand sie die Bewegung sehr wohl als Partei. Im Handeln war sie radikal. Die selbst ernannte Präsidentin scheute nicht vor grenzwertigen Methoden zurück, um ihre Interessen zu verfolgen. Oft übertrat sie dabei die Gesetze. Man konnte manchmal gar zum Schluss kommen, dass sie nahezu verwerflich vorgehe. Sie hatte keine Probleme damit. Ihre Moral war biegsam, denn sie richtete sich nach dem, was erreicht werden sollte. Dies bedeutete aber gleichzeitig, dass die Gruppierung im Untergrund arbeitete.
Insgesamt zählte die Bewegung knapp dreißig Gefolgsleute, die in ihrem zivilen Leben allesamt in ehrbaren Berufen tätig waren. Wo immer sich aber eine Gelegenheit ergab, kämpften sie mit allen lauteren und unlauteren Mitteln gegen eine Integration der Schweiz in der Europäischen Union.
Als Kopf der Gruppierung scherzte sie jeweils in aller Öffentlichkeit, dass es nur zwei Wege gebe, wie die Schweiz und der Rest von Europa zusammenkämen. Entweder müsse die EU den Antrag stellen, als Kanton der Schweiz beitreten zu dürfen, oder aber die Schweiz müsse wie zu Zeiten der alten Eidgenossenschaft Ländereien erobern und sie als Untertanengebiete dem Land angliedern. Es verstand sich von selbst, dass sie nicht ernst genommen wurde. Der Scherz ist oft das Loch, aus dem die Wahrheit pfeift. Das Sprichwort traf im übertragenen Sinn zu. Und dass sie der Kopf der Bewegung war, wusste niemand.
Horats zweites Ziel war die Bekämpfung der wachsenden Sozialdemokratie. Dieser Auswuchs gesellschaftlichen Neids war ein rotes Tuch für sie. In ihr lag ihrer Meinung nach die Hauptgefahr, dass die Schweiz nicht die Schweiz würde bleiben können. Und immer, wenn ihr dieses Szenario durch den Kopf schoss, fegte Zorn orkanartig durch alle Zellen ihres Körpers.
An den monatlichen „Retraiten“, wie sie die drei Tage nannte, plante sie jeweils die nächsten Aktivitäten. Kleinere Vorhaben führten einzelne Personen aus. Größere wurden sogenannten Projektteams übertragen. In beiden Fällen gab es nie schriftliche Anweisungen.
Die Aufträge übergab sie dem „Dispatcher“ zur Weiterleitung und Instruktion an die entsprechenden Personen. Er stieß jeweils am letzten Nachmittag der Retraite zu ihr und war das Bindeglied zwischen der Planung und der Ausführung der Aktivitäten. Nur sie und er kannten alle Mitglieder der Bewegung. Und was ihr besonders wichtig war: Nur er wusste von ihr. Tauchten bei der Durchführung eines Vorhabens Probleme auf, reichte es, ihren Gehilfen verschwinden zu lassen. Tot bereiteten sie ihr weniger Scherereien. Mit ihrem Ableben war die Verbindung zwischen den Schwierigkeiten und ihr selbst auf einen Schlag gekappt. Auf diesen Plan B konnte sie jederzeit zurückgreifen. Den Dispatcher ließ sie darüber im Ungewissen. Im Gegenteil: Er fühlte sich geehrt, die Vertrauensposition besetzen zu dürfen. Hinzu kam die fürstliche Bezahlung.
Heute war sie wieder in ihrer Retraite und brütete über einem Projekt, das sich schon Jahre ohne Erfolg hinzog. Aufgewühlt ging sie in ihrem Hotelzimmer auf und ab. Sie zerknüllte ein Notizblatt und warf es wütend an die Wand. Die betreffende Person wollte und wollte sich nicht einschüchtern lassen. Mittlerweile waren drastischere Mittel gefordert. Denn im folgenden Jahr sollte es wieder soweit sein. Dann durfte die Person keine Rolle mehr spielen. Das zumindest war der Plan. Ein ausgeklügelter Plan, der einer seriösen, minutiösen Vorbereitung bedurfte.
Er war mit Absicht kompliziert, damit er unglaubwürdig wirkte. Ihr blieben zwar einige Monate Zeit für die Organisation. Aber sie hatte nur einen Schuss.
Es dauerte nicht lange, da hatte sie dem Dispatcher in einer abgeschiedenen Ecke der Hotellobby ihren Willen erläutert. Er lächelte maliziös. Das Vorhaben war clever. Schon fast gemein. Gemein clever und clever gemein gleichzeitig.
Er schaute in Horats Augen. „Wie weit gehen wir?“
„Wenn alles nichts nützt?“
Der Mann nickte.
„Dann wird der Tod die letzte Lebenserfahrung sein.“
Dienstag, ein Jahr später
Natürlich erwachte er nicht das erste Mal mitten in der Nacht. Aber dieses Mal war es nicht wie sonst. Nicht der strömende Regen, nicht der laute Donner und nicht der Wind hatten ihn geweckt. Da war etwas anderes. Denn kaum war das Geräusch von seinem Unterbewusstsein in sein Bewusstsein vorgedrungen, riss er die Augen auf und war sofort hellwach. Sämtliche Sinne waren auf Gefahr eingestellt. Und er wusste, der Instinkt des Menschen log nicht. Angespannt blieb er im Bett liegen und horchte in die Dunkelheit.
Jetzt, da war es wieder. Ein eigenartiges, bedrohliches Knurren, wie er es selten von seinem Hund gehört hatte, insbesondere nicht mitten in der Nacht. Wohl kam es ab und zu vor, dass er wegen Wildtieren zu bellen anfing. Aber wenn sein Rottweiler-Rüde auf diese Art knurrte, gab es Grund, beunruhigt zu sein. Schließlich wohnte er alleine in einem Bauernhaus weit ab von Nachbarn und dem nächsten Dorf.
Andererseits, was konnte hier draußen schon geschehen? Hier gab es nichts außer Wald und Wiesen. Sein altes Haus erweckte nicht den Eindruck, für Einbrecher die erste Adresse zu sein. Der Hund hingegen war anderer Meinung. Da ging etwas vor sich, was nicht normal war. Das Tier war unruhig. Das beängstigende Knurren hörte nicht auf.
Kurt Heller entschloss sich zu einem Rundgang durchs Haus. Er kramte eine Taschenlampe aus der Nachttischschublade hervor und schwang sich aus dem Bett. Zwar hatte er überall Licht im Haus, aber im angebauten Schopf gab es die eine oder andere dunkle Ecke. Er schlüpfte in die Hausschuhe und durchsuchte im oberen Stock Zimmer um Zimmer. Sein Hund begleitete ihn, immer wieder knurrend. Anschließend stieg er runter ins Erdgeschoss. Wie erwartet, fand er nichts Außerordentliches.
Bevor er den Schuppen untersuchte, nahm er den Rottweiler an die Leine. Dieser zerrte ihn wie wild durch die Durchgangstüre, die das Haus mit dem Schopf verband. Hier war das Unwetter deutlich intensiver zu spüren. Regen peitschte an die kleinen Scheiben. Blitze ließen am schwarzen Nachthimmel bizarre, zuckende Formen erscheinen. Lauter Donner krachte. Der Wind pfiff durch die Ritzen. Das Holz, aus dem der Stall gebaut war, ächzte und stöhnte. Ein Sommergewitter konnte heftig sein. Er untersuchte alle Räume und leuchtete mit seiner Taschenlampe in jeden dunklen Winkel. Nichts. Er lauschte. Nichts. Aber es kam ihm schon unheimlich vor. Denn sein Hund hatte sich noch nicht beruhigt.
„Was hast du denn?“, fragte er ihn. „Es ist ja nichts.“
Er ging mit dem Tier zurück ins Haus und schaute durch das Küchenfenster in die Finsternis hinaus. In dem Moment, als er sich abwenden wollte, stutzte er. War da nicht ein kleiner Lichtschimmer im nahen Wald? In gleichen Augenblick blitzte es grell. Der Donnerschlag folgte unmittelbar. Geblendet kniff er die Augen zusammen. Es dauerte einige Sekunden, bis er wieder deutlich sah. Ja, da draußen war ein schwaches Licht erkennbar. Was zum Teufel war bei diesem Wetter da los? Da war doch nur Wald mit einer kleinen Lichtung, die vor allem Waldarbeitern als Parkplatz und Holzzwischenlager diente. Sie war von der anderen Seite des Waldes über einen schmalen, befahrbaren Waldweg erreichbar. Sonst fiel ihm nichts ein, was es da gab. Sollte er nachprüfen, was los war? Oder sollte er etwa die Polizei rufen? Aber wenn da nur ein Liebespaar war, das sich im Auto vergnügte? Es war Viertel nach drei in der Nacht. Er überlegte kurz.
Nachschauen.
Sein Entschluss war gefasst. Er wollte sich nicht blamieren. Immerhin hatte er seinen Hund als Schutz dabei. Ein Rottweiler flößte Respekt ein, wenn er die Zähne zeigte. Heller zog sich wetterfest an, griff zur Taschenlampe und schickte sich an, das Tier wieder an die Leine zu nehmen. Da drehte er sich zur Küchenschublade und klaubte ein Messer heraus, dessen Klinge mit einem Etui geschützt war. Jenes, das er dazu benutzte, um die geschlachteten Kaninchen zu zerlegen. Er steckte es in die Jackentasche ein, zur Sicherheit, und ging in den Sturm hinaus.
***
Auf ihr Läuten und Rufen kam keine Reaktion. Seltsam, er hatte es ausdrücklich gewünscht, dass sie kam.
Es seien die letzten Modalitäten in den finanziellen Angelegenheiten zu regeln. Damit sei die Scheidung endlich abgewickelt und jeder könne wieder seiner eigenen Wege gehen. War die Tür offen? Tatsächlich, es war nicht abgeschlossen.
Als sie das Haus betrat, merkte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Es herrschte eine gespenstische Ruhe, eine eigenartige Stimmung, obwohl er hier sein musste. Zuverlässigkeit war eine seiner Tugenden. Warum war er nicht hier? Normalerweise lief das Radio, wenn er abends zu Hause war. Sie rief nach ihm.
Keine Antwort.
Sie schaute in der Küche nach. Hier bestätigte sich ihr Gefühl. Es war nicht aufgeräumt. Die Pfannen, das Geschirr, Messer und das geschnittene Gemüse lagen in willkürlicher Anordnung herum. Verlassen mitten bei der Arbeit. Sie ging ins Wohnzimmer. Sein Jackett und der Mantel waren achtlos hingeworfen auf dem Sofa. Komisch. Er, der immer so ordentlich war und bei dem stets alles seinen Platz hatte. Auch im Nebenzimmer war er nicht. Nirgends ein Anzeichen, wo er sein könnte oder was los war. Beunruhigt stieg sie ins obere Stockwerk. Vielleicht war ihm nicht gut und er hatte sich hingelegt. Doch das Schlafzimmer war leer und das Bett unberührt. Er solle sich melden, rief sie in die Stille des Hauses hinein. Aber erneut blieb ihr Rufen unbeantwortet.
Rasch öffnete sie die Tür zum Büro. Verlassen. Im Badezimmer dasselbe. Keine Spur. Was war hier los? Hatten ihn die Stimmungsschwankungen wieder eingeholt? Hoffentlich war er wohlauf. Trotz der Scheidung wünschte sie ihm nichts Schlechtes. Er war ihre Liebe des Lebens gewesen. Die Trennung von ihm war ein rein rationaler Entscheid. Es ging nicht mehr.
Sie stieg wieder hinunter ins Erdgeschoss. Ihr Blick fiel auf das Garderobekästchen. Der Schlüsselbund lag wie gewohnt in der Schale. Zudem waren seine Schuhe hier, alle Jacken und Mäntel ebenfalls. Die Hausschuhe hingegen fehlten. Demzufolge musste er hier irgendwo sein. Im Keller? Sie öffnete die Tür ins Untergeschoss. Doch das Licht für die Kellerstiege war aus. Dennoch stieg sie runter, nur um festzustellen, dass er auch dort nicht war. Wieder oben kam ihr ein Gedanke: die Scheune. Das war die letzte Möglichkeit.
Sie schaute aus dem Stubenfenster. Dichtes Schneegestöber erschwerte die Sicht auf das Nebengebäude, das etwa zehn Meter vom Haus entfernt war. Schwaches Licht drang aus den kleinen Fenstern. Was zum Teufel trieb er denn dort? Sie zog ihre Schuhe und die Jacke an und ging hinaus in den Schnee.
Scheißwetter.
Sie schlug den Kragen hoch. Der Weg führte ums Gebäude. Doch, hier waren Spuren auszumachen, vom Schnee bereits wieder leicht zugedeckt. Es gab nur eine Spur zum Nebengebäude hin, aber keine zurück. Er musste demzufolge noch dort sein. Aber warum behielt er durch den Schnee die Hausschuhe an? Merkwürdig. Ihre Unruhe erhöhte sich.
Sie öffnete langsam die Türe und schaute in die Scheune hinein. Er war nicht zu sehen. Niemand antwortete, als sie seinen Namen rief. Sie trat ein und sah sich um. Das Gebäude bestand nur aus einem einzigen großen, hohen Raum, der fast leer war. In einer Ecke waren einige Gartengeräte und ein Fahrrad verstaut. Unter dem Fenster war eine Werkbank platziert. An der Wand links daneben hingen Werkzeuge, rechts stand ein Regal mit Material, das man für den kleinen Unterhalt eines Hauses brauchte. Erst jetzt fiel ihr die große Bockleiter auf, die umgestürzt mitten im Raum lag. Warum lag die hier?
Ohne etwas zu erwarten, hob sie für einen kurzen Moment den Blick nach oben in Richtung Dachfirst und wollte dann die Scheune weiter absuchen. Doch es hatte sich ein Bild in ihre Netzhaut eingebrannt, das sie nie mehr vergessen würde. Es dauerte einige Sekunden, dann schrie sie los.
Schweißgebadet fuhr Karin Fuso hoch. Ihr Herz pochte. Sie atmete schnell und zitterte am ganzen Körper. Die Nachtlampe am Boden beleuchtete mit gedämpftem Licht das Zimmer. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie sich der gewohnten Umgebung ihres Schlafzimmers bewusst wurde. Langsam beruhigte sie sich. Wann endlich würde sie wieder normal und ohne Licht schlafen können? Der immer wiederkehrende Albtraum, seit sie vor einem halben Jahr die Leiche ihres Mannes gefunden hatte, raubte ihr jede Nacht den Schlaf. War es nicht schlimm genug gewesen, ihn zu finden? Reichte das denn nicht?
Einige Minuten später stand sie auf und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Die Küchenuhr zeigte zwanzig nach drei in der Nacht. Draußen stürmte es. Nach den letzten heißen Tagen war ein abkühlendes Gewitter willkommen. Es blieben ihr noch drei Stunden, bis ihr Wecker klingeln würde. Vielleicht gelang es ihr, nochmals etwas Schlaf zu finden. Normalerweise kam dieser fürchterliche Traum in einer Nacht nur einmal.
Wie schön, dass sie sich ins warme Bett zurücklegen konnte. Hoffentlich hielt das Unwetter auch Verbrecher davon ab, ihre Untaten zu begehen. Sie hatte in dieser Nacht Bereitschaftsdienst. Die Vorstellung, eventuell ausrücken zu müssen, behagte ihr überhaupt nicht.
***
Der Sturm tobte noch immer heftig. Der schmale Weg führte von Hellers Haus ungefähr über vierzig Meter Wiese in den Wald. Der Rottweiler knurrte fortwährend und zerrte wild an der Leine. Sie kamen in den Wald. Die Lichtung war schätzungsweise weitere dreißig Meter entfernt. Er sah das Licht jetzt deutlicher. Nach etwa fünfzehn Metern stoppte er. War da nicht ein Knacken von Ästen?
Sein Puls schlug etwas schneller. Vorsichtig näherte er sich der Lichtung. Ein Blitz erleuchtete den Wald für einen Sekundenbruchteil. Da! Schatten hatten sich bewegt. Es rannte jemand! Oder war dies eine Täuschung? Waren nicht Stimmen zu hören?
Verunsichert blieb er stehen und horchte. Nichts, außer starkem Regen, heftigem Wind und dem Lichtschein. Plötzlich hob der Hund witternd die Nase. Und ebenso plötzlich sprintete er bellend auf die Waldlichtung los. Darauf war sein Meister nicht gefasst. Ihm entglitt die Leine.
„Komm zurück!“, schrie er in den Sturm.
Vergebens. Der Hund war verschwunden. Nur sein Gebell war noch zu hören. Heller horchte in den Wind. Abrupt verstummte das Bellen. Was war da nur los?
Langsam schlich er auf die Lichtquelle zu. Bevor er aus dem Wald auf die Lichtung trat, verschaffte er sich im Schutze eines Gebüsches einen Überblick. Eine gespenstische Szenerie bot sich ihm. Zwei Lampen erleuchteten etwa zehn Meter von ihm entfernt am Rand der Lichtung den Ort. Der Lichtstärke nach waren es eher Scheinwerfer oder zumindest sehr starke Taschenlampen. Ein Gerät war halb umgekippt und leuchtete in Richtung der Baumwipfel. Der Sturm sorgte für ein bizarres Schattenspiel. Die Tannen schwankten hin und her. Überall bewegten sich nervöse Schatten wie wilde Dämonen. Der andere Lichtkegel war auf seinen Hund gerichtet, der einen länglichen, schwarz-weißen, etwa vierzig Zentimeter hohen Haufen beschnupperte. Gleich dahinter stieg die Waldlichtung ungefähr zwei Meter steil an. Nach der Erhöhung ging die Lichtung wieder in Wald über.
Er vermochte nicht zu erkennen, was am Boden lag. Der Hund verdeckte ihm die Sicht. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sonst nichts Ungewöhnliches mehr zu sehen war, trat er auf die Lichtung und schlich langsam, sich ständig umschauend auf den Hund zu und kniete sich schließlich neben ihm nieder.
Zuerst begriff er nicht, was er da sah. Dann aber durchfuhr es ihn heiß. Sein Atem stockte. Sofort kamen ihm die Geräusche und Schatten im Wald von vorher in den Sinn. Und die Stimmen. Das waren keine Täuschungen gewesen! Er richtete sich zögernd auf. Seine Nackenhaare stellten sich auf. War noch jemand hier?
Heller schaute sich um und leuchtete zuerst langsam, dann immer unkontrollierter mit der Taschenlampe den Waldrand ab. Ein Knall. Er zuckte zusammen. Es dauerte einen Augenblick, bis er den Knall als Donner wahrnahm. Gewiss, er war kein ängstlicher Mann. Aber jetzt kam selbst bei ihm Panik auf. Warum nur hatte er nicht gleich die Polizei angerufen!
Mit zitternden Händen versuchte er, die Leine seines Hundes aufzunehmen. Aber es gelang ihm nicht auf Anhieb, da er immer wieder voller Angst hektisch fuchtelnd um sich leuchtete und mit weit aufgerissenen Augen etwas zu erkennen versuchte. Jetzt hatte er die Leine in der Hand. Er riss den Hund mit aller Kraft mit sich und rannte, oder vielmehr stolperte, so rasch sein Alter dies zuließ, zurück in Richtung seines Hauses. Mehrmals fiel er hin. War da nicht ein Knacken und Rascheln von Ästen? Kamen die Geräusche nicht immer näher?
Doch, es waren mehrere Verfolger. Sie waren ihm auf den Fersen. Er verfiel in höchste Panik. Kurz bevor er aus dem Wald kam, verlor er bei einem Sturz die Taschenlampe. Angesichts dessen, was sein Hund und er auf der Waldlichtung entdeckt hatten, und da ihm jetzt dunkle Gestalten im Nacken waren, stellte dies Hellers kleinstes Problem dar.
***
Als Kriminalkommissarin Karin Fuso kurz vor halb fünf in der Früh mit wenig Motivation und schlechter Laune auf der Waldlichtung ankam, war das Gewitter der Nacht nur noch in der Ferne zu hören. Regen fiel in Strömen vom Himmel. Die alarmierte Polizei hatte den Ort schon weiträumig mit Bändern abgesperrt.
Sie hob das Absperrband leicht an und bückte sich unten durch, blieb aber sofort stehen. Die beiden Polizisten hatten bereits Ständerscheinwerfer aufgestellt und eingeschaltet. Aufgrund des Dauerregens der letzten Tage war das Waldsträßchen zur Lichtung in einem miesen Zustand, sodass sie das Fahrzeug etwa hundertfünfzig Meter entfernt stehen lassen und das gesamte Material durch den Morast schleppen mussten. Fuso konnte sich vorstellen, dass sich die Freude der Kollegen in Grenzen hielt. Sie selbst hatte ihren Wagen gleich hinter jenem des Notarztes geparkt, der schon auf dem Platz war. Sie sah ihn in ungefähr zwanzig Meter Entfernung am gegenüberliegenden Rand der Lichtung neben einem leblosen Körper am Boden knien.
„Lasst niemanden unter den Bändern durch, bis die Spurensicherung ihre Arbeit erledigt hat“, sagte sie mürrisch zu den beiden Polizisten.
Sie wäre lieber noch in ihrem warmen Bett. Stattdessen musste sie hier draußen bei garstigem Regenwetter einen Tatort aufnehmen.
„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen!“, gab einer der uniformierten Kollegen übertrieben freundlich zurück, obwohl er wusste, dass Fusos Ton und der unterlassene Gruß nicht persönlich zu nehmen waren. Dazu kannte er sie schon zu lange. Sie war im Grunde eine fröhliche Kollegin, mit der man sich gerne unterhielt. Aber wenn sie missgelaunt war, bekamen dies alle zu spüren, die ihr über den Weg liefen.
Ohne auf die Antwort einzugehen, drehte Fuso sich um und sah den Notarzt auf sich zukommen. Sie erkannte Bernd Moser. Ihre Stimmung besserte sich sogleich. Er war erst seit einigen Monaten am Spital in Herisau tätig. Sie hatte im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen schon ab und zu mit ihm zu tun gehabt. Er wirkte anziehend auf sie.
Moser war etwa einen Meter neunzig groß, schlank und machte einen sportlichen und kräftigen Eindruck. Seine dezent bräunlich-bronzene Gesichtsfarbe deutete auf eine südländische Abstammung hin, wenngleich in seiner Aussprache nichts darauf schließen ließ. Sein Gesicht hatte auf den ersten Blick eine liebliche, gewinnende Ausstrahlung. Bei näherem Hinschauen drang in den Gesichtszügen jedoch eine gewisse Härte durch. Sein kurzes, gewelltes Haar war schwarz und teilweise grau meliert und trug das seine dazu bei, dass Frauen ihn als attraktiv bezeichneten.
Fuso bedauerte, dass sie bis jetzt nie die Gelegenheit gehabt hatte, sich länger mit ihm zu unterhalten. Denn seit ihrem Schicksalsschlag einige Monate zuvor war er der erste Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlte. Wie sollte sie es angehen, mit ihm näher in Kontakt zu kommen? Sollte sie ihn einfach fragen? Musste nicht er als Mann sie ansprechen? Dies aber würde bedingen, dass er sich ebenfalls für sie interessierte. Tat er das?
„Guten Morgen, Herr Moser.“ Die Tonlage in ihrer Stimme war um Stufen freundlicher als noch vor wenigen Sekunden gegenüber dem Polizisten. „Können Sie mich ins Bild setzen?“
„Ah, Frau Fuso. Wie schön, Sie zu sehen“, sagte Moser mit dunkler Stimme und gab ihr die Hand. Sie war wohlig warm. Er hatte einen angenehmen Händedruck.
„Ich kann Ihnen natürlich nur die medizinische Verdachtsdiagnose geben. Leider konnte ich nichts mehr für ihn tun. Er war bereits tot, als ich angekommen bin.“
„Woran ist er gestorben?“
„Ich will der Spurensicherung und der Rechtsmedizin nicht vorgreifen. Aber es ist offensichtlich: Er wurde erschossen. Ein direkter Schuss ins Herz.“
Fuso wollte etwas sagen, jedoch Moser fuhr fort: „Ein Unfall kann ausgeschlossen werden.“
„Wieso ...“
„Darf ich bitten, Platz zu machen und uns das Feld zu überlassen?“ Edgar Kalt, Leiter des kriminaltechnischen Dienstes, kam auf sie zu. „Stellen Sie mal keine voreiligen Vermutungen an, Moser.“
„Aber Sie werden sehen ...“
„Darf ich bitten?“ Kalt hob das Absperrband hoch und winkte Fuso und Moser aus dem abgesperrten Bereich.
Hinter Kalt kamen seine Kolleginnen und Kollegen. Auch sie waren gezwungen, ihre Ausrüstung mühsam zum Tatort zu schleppen. Sie atmeten schwer. Fuso und Moser traten zur Seite, damit die Spurensicherung ihre Arbeit aufnehmen konnte.
„Mussten heute Nacht also Sie in den sauren Apfel beißen?“, fragte Moser Fuso.
„Ja, leider. Gleiches gilt ja für Sie.“
„Nun, bedauerlicherweise finde ich schlecht Schlaf und erwache zudem oft sehr früh. Auch heute war ich schon wach, als der Notruf kam.“
Das Team der Spurensicherung hatte inzwischen am Rande der Lichtung die Arbeit aufgenommen. Zwei Personen stellten eine Überdachung auf, unter der sich das Team auf den bevorstehenden Einsatz vorbereitete. Kalt gab Anweisungen. In seinen Worten lagen Kompetenz und langjährige Erfahrung.
„Sie entschuldigen mich für einen Moment?“, meinte Fuso zu Moser. „Ich muss kurz telefonieren.“
Fuso entfernte sich einige Schritte von dem Arzt. Sie wollte den Staatsanwalt Alexander Stoll anrufen. Die Notrufzentrale hatte ihn nicht erreichen können, wie sie auf der Fahrt hierher erfahren hatte. Leider hatte sie aber keinen Empfang, wie sie feststellen musste. Sie fluchte vor sich hin. So, wie Stoll momentan drauf war, würde er ihr vorwerfen, ihn absichtlich nicht ins Bild gesetzt zu haben. Die Stimmung Fusos sank augenblicklich gegen den Nullpunkt.
Sie wollte sich schon wieder Moser zuwenden, da leuchteten plötzlich die Scheinwerfer der Spurensicherung auf. Die Lichtung und der Waldweg lagen jetzt in gleißendem Licht.
Moser hatte sich mittlerweile unter das Zeltdach der Spurensicherung gestellt. Sie gesellte sich zu ihm. Beide schauten den Spurenexperten bei ihrer Arbeit zu. In der Zwischenzeit war die Verstärkung der uniformierten Kollegen ebenfalls auf dem Platz.
Aus der Distanz präsentierte sich das Ganze wie ein Filmset. Scheinwerfer beleuchteten die Szenerie. Die Schauspieler spielten ihre Rolle. Die Regie stand etwas abseits, um bei Bedarf einzugreifen.
Leider war dies kein Spiel, sondern purer Ernst. Fuso fragte sich, welche Umstände in dieser ländlichen Gegend im Appenzellerland zu einer Leiche mit einem Herzschuss führten. Auch über den Fundort rätselte sie, denn die Waldlichtung konnte kaum zufällig als Ort ausgesucht worden sein. Dafür sprachen die beiden Handscheinwerfer, die zurückgelassen wurden. Der oder die Täter kannten den Platz.
„Müssen Sie nicht zurück ins Spital?“, fragte Fuso den Notarzt, nachdem sie einige Minuten still den Kriminaltechnikern zugeschaut hatten.
„Nein.“ Moser schaute auf seine Uhr „Meine Schicht ist zu Ende. Ein Kollege hat bereits übernommen. Da wir zwei Einsatzfahrzeuge haben, schau‘ ich noch ein bisschen zu, bis es heller wird.“
„Karin, du kannst kommen.“ Kalt winkte ihr zu. „Aber bleib auf dem gekennzeichneten Weg!“
„Bis später!“, sagte Fuso zu Moser und näherte sich vorsichtig auf dem markierten Weg der Leiche.
Der Körper lag auf der rechten Seite, mit leicht nach oben abgedrehtem Oberkörper. Die Hände waren hinter dem Rücken. Die offenen Augen starrten in den Himmel. In ihnen lag eine Art von Melancholie, und Fuso kam es vor, als würde der Blick ein stummes Warum nach oben senden. Die blonden Haare klebten nass am Kopf, dessen rechter Teil leicht mit Erde beschmiert war. Die Oberschenkel lagen in der gleichen Linie wie der Oberkörper, während die Unterschenkel nach hinten angewinkelt waren. An den Knien war die Hose ebenfalls mit Dreck bedeckt. Der Mann trug eine schwarze, sportliche Jacke, die geöffnet und auf der oberen Seite des Körpers auf den Rücken zurückgeschlagen war. Das ursprünglich weiße Hemd war von Blut und Regen durchtränkt und hatte eine hellrote, fast rosa Farbe angenommen. Einzig mitten in der Brust war ein sattroter Punkt auszumachen. Das Einschussloch.
„Moser hat recht. Es war kein Unfall“, begann Kalt zu ihr gewandt. „Seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Zudem haben wir bis jetzt keine Waffe gefunden. Aber wie will er sich auch gefesselt erschossen haben?“
Fuso umrundete langsam die Leiche. Anschließend begutachtete sie in der Hocke die Fesseln. Es waren schwarze Kabelbinder.
„Er muss gekniet haben, als er vom Schuss getroffen wurde. Danach ist er nach rechts in den Dreck gekippt“, fuhr Kalt fort. „Dies bestätigen auch die beiden runden Vertiefungen im nassen Waldboden. Dort waren wohl seine Knie. Weitere körperliche Schäden haben wir bis jetzt keine ausgemacht, von der Austrittswunde der Kugel mal abgesehen. Aber die Rechtsmedizin wird sich zu allem verbindlich äußern.“
Fuso erhob sich wieder. „Mit Kabelbindern fesseln, hinknien lassen und erschießen. War das eine Hinrichtung?“
Kalt zuckte mit den Schultern.
Sie betrachtete immerzu das Gesicht des Toten. Der Mann kam ihr bekannt vor. Angestrengt dachte Fuso nach. Allerdings erinnerte sie sich nicht, woher sie ihn kannte oder wer er war. Sie drehte sich nachdenklich um und sah hinüber zu Moser. Dieser war etwas außerhalb der Zeltabdeckung im abgesperrten Bereich und band sich einen Schuh.
„Bitte weichen Sie zurück unter die Abdeckung, bis die Spurensicherung hier alles aufgenommen hat“, rief sie ihm zu.
„Oh, das habe ich schon wieder vergessen. Geht in Ordnung.“ Moser ging die paar Schritte zurück.
„Die Sachen, die wir in seinen Kleidern gefunden haben, liegen dort auf dem Tisch unter der Abdeckung. Vielleicht ist ein Personalausweis dabei“, schaltete Kalt sich wieder ein.
„Ja, danke. Wie lange schätzt du, werdet ihr hier noch brauchen? Es ist jetzt halb sechs. Wann können wir auf dem Kommissariat einen ersten Überblick kriegen, was ihr an Spuren gefunden habt?“, fragte Fuso.
„Schwierig zu sagen. Der Regen macht die Spurensuche nicht gerade einfacher. Wir werden wohl eine Weile beschäftigt sein, aber mein Team kommt eine Stunde gut auch ohne mich aus. Ich werde mich melden.“
„Haben Sie schon interessante Spuren gefunden?“
„Bis auf einige Fußabdrücke noch nichts.“
„Okay, bis dann.“
Fuso gab Kalt die Hand und ging über den markierten Pfad zum Tisch mit den Gegenständen aus den Taschen des Toten. Als sie zur Abdeckung kam, sah sie Moser, der sich in Richtung des Waldes abgewandt hatte. Er drehte ihr den Rücken zu und der Neigung des Kopfes nach zu schließen, schaute er auf etwas, das er in den Händen hielt.
„Ist es Ihnen noch nicht verleidet, hier im Regen rumzustehen?“, fragte Fuso ihn, als sie unter die Abdeckplane kam.
Moser zuckte leicht zusammen, drehte sich langsam um und hob mit der linken Hand sein Mobiltelefon ans Ohr. „Ein Moment, ich bin gleich soweit“, flüsterte er ihr zu und verformte den Mund dabei so deutlich, sodass sie die Worte verstand, obwohl sie wegen des Regens, der auf die Abdeckung fiel, nicht alles mitgekriegt hatte. Gleichzeitig streckte er ihr seinen rechten Arm entgegen und gab ihr damit zu verstehen, dass sie auf Distanz bleiben möge.
Sie drehte sich ab und trat ein, zwei Schritte zurück, um dem unausgesprochenen Wunsch zu entsprechen.
„Hallo? Bernd hier“, hörte sie ihn sagen. „Ich werde erst später nach Hause kommen. Leider gab es einen nächtlichen Einsatz ... Okay, wir sehen uns.“ Er beendete das Gespräch und kam auf Fuso zu. „Ich musste privat etwas regeln“, sagt er und hielt ihr kurz, wie zur Bestätigung, das Telefon entgegen.
Sie sah das erleuchtete Display, auf dem deutlich zwei Beschädigungen im Glas zu sehen waren, ein großer und ein etwas kleinerer Sprung.
Oje, das hatte ich auch schon, dachte Fuso.
Moser steckte das Telefon weg. „Es ist nun hell genug. Ich werde den Weg zurück ins Auto jetzt ohne Taschenlampe unter die Füße nehmen können. Hat mich gefreut, Frau Fuso.“
„Mich auch. Und zur Not haben Sie ja die Lampe am Handy.“ Fuso gab Moser lächelnd die Hand und dachte angestrengt nach, wie sie es schaffen konnte, ihn mal außerhalb der Arbeit zu treffen. Sie wollte nicht plump wirken. Und dennoch, ohne einen ersten Schritt würde das nie zustande kommen. Sie zögerte. Moser entfernte sich eilig. Sie nahm tief Luft. Ob er mal Zeit und Lust auf einen Kaffee außerhalb der Dienstzeit habe? Sie hatte sich den Satz zurechtgelegt. Nur war er noch nicht ausgesprochen.
Im gleichen Augenblick drehte sich Moser um, kam wieder auf sie zu.
„Übrigens, hätten Sie mal Zeit und Lust auf einen Kaffee außerhalb der Dienstzeit, Frau Fuso?“ Er zog aus der Innentasche seines Mantels eine Karte und reichte sie ihr. „Rufen Sie einfach an. Wir werden schon einige gemeinsamen freie Minuten finden, oder?“
„Aber ...“ Fuso stand perplex da.
„Natürlich liegt es mir fern, Sie zu drängen. Aber unsere Treffen waren bisher immer negativ geprägt.“ Sofort schob er nach: „Selbstverständlich nicht wegen Ihnen. Es liegt in der Natur der Sache, die uns zusammenbringt. Mich würde es sehr freuen, mit Ihnen auch über anderes zu reden, als nur immer über Tote, Todesursachen und Verletzte. Also, bis bald.“ Er zwinkerte ihr zu, drehte sich erneut um und stapfte auf dem morastigen Waldsträßchen davon.
„Karin!“ Ein Mitarbeiter der Spurensicherung hatte in der Zwischenzeit die Gegenstände des Toten auf dem Tisch einer ersten Untersuchung unterzogen. „Karin, komm doch mal her!“
„Karin ... Haallooo ... Träumst du?“
Endlich drang sein Rufen bis zu ihr durch. Sie fasste sich und wandte sich ihm zu. „Was ist denn?“, fragt sie ihn in ärgerlichem Ton.
„In seiner Brieftasche war der Personalausweis. Das solltest du dir ansehen.“
Mit einigen Schritten war sie bei ihm. Er gab ihr den Ausweis. Sie hielt ihn ans Licht eines Scheinwerfers, damit sie ihn besser lesen konnte. Dann schaute sie den Kriminaltechniker erstaunt an. „Du meinst, das ist der ...“
„Ja, das ist er. Hier, er hatte auch seine Visitenkarten dabei.“
„Du heilige Scheiße!“
„Das kannst du laut sagen.“
***
Er erschrak. An der Haustür hämmerte es laut. Der Lärm riss ihn aus seinen wirren und inhaltlosen Gedanken. Fast gleichzeitig begann der Hund lauthals zu bellen. Er hörte, dass jemand seinen Namen rief. Nach einigen Augenblicken erhob sich Heller. Er verließ die Küche, ging zur Türe und öffnete sie einen Spalt breit. Sein Hund wollte sich bellend und knurrend an ihm vorbei nach draußen drängen. Doch Heller hielt ihn energisch am Halsband zurück.
Vor der Tür stand eine Frau. Sie trug rote Regenhosen und eine schwarze Regenjacke. Die Kapuze bedeckte den Kopf, sodass Heller von ihrem Haar nur die dunkelbraunen Fransen sah. Trotz des Regenschutzes klebten sie ihr nass an der Stirne. Ihre Füße steckten in olivgrünen Stiefeln. Sie erschrak und trat einen Schritt zurück, als sie seinen Rottweiler erblickte.
„Herr ... Heller?“, fragte die Frau zögerlich und schielte ängstlich auf den Hund, der noch immer laut bellte.
„Ja.“
„Mein Name ist Karin Fuso. Ich bin von der Kriminalpolizei Appenzell Ausserrhoden.“ Während sie dies sagte, hielt sie ihren Dienstausweis hoch. „Es tut mir leid, dass ich einen solchen Lärm veranstaltet habe. Aber ich konnte keine Klingel entdecken.“
„Schon gut, es gibt keine. Kommen Sie wegen dem ... der ...“ Heller kam ins Stottern.
„Haben Sie den Fund der Leiche gemeldet?“
„Er lebt also nicht mehr?“
„Nein, leider konnte der Arzt nur noch den Tod feststellen. Darf ich reinkommen?“
„Natürlich. Kommen Sie.“ Er trat zur Seite und öffnete mit der einen Hand die Türe vollständig. Mit der anderen hielt er den Hund am Halsband straff an seinem Bein. Dieser hatte aufgehört zu bellen, ließ aber ein tiefes Knurren verlauten. „Still!“, befahl Heller streng.
Fuso blieb erstarrt draußen stehen.
Er sah sie einige Sekunden an, begriff und sagte: „Kommen Sie nur, ich werde den Hund im Schopf anbinden.“
Er öffnete die Türe, die vom Korridor aus in die Scheune führte. Fuso bewegte sich jedoch erst wieder, als er alleine zurückkam.
In der Küche fragte Heller: „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“
„Ja, gerne.“ Sie schloss die Küchentüre hinter sich und prüfte, ob sie wirklich geschlossen war. „Ja, ein Kaffee, das wäre jetzt wunderbar. Ich hatte heute früh leider keine Zeit für ein Frühstück.“
„Ich habe allerdings nur Filterkaffee.“
„Das macht nichts“, meinte Fuso.
Heller bemerkte, wie sie sich umschaute. Er schämte sich. Seine Küche war karg eingerichtet. Es gab keine Küchenkombination. Ein uralter Herd stand isoliert in einer Ecke. Die Schränke, der Tisch und die Stühle waren aus unterschiedlichen, älteren Einzelstücken zusammengewürfelt. In der Spüle lag dreckiges Geschirr, das ebenfalls aus verschiedenen Stilrichtungen kunterbunt zusammengesetzt war. Wie im Trödlerladen.
Die Wände waren dunkelbraun und trostlos leer. Einzig ein Kalender hing an einer Schranktüre. Er wollte eigentlich schon lange etwas Farbe ins Haus bringen. Allerdings war es ihm doch nicht wichtig genug, sich um Bilder zu kümmern oder sich dazu durchzuringen, die Wände wenigstens mit heller Farbe zu streichen. Obwohl draußen der Tag dämmerte, fiel kaum Tageslicht durch die kleinen Küchenfenster. Die nackte Glühbirne an der Decke gab spärliches Licht. Der Tisch in der Mitte der Küche bot knapp vier Personen Platz. Er war nicht bedeckt. Auf ihm stand eine Tasse, die mit Kaffee halb gefüllt war, daneben eine offene Flasche mit klarem Inhalt. Der Raum strahlte keine Wärme aus. Er war nüchtern und funktional.
„Bitte nehmen Sie Platz“, forderte er Fuso auf.
„Danke. Sie leben weit ab vom nächsten Haus. Ist Ihnen dies nicht zu einsam?“
„Ich bin gerne für mich alleine. Mein Hund ist mir Gesellschaft genug. Wissen Sie schon, was da draußen im Wald passiert ist?“
„Nein, die Ermittlungen stehen erst am Anfang“, antwortete Fuso.
Heller nahm zwei Tassen aus einem Schrank und stellte sie auf den Tisch. „Wer ist der Mann?“, fragte er und hob den Krug mit dem Kaffee vom Herd und schenkte der Polizistin und sich ein.
„Wir können dies noch nicht mit Sicherheit sagen. Sie verstehen bestimmt, dass wir zuerst einige Abklärungen vornehmen müssen.“
„Wollen Sie auch ein wenig in den Kaffee?“, fragte er und zeigte auf die Flasche. „Ich brauche einen Schluck, um über den Schrecken hinwegzukommen. Man findet schließlich nicht jeden Tag eine Leiche im Wald.“
„Nein, danke“, sagte Fuso. „Erzählen Sie bitte der Reihe nach, was heute Nacht passiert ist. Darf ich das Gespräch mit dem Mobiltelefon aufzeichnen?“
„Ja, von mir aus“, meinte Heller und schenkte sich großzügig klares Wasser ein. Dann begann er nach einer kurzen Pause mit dem Bericht: „Mein Hund hat mich geweckt. Er war sehr unruhig. Also bin ich aufgestanden und habe mit ihm Haus und Stall abgesucht. Aber hier war alles in Ordnung.“ Er zeigte auf das Küchenfenster. „Mehr zufällig habe ich hinausgeschaut und im Wald hinten ein schwaches Licht gesehen.“
„Um welche Zeit war dies?“, erkundigte sich Fuso und nahm einen Schluck Kaffee.
Heller sah, wie sie das Gesicht verzog.
„Uff, der hat es aber in sich. Damit könnten Tote aufgeweckt werden. Kriegen Sie davon nicht Herzrasen?“, fragte die Kommissarin.
„Ich habe mich daran gewöhnt. Mit jedem Aufwärmen wird er eben etwas stärker.“
Fuso stellte die Tasse zurück auf den Tisch und blickte dann für einen kurzen Moment prüfend zum Kaffeekrug auf dem Herd. Rasch schaute sie wieder zu Heller und fragte erneut: „Um welche Zeit haben Sie das Licht im Wald entdeckt?“
„Ich weiß es nicht mehr. Es ist irgendwie, wie wenn alle Details aus meinem Kopf verschwunden sind. Ich sehe immerfort nur den Mann mit all dem Blut. Schrecklich. Ich kann’s Ihnen nicht sagen.“ Er nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse und schenkte Schnaps nach.
„Ist schon gut. Sie schauten zum Küchenfenster hinaus. Was geschah danach?“
„Ich ging mit meinem Hund über die Wiese in den Wald. Plötzlich war er weg. Auf der Lichtung fand ich ihn wieder, gleich neben“, Heller nahm einen weiteren Schluck seiner Brühe, „dem Mann. Ich habe nicht sofort kapiert, was der Hund gefunden hatte. Es wirkte irgendwie ... irgendwie nicht echt.“
„Haben Sie jemanden gesehen oder gehört?“
„Ja, da waren Schatten und Schritte. Es müssen mehrere Leute gewesen sein.“
„Sind Sie sich dessen sicher?“, hakte die Kommissarin nach. „Es hing ein stürmisches Gewitter über der Region. Ich kann mir vorstellen, dass es aufgrund des Wetters im Wald rauschte und knackte.“
„Ja ... nein.“ Heller zögerte. „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Nachdem ich begriffen habe, was vor mir auf dem Boden lag ... mit einem Mal war ich wieder in meinem Haus.“
Fuso wechselte das Thema. „Wozu dient denn die Lichtung im Normalfall? Es gibt dort ja nichts. Warum führt ein Waldsträßchen dahin?“
„Der Platz im Wald wird hauptsächlich von Waldarbeitern benutzt. Sie stellen dort während der Arbeiten ihre Forstfahrzeuge ab. Gelegentlich lagern sie auch Holz, bis es abtransportiert wird.“
„Wem ist der Ort sonst noch bekannt?“
„Was weiß ich, vielleicht Jägern, Pilzsammlern oder Leuten, die mit ihren Hunden spazieren gehen.“
„Ist Ihnen in den letzten Tagen oder Wochen Ungewöhnliches aufgefallen? Haben Sie in der Umgebung unbekannte Personen angetroffen?“
Heller dachte nach. „Nein. Mir ist nichts aufgefallen. Ich bin pensioniert und praktisch immer hier. Fremde Leute würde ich sofort bemerken.“
„Besitzen Sie eine Schusswaffe?“, wollte Fuso wissen.
„Nein. Ich habe keine ... Sie meinen doch nicht, ich hätte ...“ Er war entsetzt.
„Nein, nein.“ Fuso hob beschwichtigend die Hände. „Ich will nur diese Möglichkeit ausschließen. Sollte Ihnen nachträglich noch etwas in den Sinn kommen, melden Sie sich bei uns, auch wenn es nebensächlich oder unwichtig erscheint“, fuhr die Kommissarin fort und legte ihre Karte auf den Tisch. „Es werden zudem Kollegen vorbeikommen, um Ihre Aussage zu protokollieren. Bitte sprechen Sie vorderhand mit niemandem über das Gesehene, insbesondere nicht mit der Presse. Die Polizei wird zu gegebener Zeit die Öffentlichkeit informieren.“
Heller nickte und erhob sich. Mitten in der Bewegung hielt er einen Augenblick still. Ob die Verbrecher wohl zurückkommen werden? Er verdrängte diesen beängstigenden Gedanken sofort.
Fuso stand ebenfalls auf und bedankte sich für das Gespräch. An der Haustüre drehte sie sich nochmals um und fragte: „Haben Sie den Mann angefasst oder bewegt? Wollten Sie ihm helfen?“
Heller schaute sie an und versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Er rang mit den Händen. Nach einigen Sekunden antwortete er verzweifelt: „Ich weiß es nicht mehr.“
***
Auf dem Rückweg zum Präsidium kaufte Fuso in einer Bäckerei einen Kaffee zum Mitnehmen und ein Kornbrötchen. Sie wollte ihr verpasstes Frühstück nachholen und den Geschmack von Hellers ungenießbarer Plörre loswerden.
Sie setzte sich an den kleinen Besprechungstisch in ihrem Büro, da klingelte ihr Mobiltelefon. Sie meldete sich. Kalt teilte ihr mit, dass er in einer Stunde orientieren könne.
„Gut, ich informiere alle.“
Nach dem Gespräch sank ihre Stimmung augenblicklich wieder gegen Null. Alle zu informieren, bedeutete auch Stoll anzurufen. Der Tag fing ja blendend an. Zuerst wurde sie mitten in einer stürmischen Gewitternacht in einen Wald weitab jeglicher Zivilisation zur Leiche einer Person gerufen, die der Polizei tot bestimmt mehr Schwierigkeiten bereiten würde, als sie es lebendig schon getan hatte. Als ob dies nicht genug wäre, musste sie sich jetzt auch noch den üblen Launen von Stoll aussetzen. Sicher würde er wieder etwas zu schnauzen haben.
Sie biss in ihr Brötchen.
Bis vor einigen Monaten war er anders gewesen. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und der Polizei war stets professionell gewesen. Aber in der Zwischenzeit wollte niemand mehr mit ihm zu tun haben, was bei seinem Verhalten nicht weiter erstaunte. Kein Gespräch, in dem er nicht aggressiv, mürrisch oder mit allen und jedem unzufrieden war. Man munkelte, dass er sich vor einiger Zeit ohne Erfolg auf die Stelle des Oberstaatsanwalts in Zürich beworben habe. Nachvollziehbar, dass die Laune dann ein paar Tage, vielleicht auch eine oder zwei Wochen lang etwas getrübt war. Aber gleich über Monate?
Fuso nahm einen Schluck Kaffee.
Was war mit ihm nur los? In ihrer Wahrnehmung hatte er zudem in der letzten Zeit an Brillanz verloren. Seine Arbeit war fahrig geworden. Auch machte er ständig einen unkonzentrierten Eindruck.
Sie aß ihr Brötchen fertig und trank den Kaffee aus. Anschließend stand sie auf, setzte sich unmotiviert an ihren Arbeitsplatz und rief den Staatsanwalt Alexander Stoll an, um ihn über das Verbrechen und die anstehende Besprechung zu orientieren. Er war nicht zu erreichen. Sie hinterließ die Nachricht bei seiner Sekretärin.
Sie legte auf und sagte lächelnd zu sich selbst: „Was für ein Glück!“
***
Kalt und Fuso saßen schon im Besprechungszimmer, als Peter Tanner, Leiter der Kriminalpolizei des Kantons Appenzell Ausserrhoden, leicht verspätet eintraf.
„Ist Stoll noch nicht da?“, fragte er. Bevor jemand antwortete, fuhr er fort. „Wir starten dennoch, ich habe in einer Stunde wieder einen wichtigen Termin. Also: Wer ist der Tote? Wie ist er gestorben? Was wissen wir schon?“
„Der Tote ist Sven Glanzmann. Und bevor du fragst: Ja, der Sven Glanzmann“, informierte Fuso. „Getötet wurde er …“
„Wer? Der Sven Glanzmann?“, unterbrach Tanner sie. „Steht das ohne Zweifel fest?“
„Ja. Der Personalausweis, den wir bei der Leiche gefunden haben, lautet auf diesen Namen. Er wurde erst kürzlich auf Antrag von Sven Glanzmann, wohnhaft in Wollerau, erneuert. Und der Sven Glanzmann wohnt an der Adresse. Zudem war ein Etui mit Visitenkarten unter seinen Sachen. Auf diesen waren sowohl die gleiche Privatadresse wie auch jene des Büros in Zürich aufgedruckt.“
Kalt legte zur Bestätigung die Beweistüte mit dem Personalausweis Glanzmanns auf den Tisch. Tanner studierte ihn, atmete tief ein, blies seine Backen auf und ließ langsam und deutlich hörbar die Luft zischend wieder raus.
Allen Anwesenden war es bewusst, dass der Fall Staub aufwirbeln würde. Glanzmann war Rechtsanwalt und hatte sich als Strafverteidiger schweizweit einen Namen gemacht. Er vertrat oft Angeklagte aus dem Milieu, die vielfach eine Nähe zu rechtspolitischen Gruppierungen hatten oder offiziell dort einzuordnen waren. Außerdem verteidigte er namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft in delikaten Situationen, bei denen es jeweils nicht zuletzt darum ging, den Ruf seiner Mandanten zu schützen. Bezeichnenderweise waren auch diese Kunden entweder politisch rechts aktiv. Oder aber sie waren CEOs oder Verwaltungsräte, die sich vielfach mehr oder weniger direkt zur rechten Politik bekannten.
Meistens obsiegte Glanzmann in den Prozessen. In einigen Fällen gelang es ihm gar, den Spieß umdrehen: Am Schluss hatten die Ankläger eine Klage am Hals gehabt, während seine Klientinnen oder Klienten freigesprochen wurden. In der Zwischenzeit hütete sich jedermann, Exponenten aus Politik und Wirtschaft mit rechter Gesinnung allzu aggressiv anzugreifen. Eine Klage folgte bestimmt. Und Glanzmann war zudem ein Meister darin, die Fälle in der Öffentlichkeit im Sinne seiner Mandanten vorteilhaft und wirksam zu inszenieren. Und für sich. Obwohl er als der Hofanwalt des rechten Establishments galt, legte er stets Wert darauf zu betonen, dass er politisch neutral sei und keiner Partei zugehöre.
Wer Glanzmann aber nur mit der rechten Elite in Verbindung brachte, griff zu kurz. Im Gegenteil, denn er hatte ein weitreichendes Beziehungsnetz in alle gesellschaftlichen Bereiche, das er bewusst pflegte und – wenn notwendig – geschickt zu nutzen wusste. Glanzmann galt als intelligent und clever. Er war groß, stets braun gebrannt und hatte kurze, blonde Haare und blaue Augen. Entsprechend war er bei Anlässen und Partys ein gern gesehener Gast. Dort zog er insbesondere die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich. Sein Status als Single erhöhte die Anziehungskraft nicht unwesentlich. Kurz: Wer mit Glanzmann zu tun hatte oder mit ihm gesehen wurde, dem waren Schlagzeilen gewiss.
Dessen war sich auch das Ermittlerteam bewusst. Im Interesse von ungestörten Ermittlungen mussten sie daher sehr darauf bedacht sein, so lange wie möglich den Namen des Mordopfers von der Presse fernzuhalten.
„Da stehen uns turbulente Zeiten bevor“, sagte Tanner seufzend.
Fuso nahm das Wort wieder auf: „Wir haben selbstverständlich eine vorläufige Informationssperre veranlasst. Der Mann, der die Leiche gefunden hat, Herr Heller, hat ihn nicht erkannt. Aber zurück zu deiner zweiten Frage. Glanzmann wurde erschossen. Ein Unfall ist auszuschließen. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt.“
„Gibt es verwertbare Spuren oder Anhaltspunkte?“, fragte Tanner an den Leiter des kriminaltechnischen Dienstes gewandt.
Kalt rückte näher an den Tisch und nahm die Lesebrille ab, bevor er in die Runde schaute und sprach.
„Leider nichts, was uns bereits jetzt eine Lösung liefern würde. Als Fesseln dienten schwarze Kabelbinder, die in jedem Baumarkt erhältlich sind. Es gab einige Fußspuren im Dreck auf der Lichtung. Allerdings waren diese aufgrund des starken Regens nicht mehr deutlich. Wir gehen aber davon aus, dass die Spuren von grobem Schuhwerk herrühren, beispielsweise von Wanderschuhen oder Arbeitsschuhen, die Waldarbeiter vielfach tragen. Oder Springerstiefel. Die unterschiedlichen Größen der Abdrücke lassen darauf schließen, dass es mehr als ein Täter war, sofern denn die Spuren von ihnen stammen.“
„Reifenspuren?“, warf Fuso ein.
„Keine. Der Waldweg war matschig. Und unser ganzer Tross hat ihn ebenfalls befahren und die Wagen darauf abgestellt. Etwaig verwertbare Reifenspuren sind vernichtet worden. Leider.“
„Wie lange war Glanzmann schon tot?“, wollte Fuso von Kalt wissen.