Lizzy Jacobs

A Stupid Thing Called Love

© 2021 Written Dreams Verlag

Herzogweg 21

31275 Lehrte

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© Covergestaltung: Emilia Cole / Coverstube

ISBN: 978-3-96204-229-5

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlags weitergegeben werden.


Kapitel 1

Der Tag hätte so schön werden können, ging mir in Dauerschleife durch den Kopf, während ich in der Damentoilette stand und die eindeutigen Geräusche immer ohrenbetäubender wurden. Es war fast so, als würde man Elchen bei der Paarung zuhören.

Gottverdammt, ich hasste sexuelle Konfrontationen am Arbeitsplatz. Es war schlicht und einfach nicht der richtige Ort für sowas. Man hatte doch in seiner Freizeit genug Möglichkeiten, um Sex zu haben, musste man da tatsächlich auf der Firmentoilette eine Nummer schieben?! Dass ich gezwungen war, mir dieses zweifelhafte Spektakel auch noch mit anzuhören, versaute mir den ganzen Tag. Außerdem musste ich wirklich dringend auf die Toilette, da mein Kaffeekonsum die letzten Wochen extrem angestiegen war, nicht zuletzt wegen meines ekelhaften und äußerst schmierigen Vorgesetzten Mr. Dunham. Er war ein überheblicher Mistkerl, der mich für sein Leben gern schikanierte. Obendrein gab er mir ständig das Gefühl, dass der Assistentinnen-Job in der Anwaltskanzlei Parker & Son nur was für Loser wäre. Pfft, dass ich nicht lache! Ich rettete ihm regelmäßig den Arsch, weil er nicht in der Lage war, sich nur ein einziges Meeting zu merken. Jeden Tag legte ich ihm die Termine zusätzlich schriftlich vor, obwohl alles in dem Terminplaner auf seinem PC gespeichert war.

„Oh ja, gib`s mir, Bernie!“, stöhnte in diesem Moment eine weibliche Stimme und ich taumelte erschrocken an die gegenüberliegende, gekachelte Wand der Toilette. Welcher Typ hieß denn Bernie bei uns und wieso trieben sie es nicht wie in Filmen üblich im Kopierraum? Ich hüpfte mittlerweile von einem Bein aufs andere, da ich wirklich musste. Doch ich konnte nicht pinkeln, während nebenan ein Pärchen kurz vorm Finale stand.

Die Quietscher und abgehakten Laute wurde immer extremer. Selbst die Tür zur Kabine wackelte nun heftig in ihren Angeln. Das durfte nicht wahr sein! Mir blieb nur der Gang auf die Herrentoilette übrig, bevor ich Zeugin eines Höhepunktes wurde, der nicht mein eigener war. Wütend drehte ich mich auf dem Absatz um und war schon halb aus der Tür, als eine männliche Stimme mich innehalten ließ.

„Jessica, du bist das schärfste Teil überhaupt. Wer ist dein Daddy?“ Augenblicklich kam mir die Galle hoch, denn es war kein Geringerer als mein Arschlochchef, der hier gerade eine Nummer schob. Bernie hieß in Wirklichkeit Bernhard, mein Gehirn war aufgrund des Schocks nur nicht in der Lage gewesen, vom Kosenamen ausgehend diesen Rückschluss zu ziehen. Falls ich mich nicht täuschte, klang diese gewisse Jessica wie die Verlobte eines seiner Mandanten. Ich schüttelte entsetzt den Kopf.

„Mr. Dunham, ihr drei Uhr Termin wartet bereits!“, trällerte ich aus vollem Hals, weil ich meine Klappe nicht halten konnte und der Meinung war, dass er selbst schuld sei, wenn er sein Ding nicht in der Hose behielt.

Ich hörte noch ein lautstarkes „Verdammte Scheiße!“, bevor ich die Tür schloss und Richtung Männerklo hastete. Wie gesagt, der Tag hätte schön werden können, wurde er aber aufgrund dieses Vorfalls nicht. Doch er war nicht halb so schlimm wie die Tage, die daraufhin folgten.

Zwei Wochen später war mir nur zu deutlich bewusst, dass es nicht gerade von Vorteil war, wenn man den Chef beim Vögeln erwischte und ihn das auch noch wissen ließ. Schon gar nicht, wenn dieser eine Made wie Mr. Dunham war. Er legte mit Schikanen mir gegenüber derart zu, dass ich drauf und dran war, ihm meinen Tacker an den Kopf zu werfen oder ihm mit meinen zwölf Zentimeter Absätzen auf den Fuß zu treten. Nicht nur, dass ich ständig genötigt war, seine Termine umzuändern, weil er plötzliche andere Dinge für lebensnotwendiger hielt. Neuerdings sollte ich wieder Botengänge erledigen, die ich eigentlich seit vier Jahren hinter mir gelassen hatte. Als er mich dann noch dazu aufforderte, seine Anzüge aus der Reinigung zu holen, war der Ofen aus. Ich musste nur kurz den Namen Jessica Randolf aussprechen und sofort zog er ab. Mir war nicht wohl dabei, ihn daran zu erinnern, allerdings ließ er mir keine andere Wahl. Ich wusste, es konnte nicht ewig so weitergehen und war versucht, krank zu machen, nur um diesem Ekel zu entkommen.

„Ms. Kennedy, kommen Sie unverzüglich in mein Büro, aber dalli“, schallte es aus der Gegensprechanlage und ich verzog angewidert das Gesicht. So zu tun, als könnte ich ihn nicht hören, machte wenig Sinn. Ausprobiert hatte ich es schon und beteuert, dass etwas mit der Anlage nicht stimmte, doch er ahnte, dass ich ihn anlog. Seine angefressene Visage zu sehen, hatte mir zwar den Tag versüßt, das hielt leider jedoch nicht lange an.

Schweren Herzens erhob ich mich von meinem Stuhl, glättete mein dunkelblaues Etuikleid und atmete tief durch.

Ohne anzuklopfen, betrat ich sein Büro und wurde sofort von einem derart penetranten Parfümgestank nach hinten katapultiert, dass ich augenblicklich zu husten anfing. Ich wedelte mir mit der Hand frische Luft zu und versuchte, durch den Mund zu atmen.

„Haben Sie ein Problem, Ms. Kennedy?“, fragte mich mein Chef wie immer schlecht gelaunt. Meine Atemnot führte nicht gerade dazu, dass sich sein Stimmungsbarometer hob.

„Nein, nein“, krächzte ich und setzte mich ihm gegenüber an den Schreibtisch. Normalerweise wartete man ja, bis einen der Boss zum Sitzen aufforderte, aber da er mir genauso wenig Respekt entgegenbrachte, hatte ich meine guten Manieren zu Hause gelassen.

Mr. Dunham sah mich abwertend von oben bis unten an. Er mochte nicht, wie ich herumlief, doch das störte mich herzlich wenig. Seit meiner Teenagerzeit kleidete ich mich im Stil der fünfziger Jahre und ich hatte nicht vor, daran etwas zu ändern. Im Gegensatz zu einigen anderen Assistentinnen lief ich reichlich hochgeschlossen herum. Mein Boss stand mehr auf den arschwackelnden Typ, deren Röcke eher Gürteln glichen. Er hatte mal eine seiner Freundinnen mit ins Büro gebracht und meine erste Vermutung war, dass sie stundenweise bezahlt wurde. Billig war eine Untertreibung, aber der Widerling gab mit ihr an, als wäre sie eine preisgekrönte Zuchtstute.

Es war nicht seine Entscheidung gewesen, mich vor fünf Jahren einzustellen und das ließ er mich jeden Tag spüren. Sein Vorgänger ging in Ruhestand und er übernahm mich notgedrungen. Nach einem missglückten Anbaggerversuch vor zwei Jahren seinerseits herrschte bei uns Kalter Krieg.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ich mein Gegenüber.

Mr. Dunham verschränkte seine Finger ineinander und legte sie auf den Schreibtisch. Dabei sah er mich derart selbstgefällig grinsend an, dass mein Bauchgefühl mir ein dringendes Warnsignal entgegen schrie. Mayday, Mayday, wir haben ein Problem!

„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich in Zukunft auf Ihre Arbeitskraft verzichten werde!“ Mein Herz fing zu rasen an und ich krallte meine Hände in die Stuhllehnen.

„Was soll das heißen?“, entgegnete ich angespannt und kniff die Augen zusammen. Er konnte mich unmöglich feuern! Es war bestimmt nur ein dummer Scherz von ihm, um mir Angst zu machen. Sein Grinsen wurde noch breiter und mir schwante, dass es kein Witz und ich am Arsch war.

„Sie werden versetzt“, antwortete er und ließ die Bombe platzen. Wortwörtlich, denn es rauschte in meinen Ohren und ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Ich hoffte, dass womöglich ein anderer Partner in der Anwaltskanzlei eine Stelle für mich hatte und mich von meinem Schicksal erlöste.

„Wohin?“ Da wir in einer riesigen Kanzlei arbeiteten, hatte ich nicht den Überblick, wer aufhörte und wer nicht. Doch bevor ich weiter meinen hoffnungsvollen Gedanken Raum geben konnte, zerstörte er sie sofort wieder.

„Nicht innerhalb dieses Büros, so viel kann ich Ihnen versichern. Sie werden wohl umziehen müssen“, ergänzte er fröhlich und ließ mich spüren, dass er sich wahnsinnig darüber freute.

Meine Wut kochte derart hoch, dass ich vom Sitz aufsprang und die Hände auf seinen Tisch stemmte. Es war mir im Moment vollkommen egal, dass er mein Chef war. Zornig schob ich meinen Oberkörper über den Schreibtisch und schaute ihn wutentbrannt an. Er zuckte sichtlich zusammen und ich fühlte, wie Genugtuung durch meine Adern rauschte.

„Wie bitte?! Ich soll umziehen? Und wohin zum Teufel nochmal? Ist es, weil ich sie mit einer Ihrer Mandantinnen erwischt habe? Ist das die Strafe dafür?“, zischte ich ihn an.

„Ms. Kennedy, muss ich Sie tatsächlich daran erinnern, dass in Ihrem Arbeitsvertrag eine Klausel steht, die besagt, dass Sie auch an anderen Orten eingesetzt werden können? Die Kanzlei wurde vor ein paar Tagen aufgekauft. Es wird noch ein Memo für die Mitarbeiter geben, das versteht sich von selbst“, meinte er herablassend und sah bei dem Wort aufgekauft ziemlich miesepetrig aus. Wahrscheinlich hatte man ihn nicht darüber informiert, zumindest war nichts an Infos über meinen Schreibtisch gewandert.

Er brüstete sich schon seit Jahren damit, dass ohne ihn der Laden bergab gehen würde. Mr. Dunham war nicht nur bei mir in Ungnade gefallen, sämtliche Angestellten und Anwälte zerrissen sich hinter seinem Rücken das Maul. Er war schmierig, zu laut und brachte bei jeder Gelegenheit frauenfeindliche Witze.

Normalerweise hätte mich der Umstand gefreut, dass er kein Mitspracherecht hatte, doch da meine Lage ernst war, ging meine Schadenfreude flöten.

Ich sah ihn weiterhin wütend an und tippte nervös mit der Spitze meines Schuhs auf dem Parkett herum. Ein stetiges Klackern war zu hören und passte perfekt zu meinem Zucken am linken Auge. Mein Chef hatte seine Angst vor mir schnell überwunden und fühlte sich sichtlich wohl mit meinem Rausschmiss. Der Mistkerl genoss seinen Auftritt in vollen Zügen.

„Ich bin mir absolut bewusst darüber, was in meinem Arbeitsvertrag steht. Es wundert mich nur, warum gerade jetzt. Wieso ausgerechnet ich und wohin soll ich überhaupt umziehen?“ Meine Fragen führten dazu, dass er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und den Kopf schadenfroh zur Seite legte.

„Wie gesagt, Mr. Parker hat sich entschieden, seine Kanzlei zu verkaufen und setzt sich mit seiner Gattin in Florida zur Ruhe. Der Käufer ist Unternehmer und selbst Anwalt, hat seinen Firmensitz aber woanders angelegt. Er wird überwiegend von dort aus die Geschäfte leiten und fragte nach einer Assistentin, die sich mit den Abläufen hier bestens auskennt“, erklärte er mir und sah mich übertrieben mitfühlend an, während er weitersprach. „Natürlich ist mir klar, dass Sie hier Ihre Wurzeln haben, doch ich konnte unmöglich verschweigen, wie gut Sie in diesem Job sind, deshalb habe ich Sie für den Posten vorgeschlagen.“ Bei seiner aufgesetzten Trauermiene hätte ich ihn am liebsten aus dem Büro geprügelt und seine Eier zerquetscht. Ich schloss meine Augen, betete um genug Anstand, um nicht wegen Körperverletzung im Gefängnis zu landen, und setzte mich besiegt auf meinen Stuhl zurück.

„Nun versetzen Sie mir schon den Gnadenschuss, ich kann es kaum noch erwarten“, erwiderte ich erledigt und machte mich auf alles gefasst.

„Sie werden nach New Orleans versetzt und nicht nur das, Sie werden die Assistentin des Bosses höchstpersönlich. Ich weiß nicht, ob Sie bereits von ihm gehört haben, aber er wird nicht so nachsichtig mit Ihnen sein, wie ich es war.“ Empört und dem Nervenzusammenbruch nahe verschränkte ich die Arme vor der Brust, was zufolge hatte, dass dieser schleimige Sack mir ungeniert auf den Busen glotzte.

„New Orleans? Wer wohnt denn dort? Ich fasse es nicht, dass ich umziehen soll. Das ist die reinste Schikane!“

„Sie können auch kündigen, Ms. Kennedy, das bleibt ganz Ihnen überlassen“, erklärte er kalt und zeigte mit dem Finger auf die Tür. „In vier Wochen treten Sie ihren neuen Job an, ansonsten möchte ich Ihr Kündigungsschreiben noch heute Abend auf meinem Schreibtisch haben“, beendete er das Gespräch und widmete sich wieder einer Akte, die vor ihm lag. Stocksteif und innerlich erstarrt lief ich aus dem Büro, wurde jedoch noch einmal an der Tür von ihm aufgehalten. „Ach, und nur zu Ihrer Information: Ihr Chef ist Braden Foster“, er sagte das, als würde ich mich vor dem Mann fürchten müssen. Wie schrecklich konnte dieser Kerl schon sein? „Er soll ein wesentlich strengerer Chef als ich sein, aber vielleicht schafft er es ja, Ihnen anständige Manieren beizubringen!“ Ich atmete tief aus, dachte daran, ihn bald nie wiedersehen zu müssen, was mein einziger Trost in diesem Moment war, und strahlte ihn dann mit meinem unechtesten Lächeln an.

„Vielen Dank, dass Sie sich um meine Manieren Gedanken machen. Ich werde jetzt gehen und meine persönlichen Sachen packen. Ach übrigens, ich nehme die Wochen bis zum Antritt meiner neuen Stelle bezahlten Urlaub, um meine Angelegenheiten zu regeln!“ Er setzte zu einer Antwort an, doch ich war noch nicht fertig.

„Sie werden den Urlaub genehmigen, ansonsten wird alle Welt erfahren, dass sie ein gewisses Körperteil in Dinge stecken, die sie nichts angehen. Auf Nimmerwiedersehen!“ Damit verließ ich sein Büro und achtete nicht auf die umliegenden Büros, wo sich einige bereits die Köpfe verrenkten. Wortlos ging ich zu meinem Schreibtisch, schnappte mir meine Grünpflanze und die geliebte Kaffeetasse, die ich von meiner Freundin zum ersten Arbeitstag bekommen hatte.

Ich verabschiedete mich bei den Kolleginnen, die ich in den letzten Jahren kennengelernt hatte und stolzierte hocherhobenen Hauptes mit einem kleinen Karton aus der Kanzlei. Draußen erfasste mich ein kühler Frühlingswind und mir wurde schlagartig klar, dass ich in einem Monat schon woanders leben würde. Verdammter Mist!

Kapitel 2

Zu Hause in meinem wunderschönen Appartement angekommen, ließ ich die Pappschachtel auf den Boden fallen und bekam zur Antwort ein heftiges Fauchen zu hören. Spencer, mein achtjähriger Kater schaute mich angefressen von der Couch aus an, während er sich genüsslich die Pfote säuberte. Das konnten nur Katzen! Sie gaben dir das Gefühl, immer zu nerven und wenn du nicht sofort für Futter sorgst, bist du auf ewig in Ungnade gefallen. Ich war Sklave meines Katers und eigentlich störte es mich nicht weiter. Er hatte auch gute Seiten. Nachts lag er zu meinen Füßen, hielt sie warm und morgens putzte er mir hingebungsvoll die Augenbrauen, bis ich wach wurde. Spencer war seit einiger Zeit mein einziger männlicher Besucher und das störte mich ebenfalls nicht.

Ich war weder prüde, noch zu wählerisch, es gab nur einfach nicht die Spur von Heiratsmaterial in Seattle. Mein letzter Freund Dan hatte eine Katzenallergie, bekam ständig geschwollene Augen und eine triefende Nase. Deswegen mussten wir uns dauernd bei ihm treffen. Leider wohnte er mit fast Dreißig immer noch in einer Männer-WG. Das war an sich kein Problem, doch bei drei Kerlen, die in der IT-Branche arbeiteten, kam ich mir eher vor wie die Putzfrau, die nicht bezahlt wurde.

Sie waren Computer Nerds, sahen alle ziemlich süß aus, aber hatten mit Haushalt nichts am Hut. Als ich eines Abends auf einem Pizzakarton ausrutschte, in der die Pizza von vor fünf Tagen klebte, war ich raus. Ich konnte mit niemandem zusammen sein, dessen Lebensmittel schon das Alphabet aufsagten.

Seit sechs Monaten war ich nun glücklicher Single, mit einem rosafarbenen Dildo in meiner Nachttischschublade, der für ausreichend Spaß sorgte. Dieser hatte keine Allergien und war pflegeleichter als mein Ex.

„Hey, mein Hübscher! Wer schaut denn da so griesgrämig aus? Komm her und tröste dein Frauchen“, begrüßte ich meinen haarigen Mitbewohner und bekam lediglich ein kurzes Innehalten der Pfotenpflege von ihm. Meine High Heels stellte ich neben die Tür, tapste ins Wohnzimmer und ließ mich mit einem tiefen Seufzen auf die Couch fallen.

Endlich erbarmte sich Spencer und kletterte auf meinen Schoss, wo ich ihn fest an mich drückte und ihm einen Kuss auf den Kopf gab.

„Miau!“ Er schnurrte bereits und stieß mit seinem Köpfchen gegen mein Kinn. Ich schob meine Nase in sein Fell und klagte ihm mein Leid.

„Es wird dir nicht gefallen, mein Dicker, aber wir werden umziehen müssen. Das ist alles nur die Schuld dieses miesen Wichts. Dem müsste man zur Strafe die kleinen Mäuseeier abklemmen!“, meckerte ich leise vor mich hin und Spencer hob kurz das Köpfchen beim Wort Mäuse.

In meinem Kopf herrschte Chaos und irgendwie war ich mir der Tragweite noch nicht ganz bewusst. Mein Leben lang hatte ich hier gewohnt, auch wenn die Männerauswahl zu wünschen übrig ließ, wollte ich dennoch nicht weg.

Darüber hinaus wusste ich gar nicht, womit ich zuerst anfangen sollte. Ich brauchte eine neue Wohnung, ein Umzugs-Unternehmen und ich musste meinen Eltern Bescheid sagen. Seit dem College lebte ich nicht mehr zu Hause, doch die sonntäglichen Essen wurden im Hause Kennedy großgeschrieben. Ich war Einzelkind und sie ermöglichten mir, so viel sie konnten. Meine Familie hatte mich stets zur Selbstständigkeit ermutigt und mir alle Freiheiten gelassen. Sie gaben ein tolles Paar ab und waren bereits seit dreißig Jahren verheiratet. Es würde mir schwerfallen, sie nicht länger regelmäßig sehen zu können.

Meine beste Freundin Penny, die ich schon aus der Grundschule kannte, wohnte gleich nebenan. Das würde der schlimmste Abschied werden. Ohne sie konnte ich mir meinen Alltag gar nicht vorstellen. Wir sahen uns täglich, sie war der sonnige Gegenpart zu meiner oft pragmatischen Seite.

Wäre ich nicht von der gesamten Situation so überrollt worden, hätte ich jetzt zu heulen angefangen. Im Moment befand ich mich noch in einer gewissen Form von Schockstarre. Ich kraulte Spencer am Kinn und mein Blick schweifte durch die gemütliche Zweizimmer-Wohnung.

„Das wird eine ganz schöne Umstellung für uns. Aber mein einziger Hoffnungsschimmer ist, dass mein neuer Chef netter ist als der alte!“ Ich setzte Spencer neben mir ab und wollte gerade den Laptop anschmeißen, da klopfte es einmal laut an die Tür. Ohne auf eine Einladung zu warten, erschien die blonde Löwenmähne meiner Freundin im Türrahmen.

„Liv, wieso bist du bereits zu Hause? Ich habe deinen Wagen auf dem Parkplatz gesehen und da du sonst bis spät in den Abend arbeitest, hab ich mir Sorgen gemacht.“ Penny schloss die Tür und umarmte mich, bevor ich überhaupt antworten konnte. Sie war der mitfühlendste Mensch der Welt und wusste jederzeit, wann es mir schlecht ging.

Unsere erste Begegnung in der zweiten Klasse würde für immer in meinem Gedächtnis bleiben. Sie hatte ihre Haare mit bunten Schmetterlingen geschmückt und trug dazu passend ein gelbes Kleid mit Blumen. Es war das Farbenfroheste, was ich je in meinem Leben gesehen hatte. Sie setzte sich direkt neben mich auf die Schulbank und strahlte mich an. Dadurch kam ihre vordere Zahnlücke zum Vorschein, die perfekt zu meiner passte, wegen der ich mich eigentlich schämte. „Ich bin Penny und ab jetzt bist du meine beste Freundin“, sagte sie damals zu mir und ich nickte überwältigt. Wir beide waren immer zusammen, ob in der Highschool oder auf dem College. Während ich an der Seattle Pacific Universität Wirtschaft studierte, belegte Penny Kunstwissenschaften. Heute arbeitete sie für eine kleine Galerie, die fortwährend neuen Künstlern eine Chance bot, um in der Kunstwelt Fuß zu fassen. Ich dagegen war eher glanzlos durch mein Studium gekommen, mochte Wirtschaft weniger als angenommen und war ziemlich planlos gewesen. Ich hatte mich für die Stelle zur Assistentin beworben, da mir Buchführung und das Anfertigen von Schriftsätzen am meisten Spaß brachten. Nicht zu guter Letzt auch deswegen, weil ich dort meine schicken Kleider und Schuhe tragen konnte.

Wo ich eine kurvige Frau mit dem Look eines Pin-ups war, war Penny die Reinkarnation von Sonnenschein und Fröhlichkeit. Sie war umwerfend und wer sie nicht in sein Herz schloss, tickte eindeutig nicht ganz sauber.

Ich sah meine Freundin an. Der Gedanke, ihr zu gestehen, dass sich unsere Wege bald trennten, tat furchtbar weh.

„Deine Sorgen sind absolut berechtigt. Der Schweinehund hat einen Weg gefunden, mich auszubooten“, eröffnete ich düster und verkniff mir die Tränen. Ich wusste in diesem Moment nicht mal, warum ich heulen sollte. Aus Wut, Trauer oder aus Frustration, ich hatte keine Ahnung. Deswegen beließ ich es bei einem Schluchzer und machte mich von Penny los.

Sie schaute mich sorgenvoll an und wartete auf eine ausführliche Erklärung. Ich zuckte unbeholfen mit den Schultern und ging zum Kühlschrank. Dort lagerte ich für Notfälle immer eine Flasche Wodka im Tiefkühlfach. Dies war die Mutter aller Schlamassel und darum holte ich noch zwei Schnapsgläser aus dem Schrank und stellte alles auf den Küchentisch. Penny schien anhand der Utensilien zu verstehen, dass es furchtbar werden würde, und setzte sich auf einen Küchenstuhl. Ich ließ mich ihr gegenüber auf den Stuhl fallen und sackte in mich zusammen.

„Wie schlimm ist es, von einer Skala eins bis zwanzig?“, fragte sie bedrückt und schenkte uns ein. Ich nahm den Schnaps und stürzte ihn hinunter, ohne auf sie zu warten. Er rann kalt meine Kehle hinab und hinterließ ein warmes Brennen in meinem Bauch.

„Ich kann gut und gern behaupten, ich befinde mich auf einer verdammten Eintausend“, knurrte ich und goss mir einen weiteren ein.

Penny nickte einfühlsam und kippte den Wodka ebenfalls runter. „Was hat der Scheißer getan?“

„Er hat mich versetzen lassen, nach New Orleans! In vier Wochen bin ich weg“, erwiderte ich grimmig und hatte den nächsten Kurzen intus.

Sie schnappte entsetzt nach Luft und trank direkt aus der Flasche. „Was?! Das darf er doch nicht machen. Wir werden ihn verklagen, wegen seelischer Grausamkeit! Es kann unmöglich sein, dass er herumbumst und du dafür die Quittung bekommst!“, meckerte sie und schwang die Flasche wild hin und her. Ich nahm ihr den Wodka ab und verzichtete ebenfalls auf ein Glas. Nachdem ich einen kräftigen Schluck genommen hatte, hickste ich ein paar Mal. Das wiederholten wir einige Male und bald machte sich eine gewisse Taubheit in mir breit.

„Weißt du eigentlich, dass ich am liebsten kündigen würde? Doch ich mag meinen Job und er wird zu gut bezahlt, um ihn an den Nagel zu hängen. Was mache ich denn jetzt nur?“, jammerte ich und spürte, wie meine Zunge immer schwerer wurde.

„Wir brauchen einen Schlachtplan. Einen, der ihn vor Angst in die Anzughose pinkeln lässt!“

„Nützt nichts, ich muss trotzdem umziehen. Vielleicht ist mein neuer Boss ja nett. Und hübsch. Und nett“, sinnierte ich. „Hatte ich nett bereits erwähnt?“, hakte ich kichernd nach und die Trauer verflog mit jedem zusätzlichen Blick in die Flasche.

„Nett ist gut“, erwiderte Penny und bekam langsam Schlagseite auf ihrem Stuhl.

„Ich glaube, wir sollten im Wohnzimmer weiter trinken. Wir machen jetzt Musik an und dann feiern wir schon mal meinen Abschied!“ Die Worte versetzten mir einen Stich, doch ich wollte heute nicht mehr darüber nachdenken.

Meine Freundin wankte vor mir her und ich dachte mit Schrecken daran, wie sehr sie mir fehlen würde. Gemeinsam setzten wir uns auf den Boden und lehnten uns gegen die Couch. Spencer beobachtete uns kritisch und rollte sich neben mir zusammen. Er spürte wohl ebenfalls, dass meine Laune auf den Tiefpunkt zusteuerte. Ich wollte nicht weinen, damit hätte der Arsch meiner Meinung nach gewonnen.

Darum schaltete ich schnell meine Anlage per Fernbedienung an und schon ertönten die ersten Klänge von The Clash. Witzigerweise war es ausgerechnet Should I Stay or should I Go und ich lachte über die Ironie, die darin lag, obwohl der Kontext ein ganz anderer war. Lauthals sangen wir beide mit. Schief und völlig angeschickert wiederholten wir das bei einigen Liedern, bis der Nachbar schräg gegenüber klingelte und um Ruhe bat. Ich knallte ihm wortlos die Tür vor der Nase zu, denn er beschwerte sich andauernd über irgendwelche Sachen. Außerdem war unser Zustand ein Akt der Trauer. Ich sah nicht ein, warum ich heute auf jemanden Rücksicht nehmen sollte. Bei mir tat es schließlich auch keiner.

Mittlerweile war die Flasche fast leer und unsere kurzzeitige gute Stimmung kippte schnell in die düstere Richtung. Alkohol war nicht wirklich die Lösung, wenn man nicht heulen wollte. Schniefend ließ ich mich aufs Sofa fallen. Spencer machte knurrend einen Abgang und lief ins Schlafzimmer. Da sich alles um mich zu drehen anfing, kniff ich die Augen zu und bereute es sofort.

„Sag mal … ist dir auch so schwummrig?“, nuschelte ich und schob mich schwerfällig in eine sitzende Position. Es drehte sich immer weiter, doch mit einem zugehaltenen Auge konnte ich meine Freundin auf dem Boden liegen sehen. Penny schaute in Slow Motion zu mir hoch und lallte traurig.

„Einbisschen. Esistsoscheiße, dass du gehen … hicks musst!“ Sie krabbelte auf mich zu und legte ihren Kopf auf mein Knie. Wie vorher dem Kater strich ich jetzt ihr durch die wilde Mähne und spürte, wie der Schock nachließ und die Trauer einsetzte.

„Ich will nicht umziehen. Was soll ich denn ohne dich machen?“, schniefte ich und sah zu, wie meine Tränen in ihre Haare tropften. Der Alkohol befeuerte meine Traurigkeit immer weiter und wenige Sekunden später heulte ich richtig los.

„Ich werde dich oft besuchen, vielleicht jedes zweite Wochenende. Obwohl das ganz schön teuer wird“, grübelte sie. „Und wenn der neue Chef auch ein Arsch ist, dann kommst du zurück und wohnst bei mir und Patrick!“ Im Gegensatz zu mir hatte sie seit vier Jahren einen Mann, der sie vergötterte. Die beiden waren unzertrennlich und bereits über zwei Jahre verheiratet. Er war ihr erster Freund gewesen und ich bewunderte sie dafür, gleich den Richtigen gefunden zu haben. Ich dagegen probierte mittlerweile eine Ewigkeit herum, aber irgendwie sollte es nicht sein. Vielleicht würde ein Umzug ja wenigstens den Vorteil haben, dass ich den Einen fand, der mein Herz im Sturm eroberte.

Penny fing nun ebenfalls zu weinen an. Am Ende lagen wir uns weinend in den Armen, bis ich müde wurde. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst halb sechs Uhr abends war. Ich hatte das Gefühl, schon stundenlang hier zu sitzen, und es fühlte sich immer mehr wie ein Kampf an, den ich verloren hatte. Erschöpfung und der Wodka forderten irgendwann ihren Tribut.

Gemeinsam torkelten wir in mein Schlafzimmer und warfen uns samt Klamotten aufs Bett. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, dass ab morgen nichts mehr so sein würde wie zuvor.


Kapitel 3

Mitten in der Nacht wachte ich mit dem größten Kater aller Zeiten auf und damit meinte ich nicht Spencer, der beharrlich auf meiner Brust hin und her lief. Ich versuchte, ihn von mir zu schieben, doch er war dermaßen penetrant, dass ich schließlich die Augen öffnete. Es war noch dunkel im Zimmer und die Seite neben mir war leer. Penny musste wohl irgendwann in den letzten Stunden verschwunden sein. Ich hoffte, ihr ging es besser als mir. Mein Schädel pochte fies und ich hatte einen widerlichen Geschmack im Mund. Spencer saß bereits auf dem Teppich vor mir und wartete laut miauend, dass ich aufstand, um ihn zu füttern.

Mist, ich hatte ganz vergessen, ihm gestern Abend etwas zu geben. Kein Wunder, dass er so hartnäckig war, der Ärmste verhungerte ja praktisch. Mein Kater kannte es, immer zu gewohnten Zeiten Futter zu bekommen.

Die ersten Schritte waren eine Herausforderung an mein Gleichgewicht und ich betete inständig, dass ich irgendwo Kopfschmerztabletten hatte. Spencer schwirrte um meine Beine herum, quasi ein Freudentanz, schließlich hatte er gewonnen und sein Sklave tat, was er wollte. Allerdings freute er sich so sehr über seinen Sieg, dass ich mich beinahe langgemachte, weil er den Slalom zwischen meinen Beinen etwas übertrieb. Ich schaffte es gerade noch, mich an der Küchenzeile festzuhalten, und schaute ihn vorwurfsvoll an. Ihn interessierte es jedoch herzlich wenig, denn er saß mittlerweile vor dem leeren Napf und sah stur dorthin.

Nachdem ich ihn fütterte und er tat, als hätte er Jahre nichts bekommen, schlurfte ich ins Bad und schaltete das Licht an. Was ich sah, war ein katastrophaler Alptraum. Meine Hochsteckfrisur glich einem Mopp und mein Make-up sah aus, als würde ich mich für die Nachfolge vom Joker bewerben wollen. Im Schrank fand ich Gott sei dank Aspirin und spülte gleich zwei davon mit Wasser hinunter. Danach wusch ich die Reste aus meinem Gesicht und entfernte die Haarklammern. Meine schwarzen Haare fielen mir bis auf den unteren Rücken. Meine Mom sagte ständig, dass ich aussähe wie Snow White. Ich war blass, hatte braune Augen und dichtes, langes Haar, in diesen Punkten konnte ich ihr noch Recht geben. Allerdings war mein Körper im Alter von fünfzehn Jahren eher einer üppigen Figur gewichen. Ich mochte meine Kurven, auch wenn ich dieses Selbstvertrauen nicht immer gehabt hatte. Früher in der Schule nannte man mich Moppelchen oder sie riefen mich dicke Schnecke.

Doch bei mir war das Wachsen des Busens der Startschuss für ein neues Leben gewesen. Die Hänseleien hörten fast vollständig auf, und ich lernte, damit klarzukommen. In der Highschool verschwand der Babyspeck, aber ich war niemals eine Cheerleaderin geschweige denn eine Sportskanone gewesen. Heute ging ich einmal die Woche zum Yoga und hatte eine Figur wie eine Sanduhr. Deswegen mochte ich den Stil der fünfziger Jahre gern. Da durften die Frauen weiblich sein und die Klamotten hatten feminine Formen, ohne dass man wie ein dicker Wal aussah.

Ich zog mein Kleid aus, schlüpfte aus den Seidenstrümpfen, die trotz meiner gestrigen Tanzeinlage heilgeblieben waren, und schaute erschöpft in den großen Spiegel an der Tür.

Ja, ich mag mich so, wie ich bin, und wer nicht auf Rundungen steht, kann sich verziehen, dachte ich immer noch leicht betrunken. Mein BH flog auf den Wäschekorb. Ich zog mir ein langes Schlafshirt über und putzte mir anschließend die Zähne.

Müde und fortwährend von einem Brummschädel heimgesucht, ging ich zurück ins Schlafzimmer und nahm unterwegs mein Handy aus der Handtasche. Es wurden drei verpasste Anrufe meiner Mutter darauf angezeigt, doch das konnte warten, bis ich wieder nüchtern war. Sie würde einen Schreck bekommen, wenn ich sie mitten in der Nacht zurückrief. Ich kuschelte mich in meine Bettdecke und sah auf die Uhr. Es war erst zwei Uhr in der Früh. Also hatte ich noch fünf Stunden, bis ich aufstehen musste.

Ich wollte mir gerade eben den Wecker stellen, da schoss mir mit Entsetzen in den Sinn, weswegen ich überhaupt getrunken hatte. Der Wecker durfte mich für die nächsten vier Wochen mal kreuzweise. Missmutig warf ich mein Handy auf den Nachttisch und schloss die Augen. Kurze Zeit später hörte ich ein lautes Schnurren, gefolgt von ein paar Stupsern an meinem Unterarm, damit ich Platz für meinen Stubentiger schaffte. Sein Brummen und die Vibrationen, die dadurch entstanden, machten mich sofort wieder müde und ich fiel in einen unruhigen Schlaf.

Als ich aufwachte, waren die Kopfschmerzen zu meiner Erleichterung verschwunden, meine Probleme jedoch leider nicht. Nach einer heißen Dusche und zwei starken Tassen Kaffee sah die Welt aber nicht mehr ganz so düster aus.

Eigentlich liebte ich Herausforderungen. Allerdings war ich lieber selbst dafür verantwortlich, statt die Entscheidungen von Kerlen treffen zu lassen. Der eine wollte mich loswerden und den anderen kannte ich nicht einmal. Der Name Braden Foster sagte mir etwas, doch ich konnte ihn nicht richtig einordnen. Ich wusste nicht mal, welche Art von Anwalt er war und das musste ich herausfinden, bevor ich meine Koffer packte. Deswegen schnappte ich mir meinen Laptop und googelte ihn kurzerhand.

Wow!, war das Erste, was mir zu dem Mann einfiel. Prachtkerl das Zweite. Braden Foster war der Inbegriff von Sex. Er gehörte zu den Top-Anwälten und hatte sich anhand der zahlreichen Artikel im Netz scheinbar einen Namen gemacht. Scheidungsrecht war sein Gebiet und sein Ruf schien ihm vorauszueilen. Ich konnte mich noch nicht entscheiden, ob das gut oder schlecht war. Er gewann fast jeden seiner Fälle und die Fotos, die vor dem Gericht geschossen wurden, sprachen Bände.

Auf allen Bildern scharrten sich die Leute um ihn, ob Männer oder Frauen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Er war groß, schlank und sein schwarzes, kurzes Haar trug er nach hinten gestrichen. Seine Anzüge saßen wie angegossen und auf sämtlichen x-beliebigen Fotografien schrie alles an ihm nach Macht und der damit einhergehenden Selbstsicherheit. Seine Miene war stets gleich. Er lächelte nie, schaute aber immer direkt in die Kamera, als würde er den Fotografen auffordern, es mit ihm aufnehmen zu wollen. Angriffslust und Arroganz waren eine gefährliche Mischung. Ich war mir nicht sicher, ob ich so einem Mannsbild gewachsen war. Es dürfte nicht leicht werden, mich gegen ihn zu behaupten und das musste ich, ansonsten würde ich mich bald wieder auf Jobsuche befinden. Mr. Dunham war ein Witz im Gegensatz zu diesem Mann, noch dazu war er im Vergleich zu Braden Foster, rein optisch gesehen, quasi nicht existent.

Bei den Privataufnahmen war niemals dieselbe Frau auf den Bildern zu erkennen, sie wechselten ständig, was meiner Meinung nach tief blicken ließ. Er schien also kein Typ für dauerhafte Beziehungen zu sein und verheiratet war er auch nicht. Wahrscheinlich war er deswegen einer von diesen Anwälten, die die Liebe und Romantik für einen Mythos aus Frauenzeitschriften hielten.

Ich stöberte noch eine Weile im Internet auf der Suche nach weiteren Informationen über ihn, doch erfolglos. Bis auf seine Auftritte bei Spendengalas oder ein paar verschwommener Aufnahmen beim Verlassen eines Nachtclubs in New Orleans gab es nichts. Braden Foster hatte sein Privatleben fest im Griff und das machte ihn noch geheimnisvoller für mich. Es gab keine Infos darüber, wie er zu seiner Familie stand und ob er Geschwister hatte. Mir fiel wieder ein, was mein Boss, beziehungsweise Ex-Chef über ihn gesagt hatte. Man sagte ihm nach, ein eiskalter Anwalt zu sein und wenn ich den Aussagen einiger Mandantinnen aus Zeitungsberichten glaubte, wurde ihm der Ruf gerecht. Alles, was Rang und Namen hatte, wurde von ihm vertreten und es war sehr auffällig, dass seine Kundschaft überwiegend weiblich war.

Die bezahlten bestimmt einen Teil der Rechnung in Naturalien, überlegte ich missmutig. Einen erneuten Bumsvorfall an meinem Arbeitsplatz konnte ich ebenso wenig gebrauchen wie den Umzug in eine fremde Stadt.

Genauso durcheinander wie vorher klappte ich den Laptop zu und benötigte dringend frische Luft. Es musste mir schnellstens ein Plan einfallen, wie ich es schaffte, meinem alten Leben in ein paar Wochen Lebewohl zu sagen. Nur der kleinste Gedanke an Abschied ließ mich den Wodka wieder herbei wünschen. Ich gab Spencer neues Futter und kramte einen Jogginganzug aus den Tiefen meines Kleiderschrankes hervor. Normalerweise verließ ich das Haus nie in legerer Kleidung, sondern immer gestylt, das war so eine Macke von mir. Selbst beim Yoga trug ich stylische Sachen und war geschminkt. Aber heute war mir nach Jogging und Pferdeschwanz. Das allein sagte schon viel über meinen Zustand aus. Ich hätte mir genausogut ein Schild mit Ich bin am Arsch umhängen können. Doch ich musste meine negativen Gedanken in positive Bahnen lenken, bevor ich vor Aufregung und Angst den Kopf in den Sand steckte.

„Bis später, Spencer, Frauchen muss jetzt erstmal Dampf ablassen!“, rief ich meinem Mitbewohner zu, griff mir die Hausschlüssel und machte mich auf den Weg.

Ich war gerade den schmalen Weg zwischen meinem und dem Nachbargebäude entlanggelaufen, da wurde ich schon von Penny ausgebremst, die aus einem Café spazierte. Wir saßen oft stundenlang dort und es war fast wie ein zweites Wohnzimmer für mich. Sie trug Kaffee in der einen Hand und eine Papiertüte in der anderen. Penny blinzelte gegen das Sonnenlicht und legte ihren Kopf schräg.

„Liv, du lebst ja noch. Bei der Menge an Wodka hatte ich Angst, ich könnte nie wieder aus dem Haus gehen. Mann, tut mir der Schädel weh, deswegen habe ich mich heute Morgen krank gemeldet.“ Sie ging unter die Markise und ich sah, wie ihre Augenbrauen bei meinem Anblick nach oben wanderten. Ein ungläubiges Schmunzeln erschien auf ihrem Gesicht und ich verdrehte die Augen. „So hab ich dich seit Collegetagen nicht mehr gesehen“, prustete sie los und ich streckte ihr die Zunge heraus.

„Mach dich nur lustig über mein Elend! Ich musste wegen dieser gigantischen Kopfschmerzen erst einmal frische Luft tanken. Das Outfit ist mein heutiges Statement an die Welt“, erklärte ich und schielte sehnsüchtig auf ihren Kaffeebecher.

„Pass lieber auf, dass die Nachbarn dir nicht Essen vor die Tür stellen, weil sie denken, du wärest unheilbar krank“, stichelte sie weiter und hielt mir wortlos den Becher hin. Nur sie kannte mich ungeschminkt und eigentlich hätte es auch so bleiben sollen.

Glücklich ergriff ich den Wachmacher, schnupperte seufzend daran, nahm einen kräftigen Schluck und gab ihn ihr anschließend zurück. Ich betrachtete meine Freundin, die selbst nach einer feuchtfröhlichen Nacht noch aussah, als könnte sie Regenbögen pupsen.

„Bald bin ich ohnehin weg, da kann ich mich ruhig mal gehen lassen“, überlegte ich laut. „Möchtest du eine Runde mit mir um den Block joggen?“, fragte ich sie mit flehendem Unterton, denn allein machte es noch weniger Spaß als zu zweit. Penny schüttelte abwehrend den Kopf und holte mit zwei Fingern eine riesige Sonnenbrille aus ihrer Jackentasche. Ihr Versuch, das ohne fremde Hilfe mit vollen Händen zu bewerkstelligen, hätte beinahe zu einem Kaffeedesaster geführt. Dieser schwappte gefährlich über den Rand und ein paar Tropfen tröpfelten auf ihr Oberteil. Hastig nahm ich ihr die Brille ab und setzte sie ihr auf die Nase.

„Puh, das war knapp. Natürlich gehe ich nicht mit dir joggen, bist du jetzt vollkommen verrückt? Ich bin froh, dass ich überhaupt geradeaus laufen kann“, stöhnte sie theatralisch und fabrizierte ein griesgrämiges Gesicht. „Außerdem hältst du nicht mal zehn Minuten durch. Ich werde das einzig Richtige tun und nach Hause torkeln. Dort werfe ich mich aufs Bett und werde den ganzen Tag netflixen!“

„Pah, ich habe so viel Wut im Bauch, dass es locker für drei Runden reicht“, erwiderte ich hochmotiviert und trabte nun auf der Stelle, wie ich es schon oft bei Joggern gesehen hatte. Um mich zu dehnen, beugte ich mich vornüber. Das war eine miese Idee, denn sofort meldete sich der Kaffee, der nicht drinnen bleiben wollte und mir die Kehle emporkroch. Rasch richtete ich mich wieder auf, um das Schlimmste zu verhindern. Penny ging in die entgegengesetzte Richtung und schaute noch einmal über ihre Schulter.

„Wenn du fertig bist, was vermutlich so in fünf Minuten der Fall sein wird, komm vorbei und wir faulenzen zusammen.“

„Keine Zeit, ich habe noch tausend Dinge zu planen. Meinen Eltern muss ich den Umzug auch noch irgendwie verklickern“, antwortete ich jetzt schon außer Atem und winkte ihr zum Abschied. Danach lief ich ungefähr eine Viertelstunde, bevor ich mich auf die nächste Parkbank sinken ließ. Ich hechelte wie ein Hund und bekam nicht genügend Luft. Mein Kopf meldete sich mit voller Wucht zurück und ich musste einsehen, dass sportliche Betätigung und ich niemals Freunde werden würden.