James Luceno
DER AUSLÖSER
Ein Rogue-One-Roman
Deutsch von Andreas Kasprzak
James Luceno
DER AUSLÖSER
Ein Rogue-One-Roman
Deutsch von Andreas Kasprzak
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016
unter dem Titel »Star Wars™: Catalyst: A Rogue One Novel«
bei Del Rey, an imprint of Random House,
a division of Penguin Random House LLC, New York.
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1. Auflage
Copyright der Originalausgabe
Copyright © 2016 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.
All rights reserved.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2017
by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft, nach einer Originalvorlage
Cover Art Copyright: © 2016 Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.
All rights reserved.
Jacket art and design: Scott Biel
JvN · Herstellung: sam
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
ISBN 978-3-641-20448-8
V001
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Dieses Buch ist in Zusammenarbeit mit Leland Chee, Pablo Hidalgo, Matt Martin und Rayne Roberts von der Lucasfilm- Storygroup entstanden. Mit besonderem Dank an Gareth Edwards und die Drehbuchautoren und Produzenten von Star Wars: Rogue One.
Für Udi Saly und Liz Conover, die »Bonfire Hearts«.
Möge die Macht für immer mit euch sein.
Es war einmal vor langer Zeit
in einer weit, weit entfernten Galaxis …
Seit Jahren wüten die Klonkriege in der Galaxis. Zahllose Welten wurden in den Konflikt hineingezogen, in dem sich die Galaktische Republik und die Separatistenarmee unter der Führung des niederträchtigen Sith-Lords Count Dooku gegenüberstehen. Gerüchte, wonach die Separatisten kurz vor der Fertigstellung einer Superwaffe stehen, versetzen die Republik in Angst und Schrecken. Als Reaktion darauf beauftragt der Oberste Kanzler Palpatine eine Gruppe von Wissenschaftlern im Geheimen mit dem Bau einer Kampfstation für die Republik, genannt:
Der Todesstern
Teil I
Leben in Zeiten des Krieges
1. Kapitel
DRUCK
»Was, wenn …«
Mehr kam Galen Erso nicht über die Lippen, bevor er wieder verstummte und sich von dem alphanumerischen Datenfeld entfernte, das über dem Holoprojektor schwebte. Doch der Beginn seiner Frage schien in der Luft hängen zu bleiben, und die anderen Forscher im Kontrollraum hielten in ihrer Arbeit inne, um ihn erwartungsvoll anzublicken. Einer von ihnen, Nurboo, brach schließlich die drückende Stille.
»Hast du einen neuen Vorschlag, Galen? Sollten wir den Test verschieben?«
Doch entweder hörte Galen ihn nicht, oder er ignorierte ihn. Einen Moment lang blieb er reglos stehen, sein Blick ins Leere gerichtet, dann begann er wieder, auf und ab zu gehen und Zahlen und Berechnungen vor sich hin zu murmeln.
Ein zweiter Valltii schüttelte trübselig seinen großen, borstenhaarigen Kopf. »Vergiss es, er ist in seiner eigenen Welt.«
Tambos raue Stimme von der anderen Seite des Raumes brachte ihn zum Verstummen.
»Seht ihr nicht, dass er nachdenkt?«
Galens Körperhaltung ließ keinen Zweifel daran: der Kopf gesenkt, Augen und Lippen zusammengekniffen, die dicken Arme vor der Brust verschränkt, als würde er etwas an sich drücken. Vielleicht seine neue Idee.
Er war knapp über einen Meter achtzig groß, mit breiten Schultern und kräftigem Körper, obwohl er den Großteil seiner knapp dreißig Standardjahre mit Grübeln und Sinnieren verbracht hatte, oder damit, die Ergebnisse dieser Gedankenspiele auf das nächstbeste Stück Papier zu kritzeln. Sein ungekämmtes Haar hing in schweren Strähnen um sein Gesicht, auf eine Weise, die ihn im Sonnenschein verwegen und im Dunkeln gefährlich erscheinen ließ.
Schließlich stemmte Lyra sich aus ihrem Stuhl und ging zu ihm hinüber.
»Was, wenn …«, sagte sie in geduldigem, aufforderndem Tonfall.
Jeder im Kontrollraum wusste, dass es ein gutes Zeichen war, als Galen kurz mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand an seinen Mundwinkeln zupfte.
»Wir kriegen das schon hin«, erklärte Lyra. Sie liebte es, wenn Galen so tief in seinen Gedanken versank, dass die Welt ringsum praktisch nicht mehr für ihn existierte, und in seinen eigenen, privaten Hyperraum eintauchte, wohin ihm nur die wenigsten folgen konnten.
Sie war ein paar Zentimeter kleiner als er, mit hoher Stirn und stufig geschnittenem, goldbraunem Haar, das gerade so bis auf ihre Schultern reichte. Ihre gewölbten Brauen und der leicht nach unten geneigte Mund ließen sie stets ein wenig betrübt wirken, auch wenn im Moment das Gegenteil der Fall war. Sie und Galen hatten vor beinahe fünf Jahren auf Coruscant geheiratet, und sie stand ihrem Ehemann in Sachen Attraktivität in nichts nach: Ihr Körper war der einer geborenen Athletin, gestählt durch Expeditionen auf Dutzenden abgelegenen Welten. Sie trug einen weitmaschigen Pullover, eine weite Hose und eine bunte Kappe mit Ohrenklappen, aus lokalem Stoff gefertigt, und sie schaffte es tatsächlich, gut darin auszusehen.
Sie waren die beiden einzigen Menschen in der Forschungsgruppe, weit entfernt vom Kern und noch weiter entfernt von dem Konflikt, der seit einiger Zeit zwischen der Republik und der Konföderation Unabhängiger Systeme, den sogenannten Separatisten, tobte. Die sechs stämmigen Valltii, mit denen sie während der letzten vier Standardmonate zusammengelebt und -gearbeitet hatten, besaßen große, runde Gesichter mit Mündern, die geschaffen waren, um Fleisch zu kauen. Unter ihrer üppigen Gesichtsbehaarung war ihre Haut so blau wie das Gletschereis, das die Hälfte dieses Planeten bedeckte. Galen und Lyra unterhielten sich mit ihnen in einem Mischmasch aus galaktischem Basic und der Sprache der Einheimischen, die guttural und voller lang gezogener, für einen Menschen schrecklich verwirrender Worte war. Zum Glück hatte Lyra ein Ohr für solche Nuancen, weshalb sie sich mit dieser Sprache deutlich leichter tat als Galen.
Sie war gerade im Begriff, noch einmal nachzuhaken, da blinzelte er plötzlich, als wäre ihm wieder eingefallen, wer und wo er war, und seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Datenfeld.
Lyra schmunzelte. Er war wieder da.
Galen überflog die langwierigen Differenzialgleichungen in dem Feld von oben bis unten und trat dabei näher heran, als würde er versuchen, etwas hinter den leicht zitternden Rändern zu erkennen.
»Assis«, sagte er zu guter Letzt, an den Droiden auf der anderen Seite des Holoprojektors gewandt.
»Ja, Dr. Erso.«
»Zeile vier. Ändere den Koeffizienten auf fünf, und berechne das Ganze noch mal neu.«
Der TDK-160-Forschungsassistent, ein rekonfigurierbarer Droide, der gegenwärtig auf zwei dünnen Metallbeinen stand, kam der Aufforderung nach, und Augenblicke später erschienen die Ergebnisse über dem Holotisch.
Alle Augen waren gebannt auf das Datenfeld gerichtet, während sich die Quotientengruppen, Koeffizienten und Ableitungen veränderten.
Der Kontrollraum war mehr für Technik und weniger für lebende Wesen entworfen worden. Summende Maschinen säumten die fensterlosen Wände, und es war immer etwas kälter, als es eigentlich sein sollte. Eigentlich wurde durch die Schächte über ihren Köpfen warme Luft hereingepumpt, aber das Wenige an eigentlicher Wärme entstand eher durch die leicht abgenutzten Geräte, denen anzusehen war, dass hier monatelang Forschung und Experimente durchgeführt worden waren. Niemand störte sich an den Kisten, die noch ungeöffnet in den Ecken standen, an den leeren Essensbehältnissen, die sich auf Nurboos Tisch stapelten, oder an den Stapeln von Ersatz-Datenträgern. So überfüllt und klaustrophobisch der Raum sein mochte, er war der einladendste Ort weit und breit.
Dicke Wände, unterbrochen von Schiebetüren, hielten den Großteil der Kälte draußen. Eine Tür im hinteren Teil führte zu einer Rampe, diese wiederum zu einem Labyrinth von Korridoren, die die verschiedenen Teile der Einrichtung miteinander verbanden. Ein paar Gänge waren sogar breit genug, dass kleine Versorgungsspeeder hindurchgleiten konnten. Andernorts reihten sich Computer und Analysatoren aneinander, standen Zeichentische, Kommstationen und sogar ein rudimentärer HoloNetz-Transmitter für extraplanetare Kommunikation.
Lyra glaubte nicht, dass sie sich je wirklich an diesen Ort gewöhnen würde, aber sie hatte enge Freundschaften mit Galens Kollegen geschlossen, und bis auf weiteres würde Vallt ihr Zuhause bleiben.
Der Großteil der Einrichtung befand sich tief unter ihnen, in gewaltigen Schächten, wo sich diverse Gase vermischten und extreme Hitze erzeugt wurde. Dort befand sich auch der Ionen-Plasma-Reaktor mitsamt seinen supraleitenden Kühlspulen und den hypothermalen Kesseln, in denen auf synthetischem Wege riesige Kristalle entstanden. Die Fusionsanlage könnte den gesamten nördlichen Kontinent von Vallt mit Energie versorgen, aber gegenwärtig war das nicht seine Aufgabe. Derzeit sollte er Schübe gewaltiger Energie erzeugen, die man in Kondensatoren speichern und dann kontrolliert einsetzen konnte, wo immer sie benötigt wurde. Die Einrichtung war alles andere als billig gewesen, selbst in Vorkriegs-Credits gerechnet, und die Zerpen-Industriewerke, die ihren Hauptsitz in einem autonomen System am Äußeren Rand hatten, warteten noch immer darauf, dass sich ihre Investitionen auszahlten.
»Die Gleichung geht nicht auf«, sagte Nurboo, als das Datenfeld zu blinken begann, als wäre es selbst verwirrt von den Daten, die es anzeigte.
Galen wandte sich noch einmal an den Droiden. »Assis, zurück.«
Die ursprünglichen Integrale und Summierungssymbole erschienen wieder über dem Projektor, und Galen studierte sie mehrere Sekunden lang.
»Ist das ein Lächeln?«, fragte Tambo. »Lyra, lächelt er?«
Statt dem Droiden-Assistenten neue Anweisungen zu geben, beugte sich Galen vor, bis er in das Datenfeld hineingreifen konnte, und wedelte dann mit den Armen in der Luft, als wäre er ein Dirigent oder ein Magier, und die Berechnungen verschoben sich entsprechend. Als er fertig war und die Anzeige sich wieder stabilisiert hatte, versammelten sich die anderen um den Holotisch und beäugten das Resultat.
»Sieht gut aus«, sagte einer der Valltii.
»Eine elegante Lösung«, erklärte ein anderer.
»Sollen wir den Test jetzt durchführen?«
Die sechs kehrten an ihre Arbeitsstationen und Instrumente zurück, tauschten Kommentare und Vorschläge aus, während sie mit neuem Enthusiasmus ihren Aufgaben nachgingen.
»Element in Position«, verkündete Easel, wobei er sich auf den synthetischen Kristall bezog.
Galens Blick richtete sich auf den zentralen Displayschirm.
Nurboo räusperte sich. »Testsequenz eingeleitet.«
Die Beleuchtung des Kontrollraums verdunkelte sich kurz, während tief unter ihnen unvorstellbarer Druck auf einen riesigen Kristall zu wirken begann, den sie erst vor zwei Monaten erschaffen hatten. Das synthetische Gebilde war in seiner Struktur einem echten Kyber nachempfunden, den Zerpen unter großen Mühen und Kosten für sie aufgetrieben hatte. Diese so genannten lebenden Kristalle waren vergleichsweise selten, und beinahe alle befanden sich im Besitz der Jedi, die sie für unantastbar zu halten schienen. Fingergroße Kyber-Kristalle versorgten ihre Lichtschwerter mit Energie, und größere Exemplare zierten angeblich die Fassaden ihrer entlegenen Tempel.
»Systeme zeigen einen piezoelektrischen Effekt, null Komma drei über dem Ausgangswert«, meldete Nurboo.
Die Forscher beobachteten Galen, der langsam den Kopf schüttelte.
»Nein?«, fragte Tambo.
»Wir sollten einen viel größeren Anstieg sehen.« Erso schürzte die Lippen und zog die Brauen zusammen, während er überlegte, was wohl schiefgegangen sein könnte. »Die Zellverbindungen in dem Synthetik-Kristall sind nicht stabil genug. Wir müssen eine spektrografische Analyse durchführen und dann noch mal von vorne beginnen. Sämtliche Kristalle könnten diesen Makel haben.«
Sie hatten bereits zahllose solcher Rückschläge hinter sich, dennoch hing ihre Enttäuschung schwer in der kühlen Luft.
Galen nahm wieder seine Denkerhaltung ein.
»Wir könnten es mit mehr Druck versuchen«, schlug Easel mit sanfter Stimme vor. »Wenn wir den Kristall noch mal in die Dampfkammer stecken und eine neue Dotierlösung benutzen …«
Galen blickte sich ungehalten um, den Mund zu einer Entgegnung geöffnet, als plötzlich ein kurzes Piepsen aus der Kommstation des Kontrollraums erklang.
»Das Haupttor«, sagte einer der Valltii.
Lyra drehte ihren Sessel zur Kommanlage herum und blickte auf den Monitor. Über Nacht war ein Meter Neuschnee gefallen, und auch jetzt tanzten noch weiße Kristalle in der Luft. Die Heizplatten unter der Straße, die den Zugang zu der Anlage freihalten sollten, hatten wieder mal eine Fehlfunktion, und so türmte sich der Schnee auch zwischen dem Außentor und dem Eingang zur Anlage in windverwehten Dünen auf. Lyra hatte erwartet, auf dem Schirm den von Taqwa gezogenen Versorgungsschlitten zu erblicken, doch stattdessen sah sie einen verwahrlosten militärischen Truppentransporter. Das Wort Taqwa bedeutete auf Basic so viel wie »Schneeläufer«, auch wenn diese Übersetzung der Wildheit der vierbeinigen Lasttiere nicht ansatzweise gerecht wurde.
»Der Truppentransporter kommt von der Burg«, sagte Nurboo, der sich über ihre Schulter gebeugt hatte.
»Gehört zur Eisenfaust-Legion«, fügte Easel hinzu. »Die Wirbel der Tarnfelder sind unverkennbar.«
Lyra runzelte unbehaglich die Stirn. Der Anblick des Militärfahrzeugs erfüllte sie mit instinktivem Misstrauen. »Was könnten Soldaten um diese Zeit von uns wollen?«
»Vielleicht wollen sie noch mal darum bitten, dass wir ein wenig Energie für ihre Basis abzwacken.«
Nurboo versuchte, die Stimmung aufzulockern. »Und ich hatte schon gehofft, es wäre eine Essenslieferung.«
Nun gesellte sich auch Galen zu den anderen an die Kommstation. »Was immer sie herführt, wir werden so höflich und entgegenkommend sein wie immer.«
»Wenn’s denn sein muss«, brummte Tambo.
Lyra ließ resignierend den Atem entweichen. »Ich mach schon.«
Sie stemmte sich gerade aus ihrem Sitz hoch, als Nurboo ihr leichtfüßig den Weg versperrte. »Du wirst nichts dergleichen tun. Du bist schon viel zu lange auf den Beinen.«
Ein zweiter Valltii stimmte ihm zu. »Du schläfst zu wenig.«
Ihre Augen huschten zwischen den beiden hin und her, und ein nachsichtiges Lächeln verzerrte ihre Mundwinkel. »Jetzt übertreibt mal nicht, Freunde. Ich gehe doch nur den Gang runter und lasse sie rein.«
»Nein, das macht einer von uns«, beharrte Nurboo.
»Was denn, bin ich auf einmal zerbrechlicher als eure Eisfiguren?«
»Vor allem bist du wertvoller.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Das ist lieb von dir, Nurboo, aber ich habe bereits eine Mutter. Zum Glück ist sie ungefähr zwanzig Parsec entfernt, und das Letzte, was ich will, ist, dass ihr mich behandelt, als wäre ich aus …«
Ein erneutes Piepsen von der Kommanlage schnitt ihr das Wort ab. Das Gesicht des Torwächters erschien auf dem zentralen Schirm.
»Was wollen die Soldaten, Rooni?«, fragte Lyra in das Mikrofon.
Rooni antwortete etwas, das sie nicht verstehen konnte, und sie drehte sich zu Nurboo und den anderen herum. »Würdet ihr bitte mit eurem Gegacker aufhören? Ist ja schlimmer als in einem Hühnerstall hier drinnen.« Als sie verstummt waren, wandte sie sich wieder dem Mikrofon zu. »Wie war das, Rooni?«
»König Chai ist tot«, wiederholte der Valltii. »Phara herrscht jetzt in der Burg.«
»Das muss ein Irrtum sein«, brummte Nurboo mit besorgter Miene. »Marschall Phara hat nicht die Unterstützung des Militärs. Sie hätte König Chai unmöglich stürzen können.«
»Es sei denn, sie hat die Unterstützung der Separatisten«, warf Tambo ein.
»Die Separatisten?« Nurboo schien über diese Möglichkeit nachzudenken. »Welchen Grund hätte Count Dooku, sich in die internen Angelegenheiten von Vallt einzumischen?«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann blickte Easel langsam von einem zum nächsten. »Wegen Galen«, sagte er. »Die Separatisten wollen seine Forschungsergebnisse. Phara muss versprochen haben, ihn auszuliefern.«
Nurboos Augen weiteten sich, und die borstigen Barthaare über seinem Mund richteten sich auf. »Das ist die einzige Erklärung«, wandte er sich an Galen. »Count Dooku hat es auf deine grauen Zellen abgesehen.«
Galens Lippen wurden zu einer schmalen Linie. Dicht neben Lyras Ohr murmelte er: »Es scheint, der Krieg hat uns eingeholt.«
Sie fühlte tief in ihrer Brust, dass es stimmte. Die Blase, in der sie sich bislang so sicher gefühlt hatten, war zerplatzt. Zum ersten Mal, seit dieses Projekt begonnen hatte, spürte sie Angst, und zwar weniger um sich oder um Galen, sondern vielmehr Angst um die Zukunft, auf die sie hingearbeitet hatten. »Ist das wahr, Rooni?«, fragte sie, über das Mikrofon gebeugt. »Sind die Soldaten wegen Galen hier?«
Der große, buschige Schädel des Torwächters neigte sich in einem langsamen Nicken. »Marschall Phara hat die Kontrolle über alle planetarischen Angelegenheiten beansprucht. Diese Anlage ist ab heute das Eigentum von Vallt.«
»Das wird Zerpen aber nicht gefallen«, sagte Galen.
»Vielleicht«, räumte Rooni ein. »Aber im Moment können die Zerpen-Industriewerke nichts tun. Du und Lyra, ihr müsst sofort verschwinden.«
»Er hat recht«, meldete sich Nurboo zu Wort. »Phara hätte keinen Truppentransporter geschickt, falls sie es nicht ernst meinen würde.«
Galen sah die Valltii einen Augenblick lang an, dann schüttelte er den Kopf. »Wie sollen wir von hier verschwinden?«
»Die Tunnel«, antwortete Easel. »Falls ihr sofort aufbrecht, könnt ihr es zu eurem Schiff schaffen und starten.«
Galen blickte sich entsetzt im Kontrollraum um, und es war offensichtlich, dass er nicht fliehen wollte. All die Monate der Forschung, die hinter ihnen lag. Wie konnte Phara ihnen das wegnehmen? Wusste sie nicht, was Vallt und zahllose andere Welten verlieren würden, falls sie ihre Arbeit unterbrachen?
Nurboo richtete sich auf. »Galen! Ihr vergeudet wertvolle Zeit.«
Galen nickte widerwillig und drehte sich zu dem Droiden um. »Assis, du kommst mit uns.«
»Das habe ich erwartet, Dr. Erso«, erwiderte der Droide.
Nurboo machte einen Schritt nach vorne, um die drei Richtung Zugangsrampe des Korridors zu drängen. »Beeilung! Wir werden die Soldaten aufhalten, so lange wir können.«
Lyra musste unwillkürlich schmunzeln. »Womit? Mit euren Datengriffeln? Das wäre es fast wert, hierzubleiben und zuzusehen.«
Ein grimmiger Ausdruck fiel auf Nurboos blaues Gesicht. »Wir sind genauso kräftig wie diese Soldaten, Lyra.«
Galen wurde ernst. »Gebt ihnen keinen Grund, euch anzugreifen. Vergiss nicht, sie wollen mich, nicht euch.«
»Der Truppentransporter hat das Tor passiert«, meldete Easel von der Kommanlage.
Lyra eilte durch den Kontrollraum und umarmte ihre Freunde zum Abschied. »Zumindest den Geruch von verkohlten Schaltkreisen und altem Essen werde ich nicht vermissen«, sagte sie, als sie bei Nurboo angelangt war.
»Versprecht, dass ihr euch bei uns meldet«, forderte er sie auf. »Ich erwarte jede Menge Holobilder.«
»Diese Sache wird sich schon bald auflösen«, meinte Galen, wobei er sich um einen optimistischen Tonfall bemühte. »Wir haben uns nicht das letzte Mal gesehen, vertrau mir.«
»Ja, ja.« Nurboo schob sie nun praktisch vor sich her auf die Tür zu. »Aber für diese Diskussion ist noch Zeit, wenn ihr sicher auf der anderen Seite von Vallts Mond seid.«
Ein kleiner Speeder schwebte am Fuß der Rampe. Die Luft war hier noch kälter, und das Surren der unterirdischen Maschinen hallte von den Steinwänden wider. Der Hauptkorridor führte direkt zum Raumschiffhangar, und Dutzende Seitengänge zu Nebengebäuden und sekundären Energiestationen zweigten davon ab.
Assis fuhr seine Beine erst aus und zog sie dann ein, während er sich geschickt auf dem vorderen Droidensockel des Gleiters niederließ. Nachdem Galen und Lyra auf die hintere Rückbank geklettert waren, verband der Droide seine Systeme mit den Fahrzeugkontrollen.
»Vollgas, Assis«, befahl Galen. »Wir müssen das Schiff erreichen.«
Der Droide drehte den Kopf nach hinten. »Dann halten Sie sich gut fest, Doktor.«
Der Versorgungsspeeder schnellte los, und Galen und Lyra wurden gegen die gepolsterte Rückenlehne gepresst. Die halbkreisförmigen Leuchtstreifen, die den Gang in regelmäßigen Abständen erhellten, zuckten förmlich an ihnen vorbei. Doch noch ehe sie die erste Kreuzung des Ganges erreicht hatten, brachte Assis den Gleiter abrupt wieder zum Stehen.
»Was ist los?«, wollte Lyra wissen.
Erneut drehte Assis den Kopf nach hinten. »Ich erfasse Bewegung vor uns, sowohl im Hauptgang als auch an der Kreuzung. Mehr als zwanzig Valltii, alle zu Fuß.«
Galen war nicht überrascht von dieser Neuigkeit. »Sie haben damit gerechnet, dass wir fliehen würden«, murmelte er, wobei er sich langsam umsah. Schließlich verharrte sein Blick auf einer Luke in der Wand. »Assis, wo genau sind wir?«
Die Antwort des Droiden kam wie aus der Pistole geschossen. »Unter dem südlichen Lagerraum der Station.«
Galen wandte sich zu Lyra um und suchte ihren Blick. »Wir müssen zur Oberfläche hoch.«
Ihre Augenbrauen wanderten nach oben. »Das soll ein Scherz sein, oder? In diesem Schnee würden wir es keinen Kilometer weit schaffen.«
Er legte die Hand auf die schräg abfallende Schulter des TDK-Droiden. »Assis wird uns helfen.«
Nun wirkte selbst der Droide verwirrt. »Ich fürchte, ich würde sie nur aufhalten, Dr. Erso.«
Schlagartig begriff Lyra. Sie nickte. »Das Kettenmodul.«
Galen drückte zärtlich ihre Hand. »Hoffen wir, dass alles noch dort ist, wo wir es das letzte Mal abgestellt haben.«
Die drei kletterten aus dem Speeder und rannten zu der Luke hinüber.
Dahinter befand sich eine kurze Metalltreppe, die zum südlichen Lagerraum hochführte. Lyra eilte sofort los, um Mäntel, Handschuhe, Stiefel und hölzerne Skier zu holen. Während sie ihrem Ehemann die dicke Winterkleidung zuwarf, zog der vielseitige Assis seine Gliedmaßen ein und legte sich auf das Kettenantriebsmodul, das an die frostigen Wetterverhältnisse von Vallt angepasst worden war. Nachdem Galen seinen langen Mantel zugeknöpft und die pelzbesetzte Kapuze hochgezogen hatte, ging er daran, Seile am nunmehr kastenförmigen Körper des Droiden zu befestigen.
Lyra ließ das Tor hochfahren, und kurz verschlug die Kälte ihnen den Atem. Ein eisiger Wind wehte herein und ließ Wirbel von Schneekristallen um ihre Beine tanzen.
»Geh es langsam an«, sagte Galen, bevor er seine Stiefel auf den Skiern einhakte.
Lyra warf ihm einen Blick zu. »Fang du nicht auch noch an. Wer hat sich denn an dem Hang auf Chandrila das Knie verdreht?«
Einen Moment lang senkte er gescholten den Kopf. »Entschuldige, dass ich mir Sorgen mache.«
Sie rückte einen ihrer Handschuhe zurecht, dann stapfte sie zu ihm hinüber, schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn zu einem festen Kuss an sich heran. »Du kannst dir Sorgen machen, so viel du willst.« Sie zog den Kopf zurück und fügte hinzu: »Aber warum betrachten wir das Ganze nicht einfach als ein weiteres Abenteuer, hm?«
»Wohl eher als ein Experiment.«
Sie küsste ihn noch einmal. »Ich liebe dich.«
Lyra zog die Kapuze tief in ihre Stirn, schloss den Mantel bis unters Kinn und griff nach dem Seil, das Galen ihr hinhielt. Als Assis auf seinen Ketten in den frischen Schnee hinausrollte, spannten sich die Seile, und die beiden Wissenschaftler ließen sich auf ihren Skiern hinter dem Droiden herziehen. Sie wurden rasch schneller, während sie durch das unbewachsene Terrain auf den vier Kilometer entfernten Hangar zuhielten. Trotz der späten Stunde hing Vallts Primärsonne als trauriger Farbfleck dicht über dem Horizont – um diese Jahreszeit ihre angestammte Position so weit im Norden. Der Schnee war nur leicht geschmolzen, und sie glitten auf ihren Skiern links und rechts der tiefen Abdrücke von Assis’ Kettenmodul dahin. Die Lichter der Einrichtung waren gerade hinter ihnen verschwunden, als die ersten Kugeln an ihnen vorbeizischten. Galen blickte über die Schulter und sah zwei Gruppen von Valltii-Reitern, die rasch zu ihnen aufschlossen, und als der Wind drehte, konnte er auch das laute Knirschen der Taqwa-Hufe im tiefen Schnee hören.
»Assis, wir müssen vor ihnen den Hangar erreichen!«, schrie er.
»Sie haben gut reden, Doktor. Ich bin derjenige, auf den sie schießen!«
Er schnitt eine Grimasse. Es stimmte: Galen Erso und sein großes Gehirn waren zu wertvoll, als dass irgendjemand ihm Schaden zufügen würde.
Der Droide beschleunigte, und Galen und Lyra gingen in die Hocke, während sie hinter ihm hergezogen wurden. Die Geschwindigkeit und die kalte Luft ließen Tränen über ihre Wangen rinnen und gefrieren. Die Valltii-Reiter setzten ihren Beschuss fort, aber sie fielen weiter und weiter hinter ihnen zurück, und als der Hangar in Sicht kam, waren Assis und die Ersos außer Reichweite ihrer Waffen. Das bedeutete aber nicht, dass ihre Verfolger aufgaben: Sie peitschen ihre Schneeläufer gnadenlos weiter zum Galopp, um wieder Boden gutzumachen.
Auch Assis holte alles aus seinem Kettenmodul heraus, und binnen Sekunden schwoll die Hangarkuppel vor ihnen an, seine gewölbten Seiten mit dem verschlungenen Logo der Zerpen-Industriewerke verziert.
Im schwachen Licht musterte Galen den letzten Abschnitt des Schneefeldes. »Ich kann keine Spuren oder Abdrücke sehen«, rief er. »Wir werden es schaffen.«
Kurz vor der Kuppel ließ Lyra ihr Seil los, um auf ihren Skiern der Hauptluke entgegenzugleiten und dann gekonnt vor dem äußeren Kontrollfeld abzubremsen. Als Galen weniger elegant neben ihr zum Stehen kam, hatte sie die Luke bereits geöffnet, und die Beleuchtung des Hangars flackerte auf, sodass sie im Licht der Scheinwerfer ihr kleines, schlankes Raumschiff vor sich sahen. Die beiden lösten die Verschlüsse ihrer Skier und stapften durch die hüfthohe Schneeverwehung, die sich vor dem Eingang gebildet hatte.
»Mach das Schiff startklar«, rief Galen Lyra gehetzt zu. »Ich öffne die Kuppel.«
»Gibt Acht. Es könnte Schnee herunterfallen.«
»Was ist mit mir, Dr. Erso?«, fragte Assis, an dessen Torso noch immer die Zugseile hingen. »Was kann ich tun?«
Galen blickte kurz in Richtung der nahenden Reiter. »Bleib hier und sichere den Eingang.« Er musste sich bücken, um dem Droiden direkt ins Gesicht zu sehen. »Du weißt, was du zu tun hast, falls das hier nicht funktioniert.«
»Ich werde Ihre Befehle ausführen, Dr. Erso.«
Die beiden Wissenschaftler eilten in den Hangar – er in Richtung Kuppelkontrollen, sie auf das Schiff zu. Galen schlug auf den Schalter, der das Dach öffnete, dann rannte er zu Lyra hinüber, aber kaum, dass er sie erreicht hatte, fiel von irgendwo über ihren Köpfen ein Netz auf sie herab. Es war so schwer wie drei Taqwas und in etwa ebenso rau, und es riss die beiden zu Boden und nagelte sie fest.
»Diese Möglichkeit hast du wohl nicht einberechnet«, ächzte Lyra, während sie sich mühsam auf die Knie hochkämpfte.
Galen versuchte, seinen rechten Arm von dem bleiernen Geflecht zu befreien. Ihr Fluchtfahrzeug, das sie in Sicherheit bringen könnte, war zum Greifen nahe. Zorn kochte in ihm hoch. Die Valltii hatten ihr Netz so platziert, dass es herabfallen würde, sobald die Dachkuppel aufglitt – eine schrecklich primitive Falle. Wieso hatte er nicht mit so etwas gerechnet? Hatte ein Teil von ihm die Möglichkeit vielleicht ganz bewusst ignoriert? »Sieht aus, als hätten wir einen Fehler gemacht.«
»Auf Coruscant, meinst du.«
Assis rekonfigurierte gerade seinen Körper, um ihnen zu helfen, als das Geräusch galoppierender Tiere und gutturaler Stimmen in die Kuppel drang. Kurz darauf schoben sich dicht hintereinander acht struppige Taqwas durch die Luke. Ihr Atem hing als Dampfwolke in der Luft, während sie langsam auf ihren klobigen Füßen zu dem Netz hinüberstapften. Die Tiere hatten lange Hälse, scharfe Zähne und traurige Augen, und auf ihren Oberschenkeln prangte das Brandzeichen von Marschall Phara. Die Reiter waren stämmige männliche Valltii, allesamt in langen, dicken Ledermänteln und Fellstiefeln; ihre Wangen hatte der Eiswind zu einem tiefen Blau poliert. Einer von ihnen stieg aus seinem hölzernen Sattel und nahm die Wollmütze ab, während er auf Galen zutrat.
»Danke, dass Sie uns nicht enttäuscht haben, Dr. Erso«, sagte er in der Sprache der Einheimischen.
Galen gab es auf, seinen Arm befreien zu wollen, und ließ sich stattdessen auf den kalten, harten Boden des Hangars zurücksinken. »Sie haben ihre Spuren wirklich gekonnt verwischt.«
Der schwarzäugige Reiter ließ sich auf ein Knie herabsinken. Kleine, blutrote Perlen waren in die gefrorenen Haarsträhnen über seinem Mund geflochten, und er roch nach Rauch und ranzigem Buttertee. »Wir haben das Netz bereits vor zwei Tagen angebracht. Der Schneefall letzte Nacht hat uns in die Hände gespielt. Aber nehmen Sie es nicht so schwer. Durch die Tunnel hätten sie es nicht mal bis hierher geschafft.«
»Ja, unser Droide hat Ihre Leute bemerkt.«
»Ich habe mit all dem nichts zu tun!«, verkündete Assis, der, nunmehr wieder in seiner zweibeinigen Form, an der Luke stand, seine beiden kurzen Arme erhoben. »Ich habe meine Protokolle, und ich hatte keine andere Wahl, als meinen Befehlen zu gehorchen!«
Ohne sich zu erheben, blickte der Valltii zu seinen Begleitern hoch. »Kümmert euch um ihn.«
Zwei Reiter stiegen von ihren Taqwas, um der Aufforderung nachzukommen.
Galen hörte das Klacken, als Assis ein Helmbolzen an den Oberkörper geheftet wurde. »Lyra ist diejenige, die nichts mit alldem zu tun hat«, schnappte er. »Lasst sie gehen.«
Dieselben Reiter, die gerade den Droiden zum Schweigen gebracht hatten, hoben nun eine Ecke des schweren Netzes an und halfen Lyra auf die Beine. Sie machten aber keine Anstalten, auch Galen zu befreien.
»Sie sind auf Befehl von Marschall Phara verhaftet«, erklärte der Anführer der Gruppe.
»Wie lautet die Anklage?«
»Spionage. Unter anderem.«
Galen blickte dem Valltii direkt in die Augen. »Vor zwei Wochen haben wir noch Tee miteinander getrunken, und jetzt verhaften Sie mich?«
»Die Dinge haben sich geändert, Dr. Erso. Mein Befehl lautet, Sie gefangen zu nehmen. Marschall Phara wird entscheiden, ob Sie schuldig sind oder nicht.« Er stand auf und drehte sich zu einem der berittenen Soldaten um. »Kehr zum Hauptgebäude zurück und schick den Truppentransporter her. Wir bringen Dr. Erso ins Tambolor-Gefängnis.«