Zum Buch

Niemals wird Kelly jene schreckliche Nacht vor zehn Jahren vergessen. Genauso wie Mace Carson, den Mann, der sie rettete. Jetzt bringt sie der unglaubliche Erfolg einer Kellerei mitten im Ranchland nach Mustang Creek, und insgeheim ist sie begeistert, dass Mace der Besitzer ist. Doch auf keinen Fall darf sie Privates mit Geschäftlichem vermischen und schwört sich, professionell zu bleiben – bis ihr Angreifer von damals aus dem Gefängnis freigelassen wird und zurückkehrt, um sich zu rächen … an ihnen beiden.

»Linda Lael Miller ist eine der besten amerikanischen Autorinnen dieses ­Genres.«
Romantic Times Book Reviews

Zur Autorin

Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten »Wilden Westen«, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.

Lieferbare Titel

Bliss-County-Serie
Mustang Creek – Sehnsucht ist mein Wort für dich
Mustang Creek – Liebe ist mein Gefühl für dich

MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2018 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Forever a Hero
Copyright © 2017 by Hometown Girl Makes Good, Inc.
erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II, B.V. / S. á r. l.

Covergestaltung: büropecher, Köln
Coverabbildung: Rebecca Knowles / Trevillion Images
Eric Lowenbach / Getty Images
Redaktion: Dörte Karsten
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783955767181

www.harpercollins.de
Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

Liebe Leser,

willkommen zurück in Mustang Creek, Wyoming, der Heimat heißer Cowboys und kluger schöner Frauen, die sie lieben.

»Mustang Creek – Glück ist mein Geschenk für dich« erzählt die Geschichte von Mace, dem jüngsten der drei Carson-Brüder. Einst Cowboy, jetzt Winzer, dreht sich für ihn alles darum, sein erfolgreiches Weingut zu neuen Höhen zu führen. Obwohl er kein Interesse daran hat, es an die Managerin Kelly Wright – die Frau, die er einst aus einer brenzligen Situation gerettet hat – zu verkaufen, interessiert er sich doch mehr als nur ein bisschen für sie.

Mace mag zwar der Held sein, den Kelly nie vergessen hat, aber sie ist fest entschlossen, Privates nicht mit Geschäftlichem zu vermischen. Sie ist nach Mustang Creek zurückgekehrt, um ihm ein Angebot zu machen, das er nicht ablehnen kann, und sie hat vor, ihren Willen zu bekommen. Als jedoch ihr Angreifer von damals wieder auftaucht, um sich an ihr zu rächen, stellt Kelly fest, dass sie möglicherweise in Mace’ Armen am sichersten aufgehoben ist.

Falls Sie die vorangegangenen zwei Bücher dieser Trilogie, »Mustang Creek – Sehnsucht ist mein Wort für dich« und »Mustang Creek – Liebe ist mein Gefühl für dich«, gelesen haben, werden Sie viele der Figuren wiedererkennen. Ich hoffe, es bereitet Ihnen Freude, diesen Menschen erneut zu begegnen.

Das Leben auf einer Ranch ist mir zutiefst vertraut. Ich lebe auf meinem eigenen bescheidenen Anwesen namens Triple L, zusammen mit vielen Tieren: fünf Pferden, zwei Hunden und zwei Katzen. Und das sind nur die offiziellen Bewohner – wir teilen uns das Land außerdem noch mit wilden Truthähnen, Hirschen und manchmal Elchen, und ich würde nicht anders leben wollen.

Die Liebe zu Tieren zeigt sich auch in meinen Geschichten, und ich lasse keine Gelegenheit aus, mich für unsere treuen Freunde einzusetzen, die keine eigene Stimme und keine Wahl haben. Also unterstützen Sie bitte das Tierheim in Ihrer Nähe, und lassen Sie Ihre Haustiere kastrieren und sterilisieren. Und falls Sie sich einsam fühlen – warum nicht einem Vierbeiner ein Zuhause schenken, der nur darauf wartet, Sie dankbar zu lieben?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und nun viel Spaß mit der Geschichte.

Alles Gute,
Linda Lael Miller

1. Kapitel

Alles geschah innerhalb von Sekunden.

Und jede einzelne Sekunde fühlte sich an wie ein ganzes Jahr.

Mace Carson fuhr hinter dem unbekannten Wagen her, seit er vor einigen Minuten die Stadtgrenze Mustang Creeks hinter sich gelassen hatte. Plötzlich geriet das andere Auto auf der regennassen Straße ins Schleudern und drehte sich einmal um die eigene Achse. Diese Zeitlupendrehung, seltsam anmutig und zugleich potenziell tödlich, war erschreckend anzusehen.

Mace hielt am Seitenstreifen und tastete fluchend nach seinem Handy, während er hilflos mit ansah, wie das andere Fahrzeug langsam auf den Abhang an der gegenüberliegenden Straßenseite zuschlitterte, wo es keine Leitplanken gab. Dort ging es fast fünfzehn Meter steil hinunter, so schätzte er, und weder Bäume noch Felsbrocken würden den Fall bremsen.

Mal abgesehen davon, dass auch das nicht unbedingt ideal gewesen wäre.

Mit einem weiteren Fluch auf den Lippen sprang er aus seinem Pick-up und rannte los, um irgendwie zu helfen und ohne auf den prasselnden Regen zu achten, das Telefon in der Hand, den Daumen schon auf der Notruftaste.

Inzwischen kam der andere Wagen am Rand des Abhangs zum Stehen, und zwar in einem heiklen Winkel, halb noch auf der Straße, halb schon nicht mehr, mit der Beifahrerseite zum Abgrund. Der zentimetertiefe, rutschige Matsch bot kaum Halt.

Mace war nicht leicht aus der Fassung zu bringen, doch in diesen Sekunden schlug ihm das Herz bis zum Hals. Er war jetzt nah genug herangekommen, um das blasse, erschrockene Gesicht der Fahrerin zu erkennen, die sich von innen gegen die Tür stemmte, als hoffe sie, irgendwie durch das Blech nach draußen auf sicheren Boden gelangen zu können.

»Nicht bewegen!« Er wusste nicht, ob er die Worte tatsächlich rief oder bloß mit den Lippen formte. Er ließ das Telefon fallen, denn er würde beide Hände brauchen, um sie zu befreien, bevor der Schlamm nachgab und sie samt Wagen den Abhang hinunterrutschte.

Er sah sie nicken. Dann erstarren.

Er packte den Türgriff, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu lösen, und merkte sofort, dass die Türen noch verriegelt waren.

»Schalten Sie auf ›Parken‹«, forderte er die Frau auf, im Stillen dankbar, dass die Airbags nicht aufgegangen waren. Der Mechanismus war empfindlich; in manchen Autos, besonders neueren, brauchte es dazu nicht einmal einen Aufprall. Selbst ein abrupter Richtungswechsel konnte sie auslösen. »Und dann öffnen Sie den Sicherheitsgurt. Schön langsam – bloß keine plötzlichen Bewegungen.«

Wieder nickte sie. Entweder schrie er wirklich, oder sie las die Worte von seinen Lippen ab, denn sie kam seiner Aufforderung tatsächlich nach. Erleichtert hörte er, wie sich die Schlösser entriegelten.

Im selben Moment rutschte der Wagen ein paar Zentimeter weiter den Abhang hinab.

Mace stemmte die Füße in den Boden und zog an der Tür. Die Schwerkraft arbeitete gegen ihn, aber er hatte in seinem Leben genug Heuballen gewuchtet, und das hatte ihn körperlich stark gemacht.

Die Tür ging einen Spaltbreit auf.

»Rauskommen müssen Sie allein«, erklärte er der Frau, die so heftig zitterte, dass sie mit den Zähnen klapperte. Seine Stimme klang seltsam ruhig, wenn man die Umstände bedachte, zumindest für ihn selbst. »Aus offenkundigen Gründen kann ich diese Tür nicht lange genug loslassen, um Ihnen meine Hand anzubieten.«

Sie zwängte sich durch den engen Türspalt und landete auf Händen und Knien vor seinen Füßen.

Als er nur einen Herzschlag später den Türgriff losließ, fiel die Tür zu, und die Erschütterung reichte aus, um den Pick-up in Bewegung zu setzen. Noch während er der Frau aufhalf, rutschte der Wagen den Abhang hinab, kippte auf die Seite und überschlug sich wieder und wieder, wobei er immer mehr Schwung aufnahm und schließlich weit unten krachend auf dem Dach liegen blieb, mitten im Fluss.

Mace hielt die am ganzen Körper bebende Fremde noch immer mit beiden Armen umfangen und schloss kurz die Augen bei der Vorstellung, was hätte passieren können. Wer immer diese Lady sein mochte, sie hatte ziemliches Glück gehabt.

Er selbst fühlte sich ein wenig zittrig, erholte sich jedoch rasch. Er musste sich auf das konzentrieren, was jetzt notwendig war. Äußerlich schien die Frau unverletzt zu sein, aber sie könnte unter Schock stehen oder sich den Kopf gestoßen und eine Gehirnerschütterung zugezogen haben. Möglicherweise hatte sie irgendwelche inneren Verletzungen davongetragen.

Da er wie jedes Ranch-Kind mit wilden Tobereien aufgewachsen war und auch Rodeos geritten hatte, wusste er, dass man manche Verletzungen, anders als Prellungen oder Platzwunden, nicht sehen konnte. Zumindest nicht sofort.

Sein Verantwortungsgefühl erwachte von Neuem, und er atmete tief durch, während er seine Gedanken ordnete.

Immerhin stand die Lady noch auf den Beinen, und ihr Blick schien einigermaßen klar zu sein. Mace schaute den Abhang hinunter.

Ein wenig hatte er damit gerechnet, dass der Wagen beim Aufprall explodieren würde, trotz des Regens, aber er lag bloß da, dermaßen von Schlamm bedeckt, dass die Farbe – typisches Mietwagen-Beige, wenn er sich richtig erinnerte – nicht mehr zu erkennen war. Mit seinen vier sich langsam drehenden Rädern erinnerte ihn der Wagen an eine Schildkröte, die auf dem Rücken lag und vergeblich wieder auf die Beine zu kommen versuchte.

»Heilige Scheiße«, flüsterte er.

Die Frau sah ihn an, regendurchnässt und noch immer blass, allerdings mit einem amüsierten Zug um die Mundwinkel. »Das können Sie wirklich zweimal sagen«, meinte sie. »Aber tun Sie’s trotzdem nicht.«

Er lachte kurz und rau darüber. Sie zitterte, und er war sich nicht ganz sicher, ob sie nicht doch zusammenklappen würde, sobald er sie losließ. Aber sie besaß Mumm, daran bestand kein Zweifel. Angesichts dessen, was sie gerade durchgemacht hatte, hätte er auch heftiges Schluchzen, eine gute alte Ohnmacht oder Würgen nicht für eine übertriebene Reaktion gehalten.

»Sind Sie verletzt?« Er wünschte, er hätte diese naheliegende Frage schon etwas eher gestellt, statt sie nur zu denken.

Sie schüttelte den Kopf. Ihre Haare, die in tropfenden Strähnen nicht ganz bis auf ihre Schultern reichten, waren irgendwie blond. Ihre Augen, noch immer vor Schreck geweitet, waren von einem erstaunlichen Grün, mit goldenen Sprenkeln. »Mir fehlt nichts«, versicherte sie ihm, wobei sie die Stimme heben musste, wegen des unablässig prasselnden Regens. »Dank Ihnen.«

»Haben Sie Schmerzen?«, erkundigte sich Mace, noch nicht ganz überzeugt.

»Ein paar Prellungen«, antwortete sie, »aber nichts Ernstes. Es fühlt sich auch nichts taub an. Ich bin nur ein bisschen geschockt – das war ja echt knapp.« Sie biss sich auf die Unterlippe, ehe sie weitersprach. »Wenn Sie nicht da gewesen wären …« Sie verstummte, schüttelte erneut den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Tja, ich war aber da«, sagte er sanft. »Wir werden Sie untersuchen lassen, nur um sicherzugehen.«

Sie antwortete mit einem Durcheinander aus Worten und halben Sätzen. »Der Wagen … der war gemietet … ich weiß nicht, ob ich eine Zusatzversicherung abgeschlossen habe.«

»Darum kümmern wir uns später. Jetzt fahren wir erst mal ins Krankenhaus.«

»Ich glaube wirklich nicht, dass ich verletzt bin …«

Mit der einen Hand hielt er weiterhin ihren Arm fest, während er sich bückte, um mit der anderen Hand sein Telefon aufzuheben. Es sah ein bisschen ramponiert aus, obwohl es wahrscheinlich noch ganz gut funktionierte. »Falls es Ihnen recht ist«, sagte er leichthin, »würde ich das gern aus dem Mund eines Mediziners hören.«

Sie seufzte.

»Außerdem wird es durch den Regen nicht besser«, fügte er hinzu und führte sie behutsam zu seinem Pick-up. Es wäre schneller gegangen, wenn er sie einfach hochgehoben und getragen hätte. Doch sollte sie tatsächlich verletzt sein, wäre es wiederum auch nicht gut, sie wie einen Futtersack umherzuwerfen.

Sie erreichten den Pick-up, und er öffnete die Beifahrertür. Aber bevor er ihr hineinhelfen konnte, stieg sie aus eigener Kraft auf das Trittbrett und schwang sich auf den Sitz. Als Mace ihr Gesicht betrachtete, hatte er für einen kurzen Moment das Gefühl, sie von irgendwoher zu kennen.

»Wenn ich der Ansicht wäre, dass es Sinn hätte, mit Ihnen zu streiten«, erklärte sie mit der Andeutung eines Lächelns, »dann würde ich wiederholen, was ich schon die ganze Zeit sage. Ich brauche keinen Arzt. Außerdem haben Sie schon genug für mich getan.«

»Sie haben zumindest teilweise recht«, räumte Mace ein. »Mit mir zu streiten hätte wenig Sinn. Im Übrigen tue ich nur, was jeder unter diesen Umständen getan hätte. Tja, und ob Sie zum Arzt sollten oder nicht, darüber könnte man debattieren.«

»Im Ernst. Ich bin mir absolut sicher, dass ich bloß ein heißes Bad brauche, ein paar Aspirin und etwas Schlaf. Wenn Sie mich also einfach vor meinem Hotel absetzen würden …«

»Na klar doch«, erwiderte Mace freundlich. »Das mache ich – nachdem der Arzt Sie untersucht und es für okay befunden hat.«

»Mir fehlt nichts.« Sie war hartnäckig, um nicht zu sagen stur, aber diesmal hatte sie einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Er war mindestens genauso stur.

Mace warf die Wagentür zu, ohne etwas darauf zu erwidern. Vielleicht hatte sie recht und ihr fehlte wirklich nichts. Er hatte jedoch nicht die Absicht, ein Risiko einzugehen, und allmählich war er es leid, hier im strömenden Regen herumzudiskutieren.

Kaum saß er hinter dem Lenkrad, im Schutz des Wagens, ließ der Regen nach.

Natürlich.

Die Frau hielt ihre Arme um den Oberkörper geschlungen, bibberte und starrte trübsinnig durch die regennasse Frontscheibe.

Mace stellte die Heizung hoch und war froh, dass er den Motor hatte laufen lassen. Er sah die Frau an und versuchte ein Lächeln, das ihm misslang. »Bei mir sind Sie sicher, falls es das ist, worüber Sie sich Sorgen machen. Ich bin vielleicht ein Fremder, aber auch einer von den Guten.«

Sie musterte ihn neugierig. »Sie sind kein Fremder.«

Ah, dann hatte er also recht gehabt. Dies war nicht ihre erste Begegnung.

Nur konnte er sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wo sie sich schon einmal über den Weg gelaufen waren. Das war eigenartig, denn selbst nass, schmutzig und geschockter, als sie vermutlich glaubte, war sie nicht der Typ Frau, den man leicht wieder vergaß.

»Bin ich nicht?«, fragte er und schaute in den Rückspiegel, bevor er drehte und zurück Richtung Mustang Creek fuhr.

Seufzend lehnte sie den Kopf gegen das Seitenfenster und erwiderte beinah wehmütig: »Erinnern Sie sich nicht?«

»Ich weiß, dass wir uns schon einmal begegnet sind«, antwortete er. »Aber mehr im Augenblick auch nicht.«

Es entstand eine längere, einsame Pause. Dann ein weiterer Seufzer. »Vielleicht können wir uns ein andermal über alte Zeiten austauschen«, sagte sie schließlich und schien in sich hineinzuschrumpfen. »Ich bin schrecklich müde.«

Normalerweise mochte er es nicht, solche Dinge aufzuschieben, doch verzichtete er darauf, sich nach weiteren Einzelheiten zu erkundigen. Zumindest vorläufig.

»Schlafen Sie bloß nicht ein«, warnte er sie.

»Warum nicht?«, fragte sie mit einem weiteren Seufzer und einem kleinen Gähnen. »Ich habe einen langen, harten Tag hinter mir.«

»Weil Sie sich möglicherweise den Kopf gestoßen haben.«

Sie öffnete den Mund, anscheinend um zu protestieren, aber dann schien sie es sich anders zu überlegen. Vielleicht war sie auch einfach nur zu müde für eine Diskussion.

»Danke«, sagte sie. »Für alles.«

Mace nickte nur kurz und hielt den Blick auf die Straße gerichtet. Mehrere Minuten vergingen, bis er das Schweigen beendete. »Was ist eigentlich passiert?«

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete sie schläfrig. »Ich fuhr ganz normal und hielt Ausschau nach der Einfahrt zum Hotel, als das Auto plötzlich ins Rutschen geriet. Aquaplaning. Oder vielleicht ist ein Reifen geplatzt oder so.«

»Sie sind zu schnell gefahren«, bemerkte er trocken.

Sie runzelte die Stirn: »Wollen Sie mich jetzt auch noch über Sicherheit im Straßenverkehr belehren? Das brauche ich jetzt nämlich wirklich nicht.«

Er grinste. »Unbekannte Straße, heftiger Regen …«

»Ich hatte es eilig.«

»Weswegen?«

»Weil ich in mein Hotel wollte. Wie ich bereits erwähnte, habe ich einen langen Tag hinter mir.«

Mustang Creek kam in Sicht; das kleine Krankenhaus lag auf der anderen Seite der Stadt, noch etwa zehn Minuten entfernt. Eine Polizeieskorte wäre jetzt nicht schlecht, dachte er.

»Noch ein paar Sekunden, und Sie hätten Ihr Leben hinter sich gehabt.«

»Na danke noch mal.« Diesmal klang es ein wenig brüsk, was Mace beruhigend fand. »Allein wär ich da wohl nicht drauf gekommen – dass ich bei dem Unfall hätte sterben können, meine ich.«

Sorg dafür, dass sie weiterredet. Und wenn sie verärgert ist, auch gut. Dann schläft sie wenigstens nicht ein.

Plötzlich setzte sie sich kerzengerade auf und fing an, mit ihren Händen herumzutasten. »Meine Handtasche. Die ist noch im Auto«, stellte sie entsetzt fest.

Mace hatte es schon immer verblüfft, wie abhängig Frauen von ihren Handtaschen waren, als handele es sich bei diesen Dingern um ein Teil ihrer Anatomie, statt um eine offensichtliche Last. Noch etwas, auf das man aufpassen musste. »Die verschwindet ja nicht«, bemerkte er vorsichtig.

Mit großen Augen und geröteten Wangen starrte sie ihn an. »Mein ganzes Leben befindet sich in dieser Handtasche!«, schrie sie. »Außerdem ist es eine Michael Kors!«

Eine Handtasche mit Namen, dachte er, war jedoch nicht so blöd, das laut auszusprechen. Sie wachzuhalten war eine Sache; das hieß aber nicht, dass ihr deswegen eine Ader im Hirn platzen sollte.

»Ich werde dafür sorgen, dass Sie sie zurückbekommen.«

»Und wenn sie im Wasser versinkt? Mein Telefon, meine Brieftasche … haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel eine Designer-Handtasche kostet? Und was ist mit meinem Laptop? Meiner Kleidung?«

»Das könnte durchaus passieren«, gab Mace ihr gelassen recht. »Wenn man mal die Gesetze der Schwerkraft berücksichtigt.«

»Wie können Sie so ruhig sein?« Jetzt war sie wirklich wütend und beantwortete sich die Frage gleich selbst. »Ich werde Ihnen sagen, weshalb Sie ruhig bleiben können. Es ist nicht Ihre Handtasche!«

»Da haben Sie mich aber erwischt«, gab er zu, nicht ohne Mitgefühl. »Zufällig besitze ich keine. Tja, und besäße ich eine, würde ich das schön für mich behalten.«

Das Rot ihrer Wangen nahm zu, aber sie kicherte. »Die Sache ist ernst.«

Mace schüttelte den Kopf. »Nein, Ma’am«, sagte er, während er den Wagen durch die vertrauten Straßen seiner Heimatstadt lenkte. »Autounfälle sind ernst. Gehirnerschütterungen und Milzrisse sind ernst. Aber eine Handtasche namens Michael, die in einem Fluss gelandet ist? Nö.«

»Ich sollte die Mietwagenfirma anrufen«, sagte sie ohne Überleitung.

Mace zog sein Handy aus der Brusttasche seines Hemdes und reichte es ihr. »Machen Sie nur, wenn Sie sich dadurch besser fühlen.«

Sie nahm das Telefon und schaute perplex auf das Display. »Ich kenne die Nummer nicht. Der Vertrag liegt im Handschuhfach, und das steht wahrscheinlich unter Wasser.«

»Sie haben reichlich Zeit, sich mit denen in Verbindung zu setzen«, sagte Mace. Inzwischen waren sie fast durch Mustang Creek hindurchgefahren; jeden Moment würde die Abzweigung zum Krankenhaus kommen. »Es wäre aber vielleicht keine schlechte Idee, Ihre Familie anzurufen.« Als sie nicht gleich antwortete, zählte er auf: »Ihre Familie? Ehemann? Freund?«

Sie stieß frustriert den Atem aus. »Meine Eltern machen eine Kreuzfahrt zwischen den griechischen Inseln.« Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass sie ihn ansah. Er verlangsamte das Tempo, um abzubiegen. »Und ich habe weder einen Ehemann noch einen Freund, nur zu Ihrer Information.« Einige Sekunden vergingen. »Und Sie?«

Er lachte und bog in die Zufahrt zum Krankenhaus ein. »Ob ich einen Ehemann oder Freund habe?«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, der jedoch einem wackligen Grinsen wich, bevor sie den Parkplatz vor der Notaufnahme erreichten. »Das war ein Scherz.«

»Ich hab doch gelacht, oder?« Mace parkte, stellte den Motor aus und ging um den Wagen, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Diesmal ließ sie es zu, und kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, schwankte sie und legte die Hand an die Stirn.

Mace legte den Arm um ihre Taille, um sie zu stützen. Wieder überlegte er, ob er sie nicht lieber tragen sollte, und wieder verwarf er die Idee als zu riskant.

»Mir ist nur ein bisschen schwindelig«, murmelte sie, während sie die gut beleuchtete Anmeldung betraten. »Keine große Sache.«

Ellie Simmons saß hinter dem Tresen, und sie stand sofort auf. Sie und Mace waren zusammen zur Schule gegangen.

»Ich habe weder Ausweis noch Krankenversicherungskarte bei mir«, erklärte die Frau, und erst in diesem Moment begriff Mace, dass er ihren Namen gar nicht kannte.

»Sie hatte einen Unfall«, berichtete er Ellie, froh über die nette, kompetente Art seiner Bekannten. »Auf der Südseite der Stadt.«

Ellie kam hinter dem Empfangstresen hervor und besorgte einen Rollstuhl. Behutsam drängte sie die Patientin, sich hineinzusetzen. »Was ist mit dir, Mace?«, erkundigte sie sich. »Hast du dich verletzt?«

Mace fuhr sich durch die nassen Haare. Durchweicht, wie er und seine Begleiterin waren, hätten sie auch Schiffbrüchige sein können – hätte es im Umkreis von tausend Meilen einen Ozean gegeben. »Ich kam nur zufällig vorbei«, sagte er.

»Ich bin versichert«, kam es von der Frau im Rollstuhl.

»Zu den Formalitäten kommen wir später«, erklärte Ellie, die den Neuankömmling schon Richtung Untersuchungszimmer schob, während sie sich hinunterbeugte und fragte: »Wie heißen Sie, Schätzchen?«

Die Frau im Rollstuhl zögerte lange genug, dass Mace und Ellie einen Blick tauschten. Ellie hob fragend eine Braue.

Mace zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung.«

»Kelly«, sagte die Frau schließlich, und es klang erleichtert. »Kelly Wright.«

»Nun, Kelly Wright«, verkündete Ellie, während sie mit ihr im Untersuchungsraum verschwand, »Sie haben Glück. Dr. Draper hat heute Abend Dienst, und sie ist die Beste.«

Mace schaute ihnen hinterher und unterdrückte das Bedürfnis, ihnen einfach zu folgen, eine Menge Fragen zu stellen und dafür zu sorgen, dass Sheila Draper auch die richtigen Tests durchführte.

Was immer die richtigen Tests sein mochten.

Da Miss Wright nach wie vor sein Handy hatte, ging er zum Münzfernsprecher, einem echten Relikt aus einer vergangenen Zeit. Mace wühlte in den Hosentaschen nach Münzen und rief seinen Freund Spence Hogan an, seines Zeichens Polizeichef von Mustang Creek.

Spence brauchte eine Weile, bis er sich meldete, und als er es endlich tat, geschah das auf die übliche barsche Art. »Hey, Mace. Was läuft?«

Mace schilderte es ihm in aller Ausführlichkeit.

»Sam Helgeson hat es vor fünf Minuten gemeldet«, sagte Spence. »Ich habe schon einen Streifenwagen und einen Abschleppwagen hingeschickt.« Dann fragte er: »Mit dir alles okay, Kumpel?«

»Mir geht’s gut«, antwortete Mace. Wo hatte er das nur schon mal gehört?

»Bist du dir sicher? Du hörst dich ganz schön nervös an, wenn du mich fragst.«

Mace seufzte. »Ja, das bin ich auch.«

»Bleib einen Moment dran«, bat Spence ihn. »Deputy Brenner meldet sich gerade über Funk. Er ist am Unfallort eingetroffen.«

Mace wartete. Er hörte an Spence’ Ende einen Wortwechsel, konnte jedoch nicht verstehen, was gesagt wurde. Außerdem war er viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu fragen, was da im Untersuchungsraum mit Kelly Wright vor sich ging. Gleichzeitig kramte er in seiner Erinnerung – die, was Frauen betraf, sehr zuverlässig arbeitete – nach irgendeiner Verbindung.

Und fand keine.

Er hatte in seinem Leben bestimmt ein halbes Dutzend Kellys gekannt, war mit einigen zur Schule gegangen, hatte andere während der Rodeotour ausgeführt, aber der Name Wright sagte ihm nichts.

Spence meldete sich wieder. »Du sagtest, da sei nur eine Frau im Wagen gewesen, als der den Abhang hinunterrutschte, oder? Keine weiteren Passagiere?«

»Nur sie«, bestätigte Mace. »Doc Draper untersucht sie gerade.«

Spence atmete hörbar aus.

»Was?«, drängte Mace, besorgt von Spence’ Zögern.

»Laut meinem Deputy«, berichtete der Polizeichef, »waren er und der Abschleppwagenfahrer dabei, persönliche Sachen aus dem Wagen zu bergen, als sie Benzin rochen. Sie rannten schnell den Abhang hinauf mit den paar Sachen, die sie noch einsammeln konnten, und dann ging der Wagen erst in Flammen auf und flog schließlich in die Luft. Die Feuerwehr ist unterwegs, um dafür zu sorgen, dass sich das Feuer nicht ausbreitet. Dem Himmel sei Dank für diesen Regen.«

Mace kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. »Meine Güte«, flüsterte er und sah das Feuer vor sich, als wäre er dabei gewesen. Er dachte daran, dass er nach dem Treffen mit dem Typen, der seine Website betreute, beinah auf ein Bier in seiner Lieblingsbar vorbeigeschaut hätte. Dort wäre er sicher eine Weile hängen geblieben, hätte mit Freunden und Nachbarn geplaudert, womöglich die eine oder andere Partie Billard gespielt. Wenn ihm nicht eingefallen wäre, dass Harry, die langjährige Köchin und Haushälterin der Familie, an diesem Abend ihre legendären Hamburger zubereiten wollte, und falls er geglaubt hätte, dass seine beiden älteren Brüder Slater und Drake ihm etwas übrig lassen würden …

Wenn.

Diese Miss Wright wäre höchstwahrscheinlich in ihrem Wagen gefangen gewesen, unfähig, die Fahrertür zu öffnen auf dem steilen Abhang. Sie wäre zusammen mit dem Wagen abgestürzt, und wenn sie wie durch ein Wunder die Überschläge, ohne sich das Genick zu brechen, überstanden hätte, wäre sie verbrannt.

Er stieß einen leisen Fluch aus.

»Macht dich wohl zum Helden«, bemerkte Spence trocken.

»Ich war bloß zufällig da, das ist alles«, sagte Mace. »Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Du hättest das Gleiche getan, wenn du dort gewesen wärst, genau wie so ziemlich jeder hier.«

»Wie so ziemlich jeder hier«, bestätigte Spence mit leichter Betonung auf dem mittleren Wort.

Mace ließ das unkommentiert. Jede Stadt hatte ihre Windbeutel, und Mustang Creek bildete da keine Ausnahme. Aber darum ging es nicht. Was zählte, war die Tatsache, dass diese Wright-Lady nicht in dem Wagen diesen Abhang hinuntergestürzt war. Sie war heil davongekommen, musste vielleicht ein bisschen geflickt werden, aber sie war am Leben.

Ein Schauder überlief Mace und erinnerte ihn daran, dass seine Kleidung vollkommen durchnässt war und klamm und kalt an ihm klebte. Er hatte Hunger, war hundemüde und verdammt dankbar, dass das oft launische Schicksal Kelly Wright nicht allzu übel mitgespielt hatte.

»Mace?«, fragte Spence. »Bist du noch dran?«

»Ja, ich bin da«, antwortete er.

»Ich nehme an, viel mehr kannst du heute Abend nicht mehr tun. Ist also wohl das Beste, wenn du nach Hause fährst.«

»Sobald ich weiß, dass Kelly nichts fehlt, mache ich genau das. Wahrscheinlich braucht sie jemanden, der sie zum Hotel fährt. Dort wohnt sie nämlich.«

»Na schön«, meinte Spence diplomatisch. »Ich nehme allerdings an, die Dame wird zur Beobachtung dortbleiben, und die Tests, die man mit ihr durchführen will, können Stunden dauern. Willst du wirklich die ganze Zeit im Wartezimmer sitzen?«

Mace seufzte. »Sie kommt nicht von hier. Irgendjemand sollte wenigstens so lange warten, bis feststeht, ob sie über Nacht hierbleiben muss oder ob sie gehen darf.«

»Gut«, sagte Spence. »Wir werden hier tun, was wir können.«

Mace nickte, bis ihm klar wurde, dass sein Freund das nicht sehen konnte. »Ihr Name ist Kelly Wright, und der Wagen war gemietet, aber sie wusste den Namen der Mietwagenfirma nicht mehr. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht sagen.«

»Keine Sorge«, erwiderte Spence. »Mustang Creek PD vollbringt auf geheimnisvolle Weise Wunder. Richte Miss Wright aus, sie möge mich anrufen, sobald ihr danach ist, ja? Es wird einiges an Papierkram anfallen.«

»Mach ich«, versprach Mace, ehe sie sich voneinander verabschiedeten.

Mace lief auf und ab, als ein junges Paar mit ängstlichen Gesichtern durch den Haupteingang hereinstürmte. Der Mann trug ein wimmerndes, in eine Decke gewickeltes Kleinkind auf dem Arm.

Sofort tauchte Ellie auf und begrüßte die Neuankömmlinge mit einem breiten, beruhigenden Lächeln. Sie gab der Frau ein Klemmbrett und führte das Trio in ein anderes Behandlungszimmer.

Als sie in den Empfangsbereich zurückkehrte, gab sie Mace sein Handy zurück. »Kelly bat mich, dir das zu geben.«

»Danke. Gibt es schon Ergebnisse?«

»Noch nicht«, antwortete Ellie unverbindlich. »Möchtest du Kaffee?«

»Nein danke.« Er war ohnehin schon aufgedreht genug, auch ohne einen Koffeinkick.

»Wie läuft dein Abend?«, erkundigte er sich. Eigentlich war er nicht allzu gesprächig, aber das Wartezimmer machte ihn verrückt.

»Besser als deiner, würde ich denken.« Ellie lächelte verständnisvoll und saß schon wieder auf ihrem Platz hinter dem Anmeldetresen. »Bis jetzt war nicht viel los. Was natürlich gut ist.«

Mace merkte, dass ihm der Gesprächsstoff ausging. Er setzte sich auf einen orangenfarbenen Plastikstuhl, schlug eine alte Ausgabe von Field & Stream auf, las einen Absatz über Forellenfischen in Montana und gab es auf.

Eine weitere Stunde verging, in der eine ältere Frau mit Atemproblemen hereingebracht wurde und das junge Paar mit einem Rezept aus dem Behandlungszimmer kam. Das Kind schlief nun, den Kopf auf der Schulter des Mannes. Mace nickte ihm freundlich zu, und der Mann nickte zurück.

Kurz darauf kam Sheila Draper aus dem Behandlungszimmer, entdeckte Mace und ging lächelnd auf ihn zu. Sie war eine gut aussehende Rothaarige, mit einer Figur, die ihre blaue Krankenhauskluft aufregend ausfüllte.

»Hey, Doc«, sagte Mace. Sheila war auf einer Nachbarranch aufgewachsen und die beiden Familien seit langer Zeit befreundet.

»Selber hey.« Sheila trug einen Tablet-Computer, sah aber nicht hinein. In ihren hellgrünen Augen lag ein Funkeln. »Du kannst dich entspannen, Sir Galahad«, sagte sie. »Kelly ist nicht ernstlich verletzt, nur ein bisschen durchgerüttelt und dehydriert. Ich behalte sie über Nacht hier, zur Beobachtung und zur Flüssigkeitszufuhr.«

Etwas in Mace entkrampfte sich, und er atmete tief durch. Und noch während die Frage in seinem Kopf entstand, staunte er darüber, dass er sie stellen musste. Er hatte doch für Kelly getan, was er konnte und wusste sie in guten Händen, hatte es von dem Moment an gewusst, als er sie hereingebracht hatte.

Trotzdem fragte er: »Kann ich sie sehen?«

Sheila schüttelte bedauernd den Kopf und berührte seinen Arm. »Nicht mehr heute Abend, Mace. Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben, und sie ist schon auf dem Weg nach oben. Vermutlich schläft sie schon, bevor sie in ihrem Zimmer angekommen ist.« Im Grunde verstand es sich von selbst – Kelly brauchte Schlaf, keinen Besuch.

Er nickte und seufzte.

Dann bedankte er sich bei Sheila, verabschiedete sich von Ellie und machte sich auf den Heimweg.

Mace Carson erinnerte sich also nicht an sie. Zumindest nur sehr vage.

Das war ja fürs Erste in Ordnung, fand Kelly, schon ein wenig benommen von dem Beruhigungsmittel, das man ihr gerade verabreicht hatte. Sie dagegen erinnerte sich umso besser.

Wegen der grellen Beleuchtung über ihr und wegen eines leichten Schwindelgefühls schloss sie die Augen, während sie auf einer Bahre erst in einen Fahrstuhl und dann einen langen Gang entlanggeschoben wurde. In Gedanken kehrte sie in ein anderes Krankenhaus zurück, an einem anderen Abend, vor über zehn Jahren.

Bei der Erinnerung daran hätte sie sich am liebsten in die Embryonalstellung zusammengekrümmt, doch die Medikamente und die Infusionsnadel in ihrem Arm machten solche Bewegungen unmöglich. Es hätte auch zu viel Anstrengung gekostet.

Eine andere Erinnerung flutete ihren Verstand und wirkte beruhigend. Auch damals war Mace bei ihr gewesen. Er hatte sie ins Krankenhaus begleitet und ihre Hand gehalten. Er hatte ihr gut zugeredet, dass sie jetzt in Sicherheit sei und niemand ihr etwas antun würde. Er hatte ihr versprochen, da zu sein, wenn die Polizei käme, um sie zu befragen. Und er hatte sein Wort gehalten, als sie am nächsten Morgen entlassen wurde. Er hatte sie zum Polizeirevier gefahren und neben ihr gesessen, während zwei Detectives von der Spezialeinheit für Sexualverbrechen, der Special Victims Unit, kurz SVU, sie über die Ereignisse der vorangegangenen Nacht befragten, in der sie auf dem Weg zu ihrer Studentenunterkunft angegriffen und beinah vergewaltigt worden war.

Mace, der am gleichen College in Kalifornien studierte, hatte das Handgemenge gehört, den Mann von Kelly heruntergezerrt und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten.

Aber wie hatte Mace das alles vergessen können? Vielleicht war es eine Gewohnheit für ihn, Leute zu retten. Geschah das so häufig, dass er sich an die einzelnen Ereignisse schon gar nicht mehr erinnern konnte?

Bei der Vorstellung musste sie lachen.

Morgen oder möglicherweise erst übermorgen würde sie ihn wiedersehen. Falls ihm dann immer noch nicht eingefallen war, woher er sie kannte, würde sie seine Erinnerung eben ein wenig auffrischen. Oberste Priorität hatte das allerdings nicht.

Eigentlich war sie nach Mustang Creek gekommen, um mit diesem Mann Geschäfte zu machen, und nicht, um ihre lange zurückliegende – und sehr kurze – Bekanntschaft zu erneuern. Great Grapes International, das Unternehmen, für das sie arbeitete, strebte mit Mountain Winery eine Partnerschaft an, wie es sie bereits erfolgreich mit anderen Weinproduzenten eingegangen war.

Mit großen, dachte Kelly. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte der Unternehmensvorstand keinerlei Zweifel daran, dass alles genau nach ihren Vorstellungen laufen würde; deren Selbstvertrauen grenzte ihrer Ansicht nach schon an Arroganz. Sie wusste über Mace Carson als Mensch nicht viel, nach einer dramatischen Begegnung damals und kurzen Treffen während der Gerichtsverhandlung gegen den Angreifer. Aber ihre Online-Recherche vor Kurzem hatte doch einige Lücken schließen können.

Es war höchst unwahrscheinlich, dass Carson sich von dem Geld, das GGI ihm anbieten würde, beeindrucken ließ, da die Carsons zu den reichsten Familien Wyomings gehörten. Mace’ Firma schien eine Herzensangelegenheit zu sein, nicht bloß eine Einkommensquelle. Das Weingut war schuldenfrei, und der Reingewinn kam verschiedenen wohltätigen Zwecken zugute.

Kelly hatte diese Dinge der Führungsetage auseinandergesetzt oder es zumindest versucht. Und es hatte exakt zu nichts geführt.

Scheitern kommt nicht infrage, hatte ihre Chefin Dina sie fröhlich informiert. Wenn GGI ein Motto hätte, würde es »hipp, hipp, hurra« lauten.

Bei dem Gedanken daran stöhnte Kelly innerlich. Sie wusste um die Kraft einer positiven Einstellung, vor allem nach Jahren in von der Firma bezahlten Du-schaffst-das-Kursen. Die Themen reichten von Standard-Motivationsgesprächen und »Vertrauensübungen« (bei denen man sich rückwärts fallen ließ und aufgefangen wurde), bis zum Barfußgehen über glühende Kohlen.

Sie hatte all diese Dinge getan, und ja, es stimmte – die Erfahrung, über glühende Kohlen zu gehen, ließ sie ganz direkt erfahren, was alles möglich war.

Es stimmte aber auch, dass noch so viel positive Einstellung, Furchtlosigkeit oder Beharrlichkeit niemanden ins Wanken brachte, der fest zur Standhaftigkeit entschlossen war. Und Mace Carson, da war sie sich ganz sicher, gehörte in diese Kategorie. Er liebte seine Unabhängigkeit viel zu sehr …

Kellys Aufgabe war ziemlich aussichtslos, das wusste sie, nur hing von diesem Deal zu viel ab, um es nicht wenigstens zu versuchen. Ihr stand eine lebensverändernde Beförderung bevor, mit verlockenden Vergünstigungen wie Gewinnbeteiligung und Aktienoptionen, Zugang zu Firmenjets, arbeiten in Übersee, sechsstellige Bonuszahlungen und mehr als eine Verdopplung ihres bisherigen Gehaltes.

Die Gleichung war einfach: kein Deal, keine Beförderung.

Entweder, sie fing den Mond mit dem Lasso, ein oder sie scheiterte grandios.

Durchgerüttelt und zerschrammt, benommen von Schmerzmitteln und einfach nur müde nach dem Abflauen des Adrenalinstoßes, schloss Kelly die Augen.

Sie konnte sich weiterhin Sorgen machen, oder sie konnte schlafen.

Sie wählte Letzteres.

2. Kapitel

Als Kelly die Augen wieder öffnete, war der Morgen längst da, und heller Sonnenschein hatte den gestrigen Regen vertrieben. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren – sie befand sich in einem Krankenhauszimmer in Mustang Creek, Wyoming. Es gab noch drei andere Betten, alle leer.

Dann überprüfte sie in Gedanken ihren Körper:

milder Kopfschmerz,

ein paar Wehwehchen,

mit anderen Worten: nichts Gravierendes.

Eine Krankenschwester erschien mit einem Frühstückstablett und einem fröhlichen Lächeln. Auf ihrem Namensschild stand »Millie«.

»Wenn ich Sie wäre«, sagte Millie, während sie das Tablett abstellte und den Nachttisch geschickt in Position brachte, »würde ich losgehen und mir ein Lotterielos kaufen. Wenn man mal bedenkt, wie viel Glück Sie gehabt haben.«

Kelly grinste. »Ja, vielleicht mache ich das.«

»Wie fühlen Sie sich?«, erkundigte Millie sich und hob die Metallhaube, sodass ein Teller mit zu weichem Rührei, schlaffem Toast und zwei Streifen transparentem Speck zum Vorschein kamen.

»Schon viel besser«, antwortete Kelly und betrachtete ihr Frühstück mit, wie sie hoffte, nicht allzu offensichtlichem Misstrauen. Vor fünf Sekunden war sie noch hungrig gewesen.

Millie kicherte – anscheinend entging ihr nicht viel. »Erst flicken wir die Leute zusammen, und dann setzen wir ihnen unser Krankenhausessen vor. Schon schräg, oder?«

Kelly lächelte, nahm ein Stück Toast und knabberte an der Ecke herum. Ihre Kopfschmerzen verschwanden allmählich ganz. Die reine Anwesenheit dieser Frau war wohltuend. »Ich nehme nicht an, dass Sie wissen, wann ich entlassen werde?«

Millie hob den Plastikdeckel vom Kaffeebecher. »Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber die Ärzte machen ihre Morgenvisite, und dann bekommen Sie sicher Ihre Antwort.«

Nach diesen Worten ging sie zur Tür, wo sie beinah mit einem großen dunkelhaarigen Mann in Jeans, einem langärmeligen weißen Hemd und Stiefeln zusammenstieß. Außerdem trug er ein Polizeiabzeichen. Er grüßte Millie freundlich, nahm den Hut ab und ließ sie hinaus, ehe er das Zimmer betrat.

»Miss Wright?«, fragte er.

Kelly nickte und stellte den Kaffeebecher ab.

»Mein Name ist Spence Hogan«, sagte der Mann, »und ich bin der Polizeichef dieses Ortes. Darf ich nähertreten?«

Kelly antwortete nur halb im Scherz: »Auf keinen Fall. Es sei denn, Sie sind hier, um mich wegen Verlassens des Unfallortes zu verhaften.«

Sein Lächeln würde vermutlich jedes Mal ein mittleres Erdbeben auslösen, sobald es auf seinem gebräunten, markanten Gesicht erschien. »Sie haben nichts zu befürchten, Miss Wright«, versicherte er ihr und trat an ihr Bett. »Ich bin nur hier, um Ihre Aussage zu Protokoll zu nehmen. Das ist alles. Und um Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Mietwagen ein Totalverlust ist.«

»Das dachte ich mir schon«, sagte Kelly und fragte sich, weshalb er persönlich ins Krankenhaus kam, statt einen Deputy oder sonst wen aus dem Büro zu schicken.

Offenbar ahnte er ihre Gedanken, denn in seine Augen trat ein amüsierter Ausdruck. »Ich habe hier nach einem Freund geschaut, der sich einer Blinddarm-Notoperation unterziehen musste. Da wollte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, sozusagen, und schnell bei Ihnen reinschauen.«

»Oh«, machte Kelly.

Er nahm ein Smartphone aus der Brusttasche seines Hemdes und tippte ein Icon an. »Ich benötige nur ein paar Details über das, was geschehen ist.« Seine Stimme war tief, seine Art lakonisch, was Kelly an Mace erinnerte. Das wiederum fand sie beruhigend und beunruhigend zugleich. Sein Blick war klar und direkt. »Zunächst einmal habe ich Neuigkeiten für Sie. Die Mietwagenfirma ist informiert, und die schicken einen Ersatzwagen aus Jackson. Müsste am späten Nachmittag hier sein.«

»Das ist gut.« Kelly zögerte, sie hatte fast Angst zu fragen. »Meine Sachen, Handtasche, Laptop und Koffer – konnte irgendetwas davon geborgen werden?«

»Handtasche und Laptop haben es geschafft – anscheinend wurden sie aus dem Wagen geschleudert, denn mein Deputy hat sie auf dem Abhang gefunden.« Spence Hogan machte eine Pause und verzog scherzhaft das Gesicht. »Ich fürchte, alles andere ist in Rauch aufgegangen, als der Wagen explodierte.«

Kelly schluckte. »Der Wagen ist explodiert

»Ja«, bestätigte Hogan, jetzt ernst. Wahrscheinlich dachte er daran, dass Kelly leicht in brennende Stückchen hätte gesprengt werden können; sie jedenfalls dachte daran.

»Aber er brannte nicht, als Mace – Mr. Carson – und ich wegfuhren. Außerdem regnete es noch heftig.«

Hogan hob leicht die eine Schulter und senkte sie wieder. »Muss wohl irgendeine verzögerte Reaktion gewesen sein. Kommt vor.«

Kelly erschauderte und spürte, wie sie blass wurde. Einen kurzen Moment glaubte sie sogar, sich übergeben zu müssen.

Der Polizeichef steckte mit besorgter Miene sein Telefon wieder ein. »Wir können uns später über den Unfall unterhalten. Soll ich eine Krankenschwester oder einen Arzt rufen?«

Kelly schluckte erneut und winkte ab. »Ich bin okay.«

Das war sie auch. Dank Mace Carson.

Apropos Déjà-vu.

Sie war nach Mustang Creek gekommen, um Mace wiederzusehen, wenn auch nicht aus persönlichen Gründen. Sie war auf einer wichtigen Mission für GGI, und er war ein Winzer mit einem Gespür für Innovationen. Mit anderen Worten, sie war geschäftlich hier.

Die Gelegenheit, ihm noch einmal für seine Hilfe vor zehn Jahren zu danken, war ein Bonus.

Chief Hogan nahm aus der gleichen Brusttasche, in der sich das Handy befand, eine Visitenkarte und legte sie auf den Nachttisch. »Rufen Sie mich an, wenn Sie sich besser fühlen.«

Kelly, noch immer geschockt von dem Beinahe-Szenario, versprach es. Dann verabschiedete Hogan sich.

Fünf Minuten später kam Dr. Draper herein, eine rotblonde Schönheit mit Müdigkeitsschatten unter den Augen. »Hallo Kelly. Erinnern Sie sich an mich?«

Kelly erwiderte: »Ja. Sie hatten gestern Abend Dienst, als ich in die Notaufnahme gebracht wurde.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »War das ein Test?«

Dr. Draper lachte leise. »Nein, aber hätten Sie Nein gesagt, wäre ich doch besorgt gewesen.« Sie trat ans Bett und prüfte Kellys Puls. »Wie fühlen Sie sich heute? Sehen Sie Dinge doppelt? Haben Sie Schmerzen?«

»Kein Doppelsehen«, erwiderte Kelly, während Dr. Draper die Ohrbügel ihres Stethoskops in Position brachte und die Brust ihrer Patientin abhorchte. »Ich hatte leichte Kopfschmerzen beim Aufwachen, aber die sind jetzt verschwunden.«

Dr. Draper nickte, nahm das Stethoskop aus den Ohren und ließ es vom Hals baumeln wie eine Perlenschnur. »Schwindel?«

»Nein«, antwortete Kelly.

»Dann werde ich Sie entlassen«, erklärte die Ärztin. »Ich rate Ihnen dringend, in etwa einer Woche Ihren Hausarzt aufzusuchen. Sollten jedoch in der Zwischenzeit Symptome auftreten, müssen Sie umgehend einen Arzt konsultieren.«

»Okay«, stimmte Kelly zu. Diese Frau war nicht viel älter als sie. Was hatten Ärzte nur an sich, egal wie alt sie waren, dass erfolgreiche, selbstbewusste Erwachsene sich in ihrer Gegenwart wie Fünfjährige fühlten?

»Kann jemand Sie abholen?«, erkundigte Dr. Draper sich. »Ich sähe es lieber, wenn Sie für ein, zwei Tage nicht selbst fahren würden.« Da Kelly nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Einige der Hotels in der Stadt bieten einen Fahrdienst an. Oder wir rufen Ihnen ein Taxi.«

»Das wird nicht nötig sein«, verkündete eine vertraute Stimme vom Türrahmen her.

Kellys Herz schlug schneller, als sie Mace dort stehen sah, unfassbar gut aussehend in seinem schlichten Baumwollhemd, Jeans und Stiefeln. Sein dunkelblondes Haar war noch feucht von der Dusche, und auf den markanten Wangen spross ein modischer Dreitagebart. Genau wie Chief Hogan hielt er in der einen Hand einen Stetson.

Dr. Draper drehte sich zu ihm um. »Mace Carson«, begrüßte sie ihn in ironischem Ton. »Was für eine Überraschung.«

Er lächelte arglos. »Ich wollte nur helfen, weil ich mir dachte, dass die Lady irgendwie zu ihrem Hotel kommen muss.«

Die Ärztin sah wieder zu Kelly. »Ist Ihnen das recht?«

Prompt errötete Kelly wie ein Teenager. »Ja.«

Dr. Draper nickte. »Na schön. Ich werde Ihre Entlassungspapiere vorbereiten, aber Sie müssen in der Verwaltung vorbeischauen, bevor Sie gehen.«

Mace salutierte der Ärztin, und sie verpasste ihm im Vorbeigehen einen Schulterrempler, der ihn zum Lachen brachte.

Dann herrschte Stille im Zimmer.

Kelly brach sie nach einer Minute. »Ich muss mich anziehen.« Sofort war ihr diese unnötige Feststellung peinlich.

»Ich warte auf der Schwesternstation.« Schon im Weggehen fügte er mit einem belustigten Funkeln in den Augen hinzu: »Brauchen Sie Hilfe?«

»Nein«, antwortete Kelly eine Spur zu schnell.

Mace grinste. »Andernfalls wäre eine der Krankenschwestern Ihnen sicher gern behilflich.«

»Verschwinden Sie«, blaffte sie ihn mit glühenden Wangen an.

Das Grinsen wurde breiter. »Rufen Sie mich, wenn Sie fertig sind.«

Und dann war er auch schon aus dem Zimmer.

Eine halbe Stunde später, nachdem sie die notwendigen Versicherungsformulare online ausgefüllt hatte, fuhr Kelly in Carsons Pick-up zu ihrem Hotel.

Kelly hatte ihre Handtasche – in der sich ihr Telefon befand – noch immer nicht zurückbekommen, ebenso wenig wie den Laptop. Durch den Verlust des Koffers war die Anzahl der Kleidungsstücke, die sie mit Sorgfalt für die Reise gepackt hatte, auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Nach einem Moment der Trauer über ihren Armani-Hosenanzug, der sie ein Monatsgehalt gekostet hatte, konzentrierte sie sich auf das, was wirklich zählte: Sie war heil und lebendig.

Als Mace wieder sprach, verblüffte er sie. »Sie sind Kelly Allbright, nicht Kelly Wright. Zumindest hießen Sie damals so.« Er sah sie nicht an.

»Sie erinnern sich«, sagte sie leise.

»Ja. Es fiel mir erst wieder ein, als ich heute Morgen in meinen Terminkalender schaute und feststellte, dass meine Sekretärin Sie eingetragen hatte – ohne mir etwas davon zu sagen. Wanda ist Teilzeitkraft und neigt zur Vergesslichkeit. Als ich den Termin entdeckte, habe ich online recherchiert.«

Kelly lächelte ein wenig verträumt. Ihr fehlte nichts, wirklich, doch sie spürte noch sanft die Nachwirkungen der gestrigen Medikamente. »Tut mir leid, ich habe unser Treffen verpasst.«

»Kein Problem. Ich bin ziemlich flexibel.«

»Beeindruckend, für einen Superhelden.«

»Ich bin nur ein einfacher Mann, Kelly. Ich habe getan, was jeder getan hätte, vor zehn Jahren auf dem Campus und gestern Abend.«

Die Erinnerung an die Beinahe-Vergewaltigung vor zehn Jahren lauerte wie ein Rudel Wölfe in ihrem Unterbewusstsein. Sie war nach einem Abendkurs auf dem Weg in das Studentenwohnheim gewesen, als sie plötzlich aus dem Nichts angegriffen worden war. Sie hatte geschrien und sich gewehrt, überzeugt davon, sterben zu müssen. Und dann war auf einmal Mace aufgetaucht.

Er hatte den Angreifer von ihr heruntergezerrt und ihm den Stiefel auf den Hals gesetzt, bis die Polizei eingetroffen war.

Mit einem entsetzten Laut war Kelly rückwärts gekrochen.

»Es ist vorbei«, hatte Mace sie zu beruhigen versucht. »Du bist jetzt in Sicherheit.«

Du bist jetzt in Sicherheit.

»Habe ich mich eigentlich jemals bedankt?«, fragte Kelly, als sie in die Straße einbogen, die zum Hotel führte.

»Ungefähr zehntausend Mal«, antwortete Mace.

»Ich war mir nicht sicher. Ich hatte solche Angst gestern Abend.«

»Ich weiß«, sagte er.

»Sie sind verschwunden.«

»Ich habe mein Studium beendet«, erklärte Mace. »Bin nach Napa gegangen, um bei meinem Großvater zu arbeiten. Ihm gehört das Weingut hier.«

»Ja, Sie haben mir damals von Ihrer Familie erzählt. Als Sie zur Gerichtsverhandlung nach L. A. kamen.« Dann fragte sie: »Haben Sie sich je gefragt, was aus mir geworden ist?«

Statt zu antworten, zuckte er nur die Schultern.

»Ich war eine Zeit lang verheiratet«, erzählte Kelly ihm, wobei ihr klar war, dass das ein wenig zusammenhanglos klang. »Nach meinem Studium, meine ich. Es hat nicht gehalten.«