Demut, Verzweiflung und John


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Widmung

Für T., den Mann mit der Gitarre, der mir den Namen "Auslöserin komplexer Katastrophen" gegeben hat.

Und für H., der jede Frau in Trance trommelt. Arschkrampe!

Und für den melancholischen Vadim, dessen Blick ich nicht im richtigen Moment erwidert habe.

Die heißeste Hauptstadt der Welt

Anna schlängelte sich an den Wasserkästen vorbei zu dem Sitzplatz auf dem winzigen Balkon und legte ihren Laptop auf dem wackeligen Tischchen ab, dann bog sie am Sonnenschirm herum. Wenn sie es schaffte, den Tisch in ein schattiges Plätzchen zu verwandeln, wäre es vielleicht erträglich. Auf jeden Fall besser als drinnen. Die Hitze brütete jetzt seit Wochen über der Stadt und es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis man mit den Schuhen im Asphalt kleben blieb, sobald man sich auf die Straße wagte. Aber hier im vierten Stock wehte fast so etwas wie ein laues Lüftchen über den Balkon.

Anna zog sich eine Flasche Wasser aus dem Kasten, dann schob sie sich auf die schmale Bank und klappte ihren Laptop auf. Wenn sie ganz viel Glück hatte, würde es heute mal nicht klingeln und sie würde mit ihrem neuen Konzept weiterkommen. Ungestört arbeiten, das wäre genau das, was sie jetzt bräuchte. Abtauchen in eine Welt aus Worten, in der sie die Fäden in der Hand hatte. Abtauchen in eine Welt, in der das Wort »John« nicht vorkam.

Anna öffnete ihr Dokument, starrte dann aber nur auf den blinkenden Cursor. Für einen Moment schwebten ihre Hände reglos über der Tastatur, dann beschloss sie, einen Schluck zu trinken, aber das Wasser hatte in der Sonne gestanden und war lauwarm. Anna seufzte tief, dann beugte sie sich vor, weil sie den Wohnungsschlüssel in der Tür hörte und schielte durch die Balkontür in die Küche. Lothar kam herein, schloss leise die Tür hinter sich und stellte Einkaufstüten auf dem Küchentisch ab. Er streckte den Kopf auf den Balkon und flüsterte: »Ich bin ihr entwischt!«

Anna musste lachen. »Wem?«

Lothar flüsterte: »Der Bioladen-Frau im Erdgeschoss!«, dann zog er eine Packung Eis aus einer der Tüten und verstaute es im Eisfach des Kühlschranks. »Ich habe drei Tüten Supermarktfutter an ihr vorbeigeschmuggelt, ohne eine einzige Alibi-Möhre bei ihr zu kaufen!«

Anna grinste. »Wenn du mich fragst, ist dieser Maya-Papaya egal, ob du Möhren kaufst, die ist einfach scharf auf dich!«

Lothar stöhnte gereizt. »Wenn die mich noch einmal gefangen nimmt, um mich über ihr komisches Exotenobst zu beraten, schreie ich! Als ob eine eingeflogene Papaya eine bessere Ökobilanz hätte, als ein Apfel aus Brandenburg!«

Lothar verschwand wieder in der Küche. Anna rief ihm nach: »Dankbar solltest du sein! Du wirst nur glühend von der Bioladen-Aushilfe verehrt, aber auf mich hat sich die Liebesroman-Autorin Parterre links eingeschossen! Die schreibt endlose Schnulzen für selbstbewusste Businessfauen, die aber auch nur geheiratet werden wollen, und wollte mich schon zur Gründung einer Autorinnen-Arbeitsgruppe überreden!«

Lothar streckte wieder den Kopf aus der Tür. »Die mit dem Sportwagen, die immer in diesen Raubtierprint-Blusen rumstöckelt? Was hat die wohl für Verkaufszahlen, bei dem Flitzer?«

Anna verzog gequält das Gesicht. »Den Flitzer finanziert sie damit, dass sie eine selbstbewusste Businessfrau ist, die auch nur geheiratet werden will! Ich hab ihr gesagt, dass ich in ihre Autorinnen-Arbeitsgruppe bestimmt nicht reinpasse, weil meine Heldinnen nur rattenscharfe Adelsfräulein sind, die von verschwitzten Schwertkämpfern genagelt werden wollen, aber da hat sie mir ein Belegexemplar geschenkt, damit ich mir mal ansehen kann, wie ein guter Roman aufgebaut wird!«

Lothar ließ kurz den Blick zum Himmel schweifen, dann stellte er fest »Okay, du hast gewonnen. Dich hat es eindeutig härter getroffen als mich! Ich bin ja nur das Lustobjekt einer jobbenden Dauerstudentin!«

Anna kicherte. »Vielleicht solltest du dich einfach mal vom Objekt zum Subjekt mausern und es mit ihr versuchen!«

Lothar warf ihr einen strafenden Blick zu, dann verschwand er in der Küche und rief: »Kochen wir uns heute Abend Spagetti und hauen uns dann mit den Chips, die ich mitgebracht habe, vor einen Film?«

Anna grinste zufrieden, dann rief sie: »Bärchen, du bist mein Held! Ich werde ein Foto von dir an den Kühlschrank pinnen, mit der Aufschrift: Mitbewohner des Monats!«

Lothar kam endlich richtig raus auf den Balkon und schob sich zu Anna auf die Bank. »Ich bin dein einziger Mitbewohner!«

Anna nickte heftig. »Aber der einzige Mitbewohner des Monats!«

Lothar wischte sich den Schweiß von der Stirn und schielte auf Annas leeres Dokument. »Wie ich sehe, kommst du mit deiner Schreibblockade gut voran!«

Anna machte ein wichtiges Gesicht. »Und wie! Sie blockiert mich immer besser! Inzwischen kann ich mich nicht mal mehr für die Namen der Protagonisten entscheiden!«

Lothar seufzte tief. »Wenn du mich fragst, solltest du einfach mal ein bisschen abschalten, Abstand zu deinen Hochlandrammlern gewinnen! Wieso gehst du nicht mit den Wikingern für eine Weile mit auf Tour?«

Anna starrte wieder auf ihren Cursor und murmelte: »Sven ist doch gerade für ein paar Tage auf Gotland.«

Lothar zuckte die Schultern. »Wenn du mich fragst, macht er das genau richtig. Zehn Tage keine Konzerte, also ab in die rote Holzhütte und einfach mal den Bart wachsen lassen!«

Anna warf Lothar einen misstrauischen Blick zu. »Was soll mir das nützen, wenn ich versuche, mir einen Bart wachsen zu lassen? Das setzt mich ja noch mehr unter Druck!«

Lothar rollte mit den Augen, dann musste er lachen. »Mein Gott, dann rasierst du dir eben mal nicht die Beine!«

Anna sah Lothar an, als hätte er ihr einen Bankraub vorgeschlagen, dann flüsterte sie: »Weißt du, was ich am liebsten machen würde?«

Lothar schüttelte gespannt den Kopf. Anna holte tief Luft. »Ich würde gern eine ganz neue Reihe anfangen! Irgendwas Young Adult mäßiges, eine völlig neue Zielgruppe! Und am liebsten, pass auf, am liebsten würde ich über offene Beziehungen schreiben! Aber weil das zu progressiv ist und mir das keiner abnimmt, hab ich mir überlegt, das in Fantasy zu verpacken! In eine Welt, wo das normal ist, wie findest du das? Wenn die Hauptfiguren bunt schillerndes Fell haben und lustige Hörnchen und übersinnliche Fähigkeiten und die Kerle haben monströse Schwänze, das müsste sich doch mördergut verkaufen!«

Lothar blinzelte sie träge an. »Ich hab mir überlegt, ich will auch mal was Neues schreiben. Was ganz anderes!«

Anna sah ihn gespannt an. »Und was?«

Lothar setzte sein 3sat-Gesicht auf. »Ich hab mir überlegt, einfach mal Achilles-Verse zu verfassen!«

Anna musterte ihn ausdruckslos, dann zog sie das Näschen kraus und fing an zu lachen. »Du Arsch, du nimmst mich gar nicht ernst!«

Lothar grinste ertappt und wuschelte sich durch die kurzen blonden Haare. »Na ja, ich weiß nur nicht, ob blinder Aktionismus dir jetzt weiterhilft. Eine völlig neue Reihe in einem neuen Genre würde bedeuten, dass du ganz von vorne anfangen musst und der Markt ist dicht! Als Viktoria Nisch kannst du jedenfalls keine Fantasy auf den Markt werfen, das verzeihen deine Stammleserinnen dir nie!«

Anna seufzte tief, dann legte sie den Kopf an Lothars Schulter. »Du hast ja Recht. Ich fühl mich nur irgendwie so … ich kann es nicht ausstehen, wenn ich nicht produktiv bin!«

Lothar legte mitfühlend den Arm um Anna. »Ach, Frau Schnulze! Nimm doch einfach mal ein bisschen den Fuß vom Gas und komm irgendwie zur Ruhe, du hast ewig nicht einfach mal abgeschaltet und die Füße baumeln lassen!«

Anna murrte: »Du doch auch nicht!«

Lothar flüsterte vorsichtig: »Ich weine mir aber auch nicht jede Nacht die Augen aus!«

Anna setzte sich auf und behauptete knapp: »Ich auch nicht!«

Lothar lächelte traurig. »Wieso fahren wir nicht einfach für ein paar Tage ins Kluntjehaus und lassen uns den frischen Wind um die Nase wehen? Eugen würde alles drum geben, dich ein bisschen aufzupäppeln und die Kirschen sind reif! Wir könnten uns die Bäuche vollschlagen und mit Steffi am Strand liegen!«

Anna wandte den Kopf ab und wischte sich über die Augen. »Ich geh nicht auf diese Obstwiese! Du kannst ja fahren!«

Lothar stand auf. Für heute war sein Versuch mal wieder gescheitert. »Willst du einen Eisbecher? Ich hab gruselig gezuckertes glibberiges Dosenobst an der Bioladenfrau vorbeigeschmuggelt! Und bunte Zuckerstreusel! Total ungesund!«

Anna nickte dankbar. »Total ungesund klingt geil!«

Lothar rieb sich die Hände und verschwand in der Küche. »Dann lass uns schnell alles auffuttern, bevor sich wieder sämtliche Nachbarn zum Tee einladen und uns den ungesunden Süßkram wegfressen!«

Anna rief ihm nach: »Darf ich die Kirsche aus der Obstdose haben?«

Lothar seufzte innerlich. Im Garten des Kluntjehauses bogen sich die Äste unter den Süßkirschen und sie stritten sich hier in Berlin um die einzige Kirsche in einer Dose! Wobei Lothar zugeben musste, dass so eine wabbelige Dosenkirsche mit Farbstoff ihren ganz eigenen Reiz hatte. Trotzdem wagte er noch einen Versuch. Er rief auf den Balkon: »Der Mensch, über den wir nicht mehr reden, ist seit der besagten Nacht nicht mehr gesehen worden und die Prada-Fotze auch nicht, ich finde, wir könnten es riskieren und die Obstwiese zurückerobern!«

Plötzlich hörte Lothar die Tastatur klappern. Anna hatte das Gespräch mal wieder beendet.


Der Teleskopwichser

John holte tief Luft, dann beugte er sich über den offenen Kofferraum seines neu stinkenden Familienvaterkombis, packte den großen Karton und segelte los. Diesmal stolperte er nicht über den scheußlichen Keramikfrosch, den die Vormieter im Vorgarten vergessen hatten, er war gewarnt! Das war nicht der erste Karton, den er in das große, leere Haus schleppte!

John stellte den Karton in der »Halle«, die ein Wohnzimmer sein sollte, ab und segelte wieder los. Die Tüte mit dem ganzen Haushaltszeug musste noch rein und dieser seltsame Wischer. John hatte jetzt Laminat. Verdammt viel Laminat. Und das musste »nebelfeucht« gewischt werden, er hatte das gegoogelt.

Mit einem frustrierten Schniefen angelte er alles, was er für sein neues Leben als kleine Hausfrau in diesem Spießerhaus, in diesem Spießerviertel, in diesem Spießerleben brauchte, schloss das Auto ab und lief wieder ins Haus, dann schlug er hastig die Tür zu. Glück gehabt. Er hatte keine Nachbarin getroffen. Dabei war er doch in dieses schnieke Neubauviertel gezogen, um Nachbarn zu haben. Damit sein Sohn Spielkameraden fand und trotz seines Vaters irgendwie »normal« sein konnte, wenn er die Wochenenden in Esens verbrachte.

Kontakt mit Gleichaltrigen war ja wichtig. Auch das hatte John gegoogelt und war dann mal wieder in Tränen ausgebrochen, ohne genau zu wissen, warum. Dann war ihm eingefallen, dass er keinen Kontakt mehr zu Gleichaltrigen hatte und er hatte für den Rest der Nacht deprimiert an die Decke gestarrt.

John wühlte in seiner Haushaltskramtüte und fing einfach mal an, die neuen Gläser aus der Verpackung zu fummeln, dann stellte er die Gläser in die leere Spülmaschine und wusste wieder nicht, wohin mit dem Verpackungsmüll. Es musste gelbe Säcke auftreiben, aber er hatte keine Ahnung, wo man die Dinger herbekam. Eugen hatte sich immer um solche kleinen Banalitäten des Alltags gekümmert.

John zuckte zusammen, weil sein Handy klingelte, dann ließ er sich auf einen der frisch zusammengeschraubten Küchenstühle fallen und meldete sich mit einem müden: »Mama!«

Siobhan klang sanft. »Wie geht es dir heute, mein Hase?«

John zuckte die Schultern. »Ich halte mich. Ich hab einen Teleskopwichser gekauft.«

Siobhan war einen Moment still, dann fragte sie: »Einen was?«

»Einen Teleskopwichser, diese Dinger mit einem Stiel zum Ausfahren!«

Siobhan seufzte tief, dann sagte sie langsam: »Hase, du musst dringend wieder unter Menschen.«

John schniefte trotzig. »Es geht mir gut, Mama!«

Siobhan seufzte noch tiefer. »Sean, du weißt, was der Kinderpsychologe zu dir gesagt hat!«

John holte gereizt tief Luft. »Mama, da war ich sieben!«

»Ja, und da hat der Psychologe dir erklärt, dass deine Leseschwäche und deine Wortstörungsfindungen sich immer dann melden, wenn du unterfordert bist und Unterforderung ist genauso schlimm wie Überforderung! Dein Gehirn hat Schmerzen, mein Sohn! Weil du dich nur noch mit der Auswahl der Farbe von Mikrofaserputzlappen befasst, anstatt zu arbeiten und zu leben!«

John brummte: »Mein Gehirn kann mich mal! Außerdem heißt es Wortstörungsfindungen!«

Siobhan lachte. »Das hab ich doch gerade gesagt!«

John runzelte die Stirn. »Und was hab ich gesagt?«

Siobhan lachte wieder. Wenn ihr hochbegabter Sohn auf dem Schlauch stand, war er noch genauso niedlich wie als kleiner Junge. Gerührt erklärte sie: »Liebster Sohn, ich wollte nur testen, ob du meinen Versprecher bemerkst, aber du bist gerade wieder im Kellerloch der verwirrten Genies. Also, lies mir doch einfach mal vor, was auf dem Ding draufsteht, das du gekauft hast. Ist die Pappe noch dran?«

John stand auf und griff den Wischer. »Da steht: Teleskopwichs …«, John stöhnte gereizt. »Was hab ich gesagt?«

Siobhan kicherte. »Teleskopwichser! Aber ich gehe doch davon aus, dass du dir einen Teleskopwischer gekauft hast, oder? Ich hoffe, du nimmst nicht diese Tabletten, die der Arzt dir gegen deine Depressionen verschrieben hat!«

John warf wütend den Wischer auf den Boden. »Mama, ich hab keine Depressionen! Ich bin zu diesem Dorfquacksalber gegangen, weil ich wissen wollte, welche Nikotinpflaster ich brauche, um mit dem Rauchen aufzuhören! Wenn ich da mit Psychopharmaka wieder rauskomme, kann ich doch nichts dafür!«

Siobhan seufzte wieder sanft. »Schläfst du denn nachts ein bisschen?«

John schlief natürlich nicht, aber er brummte wieder: »Es geht mir gut, Mama!«

Siobhan schaltete um. »Wie war denn dein Treffen mit dem Kleinen gestern?«

John warf sich wieder auf den Stuhl und fuhr sich gereizt durch die Haare. »Mama, wenn ich dieses verdammte Haus nicht bald bewohnbar kriege und ihn holen kann, drehe ich durch! Immer, wenn er ein bisschen auftaut und mich nicht mehr ängstlich anstarrt wie den bösen Fremden, der sich am Spielplatz rumtreibt, hebt Sonja ihn plötzlich hoch, setzt ihn in den Buggy und verkündet, dass sie jetzt gehen müssen! Gestern hatte ich ihn so weit, dass er tatsächlich ein bisschen mit mir im Sand gebuddelt hat und dann hat er gelacht und zack, war er weg! Und dafür bin ich wieder stundenlang nach Hamburg geheizt, für eine Viertelstunde auf dem Spielplatz! Und dann heize ich zurück und sitze wieder völlig alleine in diesem Haus und die Stille hier, die macht mich wahnsinnig! Gestern Abend hätte ich fast die Küchenuhr zerschlagen, weil dieses Ticken mich krank macht! Tick, Tick, Tick, meine Lebenszeit verrinnt damit, dass ich auf das Ticken einer Uhr lausche!«

»Hm. Vielleicht hättest du doch bei Rafael bleiben sollen. Er hatte dir doch angeboten, dass ihr ein Kinderzimmer einrichten könnt! Da wärst du wenigstens nicht alleine gewesen!«

John knurrte. »Mama, hast du eine Ahnung, wie das hier auf dem Dorf aussieht, wenn ein Mann mit einem kleinen Kind beim Pfarrer einzieht? Die katholische Kirche kann sich keine Skandale mehr leisten!«

Siobhan lachte leise. »Hase, du weißt, dass ich für jeden Skandal offen bin, solange du nur wieder glücklich wirst! Ich muss jetzt los. Soll ich deine versammelten Tanten von dir grüßen? Seit du letzten Monat in Dublin warst, kann ich sie nur noch mit Mühe davon abhalten, dir ständig Fresspakete zu schicken!«

John schnaubte. »Grüß, wen du willst. Meinetwegen auch den Papst.«

Siobhan lachte unbeschwert auf. »Du weißt doch, dass wir Iren mit dem Vatikan nicht mehr reden, seit die Hexenverbrennung abgeschafft wurde! Die sind viel zu weich geworden!«

John lachte melancholisch. »Ich liebe dich, Mama.«

»Ich liebe dich auch, Sohn! Und wenn was ist, ruf mich an, egal wann!«

John schniefte leise und legte auf, dann stand er auf und riss die Pappe von dem Teleskopwischer. Und wie sollte man jetzt dieses seltsame Lappending mit Mikrofaserpöppeln über diesen eckigen Fuß bekommen? John drehte das Teil immer wieder verstört hin und her, dann klingelte wieder das Handy. John hob ab. »Mama, wie krieg ich jetzt diesen viereckigen Muppet über den Wichser?«

»Hach, immer noch derselbe John!« Eine Frau kicherte aufgesetzt. John zog die Augenbrauen zusammen. Vielleicht hätte er aufs Display sehen sollen. Resigniert stellte er fest: »Du bist nicht meine Mutter.«

Die Frau lachte empört. »Hallo? Ich bin’s, Melanie!«

John fuhr sich angespannt über den Mund, schob die Wortstörungsfindungen in seinem Hirn beiseite und scannte die Frauennamen. Melanie. Er kniff die Augen zu und visualisierte die Daten. Melanie, 34, Versicherungskauffrau aus Emden, heiratswilliger Dauersingle, fantastische Brüste, Vorliebe für Sex von hinten in der Küche. Unbequeme Sache. Harte Fliesen.

»… und dann hat Michael Thomas erzählt, dass Carola dich getroffen hat und dass du jetzt wieder öfter in Hamburg bist, da dachte ich …«

John räusperte sich. Hamburg, er hatte die falsche Melanie gescannt. John hämmerte sich gegen die Stirn, er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Melanie, 37, Galeristin, blond gefärbt, Ehemann und furchtbar unsympathischen Hund, kläffender Hackenbeißer, kein bisschen erzogen. Vorliebe für Sex unter der Dusche oder in dieser fürchterlichen dreieckigen Badewanne, die immer überschwappte. John unterbrach den Redeschwall. »Sorry, Melanie, ich bin vom Markt. Für Casual Sex in Hamburg würde ich an deiner Stelle diesen Dings, wie heißt der noch, der immer diese Segelschiffe malt, bei denen die Perspektive nicht aufgeht …«

Plötzlich klang die Frau gar nicht mehr gut gelaunt. »Du bist wirklich noch derselbe Arsch wie früher!«

John stöhnte resigniert. »Tut mir leid, ich … verdammter Smalltalklegastheniker, ich wollte nicht irgendwie … ich dachte, ich spar dir Zeit.«

»Kein Wunder, dass du keine Freunde hast!« Der Satz klang zwar böse, aber Melanies Stimme wurde versöhnlicher. »Bist du etwa immer noch mit dieser furchtbaren Schauspielerin ohne Engagement zusammen? Wie hieß die noch, Sonja?«

John atmete tief durch und drehte sich ratlos um sich selbst, dann setzte er sich vorsichtig. »Nein, bin ich nicht. Wir sind ganz frisch geschieden.«

Melanie lachte fast dreckig. »Ach, ist endlich eine deiner Affären aufgeflogen?«

John massierte sich angestrengt die Nasenwurzel. »Wie geht es eigentlich deinem Mann?«

»Erfreut sich bester Gesundheit!«

John starrte für einen Moment auf seinen Teleskopwischer, dann entdeckte er das kleine Pedal, auf das man drauf treten musste, um diesen seltsamen eckigen Fuß auseinanderzuklappen. So müsste das funktionieren. Drauf treten, aufklappen, Lappen drüber ziehen, arretieren. Ja. John murmelte: »Jetzt versteh ich!«

Melanie schnappte: »Du verstehst überhaupt nichts! Ich wollte mich nur mal melden!«

John räusperte sich. »Ja, ist lieb gemeint, aber ich muss jetzt auflegen. Ich hab zu tun.«

Er legte auf, warf das Handy auf den Tisch und blieb dann reglos sitzen. Er musste 150 qm Laminat in einem leeren Haus wischen. Nebelfeucht. Das war wichtig. Wenigstens hatte er heute mit zwei Menschen gesprochen. Nein, mit drei, die Kassiererin im Baumarkt hatte ihn gefragt, ob er den Bon braucht.

John atmete zitternd tief durch und starrte wieder auf sein Handy. Das letzte Flying Kluntje Video hatte er sich angesehen, als Anna und Lothar in Berlin diesen Upcycling-Designer interviewt hatten, der aus alten LKW-Planen Taschen nähte. Das war vor drei Tagen gewesen. Er ertrug diese Videos nur noch wohldosiert. Er wusste, dass er wieder vor Sehnsucht zusammenbrechen würde, wenn er sich ansah, was seine ehemaligen Mitbewohner trieben. Was Anna trieb. Trotzdem griff er nach dem Handy und suchte den Flying Kluntje Kanal.

John wischte über das Display, dann setzte sein Herz aus. Das neuste Video hieß »Without you«. War das die Botschaft, auf die er seit zwei Monaten wartete? John bekam einen trockenen Mund und spürte, dass sein Kopf ruckte wie bei einem Roboter, der Sand im Getriebe hat. Er bewegte sich in letzter Zeit immer öfter wie C-3PO. John startete das Video, dann legte er das Handy wieder auf den Tisch und beobachtete es aus dem Augenwinkel.

Die Kameraführung war wild, offenbar tastete das Bärchen mit seinem dritten Auge einen Probenraum oder ein Studio ab, Instrumente, ein Schlagzeug und jede Menge Technik standen herum. Anna kam schräg und verwackelt ins Bild, dann beruhigte sich die Kamera. Neben Anna tauchte mit einem breiten Grinsen die üppige Schildmaid Lotta auf. John seufzte und ließ den Blick zur Decke wandern. Die Sommer-Anna sah so unfassbar hinreißend aus mit der leichten Sonnenbräune, den sieben Sommersprossen und dem hauchzarten schwarzen Flatterkleidchen. Anna verkündete: »Okay, das wird jetzt echt hochgradig peinlich!«

Lotta kicherte. Anna erklärte: »Lotta kennt ihr ja schon als neustes Ehrenmitglied des Flying Kluntje Kanals, aber heute ist sie meine Backgroundsängerin. Das heißt Background, weil ich mich in Lottas Background verstecken muss, bevor wir anfangen können!«

Anna verschwand hinter der breitschultrigen Wikingerin und Lothar erklärte gespannt aus dem Hintergrund: »Das wird ganz großes Gefühlskino, meine Damen und Herren, ich hab die Proben gesehen!«

John legte den Kopf in den Nacken und blinzelte die Decke an, dann schielte er wieder aufs Handy. Anna kam nah an die Kamera und flüsterte: »Falls ihr euch fragt, woher ihr die heiligen Hallen hier kennt, wir sind im Walhalla der Hedlunds, hier werden unter anderem die Videos von Peer’sCussionProject gedreht, ›Ragnarök Rulez‹ sendet vor hier und die ›Sven Hedlund unplugged‹ Videos kommen natürlich auch aus diesem schalldichten Eierkarton-Paradies. Und jetzt bin ich hier.«

John betrachtete kurz Annas übertrieben ratloses Gesicht und sah wieder weg. Die Schildmaid erklärte: »Heute kommt aber nur die zweite Garde!«

John schielte wieder aufs Display. Anna nickte eifrig. »Alle Wikinger, die was drauf haben, sind nämlich auf Tour!«

Lothar lachte im Hintergrund. Neben Anna tauchten zwei von Svens Doppelgängern auf. John beugte sich näher zum Display. Einen davon kannte er, das war Einar. Anna stellte die wilden Nordmänner vor. »Äh, also, das ist Ivar, der einzige Hedlund, der was Gescheites gelernt hat, aber heute trommeln muss, und das hier ist Einar, der mich auf der Tischhupe begleiten wird!«

Einar grinste stolz und klimperte mit den Fingern wie ein Pianist. Anna räusperte sich wichtig. »Denkst du an alles, was ich dir gesagt habe?«

Einar nickte heftig und nahm Haltung an. »Viel zu laut, Takt nicht halten, regelmäßig verspielen!«

Anna atmete auf und flüsterte in die Kamera: »Das muss so, das lenkt davon ab, dass ich nicht singen kann!«

Die Kamera fing ein, wie Ivar sich hinter Anna ans Schlagzeug setzte, die Sticks kreisen ließ und dann reglos dabei zusah, wie einer der Sticks ihm aus der Hand flutschte und durch den Raum flog. Lotta verschränkte die Arme. »Alter, du nimmst vielleicht doch besser den Bass!«

Ivar grinste. »Ist doch nur Lillebrors Geburtstagsständchen!«

Lotta prustete. »Ja, eben! Wenn er Annika hören soll, nimmst du besser den Bass!«

Anna zupfte Lotta am Shirt. »Man soll mich doch gar nicht hören!«

Lothar kam vor die Kamera. »Liebes Internet! Wenn das hier was werden soll, muss der Chef mal ran! Frau Schnulze wird heute eine Schnulze zu Gehör bringen, die …«

Anna drängelte sich ins Bild. »Keno ist schuld! Der hat das Video fett angekündigt, obwohl das voll geheim war, das sollte unter Ausschluss der Öffentlichkeit gedreht werden, weil das total privat ist! Und was hatten wir davon? Einen Shitstorm hatten wir! Weil ich gesagt hatte: Nö! Mach ich nicht!«

Lothar wurde streng. »Frau Schnulze, jetzt hör endlich auf, Ausreden zu erfinden und sing dein Ständchen!«

Anna ging in die Knie und stöhnte: »Scheiße, ist das peinlich!«

Lotta tauchte im Vordergrund auf und grinste breit. »Liebes Bruderherz! Heute, zu deinem Wiegenfeste, wollen wir dich besonders ärgern und senden dir daher wie jedes Jahr ein …«

Anna schubste Lotta weg und klang plötzlich so ernst und gefühlvoll, dass John das Handy in die Hand nahm.

»Digger, das tut mir tierisch leid, dass wir nicht unter uns sind, aber vielleicht kann man das auch einfach mal öffentlich feiern, weil heute dein ganz besonderster Geburtstag ist, der wichtigste Musiker-Geburtstag aller Zeiten, weil du heute 28 wirst und niemals dem Club 27 beitreten wirst! Wir haben es geschafft!« Anna legte die Hand ans Herz und schnaufte erleichtert. John blinzelte. Eine blinkende Schrift wurde eingeblendet. »99,3 % aller Musiker sterben im Alter von 27 Jahren!!!«

Anna zog eine schlappe kleine Papiertüte hervor und hielt sie in die Kamera. »Ich hab sie noch! Das war das Erste, was du mir jemals geschenkt hast! Da kannten wir uns drei Tage! Also, die Brauseherzen hab ich natürlich gegessen, aber ich dachte ja auch, Timo Möllenhauer hätte mir die in den Tornister getan, der fiese Aufreißer, weil der mich in die Pfütze geschubst hatte und dann musste deine Mutter zur Lehrerin, weil du Timo verkloppt hattest und nicht sagen wolltest, warum du das gemacht hast und ich glaub, als du geheult hast, weil die Lehrerin so fies war, das war der Moment, in dem ich mich in dich verliebt hab. Also, so richtig tief verliebt. Für immer. Vorher war ich nur unsterblich verknallt in dich, weil du ausgesehen hast wie Michel aus Lönneberga und ich die Filme Weihnachten immer gucken durfte und ich wollte auch immer einen Michel haben und dann hab ich einen Sven bekommen und, ja. Seitdem bist du mein Zentrum, der Nagel, an dem mein gesamtes Universum aufgehängt ist.« John blinzelte wieder. Er hörte die Tränen in Annas Stimme, als sie gefühlvoll sagte: »Digger, ick liebe dir!«, dann kam ein Schnitt.

John legte das Handy vorsichtig wieder ab. Das Licht in dem Studio war jetzt gedämpfter, ein Keyboard setzte ein und dann der Bass. John erkannte den Song und stand steif auf. Anna sang für Sven zum Geburtstag »Without you« von Mariah Carey in einer minimalistischen, leicht von schmutzigem Soul angehauchten Hedlund-Version. Die überdrehte, die absurde, die lustige Anna war verschwunden. Das hier war die professionelle Anna, die wie alle Kinder, die in dieser Vollblutmusikerfamilie aufgewachsen waren, das Singen, Spielen, Trommeln, Atmen und Tanzen gelernt hatte, ohne es zu merken. Die Anna, die sich völlig ungehemmt fallen ließ und die jede Faser ihres Körpers als Resonanzraum nutzte und nur noch aus Stimme bestand. So, wie sie jede Faser ihres Körpers nutzte, um in Lust und Sinnlichkeit zu baden, wenn sie sich einem Mann hingab und nur noch aus Liebe bestand.

John lauschte auf die Zeile: »But I guess that’s just the way, the story goes« und flüsterte fassungslos: »Scheiße, bist du gut!«

Mit der heiseren, sinnlichen Elfenstimme im Ohr senkte John den Kopf. Er holte tief Luft und spürte, wie sein Brustkorb anfing zu zittern. I can’t live, if living is without you. Als die ersten Tränen ihm übers Gesicht rollten, lachte er angespannt. Wie musste Sven sich fühlen, wenn er dieses Video sah? Aber Sven würde Anna wiedersehen. Wo immer der Wikinger gerade steckte, sie würden seinen Geburtstag nachfeiern, wenn er wieder nach Berlin kam.

John verließ die Küche und zog die Tür hinter sich zu, dann legte er sich in dem leeren Wohnzimmer auf das kühle Laminat, um zu sterben. Aber es würde wieder nicht klappen.


Durst und Heimweh

Lothar hielt die Teekanne hoch in die Luft und bewegte sich wie eine Krabbe im Seitwärtsgang durch die winzige schmale Küche. »Frau Schnulze, zur Hilfe!«

Anna stand seufzend auf, reckte sich über die bunten Dreadlocks der Frau aus dem Bioladen, und nahm Lothar die heiße Kanne ab. »Kluntje sind auch schon wieder alle!«

Lothar rollte mit den Augen, dann quetschte er sich an dem Nerd aus dem zweiten Stock vorbei und angelte nach der Kluntjedose. Anna stellte die Kanne auf dem Stövchen ab und schob die schon wieder fast leere Kekspackung zur Seite, weil sie nicht wusste, wohin mit ihrem Arm. »Wenn der Pizzamann nicht bald zweimal klingelt, sterbe ich vor Hunger!«

Milan, der nette Nerd von nebenan, rückte seine Brille zurecht. »Ich verstehe nicht, wie ihr bei der Hitze Tee trinken könnt!«

Lothar seufzte ergeben. »Wir kommen aus Ostfriesland, wir sind Junkies!« Er wandte sich ab und sah melancholisch durch die offene Tür, die auf den winzigen Balkon führte. »Ich war mal Kaffeetrinker …«

Anna senkte betreten den Blick, sagte aber nichts. Maya, die bunte Aushilfe aus dem Bioladen im Erdgeschoss, schenkte sich zufrieden die nächste Tasse ein. »Also, ich steh voll auf das Zeug! Diese Kandisdinger sind der Knaller, ich werd davon immer völlig high!«

Lothar warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Man wartet, bis die Hausfrau einschenkt! Und auch erst, wenn alle ihre Tasse ausgetrunken haben!«

Anna nickte streng. »Und wer den Löffel in der Tasse lässt, kriegt gar nichts mehr! Das heißt nämlich auf Plattdeutsch: Danke, reicht!«

Maya schüttelte den Kopf und kicherte. »Ihr seid echt komische Leute! Aber ich find euch cool! Bevor ihr hier eingezogen seid, war das Haus total langweilig, man konnte sich nirgendwo einladen in der Pause!«

Milan bemerkte trocken: »Was dich nicht daran gehindert hat, es ständig zu tun!«

Lothar hatte sein kurzes Heimwehtief überwunden und lehnte sich wieder gegen die Arbeitsplatte. »Und was ist Frau Parterre links jetzt für eine?«

Milan stöhnte. »Ach, diese sogenannte Schriftstellerin!«

Maya stieß Milan empört an. »Pass mal auf, was du sagst! Die beiden da sind auch Schriftsteller!«

Milan hob dozierend den Zeigefinder. »Anna und Lothar sind, so weit ich das verstanden habe, professionelle Autoren! Die schreiben Bücher, die gekauft werden! Aber diese Unternehmensberaterin im Pepitakostüm gibt mehr Geld für Marketing aus, als sie einnimmt! Ich verfolge nämlich genau die Marketingaktivitäten im Internet und was die an Werbegeschenken und Printausgaben verschenkt, ist nicht mehr feierlich!«

Maya beugte sich zu Anna und flüsterte: »Wenn du mich fragst, die traut sich nur nicht, ihre Sexfantasien aufzuschreiben! Deswegen säuselt die einen drei Kilo schweren Liebesroman nach dem anderen auf den Markt! Und in keinem dieser Bücher ist jemals auch nur ein Funken Handlung passiert!«

Milan setzte sein wichtiges Intellektuellengesicht auf. »Und woher weißt du das?«

Maya grinste breit. »Hallo? Die hat die Wohnung neben dem Laden? Die kommt bei jeder Neuerscheinung an und schenkt mir ein Exemplar, damit ich ihr eine Rezension schreibe! Und ich gebe ihr natürlich immer fünf Sterne, weil ich das Buch umsonst bekommen habe und weiterverkaufen kann! Obwohl mir bis jetzt noch nie einer eins abgekauft hat.« Maya beugte sich zu Anna und flüsterte warnend: »Pass bloß auf, dass sie dir keins andreht! Dann bittet sie dich in die Wohnung und will stundenlang mit dir darüber reden, warum sie die Figuren wie angelegt hat!«

Anna lächelte gequält und hielt ein dickes Buch hoch. »Zu spät!«

Maya schlug die Hände vors Gesicht. »Oh, mein Gott! Sie hat dich erwischt!«

Lothar grinste. »Vielleicht könnte Frau Schnulze ihr erklären, dass sie einfach die Sexfantasien ihrer Leserinnen aufschreiben sollte, nicht ihre eigenen!«

»Nicht!«, betonte Milan. »Sie schreibt sie ja nicht auf! Unter psychoanalytischen Gesichtspunkten ist das sogar sehr interessant! Die Dame übt sich in Sublimation, ohne Sublimation verstanden zu haben! Sigmund Freud hätte darüber gesagt, dass sie das Unbehagen in der Kultur nicht überwunden hat!«

Anna grunzte. »Laut Freud bin ich auch ein unverbildetes Durchschnittsweib, weil ich Spaß am Sex habe!«

Milan lief rot an und wandte sich an Maya. »Habt ihr denn eigentlich auch vegane Pflegeprodukte für Männer im Sortiment, vielleicht Bartcreme? Ich hab nämlich hier immer so trockene Haare und das juckt auch, aber das Bartöl, das ich mir gekauft habe, macht total ölige Finger und zieht gar nicht richtig ein!«

Maya kicherte und griff sich den letzten Keks. »Wieso rasierst du das Gestrüpp nicht einfach ab?«

Milan fuhr sich nachdenklich über den spärlichen Ziegenbart. »Ich hab in einem Ratgeber gelesen, dass Frauen sich zu Männern mit üppigen Bärten hingezogen fühlen sollen, aber bis jetzt merke ich nichts davon!«

Anna und Lothar warfen sich verstohlene Blicke zu und versuchten, nicht schon wieder einen Lachanfall zu bekommen. Es war ja nett, dass die Leute aus der Nachbarschaft sich in ihrer winzigen Küche so wohlfühlten und inzwischen fast jeden Nachmittag unangemeldet vorbeikamen, um ihre drei Tassen Ostfriesentee abzustauben, aber die Gesprächsthemen waren für gestandene Flying Kluntje nicht immer wirklich anregend.

Es klingelte schon wieder und Anna stöhnte erlöst. »Endlich, die Pizza! Bärchen, das Haushaltsgeld ist in der Tasse!«

Lothar tanzte Limbo unter der uralten, riesigen Dunstabzugshaube entlang und angelte im Küchenschrank nach der Haushaltskasse. »Milan, kannst du eben den Türsummer drücken?«

Milan rieb immer noch nachdenklich sein »Bart-Projekt«, stand aber schleppend langsam auf, um einen Schritt in den Flur zu machen. Während er seinen langen, schlaksigen Arm ausstreckte, um den Türsummer zu drücken, wurde von draußen gegen die Tür geklopft. »Hallo? Ich weiß, dass ihr da seid!«

Anna sackte enttäuscht in sich zusammen. »Lotta! Der nächste, der klingelt und kein Pizzabote ist, wird dann eben selber gefressen!«

Milan öffnete die Tür und setzte sich schnell wieder auf seinen Stuhl, bevor jemand anders sich einen der begehrten Plätze schnappen konnte. Lothar grinste resigniert und lehnte sich dann eben wieder gegen die Arbeitsplatte. Lotta schob ihr klappriges altes Rennrad in den Flur und stöhnte. »Wann zieht ihr in eine Bude mit Aufzug?«

Anna grunzte. »Bist du bescheuert? Wir haben gerade erst den Flur gestrichen!«

Lotta schob sich in die Küche und quetschte sich mit einem strahlenden Lächeln an Lothar vorbei. Lothar lief wie immer knallrot an und wich dem herausfordernden Blick der liebestollen Walküre aus. Anna senkte den Kopf und lachte still in sich hinein. Vielleicht sollte sie Lothar gegenüber mal eine Bemerkung darüber fallen lassen, dass Lotta kein Problem damit hatte, wenn Männer kleiner waren als sie. Schließlich war sie eine echte Hedlund und das bedeutete, dass bestimmt fünfundsiebzig Prozent der gesamten männlichen Berliner Bevölkerung kleiner waren als sie. Und Lotta hatte viel zu viel Spaß an Männern, um sich drei Viertel entgehen zu lassen.

Lotta öffnete den Kühlschrank und griff ins Eisfach. »Alter, wann schafft ihr euch eine Truhe an, in die genug Wassereis reinpasst? Ist Waldmeister schon wieder alle?«

Milan setzte sich angeregt auf, bereit zum nächsten Exkurs über ungesunde Plastikverpackungen, die Lebensmittel vergifteten. »Ihr solltet wirklich selbstgemachtes Apfelwasser einfrieren, das ist nicht so krebserregend und enthält sicher auch Elektrolyte, dafür aber keinen Zucker!«

Lotta riss mit den Zähnen das letzte überlebende Wassereis auf. »Wozu brauche ich Elektrolyte, sehe ich aus, als wäre ich mit Strom betrieben?«

Lothar streifte die stramme Schildmaid mit einem Blick, der verriet, dass er wirklich über die Frage nachdachte. Maya streifte Lothar mit einem Blick, der verriet, dass sie sich fragte, was der intellektuelle Künstler Lothar wohl an diesem Trampel fand, während er Maya keines Blickes würdigte. Dabei brachte sie immer etwas von dem aussortierten Obst aus dem Laden mit, wenn sie sich zum Tee einlud.

Lotta riss die schmale Balkontür weiter auf und machte einen großen Schritt auf den winzigen Balkon vor der Küche. »Ach, Kinder! Sommer in Berlin, ich geh kaputt, ist das scheiße!«

Anna fächelte sich mit der leeren Kekspackung Luft zu und murmelte träge: »Du könntest jetzt im Fjord planschen, Sven hätte dich mitgenommen!«

Lotta nuckelte an ihrem Eis und nuschelte: »Und das hier verpassen? Ihr gebt die geilsten Teepartys von ganz Berlin! Außerdem ist Lillebror doch schon wieder auf dem Weg, um die anderen zu treffen. Lepi ist doch auf dem Weg in die Schweiz zu diesem komischen Weltmusik-Event!«

Milan erkundigte sich interessiert: »Lepi?«

Anna zählte auf: »Lasse, Einar, Peer und Ivar, in der Reihenfolge, in der sie ihre Trommeln auf der Bühne aufbauen!«

Milan rieb sich wieder nachdenklich den struppigen Bart. »Interessant. Wieso nicht Ipel? Sind solche Bühnen nur in eine Richtung begehbar oder welche Bewandtnis hat das?«

Bewandtnis! Anna und Lothar warfen sich wieder einen Blick zu und versuchten, nicht zu kichern.

Es klingelte wieder. Anna sprang auf und drängelte sich an Lothar vorbei. »Kohlenhydrate! Endlich!«

Lothar rieb sich die Hände und ließ sich schnell auf Annas frei gewordenen Stuhl fallen. Endlich ein Sitzplatz in seiner eigenen Küche!


Achterbahn mit Svanna

Anna hüpfte in den Flur, drückte den Türsummer und riss im selben Moment die Tür auf. Sven hatte sie an sich gezogen und geküsst, bevor sie »Pizza« sagen konnte.

Anna machte runde Augen. Braungebrannt, zottelig und bärtig. Der Ferien-Sven stand vor ihr. »Ich dachte, du bist auf dem Weg in die Schweiz!«

Sven drückte sie mit einem tiefen Atemzug ganz fest an sich und flüsterte: »Danke für das Video, Kleene, ich hatte Tränen in den Augen, ohne Witz!«

Anna lachte verschämt. »Bei der zweiten Zeile des Refrains hab ich voll den Ton versemmelt!«

Sven nickte und lachte leise, dann flüsterte er hingerissen: »Ick liebe dir ooch!«

Lotta rief vom Balkon: »Alter, spinnst du? Die Schweiz ist von Oma aus im Süden, nicht im Osten!«

Lothar grübelte laut. »Oder ist das im Westen, wenn man von Norden aus nach Berlin fährt? Das geht doch dann links rum!«

Milan zog sein Smartphone aus der Tasche. »Osten ist immer im Osten, links geht es aber nicht immer nach Westen. Warte, ich zeig es dir auf der Karte!«

Lotta prustete los. »Merkst du gar nicht, dass Livecam dich verarscht? Ostfriesland ist ja auch nicht im Osten, wenn der da hin will, fährt er immer einfach geradeaus!«

Anna kicherte über den absurden Dialog in der Küche und drückte die Stirn gegen Svens Brust. Er beugte sich über sie und flüsterte: »Ich muss mit dir reden!«, dann schob er sie in ihr Zimmer.

Anna stolperte ihm verwirrt voran. Sven schloss die Tür, dann überfiel er sie mit einem wilden Kuss. Anna hielt mit einem überraschten Laut die Luft an, dann schlang sie die Arme um ihn, sprang an ihm hoch und flüsterte mahnend: »Keinen Laut, die Bande hört alles durch die Wand!«

Sie taumelten durch das schlauchförmige schmale Zimmer, rissen fast Annas einzige Topfpflanze um und fielen auf die Matratze, die die Hälfte des Raumes einnahm. Svens Geschenk für Anna zum Einzug. Eine riesige Wikingermatratze mit Überlänge und so breit wie ein Krabbenkutter. Normalerweise hätten sie bei diesem uneleganten Sturzflug gelacht, aber Anna spürte, dass Sven heute alles andere als Lachen im Kopf hatte, er griff ihr sofort fordernd unter das leichte Sommerkleid. Sie hörte das Ratschen, mit dem Sven ihr einfach das Höschen zerriss und zischte: »Du Sack, das war mein Star Wars Schlüppi!«

Sven keuchte: »Ich kauf dir welche mit Vikings!« und nestelte hastig am Knopf seiner Hose. Anna lachte überdreht auf, dann spuckte sie sich in die Hand und rieb sich ihren Speichel zwischen die Schenkel. Sven stöhnte ihr ins Ohr: »Ich liebe es, wenn du praktisch denkst!«, dann kämpfte er sich aus der Hose und küsste dabei hungrig Annas Hals. Anna reckte sich ihm sinnlich entgegen und stöhnte hilflos auf. Sven presste ihr die Hand auf den Mund und schimpfte leise: »Meine kleine Schwester sitzt da drüben!«

Anna kicherte überdreht. »Ich glaub, Lotta ist schon aufgeklärt!«

Sven zischte: »Ja, eben!«, dann wanderte seine Hand wieder zwischen Annas Beine. Hingerissen flüsterte er: »Dein Duft hat mir wahnsinnig gefehlt!«

Anna schlang mit einem tiefen, sinnlichen Atemzug die Arme um seinen Hals. Sven flüsterte: »Na, komm!«, dann schob er ihr sanft den Finger in den Mund. Anna hauchte ein seliges Lächeln, dann leckte sie seinen Finger an. Sven lachte zärtlich: »Mehr, Kleene, das kannst du besser!«

Anna fing an, mit der Zunge an seinem Finger zu spielen und leckte ihn richtig nass, bis Sven zufrieden war, dann ließ er den Finger zwischen ihre Beine wandern und fing an, sie sanft kreisend zu fingern. Anna hielt gebannt den Atem an, dann stöhnte sie leise auf. Sven flüsterte: »Sch!«, dann nahm sein Finger Fahrt auf.

Anna reckte sich seiner Berührung hungrig entgegen und schmiegte das Gesicht fest an seine Schulter. Sven Hedlund spielte auf ihr sein Solo. In Annas Lust mischte sich leiser Stolz. Sie war sich sicher, dass alle Frauen, die zu Svens Konzerten pilgerten, von dem träumten, was sie gerade erlebte – einmal im Leben Svens Gitarre zu sein.

Sven fingerte sie, wie nur er es konnte. Sanft, rhythmisch und liebevoll massierte er ihren Kitzler und sah dabei mit dieser ruhigen Konzentration auf sie herab, mit der Konzentration eines Mannes, der gerade nicht an sich denkt, sondern nur an sie. Anna wusste, dass er sie las wie ein alter Indianer eine Fährte. Er lauschte auf ihren Atem, spürte den Bewegungen ihres Beckens nach, erhöhte sanft den Druck, wenn sie es brauchte und erhöhte das Tempo genau in dem Moment, wo sie sich danach sehnte. Voller Sehnsucht drängte sie sich noch enger an ihn, um seinen Schwanz an ihrer Hüfte zu fühlen. Steif und hart stand er für sie bereit und gleichzeitig war er so seidig, dass Anna von unglaublicher Zärtlichkeit überflutet wurde. Sie liebte diesen schönen Schwanz einfach über alles.

Anna fing an, sich lockend zu bewegen, sie konnte gar nicht anders. Und sie hörte das zärtliche Lächeln ins Svens Stimme, als er flüsterte: »Kriegst ihn ja gleich, kleene Brummsel!«

Anna lachte laut- und atemlos, dann flüsterte sie voller Sehnsucht: »Viggo

Sven lächelte stolz. »Sven« war sein Name für den Alltag. Bei »Sven Viggo!« wusste er, dass er in der Scheiße saß. Aber nur »Viggo« hieß, dass sie ihn wollte. Und zwar so, wie nur seine Annika es konnte, seine Lustgöttin, die ihm immer die lange Leine ließ, weil es sie so glücklich machte, wenn er zu ihr zurückkam.

Anna fasste nach seinem Shirt und versuchte, ihn auf sich zu ziehen. Sven lachte sanft. »Deine kleine rosa Muschel wird richtig flutschig, Nika!«

Anna lachte wild auf und schlug ihm auf die Schulter. »Ich hab keine flutschige Muschel, du Sau!«

Sven lachte überdreht und flehte: »Kleene, jetzt hör auf mit dem Scheiß, ich versuch hier gerade, dich flachzulegen!«

Anna gurrte sanft und schlang das Bein um ihn. Sven vergaß den Rest der Welt und schob sich hastig auf sie. Anna hielt den Atem an, dann hauchte sie fasziniert: »Scheiße, Thors Hammer geht auf mich hernieder!«

Sven musste lachen, dann drang er mit einem atemlosen Keuchen in sie ein. Für einen Moment blieb er ganz still auf ihr liegen und flüsterte: »Ich hab dich wahnsinnig vermisst!«

Anna schlang fest die Beine um ihn und trieb ihn an. »Erzähl’s mir später, ich muss gerade einen Nordmann schänden!«

Sven lachte lautlos, dann stützte er sich über ihr ab und legte los. Anna fiel zurück ins Kissen und zerrte an seinem T-Shirt, bis sie es ihm endlich über den Kopf gezogen hatte, aber Sven war so vertieft in das, was er tat, er schien es gar nicht zu merken. Anna ließ den Blick über seinen Körper schweifen, dann wanderten ihre Hände auf seinen strammen Hintern. Sven wollte es wissen. Mit langen harten Stößen drang er immer wieder schnell und tief in sie ein.

Anna biss sich auf die Lippe und sah fasziniert zu ihrem Nordmann auf. War das wirklich ihr Sven? Gnadenlos und hart stieß er immer wieder zu, atemlos keuchend und völlig selbstvergessen fickte er sie, als ginge es um sein Leben. Anna vergaß vollkommen ihre eigene Lust, völlig gebannt sah sie auf diese Urgewalt, die sich da über ihr austobte, dann fragte sie ganz leise: »Sven?«

Er schien für einen winzigen Moment zu sich zu kommen, dann zog er sich mit einem Ruck zurück, kniete sich hoch aufgerichtet zwischen ihre Beine und zeigte ihr, was er hatte. Anna setzte sich auf und sah mit weit aufgerissenen Augen gierig dabei zu, wie Sven sich anfasste und langsam und rhythmisch immer wieder die Hand über seinen nassen Schwanz gleiten ließ, dann packte er sie, riss sie an sich und drang sofort wieder mit einem harten Stoß tief in sie ein. Anna zog in der einzigen, fließenden und rasend schnellen Bewegung ein Kissen mit und presste es sich gerade noch rechtzeitig aufs Gesicht, um ihren Lustschrei zu ersticken.

Und jetzt ging Thors Hammer wirklich gnadenlos auf sie hernieder. Nichts hätte Sven jetzt noch aufhalten können. Heftig keuchend fickte er sie so hart und schnell, dass Anna hilflos ins Kissen wimmerte. Ihre Gefühle gerieten verwirrend und wild durcheinander, dann spürte sie, wie Svens Hand sich unter das Kissen grub. Er griff ihr fest in die Haare. Sven. Ihr sanfter Sven fasste sie hart an, fickte sie wie ein Wahnsinniger und griff ihr in die Haare. John war bei ihnen.

Anna stieß verwirrt die Luft aus, dann brach Sven mit einem gepressten Stöhnen über ihr zusammen und jagte mit letzten verzweifelten Stößen tief seinen Saft in sie hinein. Anna blieb atemlos liegen und merkte erst, dass sie fast keine Luft mehr bekam, als Sven ihr das Kissen vom Gesicht zog, sich liebeshungrig an ihren Hals schmiegte und sehnsüchtig flüsterte: »Kleines!«

Anna klappte mechanisch die Augen auf und blinzelte starr an die Decke. Sven lag mit seinem ganzen Gewicht auf ihr, rieb sich an ihr, umklammerte fest ihre Hand und konnte einfach nicht genug Körperkontakt kriegen. Er wälzte sich in ihr wie ein Tier, dem das Fell juckt, sich an einem Baum schubbert. Angespannt flüsterte Anna: »Wie hast du mich gerade genannt?«

Sven hob den Kopf und sah sie verwirrt an. »Was? Keine Ahnung!«

Anna zog die Augenbrauen zusammen. »Kleines! Du hast mich Kleines genannt!«