Der Ausgangspunkt für dieses Buch war meine Arbeit an dem Dokumentarfilm »Goldrausch«. Sehr schnell wurde mir während der Recherchen klar, dass das viele Material und die ausführlichen Interviews mit den Protagonisten auch in einem Buch festgehalten werden müssen, ehe die Erinnerung der Zeitzeugen an die Wendezeit verblasst.
Dass ich so lange an dem Thema arbeiten konnte, verdanke ich vielen Institutionen und Personen, denen mein herzlicher Dank gilt: Ditta Ahmadi, Heike Specht und Claudia Feldtenzer vom Pantheon Verlag für ihre unermüdliche Unterstützung. Dr. Thomas Weymar für die Idee, das Thema Treuhandanstalt zu recherchieren. Der Produktionsfirma Zero-One aus Berlin dafür, Förder- und Produktionshilfen für dieses Projekt zu gewinnen. Der europäischen Filmförderung Media, der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHH), der Filmförderung des Bundes (FFA) und den ARD-Sendern SWR, NDR und MDR, die dieses Projekt unterstützt haben. Den Redakteurinnen Martina Zöllner, Barbara Denz und Katja Wildermuth für ihre Geduld. Der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen und der Defa-Stiftung für ihre Stipendien, die meine Arbeit gefördert haben.
Für dieses Projekt habe ich weit mehr als 200 Interviews mit beinahe 100 Zeitzeugen geführt, einige für den Film, andere nur für das Buch. Ich hoffe, ich konnte der Arbeit der vielen, vielen Kollegen, die jahrelang über die Treuhand geschrieben und berichtet haben, gerecht werden. Auch auf ihren Recherchen baut dieses Buch auf. Herzlichen Dank vor allem an Martin Kraushaar und Reimund Schwarz für ihre kollegiale Hilfe. Viele Freunde haben mir bei der Arbeit geholfen: Julia Möhn und Peter Dwertmann – ich danke euch. Ohne die Hilfe, die Zeit, das Verständnis und den Mut vieler ehemaliger Treuhänder würde es dieses Buch nicht geben. Mein besonderer Dank gilt Detlef Scheunert und Christoph Partsch.
Ich widme dieses Buch meinem Vater K.D. Laabs.
Dirk Laabs
Hamburg, im September 2011
Die Treuhandpräsidentin Birgit Breuel hat bei der Abschlusspressekonferenz der Treuhand 1994 die Hoffnung geäußert, die Menschen würden mit einigem Abstand die Arbeit der Treuhand objektiver beurteilen. Siebzehn Jahre später ist klar: Das Gegenteil ist eingetreten. Je länger die Zeit der Treuhand zurückliegt, desto unversöhnlicher stehen sich zwei Lager gegenüber.
Auf der einen Seite viele Ostdeutsche, die sich bestohlen fühlen. Auf der anderen Seite die westdeutschen Politiker und Treuhänder, die jede Kritik an der Treuhand als undankbar empfinden und glauben, dass die historische Leistung der Anstalt nicht genügend gewürdigt wird, weil gerade vielen Ostdeutschen das wirtschaftliche Grundverständnis fehle. Je vehementer behauptet wird, dass das »Volkseigentum« der DDR vor allem von Westdeutschen veruntreut worden ist, desto deutlicher betonen die politisch Verantwortlichen, dass die Volkswirtschaft marode und unter dem Strich nichts wert war, dass, wie ein US-Banker sagte, »die DDR ein schlechter Kauf« gewesen ist. Was hätte man dort schon stehlen können? Ohne unser westdeutsches Geld hatten die Ostdeutschen keine Chance, heißt das zwischen den Zeilen.
Betrachtet man den Vorgang wie ein Buchhalter, mag das in der Endabrechnung stimmen: Die Treuhand hat 245 Milliarden D-Mark Verlust gemacht. Psychologisch ist dieser Ansatz jedoch verheerend, denn man gibt damit den Ostdeutschen immer und immer wieder zu verstehen, dass ihre Lebensleistung und ihre Heimat nichts wert gewesen seien. Je stärker betont wird, das Land sei »Schrott« gewesen, desto stärker identifizieren sich viele Ostdeutsche aus Trotz mit der alten DDR. Die Ostdeutschen haben ein Anrecht darauf, dass ihnen erklärt wird, warum die Treuhand mit dem Verkauf der gesamten ostdeutschen Volkswirtschaft nur 34 Milliarden Euro erzielt hat. Etwas mehr als 50 Milliarden Euro hat die Versteigerung der UMTS-Mobilfunklizenzen erbracht. Frequenzen in der Luft über Westdeutschland waren also sehr viel mehr wert als die Volkswirtschaft der gesamten DDR.
Bis heute plagt viele Ostdeutsche das Gefühl, ihr Eigentum sei verschleudert worden. Ohne Zweifel war die Modernisierung der Infrastruktur, der Firmen, Fabriken und Gebäude ein gigantisches Geschäft, an dem vor allem westdeutsche Unternehmen verdient haben – siehe Leuna.
Die Bundesregierung und viele ehemalige verantwortliche Treuhänder versuchen bis heute, die Arbeit der Treuhand unter rein betriebswirtschaftlichen Aspekten zu betrachten. Dabei standen sie in erster Linie vor einer psychologischen Herausforderung. Auch den Verantwortlichen war schon 1990 klar, dass es zu einem gigantischen Eigentumstransfer kommen musste: Auf der einen Seite stand die Volkswirtschaft der Ostdeutschen zum Verkauf, die größtenteils kein Kapital hatten und kaum Privateigentum besaßen. Auf der anderen Seite standen Westdeutsche, die Kapital im Überfluss investieren konnten. Dass vor allem Westdeutsche große Teile Ostdeutschlands kaufen würden, wurde nach der Wiedervereinigung nie deutlich und ehrlich erklärt. Der Transfer mag unvermeidlich gewesen sein, schmerzhaft ist diese Umkehr der Vermögensverhältnisse trotzdem. Die damalige Bundesregierung hat Managern, Betriebswirten und Wirtschaftspolitikern wie Birgit Breuel, deren Stärke es gerade nicht ist, politische Prozesse zu erklären, die Moderation dieses einmaligen Transfers überlassen.
Alle Westdeutschen müssen der Wahrheit ins Auge sehen, dass sich »ihr« System nach der Wende oft von der schlechtesten Seite gezeigt hat. Man hat bewusst zugelassen, dass mit der Treuhand »ein Fremdkörper in den Verfassungsorganismus der Bundesrepublik« gepflanzt wurde, wie es der Chefjustitiar der Treuhand einmal gesagt hat. In der Phase des Übergangs glaubte die Bundesregierung es sich leisten zu können, eine Superbehörde zu schaffen, die nicht vom Parlament kontrolliert wurde. Die Regierung, aber auch viele führende Treuhänder haben angenommen, dass es für Deutschland am besten sei, wenn die Treuhand eine Art Schutzwall für den Staat bilde. Sie sollte das »schmutzige Geschäft« – die Abwicklung maroder Firmen und den Eigentumstransfer – organisieren, den Sündenbock geben und Ziel aller Enttäuschung werden. Auf diese Weise wollte man verschleiern, dass die Bundesregierung selbstverständlich die politische Verantwortung für die Entscheidungen der Treuhand trug. Im Schatten der Anstalt, so die Idee, sollte das neue demokratische System in den neuen Bundesländern in Ruhe Wurzeln schlagen. Das ist gründlich misslungen. Das politische System und der Glaube an die Demokratie überhaupt sind massiv beschädigt worden, trotz oder gerade wegen der scheinbar unkontrollierten Macht der Treuhand. Bei vielen Betroffenen blieb das Gefühl zurück, einer Institution hilflos ausgeliefert gewesen zu sein, die ihre Handlungen nicht erklären musste. Es war der Treuhand überlassen, wann und wie sie mit den Betroffenen redete. Nicht immer, aber zu oft offenbarten die Treuhänder die Grundlage ihrer Entscheidungen nicht. Zu selten standen die Verantwortlichen der Behörde zu ihren Fehlern, da man nicht in laufende Geschäfte eingreifen könne. Diese scheinbar willkürliche Autonomie der Anstalt hat die Ostdeutschen, die gerade ein Leben in der Diktatur hinter sich hatten, sehr enttäuscht und verletzt.
Die Treuhand wurde ganz bewusst nicht effektiv demokratisch kontrolliert. Wie sollte da bei den Ostdeutschen Vertrauen in die Demokratie entstehen? Warum sollten sie überhaupt Vertrauen in das demokratische System setzen, wenn die westdeutsche Regierung den Volksvertretern offenbar selber nicht zutraut, diesen Prozess kompetent zu begleiten?
Von 1990 an wurde das eingeübt, was alle Deutschen dann in der Finanzkrise ab 2008 wieder erlebten: die Sozialisierung der Verluste; die Ausschaltung des Parlaments, eine Exekutive, die nicht erklären kann oder will, warum sie wirtschaftspolitisch wie handelt. Bis heute nehmen sich das Bundesfinanzministerium und die Nachfolgeeinrichtungen der Treuhand heraus zu bestimmen, was die Deutschen, die Bürger, die Wähler über die Treuhand wissen dürfen – und was nicht. Unter anderem wird versucht, mit Verweis auf das Aktien- und Steuerrecht zu rechtfertigen, dass die Arbeit der Anstalt nicht transparent und durchschaubar sein kann und darf. Man hat ohne Not aus vielen Vorgängen ein Geheimnis gemacht und damit Verschwörungstheorien Vorschub geleistet. Die Verantwortlichen geben der Öffentlichkeit durch diese Geheimniskrämerei seit 1990 das Gefühl, die Treuhand habe etwas zu verbergen. Wie der Fall Halle zeigt, wissen selbst führende Treuhänder nicht, wie viele Betrugsfälle nie öffentlich geworden sind, weil gerade die Anfangszeit der Treuhand nicht systematisch aufgearbeitet wurde.
Viele Treuhänder finden es ungerecht, dass ihre Arbeit auf spektakuläre Kriminalfälle reduziert wird. Tatsächlich haben die Bundesregierung und die meisten Landesregierungen nach der Wende die Wirtschaftskriminalität als unvermeidlichen Faktor einkalkuliert nach dem Motto: »Schwund ist immer.« Sie haben aber gleichzeitig versäumt, dafür zu sorgen, dass die Staatsanwaltschaften und Ermittler genügend Ressourcen bekommen, um diese komplexen Fälle zeitnah und umfassend aufzuklären. Sie haben zugelassen, dass Fälle verjährten oder es erst sehr spät zu Gerichtsverhandlungen kam, in denen man sich aus Zeitnot nur mit einem Teil der Tat befasste. So entstand bei den Menschen, die sich in dem neuen System zurechtfinden mussten, das Gefühl, dass es letztlich willkürlich ist, wer vom Rechtsstaat erfasst wird und wer nicht. Dabei wäre es gerade für sie wichtig gewesen, unmittelbar zu erleben, dass der Rechtsstaat in der Lage ist, schnell zu handeln. Natürlich ist der Schaden, den ein Fall wie der Wärmeanlagenbau angerichtet hat, im Gesamtprozess nicht volkswirtschaftlich entscheidend. Aber der ideelle Schaden, der Vertrauensverlust in das neue System, ist verheerend.
Die DDR stand vor dem Bankrott. Da das Wirtschaftssystem des gesamten Ostblocks zusammengebrochen war, brauchte sie gewaltige Mengen an Kapital, um an der Marktwirtschaft teilnehmen zu können. Die Bundesregierung wusste seit Anfang 1990, dass sie der Konkursverwalter der DDR sein würde. Aber ein Konkursverwalter muss darüber Rechenschaft ablegen, was genau er mit der Konkursmasse gemacht hat. Dazu gehört, die Akten und die Abrechnungen offenzulegen. Schon 1990 schrieb ein Journalist, es dürfe nicht sein, dass die Akten der Staatssicherheit für die Bürger einsehbar sind, die der Treuhand aber nicht. Heute obliegt es dem Bundesarchiv im Zusammenspiel mit dem Bundesfinanzministerium, den Zugang zu den Akten zu regeln. Da einige Unterlagen steuerrelevant sind, werden sie noch bis ins Jahr 2050 gesperrt bleiben. Man traut den Bürgern, wie in so vielen anderen Bereichen auch, nicht zu, dass sie mit der Wahrheit umgehen können. Selbst Wissenschaftlern werden Informationen vorenthalten.
Die Treuhand und die damalige Bundesregierung haben immer versucht, das letzte Wort in Sachen Treuhand zu haben. Sie haben der Öffentlichkeit versichert, dass im Großen und Ganzen alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Es ist Zeit, dies durch Fakten zu belegen. Das Bundesfinanzministerium muss zulassen, dass ein neutrales Urteil über die Geschichte der Treuhand gesprochen wird. Die Akten müssen von Wissenschaftlern systematisch aufgearbeitet werden, eben weil das Thema so polarisiert. Das muss geschehen, solange die Zeitzeugen noch leben, sonst bleibt die Treuhand immer ein Mythos und eine schwelende Wunde, die das Klima in einem Land vergiftet, das eigentlich vereint sein sollte.