Widmung
Für ein spannendes und erotisches Lesevergnügen.
Bereits erschienen:
family secrets – Familiengeheimnisse (Band 1)
family troubles – Familienprobleme (Band 2)
Die Handlung und alle handelnden Personen
sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit
lebenden oder realen Personen ist
rein zufällig.
family tensions
Spannungen
Band 3
© 2019 Martina Stubenschrott
Titelbild: by Matthew Henry
on Unsplash 134263
Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel
978-3-99084-742-8 (Paperback)
978-3-99084-743-5 (Hardcover)
978-3-99084-870-8 (e-Book)
Printed in Austria
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
1 (one)
Der Security-Mann öffnete Alicia entgegenkommend die Tür. Sie grüßte ihn freundlich. Edward oder so, war sein Name. Endlich war sie wieder im Gepard, ihrem Nachtclub. Zeit nur für sich selbst. Das war Luxus pur. Nach dem Gelage der Weihnachtsfeiertage tat es einfach gut, aus ihren vier Wänden raus zu kommen. Kaleb passte heute auf ihre gemeinsame Tochter Ava auf. Ihr Sonnenschein war bereits ein halbes Jahr alt. Alicia liebte ihr Mädchen. Und sie liebte ihre Arbeit im Club. Das Tanzen fehlte ihr sehr. Seit sie mit Kaleb zusammen war, kam sie nur noch selten dazu Musik zu hören und zu chillen. Deshalb freute es sie umso mehr, dass sie heute bis Mitternacht wegbleiben konnte. Länger wollte sie nicht von ihrem Baby getrennt sein, denn es war gut möglich, dass Ava nachts aufwachte. Aber diese Stunden jetzt, die gehörten ihr. Sie würde mit ihrer besten Freundin gemeinsam auf der Bühne tanzen und dann einfach abhängen. Nur für sich selbst verantwortlich sein.
Alicia traf Zoe im Umkleideraum der Tänzerinnen. Sie lächelten einander an und umarmten sich. „Aufgeregt?“, fragte Zoe einfühlend.
Alicia lachte. „Ja! Ich freu mich so auf die Show!“ Sie trug schwarze Stiefel mit hohen Absätzen, eine enganliegende schwarze Lederhose und ein schlichtes weißes Shirt. Ihr schwarzer BH drückte sich deutlich ab. Zoe staunte, mit wie wenig Aufwand es ihrer Freundin gelang, verrucht zu wirken. Alicias lockiges dunkelbraunes Haar umrahmte ihr schönes Gesicht. Sie zog ihre vollen Lippen nach und schminkte ihre Augen dezent, während Zoe in ein rotes feines Seidenkleid schlüpfte und sich mit goldenen High-Heels abmühte. Ihr schwarzes Haar band Zoe zu einem Pferdeschwanz. Das Rot schmeichelte ihren prallen Rundungen, ihrem wogenden Busen, ihrem satten Hintern, dem weichen Bauch und den ausgeprägten Schenkeln.
Alicia lachte in freudiger Erregung. Ihre Freundin und sie waren eine unschlagbare Kombination. Sie konnte es kaum erwarten, dem Publikum einzuheizen. Dance! Sie traten auf die Bühne. Die Show heute war nicht angekündigt. Alicias Stimme war sanft, weich und spielerisch: „Mesdames et messieurs, j'ai le plaisir de vous accueillir ce soir!“ Zoe stand neben ihr. Viele Augen waren auf sie gerichtet. Die Musik ertönte. Alicia fühlte den Bass in jeder Faser ihres Körpers. In der Musik waren sie eine Gemeinschaft. Und die Leute spürten ihre erotische Verbindung. Alicia war nüchtern und trotzdem so berauscht, als hätte sie etwas getrunken. Sie ließ sich von dem Beat treiben, verschmolz mit ihm. Zoe und sie mussten nicht viel proben. Sie waren schon so oft miteinander auf der Bühne gestanden, es lief ganz von selbst. Nachdem sie ein paar heiße Nummern getanzt hatten, verließen sie unter dem tosenden Applaus der Menge die Bühne. Alicia trank etwas Wasser, während Zoe sich umzog.
„Hey, ich schau noch kurz ins Büro. Treffen wir uns in zehn Minuten oben?“, fragte Alicia beiläufig.
Zoe nickte. Sie wusste, was ihre beste Freundin meinte. Schließlich gehörte ihnen der Club. Manchmal genossen sie es einfach, das bunte Treiben zu beobachten und ein bisschen abzulästern. Ihr Stammplatz am 2. Floor bot eine gute Aussicht auf alles, was im Erdgeschoß los war.
Auf dem Weg ins office unterhielt sich Alicia mit Paul, einem ihrer Lieblingstürsteher und grüßte da und dort ein paar Leute. Sie war in letzter Zeit kaum im Club gewesen. Von nun an wollte sie sich zumindest an zwei Samstagen im Monat blicken lassen. Durch Zoe war sie auf dem Laufenden geblieben, aber es war nicht das gleiche. Außerdem hatte die Arbeit im Club noch einen anderen Vorteil. Wenn Alicia unterwegs war, blieb ihr Mann Kaleb bei Ava. Es fiel ihr leichter, sich von ihrem kleinen darling zu verabschieden, wenn diese in vertrauten Händen war. Und ihrer Tochter tat die Zeit mit ihrem Vater gut. Kaleb war unter der Woche leider wenig zuhause. Würde Alicia nicht immer wieder Zeit für sich einfordern, würde Ava ihren Dad kaum zu Gesicht bekommen.
Alicia verschwand im Büro, fuhr den Computer hoch und lächelte in sich hinein. Sie liebte die Atmosphäre im Club. Die Aufregung. Die heiße Stimmung. Die bekannten, ihr wohlgesonnenen Gesichter. Und die Neuen. Es war ihr eine Freude, die Menschen zu beobachten. Bald würde sie den Abend in vollen Zügen genießen können. Sie wollte nur noch rasch den Papierkram und ihren finanziellen Stand checken.
Alicia sog all die Eindrücke in sich auf. Sie war eben ein Geschöpf der Nacht. Die Action hatte ihr gefehlt. Das geschäftige Treiben, die Musik, die Menge… Die neue Rolle der Mutter und Ehefrau war etwas Kostbares und doch strebte der andere Teil von ihr ebenfalls nach Raum. Eine Familie zu gründen musste doch nicht zwangsläufig bedeuten, brav, bieder und frei von lustvollem Spiel zu leben. Erleichtert stellte Alicia fest, dass alles im grünen Bereich war. Sie wollte gerade wieder auf „shut down“ klicken, als die Tür aufging. In Erwartung eines bekannten Gesichts schaute Alicia kurz hoch und stoppte mitten in der Bewegung. Sie hielt den Atem an. Ihr war, als ob jemand auf den button „freeze“ gedrückt hätte.
Ryan. Das war nicht gut. Ihr Ex. „Hi!“, begrüßte sie ihn erstaunt und bemühte sich verzweifelt darum, ihre Fassung rasch wieder zu gewinnen. Auf keinen Fall wollte sie in die alten Rollenmuster zurückfallen. Damals war sie einfach zu unerfahren gewesen. Nahezu unmerklich hatte er es fertiggebracht, sie mehr und mehr einzuschüchtern. Bis sie Angst davor gehabt hatte, gegen ihn aufzumucken, was sonst so gar nicht ihre Art war.
„Du scheinst dich ja nicht sehr verändert zu haben“, erwiderte Ryan sarkastisch. Er schien ihr Unbehagen regelrecht zu genießen. Alicia kam langsam hinter dem Schreibtisch hervor. Sie spürte seine Wut. „Was willst du?“, fragte sie kühl und hielt seinem Blick stand. Es war ihr gelungen, ihre Angst in Empörung zu verwandeln. Und Wachsamkeit. Der Gefängnisaufenthalt hatte Spuren hinterlassen. Nicht so sehr an seinem Äußeren, er war immer noch ein attraktiver Mann, eher an seinem Wesen. Er schien noch härter und verbissener geworden zu sein. „Immer sofort zur Sache, wie in alten Zeiten“, gab Ryan patzig zurück.
Alicia wartete.
„Du hast mich kein einziges Mal besucht.“ Er war betrunken. Sein Ton war hart und anklagend. Sie wusste, was er meinte und wählte ihre Worte vorsichtig. Ihre Stimme war sanft: „Ryan, wir haben uns kurz davor getrennt. Du weißt, warum. Ich wollte dir keine Hoffnungen machen.“
„Das ist dir hervorragend gelungen“, antwortete er spöttisch und kam ein paar Schritte auf sie zu. Das gefiel ihr nicht. „Gehen wir nach draußen…“, schlug sie hastig vor. „Warum? Hast du Angst mit mir allein zu sein?“, fragte er provokativ und lächelte seelenruhig. Alicia lachte. Scheiße, ja. Sie hatte Angst. Ihre Sinne waren hellwach. Sie war bis aufs Äußerste gespannt. Wusste sie doch, wozu er neigte, wenn er betrunken war und sich gedemütigt fühlte. Das war der Grund für ihre Trennung gewesen.
Ryan betrachtete seine Ex. Sie war wunderschön, wie eh und je. Diese dunklen Locken, der knackige Hintern… Ihre wohlgeformten Titten schienen etwas an Größe gewonnen zu haben. Ihr Gesicht war weich und strahlend. Sie war glücklich. Und er schien sie völlig kalt zu lassen. Dabei hatten sie sich einmal ewige Liebe geschworen. Er hatte damals gedacht, sie sei seine andere Hälfte, seine Seelengefährtin. Verflucht. Sein Plan war gewesen, sich normal mit ihr zu unterhalten und die alte Geschichte abzuschließen. Er hatte sich entschuldigen wollen, für diesen Vorfall vor einigen Jahren. Als er die Kontrolle verloren hatte. Aber dann hatte er sie tanzen gesehen. Diese lasziven Bewegungen und ihre sexy Stimme. Die Erinnerungen waren wieder hochgekommen. An ihre guten Tage. Und die Wut. Sie hatte ihn alleingelassen. Eiskalt. Als er sie am meisten gebraucht hätte. Er trat noch einen Schritt auf sie zu und berührte ihren Arm. Sachte.
„Ryan…!“ Ein Schauer lief ihren Rücken hinab. Sie versuchte, sich an ihm vorbei zur Tür zu drängen. Er hielt sie fest. „Lass mich los“, forderte sie ihn ernst auf und sah ihm in die Augen. Natürlich hörte er nicht auf sie. Als ob sie nichts gesagt hätte, probierte er, sie an sich zu ziehen und zu küssen. Alicia drehte ihr Gesicht rasch weg und hob die Hände, um ihn unmissverständlich abzuwehren. „No! Stop it!!“ Sie war laut geworden. Ihre Stimme klang schrill und hatte sich etwas überschlagen. Erinnerungen an damals kamen hoch.
Ryan fühlte, wie ihm die Situation langsam entglitt. Da war es wieder, dieses Bittende, Flehende in ihrer Stimme. Als ob er ein Monster wäre. Irgendetwas in ihm klickte sich aus. Die Wut überflutete ihn. Der Zorn kam ihm gerade recht. Er umarmte ihn wie einen vertrauten, lieben Bekannten und gab der unbändigen Wut nach. Ryan packte Alicia bei den Haaren und drückte ihr mit Gewalt einen Kuss auf den Mund. Wie berauscht sog er ihren Duft ein und umfasste ihren Hintern fest. Mann, tat das gut, sie zu spüren. Und über sie zu bestimmen.
Alicia zog ihr rechtes Knie hoch und rammte es ihm mit voller Wucht in die Eier. Reflexartig schlug er sie. Ins Gesicht. Ohne seine Kraft zu dosieren. Sie stürzte nach hinten. Er verlor vollends die Beherrschung und legte sich auf sie. Er wusste, sie wollte ihn nicht. Aber das war ihm jetzt egal. Er war ihr auch egal gewesen. Sie hatte ihn allein gelassen, als er sie am dringendsten gebraucht hätte. Jetzt würde er sich nehmen, was ihm zustand. Er riss an ihrem Shirt und packte ihre schönen, mit Milch gefüllten Brüste aus.
Mit aller Kraft wehrte Alicia seine Hände ab und wand sich unter ihm, wie eine Schlange, die um ihr Leben kämpft, während der Feind unerbittlich seine Klauen ins Fleisch der Beute gräbt. Ryan verpasste ihr nochmals einen harten Schlag ins Gesicht und öffnete voll Ungeduld seine Jeans. Dann riss er an den Knöpfen ihrer Lederhose. Der Tritt in die Eier hatte weh getan, aber er erholte sich rasch, angesichts ihres Anblicks. Verzweifelt versuchte Alicia von ihm wegzukommen. Er fixierte ungerührt ihre Hände und drängte sich zwischen ihre Beine. Er genoss den Kampf. Das Spiel. Sie war eben ein Wildfang. Stur. Und so schön. Sie würde es am Ende doch genießen. Manche Frauen brauchten einfach ein bisschen Disziplin.
Alicia war benommen. Sie schmeckte Blut im Mund. Ihr Kopf dröhnte. Die Musik wurde plötzlich für einen kurzen Moment lauter. Ihr Ex schien das nicht wahrzunehmen, aber ihr kam der Lufthauch, der sie streifte, wie das Zeichen der Erlösung vor. Zoe stürzte sich von hinten auf Ryan und riss mit einem lauten Schrei an seinen Haaren. Alicia nutzte das Überraschungsmoment und stieß ihren Ex wuchtvoll von sich runter. Er fasste sich schnell. Mit einer fließenden Bewegung wehrte er Zoe ab und setzte einen Schlag in den Bauch hinterher, um sie weg zu stoßen, wie lästiges Ungeziefer, das es wagte, ihn bei seinem Beutezug zu stören. Alicias Sinne waren hellwach. Sie registrierte aus dem Augenwinkel den Locher, der auf ihrem Schreibtisch stand, griff danach, holte aus und schlug Ryan von hinten auf den Kopf. Mit all ihrer Kraft. Ohne auch nur eine einzige Sekunde zu zögern.
Er sackte zu Boden. Blut strömte über sein Gesicht. „Merde!“ Alicia überkam ein beklemmendes Gefühl. Rasch fühlte sie seinen Puls. Er hatte einen harten Schädel. Das wusste sie. „Hol Paul und Michelle“, trug sie Zoe mit zitternder Stimme auf. Zoe nickte mit weit aufgerissenen Augen und verschwand. Fluchend holte Alicia den Verbandskasten und versorgte Ryans Kopfwunde notdürftig mit einem Druckverband. Er war immer noch bewusstlos. Scheiße, scheiße. Angst befiel sie.
Die Tür ging auf. Michelle trat dicht gefolgt von Paul ein. „What the fuck happened…?“, fragte Paul irritiert und blickte auf Alicias offene Hose, das zerrissene Shirt und die Kampfspuren in ihrem Gesicht. Alicia bemerkte seinen fragenden Gesichtsausdruck gar nicht. Michelle sagte nichts. Männer. Es war offensichtlich, was passiert war.
Bemüht darum, die Situation wieder in den Griff zu kriegen, erklärte Alicia: „Das ist mein Ex. Paul, bitte trag ihn gemeinsam mit Michelle ins Auto. Bringt ihn ins Krankenhaus. Ich fürchte, ich habe ihm eine ernste Kopfwunde zugefügt.“ Ihr Blick war verschwommen und in ihrem Kopf hämmerte es. Plötzlich schien die Musik nur noch aus Lärm zu bestehen. Ryan stöhnte und kam langsam wieder zu sich. Alicia atmete erleichtert auf. „Meine Security Leute bringen dich ins Krankenhaus. Keinen Scheiß mehr“, warnte sie ihn drohend. Hoffentlich würde der Schlag ordentlich weh tun. Das hatte er verdient.
Plötzlich stand Kaleb in der Tür. „Was… Alicia?“ Sein Blick fiel auf die geöffnete Hose von dem Mann, der soeben weggeschafft wurde und blieb bei seiner Frau hängen, die aussah, als ob ein Tornado über sie hinweggefegt hätte.
Paul und Michelle schleiften Ryan gerade durch die Hintertür, als Paul jäh mitten im Tun innehielt und abwartend zu Kaleb blickte. Als ob er auf seine Anordnung warten würde. Alicia stöhnte innerlich. Typisch Männer. Sie machte ein Geräusch, dass dem Fauchen einer wütenden Katze glich und winkte ungeduldig mit der Hand: „Ins Krankenhaus mit ihm, worauf wartest du?“ Das hatte ihr noch gefehlt, dass Kaleb ausgerechnet jetzt auftauchte.
Michelle setzte sich augenblicklich wieder in Bewegung und Paul widerstrebend mit ihr. Ryan war immer noch ziemlich benommen und ließ sich ohne Gegenwehr hinausschleifen. Angesichts der vielen Leute hatte er den Kampf ohnehin verloren.
„Was ist hier los?“, fragte Kaleb in gefährlich ruhigem T onfall. Alicia wusste, dass er innerlich auf 180 war. Die Ruhe täuschte über den Sturm hinweg, der in seinem Inneren tobte. Sie seufzte und holte tief Luft: „Mein Ex. Ich habe ihm mit dem Locher auf den Schädel geschlagen… Was machst du hier? Und wer ist bei Ava?“
„Olivia.“ Kalebs Antwort klang eher nach einem Knurren, als nach einem menschlichen Laut. Verwundert strich Alicia sich eine Locke aus dem Gesicht und seufzte. Warum war die Freundin ihres Vaters bei Ava und nicht ihr Mann? Sie hatte keinen Bock auf weitere Erklärungen. Kaleb starrte seine Frau immer noch verständnislos an und wartete darauf, dass sie ihm die Situation näher ausführte.
„Tout va bien“, versuchte Alicia ihren Mann zu beruhigen. Angesichts ihres Zustands klang der Satz wie ein schlechter Scherz, aber Alicia sah ihr Spiegelbild nicht. Erst jetzt bemerkte sie, dass eine ihrer Brüste kaum mit Stoff bedeckt war und versuchte, das rasch zu ändern.
„Du sorgst dich um dieses Arschloch?“, fragte Kaleb fassungslos. Er konnte seine Wut nur mehr mühsam unterdrücken. Alicia atmete aus. So würde sie es nicht formulieren. Sie dachte dabei eher an sich selbst. Sie war nicht gerade scharf auf eine Gefängnisstrafe. „Ich will nicht, dass er draufgeht… “, antwortete sie gepresst und brach mitten im Satz ab. Ihre Nase hatte zu bluten begonnen. Na super. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Alicia fluchte laut, ging zum Waschbecken und nahm ein Papierhandtuch, um das But aufzufangen. Ihr Gesicht glühte und schmerzte, ihre Schulter ebenso. Sie hatte gedacht, sie hätte diesen Scheiß hinter sich gelassen. Verdammt. Warum konnte dieser Wixer sie nicht in Ruhe lassen?
Zoe berührte Alicia sanft und fragte fürsorglich: „Soll ich dir ein frisches Shirt besorgen?“ Alicia nickte dankbar. Es wäre besser, wenn sie und ihr Mann ein paar Minuten unter sich wären. Kaleb blickte kurz zu Zoe und bemerkte erst jetzt, dass sie ebenfalls etwas abbekommen hatte. Zoe waren Kalebs Blicke unangenehm. Eilends verließ sie das Büro.
„Was war hier los?“, fragte Kaleb erneut. Diesmal gelang es ihm nicht, seine Wut und Anklage zu verbergen. Alicia setzte sich auf einen Stuhl, ehe sie langsam antwortete: „Mein Ex. Ich weiß nicht, was in seinem Hirn vorgegangen ist. Zoe wollte nach mir sehen und hat ihn von mir runtergerissen.“
„Die Show…“, antwortete Kaleb wie aus der Pistole geschossen. Jetzt reichte es Alicia endgültig. Er wagte es, ihr die Schuld an diesem Vorfall zu geben? „Du entschuldigst die Gewalt eines Mannes damit, dass ihn vorher eine Szene geil gemacht hat?“, fragte sie ungläubig. Ihre Stimme bebte. Sie war den Tränen nahe. Sollte er sie nicht eigentlich trösten und sich um sie kümmern? Stattdessen schien er eifersüchtig zu sein. Alicia begann am ganzen Körper zu zittern. Jetzt erst ließ der Stress nach. Dafür hatte sie jede Menge neuen. Fantastisch. Genau so hatte sie sich den Abend vorgestellt. Ihr war nur mehr danach, heiß zu duschen, um dann die Augen zu schließen, die Füße anzuziehen und in eine Decke gekuschelt einzuschlafen. Um endlich von diesem beschissenen Albtraum aufzuwachen.
Kaleb schwieg ein paar Sekunden. Die Stille wog schwer. Schließlich ordnete er an: „Ich bring dich heim.“ Just in dem Moment erschien Zoe mit einem frischen, schwarzen Shirt und Anthony im Schlepptau. „Was… war denn hier los?“, fragte ihr Onkel besorgt.
„Ihr Ex hat sie besucht“, antwortete Kaleb mit beißend ironischem Unterton. Rasch zog Alicia das neue Shirt über. Sie wollte nicht vor noch mehr Blicken entblößt sein. „Sie hat ihn ins Krankenhaus bringen lassen, weil sie sich Sorgen um ihn macht“, fügte Kaleb sarkastisch hinzu. Alicia nickte Anthony bloß zu und entgegnete völlig entnervt: „Er hat ziemlich stark geblutet und war eine Weile bewusstlos. Ich wollte ihn nur von mir runterkriegen… Ich bin keine Killerin.“
Kaleb schwieg. Er hatte die Anklage durchaus gehört. „Das wird dann heute wohl nichts mit einem coolen Abend…“, meinte Anthony bedauernd und blickte irritiert auf Alicias Hose. Obwohl der Abend natürlich absolut nebensächlich war. Er und Isabell waren gekommen, um mit seiner Nichte im Club abzufeiern. Seit Alicia eine Tochter hatte, waren events dieser Art rar geworden. Anthony mochte Alicia sehr. Sie war für ihn so etwas wie eine Schwester. Obwohl sie sich erst seit etwa drei Jahren kannten, war ihr Verhältnis eng und herzlich. „Brauchst du irgendetwas?“, fragte er ein wenig hilflos.
Alicia knöpfte ihre Hose zu und schüttelte den Kopf. Kaleb war unfähig, vernünftig zu reagieren. Eigentlich sollte diese Frage von ihm kommen. Das wusste er. Aber er war scheiß-wütend und erschrocken zugleich. Es fühlte sich an, als ob er ein Brett vor dem Kopf hätte. Er hatte keinen blassen Dunst, was hier gelaufen war. Warum half sie ihrem Ex, wenn er doch offensichtlich ein Riesenarschloch war, ein rapist.
Zur Überraschung aller verkündete Alicia trotzig: „Ich bleib noch auf ein Getränk.“ Sie hatte sich erfolgreich gewehrt und würde es nicht zulassen, dass Ryan oder Kaleb über ihren Abend bestimmten. Ihr Gesicht begann anzuschwellen und sich blau zu verfärben. Das Nasenbluten hatte zum Glück wieder aufgehört. Eigentlich war ihr danach, auf der Stelle heimzufahren, aber aufgrund Kalebs Befehlston beschloss sie, zu bleiben. Was hatte er überhaupt hier zu suchen? Wollte er sie etwa kontrollieren? Das hasste sie. Es war doch ausgemacht gewesen, dass er bei Ava blieb. Bei Olivia war ihre Tochter auch in guten Händen, aber darum ging es nicht. Alicia rauschte an Kaleb vorbei. Sie würdigte ihn keines Blicks und achtete peinlich darauf, ihn nicht zu berühren. Von Weitem war Isabells blonde Mähne zu sehen. Langsam stieg Alicia die Stufen zum zweiten Floor hoch. Jeder Knochen schien ihr weh zu tun. Sie war erschöpft. In ihrem Kopf drehte sich ein Karussell, viel zu schnell. Ihr war schlecht. Ihre Gedanken wirbelten. Sie wollte sie jetzt nicht sortieren. Ryan war ein Problem. Sie würde morgen darüber nachdenken. Und jetzt hatte sie auch noch Stress mit Kaleb. Das war alles zu viel. Alicia wischte rasch eine Träne weg, die ungewollt über ihre Wange kullerte. Sie würde jetzt sicher nicht weinen.
Ohne es bewusst zu steuern, schweiften Kalebs Augen im Raum hin und her. Er nahm jede Einzelheit in sich auf. Als ob er die Kampfspuren speichern wollte, um zu prüfen, ob sie zu Alicias story passten. Das war nicht gerade klug, aber er konnte nicht anders. Irgendetwas verschwieg sie ihm. Kaleb blickte Anthony in die Augen und hob fragend eine Braue. Er verstand nicht, was Alicias eigenartige Reaktion jetzt wieder sollte. Sie sah aus, als könnte sie eine Ärztin vertragen. Und stattdessen wollte sie party machen? War es ihr egal, dass ihr Ex sie gerade eben bedrängt hatte? Würde nicht jede andere Frau weinend Schutz bei ihrem Mann suchen?
Anthony zuckte mit den Achseln. Er beschloss, lieber keine Fragen zu stellen. Alicia sah nicht gut aus. Das war kein harmloser Streit gewesen. „Hast du etwas von ihrem Ex gewusst?“, fragte Kaleb seinen Freund argwöhnisch. Anthony schüttelte energisch den Kopf. Zoe, die Anstalten gemacht hatte, aufzuräumen, beeilte sich, den Raum zu verlassen, bevor das Ganze noch ungemütlicher wurde.
Zu spät. Kaleb stellte sich ihr flink in den Weg. „Zoe…?“, fragte er drohend. Sie legte den Kopf schief und blickte weg, als er sie direkt fixierte. Kaleb ärgerte sich. Das war ja klar gewesen. Was hatte er anderes von Zoe erwartet. Sie würde immer zu Alicia halten. Selbst wenn sie sie dabei ins Verderben stürzte.
Zoe machte einen Abgang, ohne zu antworten. Das würde wieder Spannungen zwischen sie und ihren Freund Lois bringen, das wusste sie jetzt schon. Lois war seit vielen Jahren mit Kaleb befreundet. Und bei Kaleb war sie jetzt wohl endgültig untendurch. Sie fühlte sich ihrer Freundin verpflichtet. Es war Alicias Sache, ihrem Mann von ihrem Ex zu erzählen oder eben auch nicht.
„Hi!“ Alicia begrüßte Isabell matt, die sie mit weit aufgerissenen, blauen Augen anstarrte. „What the fuck happend?“, fragte Isabell entsetzt.
„Mein Ex…“ Langsam war Alicia es müde, immer wieder die gleiche Antwort zum Besten zu geben. Sie winkte eine ihrer Angestellten zu sich und bestellte eine Runde Bier. Schweigend standen sie an den Stehtisch gelehnt. Zum Glück war da noch die laute Musik, die die unangenehme Stille füllte. Zoe und das Bier trafen zugleich ein. Alicia stellte ein paar volle Flaschen auf den Tisch, nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Budweiser und kühlte dann ihre Wange. Erst jetzt fiel ihr Zoes verängstigter Gesichtsausdruck auf. „Are you ok?“, erkundigte sich Alicia besorgt. Zoe nickte und meinte bedrückt: „Das wird Ärger geben.“
Alicia stöhnte: „So eine Scheiße…“ Sie blickte zu Kaleb, der gerade gemeinsam mit Anthony auf sie zukam. Sein Gesicht war regungslos, eine Maske. Diesen Ausdruck kannte Alicia nur zu gut. Sie atmete aus und wappnete sich für den nächsten Streit. Kaleb stellte sich wortlos neben seine Frau, griff nach einer Bierflasche und nahm einen großen Zug. Anthony schnappte sich ebenfalls eine bottle. „Was war denn eigentlich los…?“, fragte Isabell zum wiederholten Mal verständnislos. Der Abend war gelaufen, so wie alle dreinschauten.
„Das erzähle ich ein andermal…“, antwortete Alicia erschöpft. „Ich habe mich so auf diesen Abend gefreut…“ Sie seufzte laut und schüttelte den Kopf. Ihr war die Lust am Feiern gründlich vergangen. Alicia berührte Kaleb leicht am Arm. Für Augenkontakt war sie noch viel zu wütend auf ihn und seine dummen Fragen. „Let‘s go home“, brachte sie niedergeschlagen hervor. Kaleb hob wieder eine Augenbraue. So wankelmütig kannte er seine Frau gar nicht. Alicia verabschiedete sich von der kleinen Runde mit einem halbherzigen Winken und drehte Kaleb den Rücken zu. Ihr Kopf tat weh und das kam nicht nur von dem Kampf. Kaleb nickte den anderen zu, zuckte hilflos mit den Schultern und folgte seiner Frau zum Auto.
Schweigend setzte Kaleb sich ans Steuer des Ford Pickups. Alicia ließ sich in den Beifahrersitz sinken und atmete langsam aus. Die Spannung zwischen ihnen hatte etwas an Hitze verloren, dafür wog sie umso schwerer.
Kaleb wollte nicht schon wieder die gleiche Frage wiederholen. Heute würde er ohnehin nichts mehr aus ihr rausbekommen. Außerdem sah sie ziemlich mitgenommen aus. Er griff besorgt nach ihrer Hand. Sie entzog sie ihm. Er atmete geräuschvoll aus und trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad, während sie in lautem Schweigen nachhause fuhren.
Alicias Handy vibrierte. Sie blickte aufs Display. „Alles ok, dieses Schwein hat nur eine Platzwunde, wird gerade mit ein paar Stichen genäht“, hatte Michelle, ihre Leibwächterin, getextet. „Merci!“, schrieb Alicia zurück und atmete tief aus. Auf Michelle war immer Verlass. Eine Sorge weniger. Zumindest für den Moment. Sie blickte in die tiefschwarze Nacht hinaus, die mit den blinkenden Lichtern der Stadt zu tanzen schien. Irgendwie verschwamm alles ineinander. Diese Technik hatte sie bereits als Kind gelernt. Sich selbst wegbeamen. In Trance versetzen, wenn alles untragbar wurde. Mit offenen Augen nicht anwesend sein. Den Geist, die wispernden Stimmen, die bloß Unangenehmes zu verkünden hatten, auf lautlos schalten, während die Augen blind funktionierten.
Leise sperrte Kaleb die Haustür auf. Alicia verschwand sofort im Bad. Sie hatte keine Kraft mehr, jetzt auch noch mit Olivia smalltalk zu führen. Das übernahm zum Glück ihr Mann.
„Hi, back again already?“, fragte Olivia erstaunt. „Alicia had some trouble…“, antwortete Kaleb vage. „Thanks for babysitting…“
„You are welcome… Sie hat bis jetzt keinen Mucks gemacht…“, gab Olivia freundlich zurück und verließ etwas irritiert das Haus.
Kaleb atmete zum wiederholten Mal tief aus und wusch sein Gesicht mit eiskaltem Wasser. Vielleicht würde ihn das davor bewahren, den Kopf zu verlieren. Vom Training wusste er, wie bedeutend die Atmung für den Geist war.
Alicia duschte heiß und kurz. Als Kaleb mit Eiswürfeln ins Bad kam, lehnte sie stur ab und ging ohne ein weiteres Wort sofort ins Bett. Sie wusste, es war nicht fair, ihren Ärger an ihm auszulassen, zumal der eigentliche Scheiß von ihrem Ex kam. Aber sie konnte momentan nicht anders, als Kaleb abzuweisen. Er hatte sie für den Vorfall verantwortlich gemacht, seiner Eifersucht Raum gegeben, anstatt sich um sie zu kümmern. Sie war nicht sein Besitz. Diese Art von Denken war ihr schon öfter bei Kaleb aufgefallen. Und das gefiel ihr nicht. Außerdem hatte sie Angst vor dieser kalten Maske, dem Killer in ihm, der kompromisslos Leben auslöschte. Sie hielt inne.
Das war ungerecht. Er war nicht gefühllos. Natürlich war es bequem, sich diese Art von moralischer Überlegenheit zu erlauben. Was wäre passiert, wenn er diese Leute in ihrer Küche damals nicht getötet hätte? Sie fluchte. Er bemühte sich wirklich, den Sumpf der Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Alicia stoppte ihre düsteren Gedanken, als sie bemerkte, wie friedlich Ava auf ihrer Bettseite schlief. Es war schön, sich an ihr Baby zu kuscheln und die Harmonie zu genießen, die ihre Tochter ausstrahlte. Kaum lag Alicia neben Ava, erwachte diese. Als ob sie die Anwesenheit ihrer Mom im Schlaf gespürt hätte. Hatten die Kleinen so etwas wie einen sechsten Sinn? Alicia nahm ihr Baby hoch und legte es an ihren Busen. Es beruhigte sie, ihren kleinen Schatz in Händen zu halten und den Sauggeräuschen zu lauschen. Ava rückte die wichtigen Dinge wieder ins Licht.
Kaleb kam eine Stunde später ins Bett. Alicia schlief schon. Er war noch eine Runde Laufen gewesen, in der Hoffnung etwas von seiner Anspannung abzubauen. Leider hatte der Plan nicht wirklich funktioniert. Wieso wusste er nichts von ihrem Ex? Und was war da noch zwischen seiner Frau und dem Typen? Und was war am heutigen Abend gelaufen? Wie sollte er für ihre Sicherheit sorgen, wenn sie ihm immer wieder Dinge verschwieg? Er wälzte sich im Bett hin und her und starrte an die Decke. Irgendwann fiel er schließlich doch in einen unruhigen Schlaf.