Die Sinnlosigkeit von Kriegen zeigt sich am deutlichsten in ihren Hinterlassenschaften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Grabendolche

2. Auflage, 2017

ISBN: 978-3-8482-4081-4

© 2011 by Wolfgang Peter-Michel

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

Inhalt

Abb. 1: Deutscher Offizier im Wintermantel, ausgestattet mit Feldstecher, Pistole, Kartentasche und Grabendolch.

Vorwort

Vorab möchte ich mich für den großen Erfolg der ersten Auflage meines Buches „Grabendolche“ bei allen meinen Lesern ganz herzlich bedanken. Seit seiner Drucklegung im Jahr 2011 haben mich viele Zuschriften erreicht, die wiederum zu Kontakten mit Sammlern auf der ganzen Welt führten. Schon bald wurden mir die ersten Stücke für eine mögliche zweite Auflage angeboten oder empfohlen. Über die Jahre konnte ich auf diese Weise eine umfangreiche Sammlung an Fotos, Quellen und Adressen anlegen, die den Schritt zu einer erweiterten Neuauflage meines Erfolgswerks immer logischer und auch notwendig erscheinen ließen.

Ausschlaggebend war für mich letztendlich der Kontakt zu dem Sammler Achim Erdmann, dem ich eine Vielzahl der in diesem Buch abgebildeten Fotos verdanke und der mir mit unermüdlichem Eifer und echter Hilfsbereitschaft bei der Arbeit zur Seite stand. Ohne ihn wäre das vorliegende Buch nicht möglich gewesen.

Ebenso hat Holger Austinat mit sehr vielen Fotos – besonders von deutschen Grabendolchen – zu diesem Werk beigetragen. Nochmals herzlichen Dank dafür!

Auch allen anderen Mitwirkenden sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Nicht zuletzt natürlich meiner Familie, die aufgrund meiner Arbeit an diesem Buch oft genug auf mich verzichten musste. Meine Frau hat das Manuskript einer Endkorrektur unterzogen und damit entscheidend zur Qualität des resultierenden Werkes beigetragen – auch dafür großen Dank!

Wolfgang Peter-Michel

Overath, den 15. Juni 2017

Abb. 2: Im Grabenkrieg angekommen: Die beiden Soldaten verdeutlichen ungewollt den Paradigmenwechsel in der modernen Kriegsführung. Während der rechte Soldat noch das Gewehr mit aufgepflanztem Seitengewehr in der Hand hält, führt sein Kamerad bereits ein Scharfschützengewehr, um den Feind im gegenüberliegenden Schützengraben wirkungsvoll zu bekämpfen.

Einleitung

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galten Kampfmesser in den Armeen der westlichen Hemisphäre nicht mehr als notwendige Ausrüstung der Soldaten. Sollte tatsächlich einmal eine Blankwaffe vonnöten sein, so konnten sie ihr Bajonett einsetzen – dies am Besten auf das Gewehr aufgepflanzt, um eine möglichst große Reichweite zu haben. Ein solcher Kampf erschien jedoch immer unwahrscheinlicher, hatten sich doch Artillerie wie auch Handfeuerwaffen zu einer derartigen Präzision entwickelt, dass dem Kampf auf große Entfernungen die Zukunft zu gehören schien. Entsprechend waren bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs alle beteiligten Nationen überzeugt, dass der Konflikt innerhalb weniger Monate beendet sein würde.

Zunächst versuchten die Generale auch, die Kampfkraft ihrer modernen Waffen zielgerichtet einzusetzen und dem Feind mit den Manövern des klassischen Bewegungskrieges beizukommen. Der rasche deutsche Vormarsch durch die Benelux-Staaten und Nordfrankreich schien die Wirksamkeit dieser Taktik zunächst zu bestätigen, wenn auch mit schrecklichen Verlusten bei allen Beteiligten. Denn Sturmangriffe über offenes Gelände waren eine menschenverachtende Taktik im Feuer von Maschinengewehren und moderner Artillerie. Entsprechend kam der deutsche Vormarsch auch vor Paris zum Erliegen. Die Folge: Die Soldaten griffen zum Schanzzeug und gruben sich ein. Dies zunächst in behelfsmäßigen Stellungen, die sie aber schon bald mit unterirdischen Bauwerken aus Holz, Stahl und Beton verstärkten.

Kampf auf engstem Raum: Grabenkrieg

Daraus entwickelte sich schon im ersten Kriegsjahr eine völlig neue Form des bewaffneten Konflikts – der Grabenkrieg. Bald verlief diese Kampfweise nach einer immer gleichen und für die darin verwickelten Soldaten nicht nur frustrierenden, sondern oft auch tödlichen Choreografie: Manche Linie bestand über Monate hinweg, ohne dass eine Partei auch nur einen Meter des bald blutgetränkten Bodens gutmachen konnte. Dann forderten tagelanger Artilleriebeschuss und immer neue Sturmangriffe schließlich ihren Tribut und die vorderste Linie fiel. Sofort rüsteten die Eroberer die Gräben zu ihren Zwecken um, wendeten erbeutete Geschütze und Maschinengewehre in Richtung des flüchtenden Feindes, um so großen Schaden wie möglich anzurichten. Die Überlebenden fanden jedoch Zuflucht in der zweiten Linie, die meist nicht weit hinter der vorderen angesiedelt war. Hielt sie dem Ansturm des Feindes stand, so konnten die Verteidiger von dort die Rückeroberung der soeben verlorenen Stellung in Angriff nehmen. Dieser Wechsel konnte innerhalb weniger Tage mehrfach erfolgen – eine ebenso ermüdende wie auch verlustreiche Erfahrung für alle Beteiligten. In der Enge der Schützengräben zeigte sich bald, dass die Bewaffnung der einzelnen Soldaten für den Kampf an diesem Ort mehr als ungeeignet war. Die langen Gewehre erlaubten zwar einen hinreichend gezielten Schuss auf 800 bis 1000 Meter, waren jedoch im Nahkampf in den stellenweise weniger als einen Meter breiten Gräben oft nahezu unwirksam. War der Gegner bereits in den eigenen Graben eingedrungen, so reichte der Platz meist für beide Parteien nicht aus, um mit dem Gewehr aufeinander zu schießen. Auch konnte die starke Gewehrmunition einen Körper nur zu leicht durchschlagen und den möglicherweise dahinter stehenden Soldaten der eigenen Seite verletzen oder gar töten. Mit aufgepflanztem Bajonett war die Waffe erst recht unbrauchbar, denn sie musste sich im Kampf fast unweigerlich mit Schaft oder Klinge in einem Drahtverhau oder der Wand des Schützengrabens verfangen. Die bis dahin zum Ausbildungsreglement aller Armeen gehörenden Techniken des Bajonettkampfes waren auf keinen Fall anwendbar. Auch erlaubte der an den Gewehren aller Armeen verwendete Zylinderverschluss keine hinreichende Feuergeschwindigkeit, um im Gewimmel des Grabenkampfes auch mehrere Angreifer schnell hintereinander bekämpfen zu können.

Abb. 3: Britische Soldaten in einer Kampfpause. Der Grabenkrieg erforderte Geduld und permanente Wachsamkeit.

Abb. 4: Ein deutscher Offizier gibt im Schützengraben Anweisungen an die Truppe. Neben ihm lehnt ein erbeutetes französisches Lebel-Gewehr am Grabenrand.

Das Messer setzt sich durch

Hatte ein feindlicher Soldat erst einmal das Gewehr unterlaufen, so entschieden die besseren Nahkampfwaffen und -techniken. Eine Pistole trugen meist nur die Offiziere und oft lediglich eine kleine Selbstladepistole im Kaliber 6,35 oder 7,65 Browning – mit viel zu geringer Mannstoppwirkung, um in der Hitze des Gefechts einen Gegner zuverlässig kampfunfähig zu machen. Die einfachen Soldaten begannen aus diesem Grund schon in den ersten Kriegsmonaten, sich mit selbst gefertigten Keulen, Schlagringen und Messern zu bewaffnen. Als Konsequenz sahen manche Unterstände in den vorderen Gräben wie wahrhafte Räuberhöhlen aus. Viele Soldaten, die ihr privates Jagd- oder Fahrtenmesser mit ins Feld genommen hatten, stellten nun fest, dass es als Waffe oft dienlicher war als ihr Gewehr. Wer noch keines besaß, brachte vom ersten Heimaturlaub eines mit, oftmals extra für diesen Zweck gekauft, oder erhielt es von seinen Eltern oder der Liebsten zum Geschenk. Dies wiederum machte sich in den Auftragsbüchern der heimischen Schneidwarenindustrie bemerkbar, sei es in Solingen, Sheffield oder Thiers. Entsprechend nahmen geschäftstüchtige Firmen flugs neue Modelle in ihr Programm auf, mit denen sie den Bedarf an der Front decken konnten.

Abb. 5: Etappenleben: Deutsche Soldaten erholen sich in einer Baracke hinter der Front. Ihre von zu Hause mitgebrachten Jagdnicker hängen hinter ihnen an der Wand.

Abb. 6: Französischer Soldat mit Grabendolch.

Wo dies nicht der Fall war, konnten sich neu gegründete Firmen am Markt etablieren, wenn sie die Erwartungen der Soldaten besser erfüllen konnten. Bald entwickelten sich, inspiriert von den Berichten über immer blutigere und erbarmungslosere Kämpfe, aus den althergebrachten Messern regelrechte Kampfwaffen, denen nur eine Funktion zugedacht war: Den Gegner zu töten.

In manchen Armeen erwachten nun die Oberkommandierenden aus ihren Träumen von klassischen Feldzügen und erkannten den Bedarf an archaischen Formen der Infanteriebewaffnung. Solche Offiziere ließen nun eilends Messer in größeren Mengen anschaffen und an die Frontsoldaten verteilen. Damit konnten sie jedoch nur einen kleinen Teil des millionenfachen Bedarfs befriedigen. Dies lag nur zum Teil an ihrer fortgesetzten Unfähigkeit, die Realität des modernen Krieges zu erkennen. Oft bestand das Problem ganz einfach darin, dass in den jeweiligen Ländern nicht genügend geeignete Messer hergestellt wurden. Somit entstand nun auch von offizieller Seite eine Nachfrage an Kampfmessern.

Abb. 7: Erinnerungsfoto: Deutscher Stoßtrupp 1917 – Die wichtigste Waffe ist die Handgranate. Der Soldat ganz rechts führt auch einen Grabendolch am Koppel.

Stoßtrupps

Schon nach dem ersten Kriegsjahr entwickelten innovative Kräfte in allen am Stellungskrieg beteiligten Armeen ein neuartiges Konzept zum Angriff auf feindliche Schützengräben: Nach der Artillerievorbereitung näherten sich heimlich kleine Stoßtrupps den feindlichen Gräben. In schnellen Operationen sprengten sie Drahtverhaue und andere Hindernisse, schalteten Maschinengewehrnester aus und eroberten vorgeschobene Posten und isolierte Schützengräben. Mit dieser Vorbereitung verlief der nachfolgende Sturmangriff der regulären Truppen meist mit erheblich geringeren Verlusten und der Erfolg der Operation war wahrscheinlicher. Die auf deutscher Seite „Stoßtrupps“ genannten Einheiten hießen bei den Franzosen „Nettoyeurs des Tranchées“ und bei den Briten „Trench Raiders“. Besonders die deutsche Seite setzte darauf, die Kampfverfahren der Infanterie in dieser Form weiterzuentwickeln. Großbritannien und Frankreich bauten eher auf die neuen Kampfwagen („Tanks“) und versuchten somit, durch eine weitere Technisierung vom Graben- zurück in den Bewegungskrieg zu gelangen. Dennoch konnte sich keine Kriegspartei dieser neuen Kampftechnik verschließen. Da bei den Stoßtrupps das Hauptaugenmerk auf dem Nahkampf lag, führten viele dieser Kämpfer keine Gewehre mehr, sondern höchstens einen Karabiner oder besser noch eine großkalibrige Pistole. Auf deutscher Seite war die lange Pistole 08 mit Trommelmagazin und Anschlagschaft sehr beliebt, leider jedoch aufgrund der aufwendigen Fertigung nicht auch nur annähernd in ausreichenden Stückzahlen vorhanden. Aus dieser Mangelsituation heraus erschienen erst im letzten Kriegsjahr die ersten vollautomatischen Maschinen- und Sturmpistolen in den Schützengräben. Für die Aufgabe sicherlich das richtige „Werkzeug“, aber dennoch zu spät, um noch entscheidenden Einfluss auf das Kriegsgeschehen zu haben. Es war vielmehr die Handgranate, die ab etwa 1915 zur wichtigsten Infanteriewaffe wurde. War sie zuvor ein selten angewendetes Mittel von Spezialkräften gewesen, so entwickelten alle Staaten bald neue Modelle und ließen Millionen davon fertigen. Auch Flammenwerfer, Mörser und andere technische Hilfsmittel wurden für den Grabenkampf erdacht und eingeführt. Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu wie die Ironie des Schicksals, dass die immer stärkere Technisierung des Krieges zur Wiedergeburt ausgerechnet einer der ältesten Waffen der Menschheit führte – des Messers.

Abb. 8: Makabres Stillleben: In diesem Graben liegen britische Mills-Granaten neben einer deutschen Stielhandgranate – welche Seite diese Stellung gerade hält, ist aus dem Bild nicht zu ersehen.

Abb. 9: Hier schlug die Stunde des Einzelkämpfers: Deutscher Stoßtrupp auf dem Weg zu den feindlichen Linien.

Abb. 10: Das Antlitz des modernen Krieges: Ein deutscher Soldat posiert mit Gasmaske, Handgranate und Leuchtpistole.

Abb. 11: Deutscher Soldat mit einem Beispiel für die als „dolchartige Messer“ ausgegebenen Blankwaffen. Da das Bild privaten Zwecken diente, beweist es, dass die Besitzer ihre Messer mit Stolz zur Schau stellten. Immerhin ist es der einzige Ausrüstungsgegenstand, den der Soldat auf seinem Foto verewigt wissen wollte.

Deutsches Kaiserreich

Bereits im Frühjahr 1915 erkannte das deutsche Oberkommando den Bedarf an feststehenden Messern in der Truppe. Am 8. Mai beschloss das preußische Kriegsministerium deshalb, dass fortan jede Infanteriekompanie des Westheeres mit sechs „dolchartigen Messern“ auszurüsten sei. Entsprechend bestellte die Behörde noch im Mai 54.000 Messer zur militärischen Verwendung. Diese Mengen konnten den enormen Bedarf natürlich in keiner Weise decken. Der Großteil der Soldaten war also weiterhin darauf angewiesen, sich entweder selbst ein solches Messer zu kaufen, oder aber es aus verfügbarem Material selbst herzustellen. Dem Erfindungsreichtum der Mannschaften war dabei keine Grenze gesetzt. So verwendeten sie defekte deutsche oder erbeutete feindliche Bajonette zu zum Teil sehr gekonnten Umbauten. Auch aus Schrottteilen oder auch Granatsplittern entstanden martialische Blankwaffen.