Copyright Text © Marcus Caracalla 2015

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright Coverbild © Peter-Paul Rubens, Saturn verschlingt seinen Sohn 1636, Wikicommons, Luis Fernández García 2015, public domain

ISBN 978-3-7392-6133-1

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Books on Demand GmbH Norderstedt

Inhalt

Ein Gott stirbt

Obschon Nacht, waren die Fenster des Schlafraums noch mit schweren Vorhängen verhüllt. Kerzen verströmten unstetes Licht. Im Zittern der Flämmchen tanzten lange und kurze Schatten um ein riesenhaftes Bett. Sulla hatte darin geschlafen, Marius geliebt, Caesar geträumt. Nun starb Augustus auf seinen weichen Kissen.

Gestalten wie Pilger aus einer anderen Welt kamen und gingen. Huldigten. Schmeichelten. Sprachen Worte, Sätze. Sinnreiche, doch gleichsam nutzlose grammatikalische Konstruktionen. Argwöhnisch sich umsehend, flüsterten sie in taube Ohren. Segen oder Fluch von ihrem sterbenden Gott erflehend. Erhöhe mich, erniedrige meine Feinde. Ihre Hände bewegten sich. Wild und bedächtig. Zeichneten Wünsche und Befürchtungen. Rangen mit unsichtbaren Gegnern. Bewegten Berge oder errichteten Gebäude. Große Gesten wurden erfunden und sehr kleine, diskrete. Die Schatten verneigten sich davor.

Andere Menschen kamen. Sie gingen langsamer als die Schar der Anbetenden. Leise traten ihre Sohlen die Fliesen. Schleichende Katzen. Sie flüsterten miteinander. Für den Siechen hatten sie kaum einen Blick übrig. Sie sprachen über den Prozess seines Verendens. Sie bezeichneten Phasen und benannten Stunden. Das Wort Krisis nährte ihre Sorge. Sie schüttelten die bärtigen Häupter. Wischten sich die furche Stirn.

Eine Krisis ereignete sich am Patienten. Die Krisis. Das Erwartete trat ein. Zu seiner Stunde. Ganz pünktlich. Die zufriedenen Ärzte fühlten sich zur Tat genötigt. Ihre Hände bewegten sich. Sachlich, ohne Pathos. Sie verrichteten ein alltägliches Geschäft. Flößten Tränke ein. Tupften Schweiß ab. Veranlassten, was immer nötig oder nützlich schien, das verrinnende Leben in seinem brüchigen Gefäß zurückzuhalten.

Ihre Berührung demütigte ihn.

Er rächte sich. Verpestete die Luft, die sie in seiner Nähe atmen mussten. Vor Stunden schon war sein Durchfall zu stinkendem Wasser geworden, das nun reichlich aus ihm quoll.

Mein Leib gleicht dem Krug der Danaiden, scherzte er. Oben füllt man ein, unten läuft es heraus. Doch niemand vermochte die erbrochene Stimme des Kaisers noch zu verstehen, sein Krächzen zu enträtseln. Sie sahen ihn verständnislos an. Schüttelten die Häupter. Sprachen von Phasen und Stunden. Das Wort Krisis hing wie die Klinge des Damokles über ihm.

Der Gestank in dem wenig geräumigen Gelass wurde immer drückender. Die Bittsteller blieben nun ganz aus. Nur Ärzte und Diener waren noch anwesend. Der Ekel bleichte ihre Gesichter. Manch einer übergab sich. Andere lehnten an den Wänden, kämpften mit Schwindel und Brechreiz. Wer konnte, floh. Es roch nach faulem Fisch, der letzten Mahlzeit des Kaisers.

Augustus hob die beringte Hand. Knöchern, sehnig, fremd wirkte sie. Schwach auch. Zitternd. War es seine Hand? Er zweifelte. Dieses dürre, bebende Etwas mit seinen fünf spinnenbeinigen Ausläufern sollte zu ihm gehören? Er schloss und öffnete den Griff um ein Nichts. Langsam. Glied nach Glied. Sorgsam beobachtend, betrachtend, bemusternd die fremdartige Bewegung.

Oh, seufzte er. Oh. Das ist meine...

Er musste eingestehen, dieses kraftlose Instrument gehörte wirklich zu ihm und es vermochte sein Leben kaum noch festzuhalten.

Meine Hand... Es ist meine..., murmelte er in der unverständlichen Sprache der Kranken, die Wispern und Stöhnen ist.

Fast verzweifelt zählte er die Finger. Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger. Fünf Finger. Er schloss die Augen, ließ einige Atemzüge verstreichen, bezwang seine Erregung, seine Angst. Entleerte sich mit qualvoller Lust. Zählte dann wieder. Eins, zwei... Ja, es waren fünf. Das Ergebnis schaffte ihm grundlose Befriedigung. Fünf. Wenigstens stimmte die Zahl. Seiner Ordnungsliebe, seiner Strenge, seiner Selbstzucht war Genüge getan. Fünf Finger an der Hand eines Menschen, so sollte es sein. In bestimmter Reihenfolge und Form aus dem Handknochen wachsend, ja, so war es richtig.

Meine Hand, stellte er versöhnt fest. Meine Hand!

Er sprach zu zwei Titanen, deren Gesichter gleichgültig über ihm schwebten.

Was sagt er nur? fragte einer der Riesen.

Wer kann es wissen! Mag sein, er redet schon mit den Bewohnern des Unten, antwortete der andere.

Augustus ließ sie sinken, diese Hand, die ihm schwer wurde. Sank selbst ihr nach in Betrachtungen, Erinnerungen.

Diese Hand hatte Antonius und Kleopatras Flotte vor Actium besiegt. Hatte den mörderischen Bürgerkrieg, der drohte, das Reich zu zerreißen, beendet. Hatte dem römischen Volk Ruhe und Frieden zurückgegeben. Sie hatte seine Stirn mit dem Lorbeer des Triumphs bekränzt. Und sie hatte in jener bangen Stunde, in der Rom ein zweites Mal geboren wurde, im Senat die von ihm selbst verfasste Ernennungsurkunde zum Diktator auf Lebenszeit gehalten.

Hatte sie liebkost, gestreichelt, diese Hand? War sie je zärtlich gewesen, sanft? Hatte sie Schutz und Trost gespendet? Nein. Nicht liebkost und gestreichelt, sondern geschlagen und gezüchtigt hatte sie. Die Feinde, die Freunde, und die einzige Tochter, Iulia, die ihm beides war.

Iulia, keuchte er mit weit aufgerissenen Augen.

Sein Gewissen plagt ihn, stellte ein Mund fest.

Nein, er plagt sein Gewissen, widersprach ein anderer.

Es war eine starke und fürchterliche Hand gewesen. Gewesen. Ja, gewesen.

Er lachte bitter.

Diese Hand, dachte er, hat über tausend Völker geboten. Nun hängt sie ganz nutzlos an mir. Ich besaß die Macht eines Gottes. Nun scheiße ich mich sehr ungöttlich zu Tode.

Wie auf Befehl rumorte es in ihm. Schmerzhaft krampften sich seine Därme zusammen. Er streckte die Zunge heraus. Sie war war trocken und brannte. Ein Sklave benetzte sie mit einigen Tropfen gemischten Weins, den er aus einem Schwamm presste.

Nichts, nichts, schloss Augustus. Er zog die Bilanz seines Wirkens. Wieder und wieder. Er betrachtete sein Leben aus verschiedenen Blickwinkeln. Nichts, nichts. Er dachte dieses Nichts ohne Verbitterung, kühl, wie er das gleichgültige Ergebnis irgendeiner Rechenaufgabe festgestellt haben würde.

Nichts also. Zwischen den Finger zerrinnt der Sand, die Zeit, das Leben, die Macht. Es bleibt nur dieses Nichts, dieses verfluchte Nichts.

Nichts, rief er aus. Ein Zucken ließ seinen Oberkörper aufspringen.

Der Sklave missverstand das Wort. Er nahm den Schwamm weg.

Von jäher Wut ergriffen, packte Augustus zu. Er wollte dem Nichts die Gurgel zudrücken. Wollte kämpfen, noch einmal kämpfen. Gegen die Sinnlosigkeit des Sterbens sich empören. Die Fünfzahl der Finger summierte sich zur Faust. Er hob das Instrument seines Zorns wie einen Hammer, der den Feind zertrümmern würde.

Doch wieder missverstand der Pfleger die Geste. Mit sanfter Gewalt drückte er die Greisenhand nieder und begann mit einem feuchten Tuch die fiebrige Stirn des Sterbenden zu kühlen.

Nichts. Nichts.

Der Kaiser stöhnte auf. Besann sich. Sein Geist klarte. Er begriff das Jetzt, die Gegenwart, deren Opfer er geworden. Er starb, ja, er starb.

Ich sterbe, seufzte er. Fast klang es wie eine Frage.

Der Sklave, der nun begriff, nickte knapp. Sein Blick war leer, ohne Mitgefühl. Für ihn war der Kaiser nur weiterer kranker Leib, dessen Versorgung ihm ein ungerechtes Schicksal zur Pflicht gemacht. Er trat beiseite.

Ich sterbe, dachte Augustus. Wie schade um mich. Wie schade um mich.

Doch sogleich bezwang er das aufkeimende Selbstmitleid.

Eins, zwei, drei, vier, fünf. Noch bin ich. Ordnung, Disziplin, Selbstzucht!

Er tadelte seine Eitelkeit, seine Selbstsucht. Was trauerte er seinem Leben nach? Es galt doch nichts. Das Fleisch galt nichts. Das Glück des Einzelnen galt nichts. Nur Rom, Rom galt etwas. Das Reich, das er gerettet, ja neu erfunden hatte, galt etwas. Er dachte an sein Erbe, seine Hinterlassenschaft. Es sollte bewahrt werden, wofür er soviel hatte erdulden müssen. Das Opfer seines Lebensglücks durfte nicht umsonst gewesen sein. Ihm lief die Zeit davon. Er musste dem wölfischen Rom einen neuen Herrn geben, dass es sich nicht selbst zerfleische, dass nicht wie in den Urzeiten Bruder Bruder morde.

Er sammelte sich, holte tief Luft und rief vernehmlich: Tiberius!

Der Gerufene löste sich aus den Schatten. Kam zögernd, wankend herbei. Ein hochaufgeschossener, sehniger Mann, mit grauem, kurz geschorenem Haar. Jahrelange Demütigung hatte seine Züge entstellt. Meist zeigte er eine Maske hinterhältiger Servilität und linkischer Verweichlichung.

Missgünstig betrachtete Augustus das ängstliche Grinsen und die niedergeschlagenen Lider seines Erben.

Eine Hure, keuchte er. Wie eine kleine Hure.

Tiberius verstand die Worte nicht. Verstand nicht das monotone Flüstern des Todgeweihten.

Da trat seine Mutter, Livia, die Kaiserin, hinter ihn.

Beug dich doch hinunter, zischte sie.

Tiberius schreckte zurück. Der Gestank, der vom dem kranken Fleisch aufstieg, vernebelte ihm die Sinne. Das Atmen fiel schwer. Er fasste sich an den Hals. Etwas würgte ihn. Die graue Fratze des Kaisers, von Schmerz und Qual durchpflügt, gebar an Panik grenzendes Entsetzen in ihm.

Nein, bat er. Zwing mich nicht dazu.

Hinunter! befahl die Mutter und zwickte ihn in die Flanke.

Tiberius meinte im fahlen Angesicht seines sterbenden Stiefvaters einen Schimmer boshaften Vergnügens zu entdecken.

Der kalte Griff Livias in seinem Nacken bezwang ihn endlich. Er hielt den Atem an. Beugte sich über den Kaiser. Brachte sein Ohr über den von schmalen, bebenden Lippen umrahmten Schlund, aus dem betäubender Pesthauch dampfte.

Sag mir mein Geschick, Phytia. Löse meines Schicksals Rätsel. Und mach, um aller Götter willen, schnell, dachte Tiberius.

Was befiehlt, mein Herr? würgte er hervor.

Augustus ächzte: Fotze!

Und schnappte plötzlich nach dem Ohrläppchen des Stiefsohns.

Tiberius fuhr entsetzt zurück. Griff sich an die pochende Wunde. Die klein und zweifellos harmlos, doch blutend, untrüglich blutend.

Ah, stöhnte er verwirrt. Er hat mich gebissen. Er hat mich gebissen.

Die Umstehenden grinsten hämisch. Irgendjemand kicherte hinter vorgehaltener Hand.

Livia rief aus: Du hast ihm den Atem verstellt, Dummkopf. Es war nicht so gemeint.

Augustus schüttelte sich, hustete, rollte die Augen bis nur mehr das Weiße zu sehen war.

Er lacht, meinte Tiberius fassungslos. Er lacht mich aus!

Stell dich nicht so an, knie nieder. Küss ihm die Hand, befahl die Augusta streng.

Tiberius fiel nieder. Küsste die beringte Hand. Küsste vor Widerwillen fast vergehend die Finger des sterbenden Gottes. Eins, zwei, drei. Liebkoste, streichelte die Hand, die die Welt erobert und neu geordnet hatte. Diese strenge Hand, die auch ihn geschlagen und gezüchtigt. Hundertmal. Tausendmal. Benetzte inbrünstig das fünfgliedrige Instrument seiner Demütigung und Folter mit seinem Speichel. Schweiß und wässrigen Kot brannten auf seinen Lippen. Er würgte erneut. Wollte sich übergeben. Doch ein weiterer Schlag der Mutter auf den Hinterkopf ließ ihn die Galle gehorsam hinunterschlucken. Seine Stirn sank endlich auf das besudelte Laken. Er heulte lautlos.

***

Als Erschöpfung Augustus' Augen schloss, stahlen sich Mutter und Sohn in einen Nebenraum. Hier war die Luft reiner. Sie nahmen auf einer Liege Platz. Legten die Hände in den Schoß, senkten die Häupter. Schwiegen eine Weile.

Diener brachten einen Imbiss, etwas Wein.

Als Tiberius zugreifen wollten, hielt ihn die Mutter zurück.

Lasst uns alleine, befahl sie.

Als die Sklaven das Zimmer verlassen und die Türe fest verriegelt hatten, begann die Augusta den Sohn zu schelten.

Was für eine Szene hast du da gespielt? Was sollte das? Willst du uns unmöglich machen? Was wird man sagen? Hast du vergessen, dass in diesen Stunden die Blicke der ganzen Welt auf uns lasten, dass jedes unserer Worte bis in den letzten Winkel des Reichs getragen werden wird? Du hast Feinde genug, musst du dich da ohne Not noch kompromittieren? Halb Rom hält dich für einen Schwächling! Musst du deine Neider noch ermutigen?

Geifer vermengte sich mit Gift ihres Tadels. Troff in langen Fäden von ihren schreiend roten Lippen. Haarsträhnen fett wie Würmer krochen aus ihrer aufgelösten Steckfrisur. Legten sich, tiefschwarz, ölig glänzend, auf entblößte, knochige Schultern. Umschlangen den stark gepuderten Hals der Greisin. Gespaltene Zungen zischten ihn an, Zähne, weiß und scharf wie kleine Dolche, bleckten ihm entgegen.

Tiberius graute es vor der Gorgone, die ihn geboren.

Noch bevor er etwas zu erwidern vermochte, traf ihn die Hand der Medusa an der Wange. Ihre Nägel zerkratzten seine Haut. Er zuckte zurück, schluchzte auf.

Ich will nicht...

Schweig, gebot Livia hart. Was du willst, zählt nicht. Zählte nie. Die Lage ist, wie sie ist. Man fügt sich den Gegebenheiten, man passt sich an, man wirkt das Notwendige, das Gebotene, das Angemessene. Mein ganzes Leben habe ich dafür gearbeitet, mein Blut an die Macht zu bringen. Mein Blut, verstehst du? Du Tölpel wirst mir das nicht ruinieren, nicht jetzt, wo wir unserem Ziel so nahe sind.

Plötzlich schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen, begann zu weinen. Die Tränen einer alten Frau. Sie tranken Puder, Karmesin und Asche.

Ach, lebte doch nur Drusus, dein Bruder. Er war stark. Ein echter Mann. Keine wehleidige Memme wie du.

Tiberius senkte schuldbewusst das Haupt.

Er war eine wehleidige Memme, das stimmte. Ein Insekt, ekelhaft und nutzlos. Ein Witz von einem Menschen. Die Götter hatten gescherzt, als sie Drusus alles, ihm aber nichts gegeben.

Leise beteuerte er: Auch ich wünschte, Drusus lebte noch. Ich trage schwer an deinem Ehrgeiz, Mutter.

Ha!

Die Alte schnalzte verächtlich. Ihr Zorn überrumpelte sogleich die Trauer über den verstorbenen Sohn. Die Temperamente jagten einander in ihrer Seele wie räudige Hunde. Sie wollte weiter schelten, wollte Tiberius strafen, ihn demütigen. Sie empfand Genuss an diesem Tun. Seine Zerknirschung verschaffte ihr Befriedigung. Sein Wimmern bedeutete die Rechtfertigung ihres Argwohns gegen das Schicksal, das ihr den besseren der beiden Söhne geraubt. Doch sie besann sich anders. Dieser da, der neben ihr hockte, dieses jämmerliche Wesen, das sie ohne Lust empfangen und unter Schmerzen aus sich heraus gepresst, würde Kaiser sein. Sie musste ihn aufrichten, ihn für den bevorstehenden Kampf rüsten. Denn trotz jahrelanger Vorbereitungen, trotz sorgfältigster Beseitigung fast aller Rivalen hatte sich der größte Gegner bisher hartnäckig und nicht ohne gewisse Hilfe von verschiedenen Seiten ihrem Zugriff entzogen. Germanicus, schrecklicher Germanicus! Dieser Name durfte in ihrer Gegenwart nicht einmal ausgesprochen werden. Sein Klang beschwor Kopfschmerzen und Alpträume.

Ironischerweise spross dieser stärkste ihrer Widersacher aus ihrem eigenen Stamm und dies nicht ohne ihre Schuld.

Als Augustus mit Marc-Anton um die Macht im Reiche rang und der Ausgang des Krieges noch ungewiss war, hatte sie sich auf die falsche Seite geschlagen. Auf ihr Betreiben hatte sich ihr Erstgeborener Drusus mit Antonia, der Tochter des Marc-Anton, vermählt. Die Sache ging schief. Augustus setzte sich durch. Marc-Anton und seine Geliebte, die ägyptische Königin Kleopatra, nahmen sich das Leben. Da Antonia nach dem Fall ihres Vaters politisch unbedeutend geworden war und sich Augustus nicht mit noch mehr Blut besudeln wollte, ließ er sie und ihren Mann, Drusus, in Rom das Leben einfacher Privatleute führen. Die Ehe war glücklich. Germanicus wurde geboren.

Livia bemühte sich vergebens Einfluss auf die Erziehung ihres Enkels zu nehmen, der, dies wurde schnell sichtbar, alle Qualitäten des Vaters und Großvaters in sich vereinigte. Doch ein weiteres mal hatte sie sich verrechnet. Antonia verließ überraschend Rom. Sie folgte Drusus in die Provinz.

In dieser Zeit gelang es ihr Zugang zum Kaiser zu finden. Erst zu seinem Hof, dann in sein Bett. Sie intrigierte gegen seine Gemahlin Scribonia, Iulias Mutter, die bei ihrem Mann bereits in Ungnade gefallen war. Rege betrieb sie den Untergang der Rivalin. Sie siegte schnell und nahm ihren Platz an der Seite des Kaisers ein. Der nahm sie gerne. Denn sie hatte viel zu bieten: Zwei Söhne und einen Enkel, die die Sorge ihres Gatten um seine Nachfolge erheblich minderten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, bereits jede Kontrolle über Germanicus verloren. Das Unheil nahm seinen Lauf.

Höre, Tiberius, beschwor sie den Sohn im honigsüßen Ton der liebenden Mutter. Sie ergriff seine Hände. Hielt sie fest umschlossen in den ihren, die kalt und trocken. So weit sind wir gekommen, so viel haben wir erreicht! Zwischen dir und dem Thron standen viele Hindernisse. Scribonia habe ich zuerst ausgestochen. Dann, als Iulias Mann Agrippa, der engste Vertraute des Kaisers endlich starb, habe ich auch seine Brut ausgelöscht, habe Iulia die Söhne genommen, die vor dir Anspruch auf das Erbe ihres Großvaters gehabt hätten. Wie viel Mühe und Gefahr habe ich auf mich genommen, um dir den Weg zu ebnen, mein Tiberius! Denke nur einmal, Augustus hätte erfahren, dass ich seine Enkel ermorden ließ! Er hätte uns alle auf der Stelle hinrichten lassen.

Mit zärtlicher Gebärde streichelte sie die Wange, auf der die Furchen ihres Zorns noch rot schimmerten.

Und weißt du noch, wie schlimm es war, als er dich zwang, seine verwitwete Tochter zu heiraten? Die liebe Vipsania, die dir den sanften Drusus, deinen einzigen Sohn und meinen heiß geliebten Enkel schenkte, musstest du verstoßen. Dem lächerlichen Bücherwurm Gallus hat er deine schöne junge Frau verschachert. Ja, so war es. Und wie du Iulia hasstest, wie sie dich hasste! Wie zwei Skorpione wart ihr, die man zusammen in ein glühend heißes Glas setzt. Hätte man euch nicht auf mein Betreiben wieder getrennt, ihr hättet euch wohl totgeschlagen.

Sie lächelte sanft. Ließ Tiberius einige Momente, sich der schrecklichen Monate seiner Ehe mit Iulia zu erinnern. Und ließ das Gift dieser Erinnerung seine Wirkung tun. Sie verschwieg, dass sie es gewesen, die Augustus auf die Idee gebracht hatte, seine ungeliebte Tochter mit ihrem ungeliebten Sohn zu verbinden, um den Weg für Tiberius Bruder endgültig freizumachen.

Du kamst zu mir, kleiner Tiber, heulend und verzweifelt. Flehtest mich an, dir zu helfen, dich von diesem Weib zu befreien. Und habe ich dir nicht geholfen, Kind?

Tränen der Dankbarkeit rollten über sein Gesicht.

Ja, ja, stammelte er gerührt. Und meinte das Grauen der erzwungenen Gemeinschaft und den fürsorglichen Beistand der Mutter in einem.

Wenn du erst Kaiser bist, redete Livia auf ihn ein, kannst du wieder heiraten. Du kannst dich einfach von Iulia scheiden zu lassen. Und fürchtest du den Skandal einer Scheidung, so werden sich wohl andere Wege finden lassen, euch voneinander zu lösen. Mit dem Tod ihres Vaters und ohne lebende männliche Nachkommenschaft ist sie uns schutzlos ausgeliefert. Hast du deine Macht erst befestigt, steht es dir frei, aus Roms besten Familien ein neues Weib zu wählen, ganz nach deinem Geschmack und Wunsch.

Ja, sagte Tiberius. Wie ein Idiot nickte er. Ja! Ja!

Bis dahin stehen dem Kaiser Roms übrigens alle Mittel der Reichs zu Gebote, auch seine ausgefallensten Gelüste zu befriedigen, schnarrte Livia, der die abartige Triebhaftigkeit des Sohnes weder unbekannt noch unlieb war, da sie ihn in Abhängigkeit vom Erfolg ihres Strebens nach der Macht brachte. Wollte er in den Genuss unbegrenzter weltlicher Freuden kommen, musste er ihr gehorsam sein, ihr Spiel spielen.

Treuherzig blickte Tiberius sie an. Ein schwaches Lächeln bog nun auch seine Lippen.

Ich will alles tun, was du befiehlst, Mutter, meinte er mit tränenerstickter Stimme. Du allein weißt, wie es um mich steht. Du allein weißt, was gut für mich ist. Ich will dir gehorchen. Folgsam werde ich sein. Du wirst es sehen! Ganz zahm wie ein Hündchen. Und jeden Rat genau beachten, den du gibst. Wenn ich erst...

...wenn du erst Kaiser bist, vollendete Livia triumphierend.

Ja.

Sie ließ seine Hände fahren. Senkte den Blick, seufzte.

Was ist dir, Mutter?

Ach, ach...

So sprich doch, flehte der Sohn.

Du weißt, mit dem Ableben unseres göttlichen Herrn allein ist es leider noch nicht getan, erklärte sie. Deine Ernennung zu seinem Nachfolger werde ich wohl ins Werk setzen können. Aber ob du bleibst, wozu ich dich mache, steht noch in den Sternen.

Tiberius stierte die medusenhafte Greisin an, die ihn einst unter ihrem Herzen getragen. Wo es dunkel und sicher gewesen. Wo er, umfangen von Stille und feuchter Wärme, selig geruht.

Alleine, ganz alleine, dachte er. Und wünschte sich in sie zurück. Wollte in sie hinein kriechen, so sehr liebte er seine Mutter in diesem Augenblick. Er gab einen schmatzenden Laut von sich.

Da ist noch jemand, der dir gefährlich werden kann, meinte die Augusta.

Er begriff sofort. Sie sprach von ihrem Enkel.

German...

Schweig, fuhr sie ihn an. Sprich ihn nicht aus diesen Namen! Sprich ihn ja nicht aus!

Hysterisch bedeckte sie mit dem Handrücken die Augen und schüttelte sich wie von Krämpfen heimgesucht.

Verzeih, bat Tiberius. Er sprang auf, lief verwirrt umher, kniete sich endlich vor sie hin wie er am Lager des gehassten Stiefvater gekniet. Nahm ihre Hand, küsste, liebkoste, streichelte. Betete an. Eins, zwei, drei... Mutter-Gorgo. Barg die Stirn auf dem Polster neben ihrem Gesäß. Da spürte er ihre Finger auf seinem Haupt. Still erwiderte sie die Gesten seiner Zuneigung. Und Liebe erfüllte ihn warm und beglückend.

Dass Iulia ihre Tochter Agrippina mit diesem, diesem Schuft verheiratet hat, war ein hinterhältiger Anschlag auf deinen Machtanspruch, Kind, erklärte sie ehrlich empört. Denn sie hatte diese Verbindung nie als das aufzufassen vermocht, was sie in Wirklichkeit war: Der verzweifelte Versuch Iulias sich mittels ihrer Tochter und vor allem ihrer Enkel, die doch gleichsam die Urenkel Livias waren, gegen diese abzusichern. Die Kaiserin betrachtete diese unglückselige Ehe des Germanicus und der Agrippina vielmehr als persönliche Beleidigung, als freche Herausforderung oder bestenfalls unverhältnismäßige Vergeltung. Es war, als wollte Iulia ihr damit sagen: Wenn du mir meine Söhne schlachtest, besiege ich dich eben mit meiner Tochter.

Was ist zu tun? Ich will alles tun, was du verlangst, versprach tränenerstickt das Wesen zu ihren Füßen.

Ekel fasste sie. Jämmerlich. Erbärmlich. Insekt. Memme. Fleischgewordene Demütigung.

Wäre ich als eine andere geboren, ich hätte dich ausgesetzt, du Missgeburt, dachte sie.

Trotzdem schenkte sie ihm ein liebevolles Lächeln.

Ja, wirst du alles tun, was ich von dir erbitte? Oder willst du deine alte Mutter nur beruhigen? vergewisserte sie sich.

Alles, alles werde ich tun! Alles! Alles!

Gut, kleiner Tiber. So ist es gut. Du hast vielleicht doch etwas von deinem Bruder in dir. Zuerst werde ich einen Kaiser aus dir machen, einen starken Alleinherrscher. Und danach wenden wir uns...demanderen zu. Hör zu: Folgendes ist zu tun...

***

Kurz vor Morgengrauen erwachte Augustus noch einmal. Er schrie, tobte, verlangte die Frau, den Erben zu sehen. Ein Alptraum hatte ihn geweckt. Die Chimären der Vergangenheit hatten ihn wieder angefallen. Schrecklich stiegen sie aus den Abgründen seines versiegenden Lebens empor, um an seiner Leber zu nagen. Auf dem Grund der Büchse weste die Schlacke einer letzten Angst. Wieder sah er die Schlachtfelder vor sich, auf denen Bruder Bruder mordete. Der Bürgerkrieg musste verhindert werden.

Livia und Tiberius, die man geweckt hatte, stürzten herbei. Ein Arzt gab mit knappen Worten Auskunft, die letzte Stunde habe begonnen, die letzte Krisis eingesetzt.

Die Augusta nickte. Entließ die Dienerschaft bis auf den letzten Mann.

Wasser, verlangte der Kaiser kreischend. Seine Lippen waren aufgesprungen, die Zunge scheuerte am Gaumen. Das Sprechen, selbst das Atmen schmerzte ihn. Der Schmerz aber machte ihn rasend. Seine Augäpfel traten hervor. Ihr Weiß war zu eitrigem Gelb geronnen. Nie hatte der Allmächtige das Gefühl einer so vollkommenen Ohnmacht erleiden müssen.

Ohne auf den Wunsch des Kaisers einzugehen, meinte Tiberius: Sklaven des Todes sind wir alle. Auch du, Vater.

Diese Worte zeichneten jähes Erstaunen in die Züge des Sterbenden, der darüber auf einen Augenblick sogar sein eigenes Sterben vergaß.

Der Sieche wurde ruhig. Betrachtete neugierig den Stiefsohn. Eine seltsame Bestimmtheit ging von ihm aus. Zweifellos fühlte sich Tiberius ihm überlegen. Eine letzte Machtprobe stand bevor.

Wasser, knirschte Augustus.

Zwar rührte sich Tiberius nicht, doch lief ein schwaches Zittern durch seine Glieder, so als stritten zwei gegensätzliche Triebe in ihm. Der alte, zu gehorchen, und ein neuer, rebellischer Trieb, der Auflehnung verlangte.

Augustus verzog die Lippen.

Wasser, verlangte er drittes Mal. Unter Aufbietung der restlichen Kraft gelang es ihm selbst das Haupt ein wenig aus den schweißnassen Kissen zu heben.

Nein, widersprach Tiberius mit brechender Stimme.

Da sank Augustus zurück, schloss die Augen. Er hob die Hand.

Tiberius wich einen Schritt zurück.

Was will er?

Der Ring. Nimm ihn. So nimm ihn doch, zischte Livia, die die Szene im Hintergrund beobachtet hatte.

Tiberius zog den goldenen Ring, mit dem Augustus seine Briefe zu siegeln pflegte, ab und steckte ihn sich an.

Der Mensch, dem man vor siebenundsiebzig Jahren den Namen Octavian, der Achte, gegeben hatte und dessen Schicksal es gewesen war, das Imperium auf den Höhepunkt seiner Macht zu führen, entleerte sich ein letztes Mal und starb.

Der Schacht

Noch am selben Vormittag brach der Kadaver des Augustus zu seiner letzten Reise auf. Man hatte ihn gewaschen. Sorgfältig, achtsam. Die Spuren des Todes verwischt, so gut es ging. Allein dem Geruch, der das Sterben begleitet, vermochte man nicht Herr zu werden. Der bittergallige Gestank wässrigen Exkrements dampfte noch immer aus dem entseelten Fleisch. Kroch aus den Poren, obgleich diese mit einem gründlichen Wachsbad versiegelt. Erst als Unmengen Parfüm auf die Laken gegossen wurden, darin umwunden der Leichnam ruhte, wurde es etwas besser.

Livia selbst bestreute den zur Mumie Gewordenen mit Rosenblättern; Tiberius legte dem Vater den Feldherrnstab, mit dem jener in Actium gesiegt, auf die Brust.

Die Kaiserin entschied, zu Fuß nach Rom reisen. Ein frommer Pilgerzug sollte es werden. Die Sohlen der ehrwürdigsten Mitglieder des Hofes mussten das harte Pflaster der Straßen drücken. Sie sollten alle Zeichen der Trauer an sich tragen. In Sack und Asche gehen. Staub schlucken. Hitze und Kälte sich ausliefern. Klagend, heulend, die Hände gen Himmel reckend. Vae, Romae! Vae, mundo! Lauthals bekunden, ihr Leben gelte nun nichts mehr, da Roms Sonne untergegangen.

Livia verbot nachdrücklich die Benutzung von Sänften. Nur sich selbst und einigen alten oder sehr wohlhabenden Würdenträger des Hofes räumte sie dieses Privileg ein.

In der Mitte des Zuges schwebte wie ein Heiligtum die Leiche des Kaisers.

***

Die Bahre ruhte auf den Schultern von acht Prätorianern. Die Kaiserin und ihr Sohn folgten als erste, dann der Rest der Garde, anschließend der Hof und die Dienerschaft. Nach Rang und Funktion geordnet, wie es dem Verblichenen gefallen hätte. Daumen, Zeigefinger.... Ordnung, Disziplin.

Kaum hatte der Zug die Villa verlassen, schloss sich der Stadtadel Nolas an, dann die Priesterschaft und die Großgrundbesitzer der Gegend. Zahlreiches Volk umsäumte die Straße. Beglotzte mit offenen Mäulern das Spektakel.

Es war heiß an jenem Tag. Ein Tag mitten im Hochsommer. Ein Tag des Monats, dem der Verblichene selbst den Namen geliehen. Jeder Schritt wirbelte glühenden Staub auf. Der verklebte die Augen, bedeckte die schweißnassen Stirne mit mehligem Film. Man litt Durst, den zu stillen als eine Unanständigkeit dem Toten gegenüber, verboten war.

Auch Tiberius schwitzte erbärmlich. Ächzte unter seinem schwarzen Mantel. Seine Haut juckte. Die Träger der Bahre wurden alle Stunde ausgetauscht. Er nicht. Er musste durchhalten. Die Mutter hatte ihm mehrmals eingeschärft: alle Augen waren auf ihn gerichtet.

Verhalte dich würdevoll, kaiserlich, wenn du in Rom als Kaiser einzuziehen wünscht, hatte sie gesagt.

Mit quälender Langsamkeit schleppte man sich über das Kopfsteinpflaster. Die Stadt blieb zurück. Offenes Land umgab sie nach allen Seiten. In irgendeinem Kaff, das immer hinter dem nächsten Hügel lag, sollte gerastet werden.

Nach einiger Zeit zog sich Livia in ihre Sänfte zurück. Sie war alt und in Trauer. Niemand außer dem eigenen Sohn nahm ihr die Bequemlichkeit übel, insbesondere weil jetzt das Trinken erlaubt war.

Tiberius aber schritt allein. Durstete. Fastete. Er sah die schweißglänzenden Nacken der Prätorianer und das loorbeergeschmückte Haupt der Mumie vor sich. Hinter ihm klirrten Waffen und Panzer. Seine Leibwache, seine Wächter. Er fühlte sich sehr einsam und verletzlich. Der Weg war lang. Endlos. Und wie alle Wege führte er in eine Sackgasse. Rom war kein Ziel, es war ein Ende. Er beneidete den Leichnam. Der nicht dürsten und hungern musste. Ein glücklicher Tantalus, der über dem harten Pflaster schwebte. Tiberius stellte sich vor, dass er es wäre, den man zu Grabe trug.

Ganz langsam verdunkelte sich das Leichentuch. Erst an einer, später an einer anderen Stelle. Eine Flüssigkeit durchtränkte das duftende Gewebe. Es war der Wachs, der in der Hitze zu schmelzen begann. Dann, ganz fein zuerst, fast unmerklich, kehrte der entsetzliche Geruch zurück. Tiberius versuchte seinen Schritt zu verlangsamen, um Abstand zum Kadaver zu gewinnen. Der ihm ekelhaft, widerwärtig. Er hatte die Schrecken die vergangenen Nacht nicht vergessen. Sein Ohrläppchen pochte. Auf den Lippen schmeckte er Salz und Kot. Eine beklemmende Furcht vor der Zukunft drückte seine Schultern.

Nur weg, dachte es in ihm. Sonst endest du genauso. Reiß aus, lauf weg.

Doch wohin? Wie? Argwöhnische Wächter umgaben ihn. Gesichtslose Kreaturen, die ihn in ihrer Mitte führten wie einen Verurteilten. Ein grober Stoß von einer geharnischten Faust in seinen Rücken brachte ihn zur Besinnung. Hastig schloss er wieder auf. Der Gestank nahm zu. Wehleidig drehte er das Haupt zur Seite, wo glühende Felder langweilig vorbeizogen. Diese weiten, glühenden Felder. Diese Leere. Nirgends ein Haus. Keine Zuflucht. Kein dunkler Winkel, sich darin zu verkriechen. Irgendwo hinter dem flirrenden Horizont lag das Meer. Mit seinen eintönigen Gesängen. Dem steten Schlag der Brandung. Dem schaumigen Gekräusel der Gischt. Ein Hauch frischer Luft berührte ihn.

Eine salzige Brise weckte mich jeden morgen.

Er gedachte seines Exils auf Rhodos. Drei Jahre voller Muße und Sorglosigkeit. Griechische Literatur, Philosophie, einfache Mahlzeiten, ungezwungene Gespräche. Und die noch kindliche Nacktheit seiner ersten Frau Vipsania. Die Erinnerung an sie war süß und köstlich. Warm ihre Haut und duftend. Wie ein Sommertag. Träges Dösen an einem Quell oder in einem schattigen Hain. Wo formlose Gedanken gedacht und gestaltlose Bilder betrachtet werden. Eine Stunde verging, zwei Stunden. Ohne Ursache und folgenlos. Das Vergessen fraß sie. Keine Sorge bestand. Das glückselige Nichtstuns wurde nur von kurzen Liebesgefechten unterbrochen, die immer nur mehr Schlaf und Trägheit gebaren.

Ihr Schoß war immer feucht, immer bereit mich zu empfangen und zu trösten, dachte er.

Da verschwamm Vipsanias Gestalt vor ihm. Zerfloss wie der Wachs auf dem Leichnam, wie das Wachs in Ikarus nutzlosen Schwingen. Stattdessen stieg Iulias Bildnis aus den Abgründen seines Gedächtnisses empor, eine kreischende Erynie.

Fluch und Geißel waren sie einander. Einer das Verhängnis des anderen, obschon beide unschuldig, beide Opfer fremder Pläne. Als er Iulia heiratete, war sie schon halb von Sinnen. Launisch, rasend, unberechenbar. Biederte sich den Männern ihrer Umgebung an wie eine läufige Hündin. Sie unterschied nicht Rang noch Schönheit. Die Hässlichsten, die Niedrigsten waren ihr gerade gut genug. Sabbernde Greise, bucklige Idioten, Sklaven. Sie demütigte sich vor Kreaturen, die nicht wert waren, sie anzusprechen. Ihr Verhalten war Rache. Indem sie sich demütigte, demütigte sie den Vater. Vergalt ihm. Dieser hatte sie bereits als Kind an Männer verhandelt. Ihre Schönheit war ein Kapital, aus dem er reichlich Nutzen zog. Sie gab sich natürlich auch ihm, ihrem Mann, hin. Verlangte Unvorstellbares von ihm. Er sollte die tiefsten Winkel seines Begehren erforschen, die düstersten Phantasien hervorzerren und sie an ihr verwirklichen. Sie zitterte, wenn er zu ihr kam. Und verlangte doch, dass er gegen sie wüte. Zog er sich zurück oder war er zu sanft, schalt sie ihn, biss, schlug, trat, machte sich lustig, drohte mit Gift. Nahm sich andere Liebhaber. Jaulte durch das Haus, Tiberius sei kein Mann. Wer wolle seinen Platz einnehmen. Jeder sei willkommen, jeder würde empfangen. Nur, wenn er die schrecklichsten Qualen an ihr erfand, blieb sie ihm treu. Doch dann heulte sie. Wie ein kleines Kind. Vor Schmerzen oder wegen der Erniedrigung oder beidem. Rollte sich zusammen. Heulte. Laut oder leise. Bettelte um Gnade, wenn er zu ihr kam, bat um Rücksicht. Sie ertrüge seine Berührung nicht. Seine Finger versengten sie. Die Unzucht ließe ihr Herz faulen. Ob er überhaupt wisse, ob er ermessen könne, wie sich ein faulendes Organ unter dem Gewölbe geschlagener und zertretener Rippen anfühle? Jede Antwort, jedes Verhalten war falsch. Alles führte in die Katastrophe. Tiberius verzweifelte an Iulia. Ihre Qual übertrug sich auf ihn. Sein Verlangen wurde krumm. Er begann die Gesellschaft von Knaben zu suchen. Von Mädchen, die außerordentlich jung. Ihre Unschuld erinnerte ihn an Vipsania. Iulia aber warf ihm sein Verhalten vor. Lachte ihn aus. Schmähte ihn vor den Dienern.

Alles war falsch, alles führte in die Katastrophe.

Endlich wurde er erlöst. Nicht ohne Narben entkam er. Er war zerrüttet, entmenschlicht. Er begriff nun Sokrates Wort, wenn auch in einer ihm eigenen Weise, warum Unrecht tun schlimmer sei, als es zu leiden. Die bösen Taten schlugen auf ihn zurück. Was er Iulia angetan, geschah es auch auf ihren Wunsch hin, das hatte er sich gleichsam selbst zugefügt. In gewisser Hinsicht war er ihr gleich geworden. Täter und Opfer in einer Person. Er hasste und bemitleidete sie zugleich.

Kurz nach ihrer häuslichen Trennung, starben ihre Söhne. Gaius traf ein Pfeil, Lucius wurde vergiftet. Sie waren noch jung, als seine Mutter sie in die Unterwelt schickte. In der Blüte ihrer Jahre. Schöne Jünglinge eigentlich. Auch klug, tatkräftig. Nur etwas zu unbedacht, zu hitzig. Ein verhängnisvoller Charakterzug ihres verstorbenen Vaters, des guten Agrippa.

Tiberius lächelte. Achtzehnjährig musste Iulia den mehr als doppelt so alten Mann ehelichen, obgleich sie als Witwe von der Vormundschaft ihres Vater rechtlich befreit war, also selbst hätte entscheiden dürfen. Doch in Fragen der Familie war der Kaiser nie sehr rücksichtsvoll gewesen. Hatte er sich einmal etwas ausgedacht, musste es auch so gemacht werden. Agrippa hatte gleich sehr großen Gefallen an dem blutjungen und damals noch kinderlosen Mädchen gefunden. Ihr erster Gatte, Marcus Marcellus, dem sie vierzehnjährig gegeben wurde, war rechtzeitig gestorben und so stand ihrer neuen Heirat nichts mehr im Wege. Das Werk, dass der Päderast Marcellus an Iulia begonnen, vollendete nun der wegen seiner Brutalität gefürchtete Agrippa mit kaiserlichem Segen und großem Genuss.

Tiberius schüttelte heftig den Kopf. Schüttelte ab die Bilder, die vielen, die schrecklichen, die ihn immer dann überfielen, wenn er sich auf die einzige angenehme Episode seines Lebens zu konzentrieren suchte. Die Ehe mit der Tochter des Augusts war gleichsam das Zerrbild seines Zusammenlebens mit Vipsania.

Er seufzte. Das Wachs troff nun in langen Fäden von der Bahre. Einige Tropfen trafen seine Sandalen. Der Gestank des Kadavers umgab ihn wie eine unsichtbare Wand. Er musste würgen, glaubte zu ersticken. Hilflos verhüllte er sein Haupt mit dem Mantel, nur einen Schlitz für die Augen offen lassend. Die Hitze fraß an seiner Haut.

Deine Finger versengen mich.

Beinahe wäre er zusammengebrochen. Vor aller Augen in den Staub gestürzt. Schwach, erbärmlich, jämmerlich.

Weißt du, wie sich ein faulendes Herz anfühlt?

Ein Soldat stützte ihn.

Nur noch eine kleine Weile, Herr, sagte er. Suesulla ist nicht mehr weit. Dort rasten wir für den restlichen Tag.

Nicht mehr weit? fragte Tiberius.

Hinter dem nächsten Hügel, Herr. Es liegt hinter dem nächsten Hügel.

***

Dreißig Tage währte die Fahrt. Umwege, immer neue, neu erdachte, neu erfundene, führten Augustus schwindendes Fleisch durch sämtliche größere Ortschaften Mittelitaliens. In jeder Stadt zwischen Nola und Rom wurde der Kaiser ausgestellt. Die lokalen Potentaten fielen vor der Bahre in den Staub. Sie heulten und weinten und flehten die Götter an, ihnen nur bald einen Nachfolger zu senden, der Augustus Werk fortführe. Sie nannten Tiberius Namen aus Gründen der Pietät nicht. Denn formell hatte der Senat zu entscheiden, ob und wer Augustus im Amt des Princeps nachfolgte. Formell war Rom noch immer eine Republik, deren höchstes Organ der Rat der Ältesten. Dieser aber würde erst die Trauer brechen und wieder tagen, wenn Augustus in jenem Mausoleum bestattet wäre, das er seiner Familie und sich am Rande des Marsfelds errichtet.

Spitzel und Soldaten dokumentierten indes grinsend die Trauerbezeugungen der Mächtigen und der, die es werden wollten. Schreiber erfassten die Beträge, die man dem Augustuskult und damit indirekt der Augusta spendete. Die Großzügigsten durfte hoffen, später von der ihr empfangen zu werden. Sie räumte intimen Gesprächen dieser Art reichlich Zeit ein. Oft verging ein glühender Nachmittag mit geheimen Verhandlungen. Livia vergalt Loyalität und Unterstützung mit der Aussicht auf ertragreiche Posten und Konzessionen, sobald der Machtwechsel abgeschlossen wäre. Do, ut des.

Das Volk speiste man mit Wein und Kuchen ab, es war zufrieden.

Je näher der Leichenwurm an Roms unbesiegte Mauern kroch, desto mehr verdichtete sich der Herrschaftsanspruch von Tiberius. Bald klärten sich auch die letzten Details der Machtübernahme. Rom zeigte sich mehr als gesonnen, Tiberius als seinen neuen Herrn zu akzeptieren. Die kluge Politik seiner Mutter glättete die Wogen und stimmte auch die letzten Zweifler versöhnlich. Die meisten Provinzen, die Militärs und das Kapital versicherten der Augusta ihre uneingeschränkte Treue. Die Senatoren rissen sich um die Ehre, den Amtsbrüdern Tiberius als neuen Prinzips vorschlagen zu dürfen. Strabo, der Chef der Prätorianergarde, meldete Livia, dass der Plebs in den Gassen der Hauptstadt ruhig die Ankunft seiner Herrschaften erwarte.

Die Augusta war zufrieden. Nun blieb nur noch den Menschenrest, der einst ihr Gatte gewesen, würdig seiner letzten Ruhestätte zuzuführen.

***

Das Mausoleum lag am Rand des Marsfeldes, eingelassen in alte römische Erde und mit einer schlichte Kuppel bedeckt. Eine enge Treppe führte hinunter zum rundgewölbten Eingang, der knapp unter der Oberfläche, einem Schlund gleich, in diesen Vorraum der Unterwelt mündete.

Augustus war nicht der erste, der dieses Haus bezog. Seine Enkel Gaius und Lucius, Iulias Söhne, warteten bereits auf ihn. In den geglätteten Fels waren tiefe Nischen getrieben worden, die je einen Leichnam beherbergen sollten.

Die Bahre wurde in die Mitte des von Fackeln erhellten Raums gestellt. Die prätorianischen Offiziere, die die besondere Ehre hatten, den Sieger von Actium dieses letzte Stück seines Weges tragen zu dürfen, salutierten, bevor sie die modrige Gruft verließen. Heilfroh kehrten sie in die Welt der Lebenden zurück. Unter ihnen befand sich auch Lucius Seian. Ein hochaufgeschossener, gut aussehender Mann in der Mitte seines dritten Lebensjahrzehnts mit kantigen Zügen und klugen, etwas spöttisch drein blickenden Augen.

Lächelnd ließ er den Blick schweifen.

Das ganze Marsfeld war überlaufen von Volk.

Zehntausende.

Musik und Gesang schwebten über den wogenden Massen.

Hunderttausende.

Es wurde getanzt, geheult und gejammert. Buntes, chaotisches Treiben. Man fraß, trank, schiss, pisste. Ungehemmt und ausgelassen. Faune, Nymphen. Sie fassten einander ans Geschlecht. Sie schlugen und küssten sich. Die Säuglinge greinten an den Brüsten ihrer Mütter. Die Alten zerbissen sich die Zungen. Geilheit des Viehs. Die Menschenmenge verschmolz vor Seians Auge zu einem Etwas. Eine missgestaltete Kreatur. Eine vielköpfige Hydra, die sich auf dem Feld des Kriegsgottes rollte wie eine räudige Katze. Sie fauchte und warb zugleich. Zog an und stieß ab. Ihre Vielstimmigkeit gerann zur Harmonie verantwortungsloser Lust. Die Sekunde, die Minute – wer gedachte der Stunde, des Tages? Wer ermaß Woche und Monat? Wer grüßte das Jahr? Der Pfiff der Panflöte quoll aus feurigen Lungen. Eine sinnlos klagende, brünstige Melodie. Eine Abfolge von Tönen. Verheißung und Warnung zugleich. Das Schilf zitterte. Syrinx erbebte in angstvoller Erwartung.

Reichlich Brot und noch reichlicher Wein waren unter dem Plebs verteilt worden. Die Stimmung sollte nicht zu trübe sein. Denn die Leichenfeier des alten sollte unmittelbar in die Ernennungsfestivitäten für den neuen Princeps übergehen. Große Spiele waren angekündigt. Tierhatzen, Gladiatorenkämpfe, Wagenrennen, Sängerwettbewerbe und auch die eine oder andere Zote, die den Verstorbenen aufs Korn nahm, würde aufgeführt werden. In einer spielte der berühmte Mime Mnester einen Geizkragen, den die Götter mit Durchfall straften, weil er aus Geldgier seine eigene Tochter auf dem Strich feilbot. Die Anspielung auf Augustus und seine Tochter Iulia waren nur sehr unvollkommen hinter dürftigen Reimen und deftigen Witzen verborgen. Aber man musste dem Volk seinen Spaß lassen, wollte man nicht seinen Zorn wecken.

Das ist Rom, dachte Seian. Er empfand Ekel und Stolz. Größe und Armseligkeit gingen Hand in Hand. Die Widersprüche dieser Stadt verlachten jede Logik. Seian hatte das Gefühl, Teil dieser Masse zu sein, Teil dieser Hydra. Doch zugleich spielte er die Rolle des Helden, der das Untier zähmt, ihm die Köpfe zurechtrückt.

Er musterte die Posten, die den Eingang zum Mausoleum umgaben. Sie taten ihre Pflicht, spielten ihre Rolle. Livia hatte die Leibgarde des Kaisers, die einzige militärische Einheit, die innerhalb der Mauern des heiligen Rom stationiert war, bereits reichlich entlohnt. Zum Überbringer der Gratifikation, die dem künftigen Kaiser Tiberius die Treue der Truppe sichern sollte, hatte die Kaiserin ihn selbst bestimmt.

Dein Vater Strabo ist alt, hatte sie gesagt, er hat Augustus gut gedient. Mag der Sohn des Präfekten nun dem Sohn des Kaisers dienen. Was hältst du davon, Seian?

Er küsste ihre Hand. Puder klebte an seinen Lippen.

Ich diene dir, Augusta.

Schön. Dann zahl deinen Leuten als Zeichen unseres Wohlwollens und als Vorschuss für ihre Loyalität folgende Beträge aus: Der gemeine Soldat erhält...

Als Kommandeur der Garde war er nach dem Kaiser der zweitmächstigste Mann in Rom. Mittels der Prätorianer kontrollierte er die Stadt. Er war die rechte Hand des Princeps, die eine scharfe, jederzeit bereite Klinge an die Kehle der Elite hielt.

Seian spazierte auf dem geräumten Platz vor dem Mausoleum umher. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, lächelnd, immerzu lächelnd. Ging zu seinen Männern, klopfte ihnen auf die Schulter. Nannte jeden beim Namen, witzelte über dies und das.

Septimus, verhure ja nicht deine ganze Gratifikation, mahnte er grinsend.

Nein, Herr, nicht ohne dich, erwiderte der grauhaarige Hüne, der auf dem Flaggschiff der Flotte in Actium gekämpft hatte.

Seian war geschmeichelt. Herr nannten sie ihn, obwohl seine Ernennung noch nicht offiziell war. Aber das war die des Tiberius wohl auch nicht.

Sie haben Geld aus meiner Hand empfangen. Sie deuten die Zeichen. Sie ahnen meinen Aufstieg. Sie vertrauen mir. Es sind Kriegerseelen, die lieben, wer ihnen gibt. Und sie wissen, ich werde ihnen stets geben, dachte er.

Seine Züge verdüsterten sich plötzlich. Seine Haltung wurde steif, tiefe Runzeln erschienen auf der Stirn. Sein Blick hatte die Senatoren und ihre Weiber gefunden, die in schwarzen Trauergewändern auf einer überdachten Tribüne die Feierlichkeiten verfolgten. Einige deuteten mit dem Finger auf ihn. Verachtung sprach aus ihren Gesten. Und obwohl er ihre Worte nicht vernahm, wusste er doch, was sie über ihn sagten.

Bluthund, das ist der neue Bluthund.

Ja, ich bin euer Bluthund und ihr seit meine Beute. Seht euch vor, Freunde!

Er grüßte in Richtung der Tribüne.

Schwach. Erbärmlich. Speichellecker, Ameisen. Wohin sind wir gekommen? Was ist aus uns geworden? Nie war das Reich stärker als in den Jahren nach dem Bürgerkrieg. Und doch nagt bereits der Wurm, nagen Tausende, Millionen von Würmern an den Balken dieses phantastischen Gebildes. Caesar hat begriffen, nur die Alleinherrschaft vermag das Reich zu bewahren. Vor seinen äußeren Feinden, ja, aber mehr noch vor den inneren: der korrupten Oberschicht und dem verrohten Plebs. Er begann seinen Krieg gegen die Reste der Republik. Strebte, König zu werden. König... Dieser verhasste Titel. Warum begehrte er, ihn zu tragen? Anmaßung. Dummheit.

Caesar wurde zum Opfer seiner Arroganz. Hat er denn vergessen, dass jedes Jahr den Göttern Dankesopfer dargebracht werden, weil sie dem jungen Rom halfen, sich von der Knechtschaft der etruskischen Könige zu befreien? Leitete er als Priester nicht selbst die Gebete und Riten? Sein Verlangen nach Zepter und Krone kam einer Herausforderung des Senats gleich. Er zwang sie zum Äußersten und zahlte den Preis. Hinterrücks ermordet von Männern, die ihm winselnd die Füße geküsst und die ihn noch weiter als ihren Gebieter geduldet haben würden, hätte er nur ihre Ämter, ihre Ehrentitel nicht angetastet.

Ihm nach folgte sein Kampfgefährte Marc-Anton. Der zähe, unnachgiebige Marc-Anton. Wollte Caesar rächen. Hat ihn geliebt. Wollte sein wie er. Ahmte nach, bewunderte, ergötterte. Floh heulend aus Rom an den Nil, als Caesar verblutete. Er ist tot! Warf sich der Geliebten des Freundes, Kleopatra, an die Brust. Er ist tot. Sie küsste ihn. Er lebt, sein Sohn lebt. Wenn Caesar nicht Roms König sein kann, so wird es eben sein Sohn, der kleine Caesarion, werden. Ares und Aphrodite schlossen einen Bund. In ihren Armen vergoss Marc-Anton Tränen der Freude, weil sie in Julius nannte. Wollte sein wie er. Sein wie er. Ares schrie nach Krieg und Rache. Ägyptens Reichtum wurde Flotte und Mannschaft. Söldnerheere aus dem Süden und Osten. Zehntausende. Zogen gegen Rom. Marc-Anton zog gegen Rom. Er dachte an den Rubikon. Auch er warf Würfel. Caesar, ich bin wie du! Und sie, die Schöne, Aphrodite, teilte sein Lager und stöhnte: Julius.

Rom zitterte.

Augustus trat auf. Der Senat warf sich dem jungen General an den Hals. Küsste seine Füße. Kluger Augustus, rette uns, nimm alles, was du willst, nur rette uns. Augustus war bescheiden. Er strebte nicht nach dem Titel König. Ihm genügte die Macht, ihre Zeichen scherte ihn wenig. Er ließ sich zum Diktator ernennen. Besiegte Marc-Anton. Kleopatra legte sich die Natter an die Brust. Caesarion wurde hingerichtet. Kluger Augustus. Ihm gelang eine Brücke zwischen der überlieferten Form der Republik und ihrer neuen Wirklichkeit, dem Kaisertum, zu schlagen. Pontifex – Brückenbauer. Er konsolidierte die Macht des Einzelnen im Staate. Diktatur auf Lebenszeit. Prinzipat. Er blieb bescheiden. Erster unter Gleichen nannte er sich. Verneigte sich vor den Senatoren, die vor ihm zitterten. Ordnete und wiederbelebte das erschütterte Reich als Alleinherrscher. Goldene Zeit, Frieden, Wohlstand. Kluger Augustus. Empfing den eigenen Willen stets als Befehl des Senats, der, oh Wunder, lernte, die Wünsche des Vaters des Vaterlands treffend zu erraten.

Seian seufzte. Faule Kompromisse, Possen, Schattengefechte.

Er hasste die Zweideutigkeit, wenn er auch ihre Notwendigkeit nicht bestritt. Doch ahnte er bereits eine neue Zersetzung wirken. Die Schwächung der Kräfte setzte sich auf andere Art fort. Tiberius war ein Weichling, unselbstständig und voller Angst. Und ein grandioser Perverser, wie es hieß. Sklave seiner unnatürlichen Gelüste und Marionette seiner Mutter, einer Greisin, die sich Haare schwärzen, die Wangen pudern und die Lippen rot bemalen ließ wie eine gewöhnliche Hure.

Sie weiß, ihr Sohn kann nur durch mich herrschen. Ich bin der Dolch, mit dem sie tötet. Ich bin ihr... Bluthund. Sie wirft mir goldene Knochen vor, gibt mir Küchlein und glaubt so, meine Ergebenheit kaufen zu können. Oh, aber sie täuscht sich, diese Vettel. Ich spiele ihr Spiel nur solange mit, wie es mir passt. Ich halte den Senat in Schach, kümmere mich um die Anhänger des Germanicus. Aber nur, weil es mir in den Kram passt, wenn ein Schwächling Kaiser ist. Ich täusche die Mutter und den Sohn, heuchle Demut. Aber irgendwann, irgendwann beißt der Köter die Hand, die ihn gefüttert hat. Seht euch nur vor. Seht euch alle vor!