Als ich in den achtziger Jahren mit Ju-Jutsu im Polizeisportverein begann, bezeichneten wir uns alle noch einfach als Kampfsportler. Das deutsche Ju-Jutsu wurde damals als moderne Selbstverteidigung durch den Deutschen Judo Bund propagiert und im Rahmen der Polizeiausbildung bundesweit praktiziert.
In den neunziger Jahren kamen die Wing Tsun Leute und nannten sich Kampfkünstler, um sich von den Kampfsportlern abzugrenzen. Wing Tsun wurde als ultimative Selbstverteidigung „verkauft“ (im wahrsten Sinne des Wortes!).
Jetzt aktuell ist Krav Maga auf dem Vormarsch. Dort möchte man weder Kampfsportler noch Kampfkünstler sein, sondern sieht sich als Praktizierende eines Selbstverteidigungssystems.
Dabei existiert eine Vielzahl von Verbänden. Diese bezeichnen sich immer noch als Sportverband, sind aber längst keine gemeinnützigen, eingetragenen Vereine mehr sondern Unterabteilungen oder bloße eingetragene Marken von privatwirtschaftlichen Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH oder GbR. Dahinter stehen zum Teil einzelne Privatleute mit entsprechender Gewinnerzielungsabsicht. Der ehrenamtliche Vereinsvorsitzende und Verbandsfunktionär haben ausgedient.
Ich bin in verschiedenen nationalen und internationalen Krav Maga Verbänden Mitglied und besuche dort regelmäßig Fortbildungen. Auch habe ich mich eingehend mit dem Studium von Lehrbüchern und DVDs beschäftigt. Dabei konnte ich feststellen, dass sich inhaltlich von den Techniken her kaum Unterschiede feststellen lassen. Es werden auch heute die gleichen Techniken im Krav Maga gelehrt, die ich schon in den achtziger Jahren beim Ju-Jutsu im Polizeisportverein kennengelernt habe. Ich war sehr überrascht, dass oftmals auch noch Würfe zum Ausbildungsprogramm mancher Krav Maga Verbände gehören. So propagiert der angesehene Darren Levine von der Organisation Krav Maga Worldwide in seinen Publikationen für den Braungurt-Level sogar Selbstfallwürfe wie den Kopfwurf, den Talfallzug und das Seitenrad (Ju-Jutsuka wissen wovon ich spreche). Er vertritt die Auffassung, diese Würfe seien zwar nicht erste Wahl im Krav Maga, aber es sei gut, sie für alle Fälle zu können. Da kann man natürlich geteilter Meinung sein. Nach meiner Meinung gehören solche Techniken, insbesondere Selbstfallwürfe mit erheblicher Eigengefährdung im Hinblick auf evtl. mehrere Angreifer, nicht in ein Selbstverteidigungssystem sondern eher in den Kampfsportbereich. Es widerspricht dem Grundsatz der Einfachheit, dem Selbstverteidigung entsprechen sollte, und bläht den Technikumfang unnötig auf.
Die gravierendsten Unterschiede gibt es wohl zwischen israelischen und europäischen Krav Maga Verbänden. In einer Krisenregion wie Israel mit einer ständigen terroristischen und militärischen Bedrohung wird natürlich ganz anders „gearbeitet“ als in einer Fußgängerzone in Hamburg. Allein schon deswegen, weil man in einer deutschen U-Bahn weniger mit Handgranaten angegriffen wird. Auch sind die Besonderheiten der europäischen rechtlichen Regelungen zu berücksichtigen.
Aber was ist nun beim Krav Maga anders als bei herkömmlichen Kampfsport-/Kampfkunstarten?
Der wesentliche Unterschied liegt in der Art und Weise des Trainings.
Das Schlagpolstertraining ist sehr wichtig und auch das Training mit dem sogenannten „schwarzen Mann“ im Vollschutzanzug. Es ist wichtig für das Distanzgefühl nicht wie bei vielen Kampfsportarten üblich rechtzeitig vor dem Gesicht abzustoppen sondern durchzuschlagen und dabei einen Widerstand zu spüren. Des Weiteren werden Stress- und extreme körperliche Belastungs-Situationen sowie Rollenspiele simuliert.
Natürlich sucht man komplizierte Show-Techniken und artistische Elemente im Krav Maga vergeblich. Hier geht es nicht um gutes Aussehen sondern Effektivität. Einen wichtigen Satz von Imi Lichtenfeld sollte man sich merken: „Keep it simple!“. Die Verteidigung sollte so einfach wie möglich sein, denn alles was kompliziert ist, wird im Ernstfall eh nicht funktionieren.
Ein wichtiges Element ist auch die Gleichzeitigkeit von Abwehr und Konter. Bei der Darstellung von Verteidigungssituationen in diesem Buch wurden teilweise aus didaktischen Gründen Block und Konter getrennt voneinander dargestellt, um die einzelnen Techniken besser erläutern zu können. Dennoch sollte natürlich immer soweit möglich beides zeitgleich erfolgen! Wir müssen des Weiteren immer davon ausgehen, dass unser Gegner nicht bei unserem ersten Gegenschlag zu Boden geht und der Kampf beendet ist, so dass wir immer mit „Kombinationen“, also der Aneinanderreihung mehrerer Kontertechniken, arbeiten sollten.
Der Begriff „Krav Maga“ kommt aus dem Hebräischen und bedeutet übersetzt Kontaktkampf. Dieses System wurde maßgeblich von dem in Ungarn geborenen Imi Lichtenfeld entwickelt und nach der Gründung von Israel von diesem bei der israelischen Armee unterrichtet. Von dort aus fand das Erfolgskonzept in Sachen Selbstverteidigung seine Verbreitung auf der ganzen Welt unter ständiger Weiterentwicklung und unter Einfluss lokaler Besonderheiten.
Dieses Buch soll eine erste Einführung in das Thema israelische Selbstverteidigung darstellen und den Praktizierenden als unterstützendes Lehrmittel begleiten. Es kann und will jedoch ein regelmäßiges Training in einer Gruppe mit einem ausgebildeten Krav Maga Instructor nicht ersetzen.
Ich wünsche viel Spaß und Erfolg beim Training!
Unter Kampfkünstlern/-sportlern wurde das Thema Waffenabwehr schon immer sehr kontrovers diskutiert. Da ging es immer um die Fragen, was realistisch sei und ob man überhaupt die Abwehr von z.B. Schusswaffen unterrichten sollte.
Wir als Praktizierende des Selbstverteidigungssystems "Krav Maga" haben dazu eine eindeutige Position. Jegliche Auseinandersetzung und Eskalation sollte möglichst im Vorwege vermieden werden. Sollte dies nicht gelingen, so ist unser erstes Verteidigungsmittel der Wahl immer die "Flucht". Ein Kampf, der nicht stattfindet, ist im Sinne der Selbstverteidigung ein gewonnener Kampf.
Sollte sich eine Auseinandersetzung nicht vermeiden lassen und ist auch eine Flucht nicht möglich, so können uns die in diesem Buch gezeigten Techniken zumindest dabei helfen, das Verletzungsrisiko zu verringern und die Chance zu erhöhen, den Angriff zu überleben. Wer jedoch meint, einen bewaffneten Angriff wie der Held eines Actionfilms unbeschadet überstehen zu können, liegt leider in der Regel falsch. Ein bewaffneter Angreifer hat immer mindestens zwei Vorteile. Erstens er startet die Aktion als erster und zweitens er hat eine Waffe.
In diesem Buch beschäftigen wir uns mit den gängigen Waffen Messer, Stock und Feuerwaffen. Ähnliche Alltagsgegenstände als Angriffswaffe verwendet, wie Schraubendreher, Teppichmesser, Bleistift, Regenschirm, Gehstock, das gute alte Nudelholz usw. werden dadurch auch abgedeckt, da die Abwehrmaßnahmen und deren Prinzipien gleich bleiben.
Auf die Besonderheiten der einzelnen Waffenarten und die daraus entstehenden Gefahren werde ich in den einzelnen Kapiteln näher eingehen.
Beim Üben bitte ich besonders vorsichtig zu sein. Bitte verwenden Sie ausschließlich ungefährliche Übungswaffen am besten aus Gummi. Auch eine gute Schutzausrüstung ist unerlässlich, um Verletzungen zu vermeiden: Schutzbrille, Kopfschutz, Schutzweste, Tiefschutz, Mundschutz, Ellenbogen- und Knieschützer etc.. Und gehen Sie stets verantwortungsbewusst mit Ihrem Übungspartner um.
Allgemein sollte beachtet werden, dass auch bereits eigentlich abgeschlossene Konflikte, in denen noch keine Waffen im Spiel waren, eine überraschende Wendung nehmen können. Insbesondere Türsteher wurden in der Vergangenheit immer wieder mit diesem Phänomen konfrontiert. Abgewiesene "Problemfälle" kamen nach einer erledigten Auseinandersetzung noch einmal zurück, nachdem sie sich aus ihrem Auto, einer nahen Wohnung oder von einem Freund eine Waffe besorgt hatten. Wenn sie also nicht gerade aus dienstlichen Gründen wie die Türsteher am Ort des Geschehens verweilen müssen, entfernen Sie sich unverzüglich von dort. Bringen Sie sich in Sicherheit und verständigen Sie von dort aus die Polizei. Und seien Sie bei "Rückkehrern" immer besonders auf der Hut und rechnen mit Waffenangriffen!
Behalten Sie bei einem Streit grundsätzlich die Hände des Aggressors im Auge, denn von ihnen geht die größte Gefahr aus. Befindet sich eine Hand hinter dem Rücken, in einer Tasche oder sonst wie verdeckt, so müssen wir das als Hinweis auf einen möglichen Angriff mit einer Waffe deuten. Selbst ein offen gezücktes Messer kann bei schlechten Lichtverhältnissen oder entsprechendem Hintergrund von uns übersehen werden. Drehen Sie den Gegnern auch nach Beendigung der Auseinandersetzung nie den Rücken zu.
Wenn wir denn mit einer Waffe angegriffen werden sollten, so ist die Wahrscheinlichkeit zumindest in Deutschland am größten, dass es sich dabei um ein Messer handelt. Diese sind frei verkäuflich, leicht zu beschaffen und aufgrund der Größe auch problemlos mitzuführen. Die Handhabung ist einfacher als die einer Schusswaffe. Ein Messer hat keine Ladehemmung, muss nicht nachgeladen werden und ist treffgenauer als ein Geschoss. Viele Opfer eines Messerangriffes berichten, dass sie zunächst noch nicht einmal bemerkt hatten, mit einem Messer angegriffen worden zu sein. Dieses wurde verdeckt getragen und als der Angriff erfolgte, spürten sie zunächst nur einen dumpfen Schlag. Erst später wurde aufgrund der Blutung festgestellt, dass eine Stichwaffe im Spiel gewesen sein musste.
Also selbst, wenn wir zunächst keine Waffe sehen, müssen wir dennoch immer davon ausgehen, dass z.B. ein Messer Verwendung finden könnte. Dies macht für unsere Abwehr aber keinen Unterschied. Ob der Angreifer letztendlich ein Messer in Händen hält oder "nur" mit der bloßen Hand angreift, ändert nichts an unseren Verteidigungsprinzipien und Abwehrschritten: