Inhalt

  1. Bedeutung der Gesetzlichen Krankenversicherung und Abgrenzung zu anderen Versicherungen
  2. Mitgliedschaft und Beitragsrecht
    1. Pflichtversicherung
      1. Beschäftigte gegen Arbeitsentgelt
      2. Arbeitslose Personen
      3. Künstler und Publizisten
      4. Studenten
      5. Rentner
      6. Auffangtatbestand, § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V
    2. Versicherungsfreiheit
      1. Versicherungsfreiheit bei anderweitiger Absicherung
      2. Versicherungsfreiheit bei geringfügiger Beschäftigung
    3. Befreiung von der Versicherungspflicht
    4. Freiwillige Versicherung
    5. Familienversicherung
    6. Berechnung der Beiträge
    7. Wahltarife
      1. Wahltarif „besondere Versorgungsformen“
      2. Wahltarif „Kostenerstattung“
      3. Wahltarif „Modifizierung des Krankengeldanspruchs“
      4. Bindungsfristen
      5. Prämienzahlungen an Versicherte
    8. Zuzahlungen
  3. Prinzipien des Leistungsrechts
    1. Der Krankheitsbegriff
    2. Verschuldete Krankheiten
      1. Vorsätzliche Herbeiführung
      2. Straftaten
      3. Nicht medizinisch indizierte Maßnahmen
    3. Das Sachleistungsprinzip
      1. Sachleistungsdreieck
      2. Vergütungsviereck der vertragsärztlichen Versorgung
      3. Ausnahmen vom Sachleistungsprinzip
    4. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip
      1. Ausreichende Versorgung
      2. Notwendige Versorgung
      3. Zweckmäßig Versorgung
    5. Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
      1. Ausnahmen vom Verbot des Abs. 1 Satz 1
      2. Systemversagen
      3. „Nikolausbeschluss“
      4. Seltenheitsfälle
      5. ambulante Krankenhausbehandlungen
    6. Leistungserbringung zum Festbetrag
  4. Der Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung
    1. Sach- und Dienstleistungen
    2. Fahrkosten
    3. Krankengeld
      1. Arbeitsunfähigkeit
      2. Kein Ausschluss des Krankengeldanspruchs
      3. Entstehen des Krankengeldanspruch
      4. Ruhen des Krankengeldanspruchs
      5. Dauer des Krankengeldanspruchs
      6. Höhe des Krankengeldanspruch

A. Bedeutung der Gesetzlichen
Krankenversicherung und
Abgrenzung zu anderen
Versicherungen

Über 70 Million Menschen sind über die Gesetzliche Krankenversicherung bezüglich gesundheitlicher Risiken abgesichert. Über 55 Million davon sind Mitglieder einer Gesetzlichen Krankenkasse, immerhin über 16 Million Menschen sind beitragsfrei krankenversichert. Die Gesetzliche Krankenversicherung erfasst damit mehr als die meisten anderen Zweige der Sozialversicherung nahezu die gesamte Bevölkerung und alle ihre sozialen und wirtschaftlichen Schichten. Die Gesetzliche Krankenkasse ist im Leistungsrecht geprägt durch das Sachleistungsprinzip und das Wirtschaftlichkeitsprinzip. Das Sachleistungsprinzip wirkt der finanziellen Überforderung des Versicherten entgegen, in dem dieser neben der Beitragszahlung grundsätzlich keinen finanziellen Aufwand für Gesundheitsleistung hat, insbesondere selbst keine Rechnungen von Leistungserbringern erhält. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip begrenzt den Leistungsumfang des Sachleistungsprinzips auf medizinische Leistungen, die zweckmäßig, erforderlich und wirtschaftlich im engeren Sinne sind. In der Abwehr negativer Entscheidung seiner Krankenkasse profitiert der Versicherte ferner von der Klägerfreundlichkeit der Sozialgerichtsbarkeit.

Neben der Gesetzlichen Krankenversicherung bestehen noch weitere Systeme für die Absicherung gesundheitlicher Risiken. Insbesondere haben Selbständige und Arbeitnehmer mit höherem Einkommen die Möglichkeit sich in der Privaten Krankenversicherung zu versichern. Der Rechtsrahmen für die Private Krankenversicherung ist dann nicht das SGB V, sondern das VVG. Es handelt sich also nicht um eine Sozialversicherung, sondern um eine privatrechtliche Versicherung mit der Folge, dass die vom Versicherten gezahlte Prämie sich an seinem individuellen versicherten Risiko orientiert. Im Gegensatz zu Gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt die Behandlung auch nicht nach dem Sachleistungsprinzip, sondern gegen Kostenerstattung, so dass der Versicherte regelmäßig die finanziellen Mittel bereit halten muss, für die medizinische Leistung in wirtschaftliche Vorleistung zu treten. Ein weiterer Nachteil ist, dass der Privaten Krankenversicherung die beitragsfreie Familienversicherung fremd ist. Ferner hat der Versicherte den Nachteil, gegen für ihn nachteilige Entscheidungen seiner privaten Krankenkasse auf dem Zivilrechtsweg angehen zu müssen. Er profitiert damit nicht von der Kosten- und Formfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens und dem Amtsermittlungsgrundsatz bei der oft komplexen Feststellung des medizinischen Sachverhalts mit nicht selten kostenaufwändigen und damit kostenrisikoträchtigen Sachverständigengutachten. Diesen Nachteilen stehen insbesondere faktische Vorteile in einem leicht ausgeweiteten Leistungsrecht gegenüber.

Beamte erhalten ferner aufgrund des beamtenrechtlichen Alimentationsprinzips Beihilfe. Ähnlich der privaten Krankenversicherung übernimmt dabei der Dienstherr Teile der Kosten medizinischer Leistungen des Beamten und seiner Familie. Den nicht hiervon umfassten Teil sichern Beamte regelmäßig mittels ergänzender privater Krankenversicherungsverträge ab.

Wegen § 5 Nr. 13 SGB V existieren nur noch wenige Fälle, in denen Menschen durch keines der o.g. System eine Absicherung im Krankheitsfall haben. Für diese Ausnahmefälle sieht das SGB XII die Sozialhilfe vor. Gem. § 48 SGB XII folgt die Leistungserbringung den Regelungen des SGB V.

B. Mitgliedschaft und Beitragsrecht

Die Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung begründet ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Sie tritt regelmäßig kraft Gesetzes ein (Pflichtversicherung), sie kann in einigen Fällen aber auch durch Antrag begründet werden (freiwillige Versicherung).

I. Pflichtversicherung

Die Pflichtversicherungstatbestände sind in § 5 SGB V geregelt. Sie enthalten eine typisierende Wertung des Gesetzgebers dahingehend, dass die dort genannten Personenkreis für schutzwürdig erachtet werden, einer Absicherung im Krankheitsfall zu bedürfen. Als Folge dieser Typisierung sind gem. § 5 Abs. 5 SGB V hauptberuflich Selbständige von der Pflichtversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen (und müssen sich dementsprechend privat oder freiwillig gesetzlich versichern). Durch die Einführung des Auffangtatbestands in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zum 1. Juli 2007 hat die gesetzgeberische Wertung freilich an Bedeutung verloren, weil hierdurch letztlich eine allgemeine Krankenversicherungspflicht besteht. Ergänzt wird die allgemeine Krankenversicherungspflicht seit 1. Januar 2009 durch § 193 Abs. 3 VVG für den von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht erfassten Personenkreis. Im Folgenden werden die wichtigsten Versicherungspflichttatbestände im Einzelnen vorgestellt:

1. Beschäftigte gegen Arbeitsentgelt

Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3-4a SGB V sind Beschäftigte gegen Arbeitsentgelt in der Gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert.

a. Beschäftigungsbegriff

Gem. § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die Versicherungspflicht nach Nr. 1 ist grundsätzlich gegenüber allen anderen Versicherungspflichttatbeständen vorrangig. Gegenüber. den in Nr. 5 bis 12 geregelten Tatbeständen ergibt sich dies aus Abs. 6 bis 8.

Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Eingliederung in den Betrieb wird deutlich an der Unterordnung unter ein vor allem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers, das dieser auch an andere Personen weitergeben kann. Es muss eine fremdbestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung eines Betriebes aufgehen. Besteht eine vertragliche Verpflichtung zur Erbringung einer Mindestleistung, erfolgt die Vergütung nach einem vereinbarten Honorar je Einzelleistung und besteht Anspruch auf Urlaubsgeld, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende seine Tätigkeit also im Wesentlichen frei gestalten, insbesondere über die Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst vorgegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbstständige Tätigkeit vor. Eine selbständige Tätigkeit ist zudem regelmäßig durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet. Ein Unternehmerrisiko, das abzugrenzen ist von einem bloßen Einkommensrisiko, kennzeichnet sich durch weitere Aufwendungen, die der Gefahr unterliegen, frustrierte Investitionen zu werden, sofern sich eine unternehmerische Hoffnung nicht realisiert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eigene Betriebsmittel beschafft oder eigene Angestellte fest eingestellt werden. Einem Unternehmerrisiko steht stets eine Unternehmerchance gegenüber. Unter einer Unternehmerchance ist die unmittelbare Teilhabe am Unternehmenserfolg vor allem durch Beteiligung am Gewinn zu verstehen. Indizien für eine weisungsfreie und deshalb unternehmerische Tätigkeit sind ferner das Fehlen eines schriftlichen Anstellungsvertrages sowie abweichende Tätigkeitsregelungen im Vergleich zu den übrigen Arbeitnehmern. Die Kriterien für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind gegeneinander abzuwägen. Jedes Kriterium hat indizielle Wirkung. Entscheidend ist, welche Merkmale überwiegen. Maßgeblich ist das Gesamtbild der Tätigkeit. Dabei kommt es für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, vorrangig auf die tatsächliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses an, die vertraglich vereinbarte Rechtslage ist demgegenüber nachrangig, wenn auch Ausgangspunkt der Beurteilung und unter dem Aspekt der Privatautonomie zu berücksichtigen.

b. Insbesondere: Selbständigkeit und
Gesellschaftsrecht

Für den Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft, insbesondere einer GmbH, ist anerkannt, dass er kein Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts ist. Dies alleine bedeutet jedoch nicht zwingend, dass er auch kein Beschäftigter im Sinne des Sozialversicherungsrechts ist. Entscheidend kommt es vielmehr auch hier darauf an, ob er unter persönlicher Abhängigkeit – von der Gesellschaft – tätig wird.

Das BSG1 hat jüngst seine Rechtsprechung zur Sozialversicherungspflicht des GmbH-Geschäftsführers modifiziert:

„Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 vH der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine „unechte“, auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht, die den Gesellschafter-Geschäftsführer in die Lage versetzt, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können, 2