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Johann Wolfgang von Goethe

Gesammelte Werke

Die Gedichte

Anaconda

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

© 2015 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

INHALT

Frühe Gedichte

Gedichte der Knabenjahre

Anakreontik

Sturm und Drang

Sesenheimer Lieder

Die großen Hymnen

Die Künstlergedichte

Balladen

Gelegenheitsgedichte

Lili

Gedichte der ersten Mannesjahre

Gelegenheitsgedichte aus dem Weimarer Kreise

Verse an Lida

Natur- und Weltanschauungs-Lyrik

Balladen

Die Zeit der Klassik

Römische Elegien

Venezianische Epigramme

Elegien und Lehrgedichte

Vermischte Epigramme

Xenien

Lyrisches

Gedichte auf Personen und Ereignisse

Balladen

Sonette

Alterswerke

Sprüche

Gedichte an Personen

Die weltanschaulichen Gedichte

Die späte Lyrik

Gedichte aus »Wilhelm Meister«

West-Östlicher Divan

Reineke Fuchs

Hermann und Dorothea

Achilleis

FRÜHE GEDICHTE

Gedichte der Knabenjahre

Bei dem erfreulichen Anbruche des 1757. Jahres
wollte seinen hochgeehrtesten und herzlichgeliebten Großeltern
die Gesinnungen kindlicher Hochachtung und Liebe
durch folgende Segenswünsche zu erkennen geben
deroselben treugehorsamster Enkel
Johann Wolfgang Goethe.

Erhabner Großpapa!

Ein Neues Jahr erscheint,

Drum muss ich meine Pflicht und Schuldigkeit entrichten,

Die Ehrfurcht heißt mich hier aus reinem Herzen dichten,

So schlecht es aber ist, so gut ist es gemeint.

Gott, der die Zeit erneut, erneure auch Ihr Glück,

Und kröne Sie dies Jahr mit stetem Wohlergehen;

Ihr Wohlsein müsse lang so fest wie Zedern stehen,

Ihr Tun begleite stets ein günstiges Geschick;

Ihr Haus sei wie bisher des Segens Sammelplatz,

Und lasse Sie noch spät Möninens Ruder führen,

Gesundheit müsse Sie bis an Ihr Ende zieren,

Dann diese ist gewiss der allergrößte Schatz.

Erhabne Großmama!

Des Jahres erster Tag

Erweckt in meiner Brust ein zärtliches Empfinden

Und heißt mich ebenfalls Sie jetzo anzubinden

Mit Versen, die vielleicht kein Kenner lesen mag;

Indessen hören Sie die schlechte Zeilen an,

Indem sie wie mein Wunsch aus wahrer Liebe fließen.

Der Segen müsse sich heut über Sie ergießen,

Der Höchste schütze Sie, wie er bisher getan.

Er wolle Ihnen stets, was Sie sich wünschen, geben

Und lasse Sie noch oft ein Neues Jahr erleben.

Dies sind die Erstlinge, die Sie anheut empfangen,

Die Feder wird hinfort mehr Fertigkeit erlangen.

Bei diesem neuen Jahreswechsel überreicht
seinen verehrungswürdigen Großeltern dieses Opfer
aus kindlicher Hochachtung
Joh. Wolfg. Goethe den 1. Jenner 1762.

Großeltern, da dies Jahr heut seinen Anfang nimmt,

So nehmt auch dieses an, das ich vor Euch bestimmt,

Und ob Apollo schon mir nicht geneigt gewesen,

So würdiget es doch nur einmal durchzulesen.

Ich wünsch aus kindlichem gehorsamen Gemüte

Euch alles Glück und Heil von Gottes Hand und Güte,

Sein guter Engel sei bei Euch in aller Zeit.

Er geb’ Euch das Geleit in Widerwärtigkeit

Sowohl als in dem Glück und lass Euch lang noch leben,

Dass Ihr Urenklen noch den Segen könnet geben;

Dies schreibt der älteste von Eurer Töchter Söhnen,

Um sich auch nach und nach zu denken angewöhnen,

Und zeigt ingleichen hier mit diesen Zeilen an,

Was er dies Jahr hindurch im Schreiben hat getan.

Wenn mich bis übers Jahr die Parzen schonen täten,

Wie gerne wollt’ ich denn mit fremder Zunge reden.

POETISCHE GEDANKEN
ÜBER DIE HÖLLENFAHRT JESU CHRISTI
Auf Verlangen entworfen von J. W. G.

Welch ungewöhnliches Getümmel!

Ein Jauchzen tönet durch die Himmel.

Ein großes Heer zieht herrlich fort.

Gefolgt von tausend Millionen

Steigt Gottes Sohn von seinen Thronen

Und eilt an jenen finstern Ort.

Er eilt, umgeben von Gewittern;

Als Richter kommt Er und als Held.

Er geht, und alle Sterne zittern.

Die Sonne bebt. Es bebt die Welt.

Ich seh’ Ihn auf dem Siegeswagen,

Von Feuerrädern fortgetragen,

Den, der für uns am Kreuze starb.

Er zeigt den Sieg auch jenen Fernen,

Weit von der Welt, weit von den Sternen,

Den Sieg, den Er für uns erwarb.

Er kommt, die Hölle zu zerstören,

Die schon sein Tod darnieder schlug;

Sie soll von Ihm ihr Urteil hören.

Hört! Jetzt erfüllet sich der Fluch.

Die Hölle sieht den Sieger kommen,

Sie fühlt sich ihre Macht genommen.

Sie bebt und scheut Sein Angesicht.

Sie kennet Seines Donners Schrecken.

Sie sucht umsonst sich zu verstecken.

Sie sucht zu fliehn und kann es nicht.

Sie eilt vergebens, sich zu retten

Und sich dem Richter zu entziehn,

Der Zorn des Herrn, gleich ehrnen Ketten,

Hält ihren Fuß, sie kann nicht fliehn.

Hier lieget der zertretne Drache,

Er liegt und fühlt des Höchsten Rache,

Er fühlet sie und knirscht vor Wut.

Er fühlt der ganzen Hölle Qualen,

Er ächzt und heult bei tausend Malen:

Vernichte mich, o heiße Glut!

Da liegt er in dem Flammen-Meere,

Ihn foltern ewig Angst und Pein.

Er flucht, dass ihn die Qual verzehre,

Und hört, die Qual soll ewig sein.

Auch hier sind jene große Scharen,

Die mit ihm gleichen Lasters waren,

Doch lange nicht so bös als er.

Hier liegt die ungezählte Menge,

In schwarzem schröcklichen Gedränge,

Im Feuer-Orkan um ihn her.

Er sieht, wie sie den Richter scheuen,

Er sieht, wie sie der Sturm zerfrisst.

Er sieht’s und kann sich doch nicht freuen,

Weil seine Pein noch größer ist.

Des Menschen Sohn steigt im Triumphe

Hinab zum schwarzen Höllen-Sumpfe

Und zeigt dort Seine Herrlichkeit.

Die Hölle kann den Glanz nicht tragen,

Seit ihren ersten Schöpfungstagen

Beherrschte sie die Dunkelheit.

Sie lag entfernt von allem Lichte,

Erfüllt von Qual im Chaos hier.

Den Strahl von Seinem Angesichte

Verwandte Gott auf stets von ihr.

Jetzt siehet sie in ihren Grenzen

Die Herrlichkeit des Sohnes glänzen,

Die fürchterliche Majestät.

Sie sieht mit Donnern Ihn umgeben,

Sie sieht, dass alle Felsen beben,

Wie Gott im Grimme vor ihr steht.

Sie sieht’s, Er kommet, sie zu richten,

Sie fühlt den Schmerzen, der sie plagt;

Sie wünscht umsonst, sich zu vernichten.

Auch dieser Trost bleibt ihr versagt.

Nun denkt sie an ihr altes Glücke,

Voll Pein an jene Zeit zurücke,

Da dieser Glanz ihr Lust gebar;

Da noch ihr Herz im Stand der Tugend,

Ihr froher Geist in frischer Jugend

Und stets voll neuer Wonne war.

Sie denkt mit Wut an ihr Verbrechen,

Wie sie die Menschen kühn betrog.

Sie dachte sich an Gott zu rächen,

Jetzt fühlt sie, was es nach sich zog.

Gott ward ein Mensch. Er kam auf Erden.

Auch dieser soll mein Opfer werden,

Sprach Satanas und freute sich.

Er suchte Christum zu verderben,

Der Welten Schöpfer sollte sterben.

Doch weh dir, Satan, ewiglich!

Du glaubtest Ihn zu überwinden,

Du freutest dich bei Seiner Not.

Doch siegreich kommt Er, dich zu binden.

Wo ist dein Stachel hin, o Tod?

Sprich, Hölle! Sprich, wo ist dein Siegen?

Sieh nur, wie deine Mächte liegen.

Erkennst du bald des Höchsten Macht?

Sieh, Satan! Sieh dein Reich zerstöret.

Von tausendfacher Qual beschweret

Liegst du in ewig finstrer Nacht.

Da liegst du wie vom Blitz getroffen.

Kein Schein vom Glück erfreuet dich.

Es ist umsonst. Du darfst nichts hoffen,

Messias starb allein für mich!

Es steigt ein Heulen durch die Lüfte,

Schnell wanken jene schwarze Grüfte,

Als Christus Sich der Hölle zeigt.

Sie knirscht aus Wut; doch ihrem Wüten

Kann unser großer Held gebieten;

Er winkt, die ganze Hölle schweigt.

Der Donner rollt vor Seiner Stimme.

Die hohe Siegesfahne weht.

Selbst Engel zittern vor dem Grimme,

Wann Christus zum Gerichte geht.

Jetzt spricht Er; Donner ist Sein Sprechen,

Er spricht, und alle Felsen brechen.

Sein Atem ist dem Feuer gleich.

So spricht Er: Zittert, ihr Verruchte!

Der, der in Eden euch verfluchte,

Kommt und zerstöret euer Reich.

Seht auf! Ihr waret Meine Kinder,

Ihr habt euch wider Mich empört.

Ihr fielt und wurdet freche Sünder,

Ihr habt den Lohn, der euch gehört.

Ihr wurdet Meine größten Feinde,

Verführtet Meine liebsten Freunde.

Die Menschen fielen so wie ihr.

Ihr wolltet ewig sie verderben.

Des Todes sollten alle sterben.

Doch, heulet! Ich erwarb sie Mir.

Für sie bin Ich herab gegangen,

Ich litt, Ich bat, Ich starb für sie.

Ihr sollt nicht euren Zweck erlangen.

Wer an Mich glaubt, der stirbet nie.

Hier lieget ihr in ew’gen Ketten,

Nichts kann euch aus dem Pfuhl erretten,

Nicht Reue, nicht Verwegenheit.

Da liegt, krümmt euch in Schwefel-Flammen!

Ihr eiltet, euch selbst zu verdammen,

Da liegt und klagt in Ewigkeit!

Auch ihr, so Ich Mir auserkoren,

Auch ihr verscherztet Meine Huld;

Auch ihr seid ewiglich verloren.

Ihr murret? Gebt Mir keine Schuld.

Ihr solltet ewig mit Mir leben,

Euch ward hierzu Mein Wort gegeben,

Ihr sündigtet und folgtet nicht.

Ihr lebtet in dem Sünden-Schlafe.

Nun quält euch die gerechte Strafe,

Ihr fühlt Mein schreckliches Gericht. —

So sprach Er, und ein furchtbar Wetter

Geht von Ihm aus. Die Blitze glühn.

Der Donner fasst die Übertreter

Und stürzt sie in den Abgrund hin.

Der Gott-Mensch schließt der Höllen Pforten,

Er schwingt Sich aus den dunklen Orten

In Seine Herrlichkeit zurück.

Er sitzet an des Vaters Seiten,

Er will noch immer für uns streiten.

Er will’s! O Freunde! Welches Glück!

Der Engel feierliche Chöre,

Die jauchzen vor dem großen Gott,

Dass es die ganze Schöpfung höre:

Groß ist der Herr Gott Zebaoth!

AN MEINE MUTTER

Obgleich kein Gruß, obgleich kein Brief von mir

So lang dir kömmt, lass keinen Zweifel doch

Ins Herz, als wär’ die Zärtlichkeit des Sohns,

Die ich dir schuldig bin, aus meiner Brust

Entwichen. Nein, so wenig als der Fels,

Der tief im Fluss vor ew’gem Anker liegt,

Aus seiner Stätte weicht, obgleich die Flut

Mit stürm’schen Wellen bald, mit sanften bald

Darüber fließt und ihn dem Aug’ entreißt,

So wenig weicht die Zärtlichkeit für dich

Aus meiner Brust, obgleich des Lebens Strom

Vom Schmerz gepeitscht bald stürmend drüber fließt,

Und von der Freude bald gestreichelt still

Sie deckt und sie verhindert, dass sie nicht

Ihr Haupt der Sonne zeigt und ringsumher

Zurückgeworfne Strahlen trägt und dir

Bei jedem Blicke zeigt, wie dich dein Sohn verehrt.

 

Anakreontik

AN ANNETTEN

Es nannten ihre Bücher

Die Alten sonst nach Göttern,

Nach Musen und nach Freunden,

Doch keiner nach der Liebsten.

Warum sollt’ ich, Annette,

Die Du mir Gottheit, Muse

Und Freund mir bist und alles,

Dies Buch nicht auch nach Deinem

Geliebten Namen nennen?

ZIBLIS,
EINE ERZÄHLUNG

Mädchen, setzt euch zu mir nieder,

Niemand stört hier unsre Ruh,

Seht, es kommt der Frühling wieder,

Weckt die Blumen und die Lieder,

Ihn zu ehren hört mir zu.

Weise, strenge Mütter lehren:

Mädchen, flieht der Männer List!

Und doch lasst ihr euch betören.

Hört, ihr sollt ein Beispiel hören,

Wer am meisten furchtbar ist.

Ziblis, jung und schön, zur Liebe,

Zu der Zärtlichkeit gemacht,

Floh aus rauem wilden Triebe —

Nicht aus Tugend — alle Liebe;

Ihre Freude war die Jagd.

Als sie einst tief im Gesträuche

Sorglos froh ein Liedchen sang,

Ward sie blass wie eine Leiche,

Da aus einer alten Eiche

Ein gehörnter Waldgott sprang.

Zärtlich lacht das Ungeheuer,

Ziblis wendet ihr Gesicht,

Läuft, doch der gehörnte Freier

Springt ihr wie ein hüpfend Feuer

Nach und ruft: O flieh mich nicht!

Schrein kann niemals überwinden.

Sie lief schneller, er ihr nach.

Endlich kam sie zu den Gründen,

Da wo unter jungen Linden

Emiren am Wasser lag.

Hilf mir! rief sie. Er voll Freude,

Dass er so die Nymphe sah,

Stand bewaffnet zu dem Streite

Mit dem Ast der nächsten Weide,

Als der Waldgott kam, schon da.

Der trat näher, ihn zu höhnen,

Und ging schnell den Zweikampf ein.

Sie erbebt für Emirenen.

Immer wird das Herz der Schönen

Auf des Schönen Seite sein.

Seinen Feind im Sand zu höhnen

Regt sich Fuß und Arm und Hand

Bald mit Stoßen bald mit Dehnen.

Liebe stärkt die Kraft der Sehnen:

Beide waren gleich entbrannt.

Endlich sinkt der Faun zur Erden,

Denn ihn traf ein harter Streich.

Grässlich zerrt er die Gebärden.

Emiren, ihn loszuwerden,

Wirft ihn in den nächsten Teich.

Ziblis lag mit matten Blicken,

Da der Sieger kam, im Gras.

Wird’s ihm ihr zu helfen glücken?

Leicht sind Mädchen zu erquicken,

Oft ist ihre Krankheit Spaß.

Sie erhebt sich. Neues Leben

Gibt ein heißer Kuss ihr gleich.

Doch, der einen schon gegeben,

Sollte nicht nach mehrern streben?

Das sieht einem Märchen gleich.

Wartet nur! Es folgten Küsse

Hundertweis. Sie schmeckten ihr.

Ja, die Mäulchen schmecken süße,

Und bei Ziblis waren diese

Gar die ersten. Glaubt es mir!

Darum sog mit langen Zügen

Sie begierig immer mehr.

Endlich, trunken von Vergnügen,

Ward dem Emiren das Siegen,

Wie ihr denken könnt, nicht schwer.

Mädchen, fürchtet rauer Leute

Buhlerische Wollust nie.

Die im ehrfurchtsvollen Kleide

Viel von unschuldsvoller Freude

Reden, Mädchen, fürchtet die!

Wacht, denn da ist nichts zu scherzen!

Seid viel lieber klug als kalt.

Zittert stets für eure Herzen!

Hat man einmal diese Herzen —

Ha, das andre hat man bald.

AN DEN SCHLAF

Der du mit deinem Mohne

Der Götter Augen zwingst,

Und Bettler oft zum Throne,

Zum Mädchen Schäfer bringst,

Hör mich: Kein Traumgespinste

Verlang ich heut von dir,

Den größten deiner Dienste,

Geliebter, leiste mir.

An meines Mädchens Seite

Sitz ich, ihr Aug’ spricht Lust,

Und unter neid’scher Seide

Steigt fühlbar ihre Brust.

Oft wären, sie zu küssen,

Die gier’gen Lippen nah,

Doch ach — dies muss ich missen:

Es sitzt die Mutter da!

Heut Abend bin ich wieder

Bei ihr. O, tritt herein,

Sprüh’ Mohn von dem Gefieder,

Da schlaf ’ die Mutter ein,

Blass werd’ der Lichter Scheinen.

Von Lieb’ mein Mädchen warm

Sink, wie Mama in deinen,

Ganz still in meinen Arm.

ANNETTE AN IHREN GELIEBTEN

Ich sah, wie Doris bei Damöten stand,

Er nahm sie zärtlich bei der Hand;

Lang sahen sie einander an,

Und sahn sich um, ob nicht die Eltern wachen,

Und da sie niemand sahn,

Geschwind — genug, sie machten’s wie wir’s machen.

DAS SCHREIEN
Nach dem Italienischen

Jüngst schlich ich meinem Mädchen nach,

Und ohne Hindernis

Umfasst’ ich sie im Hain; sie sprach:

»Lass mich, ich schrei’ gewiss!«

Da droht’ ich trotzig: »Ha, ich will

Den töten, der uns stört!«

»Still«, winkt sie lispelnd, »Liebster, still,

Damit dich niemand hört!«

DIE NACHT

Gern verlass’ ich diese Hütte,

Meiner Schönen Aufenthalt,

Und durchstreich mit leisem Tritte

Diesen ausgestorbnen Wald.

Luna bricht die Nacht der Eichen,

Zephirs melden ihren Lauf,

Und die Birken streun mit Neigen

Ihr den süßten Weihrauch auf.

Schauer, der das Herze fühlen,

Der die Seele schmelzen macht,

Wandelt im Gebüsch im Kühlen.

Welche schöne, süße Nacht!

Freude! Wollust! Kaum zu fassen!

Und doch wollt’ ich, Himmel, dir

Tausend deiner Nächte lassen,

Gäb’ mein Mädchen eine mir.

WUNSCH EINES KLEINEN MÄDCHEN

Ach, fände für mich

Ein Bräutigam sich!

Wie schön ist’s nicht da,

Man nennt uns Mama,

Da braucht man zum Nähen,

Zur Schul’ nicht zu gehen,

Da kann man befehlen,

Hat Mägde, darf schmälen,

Da schickt man zum Schneider,

Gleich bringt der uns Kleider.

Da lässt man spazieren,

Auf Bälle sich führen

Und fragt nicht erst lange

Papa und Mama.

DIE FREUDEN

Da flattert um die Quelle

Die wechselnde Libelle,

Der Wasserpapillon,

Bald dunkel und bald helle

Wie ein Chamäleon;

Bald rot und blau, bald blau und grün,

O dass ich in der Nähe

Doch seine Farben sähe!

Da fliegt der Kleine vor mir hin

Und setzt sich auf die stillen Weiden.

Da hab’ ich ihn, da hab’ ich ihn!

Und nun betracht’ ich ihn genau

Und seh’ ein traurig dunkles Blau.

So geht es dir, Zergliedrer deiner Freuden!

UNBESTÄNDIGKEIT

Auf Kieseln im Bache, da lieg’ ich, wie helle,

Verbreite die Arme der kommenden Welle,

Und buhlerisch drückt sie die sehnende Brust.

Dann trägt sie ihr Leichtsinn im Strome darnieder,

Schon naht sich die zweite und streichelt mich wieder,

Da fühl’ ich die Freuden der wechselnden Lust.

O Jüngling, sei weise, verwein’ nicht vergebens

Die fröhlichsten Stunden des traurigen Lebens,

Wenn flatterhaft je dich ein Mädchen vergisst.

Geh, ruf sie zurücke, die vorigen Zeiten,

Es küsst sich so süße der Busen der zweiten

Als kaum sich der Busen der ersten geküsst.

AN DEN MOND

Schwester von dem ersten Licht,

Bild der Zärtlichkeit in Trauer,

Nebel schwimmt mit Silberschauer

Um dein reizendes Gesicht.

Deines leisen Fußes Lauf

Weckt aus tagverschlossnen Höhlen

Traurig abgeschiedne Seelen,

Mich, und nächt’ge Vögel auf.

Forschend übersieht dein Blick

Eine großgemessne Weite.

Hebe mich an deine Seite,

Gib der Schwärmerei dies Glück!

Und in wollustvoller Ruh

Säh’ der weitverschlagne Ritter

Durch das gläserne Gegitter

Seines Mädchens Nächten zu.

Dämmrung, wo die Wollust thront,

Schwimmt um ihre runden Glieder.

Trunken sinkt mein Blick hernieder —

Was verhüllt man wohl dem Mond!

Doch was das für Wünsche sind!

Voll Begierde zu genießen,

So da droben hängen müssen —

Ei, da schieltest du dich blind!

ODEN AN MEINEN FREUND. 1767.

Erste Ode

Verpflanze den schönen Baum,

Gärtner, er jammert mich.

Glücklicheres Erdreich

Verdiente der Stamm.

Noch hat seiner Natur Kraft

Der Erde aussaugendem Geize,

Der Luft verderbender Fäulnis,

Ein Gegengift, widerstanden.

Sieh, wie er im Frühling

Lichtgrüne Blätter schlägt!

Ihr Orangenduft

Ist dem Geschmeiße Gift.

Der Raupen tückischer Zahn

Wird stumpf an ihnen,

Es blinkt ihr Silberglanz

Im Sonnenscheine.

Von seinen Zweigen

Wünscht das Mädchen

Im Brautkranze;

Früchte hoffen Jünglinge.

Aber sieh, der Herbst kömmt:

Da geht die Raupe,

Klagt der listigen Spinne

Des Baums Unverwelklichkeit.

Schwebend zieht sich

Von ihrer Taxuswohnung

Die Prachtfeindin herüber

Zum wohltätigen Baum

Und kann nicht schaden;

Aber die Vielkünstliche

Überzieht mit grauem Ekel

Die Silberblätter,

Sieht triumphierend,

Wie das Mädchen schaurend,

Der Jüngling jammernd

Vorübergeht.

Verpflanze den schönen Baum,

Gärtner, er jammert mich.

Baum, danke dem Gärtner,

Der dich verpflanzt!

Zwote Ode

Du gehst. Ich murre.

Geh! Lass mich murren.

Ehrlicher Mann,

Fliehe dieses Land.

Tote Sümpfe,

Dampfende Oktobernebel

Verweben ihre Ausflüsse

Hier unzertrennlich.

Gebärort

Schädlicher Insekten,

Mörderhülle

Ihrer Bosheit.

Am schilfigten Ufer

Liegt die wollüstige,

Flammengezüngte Schlange,

Gestreichelt vom Sonnenstrahl.

Fliehe sanfte Nachtgänge

In der Mondendämmerung,

Dort halten zuckende Kröten

Zusammenkünfte auf Kreuzwegen.

Schaden sie nicht,

Werden sie schrecken.

Ehrlicher Mann,

Fliehe dieses Land!

Dritte Ode

Sei gefühllos!

Ein leichtbewegtes Herz

Ist ein elend Gut

Auf der wankenden Erde.

Behrisch, des Frühlings Lächeln

Erheitre deine Stirne nie,

Nie trübt sie dann mit Verdruss

Des Winters stürmischer Ernst.

Lehne dich nie an des Mädchens

Sorgenverwiegende Brust,

Nie auf des Freundes

Elend tragenden Arm.

Schon versammelt

Von seiner Klippenwarte

Der Neid auf dich

Den ganzen luchsgleichen Blick,

Dehnt die Klauen,

Stürzt und schlägt

Hinterlistig sie

Dir in die Schultern.

Stark sind die magern Arme,

Wie Panter-Arme,

Er schüttelt dich

Und reißt dich los.

Tod ist Trennung,

Dreifacher Tod

Trennung ohne Hoffnung

Wiederzusehn.

Gerne verließest du

Dieses gehasste Land,

Hielte dich nicht Freundschaft

Mit Blumenfesseln an mir.

Zerreiß sie! Ich klage nicht.

Kein edler Freund

Hält den Mitgefangnen,

Der fliehn kann, zurück.

Der Gedanke

Von des Freundes Freiheit

Ist ihm Freiheit

Im Kerker.

Du gehst, ich bleibe.

Aber schon drehen

Des letzten Jahrs Flügelspeichen

Sich um die rauchende Achse.

Ich zähle die Schläge

Des donnernden Rads,

Segne den letzten,

Da springen die Riegel, frei bin ich wie du.

STURM UND DRANG

Sesenheimer Lieder

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.

Seh’ ich nur einmal dein Gesicht,

Seh’ dir ins Auge nur einmal,

Frei wird mein Herz von aller Qual.

Gott weiß, wie mir so wohl geschicht!

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.

*

Ich komme bald, ihr goldnen Kinder,

Vergebens sperret uns der Winter

In unsre warmen Stuben ein.

Wir wollen uns zum Feuer setzen

Und tausendfältig uns ergötzen,

Uns lieben wie die Engelein.

Wir wollen kleine Kränzchen winden,

Wir wollen kleine Sträußchen binden

Und wie die kleinen Kinder sein.

*

Jetzt fühlt der Engel, was ich fühle,

Ihr Herz gewann ich mir beim Spiele,

Und sie ist nun von Herzen mein.

Du gabst mir, Schicksal, diese Freude,

Nun lass auch morgen sein wie heute

Und lehr’ mich, ihrer würdig sein.

*

Kleine Blumen, kleine Blätter

Streuen mir mit leichter Hand

Gute junge Frühlings-Götter

Tändlend auf ein luftig Band.

Zephir, nimm’s auf deine Flügel,

Schling’s um meiner Liebsten Kleid!

Und dann tritt sie für den Spiegel

Mit zufriedner Munterkeit.

Sieht mit Rosen sich umgeben,

Sie wie eine Rose jung.

Einen Kuss, geliebtes Leben,

Und ich bin belohnt genung.

Schicksal, segne diese Triebe,

Lass mich ihr und lass sie mein,

Lass das Leben unsrer Liebe

Doch kein Rosen-Leben sein!

Mädchen, das wie ich empfindet,

Reich mir deine liebe Hand!

Und das Band, das uns verbindet,

Sei kein schwaches Rosen-Band!

MIT EINEM GEMALTEN BAND
Spätere Fassung

Kleine Blumen, kleine Blätter

Streuen mir mit leichter Hand

Gute junge Frühlingsgötter

Tändelnd auf ein luftig Band.

Zephyr, nimm’s auf deine Flügel,

Schling’s um meiner Liebsten Kleid!

Und so tritt sie vor den Spiegel

All in ihrer Munterkeit.

Sieht mit Rosen sich umgeben,

Selbst wie eine Rose jung:

Einen Blick, geliebtes Leben!

Und ich bin belohnt genung.

Fühle, was dies Herz empfindet,

Reiche frei mir deine Hand,

Und das Band, das uns verbindet,

Sei kein schwaches Rosenband!

Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde!

Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht.

Schon stund im Nebelkleid die Eiche

Wie ein getürmter Riese da,

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel

Sah schläfrig aus dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel,

Umsausten schauerlich mein Ohr.

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,

Doch tausendfacher war mein Mut,

Mein Geist war ein verzehrend Feuer,

Mein ganzes Herz zerfloss in Glut.

Ich sah dich, und die milde Freude

Floss aus dem süßen Blick auf mich.

Ganz war mein Herz an deiner Seite,

Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbes Frühlingswetter

Lag auf dem lieblichen Gesicht

Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter,

Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.

Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!

Aus deinen Blicken sprach dein Herz.

In deinen Küssen welche Liebe,

O welche Wonne, welcher Schmerz!

Du gingst, ich stund und sah zur Erden

Und sah dir nach mit nassem Blick.

Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,

Und lieben, Götter, welch ein Glück!

WILLKOMMEN UND ABSCHIED
Spätere Fassung

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!

Es war getan fast eh gedacht.

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht;

Schon stand im Nebelkleid die Eiche,

Ein aufgetürmter Riese, da,

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel

Sah kläglich aus dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel,

Umsausten schauerlich mein Ohr;

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,

Doch frisch und fröhlich war mein Mut:

In meinen Adern welches Feuer!

In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude

Floss von dem süßen Blick auf mich;

Ganz war mein Herz an deiner Seite

Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbnes Frühlingswetter

Umgab das liebliche Gesicht,

Und Zärtlichkeit für mich — ihr Götter!

Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne

Verengt der Abschied mir das Herz:

In deinen Küssen welche Wonne!

In deinem Auge welcher Schmerz!

Ich ging, du standst und sahst zur Erden

Und sahst mir nach mit nassem Blick:

Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!

Und lieben, Götter, welch ein Glück!

*

Erwache, Friederike,

Vertreib die Nacht,

Die einer deiner Blicke

Zum Tage macht.

Der Vögel sanft Geflüster

Ruft liebevoll,

Dass mein geliebt Geschwister

Erwachen soll.

Ist dir dein Wort nicht heilig

Und meine Ruh’?

Erwache! Unverzeihlich —

Noch schlummerst du!

Horch, Philomelens Kummer

Schweigt heute still,

Weil dich der böse Schlummer

Nicht meiden will.

Es zittert Morgenschimmer

Mit blödem Licht

Errötend durch dein Zimmer

Und weckt dich nicht.

Am Busen deiner Schwester,

Der für dich schlagt,

Entschläfst du immer fester,

Je mehr es tagt.

Ich seh’ dich schlummern, Schöne,

Vom Auge rinnt

Mir eine süße Träne

Und macht mich blind.

Wer kann es fühllos sehen,

Wer wird nicht heiß,

Und wär’ er von den Zehen

Zum Kopf von Eis!

Vielleicht erscheint dir träumend

— O Glück! — mein Bild,

Das halb voll Schlaf und reimend

Die Musen schilt.

Erröten und erblassen

Sieh sein Gesicht:

Der Schlaf hat ihn verlassen,

Doch wacht er nicht.

Die Nachtigall im Schlafe

Hast du versäumt,

So höre nun zur Strafe,

Was ich gereimt.

Schwer lag auf meinem Busen

Des Reimes Joch:

Die schönste meiner Musen,

Du, schliefst ja noch.

MAIFEST

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne!

Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten

Aus jedem Zweig

Und tausend Stimmen

Aus dem Gesträuch

Und Freud und Wonne

Aus jeder Brust.

O Erd’, o Sonne,

O Glück, o Lust,

O Lieb’, o Liebe,

So golden schön

Wie Morgenwolken

Auf jenen Höhn,

Du segnest herrlich

Das frische Feld,

Im Blütendampfe

Die volle Welt!

O Mädchen, Mädchen,

Wie lieb’ ich dich!

Wie blinkt dein Auge,

Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche

Gesang und Luft,

Und Morgenblumen

Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe

Mit warmen Blut,

Die du mir Jugend

Und Freud’ und Mut

Zu neuen Liedern

Und Tänzen gibst.

Sei ewig glücklich,

Wie du mich liebst.

*

Ach, wie sehn’ ich mich nach dir,

Kleiner Engel! Nur im Traum,

Nur im Traum erscheine mir!

Ob ich da gleich viel erleide,

Bang um dich mit Geistern streite,

Und erwachend atme kaum.

Ach, wie sehn’ ich mich nach dir,

Ach, wie teuer bist du mir

Selbst in einem schweren Traum.

*

Ein zärtlich-jugendlicher Kummer

Führt mich ins öde Feld; es liegt

In einem stillen Morgenschlummer

Die Mutter Erde. Rauschend wiegt

Ein kalter Wind die starren Äste. Schauernd

Tönt er die Melodie zu meinem Lied voll Schmerz,

Und die Natur ist ängstlich still und trauernd,

Doch hoffnungsvoller als mein Herz.

Denn sieh, bald gaukelt dir, mit Rosenkränzen

In runder Hand, du Sonnengott, das Zwillingspaar

Mit offnem blauen Aug’, mit krausem goldnen Haar

In deiner Laufbahn dir entgegen. Und zu Tänzen

Auf neuen Wiesen schickt

Der Jüngling sich und schmückt

Den Hut mit Bändern, und das Mädchen pflückt

Die Veilchen aus dem jungen Gras, und bückend sieht

Sie heimlich nach dem Busen, sieht mit Seelenfreude

Entfalteter und reizender ihn heute,

Als er vorm Jahr am Maienfest geblüht;

Und fühlt, und hofft.

Gott segne mir den Mann

In seinem Garten dort! Wie zeitig fängt er an,

Ein lockres Bett dem Samen zu bereiten!

Kaum riss der März das Schneegewand

Dem Winter von den hagern Seiten,

Der stürmend floh und hinter sich aufs Land

Den Nebelschleier warf, der Fluss und Au

Und Berg in kaltes Grau

Versteckt: da geht er ohne Säumen,

Die Seele voll von Ernteträumen,

Und sät und hofft.

 

Die großen Hymnen

WANDRERS STURMLIED

Wen du nicht verlässest, Genius,

Nicht der Regen, nicht der Sturm

Haucht ihm Schauer übers Herz.

Wen du nicht verlässest, Genius,

Wird der Regenwolke

Wird dem Schloßensturm

Entgegen singen

Wie die Lerche

Du dadroben.

Den du nicht verlässest, Genius,

Wirst ihn heben übern Schlammpfad

Mit den Feuerflügeln.

Wandeln wird er

Wie mit Blumenfüßen

Über Deukalions Flutschlamm

Python tötend, leicht, groß

Pythius Apollo.

Dem du nicht verlässest, Genius,

Wirst die wollnen Flügel unterspreiten,

Wenn er auf dem Felsen schläft,

Wirst mit Hüterfittichen ihn decken

In des Haines Mitternacht.

Wen du nicht verlässest, Genius,

Wirst im Schneegestöber

Wärmumhüllen,

Nach der Wärme ziehn sich Musen,

Nach der Wärme Charitinnen.

Umschwebt mich, ihr Musen,

Ihr Charitinnen!

Das ist Wasser, das ist Erde

Und der Sohn des Wassers und der Erde,

Über den ich wandle

Göttergleich.

Ihr seid rein wie das Herz der Wasser,

Ihr seid rein wie das Mark der Erde,

Ihr umschwebt mich, und ich schwebe

Über Wasser über Erde

Göttergleich.

Soll der zurückkehren,

Der kleine schwarze feurige Bauer!

Soll der zurückkehren, erwartend

Nur deine Gaben, Vater Bromius,

Und hellleuchtend umwärmend Feuer,

Der kehren mutig,

Und ich, den ihr begleitet,

Musen und Charitinnen all,

Den alles erwartet, was ihr,

Musen und Charitinnen,

Umkränzende Seligkeit

Rings ums Leben verherrlicht habt,

Soll mutlos kehren?

Vater Bromius,

Du bist Genius,

Jahrhunderts Genius,

Bist, was innre Glut

Pindarn war,

Was der Welt

Phöb Apoll ist.

Weh! Weh! Innre Wärme,

Seelenwärme,

Mittelpunkt,

Glüh’ entgegen

Phöb Apollen,

Kalt wird sonst

Sein Fürstenblick

Über dich vorübergleiten,

Neidgetroffen

Auf der Zeder Kraft verweilen,

Die zu grünen

Sein nicht harrt.

Warum nennt mein Lied dich zuletzt,

Dich, von dem es begann,

Dich, in dem es endet,

Dich, aus dem es quillt,

Jupiter Pluvius!

Dich, dich strömt mein Lied,

Und Kastalischer Quell

Rinnt, ein Nebenbach,

Rinnet müßigen

Sterblich Glücklichen

Abseits von dir,

Der du mich fassend deckst,

Jupiter Pluvius.

Nicht am Ulmenbaum

Hast du ihn besucht —

Mit dem Taubenpaar

In dem zärtlichen Arm,

Mit der freundlichen Ros’ umkränzt,

Tändlenden ihn blumenglücklichen

Anakreon,

Sturmatmende Gottheit.

Nicht im Pappelwald

An des Sybaris Strand,

An des Gebürges

Sonnebeglänzter Stirn nicht

Fasstest du ihn,

Den bienensingenden

Honiglallenden

Freundlichwinkenden

Theokrit.

Wenn die Räder rasselten

Rad an Rad, rasch ums Ziel weg

Hoch flog

Siegdurchglühter

Jünglinge Peitschenknall,

Und sich Staub wälzt’

Wie vom Gebürg herab

Kieselwetter ins Tal,

Glühte deine Seel’ Gefahren, Pindar,

Mut. — Glühte —

Armes Herz —

Dort auf dem Hügel,

Himmlische Macht,

Nur so viel Glut,

Dort meine Hütte,

Dort hin zu waten.

DER WANDRER

Wandrer

Gott segne dich, junge Frau,

Und den säugenden Knaben

An deiner Brust!

Lass mich an der Felsenwand hier

In des Ulmbaums Schatten

Meine Bürde werfen,

Neben dir ausruhn.

Frau

Welch Gewerbe treibt dich

Durch des Tages Hitze

Den sandigen Pfad her?

Bringst du Waren aus der Stadt

Im Land herum?

Lächelst, Fremdling,

Über meine Frage?

Wandrer

Ich bringe keine Waren

Aus der Stadt.

Schwül ist, schwer der Abend.

Zeige mir den Brunnen,

Draus du trinkest,

Liebes junges Weib.

Frau

Hier den Felsenpfad hinauf.

Geh voran! Durchs Gebüsche

Geht der Pfad nach der Hütte,

Drin ich wohne,

Zu dem Brunnen,

Da ich trinke draus.

Wandrer

Spuren ordnender Menschenhand

Zwischen dem Gesträuch —!

Diese Steine hast du nicht gefügt,

Reich hinstreuende Natur!

Frau

Weiter ’nauf.

Wandrer

Von dem Moos gedeckt ein Architrav —?

Ich erkenne dich, bildender Geist,

Hast dein Siegel in den Stein geprägt.

Frau

Weiter, Fremdling.

Wandrer

Eine Inschrift, über die ich trete,

Der Venus – und ihr Übrigen

Seid verloschen,

Weggewandelt, ihr Gesellen,

Die ihr eures Meisters Andacht

Tausend Enkeln zeugen solltet.

Frau

Staunest, Fremdling,

Diese Stein’ an?

Droben sind der Steine viel

Um meine Hütte.

Wandrer

Droben?

Frau

Gleich zur Linken

Durchs Gebüsch hinan,

Hier!

Wandrer

Ihr Musen und Grazien!

Frau

Das ist meine Hütte.

Wandrer

Eines Tempels Trümmern!

Frau

Da zur Seit’ hinab

Quillt der Brunnen,

Da ich trinke draus.

Wandrer

Glühend webst du über deinem Grabe,

Genius! Über dir

Ist zusammengestürzt

Dein Meisterstück,

O du Unsterblicher!

Frau

Wart’! Ich will ein

Schöpfgefäß dir holen.

Wandrer

Efeu hat deine schlanke

Götterbildung umkleidet.

Wie du emporstrebst

Aus dem Schutte,

Säulenpaar!

Und du, einsame Schwester dort!

Wie ihr,

Düstres Moos auf dem heiligen Haupt,

Majestätisch traurend herabschaut

Auf die zertrümmerten

Zu euren Füßen,

Eure Geschwister!

In des Brombeergesträuches Schatten

Deckt sie Schutt und Erde,

Und hohes Gras wankt drüber hin.

Schätzest du so, Natur,

Deines Meisterstücks Meisterstück?

Unempfindlich zertrümmerst

Du dein Heiligtum,

Sä’st Disteln drein.

Frau

Wie der Knabe schläft!

Willst du in der Hütte ruhn,

Fremdling, willst du hier

Untern Pappelbaum dich setzen?

Hier ist’s kühl! Nimm den Knaben,

Dass ich Wasser schöpfen hinabgeh’.

Schlaf, Lieber, schlaf!

Wandrer

Süß ist deine Ruh!

Wie’s in himmlischer Gesundheit schwimmend,

Ruhig atmet!

Du, geboren über Resten

Heiliger Vergangenheit,

Ruh’ ihr Geist auf dir!

Welchen der umschwebt,

Wird in Götterselbstgefühl

Jedes Tags genießen.

Voller Keim, blüh’ auf,

Lieblich dämmernden Lenzes Schmuck,

Scheinend vor deinen Gesellen!

Und welkt die Blütenhülle weg,

Dann steig’ aus deinem Busen

Die volle Frucht, und reif ’ der Sonn’ entgegen.

Frau

Gesegn’ es Gott! — Und schläft er noch?

Ich habe nichts zum frischen Trunk

Als ein Stück Brot,

Das ich dir bieten kann.

Wandrer

Ich danke dir.

Wie herrlich alles blüht umher

Und grünt!

Frau

Mein Mann wird bald

Nach Hause sein

Vom Feld. Bleib, Mann,

Und iss mit uns

Das Abendbrot.

Wandrer

Ihr wohnet hier?

Frau

Hier zwischen das Gemäuer her

Die Hütte baute noch mein Vater

Aus Ziegeln und des Schuttes Steinen.

Hier wohnen wir.

Er gab mich einem Ackersmann

Und starb in unsern Armen. —

Hast du geschlafen, liebes Herz?

Wie er munter ist und spielen will!

Du Schelm!

Wandrer

Natur, du ewig keimende!

Schaffst jeden zum Genuss des Lebens;

Deine Kinder all

Hast mütterlich mit einem

Erbteil ausgestattet,

Einer Hütte.

Hoch baut die Schwalb’ am Architrav,

Unfühlend, welchen Zierrat

Sie verklebt,

Die Raup’ umspinnt den goldnen Zweig

Zum Winterhaus für ihre Brut,

Und du flickst zwischen der Vergangenheit

Erhabne Trümmer

Für dein Bedürfnis

Eine Hütt’, o Mensch,

Genießest über Gräbern. —

Leb wohl, du glücklich Weib!

Frau

Du willst nicht bleiben?

Wandrer

Gott erhalt’ euch,

Segn’ euren Knaben!

Frau

Glück auf den Weg!

Wandrer

Wohin führt mich der Weg

Dort übern Berg?

Frau

Nach Cuma.

Wandrer

Wie weit ist’s hin?

Frau

Drei Meilen gut.

Wandrer

Leb’ wohl! —

O leite meinen Gang,

Natur, den Fremdlingsreisetritt,

Den über Gräber

Heiliger Vergangenheit

Ich wandle.

Leit’ ihn zum Schutzort,

Vorm Nord geschützet,

Wo dem Mittagsstrahl

Ein Pappelwäldchen wehrt;

Und kehr’ ich dann

Am Abend heim

Zur Hütte, vergoldet

Vom letzten Sonnenstrahl,

Lass mich empfangen solch ein Weib,

Den Knaben auf dem Arm.

MAHOMETS-GESANG

Seht den Felsenquell

Freudehell,

Wie ein Sternenblick!

Über Wolken

Nährten seine Jugend

Gute Geister

Zwischen Klippen im Gebüsch.

Jünglingfrisch

Tanzt er aus der Wolke

Auf die Marmorfelsen nieder,

Jauchzet wieder

Nach dem Himmel.

Durch die Gipfelgänge

Jagt er bunten Kieseln nach,

Und mit frühem Führertritt

Reißt er seine Bruderquellen

Mit sich fort.

Drunten werden in dem Tal

Unter seinem Fußtritt Blumen,

Und die Wiese

Lebt von seinem Hauch.

Doch ihn hält kein Schattental,

Keine Blumen,

Die ihm seine Knie’ umschlingen,

Ihm mit Liebesaugen schmeicheln;

Nach der Ebne dringt sein Lauf,

Schlangewandelnd.

Bäche schmiegen

Sich gesellig an.

Nun tritt er

In die Ebne silberprangend,

Und die Ebne prangt mit ihm,

Und die Flüsse von der Ebne

Und die Bäche von Gebürgen

Jauchzen ihm und rufen: Bruder,

Bruder, nimm die Brüder mit,

Mit zu deinem alten Vater,

Zu dem ew’gen Ozean,

Der mit weit verbreit’ten Armen

Unsrer wartet;

Die sich, ach, vergebens öffnen,

Seine Sehnenden zu fassen;

Denn uns frisst in öder Wüste

Gier’ger Sand,

Die Sonne droben

Saugt an unserm Blut,

Ein Hügel

Hemmet uns zum Teiche.

Bruder,

Nimm die Brüder von der Ebne,

Nimm die Brüder von Gebürgen

Mit, zu deinem Vater mit!

Kommt ihr alle! —

Und nun schwillt er

Herrlicher, ein ganz Geschlechte

Trägt den Fürsten hoch empor,

Und im rollenden Triumphe

Gibt er Ländern Namen, Städte

Werden unter seinem Fuß.

Unaufhaltsam rauscht er über,

Lässt der Türne Flammengipfel,

Marmorhäuser, eine Schöpfung

Seiner Fülle, hinter sich.

Zedernhäuser trägt der Atlas

Auf den Riesenschultern, sausend

Wehen über seinem Haupte

Tausend Segel auf zum Himmel

Seine Macht und Herrlichkeit.

Und so trägt er seine Brüder,

Seine Schätze, seine Kinder

Dem erwartenden Erzeuger

Freudebrausend an das Herz.

PROMETHEUS

Bedecke deinen Himmel, Zeus,

Mit Wolkendunst!

Und übe, Knaben gleich,

Der Disteln köpft,

An Eichen dich und Bergeshöhn!

Musst mir meine Erde

Doch lassen stehn,

Und meine Hütte,

Die du nicht gebaut,

Und meinen Herd,

Um dessen Glut

Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmer’s

Unter der Sonn’ als euch Götter.

Ihr nähret kümmerlich

Von Opfersteuern

Und Gebetshauch

Eure Majestät

Und darbtet, wären

Nicht Kinder und Bettler

Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,

Nicht wusst’, wo aus, wo ein,

Kehrte mein verirrtes Aug’

Zur Sonne, als wenn drüber wär’

Ein Ohr, zu hören meine Klage,

Ein Herz wie meins,

Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir wider

Der Titanen Übermut?

Wer rettete vom Tode mich,

Von Sklaverei?

Hast du’s nicht alles selbst vollendet,

Heilig glühend Herz?

Und glühtest, jung und gut,

Betrogen, Rettungsdank

Dem Schlafenden dadroben?

Ich dich ehren? Wofür?

Hast du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

Hast du die Tränen gestillet

Je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

Die allmächtige Zeit

Und das ewige Schicksal,

Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,

Ich sollte das Leben hassen,

In Wüsten fliehn,

Weil nicht alle Knabenmorgen-

Blütenträume reiften?

Hier sitz’ ich, forme Menschen

Nach meinem Bilde,

Ein Geschlecht, das mir gleich sei,

Zu leiden, weinen,

Genießen und zu freuen sich,

Und dein nicht zu achten,

Wie ich.

GANYMED

Wie im Morgenrot

Du rings mich anglühst,

Frühling, Geliebter!

Mit tausendfacher Liebeswonne

Sich an mein Herz drängt

Deiner ewigen Wärme

Heilig Gefühl,

Unendliche Schöne!

Dass ich dich fassen möcht’

In diesen Arm!

Ach, an deinem Busen

Lieg’ ich, schmachte,

Und deine Blumen, dein Gras

Drängen sich an mein Herz.

Du kühlst den brennenden

Durst meines Busens,

Lieblicher Morgenwind,

Ruft drein die Nachtigall

Liebend nach mir aus dem Nebeltal.

Ich komme! Ich komme!

Wohin? Ach, wohin?

Hinauf, hinauf strebt’s,

Es schweben die Wolken

Abwärts, die Wolken

Neigen sich der sehnenden Liebe,

Mir, mir!

In eurem Schoße

Aufwärts,

Umfangend umfangen!

Aufwärts

An deinem Busen,

Allliebender Vater!

AN SCHWAGER KRONOS
In der Postchaise den 10. Oktober 1774

Spude dich, Kronos!

Fort den rasselnden Trott!

Bergab gleitet der Weg;

Ekles Schwindeln zögert

Mir vor die Stirne dein Haudern.

Frisch den holpernden

Stock Wurzeln Steine den Trott

Rasch in’s Leben hinein!

Nun schon wieder

Den eratmenden Schritt

Mühsam Berg hinauf.

Auf denn, nicht träge denn!

Strebend und hoffend an.

Weit hoch herrlich der Blick

Rings ins Leben hinein

Vom Gebürg zum Gebürg

Über der ewige Geist

Ewigen Lebens ahndevoll.

Seitwärts des Überdachs Schatten

Zieht dich an

Und der Frischung verheißende Blick

Auf der Schwelle des Mädchens da.

Labe dich! — Mir auch, Mädchen,

Diesen schäumenden Trunk

Und den freundlichen Gesundheitsblick!

Ab dann, frischer hinab!

Sieh, die Sonne sinkt.

Eh’ sie sinkt, eh’ mich fasst

Greisen im Moore Nebelduft,

Entzahnte Kiefer schnattern

Und das schlockernde Gebein,

Trunknen vom letzten Strahl

Reiß mich, ein Feuermeer

Mir im schäumenden Aug’,

Mich Geblendeten, Taumelnden

In der Hölle nächtliches Tor!

Töne, Schwager, dein Horn,

Rassle den schallenden Trab,

Dass der Orkus vernehme, ein Fürst kommt,

Drunten von ihren Sitzen

Sich die Gewaltigen lüften.

SEEFAHRT

Taglang nachtlang stand mein Schiff befrachtet,

Günst’ger Winde harrend saß mit treuen Freunden

— Mir Geduld und guten Mut erzechend —

Ich im Hafen.

Und sie wurden mit mir ungeduldig:

Gerne gönnen wir die schnellste Reise,

Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle

Wartet drüben in den Welten deiner,

Wird Rückkehrendem in unsern Armen

Lieb’ und Preis dir.

Und am frühen Morgen ward’s Getümmel,

Und dem Schlaf entjauchzt’ uns der Matrose,

Alles wimmelt, alles lebet, webet,

Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen.

Und die Segel blühen in dem Hauche,

Und die Sonne lockt mit Feuerliebe;

Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,

Jauchzen an dem Ufer alle Freunde

Hoffnungslieder nach im Freudetaumel

Reisefreuden wähnend wie des Einschiffmorgens

Wie der ersten hohen Sternennächte.

Aber gottgesandte Wechselwinde treiben

Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab,

Und er scheint sich ihnen hinzugeben,

Strebet leise sie zu überlisten,

Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege.

Aber aus der dumpfen grauen Ferne

Kündet leise wandelnd sich der Sturm an,

Drückt die Vögel nieder auf ’s Gewässer,

Drückt der Menschen schwellend Herze nieder;

Und er kommt. Vor seinem starren Wüten

Streckt der Schiffer weis’ die Segel nieder;

Mit dem angsterfüllten Balle spielen

Wind und Wellen.

Und an jenem Ufer drüben stehen

Freund’ und Lieben, beben auf dem Festen:

Ach, warum ist er nicht hier geblieben!

Ach, der Sturm! Verschlagen weg vom Glücke

Soll der Gute so zu Grunde gehen?

Ach, er sollte, ach, er könnte! Götter!

Doch er stehet männlich an dem Steuer.

Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen,

Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen.

Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe

Und vertrauet, scheiternd oder landend,

Seinen Göttern.

HARZREISE IM WINTER

Dem Geier gleich,

Der auf schweren Morgenwolken

Mit sanftem Fittich ruhend

Nach Beute schaut,

Schwebe mein Lied.

Denn ein Gott hat

Jedem seine Bahn

Vorgezeichnet,

Die der Glückliche

Rasch zum freudigen

Ziele rennt;

Wem aber Unglück

Das Herz zusammenzog,

Er sträubt vergebens

Sich gegen die Schranken

Des ehernen Fadens,

Den die doch bittre Schere

Nur einmal löst.

In Dickichtsschauer

Drängt sich das raue Wild,

Und mit den Sperlingen

Haben längst die Reichen

In ihre Sümpfe sich gesenkt.

Leicht ist’s, folgen dem Wagen,

Den Fortuna führt,

Wie der gemächliche Tross

Auf gebesserten Wegen

Hinter des Fürsten Einzug.

Aber abseits, wer ist’s?

Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,

Hinter ihm schlagen

Die Sträuche zusammen,

Das Gras steht wieder auf,

Die Öde verschlingt ihn.

Ach, wer heilet die Schmerzen

Des, dem Balsam zu Gift ward?

Der sich Menschenhass

Aus der Fülle der Liebe trank.

Erst verachtet, nun ein Verächter,

Zehrt er heimlich auf

Seinen eignen Wert

In ungnügender Selbstsucht.

Ist auf deinem Psalter,

Vater der Liebe, ein Ton

Seinem Ohre vernehmlich,

So erquicke sein Herz!

Öffne den umwölkten Blick

Über die tausend Quellen

Neben dem Durstenden

In der Wüste!

Der du der Freuden viel schaffst,

Jedem ein überfließend Maß,

Segne die Brüder der Jagd

Auf der Fährte des Wilds

Mit jugendlichem Übermut

Fröhlicher Mordsucht,

Späte Rächer des Unbills,

Dem schon Jahre vergeblich

Wehrt mit Knütteln der Bauer.

Aber den Einsamen hüll’

In deine Goldwolken,

Umgib mit Wintergrün,

Bis die Rose wieder heranreift,

Die feuchten Haare,

O Liebe, deines Dichters!

Mit der dämmernden Fackel

Leuchtest du ihm

Durch die Furten bei Nacht,

Über grundlose Wege

Auf öden Gefilden,

Mit dem tausendfarbigen Morgen

Lachst du ins Herz ihm;

Mit dem beizenden Sturm

Trägst du ihn hoch empor.

Winterströme stürzen vom Felsen

In seine Psalmen,

Und Altar des lieblichsten Danks

Wird ihm des gefürchteten Gipfels

Schneebehangner Scheitel,

Den mit Geisterreihen

Kränzten ahnende Völker.

Du stehst mit unerforschtem Busen

Geheimnisvoll-offenbar

Über der erstaunten Welt

Und schaust aus Wolken

Auf ihre Reiche und Herrlichkeit,

Die du aus den Adern deiner Brüder

Neben dir wässerst.

 

Die Künstlergedichte

AN KENNER UND LIEBHABER

Was frommt die glühende Natur

An deinem Busen dir,

Was hilft dich das Gebildete

Der Kunst rings um dich her,

Wenn liebevolle Schöpferkraft

Nicht deine Seele füllt

Und in den Fingerspitzen dir

Nicht wieder bildend wird.

LIED DES PHYSIOGNOMISCHEN ZEICHNERS

O dass die innre Schöpfungskraft

Durch meinen Sinn erschölle,

Dass eine Bildung voller Saft

Aus meinen Fingern quölle!

Ich zittre nur, ich stottre nur,

Ich kann es doch nicht lassen,

Ich fühl’, ich kenne dich, Natur,

Und so muss ich dich fassen.

Wenn ich bedenk’, wie manches Jahr

Sich schon mein Sinn erschließet,

Wie er, wo dürre Heide war,

Jetzt Freudenquell genießet,

Da ahnd’ ich ganz, Natur, nach dir,

Dich frei und lieb zu fühlen,

Ein lust’ger Springbrunn wirst du mir

Aus tausend Röhren spielen,

Wirst alle deine Kräfte mir

In meinem Sinn erheitern

Und dieses enge Dasein hier

Zur Ewigkeit erweitern.

KÜNSTLERS MORGENLIED

Ich hab’ euch einen Tempel baut,

Ihr hohen Musen all’,

Und hier in meinem Herzen ist

Das Allerheiligste.

Wenn morgends mich die Sonne weckt,

Warm froh ich schau umher,

Steht rings ihr ewig Lebenden

In heil’gem Morgenglanz.

Ich bet’ hinan, und Lobgesang

Ist lauter mein Gebet,

Und freudeklingend Saitenspiel

Begleitet mein Gebet.

Ich trete vor den Altar hier

Und lese, wie sich’s ziemt,

Andacht liturg’scher Lektion

Im heiligen Homer.

Und wenn der in’s Getümmel mich

Von Löwenkriegern reißt,

Und Göttersöhn’ auf Wagen hoch

Rachglühend stürmen an,

Und Ross dann vor dem Wagen stürzt,

Und drunter und drüber sich

Freund’, Feind’ sich wälzen in Todesblut,

Er sengte sie dahin

Mit Flammenschwert, der Heldensohn,

Zehntausend auf einmal,

Bis denn auch er gebändiget

Von einer Gottheit Hand

’rab auf den Totenrogus stürzt,

Den er sich selbst gehäuft,

Und Feinde nun den schönen Leib

Verschändend tasten an —

Da greif ’ ich mutig auf und fass’:

Die Kohle wird Gewehr,

Und jene meine hohe Wand

In Schlachtfeld-Wogen braust.

Hinan, hinan! Es heulet laut

Gebrüll der Feinde Wut.

Und Schild an Schild und Schwert auf Helm

Und um den Toten Tod.

Ich dränge mich hinan, hinan,

Da kämpfen sie um ihn,

Die tapfern Freunde, tapferer

In ihrer Tränen Wut.

Ach, rettet! Kämpfet! Rettet ihn,

Ins Lager bringt ihn ’rück,

Und Balsam gießt dem Toten auf

Und Tränen, Totenehr’.

Und find’ ich mich zurück hierher,

Empfängst du, Liebe, mich,

Mein Mädchen! Ach, im Bilde nur,

Und so im Bilde warm.

Ach, wie du ruhtest neben mir,

Mich schmachtetst liebend an,

Und mir’s vom Aug’ durchs Herz hindurch

In’n Griffel schmachtete —

Wie ich an Aug’ und Wange mich

Und Mund mich weidete,

Und mir’s im Busen jung und frisch

Wie einer Gottheit war!

O kehre doch und bleibe dann

In meinen Armen fest,

Und keine, keine Schlachten mehr,

Nur dich in meinem Arm!

Und sollst mir, meine Liebe, sein

Alldeutend Ideal,

Madonna sein, ein Erstlingskind,

Ein heilig’s, an der Brust.

Und haschen will ich Nymphe dich

Im tiefen Waldgebüsch,

Ein geiles Schwänzchen hinten vor,

Die Ohren aufgereckt.

Und liegen will ich Mars zu dir,

Du Liebes-Göttin stark,

Und ziehn ein Netz um uns herum

Und rufen dem Olymp,

Wer von den Göttern kommen will,

Beneiden unser Glück,

Und soll’s die Fratze Eifersucht —

An’n Bettfuß angebannt!

DER NEUE AMADIS

Als ich noch ein Knabe war,

Sperrte man mich ein,

Und so saß ich manches Jahr

Über mir allein

Wie in Mutterleib.

Doch du warst mein Zeitvertreib,

Goldne Fantasie,

Und ich ward ein warmer Held,

Wie der Prinz Pipi,

Und durchzog die Welt.

Baute manch kristallen Schloss

Und zerstört’ es auch,

Warf mein blinkendes Geschoss

Drachen durch den Bauch,

Ja, ich war ein Mann!

Ritterlich befreit’ ich dann

Die Prinzessin Fisch;

Sie war gar zu obligeant,

Führte mich zu Tisch,

Und ich war galant.

Und ihr Kuss war Himmelsbrot,

Glühend wie der Wein.

Ach, ich liebte fast mich tot,

Rings mit Sonnenschein

War sie emailliert.

Ach! Wer hat sie mir entführt?

Hielt kein Zauberband

Ihr verrät’risch Fliehn?

Sagt, wo ist ihr Land,

Wo der Weg dahin?

DER ADLER UND DIE TAUBE

Ein Adlerjüngling hob die Flügel

Nach Raub aus;