ISBN: 978-3-86191-167-8
1. eBook Auflage 2020
Deutsche Ausgabe © Crotona Verlag GmbH und Co. KG, Kammer 11, D-83123 Amerang
Titel der englischen Originalausgabe:
Wholeness and the Implicate Order
published by Routledge & Kegan Paul
© 1980 David Bohm
All rights reserved.
Übersetzung aus dem Englischen: Petra Michel
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Annette Wagner
www.crotona.de
Dieses Buch ist eine Sammlung von Aufsätzen (siehe Danksagung), die die Entwicklung meines eigenen Denkens über die letzten zwanzig Jahre widerspiegelt. Daher scheint eine kurze Einleitung sinnvoll, die die zu diskutierenden Grundfragen sowie ihre Zusammenhänge erläutert.
Ich würde sagen, dass das Hauptanliegen meiner wissenschaftlichen und philosophischen Arbeit stets darin bestanden hat, das Wesen der Wirklichkeit im Allgemeinen und des Bewusstseins im Besonderen als ein kohärentes Ganzes zu verstehen, das niemals statisch oder abgeschlossen ist, sondern einen endlosen Prozess der Bewegung und Entfaltung darstellt. Wenn ich daher zurückblicke, erkenne ich, dass ich schon als Kind fasziniert war von dem Rätsel, ja dem Mysterium, der Natur der Bewegung. Wann immer man an etwas denkt, scheint man es entweder als statisch oder als eine Folge statischer Bilder wahrzunehmen. Doch in der direkten Erfahrung der Bewegung empfindet man ein ununterbrochenes, ungeteiltes Fließen, zu dem sich die Abfolge statischer Gedankenbilder verhält wie eine Serie von Standbildern zur Realität eines fahrenden Autos. Diese Frage wurde philosophisch im Grunde natürlich schon vor mehr als 2000 Jahren in Zenons Paradoxien aufgebracht; allerdings kann man nicht behaupten, dass seitdem eine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde.
Dann gibt es da noch die Frage nach der Beziehung zwischen Denken und Wirklichkeit. Sorgfältige Betrachtung zeigt, dass sich das Denken selbst in einem Prozess der Bewegung befindet. Das heißt, man kann eine Art von Fließen im „Strom des Bewusstseins“ verspüren, nicht unähnlich zu dem Fließen in der Bewegung von Materie allgemein. Kann daher das Denken nicht sogar Teil der Realität insgesamt sein? Was würde es dann jedoch bedeuten, dass ein Teil der Realität einen anderen „kennt“, und inwieweit wäre das überhaupt möglich? Vermitteln uns Gedankeninhalte einfach nur abstrakte und vereinfachte „Momentaufnahmen“ der Realität, oder können sie darüber hinausgehend irgendwie die eigentliche Essenz der lebendigen Bewegung erfassen, die wir in der konkreten Erfahrung wahrnehmen?
Wenn man über das Wesen der Bewegung sowohl im Denken als auch im Objekt des Denkens reflektiert und nachdenkt, stößt man unweigerlich auf die Frage nach Ganzheit oder Totalität. Die Ansicht, dass der Denkende (das Ego) zumindest im Prinzip vollständig getrennt und unabhängig von der Realität ist, über die er nachdenkt, ist natürlich tief in unserer gesamten Tradition verankert. (Diese Ansicht wird fast ausnahmslos im Westen akzeptiert; allerdings gibt es im Osten eine allgemeine Tendenz, dies verbal und philosophisch zu leugnen, doch durchzieht dieser Ansatz ebenso dort wie im Westen den Großteil des Alltags.) Eine Erfahrung wie oben beschrieben, verbunden mit einer fundierten modernen wissenschaftlichen Kenntnis der Natur und der Funktion des Gehirns als Sitz des Denkens, legt dringend nahe, dass eine solche Unterscheidung nicht konsistent aufrechterhalten werden kann. Doch dies stellt uns vor eine sehr schwierige Herausforderung: Wie können wir eine einzelne, ungebrochene, fließende Wirklichkeit des Daseins in ihrer Gesamtheit gedanklich erfassen, die sowohl das Denken (Bewusstsein) als auch die äußere Realität beinhaltet?
Dies bringt uns dazu, über unsere Weltanschauung im Allgemeinen nachzudenken, die sowohl unsere Allgemeinbegriffe hinsichtlich des Wesens der Realität sowie der Ordnung des Universums, d.h. der Kosmologie, betreffen. Um den anstehenden Herausforderungen gerecht zu werden, müssen unsere Ansichten über die Kosmologie und das allgemeine Wesen der Realität weit genug gefasst werden, um eine konsistente Berücksichtigung des Bewusstseins zuzulassen. Umgekehrt müssen auch unsere Vorstellungen von Bewusstsein weit genug sein, um zu verstehen, was es eigentlich bedeutet, dass der Inhalt des Bewusstseins „Realität in ihrer Ganzheit“ ist. Diese beiden Anschauungen sollten daher zu einem Verständnis dafür führen, wie Realität und Bewusstsein zusammenhängen.
Dies sind natürlich gewaltige Fragen, die sich wohl niemals endgültig und vollständig lösen lassen. Dennoch ist es mir immer wichtig gewesen, dass die Ansätze, die darauf ausgerichtet sind, die hier dargelegte Herausforderung zu befriedigen, fortlaufend geprüft werden. Natürlich richtete sich die gängige Tendenz in der modernen Wissenschaft gegen ein solches Vorhaben, und war in der Regel hauptsächlich auf relativ detaillierte und konkrete theoretische Voraussagen ausgerichtet, die zumindest irgendwann einmal eine Form pragmatischer Anwendung versprechen. Daher scheint es mir angebracht zu erklären, warum ich mich so nachdrücklich gegen die vorherrschende Meinung der Wissenschaft stelle.
Abgesehen von meinem tiefen Interesse an solch fundamentalen und tiefgründigen Fragen, möchte ich in diesem Zusammenhang auf die allgemeinen Probleme der Fragmentierung des menschlichen Bewusstseins aufmerksam machen, was wir ersten Kapitel besprechen werden. Dort wird angeregt, dass die weit verbreiteten und alles durchdringenden Abgrenzungen der Menschen gegeneinander (Rasse, Nation, Familie, Beruf und vieles mehr), die die Menschheit heute davon abhalten zum Wohle aller und das gemeinsame Überleben zusammenzuarbeiten, ihren Ursprung in Gedanken haben, die Dinge als inhärent divergent, getrennt und in jeweils kleine Bestandteile „zerfallen“ zu betrachten. Jedes einzelne Teil wird prinzipiell als unabhängig und für sich selbst existierend angesehen.
Wenn ein Mensch so ein Bild von sich hat, wird er unweigerlich dazu tendieren, die Bedürfnisse eines eigenen „Egos“ anderen gegenüber zu verteidigen; und er wird auch eine Gruppe, der er sich eventuell zugehörig fühlt, in ähnlicher Weise verteidigen. Er wird dann kaum die Gesamtmenschheit ernsthaft als grundlegende Realität ansehen, deren Ansprüche Vorrang haben. Selbst wenn er die Bedürfnisse der Menschheit einzubeziehen versucht, tendiert er dazu, Menschheit und Natur als getrennt anzusehen − und so weiter. Was ich hier vorschlagen möchte, ist, dass die allgemeinen Anschauungen eines Menschen von der Totalität, also sein Weltbild, wesentlich sind für die Gesamtordnung des menschlichen Bewusstseins selbst. Wenn er die Totalität als zusammengesetzt und fragmentiert ansieht, wird sein Bewusstsein dementsprechend operieren. Wenn er allerdings alles kohärent und harmonisch in ein gesamtes Ganzes einschließen kann, das ungeteilt, ungebrochen und ohne Grenzen ist (denn jede Grenze ist eine Teilung oder ein Bruch), dann wird auch sein Bewusstsein ähnlich arbeiten, woraus ein geordnetes Handeln innerhalb des Ganzen erwachsen wird.
Wie ich bereits erwähnt habe, ist unsere Weltanschauung nicht der einzige Faktor, der in diesem Zusammenhang wichtig ist. Wichtig sind auch Faktoren wie Emotion, körperliche Aktivitäten, menschliche Beziehungen, soziale Organisationen und so weiter, aber vielleicht weil wir gegenwärtig keine kohärente Weltanschauung haben, gibt es eine weit verbreitete Tendenz, psychologische und soziale Einflüsse auf diese Fragen weitgehend zu ignorieren. Ich möchte hier anregen, dass heutzutage eine angemessene Weltanschauung einer der wesentlichen Grundfaktoren für die Harmonie des Einzelnen sowie der gesamten Gesellschaft darstellt.
In Kapitel 1 wird gezeigt, dass die Wissenschaft selbst eine neue, nichtfragmentierte Weltsicht erfordert, insofern als die gegenwärtige analysierende Vorgehensweise, die die Welt in unabhängig voneinander existierende Teile zerlegt, nicht sehr gut für die moderne Physik geeignet ist. Es wird erläutert, dass sowohl für die Relativitätstheorie als auch für die Quantentheorie Ansätze, die von einer ungeteilten Ganzheit des Universums ausgehen, eine wesentlich geordnetere Art und Weise der Betrachtung der allgemeinen Natur der Realität ermöglichen würden.
In Kapitel 2 widmen wir uns der Rolle der Sprache bei der Fragmentierung des Denkens. Es wird herausgearbeitet, dass die Subjekt-Prädikat-Objekt-Struktur moderner Sprachen impliziert, dass jede Handlung von einem separaten Subjekt verursacht wird, das dann auf ein separates Objekt oder reflexiv auf sich selbst einwirkt. Dieses alles durchziehende Schema führt überall im Leben dazu, dass die Gesamtheit der Existenz in separate Einzelteile zerlegt wird, die ihrem Wesen nach als grundsätzlich stabil und fixiert angesehen werden. Wir werden dann untersuchen, ob es möglich ist, mit neuen Sprachformen zu experimentieren, bei denen dem Verb (dem Prädikat) die tragende Rolle zugesprochen wird und nicht dem Subjekt. Diese Sprachformen hätten eine Folge von Handlungen zum Inhalt, die ohne scharfe Trennungen oder Brüche ineinander fließen und miteinander verschmelzen. So wäre die Sprache sowohl von der Form her als auch dem Inhalt nach in Harmonie mit der ungebrochenen, fließenden Bewegung des gesamten Daseins.
Hier wird keine eigentlich neue Sprache vorgeschlagen, sondern ein neuer Modus der Sprache – der Rheomodus1 (fließender Modus). Wir entwickeln diesen Modus, um mit der Sprache zu experimentieren, was hauptsächlich dazu dienen soll, die zergliedernde Funktion der gemein üblichen Sprache zu erkennen, nicht dagegen um eine neue Form des Sprechens in der allgemeinen Kommunikation anzubieten.
In Kapitel 3 wird dieselbe Frage in einem unterschiedlichen Kontext gestellt. Es beginnt mit der Diskussion, wie die Wirklichkeit im Grunde genommen als ein Gefüge von Formen in einer zugrunde liegenden universellen Bewegung oder in einem universellen Prozess angesehen werden kann, um dann zu erläutern, wie unser Wissen auf gleiche Weise betrachtet werden kann. So könnte ein Weg für ein Weltbild erschlossen werden, für das Bewusstsein und Wirklichkeit nicht voneinander getrennt sind. Diese Frage wird intensiv diskutiert, wobei wir zu dem Ergebnis kommen, dass unser generelles Weltbild selbst eine allumfassende Denkbewegung ist, die dahingehend tragfähig sein muss, als die Gesamtheit der Handlungen, die ihr entspringen, generell harmonisch sind, sowohl in sich selbst als auch in Bezug auf die gesamte Existenz. Eine solche Harmonie kann nur dann als möglich angesehen werden, wenn das Weltbild selbst an diesem unendlichen Prozess der Entwicklung, Evolution, und Entfaltung teilnimmt, der sich als Teil des universellen Prozesses einfügt, der den Grund aller Existenz darstellt.
Die nächsten drei Kapitel sind eher fachbezogen und mathematisch. Jedoch sollten weite Teile auch für den Laien verständlich sein, da die fachlichen Abschnitte nicht unbedingt für das Verständnis notwendig sind, obgleich sie einen wesentlichen Beitrag für jene beisteuern, die fachlich folgen können.
Kapitel 4 beschäftigt sich mit den verborgenen Variablen der Quantentheorie. Quantentheorie ist momentan der gebräuchlichste Ansatz in der Physik, die universellen Grundgesetze der Materie und ihrer Bewegung zu verstehen. Als solcher muss er selbstverständlich bei jedem Versuch, eine allgemeine Weltanschauung zu entwickeln, in Betracht gezogen werden.
Wenn wir uns damit auseinandersetzen wollen, stellt uns die gegenwärtige Quantentheorie vor eine große Herausforderung, denn innerhalb dieser Theorie gibt es keine konsistente Vorstellung von der Wirklichkeit, die der universellen Beschaffenheit und Struktur der Materie zugrunde liegt. Wenn wir daher versuchen, das vorherrschende Weltbild zu verwenden, das auf dem Teilchenbegriff beruht, entdecken wir, dass die „Teilchen“ (wie zum Beispiel Elektronen) sich auch als Wellen manifestieren können, dass sie sich diskontinuierlich bewegen, dass es keine Gesetze gibt, die sich im Einzelnen auf die tatsächlichen Bewegungen der individuellen Teilchen beziehen, und dass sich ausschließlich statistische Vorhersagen über eine große Anzahl solcher Teilchen machen lassen. Wenn wir stattdessen jedoch ein Weltbild anwenden, in dem das Universum als kontinuierliches Feld angesehen wird, erkennen wir, dass dieses Feld auch diskontinuierlich sein muss, Teilcheneigenschaften aufweist, und in seinem tatsächlichen Verhalten ebenso unbestimmt ist, wie man es für ein Beziehungsganzes von Teilchen annehmen muss.
Es scheint somit klar, dass wir einer tiefen und radikalen Fragmentierung sowie einer alles durchdringenden Konfusion gegenüberstehen, wenn wir darüber nachdenken, was das für eine Realität sein könnte, auf die sich die Gesetze der Physik beziehen. Momentan vermeiden Physiker dieses Problem, indem sie davon ausgehen, dass unsere übergreifenden Ansichten zur Realität der Natur für ihre Arbeit unwichtig seien. Was allein für die physikalischen Theorien wichtig sei, ist die Entwicklung mathematischer Gleichungen, die uns erlauben, das Verhalten großer statistischer Aggregate von Teilchen vorherzusagen und zu kontrollieren. Ein solches Ziel wird nicht nur aus pragmatischen und technischen Gründen angestrebt, vielmehr werden die meisten Arbeiten in der modernen Physik unter der Maßgabe erbracht, dass sich menschliches Wissen auf diese Art der Voraussage und Kontrolle allein beschränkt.
Voraussetzungen dieser Art stehen tatsächlich im Einklang mit dem Zeitgeist, aber mein Hauptanliegen in diesem Buch ist, dass wir nicht einfach auf eine allgemeine Weltanschauung verzichten dürfen. Denn wenn wir so vorgehen, werden wir erkennen, dass wir mit solchen (meist unzulänglichen) Weltbildern vorlieb nehmen müssen, die zu dem Zeitpunkt gerade verfügbar sind. Tatsächlich sieht man auch, dass Physiker sich nicht wirklich nur auf Berechnungen zu Vorhersage und Kontrolle beschränken. Sie halten es für erforderlich, Bilder zu verwenden, die auf irgendeiner allgemeinen Vorstellung der Wirklichkeit beruhen, wie zum Beispiel „die Teile, die die Bausteine unseres Universums sind“. Allerdings sind diese Vorstellungen bereits äußerst verworren, da diese Teilchen sowohl diskontinuierlich als auch wellenförmig sind. Kurzum, wir sehen uns hier mit einem Beispiel konfrontiert, das das tiefgreifende und starke Bedürfnis nach irgendeiner Vorstellung von Wirklichkeit widerspiegelt, mag diese auch noch so unvollständig und verworren sein.
Ich würde vorschlagen, dass die korrekte Abfolge der Gedanken eine Vertrautheit mit sowohl formalen, logischen und mathematischen Begriffen als auch mit der Intuition und dem bildlichen, gefühlsmäßigen und poetischen Sprachgebrauch erfordert. (Vielleicht könnten wir auch sagen, dass dies die Harmonie zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte ausmacht.) Diese Art des umfassenden Denkens ist nicht nur eine ergiebige Quelle neuer theoretischer Ideen, es ist auch wesentlich für das menschliche Bewusstsein, um auf harmonische Art und Weise zu funktionieren, was dann wiederum zu einer geordneten und stabilen Gesellschaft führen könnte. Wie jedoch in vorhergehenden Kapiteln ausgeführt wurde, erfordert dies eine kontinuierliche Weiterentwicklung unserer allgemeinen Vorstellung von der Realität.
Kapitel 4 beschäftigt sich dann damit, einen Anfang zu machen, um eine einheitliche Sichtweise zu entwickeln, was für eine Form der Realität überhaupt als Basis für die korrekten mathematischen Voraussagen dienen könnte, die in der Quantentheorie erzielt wurden. Derartige Ansätze stießen bei Physikern generell auf Irritation, denn es wird weithin angenommen, dass, wenn es schon irgendeine allgemein gültige Weltsicht gäbe, diese auch als die „verbindliche“ und „endgültige“ Vorstellung vom Wesen der Realität angesehen werden sollte. Meine Einstellung war dagegen stets, dass sich unsere Vorstellungen von der Kosmologie und dem allgemeinen Wesen der Realität in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess befinden, und man mit Ideen beginnen muss, die eine Verbesserung zu dem sind, was bisher möglich war, um von dort zu anderen, besseren Ideen vorzustoßen. Kapitel 4 beschäftigt sich mit den tatsächlichen und schwerwiegenden Problemen, mit denen jeder Versuch konfrontiert wird, eine schlüssige Vorstellung von der „quantenmechanischen Realität“ zu entwickeln, und präsentiert einen vorläufigen Ansatz für eine Lösung dieser Probleme in Form von verborgenen Variablen.
In Kapitel 5 wird ein anderer Ansatz für dasselbe Problem erkundet. Es handelt sich um eine Untersuchung der grundsätzlichen Ordnungsbegriffe. Ordnung ist in ihrer Gesamtheit natürlich letztlich undefinierbar, in dem Sinne als alles, was wir sind und tun, von Ordnung durchzogen ist (Sprache, Gedanken, Gefühle, körperliche Handlungen, die Kunst, praktische Tätigkeiten usw.). In der Physik jedoch ist die Grundordnung seit Jahrhunderten das cartesische lineare Koordinatennetz (in der Relativitätstheorie leicht erweitert in ein krummliniges Koordinatennetz). Seit seiner Einführung hat die Physik eine enorme Entwicklung mit vielen radikal neuen Attributen durchlebt, aber die grundsätzliche Ordnung ist im Grunde gleich geblieben.
Die cartesische Ordnung eignet sich zur Analyse der unabhängig voneinander existierenden Teile der Welt (wie zum Beispiel Teilchen oder Feldelemente). In diesem Kapitel wenden wir uns jedoch dem Wesen von Ordnung in größerer Allgemeinheit und Tiefe zu und stellen fest, dass die cartesische Ordnung sowohl für die Relativitätstheorie als auch die Quantentheorie zu ernsten Widersprüchen und Verwirrungen führt. Dies liegt daran, dass beide Theorien für den jeweiligen Zustand von einer ungebrochenen Ganzheit des Universums ausgehen und diesen nicht in unabhängige Teile zerlegen. Allerdings unterscheiden sich die beiden Theorien in ihrem Begriff von Ordnung radikal voneinander. In der Relativitätstheorie ist Bewegung kontinuierlich, kausal bedingt und gut definiert, während der Begriff in der Quantentheorie diskontinuierlich, nicht kausal bedingt und nicht gut definiert ist. Beide Theorien haben sich auf ihre eigenen Begriffe von grundsätzlich statischen und fragmentarischen Existenzzuständen festgelegt (die Relativitätstheorie auf unabhängige Ereignisse, die sich durch Signale miteinander verknüpfen lassen, und die Quantentheorie auf klar definierte Quantenzustände). Damit stellen wir fest, dass eine neue Theorie nötig ist, die diese Grundvoraussetzungen fallen lässt und höchstens einige Grundansätze der alten Theorien als abstrakte Formen von einer tieferen Realität ableitet, in der eine ungebrochene Ganzheit existiert.
In Kapitel 6 gehen wir dann noch weiter und beginnen mit der konkreten Entwicklung eines neuen Ordnungsbegriffs, der für ein Universum ungebrochener Ganzheit geeignet ist. Dies ist die implizite oder eingefaltete Ordnung. In der eingefalteten Ordnung sind Raum und Zeit nicht mehr länger die bestimmenden Faktoren zur Festlegung von Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten verschiedener Elemente untereinander. Stattdessen ist eine vollkommen andere Art der grundlegenden Verbindung von Elementen möglich, von der unsere herkömmlichen Begriffe von Raum und Zeit und damit auch von unabhängig voneinander existierenden materiellen Teilchen als Formen einer tieferen Ordnung abstrahiert werden können.
Die Implizite Ordnung wird in Kapitel 6 allgemein vorgestellt und im Anhang mathematisch diskutiert. Das siebte und letzte Kapitel ist jedoch eine weiter ausgeführte (obgleich nicht fachspezifische) Darstellung der Impliziten Ordnung und ihrer Beziehung zum Bewusstsein. Dies führt zu einem Ansatz, mit dem es möglich sein könnte, den dringenden Herausforderungen für eine Entwicklung einer zeitgemäßen Kosmologie und allgemeiner Konzepte für das Wesen der Realität gerecht zu werden.
Zuletzt bleibt noch zu hoffen, dass das bereitgestellte Material dem Leser dabei helfen wird zu verstehen, wie sich das Thema selbst eigentlich entfaltet hat, so dass das Format dieses Buches gewissermaßen ein Beispiel dafür ist, wie die Entwicklung von Inhalt vonstatten geht.
1 Rheo aus dem Griechischen für fließen. (Anm. d. Ü.)