Sigrid Engelbrecht

Stille

Das Geheimnis der inneren Kraft


© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

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Umschlagkonzeption: Verlag Herder

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Illustrationen: Designed by rawpixel.com/Freepik

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN E-Book 978-3-451-82140-0

ISBN Print 978-3-451-65400-8

Inhalt

Vorwort

Einführung

Hören – Macht und Ohnmacht

Unser Hörvermögen

Willkommen im 21. Jahrhundert

Keine Wahrnehmung ohne Sinne

Der unerwünschte Schall

Chronischer Lärm macht krank

Gewöhnungseffekt? Jein

Lärm – Von außen und innen

FOMO und das Viel-Zuviel

Allgegenwärtig: die Reizüberflutung

Wie Schnell-schnell das Denken schwächt

Auch Druck macht Lärm

Dopamin-Loop – der berühmte »Kick«

FOMO – die Angst, etwas zu verpassen

Und ewig grüßt der Wettbewerb

Lärm von innen

Stille – Zeit für sich

Die vielen Gesichter der Stille

Stille kontra Geräuschlosigkeit

Definition: Was macht Stille aus?

Stille als Last

Introvertiert – extrovertiert

Jetzt umsteuern!

Heilsame Wirkungen

Stille stärkt die Gesundheit

Stille mildert Stresssymptome

Stille tut dem Denken gut

Stille unterstützt kreative Prozesse

Stille fördert produktives Arbeiten

Stille ins Leben integrieren

Corona-Lehren

Selbstsorge statt Selbstoptimierung

Pausen im eigenen Rhythmus

Zeit für sich

Freiheit für die Sinne

Mono-Tasking für konzentriertes Arbeiten

Entlasten Sie sich!

Inneren Frieden finden

Laaaangsam …

Ruhebilder – die Kraft der Imagination

Die Haltung der Achtsamkeit

Meditation

Schlaf – die allnächtliche Stille

Loslassen

Abstand gewinnen

Orte der Stille

Den Rhythmen der Natur folgen

Die Ruhe des Waldes

Kirchen und Klöster

Räume der Stille

Nachwort

Übungsverzeichnis

Weitere Bücher der Autorin im Verlag Herder

Über die Autorin

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

in Zeiten, wo alles immer schneller, lauter und schriller wird, ist da echte Stille nicht zum Luxusgut geworden? Sind die Momente, in denen wir ganz bei uns selbst und von Ruhe und Gelassenheit erfüllt sind, verloren gegangen? In ein fernes Traumland entschwunden? Sind die Momente, in denen statt Lärm, Stress und Hektik das bewusste Erleben des gegenwärtigen Augenblicks das Maß der Dinge ist, etwas, »was man sich nicht mehr leisten kann«?

Wo sind sie heute noch zu finden, diese Momente, die uns erfüllen und uns ein stilles Glück spüren lassen? Müssen wir warten, bis der Zufall uns mit Augenblicken des Innehaltens beglückt, oder können wir selbst etwas dafür tun, solche wertvollen Momente des Gewahrseins wieder häufiger zu erleben?

Diesen Fragen möchte ich nachgehen und Sie damit bei der Suche nach den Perlen des Alltags unterstützen, die Ihnen Entspannung und innere Ruhe schenken. Sie finden hier viele Impulse, um zu erkennen, was wirklich wichtig für Ihr Wohlbefinden ist und wie Sie das Unwesentliche leichtfüßiger als bisher loslassen können. Ermutigend dabei ist, dass es jenseits vieler Rahmenbedingungen, die unseren Alltag normalerweise prägen – also der Faktoren, auf die wir keinen oder nur ganz wenig Einfluss haben – Handlungsspielräume gibt, die wir nutzen können, um uns zu erholen und neue Kraft zu schöpfen.

Eingangs erhalten Sie einen Überblick darüber, wie die alltägliche und allgegenwärtige Reizüberflutung unser Leben, unser Wohlbefinden und unser Denken und Tun beeinflusst. Sie erfahren zum einen, was es mit dem »Lärm von innen« auf sich hat und warum sich manche von uns schwer damit tun, Stille zu genießen. Zum anderen erfahren Sie mehr über die Wirkungen von Stille auf Körper, Geist und Seele. Wenn das Ihre Neugierde weckt, fragen Sie sich wahrscheinlich unwillkürlich: Was kann ich tun, um die heilsame Wirkung von Stille häufiger zu erleben? Was lässt sich verändern und was nicht? Und wenn ich etwas ändern will, wie kann ich umsteuern?

Dazu finden Sie in den dann folgenden Kapiteln konkrete Anregungen. Eine Reihe von praktischen Übungen lädt dazu ein, neue Erfahrungen zu machen und das Erleben ganz unterschiedlicher Facetten von Stille mühelos Teil des persönlichen Alltags werden zu lassen. Neben den Impulsen zum konkreten Ausprobieren gibt es auch Zitate zum Thema Stille aus Literatur, Philosophie und Psychologie. Zudem bekommen Sie immer wieder die Gelegenheit, Ihre eigenen Gedanken niederzuschreiben. Ich möchte Sie dazu ermutigen, das Buch nicht nur durchzulesen, sondern sich tatsächlich auf die praktischen Übungen einzulassen und Ihre Erfahrungen damit zu beschreiben.

Tipp: Legen Sie sich ein Schreibheft zu oder richten Sie eine spezielle Datei in Ihrem Computer ein, wo Sie neben den Notizen im Buch Ihre persönlichen Eindrücke, Einsichten und Vorhaben ausführlicher festhalten und reflektieren können.

Ihre Sigrid Engelbrecht, Berlin im Dezember 2020

Anmerkung: Das Buch, das Sie in den Händen halten, ist während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr und Sommer 2020 entstanden und spiegelt Erfahrungen wider, die ich über die »stillen Monate« hinweg gemacht hatte.

Einführung

Erlebnisse mit Stille kennen wir alle – in unterschiedlichsten Umgebungen, in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Momente, in denen uns bewusst wird, dass um uns herum und in uns selbst alles ganz ruhig ist. Dass kein irritierendes Geräusch an unser Ohr dringt, kein rastloses Herumgrübeln unsere innere Ruhe stört. Und wir alle erinnern uns wohl auch an ein ganz besonders eindringliches Erlebnis, das noch lange in uns nachgewirkt hat.

Eine Erfahrung, die mir bis heute immer mal wieder in den Sinn kommt, machte ich Mitte der 1990er-Jahre. Damals erlebte ich eine kurze Zeitspanne »absoluter« Stille, ein Phänomen, das mich tief beeindruckte.

Ich befand mich mit einigen Kolleginnen und Kollegen auf einer Hütte im Rofangebirge in Tirol. Nach einer kräftigen Brotzeit hatten wir uns zu einer kleinen Wanderung entschlossen und trabten einen schmalen Pfad an einer Hangkante entlang. Es wurde viel geredet und gescherzt. Alle waren froh, mal fernab des Alltags zu sein, Zeit zu haben und keiner strikten Agenda folgen zu müssen.

Mir war aber gar nicht nach Reden, ich wollte die Berglandschaft auf mich wirken lassen und war neugierig auf alles, was des Weges kommen könnte. So setzte ich mich an die Spitze der kleinen Gruppe und schritt voraus. Bald schon hatte ich die Mitwandernden hinter mir gelassen und genoss den Wind, der mir durch die Haare fuhr. Die Luft roch frisch und ich meinte, einen schwachen Duft nach Kiefern und Erde darin wahrzunehmen. Der Himmel war bedeckt, irgendwo hinter den dicken Wolken musste natürlich die Sonne sein, doch wo genau, das war nicht auszumachen, so dicht verhüllt zeigte sich der Himmel.

Es war ein grauer Tag mit grauen Wolken über grauem Fels. Der Weg machte eine Biegung und vor mir tat sich ein kleines Tal auf, und auch hier dominierten die Grautöne. Der Wind war abgeflaut und dann ganz verschwunden, ohne dass ich es mitbekommen hätte. Nun bewegte sich gar nichts mehr. Kein Zweig und kein Grashalm. Spontan blieb ich stehen und ließ den Blick über all diese Grautöne wandern. Kein Mensch weit und breit und es war auch kein Tier unterwegs. Keine Gämse, kein Hase, kein Murmeltier. Es war, als würde ich auf eine Postkarte schauen. Eine Schwarz-Weiß-Postkarte. Plötzlich fiel mir auf, dass auch nichts zu hören war, kein einziger Laut. Kein Vogel, der piepste, kein Zweig, der knackte.

Ich weiß nicht, wie lange ich dastand und diesen Eindruck in mich aufnahm. Es war, als sei ich ebenfalls erstarrt und ein Teil dieses Bildes geworden. Eine Ewigkeit, so dachte ich später. Ja, es fühlte sich an wie ein endgültiges, unwandelbares Sein.

Da löste sich an der gegenüberliegenden Gebirgswand ein Stein und sprang den Fels hinunter: Pling, Pling, Pling – ein ganz heller Ton. Und es war, als würde durch diese Laute die Landschaft wieder zum Leben erweckt. Ein Murmeltier huschte vorbei, und die schrillen Schreie zweier Krähen, die nun hoch oben von einem Felsen zum anderen flogen, verscheuchten meine Benommenheit, die Stille und Reglosigkeit in mir hervorgerufen hatten. Als ich mich selbst wieder in Bewegung setzte, tat ich das unwillkürlich ganz langsam und bewusst, und ich blieb für den Rest des Tages in einer nachdenklichen, in mich gekehrten Stimmung. »Friedlich« und »zufrieden« sind wohl die Worte, die diese Gemütslage am besten beschreiben. Die Erfahrung hat mich sehr berührt, und ich denke immer wieder gerne daran zurück.