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Manfred Lütz: Wie Sie unvermeidlich glücklich werden. Eine Psychologie des Gelingens.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


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In diesem Buch ist aus rein pragmatischen Gründen der Lesbarkeit in der Regel die männliche Sprachform gewählt worden, wofür ich Leserinnen um Verständnis bitte. Der Paartherapeut Jürg Willi konstruierte den Satz: »Wenn man/frau mit seiner/ihrem Partner/in zusammenleben will, so wird er/sie zu ihr/ihm in ihre/seine oder sie/er in seine/ihre Wohnung ziehen«, um deutlich zu machen, dass eine befriedigende Lösung des Sprachproblems nicht möglich ist. »Ich ziehe die einfache Sprache der zwar korrekteren, aber unübersichtlicheren vor.« Diese Auffassung teile ich.


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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlaggestaltung: Gute Botschafter GmbH, Haltern am See

ISBN 978-3-641-17492-7
V005


www.gtvh.de

INHALT

VORWORT

EINLEITUNG

WIE MAN ZUVERLÄSSIG EINEN EHESTREIT ORGANISIERT

1 GLÜCKSSUCHT

DER GANZ NORMALE IRRSINN DES GLÜCKS

1. Der Stoff, aus dem die Träume sind

2. Der Hoeneß-Effekt

3. Das Glückskartell

2 WAS IST GLÜCK?

EINE KLEINE GESCHICHTE DES GLÜCKS

1. Was die gescheitesten Menschen der Welt über das Glück dachten

a) Philosophenglück: Platon, Aristoteles und meine Tante Cläre

b) Der Kampf um die Lust: Zenon, Epikur und warum Glück Käse ist

c) Aussteiger: Diogenes und Plotin – Glücklich vergammeln und glücklich verfaulen

d) Glückssucher: Augustinus, Thomas und das alte Mütterchen

2. Wie das Glück in Unordnung geriet und wie ein merkwürdiger Junggeselle wieder für Klarheit sorgte

3. Warum Hirnforscher sich nicht fortpflanzen sollten

3 IST GLÜCK VERMEIDBAR?

JA, UND WIE!

1. »Sie lächeln so, was verdrängen Sie?« – Wie Psychotherapie unglücklich machen kann

2. »Sie haben ein Problem, da hätt ich noch eins für Sie!« – Das Frau-Lot-Syndrom

3. Wir streben nach dem Unerreichbaren und verhindern so die Verwirklichung des Möglichen – Das Utopiesyndrom

4 WAS IST UNVERMEIDLICH?

VON SONNENUNTERGÄNGEN UND ALDI-VERKÄUFERINNEN

1. Von der Einmaligkeit des Lebens – Ein moderner Philosoph denkt tief nach

2. Von den Grenzen der menschlichen Existenz – Tod, Leid, Kampf und Schuld

3. Vom Wagnis des Glücks – Donnergrollen aus dem Lehrsessel

5 DER CLOU

EINE KLEINE PSYCHOLOGIE DES GELINGENS

1. Erfolgslehrer, Erfolgstrainer, Erfolgsopfer oder Abstürze mit Ansage

2. Burkhard oder wie man Ost-Westfalen glücklich macht

3. Die Wende oder eine Frage mit Sprengkraft

6 DAS ULTIMATIVE GLÜCK

WIE KANN MAN UNVERMEIDLICH GLÜCKLICH WERDEN?

1. Glückspilz – Eine tödliche Krankheit?

2. Leiden – Über einen verzogenen Prinzen und einen brüllenden Pfarrer

3. Schuld – Über die Schuld eines Co-Piloten und das größte Schuldbekenntnis aller Zeiten

4. Kampf – Über guten Kampf und zwei nachdenkliche Afrikaner

5. Tod – Über routinierte Fassungslosigkeit und die Pornografie des Todes

6. Der Teufel ist los – Dschihadisten vor der Gretchenfrage

7 GLÜCK IST PERSÖNLICH

WIE ICH DAS GLÜCKLICHSTE PAAR DER WELT KENNENLERNTE

1. Glücksinflation

2. »Wir hätten dann gerne das Aschgrau«

3. Über Dummköpfe, Holzköpfe und Charakterköpfe

8 IST GLÜCK UNSTERBLICH?

AUF DER SUCHE NACH DEM EWIGEN GLÜCK

1. Das unendliche Leben – Ein Albtraum

2. Warum man sich nie genug betrinkt

3. Selfies für die Ewigkeit

9 DES RÄTSELS LÖSUNG

EINE KLEINE ANLEITUNG ZUM GROSSEN GLÜCK

»Sei in diesem Augenblick glücklich, das genügt. Wir brauchen nicht mehr als den Augenblick.«

Mutter Teresa

»Von der Gelegenheit gilt dasselbe wie vom Glück: Man muss sie beim Schopf packen, sobald sie sich darbietet; sonst entschwindet sie gewöhnlich ohne Wiederkehr.«

Giacomo Casanova

VORWORT

Es ist mein voller Ernst, dass man unvermeidlich glücklich werden kann. Und da es solche Wege gibt, die ausnahmslos jedem Menschen offenstehen, darf man darüber nicht schweigen. Als ich mein Buch »Irre« schrieb, zweifelten erst viele, dass es möglich sei, auf 185 Seiten die ganze Psychiatrie und Psychotherapie darzustellen. Und auch jetzt scheint der Titel scherzhaft übertrieben. Doch obwohl es im Folgenden auch humorvoll zugehen wird, der Titel ist ganz ernst gemeint.

Unvermeidlich glücklich werden! Wie also soll das gehen? In den Schriften der Völker gibt es unendlich viele Texte über das Glück. Und auch neuerdings überschwemmt eine Flut von Glücksbüchern das Land. Freilich scheint die Menschheit durch all das nicht wirklich glücklicher zu werden. Manches spricht sogar dafür, dass eine Gesellschaft umso unglücklicher ist, je mehr über das Glück geschrieben wird. Soll man also riskieren, das Unglück zu vermehren, indem man ein weiteres Buch zu diesem Thema in die Welt setzt? Doch das Glück ist ein Menschheitsthema, das jeden Einzelnen betrifft und dem man nicht einfach entfliehen kann, indem man sich wortreich mit Zweitwichtigem begnügt. Daher war dieses Buch unvermeidlich, denn ich bin tatsächlich der Überzeugung, dass eine Verbindung von Psychologie, Philosophie und spiritueller Tradition dem Glück ganz neue Horizonte eröffnet und zu erstaunlichen Ergebnissen führt.

Ich danke Professor Robert Spaemann, der dafür gesorgt hat, dass alles philosophisch seine Richtigkeit hat, und auch meinem Friseur, der streng darauf achtet, dass alles locker und allgemeinverständlich bleibt. Ein Buch darüber, wie jeder glücklich werden kann, muss jeder verstehen.

EINLEITUNG –
WIE MAN ZUVERLÄSSIG EINEN EHESTREIT ORGANISIERT

»Herr Doktor, wir haben noch nie über das Vertrauen geredet. Können Sie uns da helfen?« Erwartungsvoll schaute mich das Ehepaar an. Die beiden hatten gerade in einer Illustrierten gelesen, dass man in einer Ehe über alles reden müsse, vor allem aber über das Vertrauen. Denn das Vertrauen sei eine Grundlage jeder guten Beziehung. Ich weiß nicht, ob sie da etwas falsch verstanden hatten, jedenfalls hatte ich alle Mühe, sie von diesem Unsinn abzubringen. Sie waren schon über 30 Jahre verheiratet, hatten Höhen und Tiefen überstanden, und es fiel auf, wie rücksichtsvoll und liebenswürdig sie miteinander umgingen. Mir war schleierhaft, wie sie auf die Idee kommen konnten, zum Psychiater zu gehen, denn nichts sprach für eine psychische Störung. Aber manche Medienberichte schaffen es, ganz normale Menschen so zu verunsichern, dass sie glauben, ein Problem zu haben.

Tatsächlich zerstört man das Vertrauen, wenn man es durch ein Gespräch zu fassen versucht. Die Frage »Kann ich dir eigentlich vertrauen?« eröffnet nicht eine Diskussion über das Vertrauen, sondern beendet sie. Denn damit entzieht man dem Vertrauen die Grundlage. Nehmen wir mal an, die Antwort wäre: »Ja, natürlich, wie kommst du bloß auf die Frage?« – so kann man locker nachlegen: »Dann sag doch mal, wo genau du gestern um 17 Uhr warst!« Spätestens an diesem Punkt kann nur noch ehrliche Empörung die Reaktion sein: »Seit 30 Jahren sind wir verheiratet, immer war ich dir treu, alles habe ich für dich getan – und du fängst plötzlich an, mir zu misstrauen ...« Die Antwort »Aber ich habe doch nur gefragt ...« macht auch nichts mehr besser, denn nun werden beide beginnen, misstrauisch zu werden, obwohl vor dem Gespräch über das Vertrauen im Grunde einhelliges Vertrauen geherrscht hatte.

Vertrauen ist wichtig. Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen kann ein Mensch nicht glücklich sein. Was das Leben aber so spannend macht, ist die Tatsache, dass wir gerade das Wichtige nicht wissen können. Ausgerechnet das Wichtige im Leben kann man nicht definieren, man kann es nicht in den Griff bekommen, man kann sich seiner nicht sicher sein. Wenn das nicht so wäre, dann wäre das Leben bloß ein langweiliges, festgelegtes Programm, für das man Gebrauchsanweisungen schreiben könnte, die es jedem ermöglichen würden, sein Leben so zu führen, wie es sich angeblich gehört. Dem Leben wäre jedes Geheimnis genommen, jeder persönliche Charakter, jede Vitalität. Das Leben wäre leblos.

Um einem Menschen wirklich zu vertrauen, muss man ihm also persönlich begegnen, muss Erfahrungen mit ihm machen, um dadurch die nötige Gewissheit zu erlangen. Auch dann kann man enttäuscht werden, weil man sich getäuscht hat. Theoretisches abstraktes Wissen jedenfalls hilft dabei nicht weiter.

Vielleicht ging es dem Rat suchenden Ehepaar ja auch bloß um ein wenig Abwechslung im tagtäglichen Ehetrott. Zweifellos gibt es Ehen – natürlich nicht die Ihre, liebe Leserin und lieber Leser, sondern eher die Ihrer Nachbarn oder von entfernten Verwandten –, da ist es nach 30 Jahren unter Umständen ein bisschen eintönig geworden. Es geschieht nichts wirklich Aufregendes mehr, nichts Unerwartetes, noch nicht mal ein zünftiger Ehekrach. Und wenn es einen Ehekrach gibt, dann kommt das meistens terminlich ganz ungelegen, mal eben zwischen Tür und Angel, und man kann es gar nicht richtig genießen. Da wäre es doch hilfreich, wenn es eine Methode gäbe, mit der man einen solchen Ehekrach gezielt und zuverlässig herbeiführen könnte. Es wäre doch gelacht, wenn wir zwar dank des wissenschaftlichen Fortschritts nichts mehr dem Zufall überlassen, aber dennoch außerstande wären, etwas so Banales wie einen schlichten Ehekrach herzustellen. Und tatsächlich, eine solche Methode steht jedem jederzeit zur Verfügung. Nachdem erst mal in aller Ruhe ein Termin gesucht wurde, an dem genug Zeit ist, fragt zum Beispiel die Ehefrau ohne Vorwarnung: »Warum liebst du mich eigentlich?« Mit dieser Frage ist der Abend gelaufen. Denn alles, was jetzt passiert, kann nur noch ins Chaos führen.

Nehmen wir an, der Mann ist völlig perplex und sagt darauf nichts, so wird die Ehefrau verständlicherweise und völlig zu Recht erbost reagieren: »Wie, du hast nichts dazu zu sagen? Ich koche für dich, ich wasche für dich, ich tue alles für dich, und du hast auf eine solche Frage, die an die Basis unserer Beziehung geht, absolut nichts zu sagen? Gut, dass ich die Frage endlich mal gestellt habe! Offensichtlich leben wir schon seit Jahren nur noch aneinander vorbei! Du wirst nämlich wohl kaum bestreiten können, dass das eine wichtige Frage ist. Gar nicht besonders kompliziert. Nur fünf Worte. Dennoch fällt dir nichts dazu ein! Absolut gar nichts! Da kann ich ja gleich gehen ...«

Die zweite Möglichkeit ist natürlich, dass der eheerfahrene Mann antwortet. Da dieser Mann seine Frau also nur zu gut kennt, zermartert er sein Gehirn. Er weiß genau, er muss jetzt etwas sagen. Es gibt ja solche Ehen, in denen die Ehefrau zu ihrem Mann sagt: »Sag was!«, und tatsächlich: Er sagt was! So kommt der Mann auf das für ihn Naheliegendste, und er antwortet zum Beispiel überstürzt: »Ich liebe dich wegen deiner schönen Augen!« Doch auch diese Antwort führt unfehlbar in die Katastrophe: »Nur wegen meiner Augen? Das ist ja eine Frechheit! Das muss man sich mal vorstellen: Seit über 30 Jahren lebe ich mit dir zusammen, auf so vieles habe ich verzichtet, habe unsere Kinder erzogen, den Haushalt geführt, und alles, was dir zu mir einfällt, sind meine Augen? Was hinter meinen Augen ist, Gehirn und so, das interessiert den Herrn wohl gar nicht! Da kann ich dir ja ein Foto meiner Augen hinstellen und mich aus dem Staub machen! Ich bin entsetzt, enttäuscht, entwürdigt! So etwas lasse ich mir nicht bieten ...« Natürlich hat sie recht, die Frau. Denn wie wollte man ein den ganzen Menschen ergreifendes existenzielles Gefühl auf zwei kleine kugelförmige Gebilde reduzieren? Auch hier gibt es kein Halten mehr, denn was auch immer der Ehemann jetzt in höchster Not sagen wird, es liefe auf den Versuch hinaus, Liebe zu definieren. Und das vernichtet die Liebe.

Auch Liebe ist wichtig. Auch sie entzieht sich dem bloßen Wissen. Daher können Bücher über die Liebe die reale Liebe zweier Menschen durchaus gefährden. Denn sie schaffen die Illusion, dass die Liebe eine Wissenschaft oder eine Kunst sei, die man erlernen und dann beherrschen könne. So sei man dann Herr seiner Liebe, weil man sie jetzt präzise auf den Begriff gebracht habe. Welche Anmaßung! Denn die Liebe gibt es nicht, damit man sie begreifen kann. Die Liebe ist unberechenbar. Sie blitzt im Moment auf. Man kann sich von ihr ergreifen lassen, nicht theoretisch, sondern ganz praktisch.

Vor allem kann man wirkliche Liebe erschüttern, wenn man Liebenden einredet, es gebe so etwas wie eine ideale Liebe. Das »Utopiesyndrom« hat der österreichisch-amerikanische Psychotherapeut Paul Watzlawick einen psychologischen Irrweg genannt, bei dem das ganze Streben eines Menschen mit aller Kraft und großer Ausdauer auf ein unerreichbares Ziel ausgerichtet ist. Es gibt kaum etwas Hinterlistigeres, als einem glücklich liebenden Ehepaar ein Buch über die ideale Ehe zu schenken mit dem Hinweis: Unbedingt lesen! Dann besteht die gute Aussicht, dass diese reale Ehe womöglich bald beendet ist. Denn die schneidet natürlich gegenüber dem Ideal, das im Buch gepriesen wird, immer schlechter ab. Deswegen spricht der jüngst verstorbene geniale Soziologe Ulrich Beck zu Recht davon, dass die Ratgeberliteratur eine Schneise der Verwüstung durch Deutschland schlage. Sie sorgt dafür, dass viele Menschen sich für sich selbst gar nicht mehr kompetent fühlen, sondern alles von Experten erwarten. Und diesen Effekt haben nicht nur gewisse Liebesratgeber und Ehehandbücher. Auch manche gierig erwarteten Glücksfibeln sind in Wirklichkeit nichts anderes als raffinierte Anleitungen zum Unglücklichsein. Denn mit dem Glück ist es nicht anders als mit Vertrauen und Liebe: Man kann es nicht in Buchform »schwarz auf weiß nach Hause tragen«, wie Goethes lächerlicher Famulus sich das so denkt.

Daher ist dieses Buch keinesfalls ein Ratgeber. Im Gegenteil, es ist geradezu ein Anti-Ratgeber, eine Befreiung vom professionellen Besserwissertum und damit eine Anleitung zum selbstbewussten eigenen Leben und zu einem Glück, das es nicht als allgemeines Ideal gibt, sondern nur höchstpersönlich.

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GLÜCKSSUCHT

DER GANZ NORMALE IRRSINN DES GLÜCKS

1

DER STOFF, AUS DEM DIE TRÄUME SIND

Jede Sucht ist eine Sucht nach Glück. Der Drogenabhängige sehnt sich nach nichts so sehr wie nach dem Kick, nach dem Hochgefühl, nach dem überströmenden Glück des Moments, in dem die Droge anflutet. Alles ist er bereit dafür zu tun, alles Geld opfert er, seine Freunde, seine Gesundheit, sein Leben. Bei den ersten Kontakten mit der Droge beginnt er zu ahnen, dass er da ein unglaubliches Mittel in der Hand hält, mit dem er Glück zuverlässig und effektiv selbst erzeugen kann. Er hat das Glück wortwörtlich in der Hand. Was helfen gegen dieses Gefühl von eigener Macht die ewigen langweiligen Warnungen alter langweiliger Menschen vor derlei Eigenmächtigkeiten? Was hilft die Drohung, solche Tollheiten würden einem über kurz oder lang teuer zu stehen kommen, wenn einen irgendein »Später« gar nicht interessiert, da man doch das unübertreffliche beglückende Jetzt erlebt hat. Ein solcher Mensch ist ganz gefangen vom intensiven gegenwärtigen Augenblick, in dem weder Vergangenheit noch Zukunft noch irgendjemand rings umher interessiert, sondern bloß die Ekstase des Rausches.

Doch ist ein Drogenabhängiger wirklich glücklich? Für die kurzen Momente des Rausches bei den ersten Malen vielleicht. Doch niemand, auch der Drogenkonsument selbst nicht, wenn er dann bald abhängig ist, wird den Drogenkonsum ernsthaft als Glück beschreiben. Die traumhafte Eigenmächtigkeit, die am Anfang stand, wird zur drastischen Ohnmacht der Abhängigkeit von der Droge, vom Dealer, von Menschen, die sich erbarmen. Die Sucht nach Glück, das prickelnde Gefühl von der mühelosen Machbarkeit des Glücks, hat den Drogenabhängigen ins größte denkbare Unglück gestürzt. Zweifellos, die Sucht nach Glück macht entsetzlich unglücklich.

Auch der Alkoholabhängige sehnt sich nach Glück. Es beginnt nicht so fulminant wie bei der Drogenabhängigkeit. Es ist also nicht gleich der bewusstseinsverändernde Effekt selbst, der gesucht wird. Alkohol ist zunächst ein Getränk wie andere auch, dessen Geschmack geschätzt und dessen entspannende Wirkung vielleicht nebenbei noch angenehm empfunden wird. Wer weinselig vor sich hin fabuliert, mag sich in diesem Moment sogar glücklich fühlen. Dagegen ist nichts zu sagen. Problematisch wird es erst dann, wenn der bewusstseinsverändernde Nebeneffekt das eigentliche Ziel des Alkoholtrinkens wird. Tatsächlich sind Probleme in Alkohol komplett löslich, aber natürlich nicht wirklich. Wenn jemand nämlich beim Auftreten irgendeines Problems nicht das Problem ernsthaft löst, sondern stattdessen Alkohol auf das Problem schüttet, dann hat er bereits die schiefe Ebene betreten, auf der er in die Sucht rutscht. Er löst dringende Probleme nicht mehr und bekommt sogar noch ein zusätzliches Problem: das Problem mit dem Alkohol. Irgendwann führt diese psychische Abhängigkeit zur körperlichen Abhängigkeit, man muss mehr trinken, um denselben Effekt zu erreichen, man leidet unter unangenehmen Entzugserscheinungen, wenn man das Alkoholtrinken einstellt. Man verliert seine Entscheidungsfreiheit, denn mit der Zeit wird der Alkohol wichtiger als alles andere im Leben. Beruf, Partnerschaft, Freunde, all das, was normalerweise glücklich machen kann, wird ersetzt durch einen Stoff, den Alkohol. Am Ende ist es das süchtig ersehnte höchste Glück, Unglück zu vermeiden, nämlich das Unglück des Entzugs. Dass allein die Abwesenheit von Leid Glück sei, das war immer schon die traurigste Auffassung vom Glück.

Die nicht stoffgebundenen Süchte machen klar, dass jedes menschliche Verhalten süchtig entarten kann. Es ist schwierig, über Sexsucht ernsthaft zu reden, denn manch einer mag sich insgeheim etwas Ähnliches wünschen. Doch kaum jemand macht sich klar, was Sexsucht für einen Menschen wirklich bedeutet. Wer sexsüchtig ist, den macht Sex nicht mehr glücklich, aber Sexentzug macht ihn unglücklich. Dasselbe gilt von Kaufsucht, Laufsucht und dem, was man heute Internetsucht nennt. Allerdings muss man bei solchen Diagnosen auf dem Teppich bleiben. Wer viel Geld hat und viel kauft, ist deswegen nicht gleich kaufsüchtig, wer gerne viel läuft, der kann das problemlos auch weiter tun, und wer lustvoll im Internet surft, der braucht sich deswegen noch keine Sorgen zu machen. Und zweifellos war auch Giacomo Casanova nicht sexsüchtig. Er war ein selbstbewusster Mann, der die Frauen liebte und darunter keineswegs litt. Solche Menschen sind immer noch Herr ihrer Entscheidungen, und wenn sie das Glück suchen, kann es ihnen auf vielfältige Weise begegnen. Erst dann, wenn dieses Verhalten eine Eigendynamik bekommt, wenn es ganz ins Zentrum eines Lebens rückt und da auf Dauer nichts anderes mehr neben sich duldet, wenn alle Sehnsucht nach Glück nicht mehr offen ist für die Weite der Welt und des Lebens, sondern sich verirrt in den engen Tunnel dieses einen endlos wiederholten Verhaltens, dann ist ein solcher Mensch blind geworden für wirkliches Glück. Und so sieht er nicht einmal mehr, wie dieses Verhalten alle seine sozialen Beziehungen untergräbt, gefährdet und am Ende zerstört. Das außer Rand und Band geratene Verhalten ist nicht mehr eine von vielen Verhaltensweisen, denen sich Menschen auf der Suche nach einem glücklichen Leben nach eigenem Gutdünken mehr oder weniger intensiv widmen und für die sie sich entscheiden. Denn wenn die Sucht gesiegt hat, entscheidet nicht mehr der Mensch über ein Verhalten, sondern ein Verhalten entscheidet über den Menschen. Der Mensch wird zum Sklaven seines Verhaltens, und dann ist er nicht mehr frei, sondern krank, dann ist er süchtig und braucht therapeutische Hilfe, um wieder fähig zu werden, er selbst zu sein und wirklich glücklich zu werden. Jede Sucht ist eine Form von Unglück.

2

DER HOENESS-EFFEKT

Als ich den ersten Spielsüchtigen meines Lebens im Krankenhaus aufnahm, war ich total überrascht. Denn der Patient hatte alle Entzugserscheinungen, die ich von Alkoholikern kannte: Zittern, Unruhe, Schweißausbruch. Mehrfach am Tag musste er sein völlig durchgeschwitztes Hemd wechseln. Der Mann war gescheit, hatte eine gute Ausbildung, war früher im Leben erfolgreich gewesen. Doch jetzt hatte er alles verloren, seinen Job, seine Frau, sein Geld, einfach alles. Verstandesmäßig war ihm völlig klar, dass die Spielsucht ihn ins Unglück gestürzt hatte. Dennoch kam er alleine nicht davon los. Die Spielsucht ist eine Sucht, die das Wort Glück sogar im Namen führt: Glücksspielsucht. Denn es geht ja nicht um Mensch-ärger-dich-nicht, sondern darum, mit dem Spiel Geld zu erspielen. Geld ist für den Spielsüchtigen das Glück oder, besser gesagt, der Moment des Geldgewinnens. Wie sehr das Glücksspiel Menschen in seinen verhängnisvollen Bann schlagen kann, das hat nicht nur Fjodor Dostojewski in seinem Roman »Der Spieler« dramatisiert, auch Stefan Zweig erzählt in seiner Novelle »Vierundzwanzig Stunden« berührend, wie ein junger gut aussehender Mann mit allen nur denkbaren sympathischen Eigenschaften ganz dem Glücksspiel verfallen ist und von einer Dame beobachtet wird, als er sich nach dem definitiven Verlust umbringen will. Sie rettet ihn und versucht, ihn mit allen Mitteln auf den rechten Weg zu bringen. Ja, sie verliebt sich sogar in ihn und ist bereit, für ihn alle Konventionen über den Haufen zu werfen. Es scheint zu gelingen, auch er verliebt sich in sie und schwört ihr inbrünstig, ein neues Leben zu beginnen. Er soll vorausfahren, sie gibt ihm Geld für die Bahnfahrt – und das ist das Verhängnis. Er nimmt nicht den Zug, sondern geht mit dem Geld in die Spielbank. Zweig beschreibt eindrucksvoll und realistisch, wie sich die ganze Persönlichkeit von einem Tag auf den anderen ändert. Der junge Mann, der sich noch einen Tag zuvor einfühlsam und liebevoll gezeigt hatte, wirkt nun plötzlich gehetzt, kalt und abweisend. Tief erschüttert fährt Mrs. C. ab und erfährt später, dass der hoffnungslose junge Spieler sich irgendwann umgebracht hat.

Das Glücksspiel spielt mit dem Glück, in all der schillernden Bedeutung dieses Wortes. Denn in anderen Sprachen wird genauer als im Deutschen unterschieden zwischen dem Glück als zufälliger Chance einerseits und dem wirklichen Glück als einer vor allem innerlichen Befindlichkeit andererseits. »Ich habe Glück gehabt« meint eben ein anderes Glück, als wenn ich von ganzem Herzen sagen kann: »Ich bin glücklich.« Gewiss, es gibt Verbindungen. Der glückliche Zufall kann mich glücklich machen, wenn dadurch eintritt, was meinen Wünschen entspricht. Aber wahres Glück geht doch darüber hinaus. Der Volksmund unterscheidet die beiden Bedeutungen von Glück ganz genau. Der Spruch »Glück und Glas, wie leicht bricht das!« warnt vor dem Zufallsglück, dem man hilflos ausgesetzt ist. Dagegen ermutigt der Satz »Jeder ist seines Glückes Schmied« dazu, selber für sein Glück tätig zu sein. Und dass derjenige, der sich um das wahre Glück müht, zusätzlich vielleicht auch ein bisschen mehr Glück hat, daran erinnert Mephistopheles in Goethes Faust: »Wie sich Verdienst und Glück verketten, das seh’n die Toren niemals ein. Wenn sie den Stein der Weisen hätten, der Weise mangelte dem Stein.«

Das Zufallsglück suchen viele Menschen, die nicht in Spielcasinos gehen, heute beim Lotto, in Quizshows und Castingshows. Sie bilden sich ein, auf diese Weise den Zufällen des Lebens ein Schnippchen schlagen zu können. Doch das wirkliche Glück ist kein Spiel und nicht durch ein Spiel zu gewinnen. Ein Spieler kann mal Glück haben, aber der glückliche Glücksspieler, der jeder Spieler irgendwann einmal werden will, hat in Wirklichkeit nie existiert. Selbst ein Multimillionär wie Uli Hoeneß hat das bitter erfahren müssen. Auch Astrologie hat Konjunktur mit dem spielerischen Versprechen, Menschen glücklich zu machen, indem sie schon mal ein bisschen in die Zukunft schauen können und so in Kenntnis ihres Horoskops windschnittiger durchs Leben kommen. »Corriger la fortune« nannte unser Französischlehrer Bemühungen, das Schicksal einer Klassenarbeit dadurch zu korrigieren, dass man nicht bloß sein Gedächtnis, sondern auch seine Augen einsetzte, um beim Nachbarn einige sachdienliche Erkundigungen einzuziehen. Man hatte Glück gehabt, wenn man nicht erwischt wurde. Dann hatte man buchstäblich mehr Glück als Verstand. In Wahrheit hat das alles mit wirklichem Glück, mit Glück als vor allem innerer Befindlichkeit, überhaupt nichts zu tun.

3

DAS GLÜCKSKARTELL

Doch es scheint auch eine Art unbändiger Sehn-Sucht nach Glück zu geben, die nicht zu klinischer Sucht führt und die auch nichts zu tun hat mit all den Zeit vertreibenden Spielereien des Glücks, von denen die Rede war. Vor 100 Jahren stellte der Soziologe Émile Durkheim fest, dass wir immer mehr in eine »anomische Situation« hineingeraten, eine Situation also, in der allgemeine Sicherheiten und verbindliche Orientierungen verloren gegangen sind. Vielleicht hat die übertriebene Sehnsucht nach Glück damit zu tun, dass der Einzelne sich auf seine kleine Welt zurückgeworfen fühlt und sich daher umso mehr bemüht, in dieser biedermeierlichen Welt ganz für sich alleine glücklich zu werden, wenigstens ein bisschen glücklicher als die anderen. Diese Sehnsucht bringt offensichtlich viele Menschen dazu, sich geradezu unablässig mit dem Thema Glück zu befassen. So entstand ein höchst profitables milliardenschweres Glückskartell. Die Regale der Buchhandlungen biegen sich vor Glücksliteratur, Glücksseminare haben Hochkonjunktur, und jeder noch so banale Satz zum Thema Glück wird gierig aufgesogen wie eine Offenbarung. Ein unfreiwillig komischer Höhepunkt dieses Unsinns ist »The World Book of Happiness«, ein dicker Schinken, der auf Deutsch mit dem Titel »Glück« erschienen ist. Was da an hochtrabenden Allerweltsweisheiten und schlichtem Blödsinn von Autoren aus aller Welt zusammengeschrieben worden ist, sollte man nicht für möglich halten. Das »Wohlfühlglück« ist in aller Munde. Nichts gegen ein bisschen Wellness. Doch ist das wirklich das Glück? Der Philosoph Robert Spaemann hat einfach mal in diesen Wohlfühlluftballon hineingestochen: Es sei doch sehr die Frage, ob wir uns wirklich am wohlsten fühlten, wenn es um nichts anderes geht als darum, uns wohlzufühlen. Peng! Und auch Zufriedenheit sei noch nicht Glück. Dennoch, die große Hoffnung ist, dass man vielleicht doch die ultimative Methode findet, eine ausgeklügelte geheime Technik, um auf diese Weise ganz sicher und ganz schnell definitiv glücklich zu werden. Könnte Glück nicht als Ergebnis kundiger Planung ein herstellbares Produkt sein, wie doch irgendwie alles im Leben? Doch das funktioniert nicht. Denn dass all die Bücher und Seminare nicht zum Erfolg führen, wird allein schon dadurch bewiesen, dass es immer wieder neue Bücher und neue Seminare gibt. Die zentrale Vorstellung bei alldem ist, dass Glück etwas sei, das machbar ist. Darin aber unterscheidet sich eine solche Sicht nicht von der eines Drogenabhängigen, der ja ebenso meint, Glück sei machbar, nicht mit Büchern, nicht mit Seminaren, sondern mit der Droge. Die Suche nach Glück durch Glücksratgeber ist im Ergebnis nicht weniger vergeblich, wenn auch weniger verderblich als der Irrweg der Junkies.