Wie könnte ein perfekter Tag in Florenz aussehen? Zum Beispiel so: In den Morgenstunden schlendern Sie über die Piazza Santo Spirito. Sie drehen eine Runde über den Obst- und Gemüsemarkt und frühstücken in einem der alteingesessenen Cafés Cappuccino und Cornetto. Nebenan präsentiert Ihnen die Cappella Brancacci stolz die Fresken des Malers Masaccio. Nach einem kleinen Spaziergang entdecken Sie den romantischen Giardino Bardini, ein verstecktes Juwel der Gartenkunst. Zur Stärkung gönnen Sie sich Lampredotto-Panini vom besten Straßenstand der Stadt – eine himmlische Spezialität der Region. Die Shoppinglust zieht Sie auf die andere Seite des Flusses, wo Sie in urigen Geschäften nach regionalem Olivenöl und extravagantem Parfum stöbern. Nun lockt das Domviertel: Den Besuch des Museo del Duomo runden Sie ab mit einem Aperitivo in der Caffetteria Delle Oblate, mit Blick auf die Domkuppel. Bei Abendstimmung flanieren Sie durch die Gassen des Dante-Viertels und lassen sich schließlich im Fishing Lab nieder: Die florentinische Institution zaubert Ihnen den besten Fisch Ihres Lebens auf den Teller.

Unsere Reise-Reihe im insel taschenbuch führt Sie zu Orten, von denen viele bald zu Ihren Lieblingsorten werden könnten und zu denen Sie immer wieder zurückkehren möchten. Entdecken Sie versteckte Plätze und Parks, kaufen Sie auf den schönsten Märkten ein und genießen Sie die besten Cafés, Restaurants und Bars der Stadt!

Unsere Autoren haben ihre (Wahl-)Heimat neu erkundet, wie Fremde, aber mit »Heimvorteil«. Jedem Lieblingsort sind zwei Seiten gewidmet, mit Farbfoto, Extratipps, Wegbeschreibung und Öffnungszeiten. Durch die praktische Anordnung nach Stadtteilen können Sie die Umgebung Ihres Lieblingsortes gleich mit erkunden.Unsere »Lieblingsorte« – Reise-, Geschenk- und Lesebücher, die viele Überraschungen bereithalten und zum Neuentdecken der schönsten Städte einladen!

BIRGIT HAUSTEDT ist promovierte Literaturwissenschaftlerin, lehrte mehrere Jahre an der Universität in Salerno und lebt heute als freie Autorin in Hamburg. Im insel taschenbuch sind zuletzt Venedig – Lieblingsorte (it 4566) und Hamburg – Lieblingsorte (it 4290) erschienen: »Was ein Reiseverführer. Toll!« boersenblatt.net

eBook Insel Verlag Berlin 2019

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4708

© Insel Verlag Berlin 2019

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Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlaggestaltung und Layout: Marion Blomeyer, München

Illustrationen: Ryo Takemasa, Tokio

Karten: Peter Palm, Berlin

eISBN 978-3-458-76255-3

www.insel-verlag.de

INHALTSVERZEICHNIS

Eine Terrasse mit Aussicht

RUND UM DEN DOM

La Cupola

Hymne auf die Arbeit: die Reliefs am Campanile

Auf ein Glas Brunello in der Enoteca Alessi

Altes neu in Szene gesetzt: das Museo dell’Opera del Duomo

Auf Dantes Spuren

Traditionelles Fastfood im Da’ Vinattieri

Bibliotheks-Caffetteria mit spektakulärem Blick

Eine magische Kapelle im Palazzo Medici Riccardi

Boccaccio-Bild im Palazzo dell’Arte dei Giudici e Notai

RUND UM DIE PIAZZA DELLA SIGNORIA

Schönheit und Politik auf der Piazza della Signoria

Guelfen und Ghibellinen: die Zinnen des Palazzo Vecchio

Avantgarde-Küche in der Gucci Osteria

Die Geburt der Renaissance: zwei Bronzetafeln im Bargello

Ein lost place mitten in der Stadt: die Piazza Peruzzi

Giottos Fresken in Santa Croce

Vivoli – oder: Wo gibt es das beste Eis in Florenz?

Artemisia Gentileschi in den Uffizien

Das Karussell auf der Piazza della Repubblica

VON SANT’AMBROGIO BIS ZUR PIAZZA SAN MARCO

Auf dem Markt: der Mercato Sant’Ambrogio

Der Erfinder der italienischen Küche: Pellegrino Artusi

Schokolade mit Tradition: Vestri

Kultur im alten Gefängnis: Le Murate

Die Toteninsel mitten im Verkehr

Süße Hausmannskost in der Pasticceria Nencioni

Die Findelkinder vom Ospedale degli Innocenti

Der ideale Renaissanceplatz

Das Kloster San Marco und das Gold der Medici

SANTA TRINITA UND SANTA MARIA NOVELLA

Zwei Hochzeiten und ein Todesfall: die Türme der Buondelmonti

Schuhe! Schuhe! Schuhe! Das Museo Ferragamo

Schönes Marmorpapier bei Alberto Cozzi

Eine Liebesgeschichte im Palazzo Davanzati

Lieblingswerke der Moderne in der Collezione Casamonti

Das Leben der oberen Zehntausend auf Ghirlandaios Fresken in Santa Trinita

Brückenkunst: Ponte Santa Trinita

Das Viertel der Rucellai

Fortuna an der Fassade von Santa Maria Novella

Avantgardistische Architektur und Musik

OLTRARNO: DIE VIERTEL JENSEITS DES ARNO

Neues von der Piazza Santo Spirito

Masaccio revolutioniert die Malerei

Five o’Clock Tea

Hommage an einen Hampelmann

Essen wie früher: Trattoria Sabatino

Die Casa Guidi und eine große englische Dichterin

Das älteste Naturkundemuseum Europas: La Specola

Pontormos Popfarben

Ein Krimispaziergang in San Frediano

Nachbarschaftstreff in der Fiaschetteria Fantappiè

Ein Spielplatz mit Geschichte auf der Piazza Tasso

Burro & Acciughe: Fisch in Florenz?

Kunst im Kreisverkehr: Pistolettos Skulptur DietroFront

Bar d’Angolo und das Leben in Florenz

50 Shades of Blue: der Giardino Bardini

Rilke feiert im Palazzo Serristori

San Miniato al Monte

Ein Rosengarten mit Aussicht

AUSFLÜGE

Machiavellis Exil in St. Andrea in Percussina

Klösterliche Stille und schöne Blicke in Fiesole

Ein römisches Amphitheater in Fiesole

Eine Wanderung von Fiesole nach Settignano

Danksagung

Bildnachweis

Register

BUS C3, C4 PITTI

Eine Terrasse mit Aussicht

PANORAMA RESTAURANT LA SCALETTA

VIA GUICCIARDINI, 13

WWW.PANORAMARESTAURANT
LASCALETTA.COM

TIPP

DIE FIRENZE CARD FÜR 85 EURO GILT FÜR FAST ALLE MUSEEN, KIRCHEN, GÄRTEN UND PALAZZI (MIT AUFSCHLAG VON 7 EURO AUCH FÜR ALLE ÖFFENTLICHEN VERKEHRSMITTEL), IST DREI TAGE GÜLTIG UND ERSPART MEIST LANGES ANSTEHEN. WWW.FIRENZECARD.IT

Dächer aus terrakottafarbenen Ziegeln, Hinterhöfe, Treppen, Balkone in Ockergelb, bunte Markisen, grüne Einsprengsel der Dachgärten, im Hintergrund das Forte di Belvedere, ganz nah der Giardino di Boboli mit seinen Zypressenalleen, Zedern, Tempelchen und dem riesigen Palazzo Pitti: Die kleine Dachterrasse des Hotels La Scaletta ist ein guter Start für einen Florenzbesuch. Es gibt luxuriösere Orte, spektakulärere Aussichten und all die bedeutenden Sehenswürdigkeiten im Zentrum … Aber hier sind wir über den Dächern und doch noch mittendrin im Häusergewirr der alten Stadt. Ein kleiner klassischer Bartresen, ockergelb gestrichen wie die Wände, dekorativ umrankt von blühenden Pflanzen, über allem ein einfaches Sonnensegel. Die quadratischen Tische sind klein, es gibt Stofftischdecken, die Stühle sind aus altmodischem Draht. Keine Heizpilze, kein Glasgeländer, kein Chrom, dafür ein Ambiente wie im Italien der Fünfzigerjahre.

Florenz besteht nicht nur aus Kirchen, Museen und Kunstwerken, sondern auch aus Orten wie diesem – mit besonderem Flair und manchmal sogar mit Aussicht. Viele solcher Lieblingsorte finden sich übrigens (wie hier) in Oltrarno, dem Gebiet von Florenz »jenseits des Arno«, viele aber auch im Zentrum. Sie sind ganz verschieden – vom Spielplatz mit Geschichte über moderne Kunst im Kreisverkehr bis zur besten Gelateria oder einem zauberhaften Garten, von dem die Florentiner schwärmen. Natürlich gibt es auch viele Lieblingsorte mit alter Kunst, mit Kirchen, Klöstern und anderen Hauptsehenswürdigkeiten, dafür sind wir ja schließlich in Florenz – oft zusammen mit vielen weiteren Touristen, gerade in der Hauptsaison. Das muss man manchmal in Kauf nehmen, ebenso wie die anderen ausländischen Mit-Gäste in vielen Restaurants. Manchmal hilft es aber schon, zu anderen Zeiten hinzugehen – die Piazza della Signoria ist zum Beispiel besonders schön bei Nacht. Manchmal muss man die beliebtesten Highlights auch links liegen lassen – und kann in den Uffizien dafür andere Meisterwerke ganz allein und in aller Ruhe betrachten. Manchmal hilft auch das nichts, wie bei der Besteigung der Kuppel des Doms, für die man immer Schlange stehen muss. Dennoch ist diese Kuppel einer meiner Lieblingsorte, denn nirgendwo sonst wird Geschichte und Architektur so anschaulich – und deshalb steht sie auch am Anfang dieses Buches.

Doch neben den vielbesuchten Anziehungspunkten gibt es auch weniger bekannte Lieblingsorte, die einen Besuch verdienen, weil sie – wie die Dachterrasse des La Scaletta – eine Dolce Vita-Auszeit vom Sightseeing-Programm bieten. Von hier führt eine schmale Treppe noch höher auf eine zweite, ganz kleine Terrasse, die nur Platz für wenige Tische bietet. Von der Terrazza Firenze, wie sie zu Recht heißt, hat man einen wunderschönen Rundumblick auf die ganze Stadt. In der Ferne leuchtet die imposante Kuppel des Doms neben dem schlanken Campanile Giottos, das Ganze vor der Kulisse der sanften Hügellandschaft des Florentiner Umlands. Ein besonders schöner Ort für ein Abendessen (unbedingt reservieren!). Man kann aber auch nur einen Aperitif nehmen und sich in aller Ruhe auf das freuen, was uns in Florenz erwartet …

Rund um den Dom

BUS C1, C2 ROMA DUOMO, C4 PECORI DUOMO

La Cupola

DUOMO SANTA MARIA DEL FIORE

PIAZZA DEL DUOMO, EINGANG PORTA DELLA MANDORLA

WWW.ILGRANDEMUSEODELDUOMO.IT

DAS KOMBITICKET FÜR U.A. KUPPEL, BAPTISTERIUM, CAMPANILE, MUSEO DEL DUOMO KOSTET 18 EURO UND IST 72 STUNDEN GÜLTIG.

ACHTUNG: KUPPELBESTEIGUNG NUR NACH VORHERIGER RESERVIERUNG.

463 STUFEN SIND ZU BEWÄLTIGEN!

TIPP

UNTERHALTSAMES UND INFORMATIVES BUCH ÜBER DIE BAUGESCHICHTE DER KUPPEL: ROSS KING, DAS WUNDER VON FLORENZ (GIBT ES U.A. IN DER BUCHHANDLUNG DES DOMMUSEUMS AUF DEUTSCH)

Volles Risiko ging die Wollweberzunft ein, als sie 1418 den Auftrag für die Domkuppel an Filippo Brunelleschi vergab. Vorzuweisen hatte der 41-jährige Junggeselle wenig, anders als renommierte Mitbewerber wie Lorenzo Ghiberti besaß er nicht einmal eine eigene Werkstatt. Und seine Idee una cupola senza armadura, eine Kuppel ohne Gerüst, klang ebenso großartig wie unrealistisch: Eine zweite innere Kuppelschale sollte die Außenschale schon beim Bau stützen, sodass man auf ein Gerüst verzichten konnte. Überzeugt habe Brunelleschi die Kommission – so die Legende – mit einem später durch Kolumbus berühmt gewordenen Coup: Ein Ei zum Stehen zu bringen wollte keinem gelingen, bis schließlich Brunelleschi das (gekochte) Ei nahm und einfach auf dem Tisch aufschlug: eine unkonventionelle Lösung für eine scheinbar unlösbare Aufgabe. Ob Brunelleschi schon damals wusste, wie der Bau gelingen könnte, ist unbekannt. Seine Pläne ließ er niemanden sehen, auch nicht die anderen drei Dombaumeister, die ihm die Kommission sicherheitshalber zur Seite stellte – darunter Konkurrent Ghiberti.

Wie die doppelschalige Kuppel konstruiert ist, sieht man am besten, wenn man selbst hinaufsteigt. Nach 150 Stufen ein erster Stopp auf der inneren Galerie, um Vasaris Jüngstes Gericht zu betrachten. In dieser luftigen Höhe saßen damals die Arbeiter auf einem Hängegerüst, auch das Brunelleschis Idee, eine Art schwebende Plattform mit Garküchen und Toiletten. Acht Mannschaften zu je neun Maurern arbeiteten jeweils gleichzeitig an den Mauern der Außen- und der Innenkuppel. Erst wenn der Mörtel des gesamten Rings fest war, begannen sie mit dem nächsten. Je höher sie kamen, je steiler der Neigungswinkel der Kuppel, desto gefährlicher wurde es, denn unter ihnen gähnte der Abgrund. Dennoch stürzten in der gesamten Bauzeit nur drei Arbeiter ab – erstaunlich auch angesichts der Arbeitszeiten: sechs Tage pro Woche von Sonnenauf- bis -untergang, im Sommer also bis zu 14 Stunden, streng kontrolliert von einer Art Stechuhrsystem (auch das Brunelleschis Idee).

Weiter zur Aussichtsplattform geht es viele Stufen hoch auf demselben Weg, den einst die Bauarbeiter gingen, durch ein Labyrinth niedriger Türen und schmaler Treppen zwischen Außenschale und Innenwänden der Kuppel. Gut sichtbar die Technik, mit der die Kuppel sich selbst stützt: durch Querbalken aus Sandstein, Holz und im Fischgrätmuster vermauerten Ziegeln. Die senkrechten Ziegellagen stützen die waagerechten Schichten wie Buchstützen und wirken so der Tendenz der Kuppel nach innen und unten entgegen. Jedes noch so kleine Detail hat eine Funktion – so auch die 72 kleinen Rundfenster, die zur Belüftung dienten und die Kuppel windsicherer machten.

Schon nach 16 Jahren Bauzeit konnte Papst Eugen IV. 1436 die Kuppel segnen, bis heute die größte gemauerte Kuppel der Welt. Als einzigen ihrer Bürger ehrten die Florentiner Brunelleschi mit einem Grab im Dom als »Genie«. Doch ist die Kuppel keineswegs nur Werk eines Einzelnen: Zu realisieren war sie nur mit Unterstützung der gesamten Bürgerschaft. Ohne deren Finanzkraft, ohne die Risikofreude der Zunftherren und ohne den Fleiß der Arbeiter wäre sie nie errichtet worden.

BUS C1, C2 ROMA DUOMO, C4 PECORI DUOMO

Hymne auf die Arbeit: die Reliefs am Campanile

CAMPANILE DI GIOTTO

PIAZZA DEL DUOMO

WWW.ILGRANDEMUSEODELDUOMO.IT

TGL. VON 8.15–19 UHR

EINTRITT IM KOMBITICKET DES MUSEUMS ENTHALTEN. 414 STUFEN!

TIPP

DAS GESAMTE CENTRO STORICO, AUCH JENSEITS DES ARNO, IST FÜR DEN VERKEHR GESPERRT. ALSO GUTE SCHUHE ANZIEHEN. FALLS MAN BUSSE BENUTZT, UNBEDINGT DIE FAHRSCHEINE ODER TAGESKARTEN (GIBT ES U.A. IN TABACCHI UND MANCHEN SUPERMÄRKTEN) GLEICH IM BUS ENTWERTEN. VIELE KONTROLLEN UND KEINE AUSREDEN OHNE BIGLIETTO!

Neben dem mächtigen Dom wirkt der schmale Campanile fast wie schmückendes Beiwerk. Dabei spielte er im Alltag der Florentiner eine große Rolle: Hier wurde zum Gebet gerufen, wurden Festtage und Todesfälle angezeigt, und seine Glocken läuteten Arbeitstag und Feierabend ein. Diesem Alltag der Florentiner sind die ungewöhnlichen Reliefs im unteren Teil des Turms gewidmet. In zwei Reihen erzählen sie vom Leben der Menschen und ihrer Arbeit. Die meisten wurden von Andrea Pisano und seiner Werkstatt geschaffen – unter der Leitung Giottos, der von 1334 bis zu seinem Tod 1337 der verantwortliche Architekt des Campanile war. Auf wen die für einen Kirchturm überraschend weltliche Themenwahl zurückging, ist heute nicht mehr zu klären.

Der Zyklus beginnt auf der Westseite mit der Geschichte der Schöpfung als Geschichte der Entstehung der Arbeit. Zuerst sehen wir Gott bei der Arbeit, wie er Adam und Eva erschafft, dann wie die beiden auf dem Feld schuften müssen – der Beginn der Feldarbeit; Kains Sohn Jabal mit seinen Schafen symbolisiert die Anfänge der Viehzucht, sein Bruder Jubal mit Trompete den Beginn der Musik, der dritte Bruder Tubal-Kain ist der erste Schmied.

Auf den weiteren Wänden emanzipierte Pisano sich von der Bibel: Neben Beispielen aus der antiken Mythologie (Dädalus als erster Mechaniker) gibt es einfache Szenen aus dem Arbeitsleben: Baumeister und Maurer mit ihrem halbfertigen Bau oder Frauen an einem Webstuhl, alle auf der Südseite. Auf der Nordseite sind der Bildhauer Phidias mit Skulptur und Apelles, der erste Maler, dargestellt. Die restlichen Reliefs wurden erst ein Jahrhundert später von Luca della Robbia geschaffen, erkennbar durch die souveräne Verwendung der Zentralperspektive und die Betonung geistiger Arbeit, beispielsweise beim Gespräch von Platon und Aristoteles als Beginn der Philosophie.

Diese Reliefs, die die menschliche Arbeit in all ihren Facetten feiern, stellen nichts weniger als ein revolutionäres Bildprogramm dar. In der mittelalterlichen Welt galt Arbeit als Strafe für den Sündenfall der Menschen. Ganz oben in der gesellschaftlichen Hierarchie stand der betende Klerus, darunter der kämpfende Adel, ganz unten diejenigen, die arbeiten mussten. Gegen diese feudale Weltordnung positionierte sich die Stadt Florenz selbstbewusst mit ganz neuen Werten: Hier zeigte man stolz am Kirchturm, dass alles, was ihre Stadt ausmachte, ihr Reichtum und ihre politische Macht, nicht zuerst auf Gottes Gnade oder irgendwelchen aristokratischen Tugenden beruhte, sondern den tätigen Menschen zu verdanken war, ihrer Arbeit, ihrer Wissenschaft und ihrer Kunst.

Die Original-Reliefs mit all ihren wunderbar gearbeiteten Details kann man im Museo dell’Opera del Duomo besichtigen. Dazu den restlichen Skulpturenschmuck des Campanile: Planeten, Tugenden, Sakramente und Heilige, der ganze Kosmos der damaligen Welt, in dem die Kirche natürlich weiterhin eine große Rolle spielte – auch im Alltag der Menschen.

BUS C1, C2 ROMA DUOMO, C4 PECORI DUOMO

Auf ein Glas Brunello in der Enoteca Alessi

ENOTECA ALESSI

VIA DELLE OCHE 27/29/31R

WWW.ENOTECAALESSI.IT

MO–SA 11–19 UHR

Ein kühler Tag im Mai in der Nähe des Doms, eine düstere Straße, immer wieder riesige Reisegruppen auf dem schmalen Bürgersteig, und dann beginnt es auch noch zu regnen. Der richtige Moment für die Enoteca Alessi, die uns Freunde empfohlen haben. Nur wenige Gäste zwar, ein etwas dunkler Schlauch, doch anheimelnde Holzeinrichtung und eine hellbeleuchtete Vitrine. Vor allem aber ein sehr netter Kellner, der sich später als Sohn des Besitzers entpuppt. Die Enoteca gehört seit 1952 der Familie Alessi, und alle in der Familie arbeiten mit.

Wie bei einer Enoteca zu erwarten, finden sich auf der Karte viele sehr gute toskanische Weine, dazu Salate, crostini und andere Kleinigkeiten. Wir entscheiden uns für die kleine Degustationsvariante, drei weiße oder drei rote Weine jeweils für 15 Euro. Der Kellner rät zur Tagliere d’Alessi, klassische toskanische Wurst- und Käse-Antipasti nach Art des Hauses. Mit achtzehn Euro nicht gerade billig. Was dann auf rustikalem Holzbrett serviert wird, scheint zunächst nicht ungewöhnlich: Schinken, Speck, Fenchelsalami, dazu verschiedene Käse, alles sehr liebevoll arrangiert und so üppig, dass es gut für zwei Personen reicht. Doch selten aßen wir so feine, gut gewürzte Würste, solch schmackhaften (und nicht zu salzigen) Pecorino, so aromatischen Mozzarella. Alles aus der Toskana, der Käse von Schafen aus dem Val d’Orcia, Würste und Schinken von Schweinen alter Rasse. Das schmeckt man!

Die Weine schmecken auch sehr gut, werden allerdings in winzigen Mengen, dafür mit Informationen und Geschichten präsentiert: Die Alessi verstehen etwas vom Wein und vom Geschäft. Das nächste Mal würden wir allerdings eher ein ganzes Glas des köstlichen Brunello nehmen. Oder eine der richtigen Weinverkostungen besuchen, die die Enoteca in ihrem riesigen Weinkeller ein Stockwerk tiefer anbietet. Am runden Tisch, an einem alten Weinfass oder an einer langen Tafel vor raumhohen Regalen mit Weinen aus ganz Italien – mehr als 2500 sind es, die teuersten in temperierten Glasschränken verschlossen. Alles sortiert nach Regionen, eine Art Vino-Bibliothek, ein Paradies für Weinkenner. Dazu eine beachtliche Auswahl an Whiskys (selbst japanische) und Liköre. Für Menschen mit anderen Leidenschaften bietet oben ein gut sortiertes Ladengeschäft Öl, Essig, Käse und Schinken (dieselben, die zum Wein serviert werden) sowie eine große Auswahl an Biscotti, Cantuccini und der besten italienischen Schokoladen. Unbedingt empfehlenswert!