Für Siegfried
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© 2014 Ingeborg Bauer
Text, Fotos (so nicht anders vermerkt) und Layout: Ingeborg Bauer
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7357-2649-0
Das erste Gebot auf den Gesetzestafeln, die Moses von Gott empfing, lautete: „Du sollst dir kein Bildnis machen.“ Dennoch scheint es dem Menschen ein Bedürfnis zu sein, sich buchstäblich ein Bild zu machen. Die Griechen der Antike lebten mit ihren Göttern in Menschengestalt, die ihnen als Statuen begegneten. Die polytheistischen Religionen der Antike hatten Götterbilder. Das „goldene Kalb“, das Aaron, der Bruder oder Begleiter Moses, den Israeliten erlaubte, und der Zorn Moses darüber, zeigen den Konflikt auf, der sich an einer Abbildung Gottes entzündete.
Der griechische Philosoph Plato unterschied, um in der Vorstellung seines Höhlengleichnisses zu bleiben, zwischen den Ideen und deren Schatten. Dem Menschen sind nur die Schatten zugänglich. Die Dinge dieser Welt sind nur Abbilder der ewigen Ideen. Sie stellen das Seiende als solches dar. Die Dinge dieser Welt sind demgegenüber das Nichtseiende. Der Neuplatoniker Plotin versuchte, den Gegensatz von Idee und ihrer materieller Ausformung zu überwinden, indem er eine Überleitung schaffte und das Sinnliche aus dem Übersinnlichen, aus der Transzendenz herleitete, ‚überfließen’ ließ. „Das Ureine ist vorgegeben. Aus der unendlichen Fülle dieses Ureinen geht durch Emanation (Ausstrahlung) alles hervor, was ist. Dies geschieht in absteigenden Hypostasen (Seinsstufen). Das Übersinnliche geht nun auf dem Weg über diese absteigenden Seinsstufen in die sinnliche Welt ein. Dabei freilich nimmt das reine Licht und die Vollkommenheit des Ureinen stufenweise ab. Aber: Selbst das Unvollkommene enthält noch Spuren des Vollkommenen. Auch die abgestuften Verdunkelungen enthalten noch Spuren des göttlichen Lichts. Das bedeutet: Selbst im letzten Abbild findet sich noch der Abglanz des Urbildes.“1
Als in der Ostkirche die entscheidenden christologischen Klärungen stattfanden, - war Christus Mensch oder / und Gott, war Christus wesensgleich mit Gott? -, dominierte der Neuplatonismus. Ohne die griechische Philosophie wäre die christliche Theologie nicht denkbar. Auf ihr basiert christliches Denken.
Dionysios vom Areopag (um 500), dessen wirklicher Name nicht bekannt ist, hat den neuplatonischen Gedanken von der stufenweisen Ausstrahlung des Göttlichen bis hinein in die sinnliche Welt in christliche Vorstellungen transferiert. Gott wird umgeben von himmlischen Wesen, Seraphen, Cheruben und Thronen, der ersten Hierarchie oder Triade. Zwei weitere Hierarchien schließen sich an, die in Richtung des Menschen in abnehmender Intensität folgen. An der Schnittstelle zwischen den himmlischen Hierarchien und der Menschenwelt stehen die Bischöfe. Sie vermitteln den Abglanz des himmlischen Lichts, des Urbilds. Sie legen fest, was als göttliche Wahrheit Gültigkeit besitzt. Unter ihnen agieren, ebenfalls hierarchisch gegliedert, die übrigen kirchlichen Positionen: Priester und Liturgen gehören wie die Bischöfe zur ersten (weihenden) Hierarchie, Mönche, Gemeinde und andere in die zweite (eingeweihte) Hierarchie. Diese Hierarchien sind an den Wänden der Moldauklosterkirchen abgebildet, vor allem an den Apsiden im Osten.
Johannes von Damaskus (um 750) stellt der Abwertung der sichtbaren Welt den Gedanken entgegen, dass Gott die Materie dadurch geheiligt hat, dass er in Christus Mensch geworden sei. Der Sohn aber ist das vollkommene Bild des Vaters, ist Abbild des Urbilds, und die Ikone ist Abbild des Menschen Jesus, aber eben auch Abbild des Göttlichen. Im Abbild ist so das Urbild gegenwärtig und wirksam. Wer die Christusikone sieht, der sieht Christus, und wer Christus sieht, der sieht Gott.
Das letzte ökumenische Konzil 787 in Nicäa erklärt, dass die dem Bilde erwiesene Ehre auf den Prototyp zurückgehe, auf das Urbild. Wer eine Ikone verehre, der verehre die Idee dahinter, um es wie Plato auszudrücken, den hinter der Ikone umschriebenen Gehalt. 2
Das Licht fällt aus der Ikone auf den Betrachter und so schaut Gott auf ihn. Dies führt zu einer „umgekehrten“ Perspektive, d.h. die Linien kommen wie Strahlen aus der Unendlichkeit auf den Betrachter zu. Ähnlich ist die Wirkung gotischer Glasfenster. Auch hier kommt das Licht von außen und fällt auf den Betrachtenden.
Der Ikone geht es also nicht um die Abbildung der äußeren Realität. Sie will nicht Natur abbilden, sondern sie lässt die Transzendenz schauen. Eine Vielfachperspektive ist möglich, die dem Dargestellten unterschiedliches Gewicht verleiht, je nach ihrer Bedeutung. Sie macht die Sache von verschiedenen Seiten her sichtbar. Auf einer Ikone der Geburt Christi finden sich die verschiedenen Personen je nach ihrer Bedeutung größer oder kleiner abgebildet.
Ist im griechischen Bildverständnis die Ikone Abbild des Heiligen, so werden im Westen den Bildern Funktionen zugewiesen. Die Kirche verfolgt bestimmte Ziele: Bilder sollen Kirchen und Häuser schmücken, die biblischen Geschichten darstellen und vor allem eine Bevölkerung, die des Lesens nicht mächtig ist, belehren („biblia pauperum“). Es handelt sich also im Wesentlichen um pädagogische Ziele.
Jedoch sind trotz der unterschiedlichen Auffassungen von dem, was ein Bild leisten soll und kann, die Art der Darstellung und die Themen in der Ost- und der Westkirche bis in die Gotik hinein sehr ähnlich. Schließlich haben die Konzilien in den ersten Jahrhunderten Grundlagen gelegt, die für beide Lager verbindlich sind. Die Intentionen unterscheiden sich allerdings. Während das Heilige in der Ikone dem Gläubigen unmittelbar begegnet, wird im westlichen Bild die Heilsgeschichte dargestellt, wird Mittel zum Zweck. Dies wird deutlich in der Renaissance, wo der Mensch sich als Individuum entdeckt und sich im Mittelpunkt seiner Welt sieht. Mit Pythagoras (480-410 v.Chr.) gesprochen wird er zum Maß aller Dinge. Man denke an die Zeichnung des Leonardo, der den Menschen in die vollkommene Kreisform einpasst. So treten säkulare Themen nun neben die religiösen Themen, die bis ins 15. Jahrhundert einziges Thema waren. Im Porträt dokumentiert sich das Individuum. Und die Malerei entdeckt ihre ästhetische, malerische Komponente. Der Maler beginnt sich als Schöpfer zu verstehen. Die Auffassung des Künstlers vom biblischen Geschehen wird nun wichtig. Die Natur kommt ins Bild, Landschaft ersetzt den auf die Transzendenz verweisenden Goldgrund. Die der Wirklichkeit abgeschaute Zentralperspektive, die das Auge des Künstlers zum Ausgang nimmt, setzt sich durch und damit eine vom Menschen ausgehende Sichtweise. Mit einem Künstler wie Michelangelo entfernt sich ein genialer Meister weitgehend von der Tradition und verwirklicht seine ganz persönliche Sicht des Heilsgeschehens. In dem Deckengemälde der Schöpfung tritt eine menschliche Idealgestalt von Adam geradezu partnerschaftlich einem Schöpfergott gegenüber. Der Körper wird plastisch wie eine Skulptur dargestellt, fast zum Leben erweckt.
Im 20. Jahrhundert kommt mit der Abstraktion ein der Ikonenmalerei nicht ganz fremdes Prinzip zum Zuge. Maler wie Paul Klee wollen nicht mehr das Sichtbare, das Abbild zur Darstellung bringen, sondern das Unsichtbare, das hinter den Gegenständen der Natur steht. In der Abstraktion wird dem Gegenständlichen ‚etwas abgezogen’, um zu einem Wesentlicheren vorzudringen. Dies ist auch das Ziel von Künstlern, die durchaus noch figurativ arbeiten oder doch Bezüge zum Figurativen vermitteln. Paul Klee, Max Beckmann, Alexej Jawlensky und Gustav Klimt benutzen die Chiffren dieser Welt, um auf ganz unterschiedliche Weise auf eine Transzendenz zu verweisen. Bei einem Maler wie Jawlensky ist die Nähe zur östlichen Ikone offensichtlich. Er kommt aus dem orthodoxen Umfeld und stellt sich selbst in diese Tradition, allerdings auf seine Weise.
Literatur:
Helmut Fischer: Die Welt der Ikonen. Das religiöse Bild in der Ostkirche. (Frankfurt am Main 1996)
1 Helmut Fischer: Die Welt der Ikonen. Das religiöse Bild in der Ostkirche. (Frankfurt am Main 1996), S. 14f.
2 Helmut Fischer a.a.O. S. 112
Die Darstellung der Geburt Christi soll die Entwicklung der Ikone der byzantinisch-orthodoxen Ikonographie verdeutlichen. In den ersten christlichen Jahrhunderten kennt die Kirche weder das Fest der Geburt Christi noch das Fest der Heiligen Drei Könige. Zusammen mit der Taufe Christi werden die Geburt und der Besuch der Magier der Epiphanie zugerechnet, der Erscheinung des Gottessohnes auf Erden. Die historischen Zusammenhänge sind in der frühesten Zeit nebensächlich. In der östlichen Kirche löst sich die Geburt im 2. Drittel des 4. Jahrhunderts aus dem Zyklus heraus. Das übernahm der Osten von der römischen Kirche. Anfangs wurde das Weihnachtsfest am 6. Januar gefeiert, was im Mittelmeerraum Nachwirkungen hat bis zum heutigen Tag. Im Jahr 354 wurde das Fest von Christi Geburt in Rom auf den 25. Dezember verlegt, den Tag der Wintersonnenwende und den Tag der Geburt des römischen Sonnengottes, des sol invictus.
Die frühesten Denkmäler finden sich in der Sarkophagplastik, die sich auf Bibelstellen gründet und nicht auf historischen Tatsachen aufbaut. So gehören zum ältesten Geburtsbild allein das Christuskind, Ochs und Esel und ein oder zwei Hirten. Der Text bei Jesaja 1,3: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk vernimmt’s nicht“, wird seit dem 3. Jahrhundert mit der Geburt Christi verbunden. Bischof Gregor von Nyssa (gestorben 394) überliefert eine weitere Erklärung: Ochs und Esel stehen für das Judentum und das Heidentum; zwischen dem Ochsen, der an das Gesetz gespannt ist, und dem Esel, der mit der Sünde des Götzendienstes beladen ist, liegt der von beiden Lasten befreiende Gottessohn. Der auf seinen Hirtenstab gestützte Hirte und die beiden erkennenden Tiere sind zunächst wichtiger als Maria und Joseph. Maria erhält einen Platz in der Huldigung der drei Magier. Sie wird erst allmählich zum unentbehrlichen Bestandteil in der Darstellung der Geburt. Die Magier sind durch ihre Tracht, ihre Beinkleider und spitzen (phrygischen) Mützen als aus dem Osten kommend gekennzeichnet. Ihre Gaben sind in ihrer Dreiheit bezogen auf die göttliche Trinität: dem Gott-König gebührt das Gold, dem Heiligen Geist der Weihrauch, dem Menschen die Myrrhe. Schon Ende des 4. Jahrhunderts werden die Magier und Hirten als Vertreter der Heiden- und Judenkirche personifiziert.
Nachdem die theologischen Auseinandersetzungen des 4./5. Jahrhunderts, der Streit zwischen Arius und Athanasius, dahingehend entschieden wurde, dass Christus sowohl göttlicher, als auch menschlicher Natur sei, erlangte Maria als Gottesgebärerin einen festen Platz in der Geburtsdarstellung. Auch Joseph rückt nun als zunächst Zweifelnder, dann Nachdenklicher an den Rand der Szene. Die Geburt wird nun in, bzw. vor eine Höhle verlegt. Kirchenschriftsteller hatten schon seit dem 2. Jahrhundert davon berichtet, dass über dieser Höhle im 4. Jahrhundert die Geburtskirche errichtet worden sei. Zwischen Maria und Joseph öffnet sich die Höhle auf einen Altar hin, dieser Altar wird zur Krippe mit dem göttlichen Kind. Darstellungen setzen sich durch, die die Krippe in der Form eines Altars wiedergeben, ein Verweis auf den Gott in der Krippe, der als Lamm auf dem Altar der Menschheit geopfert werden soll. Recht konkrete Ausmalungen um das Ereignis der Geburt werden eingefügt. Eine Badeszene mit der ungläubigen Hebamme Salome zum Beispiel. Das Bad Christi steht zudem symbolisch für die Fleischwerdung des göttlichen Kindes, das zunächst aufwächst wie jedes Kind. Verantwortlich hierfür sind zwei apokryphe, d. h. aus dem verbindlichen Anhang ausgeschiedene Evangelien, das Proto-Evangelium des Jacobus, das schon im 2. Jahrhundert im Osten bekannt ist, und das Pseudo-Matthäusevangelium, das in der vorliegenden Form im 8./9. Jahrhundert durch Generationen hindurch überlieferte Erzählungen zusammenfasst. Doch muss das Wasserbecken zugleich im Zusammenhang mit dem Taufbecken gesehen werden, denn das Bad des Christuskindes nach seiner Geburt wurde auch als Hinweis auf die Taufe gedeutet. In manchen Darstellungen wird der in Denkerpose hockende Joseph zusammen mit einem alten Hirten abgebildet, der entweder als Versucher gedeutet wird, der den Zweifel des Joseph nährt, oder aber als Jesaja, der die alttestamentliche Prophezeiung verkündet.
Zwei Bildformen kristallisieren sich im 6. Jahrhundert heraus. Die erste befasst sich mit der Anbetung, die in dem Besuch der Drei Weisen gipfelt. Maria steht nun im Mittelpunkt. Das führt zur zweiten Darstellung, die Maria frontal auf dem kaiserlichen Thronsessel zeigt, auf dem Schoß das Kind als segnender „Welterlöser-Kaiser“ (so auch bei Cimabue und Giotto). Im Osten erhält das Kind nun den Kreuznimbus und als himmlischer Weltenherrscher den „Reichsapfel“ wie der Kaiser als Zeichen seiner Macht. Auch in der Darstellung ohne die Magier tritt Maria auf zweifache Weise im Weihnachtsbild der frühen ostkirchlichen Kunst auf. Zum einen thront sie gleich einer Kaiserin, der eine Huldigung zuteil wird (Gottesgebärerin)oder aber sie sitzt entweder am Lager ihres Kindes oder liegt auf dem Wochenbett, erschöpft wie eine menschliche Mutter nach einer Geburt: Christus ist „wahr Mensch und wahrer Gott“, wie es in dem Weihnachtslied heißt. Es entsteht das Abbild eines Urbildes, das das Weihnachtsmysterium lebendige Gegenwart werden lässt. Nach Beendigung des Bilderstreits 843 wurde das Verständnis des Bildes als wahrheitsgetreues, das himmlische Urbild verkörpernde Abbild in der orthodox-ostkirchlichen Kirche verankert, und die Bildtypen verfestigten sich.
Schon im 6. Jahrhundert wird die Geburt als Herausführung aus einer dunklen Höhle verstanden. Die Menschwerdung Jesu und seine Hades-Höllenfahrt, die in der orthodoxen Kirche häufig dargestellt wird („Anastasis“), werden als entscheidende Heilstaten einander gegenübergestellt. In der ostkirchlichen Liturgie erwächst die gedankliche Vereinigung beider Höhlen, der Geburts- und der Hades-Grabeshöhle. Der mystische Zusammenhang von Krippe und Grab, Christi Hinabsteigen zu den Toten „zu richten die Lebenden und die Toten“, wird häufig dargestellt.
Unter der Dynastie der Paläologenkaiser (1204-1453) [siehe: Chorakirche in Istanbul] erfährt das byzantinische Reich noch einmal eine Blüte, die mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 ein Ende findet. In dieser Zeit vervollständigt sich das byzantinische Bildschema. Aus dem Protoevangelium des Jacobus wird ein Sohn Josephs übernommen, der bei der Flucht nach Ägypten das Gepäck trägt und auf einen abgeschlagenen Baumstamm verweist, dem ein junger Zweig entsprießt, das Reis aus der Wurzel Jesse, die Weissagung des Jesaja über die Geburt des Heilands. Im Geburtsbild sitzt Joseph nun nachdenklich vor dem Reis aus der Wurzel Jesse.
Ein befristetes Fortleben findet die byzantinische Kunst in Italien, abweichend von der westlichen Kunst, die sich spätestens mit Beginn der in Italien beginnenden Renaissance unterschiedlich entwickelt. Doch schon im beginnenden 14. Jahrhundert ist auch ein Wandel der Maria im byzantinischen Kanon zu beobachten. Maria erscheint nun nicht mehr nur als Gottesgebärerin, sondern wird auch – was geradezu im Widerspruch dazu steht – zur liebkosenden menschlichen Mutter. Im Westen hat diese Entwicklung schon im 13. Jahrhundert eingesetzt. Man vermutet dort den Einfluss der Mystik der Franziskaner, spricht von einer „franziskanischen Wende“.
Vor allem in Russland entsteht im 17. Jahrhundert ein kunstvoll und verwirrend komponierter Festzyklus, in dem das Geburtsbild seine zentrale Stellung verliert. Dabei bleiben die wichtigsten Motive erhalten. Doch dringen auch hier gewisse individualisierende Elemente aus der abendländischen Kunst ein. Es entstehen synoptische Zusammenstellungen von Einzelszenen zu einem größeren Ganzen. Andererseits werden Einzelelemente herausgelöst und erhalten eine eigene Szene. So gibt es im Akathistos-Hymnos drei unterschiedliche Verkündigungen des Engels an Maria, darunter eine am Brunnen, eine andere im Hause. Andere Szenen haben sich verselbständigt: Der sitzende Joseph und der alte Hirte, die Huldigung der Magier. Wie in einem Bilderbuch werden diese einzelnen Szenen nun aneinandergereiht, oft um eine größere zentrale Ikone. Die Erzählung der Magier wird erweitert durch die schlafenden Magier, denen der Engel den Weg weist. – Diese Szene findet sich in einer eindrucksvollen Variation auf einem Kapitell in Saint-Lazare, Autun (Burgund), wo der Engel einen der Weisen mit dem Finger berührt, worauf dieser leicht den Kopf hebt, während die andern beiden noch schlafen. Hier wird in westlicher Manier narrativ gestaltet. Auch die Flucht nach Ägypten wird im Osten in drei Szenen unterteilt. Der Traum des Joseph, in dem ein Engel ihm den Befehl erteilt, mit Mutter und Kind das Land zu verlassen. Die Reise mit Maria und dem Kind auf einem Esel (Matthäus 2,12ff) ist auch auf einem Kapitell in Autun gestaltet, wo in abstrakter Manier die Erdschollen in der Form von geradezu ornamentierten Rädern dargestellt erscheinen. Der dritte Erzählschritt, der im Westen kaum bekannt ist, hat seinen Ursprung in der Weissagung des Propheten Jesaja von der Heimsuchung Ägyptens, den bebenden Götzen (Jes. 19,1: „Siehe, der Herr wird auf einer schnellen Wolke fahren und über Ägypten kommen. Da werden die Götzen in Ägypten vor ihm beben.“). Ein vom Tempeldach stürzender Götze verbildlicht die Erfüllung dieser Prophetie.
„Der Sinn des strengen, sparsam-eindrucksvollen Typus des Urbildes, das sich gleichsam selbst verkündet und darstellt, verliert sich in der Fülle der einen Eigenwert beanspruchenden erläuternden Detailszenen.“ (S. →) Im griechisch-italischen Raum, vor allem auf Kreta, das nach der Eroberung Konstantinopels unter die Herrschaft Venedigs kommt, sind die Ikonenmaler vertraut mit der Entwicklung der Malerei in Italien. So können die Figuren plastischer werden. Früh schon wird die Geburt Christi eingebettet in eine narrative und belehrende Gesamtdarstellung. Individuelle Züge treten in den Vordergrund. Emotionen werden deutlicher gezeigt. Die Tradition des Urbildes in der morgenländischen Kirche, der Ostkirche, zeigt sich nicht völlig unbeeinflusst von den Kunstströmungen des abendländischen Europas und hält doch bis zum heutigen Tag an ihrer Grundkonzeption fest.
Literatur:
Günter Ristow, Die Geburt Christi, Iconographia Ecclesiae Orientalis, Recklinghausen 1963
Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers.
Es ist bezeichnend, dass die Ostkirche für Maria das Wort „Gottesmutter“ oder „Gottesgebärerin“ benutzt, das die Göttlichkeit Christi proklamiert, christozentrisch ist, während in Italien Maria als „Madonna“ fungiert, ein anthropozentrischer Begriff.
Folgerichtig wird das als Erwachsener dargestellte Christuskind der frühen Zeit allmählich als richtiges Kind in seinen natürlichen Proportionen wiedergegeben. So betont Raffael die kreatürliche Seite des Kindes und erlaubt dem Betrachter, den christlichen Gehalt auszublenden. Das Bild (Raffael, „Sixtinische Madonna“, 1513/14, heute in der Gemäldegalerie in Dresden) behält, klammert man die christliche Botschaft aus, immer noch eine säkulare oder emotionale Aussage. Man denke an die beiden Putti [die sich von Amor herleiten], die sich so leicht aus dem religiösen Kontext lösen lassen, dass sie vielfach in der Werbung Verwendung finden. Und gar mancher wird heutzutage nicht wissen, in welchen Kontext sie gehören.
Das Bild christlichen Inhalts wird spätestens seit der Renaissance zur Projektionsfläche für eigene Ideen und Konzepte, weckt eigene Assoziationen sowohl des Künstlers als auch des Betrachters. Das Bild kann dabei zum Anlass werden, über sich selber zu reflektieren. Das Motiv wird dann mehr oder weniger zum Material, mit dessen Hilfe eine ästhetische, emotionale, vom eigentlichen Kontext wegführende Idee zur Darstellung kommt.
In der Westkirche werden den religiösen Bildern von Anfang an Funktionen zugewiesen. Die Motive werden vorgegeben für pädagogische, belehrende Zwecke. Diese treten in der Renaissance in den Hintergrund und der Maler als Schaffender, als Schöpfer tritt in den Vordergrund und gibt seine Sicht der Dinge wieder. (Siehe Michelangelos „Jüngstes Gericht“). Und dem Betrachter wird ein ähnliches Maß an Freiheit zugestanden.
Eine Ikone bezieht sich auf biblische „Wahrheiten“, sieht ab von einer zeitlichen und räumlichen Fixierung. Die Prophezeiung steht neben der späteren Erfüllung, wird parallel betrachtet. Die zeitliche Erstreckung wird unwesentlich. So wird in der Darstellung des „Baumes Jesse“ im Kloster Suçeviţa der Traum Jakobs von der Himmelsleiter direkt über die Darstellung von Christi Geburt gerückt, die Prophezeiung dessen, was kommen soll, steht also über der Erfüllung. Die Synopsis, die Zusammenschau, ist typisch für mittelalterliche Darstellungen, nicht nur in der Ostkirche, und darf nicht als der Logik widersprechend aufgefasst werden. So wird der Baum der Erkenntnis aus dem Paradiesgarten im Baum Jesse zur Erfüllung geführt, wird zur „Himmelsleiter“ und auf dem Weg dazu zum Kreuz Christi.3 „Das universale Natursymbol des Baumes erscheint in der Ikone als theologisch definierter Lebensbaum, der Jesu Heilswerk und damit Gottes heilmachende Gegenwart repräsentiert. […] In diesem umschriebenen Sinn ist der Lebensbaum auch als „Himmelsleiter“, als Weg zur Erlösung zu verstehen.“4 Was sich in der Ikone als einzelne Erzählung aus der Bibel darstellt, erhält Bezüge zu anderen Geschichten, hat eine tiefere, durch Symbolik verbundene Bedeutungsebene.
Die Vorstellung von einer Himmelsleiter geht auf Jakobs Traum in 1. Mose 28, 13/14 zurück: „[U]nd der Herr stand