Univ.-Doz. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem., Heilpraktiker

Anschrift: Bartels Feld B 7, 33332 Gütersloh

E-mail: boss@quantum-krueger.com

Titel in Anlehnung an das türkische Gericht Imam Bayildi ≡ Der Imam fiel in Ohnmacht

Vorwort

Naturheilkunde ist en vogue. Kochbuchverlage, Alternativmediziner, Gesundheitsmessen und selbst ernannte Experten überschwemmen eine geneigte Klientel mit zahllosen Ratgebern und Ratschlägen, was denn nun im Sinne der Natur gesund sein soll. Mehr als genug schreibt dabei der eine vom anderen ab, ohne die stets wiederholten Behauptungen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Es scheint, als würde in diesen Kreisen das alte Politikerrezept fleißig angewendet, das da lautet: Beweis durch ständige Wiederholung der Behauptung. Wenn nur lange genug gebetsmühlenartig das immer Gleiche wiedergekäut wird, glaubt es irgendwann jeder.

Andererseits glänzt die Schulmedizin durch mangelnde Empathie, durch Datenhörigkeit, ein am Menschen vorbeigehendes Gesetzes- und Regelwerk sowie - vor allem - durch den Glauben an die Evidenzbasiertheit. Dabei ist praktisch keine der sogenannten Studien, mit denen die Qualität, Eindeutigkeit und Unabweisbarkeit medizinischer Befunde bewiesen werden soll, frei von grundsätzlichen, gravierenden Fehlern. Die Multifunktionalität und die Vielfalt menschlicher Prozesse werden zugunsten eindimensionaler Schemata ausgeblendet.

Keiner dieser Ansätze erfaßt, für sich alleine genommen, die menschlichen Bedürfnisse bzgl. medizinischer Versorgung. Die „sanfte“ Naturheilkunde ignoriert naturwissenschaftliche Fakten, Schulmediziner ignorieren den Menschen als Ganzheit und glauben, Krankheit ließe sich auf Symptomatik zurückführen. Sinn macht demgegenüber nur eine kombinierte Betrachtungsweise. Dafür muß jedoch zunächst der ideologische Ballast auf beiden Seiten beseitigt werden. Typische Fehler der Schulmedizin werden in Mythos Cholesterin von Uffe Ravnskov (Hirzel, Stuttgart 20084) präzise benannt. Ziel des vorliegenden Buches ist es hingegen, zwei Mythen der Alternativmedizin als solche zu entlarven.

Zum Verständnis der Argumentation sind grundlegende chemische Kenntnisse äußerst wichtig. Erläuterungen zu den wesentlichen Begriffen und Gesetzen finden sich daher im Anhang. Begriffe aus der Medizin, Biochemie und Statistik werden direkt im Text beschrieben.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Übersäuerung

1.1   Einleitung

Der Verdacht der steten Übersäuerung des modernen Menschen, die Hypothese, daß Übersäuerung die Ursache vielfältiger Krankheiten ist, sowie die Hoffnung, daß eine sog. basenorientierte Diät wesentlich zur Gesundung beitragen wird, sind heute in vielen Kreisen zum Gemeingut geworden. Stets wird von der Notwendigkeit gesprochen, das aus dem Gleichgewicht geratene Säure-Base-Verhältnis im menschlichen Körper müsse wieder in selbiges überführt werden. Dieser Thematik wenden sich sowohl ernsthaft gedachte Beiträge wie [1] aber auch zahllose Publikationen von Kochbuchautoren zu, die allesamt versuchen, auf der Grundlage einer eigenartigen Säure-Base-Theorie die Menschen davon zu überzeugen, sie befänden sich stoffwechselmäßig im Stadium einer zumindest latenten Azidose, die letztlich zu einem wie auch immer gearteten Säuretod führen kann.

Ziel dieser Abhandlung ist es, diese Diskussion auf naturwissenschaftlicher Basis zu führen. Dabei wird sich zeigen, daß die ganze Hypothese einer permanenten Versäuerung absurd ist. Insbesondere werden die Meßverfahren von Jörgensen einerseits und Sander andererseits kritisch hinterfragt, da sich die Anhänger der Übersäuerungshypothese mit ihrer generellen Azidosewarnung stets auf die dadurch ermittelten Werte stützen. Fakt aber ist, daß diese Kenngrößen irrelevant sind. Des weiteren wird gezeigt, daß auch die Tabellenwerte von Remer und Manz, mit denen eine angebliche Säurebelastung des Körpers durch die verschiedensten Nahrungsmittel belegt werden soll, massiv angezweifelt werden müssen. Ihre unreflektierte Verwendung in zahllosen Ratgeberwerken dient daher eher zur Verunsicherung denn zur Aufklärung.

Auch der Verdacht, eine eher basische Stoffwechsellage könne der Intelligenz auf die Sprünge helfen, wird zerstreut, und abschließend wird dargelegt, daß gerade auch die Evolution des Menschen keinen Hinweis darauf liefert, daß eine basisch orientierte Ernährung dem Homo sapiens sapiens auf die Sprünge geholfen haben könnte. Das Gegenteil ist der Fall.

Die im folgenden verwendeten Zahlenwerte sind, sofern nicht anders angegeben, anerkannten Standardwerken entnommen [2–5].

1.2   Der PH-Wert des Blutes

Der PH-Wert des Blutes wird nahezu ausschließlich durch die Wirkung des Hydrogencarbonat-Puffers bestimmt. Der Partialdruck von Kohlendioxid beträgt 5,3 kPa im arteriellen und 6,0 kPa im venösen Blut. Wir verwenden für unsere weiteren Betrachtungen den Mittelwert. Das ideale Gasgesetz, das hier aufgrund des sehr niedrigen Partialdrucks angewendet werden darf, verknüpft diesen Druck mit der Konzentration n/V gemäß

Bei einer Körpertemperatur von T = 37, 0° C errechnet sich damit die CO2-Konzentration n/V = [CO2(aq)] zu 2,2 mmol/l.

Die Reaktion des gelösten Kohlendioxids zu Hydrogencarbonat erfolgt in zwei Schritten:

Der erste Schritt verläuft normalerweise überaus langsam. Dementsprechend ist auch freie Kohlensäure nur unter extremen Bedingungen zu gewinnen. Im menschlichen Körper jedoch wird dieser Prozeß durch das Enzym Carboanhydrase enorm beschleunigt. Die darauf folgende Dissoziation der Kohlensäure in Protonen (genauer: H3O+ bzw. höhere Wasseraddukte) und Hydrogencarbonat geschieht quasi instantan.

Für das chemische Gleichgewicht zwischen gelöstem Kohlendioxid und Hydrogencarbonat in Anwesenheit der Carboanhydrase gilt die Formel

woraus

folgt. Setzen wir in diese Gleichung den gemessenen pK1-Wert von 6,38 und eine Hydrogencarbonatkonzentration von 20 mmol/l ein, so ergibt sich ein PH-Wert von 7,34 in exzellenter Übereinstimmung mit dem experimentellen Mittelwert von 7,40. Fazit: Der PH-Wert des Blutes wird praktisch ausschließlich durch den Hydrogencarbonatpuffer bestimmt. Zur Bedeutung anderer Puffersysteme siehe unten.

Die weitere Dissoziation des Hydrogencarbonats,

muß wegen des hohen pK2-Werts (10,32) nicht berücksichtigt werden.

1.3   Die Pufferkapazität

Unter der Pufferkapazität β versteht man die Fähigkeit einer Lösung, PH-Änderungen bei Zugabe von Säuren oder Basen zu widerstehen. Sie ist definiert als erste Ableitung der Basenkonzentration nach dem PH-Wert und kann in der Nähe des Neutralpunkts näherungsweise durch

wiedergegeben werden [6]. Daraus ergibt sich eine Pufferkapazität des Hydrogencarbonatsystems von 4,56 mmol/l. Bei einer Blutmenge von 6l wäre das System also theoretisch in der Lage, eine Injektion von ca. 4ml konzentrierter (ca. 25%iger) Salzsäure abzufedern.

Als zweites Puffersystem im Blut kommt der sog. Phosphatpuffer in Frage. Dabei spielt lediglich die Reaktion

eine Rolle, da unter den gegebenen Bedingungen weder freie Phosphorsäure noch das Anion vorhanden sind. Aus dem Massenwirkungsgesetz errechnet sich das Verhältnis der Hydrogenphosphat- zur Dihydrogenphosphat-Konzentration zu K2/[H+]. Bei einem pK2-Wert von 7,21 und dem oben bestimmten PH von 7,34 ergibt sich ein Konzentrationsverhältnis von 1,35:1. Setzen wir den Mittelwert des Phosphatgehalts im Blut an, so erhalten wir letztlich = 0, 66 mmol/l und = 0, 49 mmol/l. Anhand der Gleichung 1.6 errechnet sich daher die Kapazität des Phosphatpuffers zu 0,65 mmol/l. Sie liegt also um den Faktor 7 unter derjenigen des Hydrogencarbonatpuffers.

Nur in einem Bereich

SGleichung 1.8