2. Auflage

Copyright: © 2013 Verlag Editie VONKENDANS

NL – Philippine (Z-VL), www.vonkendans.nl

Alle Rechte vorbehalten

Illustratie: Frans Sakkee

Einbandgestaltung: Lilith-Benthe Eriksen

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt, www.bod.de

ISBN 978-3-7322-0271-3

Die Kräfte, die den Kosmos bewegen,
unterscheiden sich nicht von den Kräften,
welche die menschliche Seele bewegen.

Lama Aragarika Govinda

David erinnert

Es war …

… Mitte der 1990er Jahre. Zum ersten Mal fuhr ich nach Skylge – Schylge – nach Terschelling also, wollte Stille tanken in den Dünen und am Wattstrand, nichts anderes hören als Wellen, Wind und Möwen und vielleicht am Nordseestrand dem ersten Herbststurm trotzen…

Die Fähre ‚Friesland‘ legte an, und ich fuhr mit einem gemieteten Fahrrad los gen Oosterend. Willem-Barentzskade, Burgemeester van Heusdenweg... Halfweg… Spätestens hier hatte ich vergessen, weshalb ich auf die Insel gekommen war. Im Windschatten einer Düne saßen ein paar junge Leute und redeten sich die Köpfe heiß. Über die nächste 5. Jahreszeit. Wie bitte? Meine Antennen standen sofort auf Empfang. Über Oerol (sprich Urol) redeten sie. Über Theater, klassisches und experimentelles. Und über Musik von Brahms, Mendelssohn, Verdi, Strauss & Co, über Klezmer und Zigeunermusik und Jazz. Und über Tanz und Bildende Kunst in jeder denkbaren Form. Komm nächstes Jahr im Juni wieder, dann verstehst du, was wir meinen, sagte einer der Burschen. Aber Vorsicht! Suchtgefahr! rief er mir nach, als ich mich aufs Rad schwang, um meinen Weg fortzusetzen.

Und ich kam im Juni wieder – und es machte begierig nach mehr, dieses Festival genannt Oerol, das der Entfaltung der Fantasie Raum gibt, wo sich Neues erproben darf und wachsen kann, wo Bewährtes nicht vergessen wird. Begierig nach weiteren großartigen Inszenierungen, Performances, Happenings auf Waldlichtungen, in den Dünen, in magischen Vollmondnächten am Strand und hinter Deichen, in diesem besonderen sich ständig ändernden Insellicht, vor nordisch-dramatischen Sonnenuntergängen und unter hohen Wolkenhimmeln. Bei Ebbe. Bei Flut. Manchmal auch bei Windstärke 5 oder Regen, was niemandes Genuss an den Vorstellungen schmälerte.

Fortan reisten wir zu zweit nach Skylge, erwanderten und erfuhren uns die Insel, die uns jedes Mal neu begeisterte und inspirierte. Unsere Skizzenblöcke und Notizbücher füllten sich mit Andeutungen, Entwürfen, Gedankensplittern, Textansätzen, mit liebevoll gehegten Erinnerungen an Orte, Begegnungen und Stimmungen, an das quirlige, heitere Leben in den Dörfern neben der Stille der weiten Polder, der einsamen Heide- und Waldwege, der langgestreckten Strände, und an die offenen Menschen, die gern die Geschichte, Geschichten und Legenden ihrer Insel erzählen und, natürlich, von der 5. Jahreszeit auf Skylge.

Waltraut de Willigen

Frans Sakkee

LOSLASSEN

eingeübt

Weggehen

ausprobiert

Ins Unreine

zurückzukommen gewagt

Den Stürmen

wachsen endlich wieder

Möwenflügel

und meiner Seele

wird die Haut

zu eng

ZURÜCKKEHREN

und suchen

die verlorene Sprache

und finden

Worte wie verlassne Häuser

von denen jedes

seine eigne Leere hat

und ahnen die Tür

hinter der sich

ihr Reichtum

verbirgt

DIE SPUREN DIE DU HINTERLÄSST

Ich bin wieder da. Wie jedes Jahr. Bin heute Mittag angekommen. Zurückgekommen. Jetzt begrüße ich meine Insel, entdecke neu, was unverändert ist.

Wenn ich mich umdrehe, in Richtung West aan Zee, höre ich den Wind nicht, ist es still vor den Dünen. Schaue ich vorwärts, den Weg entlang, den ich noch vor mir habe, drängt er sich mir wieder auf, lässt Binsen und Sandhalm wogen, während im Windschutz von Wollgrasstauden reglos ein Büschel Strandenzian steht. Brandgänse dösen am Ufer des Dünentümpels, der blau daliegt.

Ich löse mich von dem Kitschbild. Es hat nichts gemein mit den lauten Sturmtagen, an die ich mich erinnere. Gern erinnere. Immer wieder, wenn ich zu weit weg bin, um mit nackten Füßen durch den Sand zu waten wie jetzt.

Guten Tag, lieber Freund, guten Weg… fällt mir plötzlich ein, als ich weiter wandere, den Dünenweg aufwärts. Der hölzerne Steg ist schmal, verwittert. Eine Raupe schiebt sich über die Planken. Wenn Füße sie verschonen, kann sie es schaffen, ein Schmetterling zu werden.

Wie war das Lied? Sergej hat es manchmal gesungen. Auf unseren abenteuerlichen Ritten über die ausgetrockneten Pfade von Abez nach Inta. Und als ich wieder fortfuhr, in dem uralten Schlitten, durch traumschönes tückisches Winterland, zum weit abgelegenen Flugplatz.

Guten Tag, lieber Freund, guten Weg…,