Nachtreigen
Eine Lyrikauswahl von Dietmar Wolfgang Pritzlaff
ISBN
978-3-9666-1761-1
Auflage 1 / September 2016
Auflage 2 / v2 / November 2019 – mit Liedtexten erweiterte Version
© Foto: Charly, Köln
Autor:
Dietmar Wolfgang Pritzlaff (Alle Rechte dem Autor vorbehalten.)
geb. in Altena/Westf., schreibt Romane, Kurzgeschichten,
Lyrik, Haiku, Songtexte, Theaterstücke, Hörspiele, Essays und Drehbücher
www.diwop.de
www.liesmichnet.de
Verlag:
© 2019 • dwp –Day Walker Productions
veröffentlicht von: feiyr.com
dwp-feiyr-com-Veröffentlichungen
© Cover: Dietmar Wolfgang Pritzlaff, Köln
© Titelfoto: Charly, Köln
© Text und Satz: Dietmar Wolfgang Pritzlaff, Köln
© Fotos und Bilder • Dietmar Wolfgang Pritzlaff, Köln
1. Im letzten Tageslicht beginnt das Ringen der Gedanken,
die Suche nach großen Worten!
2. In der Dämmerung suchen Fragen nach Antworten
3. Im Abendrot beschwert Melancholie die Romantik
4. Der frühe Abend bringt den Sandmann mit letzten Heiterkeiten
für die lieben Kleinen
5. Etwas später am Abend werden Eindrücke des Tages notiert,
gesammelt, konkretisiert und in Form „gegossen“
6. Schon nach halb Zehn und die Beziehungskiste fängt an zu rappeln
7. Kurz vor Mitternacht taumeln Gedanken durch die neonfarbene Stadt
8. Nach ein paar Stunden Nachtleben wird abgerechnet
9. In den frühen Morgenstunden irren wirre Gedanken umher und malen ausschweifend, ziellos trübe Bilder ins Nichts
10. So, liebe Träumer gebt fein Acht, was der Schlaf euch mitgebracht
11. Am nächsten Morgen spielt Musik aus dem Radiowecker, weckt aus tiefem Schlaf, reißt aus angenehmen Träumen...
beginnt das Ringen der Gedanken
die Suche nach großen Worten!
TRAPEZ – LEBEN AUF DEM HOCHSEIL
Dispersion auf Malkarton • 1987
© Bild und Foto: Dietmar Wolfgang Pritzlaff
Der Literat
ist ein lyrischer Mensch
voller Prosa
wälzt sich in Epik
und verliert sich in Esoterik
Er ist gnadenlos im Pamphlet
und detailliert im Essay
Er ist ausschweifend in Belletristik
und erschöpfend dramatisch
Er ist gefühlsbeladen in der Tragödie
und ausgelassen in der Komödie
Er ist ein lyrischer Mensch
voller Widersprüche
Verzeiht mir
mein Dasein
Verzeiht mir
mein Hiersein
Verzeiht mir
dass ich geboren bin
Ich konnte mir nichts aussuchen
weder Ort noch Zeit
Niemand hat jemals gefragt
Ich musste leben
ob ich wollte oder nicht
so ist das Leben
Ich kann nichts dafür
Schlagt mir die Kindheitserinnerungen aus dem Kopf
Beißt mir die Naivität aus dem Leib
Kratzt mir das Kindliche aus dem Verstand
Schüttet mich aus den Kinderschuhen
Formt mir ein starkes, gefühlloses Herz
Setzt Glas anstelle der treuen Augen ein
Schält mir die Unbeschwertheit aus der Seele
Dieses Kind
dieses verträumte
an nichts denkende Kind
Dieses verspielte
immerzu nachahmende Kind
muss getötet werden –
in mir
Denn die Realität ist grausam
und will bezwungen werden
Ich bin ein Kind meiner Eltern
und ein Geschöpf dieser Zeit
Ich bin einer von denen
die es bereun’
ein Stück von dem Leben
von dem vielfältigen Leben
ein Stück nur zu leben versucht zu haben
dabei verzweifelt
an sich selbst gescheitert
an dem Leben im Grunde vorbeigelebt
Wo ist das Kind jener Eltern
wo das Geschöpf, welcher Zeit
Geblieben ist davon nur ein Haufen Asche
Mein Leben ist ein einziger Kampf
mit mir selbst
wie wirbeln die geballten Fäuste
durch die Luft
groteskes Winden, Hüpfen und Drehen
um die eigene Achse
sich windend, springend, tänzelnd
gebeugt, gestreckt und wieder gebeugt
immer weiter, immerfort
kein Sieg
kein Ziel
wann endlich mein KO ?
Große Erwartung, hoffend und glaubend.
Dann der Augenblick des Geschehens.
Das, was wirklich ist, übertrifft dann jegliche Erwartung.
Man steht vor den Trümmern der Hoffnung.
Niederschmetternd das Ergebnis, den Tatsachen ins Auge sehend.
Zu Hilfe eilend, den letzten Möglichkeiten Kraft gebend.
Doch manchmal ist alles verloren.
Wut und Ärger steigern sich ins Unermessliche.
Diese werden beim Abflauen der Gefühle von Resignation ersetzt.
Dann nur noch Ruhe. Bitte Ruhe bewahren!
Sich fassen, überlegen - was nun?
Mit neuer Kraft voraus?
War ja doch nicht so schlimm.
Weiter geht’s - oder - oder doch nicht?
Die Enttäuschungsrückstandssubstanzen bleiben für immer.
Für immer???
Das Biest muss raus
sonst frisst es sich durch Mark und Bein
höhlt den Kopf aus
verschlingt die Eingeweide
saugt die Adern leer
knabbert an den Knochen
zerreißt die Nerven
zerfleischt die Muskeln
nimmt den Verstand
kratzt am Gerechtigkeitssinn
zerschlägt den Stolz
zersplittert das Selbstwertgefühl
schlürft den Mut heraus
beißt sich durch die innere Zufriedenheit
besudelt Menschenfreundlichkeit mit Einsamkeitserbrochenem
beschmutzt Ausgeglichenheit mit Depressionskot
bespuckt Glücksgefühl mit Trauereiter
belädt Freiheitsgefühl mit Angstgeschwüren
und dann -
bleibt nur noch ein großer Haufen zurück
ein großer Haufen stinkender Scheiße
den man Leben nennt
Stahlglatt
und glänzend poliert
hängt
über der Versäumnis
das Messer.
Millimetergenau angepasst
die Führungsleisten
links und rechts
im Holzrahmen.
Das blitzblanke Messer
gehalten von kluger Technik
saust nach unten
auf Knopfdruck.
Ein sauberer Schnitt
durch Adern und Blutgefäße
durch Luft- und Speiseröhre
durch Nerven, Muskeln und Fett
durch rohes Fleisch
durch Wirbel und Knochen
trennt Kopf vom Rumpf
trennt Leid vom Glück
trennt Erinnerung von Vorahnung
trennt Vergangenheit von Gegenwart.
Nur ein einziger Schnitt.
suchen Fragen nach Antworten
FRÜHLING IM ALL
Acryl- und Dispersionsfarbe mit lumineszierenden Zusätzen,
Acrylglas und Sand auf Holz • 1989
© Bild und Foto: Dietmar Wolfgang Pritzlaff
Vielleicht erkennt eine Träne den Schmerz
vielleicht weiß sie warum sie beim Abschied
zu rinnen beginnt
vielleicht erahnt sie auch die Freude
vielleicht weiß sie, warum sie salzig schmeckt
warum sie so schnell vergänglich ist
warum sie durchsichtig ist
Aber was sie bestimmt nicht ahnt
es tut gut mal zu weinen
mal alles rauszulassen
so befreiend
Weinen wir also zusammen
Mir kommen schon die Tränen
Ich lauf aus
Ich werde dicke Tränen um dich weinen
„Es geht eine Träne auf Reisen...“ - la, la, la...
Töne von Leben
dringen durch die Wand
laute Geräusche
schwirren über das Land
Die Luft ist erfüllt
von Atmosphärenklang
Radiowellen schwingen
zu unserem Lebensdrang
Und wir überhören
des Windes Melodien
achten nicht auf
Meeressymphonien
Politik ist wie Pi
Man braucht Pi bei
jeder Kreisberechnung
Politik dreht sich im Kreis,
wer auch immer sie macht
Und Pi ist immer dabei
Pi ist immer gleich;
bei jedem Kreis,
egal ob groß oder klein
Pi aufgerundet ist 3,14
Mathematisch gesehen ist 3,14
Natürlich “absolut” ungenau,
aber wie in der Politik
lässt man gern die vielen
Nachkommastellen einfach weg
Über Kleinigkeiten wie Pi
spricht man eben nicht
Pi ist Pi
sonst nichts
Feuerwerk
Die Nacht erhellend,
die Dunkelheit durchbrechend
Feuerwerk
Nicht aus Freude am Leben im neuen Jahr,
sondern aus Hass, der das Leben auslöscht und vernichtet.
Blutiges Feuerwerk
Jeder den Atem anhält, der an dich denkt.
Feuerwerk
Auch wenn am Ende für “Einen” steht der Sieg,
ist es doch nichts weiter als ein schmutziger, grausamer Krieg.
Krieg
Du machst Städte dem Erdboden gleich.
Du vergießt Tränen und Blut ganzer Nationen.
Du zerstörst Leben und versetzt so manchen Berg,
du - blutiges Feuerwerk.
Müde steife Gebeine schleppen sich Gänge hin und her.
Weißgekleidete hetzen umher.
Dann der Schlachttag, rot und schwer.
Für die, die dran sind um so mehr.
Visiten danach, ist alles gut?
Trauer, wenn nicht, Verlierer verlieren den Mut.
Glück, wenn Freunde und Verwandte,
beste Wünsche bringen und Langeweile vertreiben.
In der Nacht aufgeschreckt, aber bekannte
Notfälle, Aufregung, Stücke fallen aus den Lebensscheiben.
Dann immer wieder warten und hoffen,
auf Genesung, manche auch fast besoffen.
Immer wieder Tag aus Tag ein,
Fieberthermometer, Essen und Trinken geben sich ein Stelldichein.
Auch wenn absolut mal nichts passiert,
die fortlaufende Arbeit die Schwestern doch desodoriert.
Nichtsdestotrotz, ein Lächeln im Leben immer hilft,
Patienten, Ärzte und Schwestern auch nur Menschen sind.
Und weiter geht’s` mit der Wissenschaft am menschlichen Körperbau,
ja, ja, du Krankenhaus,
du bist krank und schlau.
Im Verborgenen schlummert das Unbekannte
In dunklen Gängen und Höhlen,
macht uns das Angst, was wir nicht enträtseln können.
Im Versteckten liegt das Unterdrückte
Umgeben von wallenden Nebelschwaden und Rauchwolken
Nicht Materie und doch vorhanden, quält es unser Unterbewusstsein
Im Verdeckten warten die Träume
In grellem Sonnenlicht oder fahlem Sternenschein
durchqueren sie Dimensionen und Sphären
Im Verhüllten liegt die Hoffnung, sind Wünsche
Eingeschlagen in den wehenden Tüchern
der Lüge und der Enttäuschung
Seele,
gegeben mit der Geburt,
hin- und hergeworfen, zerrissen und wieder zusammengefügt im Leben,
genommen und entflogen im Tode
Die Tiefen der Seelen sind unergründbar
Einer lässt niemanden an sie heran - verschlossene Seele
Andere Lassen mit ihr spielen - bedrückte Seele
Einer schüttet seine im Überfluss aus - zu kleine Seele
Andere fressen alles in ihre hinein - brodelnde Seele
Einer behauptet er hätte keine - unterdrückte Seele
Andere hofften sie Hätten eine - verborgene Seele
Einer spürt ihr Gewicht - beschwerte Seele
Andere tragen ihre im Gesicht - entblößte Seele
Einer würde seiner am liebsten einen Tempel bauen - vergoldete Seele
Andere ziehen ihre in den Schmutz - befleckte Seele
Einer behütet, pflegt und umhegt seine - reine Seele
Andere bekämpfen ihre - gestrauchelte Seele
Einer trauert seiner nach - tote Seele
Andere finden ihre in sich wieder - entdeckte Seele
Wir werden sie nie in Händen halten und betrachten können.
Sie nie durchqueren und bewerten können
Nie ihre Tiefen erforschen können
Halte sie, spüre und fühle sie in Dir
Lebe mit ihr, stirb mit ihr
Der Teufel holt sich welche
Die Kirche will sie alle für sich
Der Arzt weiß nicht wo sie im Körper zu finden ist
Der Mörder hat keine
Oder doch?
Der Soldat steht mit seiner auf Kriegsfuß
Die Verliebten glauben ihre im siebenten Himmel
Der Reiche schließt seine in einen Tresor ein
Auf Nimmer-Wiedersehen!
Der Arme begräbt seine unter einer Brücke
Wie gut, dass sie nicht sichtbar ist
Wie gut, dass sie nicht zu verschenken ist
Wie gut, dass sie nicht mit Gold aufzuwiegen ist
Sonst gäbe es genauso ein wildes Gerangel um sie
wie um Herzen und Nieren für Transplantationen
Einst war’s mir gleich
Umweltverschmutzung, Atomversuche und Ozon
Wichtig war etwas ganz anderes
Schreit eine Schnecke, wenn man sie mit einem Stein zermatscht?
Was macht eine Maus, wenn man sie bespuckt?
Kann eine Spinne mit nur einem Bein noch gehen?
Sehr wichtige Fragen
für einen Jungen
der nahe dem Wald lebt
Vor Jahren war’s mir echt egal
das Asylanten in Deutschland leben
das der Paragraph 175 nichts zum Essen ist
das Bosnien in Jugoslawien war
und das Mercedesaktien gewaltig fallen können
Viel wichtiger
war mir meine Freundin Doris
waren mir die Spiele mit ihr im Garten
war mir mein Bauch der nicht hungern sollte
viel Wichtiger
als Lesen und Schreiben
als aufpassen und gerade sitzen
als Tests und Schulaufgaben
viel wichtiger für einen Jungen
der was im Schädel hat
sich aber fragt - was?
Solange her, ist es, als es noch unwichtig war
ob jemand in Vietnam stirbt oder nicht
ob irgendein Herr Schleyer entführt wird und warum
ob Mogadischu eine neue Pralinensorte ist oder nicht
ob Papa Überstunden kloppen muss und Oma Heimarbeit
Aber interessiert war ich
an 40 cm weiten Hosenbeinen
an orangefarbenen, großgemusterten Tapeten
an „unsere“ Königin Silvia
an ABBA-Musik und Disco-La-la-la
an Alkohol, Zigaretten, und Hasch
und natürlich an Flower-Power-pop-up-Cola
denn alles war in Afri-Cola
Das alles war von großem Interesse
für einen Jugendlichen
der in Kinderdiscos rumhing