Für Anni und Mii.
Ihr wisst, warum.
Ich bin eine Hexe. Punkt.
Und das weiß ich schon so lange, wie ich überhaupt denken kann.
Es gab kein Gespräch, das mit den Worten »May, du bist anders als die anderen Menschen – du bist ja nicht einmal ein Mensch« anfing. Und mich holte auch kein Riese nach Hogwarts, wo ich gegen einen glatzköpfigen Mann ohne Nase kämpfen musste.
Für mich war das alles … normal. Schließlich bestand meine ganze weibliche Verwandtschaft aus Hexen, so wie all meine Ururururahninnen schon Hexerei betrieben hatten. Seit Tausenden von Jahren war die Familie Setek ein Coven von Hexen.
Das gestaltete sich natürlich nicht immer ganz einfach – besonders, wenn man noch ein Hexenkind war und nicht begreifen wollte, warum Menschen nicht auch fliegen oder mit Tieren kommunizieren konnten.
Wenn wir einkaufen gingen, zum Beispiel, durfte ich nicht zaubern. Natürlich nicht! Meine Mom hatte mir stets eingebläut, dass die Menschen ganz, ganz böse werden würden, wenn ich es doch tun sollte. Eine dieser fiesen Erziehungslügen, die Eltern benutzten, wenn sie ihren Kindern etwas nicht erklären konnten – oder wollten.
Doch die Lüge allein reichte nicht, da musste schon eine ordentliche Belohnung her. So bekam ich, wenn ich in der Öffentlichkeit nicht zauberte und mich brav verhielt, immer ganz viel Schokolade. Gleichermaßen abgedroschen wie simpel, doch es funktionierte.
Rückblickend betrachtet kam ich mir aber schon ganz schön verarscht vor …
Seit meinem zehnten Lebensjahr versuchten mir meine Großmutter, meine Tante und meine Mom beizubringen, wie ich mit meinen wachsenden Fähigkeiten umzugehen hatte – eine furchtbar undankbare Aufgabe, denn ich hielt es mit den Hexenregeln nicht so genau. Aber was sein musste, musste sein: Schließlich begann jede Hexe in diesem Alter mit dem Unterricht. Er endete erst, wenn ihre Macht nicht mehr weiterwuchs, was meistens zwischen dem siebzehnten und achtzehnten Geburtstag der Fall war.
Das hieß aber nicht, dass ich den ganzen Tag zu Hause rumsitzen und vor mich hin zaubern durfte – isoliert von der grausamen Außenwelt, weit weg von all den Menschen, die einen sowieso nicht verstanden.
Nein, als Hexe musste man »nebenbei« auch noch die ganz normale Highschool besuchen, mit all ihrem Herzschmerz, Zickenterror und dem Gefühl, nirgends richtig dazuzugehören.
Na gut … Ganz so schlimm war es nun auch nicht.
Da unsere Stadt seit Jahren einen Zulauf von magischen Wesen erfuhr, gab es nicht nur Nachtmahre, Werwölfe und sogar eine Walküre hier, sondern auch noch eine zweite Hexenfamilie: Die Denaux waren ein Voodoo-Clan und stammten ursprünglich aus New Orleans. Vivienne, die jüngste von drei Schwestern, war eine ganz besondere Hexe für mich und nicht umsonst meine allerbeste Freundin. Sie half mir, die kleinen und großen Katastrophen meines bizarren Alltags durchzustehen.
Im Grunde hatte ich mich also ganz gut eingerichtet in meinem Hexendasein. Dachte ich zumindest …
Bis zu dem Tag, an dem ein verirrter Lacrosse-Ball mein ohnehin verrücktes Leben vollends durcheinanderwirbelte.
Der Tag begann damit, dass mich eine Voodoo-Puppe ohrfeigte. Das war nicht so schlimm, wie es sich vielleicht anhörte, da die Dinger ähnlich wie Teddybären weiche Watte-Ärmchen besaßen. Nur der sackähnliche Stoff kratzte ein wenig an meiner Wange und störte meinen Schlaf.
»Steh endlich auf, May!«, zeterte eine weibliche Stimme. »Nur wegen dir kommen wir wieder einmal viel zu spät zum Unterricht! Ich will nicht schon wieder nachsitzen!«
Vorsichtig blinzelte ich durch meine Lider. Albert, die Voodoo-Puppe, blickte mich mitleidlos an. Das kleine Ding hatte ein pinkes und ein schwarzes Knopfauge, sein Mund war mit einem schwarzen Faden zugenäht worden. Der Körper und somit auch Kopf und Gliedmaßen bestanden aus braunem Sackstoff.
Albert hatte noch einen Arm zum Schlag erhoben, als er plötzlich leblos zur Seite kippte.
»Na, das wurde ja auch Zeit.« Nun beugte sich ein Mädchen mit karamellfarbener Haut und wilden schwarzen Locken über mich. Seine dunkelbraunen Augen blitzten abschätzig, was hervorragend zu den trotzig verzogenen Lippen passte. »Stehst du nun endlich auf oder muss ich härtere Geschütze auffahren? Wie kann man nur so verschlafen sein?«
Meine beste Freundin Vivienne, kurz Viv genannt, war eine Voodoo-Priesterin und auch wenn sie, wie ich, erst in Ausbildung war, wollte ich mich nicht freiwillig mit ihr anlegen.
Aber ich war eben so müde …
»Nur noch eine Minute, Viv. Nur noch eine Minu-« Ich war nur eine Millisekunde weggetreten, als sich etwas Spitzes in meinen Oberarm bohrte. AUA!
Es überraschte mich nicht, dass Albert neben mir im Bett auferstanden war, seine Stecknadel wie ein Schwert hin- und herschwingend. Dabei kniff er die schwarzen Filzaugenbrauen wütend zusammen.
Bevor er mich noch einmal stechen konnte, rollte ich mich schnell zur Seite – und flog prompt aus dem Bett. Mein Gesicht küsste auf eine echt unsanfte Art den kalten, staubigen Parkettboden. Hätte ich doch bloß auf Gran gehört und gestern Abend gestaubsaugt … Fusseln im Mund waren echt widerlich!
Grummelnd drehte ich mich auf den Rücken – nur um in Alberts wortwörtliches Sackgesicht zu sehen. Er linste über den Bettrand, das »Schwert« triumphierend in die Luft gestreckt.
Blödes Sackgesicht …
Dafür war ich jetzt wacher als meine Tante Harmony, wenn sie vor einer Nachtschicht einen Liter Kaffee ex trank.
Schicksalsergeben schnippte ich mit den Fingern. Die graue Hose meines Schlafanzugs verwandelte sich in eine abgenutzte, enge schwarze Jeans mit Löchern, aus dem Oberteil wurde ein schwarzes Top mit einem rot-schwarzen Flanellhemd darüber. Zu meinem schwarzen Lederarmband mit einem Ankh-Anhänger, das ich nie abnahm, gesellten sich ein Armband mit silbernen Plastiknieten und mehrere einfache Gummi-Armbänder.
Ja, ich wusste, dass die Grunge-Zeit schon längst vorüber war, aber das hier war nun einmal mein Lieblingsoutfit.
In meinem siebzehnjährigen Leben hatte ich schon alles ausprobiert: die Business-May mit hübscher Bluse, Blazer und schlichtem Rock, dann die Flower-Power-May mit Batikrock und bunten Bandanas. Dieses Ich wurde von der Gothic-Version in schwarzen Kleidern und Netzstrumpfhosen abgelöst. Reden wir besser nicht über die Emo-May mit den pinken Strähnen und dem Haarschnitt, der mich kaum etwas sehen ließ …
Aber egal, wie ich mich auch kleidete: Die Leute in der Schule riefen mich weiterhin Hexe und die Leute auf der Straße murmelten über mich, wenn ich an ihnen vorüberging.
Als ich mir nun Albert vorknöpfen wollte, griff Vivienne schnell nach ihrer Puppe. Sie wurde in ihren Händen sofort wieder zu einem leblosen Stück Stoff.
»Bist du nun endlich wach?«, fauchte mich meine Freundin an, ließ sich ihrerseits jedoch aufs Bett sinken.
»Jaaaaaaaa«, antwortete ich ihr genervt und sprang auf die Beine.
Natürlich war Vivienne schon fix und fertig. Sie trug eine modisch ausgewaschene Jeans und dazu ein schlichtes rotes Top. Aufgepeppt wurde ihr Outfit durch eine schwere goldene Statement-Kette und viele Ringe an ihren Fingern. Aber wie man es drehte und wendete: Meine beste Freundin sah einfach viel weniger nach Hexe aus als ich. Zwar waren auch Viv und ihre Familie in unserer kleinen Stadt als Hexen verschrien, aber das lag eher daran, dass ihre Mutter ätherische Öle und Kerzen herstellte und unsere Familien befreundet waren. Sie mussten in den Augen der Stadtbewohner also zwangsläufig auch Hexen sein.
Eigentlich traurig … Hexe war im Volksmund ein Schimpfwort, obwohl wir hier für mehr Recht und Ordnung sorgten als die städtischen Polizisten. Letztere wussten nicht einmal, wie viele übernatürliche Wesen in ihrer beschaulichen Stadt lebten. Sie wussten nicht, dass der Psychologe in der Klinik ein Nachtmahr war, der Siegmund Freud persönlich gekannt hatte, oder dass der beliebteste Feuerwehrmann der Stadt in seiner Freizeit als feuerspeiender Drache umherflog. Nein, stattdessen kümmerten sich die Polizisten nur um vermisste Katzen, kleinere Diebstähle und Schlägereien unter Alkoholeinfluss, denn viel mehr war für sie augenscheinlich nicht zu tun.
Apropos nichts tun … Da Vivienne einen Moment lang nicht aufpasste, schleuderte ich ihr mit Gedankenkraft eines meiner roten Polsterkissen an den Hinterkopf.
»Hey!« Sie hob eine Hand und ich war tatsächlich von ihren funkelnden goldenen Ringen so abgelenkt, dass ich das fliegende Deo-Spray samt fieser Nebelwolke zu spät bemerkte. Vor lauter Schreck atmete ich noch einmal extratief ein. Schwer hustend taumelte ich ein paar Schritte zurück.
Ja, Hexen maßen gerne einmal ihre Stärke in solchen Auseinandersetzungen. Besonders wenn sie sich wie Viv und ich erst in Ausbildung befanden und ohnehin als kindisch abgestempelt wurden. Falls jedoch ein Übernatürlicher oder ein Mensch in Gefahr geriet, mussten wir mit unserer Magie einschreiten und im schlimmsten Fall auch selbst kämpfen. Mit allem, was uns zur Verfügung stand.
»Ich hab gewonnen!«, jauchzte Vivienne siegessicher. »Du weißt, was das bedeutet, May …«
Ich grinste.
Meine beste Freundin saß noch immer auf meinem Bett und war sich ihres Sieges viel zu sicher.
»Schachmatt!«, flötete ich.
Die Bettdecke wickelte sich eng wie Mumien-Bandagen um Vivs Körper und verwandelte sie in eine schwarz-rot gestreifte Raupe. Nur ihr Kopf lugte noch hervor.
»Argh!«
»Du bist mir eine Packung saure Drops schuldig.«
Bevor sie jedoch wieder damit anfangen konnte, dass wir schon viel zu spät dran waren, drehte ich mich zu meiner kleinen Schminkkommode um. Als wir sie damals im Möbelladen gekauft hatten, erstrahlte die Kommode noch in weißem Holz, aber da das nicht in das rot-schwarze Konzept meines Zimmers passte, hatte ich sie mit einem Zauber schwarz gefärbt.
Zwischen dem Spiegel und dem Rahmen steckten unzählige Fotos von Vivienne, Ephraim und mir. Ephraim war schon immer ein guter Freund von mir gewesen. Seine Mom arbeitete als Kinderkrankenschwester in dem gleichen Krankenhaus, in dem auch meine Tante als Ärztin tätig war.
Auf den Fotos sah Ephraim weitgehend normal aus: sonnengebräunte Haut, dunkelbraune Haare, grüne Augen und süße Grübchen beim Lächeln. Aber ich wusste auch, wie er aussah, wenn er sich in einen Dämon verwandelte: schwarze, widderartige Hörner, schwärzere Augen und noch schwärzere Krallen.
Mit einem Lächeln wandte ich meinen Blick ab, weil sich ein Schamgefühl in meinem Bauch ausbreitete. Als wir letztens richtig heftig rumgemacht hatten, also mit kaum Klamotten am Leib, waren Ephraim zum ersten Mal Hörner gewachsen. Für Dämonenjungs anscheinend ein heikles und überaus unangenehmes Thema …
Zwei Tage später hatten wir beschlossen, dass wir wirklich nur Freunde sein sollten. Das Schlimme – oder das Gute? – daran war, dass wir bis auf ein paar peinliche Momente tatsächlich wieder wie früher miteinander umgingen.
Na ja, es hatte mit uns anscheinend einfach nicht sein sollen, sonst wäre es schwieriger gewesen, wieder gepflegt über Horrorfilme zu lästern, ohne dabei gleich übereinander herzufallen.
Ich konzentrierte mich nun aber ganz aufs Hier und Jetzt, beschränkte mich beim Make-up allerdings nur auf das Nötigste: ein bisschen Puder, um meine kleinen Pickel und andere Hautunreinheiten zu überdecken; viel schwarzer Eyeshadow und Eyeliner. Dunkles Make-up brachte meine hellgrauen Augen am besten zur Geltung. Obwohl meine Familie ägyptische Wurzeln hatte, war bei mir nicht mehr viel vom Flair der alten Pharaonen übrig geblieben. Ich hatte lediglich noch dichtes schwarzes Haar und hohe Wangenknochen. Meine Haare reichten mir bis zu den Achseln, waren zuerst glatt und kräuselten sich dann fast zu Locken. Natürlich nur, wenn ich sie mir ordentlich gekämmt hatte.
Und das tat ich jetzt auch. Mit einer Handbewegung erwachte meine Bürste zum Leben und fuhr mir fachmännisch durch die Haare. Ich versuchte hingegen nicht mehr, mich mit Magie zu schminken, nachdem ich mir einmal durch einen unkonzentrierten Zauberspruch fast das Auge mit meiner Mascara ausgestochen hätte.
Oh, wo war ich? – Ah ja, mein Aussehen …
Meine Haut war fast schon kalkweiß. Ich wurde nie richtig braun, bekam aber auch keinen Sonnenbrand.
Meine ungesunde Hautfarbe hatte ich – neben der widerspenstigen Haarstruktur von meiner Mutter geerbt. Die grauen Augen angeblich von meinem widerwärtigen Ekelpaket von Vater wie meine Großmutter ihn immer liebevoll nannte, wenn sie sich über ihn aufregte. Er war wahrscheinlich Mensch und Politiker, da meine Gran immer völlig durchdrehte, wenn jemand auf ihn zu sprechen kam. Sie sagte, er sei der Schlimmste seiner Art und Chaos und Verwüstung seien einfach sein Element. Das sprach doch für irgendeinen schleimigen Politiker, oder?
Sein Name fiel allerdings nie. Ich glaubte, meine Großmutter hatte Angst, dass ich sonst Kontakt zu ihm aufnehmen könnte. Umgekehrt würde es mich nicht wundern, wenn er nicht einmal wüsste, dass es mich gab. Nur die wenigsten Hexen wussten, wer ihre Väter waren, und noch weniger hatten Kontakt zu ihnen. Hexer gab es keine.
»Maaay!«, unterbrach Viv meine Gedanken.
»Jahaaaa! Es geht ja schon los!«
Ich suchte unter dem Tisch nach meinem Schulrucksack – fürwahr keine leichte Aufgabe, denn mein Zimmer war das reinste Chaos, wie meine Großmutter mindestens dreimal die Woche betonte. Überall lagen Klamotten, Bücher, DVDs und CDs. In einer Ecke verstaubten meine Malutensilien, die ich ab und zu hervorkramte, gegenüber stand meine E-Gitarre, auf der ich kaum spielen konnte. Ich hatte mich auch schon in Hockey, Taekwondo und anderen Sportarten versucht, aber alles wieder hingeschmissen. Ich war in allem weder besonders gut noch besonders schlecht. Anscheinend besaß ich absolut kein besonderes Talent.
Dafür war ich in der Lage, mein Zimmer in einer halben Stunde komplett zu verwüsten. Aber wie sagte man so schön? Ein Genie beherrscht das Chaos!
»May!«, grollte Viv. »Ich schwöre dir: Wenn ich mich hier verpuppe und von deiner Decke grässlich schwarz-rote Totenkopf-Schmetterlingsflügel bekomme, dann …«
Ich drehte mich zu ihr um.
Tatsächlich: Mein Zauber war stärker als gedacht, denn Vivienne sah noch immer aus wie eine fette, große Raupe.
Gutmütig lockerte ich die Decke und Viv befreite sich schnell daraus. Sie fuhr sich durch die Haare, schnappte sich ihre gigantische Handtasche, die sie unverständlicherweise als Schultasche verwendete, und ging hoheitsvoll aus meinem Zimmer.
Ich nahm meinen abgewetzten Rucksack von Vans und folgte ihr. Vivienne würde jetzt ungefähr zehn Minuten schmollen. Ihr Rekord, auf mich böse zu sein, lag bei neun Minuten und sechsunddreißig Sekunden – und da hatte sie bei der Entschuldigung fast schon zu heulen angefangen.
Eigentlich wollte ich gleich zur Haustür hinaus, aber dann sah ich im Vorbeigehen eine Person halb über dem Küchentisch liegen. Tante Harmony war wie so oft beim Lesen der Zeitung eingeschlafen. Neben ihr stand ein noch unberührter und dampfender Becher Kaffee. Sie trug sogar noch ihren weißen Ärztekittel und das Stethoskop um den Hals. Sie war wohl erst vor ein paar Minuten von der Nachtschicht im Krankenhaus nach Hause gekommen.
An dem Stuhl neben ihr baumelte eine weiße Kühltasche. Ich betrachtete sie mit Bauchschmerzen, wusste ich doch zu gut über ihren Inhalt Bescheid.
Widerwillig öffnete ich den Reißverschluss und nahm die Blutkonserven heraus, die meine Tante heimlich hatte mitgehen lassen. Nicht, dass sie noch schlecht und unbrauchbar wurden.
Im Krankenhaus dachte man, dass die Beutel für einen Patienten benutzt wurden. In Wirklichkeit gab es ihn nicht. Tante Harmony hatte ein Lügengeflecht aus Magie gesponnen, damit ihr niemand auf die Schliche kam.
Angewidert legte ich die Konserven in den Kühlschrank und hatte dabei automatisch den eklig-verwesenden, salzig-metallenen Geschmack von Blut im Mund.
Warum hatte ich nicht wie andere Kinder die heiße Herdplatte berühren können? – Nein, ich hatte versucht, Blut zu trinken, um zu überprüfen, ob ich zum Teil ein Vampir war.
War ich nicht.
Mit einem grässlich gurgelnden Geräusch, das so klang, als würde sich in der Toilette eine Verstopfung lösen, schreckte Tante Harmony hoch.
Einen Moment lang starrte sie mich an. »Oh, May, du bist es. Bin ich etwa eingeschlafen? – Hallo Vivienne!«, begrüßte sie auch meine ungeduldig wartende Freundin.
Meinte Tante sah allerhöchstens wie fünfundzwanzig aus, aber in Wahrheit war sie schon über fünfzig Jahre alt. Ich war siebzehn, sah aus wie siebzehn, aber mit genug Make-up konnte ich genauso gut als achtzehn durchgehen. Nach der Pubertät würde sich aber auch bei mir der Alterungsprozess extrem verzögern.
Hexen sahen allgemein immer gesund und fit aus, selbst wenn sie im Alter von vierhundert Jahren langsam graue Haare und leichte Falten bekamen.
Harmonys Haare waren schwarz, ihre Augen dunkelbraun und sie hatte zudem eine gesund wirkende bronzene Hautfarbe. Da sie eigentlich nur die Halbschwester meiner Mutter war, hatten sich bei ihr die Gene anders durchgesetzt.
»Sieht so aus«, antwortete ich. »Anstrengende Schicht, hm?«
»Kannst du laut sagen!« Sie nahm einen großen Schluck Kaffee. »Ich will nichts gegen Menschen sagen, aber man sollte nicht wegen ein bisschen Kopfweh oder Magenkrämpfen in die Klinik kommen. Immer dieser Katzenjammer!«
Wie aufs Stichwort und erstaunlich laut für eine Katze kam Mister Mittens in die Küche und steuerte geradewegs auf meine Tante zu. Der schwarze Kater schnurrte laut, als er ihr um die Beine strich.
»Müsstet ihr eigentlich nicht schon längst in der Schule sein?«, fragte sie mit einem Blick auf die Uhr.
»Verdammt! Bye, Tante Harmony!«
Vivienne und ich stürmten aus dem Haus.
***
Irgendwann auf dem Weg zur Schule hatte Vivienne aufgehört zu schmollen. Ich war ihr ohnehin dankbar, dass sie auf mich gewartet hatte.
»Hast du Lust auf den neuesten Klatsch?«, fragte sie mich, nun wieder äußerst gut gelaunt.
Viv hatte ihre Augen und Ohren überall. Sie war seit ein paar Monaten mächtig genug, Insekten oder Ähnliches in Zombies zu verwandeln und sie als Spione einzusetzen. Auf diese Weise überwachte sie die Schule, so gut es ging, auch da meine Fähigkeiten noch nicht so weit ausgereift waren, dass ich mich hätte alleine um alles kümmern können. Ein Grund, warum Viviennes Familie vor Jahren hierhergezogen war.
In meiner Familie gab es nur meine Gran, Mom, Tante Harmony und mich. Viv hatte neben ihrer Mutter noch zwei Hexenschwestern.
Als Hexen mussten wir dafür sorgen, dass die Menschen sicher vor den Übernatürlichen waren – und umgekehrt! Es gab nämlich auch genug Menschen, die als Jäger durch die Welt streiften und sinnlos mordeten. Und das war für uns nicht so cool.
In Supernatural sah das vielleicht ganz geil aus, weil Dean und Sam heiße Kerle waren und sie die bösen Monster töteten, aber der Großteil der Übernatürlichen war nicht böse. Viele waren sogar früher Menschen gewesen oder lebten mit und unter ihnen. Erlangte jemand Kenntnis von unserer Existenz oder wurde selbst verwandelt, musste er mit einem Eid schwören, nichts zu verraten. Andernfalls wartete der sichere Tod auf ihn. So zumindest die offizielle, abschreckende Konsequenz.
Dank unserer Hilfe konnten die hier lebenden Übernatürlichen und ihre Familien in der Stadt bleiben und sich durch das Aufgebot an erwachsenen Hexen geschützt fühlen.
»Ja klar, lass hören«, ging ich nun mit fast gleichgültiger Stimme auf Vivs Frage ein. Der meiste Klatsch interessierte mich nicht, aber meine Freundin würde es umbringen, mir nicht sämtliche Neuigkeiten zu verraten.
Sie machte ein paar große Schritte nach vorne und drehte sich zu mir um. »Noah Simons hat sich von Larissa Adams getrennt.«
»Ooooh«, sagte ich mit ordentlichem Sarkasmus in der Stimme und rümpfte die Nase. »Armes kleines Menschlein.«
»Larissa ist aber vielleicht gar kein Mensch«, widersprach mir meine Freundin. »Sie ist –«
»Sie ist einer«, unterbrach ich sie scharf. »Sie ist ein Mensch.«
Ja, ich hatte womöglich eine kleine Abneigung gegen Larissa … Aber nicht ohne Grund!
Larissa war der Cheerleader-Kapitän. Musste ich noch mehr sagen? Für sie waren wir, also ich und die anderen Nichtmenschen der Schule, ihre liebsten Mobbing-Opfer – ohne dass sie wusste, wer wir waren.
Wir benahmen uns einfach anders als Menschen.
Ingrid zum Beispiel, unsere Austauschschülerin aus Norwegen: Sie war eine kämpferische Walküre und liebte es, sich in jede Schulhofschlägerei einzumischen.
Für Menschen war das befremdlich, aber für Ingrid der größte Spaß auf Erden. Sie fand es nur gemein, dass sie keine Waffen benutzen durfte.
Aber das Wichtigste war, dass wir – oder zumindest die meisten von uns – ernsthaft darum bemüht waren, uns in die menschliche Gesellschaft einzugliedern. Wir versuchten die Menschen, so gut es eben ging, aus unseren Angelegenheiten herauszuhalten, doch nicht immer gelang uns das reibungslos. Ab und zu verliebten sich Übernatürliche in Menschen und bekamen Kinder. Eines davon war ironischerweise Larissa.
Doch natürlich besaß sie keine übernatürlichen Fähigkeiten, natürlich war sie nur ein dummer, dummer Mensch. Und sie sollte froh sein, dass sie so dumm und unwissend war.
»Ja, Larissa ist eine blöde Kuh, ich weiß, ich weiß. Aber die Geschichte ist einfach erstklassig!« Viv klatschte vor Aufregung in die Hände. »Letzten Freitag, nach Noahs Lacrosse-Spiel, hatten sie einen megaheftigen Streit. In der Männerdusche.«
»Bitte was?!« Ich riss die Augen auf.
»Larissa hat mit Noah vor seinen versammelten Teamkollegen Schluss gemacht. – Oh, und er war fast nackt dabei. Er hatte nur ein Handtuch um die Hüfte gewickelt, hat mir ein kleines Vögelchen gezwitschert. Und ich meine wirklich einen Vogel. Ich werde immer besser mit der Wiedererweckung!«
»Wow!« Das fand ich nun viel interessanter als die alberne Geschichte zwischen Noah und Larissa. Ich war kein großer Menschenfreund im Allgemeinen. »Gratuliere! – Hey, warum hast du mir das nicht vorher gesagt?«
Viv zuckte mit den Schultern. »Weil es auch langsam Zeit wurde, dass ich so etwas kann. Ungefähr in einem Jahr soll ich so weit sein, Menschen in Zombies zu verwandeln – wenn das noch erlaubt wäre.«
Wir grinsten uns vielsagend an. Man hatte die Erschaffung von menschlichen Zombies vor gut fünf Jahrzehnten verboten. Sie waren nämlich nicht nur schwer zu kontrollieren, sondern auch verdammt aggressiv. Außerdem würden die Menschen heutzutage gleich ausflippen, wenn sie mal einem einzelnen Zombie begegneten, wahrscheinlich weil sie zu viel The Walking Dead geguckt hatten.
Zombies waren nicht in der Lage, weitere Zombies zu erschaffen. Das konnten nur Hexen, die in Voodoo geschult waren. Aber klar: Zombies konnten jemandem den Arm abreißen und sie liebten Gehirne so sehr, dass sie alles dafür tun würden, um an die graue, wabbelige Hirnmasse zu kommen – den Schädel mit einem Stein spalten, zum Beispiel. Brrr. Keine schöne Vorstellung!
»Aber nun weiter zum Klatsch«, riss mich Vivienne aus meinen Gewaltfantasien. »Larissa hat jetzt angeblich was mit Tim Cassidy, du weißt schon, dem Footballspieler. Und …«
Meine Freundin quasselte unaufhörlich, doch ich fand die nähere Umgebung irgendwie spannender als Vivs Worte.
»Wow« und »Das gibt's doch nicht!« streute ich ab und zu ein, damit sie glaubte, dass ich ihr noch zuhörte. Dabei kamen wir der Schule beziehungsweise dem Stadtkern immer näher.
Unser Wohnhaus stand nahe bei einem Wald – aus verschiedenen lebenspraktischen Gründen: So konnte es schon mal vorkommen, dass ein Zauber schiefging. Da niemand in unmittelbarer Nähe wohnte, gab es dann auch keine Zeugen. Zudem brauchte meine Mom einen Ort, an dem sie sich mit ihren Kräften einfach mal austoben konnte.
Vivs fröhliches Plappern ausblendend betrachtete ich verstohlen die vertraute Umgebung. Während wir unser Ziel ansteuerten, lichteten sich die Bäume, dafür fuhren uns mehr Autos entgegen. Die Häuser wurden größer und leider auch hässlicher. Wir kamen an den drei Cafés, unserem Kino und den zwei Supermärkten vorbei. Daneben gab es hier noch ein Freibad, ein Krankenhaus, einen Club und ein paar kleinere Geschäfte.
Hier war eine kleine, bedeutungslose Stadt im Bundesland Maryland. Meine Großmutter und ihre Mutter hatte es hierher verschlagen, als sie im nahen Gettysburg nach der grausamsten Schlacht des Sezessionskrieges von 1865 Exorzismen durchführten, um den gepeinigten Seelen der Soldaten Erlösung zu schenken.
Als meine Großmutter dann mit meiner Mutter schwanger war, befahl ihnen der Rat der Hexen, für die nächsten Jahrzehnte hierzubleiben. Na ja, es wurden viele Jahrzehnte …
Das Wetter war meistens schön sonnig und warm – eine Freude für die Menschen, eine Strafe für meine Mutter und eine zusätzliche Vorkehrung, sie unter Kontrolle zu halten.
»Das hat sie wirklich gebracht, May! Kannst du das glauben? Wie dumm muss man sein!«, kreischte Viv gerade neben mir.
Mir entwich nur ein verwirrtes »Hm?« und ich war richtig froh, dass wir endlich die Schule erreichten.
Das Gebäude war so gewöhnlich, dass man vielleicht schon vermuten konnte, dass hier ein paar Dinge anders liefen. Von außen war unsere Highschool nur eine weitere graue Schule, von denen es hierzulande so viele gab und an der sich allein die Flagge der Staaten im Wind bewegte. Alles andere blieb schon seit Jahren unverändert: Die Tribüne neben dem Spielfeld war total abgenutzt und sanierungsbedürftig, die weißen Linien des Schülerparkplatzes konnte man nur noch erahnen und …
Schwarz.
Schmerz.
Sekunden später fand ich mich auf dem Rasen vor unserer Schule wieder und Vivienne hatte sich über mich gebeugt.
»Geht es dir gut, May?«, fragte sie mich besorgt.
Ich wollte schon bejahen, aber da bemerkte ich die höllischen Kopfschmerzen.
Okay, was war gerade passiert?
Ich war eine Hexe.
Ich hatte nie so schlimme Schwindelanfälle.
Ein Dämon konnte nicht einfach so Besitz von mir ergreifen. Zudem waren die einzigen Dämonen hier Ephraim, sein kleiner Bruder und seine Eltern.
»Schon gut! Es ist nichts passiert!«, schrie eine männliche Stimme. »Ich habe nur die Hexe erwischt! Dir geht's doch gut, oder?«
Nun schob sich ein weiterer Kopf in mein Blickfeld. Und am liebsten hätte ich diesem Gesicht gleich einen Schlag verpasst. Ich hatte sogar schon ausgeholt, aber mein Gegenüber wich der Attacke aus.
»Ich habe mich doch entschuldigt!«
»Habe ich aber nicht gehört!«, knurrte ich.
Er seufzte. »Es tut mir leid …« Pause. »Äh, Ma-Maria? Marissa? Mary!«
Oh, toll. Er wusste nach elf gemeinsamen Jahren nicht einmal meinen Namen!
»MAY! Mein Name ist May.«
Ich rappelte ich mich irgendwie hoch. Meine Jeans zierten nun ein weiteres Loch und grün-braune Flecken. Hübsch!
Noah Simons starrte mich an. – Ja, genau der Noah, über den Viv und ich vorhin erst geredet hatten.
Dabei gab es über Noah und mich nicht viel zu sagen: Er war ein Jahr älter als ich und da unsere Stadt wie erwähnt nicht besonders groß war, hatten wir stets die gleichen Schulen besucht. Ich erinnerte mich sogar daran, dass ich in der Vorschule ab und zu mit ihm gespielt hatte.
Aber irgendwann kapierte er – wie seine Mitschüler auch –, dass ich anders war. Dass meine Familie anders war, nämlich in den Augen aller verrückt, weil meine Mom Tarotkarten legte und meine Großmutter das Pendel beherrschte wie keine Zweite.
Ab diesem Zeitpunkt hatte ich nur noch Viv und meine Schützlinge.
»Wenn ihr alle so miserabel schießt, dann wundert es mich nicht, dass unsere Schule bei Lacrosse so ablost«, fauchte ich Noah entgegen.
»Sag das noch mal!«
Plötzlich stand er direkt vor mir. In seiner rechten Hand hielt er einen Lacrosse-Schläger, in der anderen seinen Helm.
Er war groß, sonnengebräunt – und gutaussehend, wie ich zugeben musste. Mit dunkelbraunen Haaren und strahlend blauen Augen. Aber er war leider auch einer der Menschen, die leicht beeinflussbar waren.
Obwohl mir die meisten seiner Artgenossen instinktiv aus dem Weg gingen, gab es ein paar, die mich zumindest mit Anstand behandelten. Noah gehörte nicht dazu.
»Ein bisschen Herumblödeln wird ja wohl noch erlaubt sein?«, entgegnete er von oben herab.
»Wann blödelt ihr nicht herum?«, gab ich spitz zurück.
Ich war heute alles andere als gut drauf und Noahs Attacke hatte meine Laune in die tiefsten Tiefen der Hölle sinken lassen.
»May, lass ihn!« Vivienne berührte mich am Arm.
Seine Freundin hat vor drei Tagen Schluss gemacht!, sagte sie mir per Telepathie. Ihm geht es echt mies.
Aber wenn ich ein Mensch wäre, hätte ich jetzt ein ordentliches Schädel-Hirn-Trauma!, antwortete ich ihr auf dieselbe Weise.
Noah schenkte mir noch einen giftigen Blick, ehe er seinen Helm wieder aufsetzte und zum Spielfeld zurücktrottete.
Ich hätte ihn beinahe ziehen lassen, aber dann murmelte er hörbar: »Blöde Hexe!«
Praktischerweise erschien genau in diesem Moment der Trainer am Spielfeldrand. Als Noah nah genug bei ihm war, ließ ich allein mit der Kraft meiner Gedanken einen kleinen Erdhügel sprießen. Noah stolperte und zog dem Trainer die dunkelblaue Trainingshose herab, so dass dieser nun in einem weißen Schlüpfer dastand. Nach einer Schrecksekunde prusteten die anderen Spieler laut los, ein paar der Jungs krümmten sich sogar vor Lachen im Gras.
Alle, bis auf den Trainer, der dunkelrot wie eine Kirsche wurde.
»SIMONS! NACHSITZEN!«, brüllte er. »Und einhundert Liegestütze! SOFORT! KEINE WIDERREDE!«
Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht marschierte ich mit Viv zum Haupteingang der Schule.
»Spinnst du, May?«
Ich wusste sofort, was sie meinte. Viv hatte gespürt, dass ich mich der Magie bedient hatte.
»Er hat's verdient! Außerdem sind die Menschen doch sowieso nicht in der Lage, zu sehen, was sich da gerade vor ihren Nasen abspielt.«
Meine Freundin zog es vor, nichts darauf zu erwidern. Kluges Mädchen!
Da sie und ich in der ersten Stunde gemeinsam Geschichte hatten, gingen wir zu Raum 301. Viv war zwar fast ein ganzes Jahr jünger als ich, aber so unglaublich klug, dass sie mit mir einige Senior-Kurse besuchte.
Bei dem kurzen Gang redete ich mich so richtig in Rage.
Schließlich erreichten wir die Klassenzimmertür und ich öffnete sie energisch.
»… unsere Mitschüler sind zudem allesamt riesengroße Vollpfosten, die nur an Sex, Partys und den Abschluss an dieser erbärmlichen Schule denken«, beendete ich gerade meinen Vortrag, doch Viv war anscheinend nicht die Einzige, dir mir entgeistert lauschte.
»Ist das so, Miss Setek?«
Augenblicklich wich mir das Blut aus dem Gesicht. Ich Idiotin hatte wegen der Sache mit Noah nicht bemerkt, dass wir zu spät dran waren. Alle anderen saßen schon im Kursraum, auch die Lehrerin, die mich mit hochgezogener Augenbraue musterte.
Misses Wolf mochte mich eigentlich, da ich sehr gut in Geschichte war. Wenn man, wie ich, einen Familienstammbaum besaß, der bis ins Alte Ägypten zurückreichte und auch die Besiedlung des amerikanischen Kontinents durch die spanischen Pioniere – meine Ahnen hatten sich bei ihnen eingeschleust – umfasste, dann musste man einfach gut in Geschichte sein. Vielleicht auch, weil Familiengeschichte zu meiner Ausbildung als Hexe gehörte.
»Ich wiederhole mich: Ist das so, Miss Setek?«
Da war aber noch jemand ziemlich angepisst.
»Nein«, murmelte ich und senkte den Kopf.
»Miss Setek und Miss Denaux, ihr beide werdet heute nachsitzen.«
***
Auch beim Mittagessen wurde meine Laune nicht besser. Dabei war das Essen in unserer Cafeteria eigentlich ganz genießbar. Heute gab es für mich als Vegetarierin Nudeln mit Tomatensauce, Vanillepudding und Fruchtsaft. Aber das heiterte mich nicht wirklich auf.
»Hallo«, knurrte ich den anderen missmutig zu und knallte mein Tablett mit Essen auf den Tisch.
»Oh, da hat aber jemand einen schlechten Tag!«, zwitscherte Penelope mit ihrer zuckersüßen Honigstimme, die einen Mann um den Verstand bringen konnte, mich aber momentan nur gewaltig nervte. »Was ist denn los, Süße?«
Ich hatte keine Lust zu antworten, sondern massakrierte mit dem Löffel lieber den unschuldigen Pudding.
Als wären die Sache mit Noah und das Nachsitzen nicht schon schlimm genug, durfte ich auch noch erfahren, was wir als Nächstes in Geschichte durchnehmen würden: die Hexen von Salem.
Sofort waren alle Augen zu mir gewandert – gut, ein paar auch zu Vivienne. Dabei war ich mit den Salem-Hexen nicht einmal ansatzweise verwandt. Sie waren irgendwelche alteingesessenen Hexen aus England gewesen, während meine Familie Priesterämter in Ägypten innegehabt hatte, bevor sie sich nach der Eroberung der Römer bis zur Neuzeit weitgehend versteckt hielt, weil man sie sonst auf den Scheiterhaufen geworfen hätte. Schließlich waren meine Vorfahren dann mit den spanischen Pionieren in die Neue Welt übergesiedelt. So die Grobfassung, die ich bis jetzt gelernt hatte.
Oh, ihr unbarmherzigen Götter! Noch mehr zum Lernen. Als wären die ganzen übrigen Kurse an der Highschool nicht schon schlimm genug!
»May?«, drang eine männliche Stimme an mein Ohr und ein allzu bekannter Duft stieg mir in die Nase.
Ephraim nahm neben mir Platz.
»Willst du meinen Körper, Ephraim?«, fragte ich meinen besten Freund, der zufällig auch mein Ex war. »Du kannst ihn gerne für ein paar Tage ausleihen. Wirklich. Ich hätte gerne mal eine Auszeit von all dem hier.«
Und ich hatte keine Lust aufs Nachsitzen.
Und ich hatte noch weniger Lust auf ein paar Stunden Unterricht in Hexerei danach.
Meine Ausbildung wurde immer härter, denn es würde nicht einmal mehr ein Jahr dauern, bis ich im Vollbesitz all meiner Kräfte wäre.
»Ähm, ja. Vielen Dank, May, aber ich mag diesen Körper sehr. Nicht nur, weil er sich mir anpasst, sondern weil es … Ähm ja … Wir beide … Ich weiß von deinem Körper Sachen … – O Hölle, ich sollte wohl besser den Mund halten …«
Ich wurde schon wieder knallrot. Das meinte ich mit den Peinlichkeiten, die sich nach unserer Trennung ab und an ergaben. Plötzlich war so manches unangenehm zweideutig.
»Wenn ihr miteinander geschlafen hättet, dann wäre es für euch sicherlich nicht so peinlich. Glaubt mir, ihr wärt viel lockerer!«
»Penelope!«, zischte ich sie an. »Das ist wieder einmal nicht hilfreich.« Nie im Leben würde ich in Liebesdingen auf den Rat eines beinahe einhundertfünfzig Jahre alten Sukkubus hören.
»Dämonen können nur von Menschen Besitz ergreifen und dann nicht einmal von jedem«, mischte sich auch noch das andere männliche Exemplar am Tisch, Eric, ein. »Lernt ihr Hexen heutzutage gar nichts mehr?«
Ich schenkte ihm nur noch einen verachtenden Blick. Sich mit ihm zu streiten, brachte absolut nichts.
Seit zwei Jahren lebte Eric jetzt hier und dauernd hatte er irgendetwas zu meckern. – Okay, es war für einen Vampir zweifellos eine Tortur, hier zu leben, aber es gab sicher einen Grund, warum der Rat ihn an diesen Ort geschickt hatte. Es war entweder eine Bestrafung oder eine Kontrollmaßnahme – ähnlich wie bei meiner Mom.
Ich war mir ziemlich sicher, dass Eric irgendetwas Schlimmes verbrochen haben musste, und das nicht ohne Grund: Als meine Mom und meine Tante mal etwas beschwipst waren – was für Hexen ein paar Flaschen Wein bedeutete –, hatte ich belauscht, wie Mom über ihn geredet hatte. Er stammte aus Deutschland, Frankreich oder Schweden, auf jeden Fall aus Europa, und war damals im 15. Jahrhundert – wie so viele andere – zu irgendeinem Kreuzzug aufgebrochen. Noch als Mensch, versteht sich. Wahrscheinlich wollte er, so reimte ich es mir insgeheim zusammen, nur schnellstmöglich vor seinen Schulden und seiner schwangeren Geliebten fliehen. Niedere Beweggründe also.
Bei dieser ganzen Kreuzzugsache war er dann aber von einem Vampir in sein Nest verschleppt und wohl auch verwandelt worden. Nur blöd, dass er mit seinem Babyface wie sechzehn, maximal siebzehn aussah und er deshalb nach den Regeln des Rates die Schulbank drücken musste, wenn er Schutz von uns Hexen und ab und zu etwas Menschenblut abhaben wollte.
Jahaaa: Integration war das A und O für uns Übernatürliche – um mal ganz spießig wie meine Grandma zu klingen.
»Also, da ihr alle wissen wollt, was unsere liebe May heute hat: May kam wieder mal nicht aus dem Bett«, begann Viv zu erzählen. »Dann habe ich sie mit Albert aufgeweckt. Wegen dieses ganzen Theaters waren wir allerdings viel zu spät dran. Und vor der Schule hat Noah Simons ihr dann einen Lacrosse-Ball mitten ins Gesicht geknallt. May hat sich mit Magie gerächt, aber wir haben natürlich den Unterrichtsbeginn verpasst und dürfen deswegen heute Nachmittag nachsitzen. Ende! – Ah, fast vergessen: Wisst ihr schon, dass Noah sich von Larissa getrennt hat?«
Eric stöhnte genervt und murmelte ein paar Schimpfwörter in einer fremden Sprache.
»Wer?«, fragte Ephraim und richtete seine Brille.
Das mochte ich so an ihm. Während Viv meist ein bisschen überdreht war und Klatsch liebte, war Ephraim ruhiger und interessierte sich nicht wirklich für das Leben an der Highschool.
Er wirkte einfach bodenständiger als Viv und ab und zu brauchte ich das. Ein bisschen »Normalität« war schließlich nie verkehrt.
»Und Noah Simons ist nun wieder Single, ja?« Penelope sprang so schnell von der Bank auf, dass sich Eric erschreckte. Sie zückte einen Spiegel und überprüfte ihr Make-up, ein wirklich sinnloses Unterfangen. Als Sukkubus wirkte sie auf das andere Geschlecht so oder so unwiderstehlich. Sie hatte hüftlange blonde Haare, die schon beinahe golden schimmerten, und mohnblaue Augen. Dazu kam dieser beneidenswerte cremeweiße Teint ohne irgendwelche Unreinheiten. Und die von Natur – die Natur von Sexualdämonen – aus langen Wimpern. Ihre Figur war auch perfekt …
Ja, ich war neidisch auf ihr Aussehen, aber das war einfach so. Die Männer fanden Sukkuben anziehend, die Frauen waren eifersüchtig auf ihre Schönheit.
»Da probiere ich doch gleich mal mein Glück, oder?«
Sie klimperte mit den Augen und berührte den herzförmigen Anhänger an ihrem Hals.
»Muss das sein?«, fragte ich.
»Liebste May, ich hatte seit einer Woche kein Date mehr und ich brauche bald eines, da ich sonst verhungere. Und wenn du nicht die Schuld dafür bekommen willst, dann musst du mich jetzt ziehen lassen.«
»Date« hieß in ihrem Falle natürlich Sex.
Penelope hatte den Ruf als Schulschlampe nicht ohne Grund inne. Aber sie musste es tun, schlicht und ergreifend, um zu überleben. Zudem suchte sie sich aus Prinzip nur die Jungs aus, die fit waren, damit sie genug Energie saugen konnte. Die Herzkette um ihren Hals war von Hexen gefertigt worden und verhinderte, dass sie bei ihren Eroberungen zu viel »entnahm«.
Alles in allem war Penelope also ein guter Schützling und darum sagte ich auch nur »Wenn es denn sein muss« zu ihr.
Mit einem siegessicheren Lächeln auf den pinken Lippen hopste sie – ja, sie hopste – an mir vorbei in Richtung Noah. Zum Glück saß ich mit dem Rücken zu ihm.
»Hallo, meine amerikanischen Freunde!«
Wie ein Blitz – im wahrsten Sinne des Wortes – schlug Ingrid ein. Die Bank gab eindeutig nach, als sie sich zwischen Ephraim und mich quetschte.
Laut schmatzend machte sie sich über ihr Essen her.
»Hallo … Ingrid«, sagte ich gut zwei Minuten später, als mein Gehirn ihr Eintreffen verarbeitet hatte. »Du bist ganz schön spät dran.«
Ingrid aß nicht immer mit uns. Sie war wie die meisten Walküren eine typische Einzelgängerin und genoss ihr Auslandssemester in Amerika in vollen Zügen. Das hieß auch, dass sie oft die Schule schwänzte.
»Bin noch in eine Schlägerei geraten«, sagte sie und zuckte ungerührt mit den Schultern. »Konnte einfach nicht daran vorbeigehen.«
Sie drehte sich mit einem Lächeln zu mir. »Sehe ich noch schlimm aus?«
Na, was hieß schon schlimm? Sie hatte einen leichten Bluterguss um ihr linkes Auge, der aber bereits abheilte. Zudem war ihre Lippe ein bisschen aufgeplatzt.
»Nicht wirklich«, antwortete ich gutmütig.
Ich hatte sie tatsächlich schon in weitaus schlimmerer Verfassung gesehen. In der ersten Woche ihres Aufenthaltes hier war sie in eine Schlägerei von Betrunkenen geraten und hatte dabei unter anderem drei ihrer Zähne eingebüßt.
Vivs Mutter hatte ihr eine besondere Kräutermixtur herstellen müssen, damit diese schnell wieder nachwuchsen, denn Nichtmenschen konnten nicht einfach mal eben zum Arzt gehen.
Dabei wirkte Ingrid auf den ersten Blick sogar ziemlich menschlich, hatte aber – wenn man mal von den langen, stahlharten Fingernägeln absah schon in jungen Jahren gewisse Selbstheilungskräfte. Wie die anderen und ich auch.
»Gut!« Sie fuhr sich mit den Fingern durch das weißblonde Haar, das ganz verfilzt war. Ein paar Kieselsteine und Grashalme rieselten auf den Tisch und auf die Bank. »Die Kerle sehen aber viiiiiiel schlimmer aus.« Nachdem sie den ersten Teller Nudeln verschlungen hatte, machte sie gleich mit dem zweiten weiter.
»Du musst also heute auch nachsitzen?«, fragte Vivienne sie.
»Hm? – Ach! Nein! Das waren irgendwelche Idioten, die sich an einer Straßenkreuzung wegen eines kleinen Autounfalls geprügelt haben. Ich dachte, ich steige gleich mit ein.«
»Das ist doch die Höhe!« Fluchend kam Penelope zurück. »Hey, Ingrid.«
»Tagchen, Penny!«
Ohne etwas zu sagen, stand Eric auf und marschierte aus der Cafeteria. – Na endlich! Er war und blieb ein Arsch.
»Stellt euch vor, Noah hat mich gerade abblitzen lassen!«, regte sich Penelope auf. »Mich! Einen Sukkubus! Merkt man mir langsam mein wahres Alter an?« Sie seufzte theatralisch.
Von Menschen in Übernatürliche Gewandelte wie Penelope alterten ihr ganzes Leben lang nicht mehr.
»Du siehst wie immer aus. Wie siebzehn«, beruhigte Viv sie.
»Ich glaube, der Kerl hängt immer noch ein bisschen an Larissa«, mutmaßte Penelope und stibitzte Ingrid ein Stück Apfel von ihrem Obstsalat. »Aber ich muss sagen, dass ich das total süß finde. Schlecht für mich, aber es ist echt süß.«
Endlich bekam auch ich eine Gabel voll Nudeln hinunter. »Noah Simons ist nicht süß!«, entgegnete ich noch kauend.
»Wir wissen, dass du nicht auf Menschen stehst, May«, sagte Penelope. »Außer sie sind bereits zwanzig Jahre tot und waren Sänger bei Nirvana, aber Noah Simons ist wirklich kein schlechter Vertreter seiner Art.«
Ich zog es vor, vieldeutig zu schweigen.
Himmel, ich war ein Teenie! Was wusste ich, auf wen ich wirklich stand? Ich hatte bis jetzt erst mit einem Kerl rumgemacht und der war für ganze zwei Monate mein Freund gewesen …
Hexen hatten in der Liebe ohnehin schlechte Karten: Die meisten kamen mit Menschen zusammen, denn nur so waren die Kinder zu einhundert Prozent weibliche Hexen. Menschen alterten aber viel schneller als wir und starben dann auch viel früher. Ein Teufelskreis! Als lang lebende Hexe konnte man sich also nicht »auf ewig« an einen Mann binden.
Beziehungen zu anderen Übernatürlichen wurden verpönt, denn wenn ein Mischblut aus dieser Verbindung entstand, wurde es mit Geringschätzung vom Rat behandelt. Mischblüter – wie meine eigene Mutter – waren beinahe rechtlos.
Ich konnte praktisch nur männerlos enden wie meine Gran, meine Mutter und meine Tante.
Was für rosige Aussichten für mein noch so junges Alter!
***
»Freust du dich schon aufs Nachsitzen?«, fragte Ephraim mit einem sarkastischen Grinsen in seinem gutaussehenden Gesicht. Wir schlenderten gerade langsam den Schulflur entlang, Viv war kurz in Richtung Toilette verschwunden.
Wollte er mir vollends den Tag versauen?
»Natürlich, Ephraim!«, schrie ich schon fast. »Zwei Stunden in einem Abstellraum hocken und die Uhr anstarren. Ich bin mir sicher, dass sich dort drinnen ein Wurmloch befindet und die Zeit um ein Vielfaches langsamer verläuft.«
Mein bester Freund hatte noch nie in seinem Leben nachsitzen müssen. Er war ein ausgezeichneter Schüler mit tadellosem Benehmen, guten Noten und bewundernswerter Pünktlichkeit.
Ja, Dämonen waren eben nicht nur böse Geister, die einen dazu brachten, den Kopf um dreihundertsechzig Grad zu drehen, zu fluchen und in zahlreichen Sprachen zu reden. Genau genommen hatten Ephraim und sein jüngerer Bruder noch nie einen anderen Körper besessen als den, in dem sie jetzt herumspazierten.
Richtig kompliziert allerdings war die Sache mit Dämonen und ihrer Fortpflanzung – ich hatte es lernen müssen. Meine Gran hatte mir die Lektion reingedrückt, kurz nachdem sie erfahren hatte, dass ich mit Ephraim zusammen war.
Wenn eine Dämonenfrau und ein Dämonenmann sich ganz lieb hatten – oder wenn nur einer der beiden ein Dämon war –, dann konnte die Frau natürlich schwanger werden. Bei der Kombination Dämon/Mensch wurde das Kind entweder »normal« geboren, was hieß, es war ein Mensch, oder schon als Dämon.
Gesellte sich Dämon zu Dämon, brauchte man den Körper eines kurz zuvor verstorbenen Babys oder eines, das wohl nicht lange überleben würde – so die »legale« Art. Man konnte natürlich auch ein gesundes Kind nehmen, aber das war strengstens verboten. Der neugeborene Dämon – ein kleines schwarzes Wesen mit Hörnern, Klauen und Schwanz – schlüpfte dann in den Körper des Babys. Dieser passte sich dem Geistkörper des Dämons an. Somit konnte er mitwachsen und zeigte nicht so unsinnige Ausfallerscheinungen, wie man sie aus Horrorfilmen kannte.
Ich erschauerte ein bisschen. Wie war ich bitteschön wieder hierhin abgeschweift? Vielleicht hatte ich ja doch eine hexenartige Form von ADHS …
Ephraim stupste mit seinem Zeigefinger gegen meine Stirn. »Erde an May.«
»Ich … Ich war gerade wieder mal mit den Gedanken woanders«, murmelte ich und schüttelte den Kopf, um mir ja nicht Ephraim als Baby-Dämon vorzustellen.
Als ich gerade etwas über die letzte Stunde in Kunst, eines der wenigen Fächer, die ich zusammen mit Ephraim hatte, sagen wollte, flog er mir praktisch entgegen. Seine Brille rutschte von der Nase und landete auf dem Boden.
»Pass auf, wo du rumstehst, Freak.«
Ich knurrte leise.
Niemand anderes als Larissa, Noahs Ex und Anführerin der Cheerleader-Zicken, hatte Ephraim das angetan.
Als sie mich sah, verzog sie abschätzig die Lippen. »Deine kleine Freundin ist ja auch hier. – Ah! Ich habe ganz vergessen, dass ihr nicht mehr zusammen seid.« Sie tippte sich mit einem Finger gegen ihre Stirn. »Ist auch besser so. Eure Beziehung war ja wirklich armselig.«
»Hau einfach ab, Larissa!«, zischte ich sie wütend an.
Mein Blick wanderte zu Ephraim.
Er war wie erstarrt. Seine Fingernägel wurden schon ganz schwarz und immer spitzer. Wenn er sich nun vollends verwandeln würde, wäre das meine Schuld. Ich musste darauf aufpassen, dass sich von meinen Schützlingen niemand den Menschen offenbarte.
Doch Larissa wollte sich glücklicherweise nicht länger mit uns abgeben. »Bye, ihr Loser!«
Als Noahs Ex an mir vorbeimarschierte, warf sie ihre rot gefärbten Haare nach hinten und ließ so ein tussiges – falls es das Adjektiv überhaupt gab – Schnauben hören. Aber mir war Larissa egal. Sollte sie sich doch aufführen, wie sie wollte. Für sie war mir selbst ein kleiner Rachezauber zu schade. Meine Schützlinge waren wichtiger, als Menschen zu bestrafen, die nicht wussten, was sie taten.
Okay, okay … Ich hatte Larissa schon mal Herpes angehext und meine Gran und Tante Harmony waren total durchgedreht, als sie es durch einen Verplapperer von Viv erfahren hatten. Nur meine Mom hatte es ganz amüsant gefunden.
Ich drehte mich zu Ephraim. »Geht es dir gut?«, fragte ich ihn vorsichtig.
Er lehnte an einem Spind, die Augen fest zugekniffen, und atmete gleichmäßig ein und aus. Als erst vor kurzem erwachsen gewordener Dämon konnte ihn faktisch jede Kleinigkeit wütend machen und Wut führte unweigerlich zur Verwandlung.
Schnell setzte ich ihm die Brille wieder auf. Sie war mit einem Zauber belegt, der seine Verwandlung stoppen beziehungsweise gar nicht erst auslösen sollte.
»Jetzt wieder«, presste er beinahe atemlos hervor und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Ich hasse es, wenn das passiert!«
»Hey«, flüsterte ich mit sanfter Stimme und legte eine Hand auf seine Schulter. »Es ist doch gar nichts geschehen.«
Doch Ephraim machte einen Schritt zurück und senkte den Kopf. »Ich sollte besser nach Hause gehen. Bye, May.«
»Warte …«
Aber Ephraim hatte sich schon umgedreht und schritt auf den Ausgang zu.
Irgendwie konnte ich ja verstehen, dass er seine Dämonenseite nicht mochte. Bis in die Spätpubertät hinein waren Dämonen fast menschlich. Sie besaßen keine besonderen Fähigkeiten wie Hexen, geschweige denn schon körperliche Merkmale wie die spitzen Reißzähne der Vampire. So konnte man sich sehr gut daran gewöhnen, ein »Mensch« zu sein.
In dem Moment hörte ich Viv auf ihren hohen Stiefeln herbeistöckeln.
»Bäh«, sagte sie. »Bäh. Das ist einfach nur bäh. Bäh, bäh, bäh!