Cover

Autorin

Jamie Shaw, geboren und aufgewachsen in South Central Pennsylvania, erwarb einen Master-Abschluss in Professionellem Schreiben an der Townson University, bevor ihr klar wurde, dass die kreative Seite des Schreibens ihre wahre Berufung ist. Sie ist eine treue Anhängerin von White Chocolate Mocha, eine entschiedene Verfechterin von Emo-Musik und ein leidenschaftlicher Fan von allem, was romantisch ist. Sie meisten aber liebt sie den Austausch mit ihren Leserinnen.

Die The-Last-Ones-to-Know-Reihe

Band 1 und 2

Band 1: Rock my Heart

Feiern, tanzen – einfach Spaß haben! Das ist der Plan von Rowan Michaels und ihrer Freundin Dee, als sie zu einem Konzert der Band The Last Ones to Know in den angesagtesten Club der Stadt gehen. Was Rowan allerdings gründlich die Laune versaut, ist ihr Freund Brady, den sie dort mit einer anderen Frau beim Knutschen sieht. Noch vor Beginn des Konzertes flüchtet sie nach draußen, und trifft dort auf Adam Everest, den absolut heißen, verdammt attraktiven Sänger der Band. Sie lässt sich zu einem Kuss hinreißen – zu einem Kuss, der nicht nur ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen wird …

Band 2: Rock my Body

Als Dee Dawson das erste Mal auf den sexy Gitarristen Joel der Band The Last Ones To Know trifft, weiß sie eines ganz genau: Auch ihn wird sie in kürzester Zeit um den Finger gewickelt haben! Schließlich konnte ihr noch nie ein Mann lange widerstehen. Aber in Joel hat sie ihr Gegenstück gefunden, denn auch er hat den Ruf, nichts anbrennen zu lassen. Zwischen ihnen sprühen sofort die Funken – in jeder Hinsicht, denn beide haben ihren ganz eigenen Kopf und klare Ansichten, was sie von festen Beziehungen halten. Und doch muss sich Dee bald eingestehen, dass sie mehr sein will, als nur Joels Affäre …

Jamie Shaw

Die
The-Last-Ones-
to-Know-Reihe

Band 1 und 2

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Veronika Dünninger

Die Originalausgaben erschienen unter den Titeln
»Mayhem« (2015) und »Riot« (2015) bei Avon Impulse,
an imprint of HarperCollins Publishers, New York.
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Copyright der Originalausgaben © 2015 by Jamie Shaw
Copyright © der deutschsprachigen Ausgaben
»Rock my Heart« 2017 und
»Rock my Body« 2017
by Blanvalet Verlag,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung und -motiv:
Johannes Wiebel | punchdesign,
unter Verwendung von Motiven
von Shutterstock.com
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-23766-0
V002
www.blanvalet.de

Jamie Shaw

Rock
my Heart

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Veronika Dünninger

Für jede Leserin, die sich in Adam verliebt.

1

»Ich kann nicht glauben, dass ich mich von dir dazu habe überreden lassen!« Ich zupfe an dem schwarzen Saum des Nylon-Stretchrocks herum, in den mich meine beste Freundin gezwängt hat, aber es nützt alles nichts – es sei denn, ich will anstatt der Haut meiner Oberschenkel den Bund meines Slips zeigen. Ich werfe noch einen beklommenen Blick auf die lange Schlange von Leuten hinter mir auf dem Gehweg, dann schiele ich wieder auf den von der Sonne erwärmten Stoff zwischen meinen Fingerspitzen und knurre: »Du hättest mich wenigstens ein Paar Leggings drunterziehen lassen können.«

Dee lacht nur und zieht meine Hände vom Rock weg. »Hör auf zu meckern, Ro. Du wirst mir dankbar sein, wenn wir alt und grau sind und du auf diesen Abend zurückblickst und begreifst, dass du einmal, wenigstens einmal« – sie fuchtelt mir mit dem Zeigefinger vor der Nase herum, um diese einsame Zahl zu unterstreichen – »mal allen gezeigt hast, was du hast, bevor dein kleiner heißer Körper ganz alt und schlaff wurde.«

»Ich sehe lächerlich aus«, jammere ich, schiebe ihren Finger beiseite und verdrehe die Augen, um noch eins draufzusetzen. Ich sehe aus, als hätte Dees Kleiderschrank zu viel getrunken und sich auf mir übergeben. Irgendwie hat sie mich dazu gebracht, diesen Minirock anzuziehen – den hauteng nicht einmal annähernd beschreibt –, dazu ein knallrosa Top, das mehr Dekolleté zeigt, als gesetzlich erlaubt sein sollte. Der Ausschnitt endet knapp über meinem Bauchnabel, und zwischen dem Top und dem oberen Rand meines Rocks blitzt ein blasser Streifen Haut hervor. Der knallrosa Stoff passt perfekt zu den mörderisch angesagten High Heels.

Mörderisch im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ich weiß einfach, dass ich damit auf die Schnauze fallen und sterben werde.

Ich fummele wieder an dem Rock herum, als einer der Typen in der Schlange hinter uns sich zu mir nach vorne beugt, mit einem idiotischen Grinsen im Gesicht. »Ich finde, du siehst heiß aus.«

Natürlich findet er, dass ich heiß aussehe – ich sehe aus wie eine verdammte Prostituierte!

»Ich habe einen Freund«, entgegne ich und ignoriere Dees spöttisches Lachen.

»Was sie eigentlich sagen wollte, war: Danke«, feuert sie zurück und wirft mir einen tadelnden Blick zu.

Der Typ grinst uns arrogant an. Er trägt ein entsetzlich eng anliegendes T-Shirt mit Grafik-Print und einem metallic-glänzenden Schriftzug, der genauso gut Schwachkopf lauten könnte, und selbst Dee verzieht unwillkürlich das Gesicht, bevor wir uns beide abwenden.

Wir sind die Ersten in der Schlange, die für das Konzert heute Abend ansteht. Wir warten vor dem Eingang zum Mayhem, unter dem orangeroten Schimmer einer untergehenden Sommersonne. Dee freut sich seit Wochen auf diesen Abend, und ich war sogar noch aufgeregter als sie gewesen – bis mein Freund, mit dem ich seit drei Jahren zusammen bin, absprang.

»Brady ist ein Idiot«, sagt sie jetzt, und ich seufze nur.

Ich wünschte, die beiden würden miteinander auskommen. Deandra und ich sind seit dem Kindergarten beste Freundinnen, und Brady und ich gehen seit meinem zweiten Jahr auf der Highschool miteinander. Vor zwei Monaten sind wir zusammengezogen.

»Er sollte hier sein, um zu bewundern, wie umwerfend du heute Abend aussiehst, aber neeeiiin, für ihn kommt ja immer die Arbeit an erster Stelle.«

»Er ist den ganzen weiten Weg hierhergezogen, um mit mir zusammen zu sein, Dee. Sei nicht so hart zu ihm, okay?«

Sie grummelt vor sich hin, bis sie mich dabei ertappt, wie ich zum x-ten Mal an diesem Abend meine Augenlider betaste. Sie schlägt meine Hand beiseite. »Hör auf, daran herumzufummeln!«, befiehlt sie mir. »Du verschmierst nur alles.«

Ich starre auf meine verfärbten Fingerspitzen und reibe sie aneinander. »Sag mir die Wahrheit«, sage ich, während ich das verklumpte Puder wegschnippe. »Sehe ich aus wie ein Clown?«

»Du siehst absolut heiß aus«, versichert sie mir mit einem Lächeln. »Wenn ich lesbisch wäre, müsstest du dich vorsehen!«

Ich lache, bis der Schwachkopf sich wieder vorbeugt und sich mit seiner riesigen Hakennase zwischen uns drängt.

»Lass dich davon nicht aufhalten.«

Wir beide funkeln ihn so scharf an, dass er prompt einen Schritt nach hinten stolpert, und auf einmal scheinen seine unerträglich roten Sneakers das Faszinierendste zu sein, was er je gesehen hat. Dee und ich drehen uns wieder um, tauschen einen Blick und versuchen uns das Lachen zu verbeißen. Sie schubst mich scherzhaft mit dem Ellbogen, und ich kichere und knuffe zurück.

Gerade als ich das Gefühl habe, endlich ein bisschen lockerer zu werden, spaziert ein Typ an uns vorbei und macht Anstalten, sich vorzudrängeln. Er trägt eine Sonnenbrille und eine ausgebeulte schwarze Strickmütze, tief in den Nacken geschoben, und schnippt eine Zigarette auf den Boden, und meine Augen werden zu Schlitzen.

Dee und ich warten schon viel zu lange, um zuzulassen, dass sich irgendein selbstgerechter Vollidiot an uns vorbeidrängelt, und als er an die Tür des Klubs klopft, kann ich mich einfach nicht zurückhalten.

»Es ist noch kein Einlass«, sage ich, in der Hoffnung, dass er den Wink versteht. Selbst mit meinen Wolkenkratzer-Absätzen fühle ich mich neben ihm wie ein Zwerg. Er muss mindestens eins fünfundachtzig groß sein, vielleicht noch größer.

Er dreht mir seinen Kopf zu, nimmt die Sonnenbrille ab und grinst, als hätte ich irgendetwas Witziges gesagt. Sein Handgelenk ist mit String- und Gummibändern und einem breiten Lederarmband umwickelt, und drei seiner Fingernägel an jeder Hand sind schwarz lackiert. Aber seine Augen sind es, die mir die Sprache verschlagen: hellgrau mit einem Hauch von Grün. Sie sind atemberaubend.

Als die Tür aufgeht, wendet er sich wieder von mir ab und begrüßt den Türsteher mit Handschlag.

»Du bist spät dran«, sagt der Türsteher, und der Typ schlüpft lachend in den Klub.

Sobald er verschwunden ist, schlägt mir Dee gegen die Schulter. »Oh mein Gott! Weißt du, mit wem du da eben geredet hast?!«

Ich schüttele den Kopf.

»Das war Adam Everest! Er ist der verdammte Leadsänger der Band, für die wir hier anstehen!«

Oh … Gott … Nein. »Du machst Witze …«

Sie schüttelt den Kopf, verbeißt sich das Lachen. »Hast du gesehen, wie er dich angeschaut hat?«

»Als ob ich eine Idiotin wäre!«

Sie umarmt mich und prustet nun doch los.

»Du hättest mir das nicht zufällig sagen können?!«

Dee drückt mich fest an sich. »Er stand genau vor uns! Was hätte ich denn tun sollen?« Sie lacht noch lauter. »Oh, Süße, es tut mir leid! Das war …« Ihr Körper bebt noch immer, als ich spüre, wie sie hinter meinem Rücken eine Hand hebt, um sich eine Träne aus dem Auge zu wischen.

Stöhnend führe ich ihren Satz zu Ende. »… der peinlichste Moment meines Lebens.«

»Ach komm, du hattest schon schlimmere. Viel schlimmere.« Sie löst sich von mir und grinst mich an. »Weißt du noch, als du damals bei David Miller zu Haus …«

»Okay, Dee. Damit wirst du meine Stimmung garantiert nicht aufheitern!«

Sie kichert leise vor sich hin, während sie noch eine Schicht glänzenden rosa Lipgloss aufträgt. Dann schnellt ihre Hand vor, um dasselbe bei mir zu tun. »Wir werden das hier die erste der vielen denkwürdigen Erinnerungen nennen, die wir uns heute Abend schaffen werden.«

»Warum in Gottes Namen sollte ich mich daran erinnern wollen?«, frage ich und verziehe den Mund.

»Weil du mit Adam Everest geredet hast!«

Eine leise Stimme erklingt hinter mir: »Deine Freundin hat recht«, sagt das Mädchen und nickt zustimmend. »Und er hat dich genau angesehen. Er hat dich angelächelt

»Ist er nicht hinreißend?«, fragt Dee, die nie eine Gelegenheit auslässt, von Jungs zu schwärmen. Sie und das Mädchen hinter uns fangen an, über Adam zu plaudern, während ich mich in meinen Gedanken verliere.

Ich habe eben mit einem Rockstar geredet, einem verdammten Rockstar. Zugegeben, ich hatte keine Ahnung, wer er war, aber zum Teufel, er sah auf jeden Fall wie einer aus. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, was würde ich jetzt zu ihm sagen? Vermutlich nichts, und dann hätte ich dieses Lächeln und diese Augen nie gesehen …

»Du bist ja ganz rot im Gesicht«, stellt Dee fest und holt mich ins Hier und Jetzt zurück.

»Es ist heiß hier draußen«, lüge ich.

»Du bist praktisch nackt, und so warm ist es nun auch wieder nicht.« Sie verzieht die Lippen zu einem wissenden Grinsen, was mich nur noch mehr erröten lässt.

Ich bin gerettet, als die Tür zum Mayhem aufgeht, und ich stolpere fast über meine eigenen Füße, um möglichst schnell hineinzugelangen. Ich habe einen Freund, und auch wenn ich mir sicher bin, dass ich nie wieder ein Wort mit Adam wechseln werde, sollte ich wirklich damit aufhören, diese Begegnung gedanklich immer wieder durchzuspielen und mir zu wünschen, ich hätte mich anders verhalten.

Im trüben Nebel des Klubs wirft ein Türsteher einen kurzen Blick auf unsere gefälschten Ausweise und drückt uns einen Stempel auf die Handgelenke, dann zieht mich Dee auch schon an die Bar.

Sie gibt dem Barkeeper mit zwei erhobenen Fingern ein Zeichen und bestellt uns zwei Dirty Girl Scouts. Sie hat die Hand noch nicht wieder sinken lassen, als sich bereits irgendein Kerl von der Seite an sie heranmacht und uns mit seinem Eau de Cologne zu ersticken droht.

»Ihr seht ein bisschen zu …« Er inspiziert uns übertrieben gründlich, und ich fühle mich noch spärlicher bekleidet, als ich ohnehin schon bin. »… reif aus, um Pfadfinderinnen zu sein, aber einem so hübschen Mädchen wie dir werde ich alles glauben, was sie mir erzählt.« Die. Plumpeste. Anmache. Aller. Zeiten. Er hat ein schleimiges Grinsen aufgesetzt. »Wozu darf ich die Damen einladen?«

Dee dreht sich zu mir um und haucht »Ach was soll’s«, daher sage ich auch nicht Nein. Und voilà, kostenlose Drinks. Der Schleimbeutel, dessen Name offenbar Vinnie ist, übernimmt die erste Runde, und irgendein Typ namens … na ja, ich habe keine Ahnung, wie zum Teufel er heißt … zahlt die zweite, und dann zerrt mich Dee auf die überfüllte Tanzfläche.

Zur Einstimmung auf das Konzert dröhnt im Klub laute Housemusic, was Dees aufgedrehte Stimmung nur noch verstärkt. Ich lache, während sie, die Hände auf meinen Schultern, vor mir herumhüpft.

Sie sieht wie immer unglaublich aus. Sie trägt einen blauen Minirock mit Rüschen und ein supertief ausgeschnittenes weißes Top. Es ist rückenfrei und bringt die goldene Bräune zur Geltung, an der sie den ganzen Sommer über gearbeitet hat. Ihre langen schokoladenbraunen Locken wippen im Rhythmus der Musik hin und her.

Irgendwann gebe ich mich geschlagen, gehe tief in die Hocke und komme dann mit dem Hintern voran wieder hoch wie eine verdammte Stripperin. Dee lacht und wirbelt mit den Händen durch die Luft, und dann lassen wir uns beide einfach fallen, lassen uns treiben, vom Alkohol, der durch unser Blut schießt, und der Musik, die unter unseren Füßen vibriert.

Spätestens beim dritten Song kleben meine dichten blonden Locken in meinem Nacken. Ich werfe sie zurück, während Dee sich bückt und ihren Hintern an meinen Schenkeln reibt. Wir lachen beide so sehr, dass ich mich wundere, dass wir noch nicht umgekippt sind. Meine Seiten schmerzen von dem vielen Lachen, als wäre ich aus der Übung.

Als ich spüre, wie sich eine raue Jeans von hinten an mich presst, schwindet mein Lächeln allerdings. Ich versuche ihr zu entkommen, dränge mich noch enger an Dee, aber die Jeans folgt mir, und auf einmal umklammern fummelnde Hände meine Taille. Die Tanzfläche ist so überfüllt, dass ich mich nicht einmal umdrehen könnte, ohne genau gegen den Widerling hinter mir gedrückt zu werden. Deshalb schreie ich Dee ins Ohr, dass ich mich an die Bar verziehe. Als ich anfange, mir einen Weg durch das Gedränge zu bahnen, ergreift sie meine Hand und folgt mir. Zusammen schlängeln wir uns von der Tanzfläche.

»Was ist los?«, brüllt sie, sobald wir uns aus der überhitzten Menge befreit haben.

»Irgendein Arschloch ist mir zu sehr auf die Pelle gerückt.«

»Verdammt. War er heiß?«

»Ich konnte ihn nicht sehen.«

»Schick ihn das nächste Mal zu mir. Aber nur wenn er niedlich ist.« Sie zwinkert mir zu.

Ich lache und halte mich, immer noch leicht außer Atem, mit den Händen an der Bar fest.

Dee lehnt sich mit dem Rücken dagegen, die Ellbogen auf den Tresen gestützt, und streckt, so lässig provozierend wie möglich, die Brust raus. Es klappt wie am Schnürchen, denn binnen weniger Sekunden stehen zwei Typen vor ihr.

»Ihr zwei habt da draußen auf der Tanzfläche toll ausgesehen.«

Ich kehre ihnen den Rücken zu, ich bin nicht interessiert. Als sie uns zum Tanzen auffordern, streckt Dee einen Arm aus und schnappt sich meine Hand. Ich drehe mich um und lächele die Typen entschuldigend an. »Ich habe einen Freund.«

»Na und?«, erwidert Dee. »Biiitte, Ro? Nur ein Lied!«

»Geh du nur.« Ich schubse sie sanft in Richtung Tanzfläche.

»Bist du sicher?«

»Ja, geh schon. Ich bleibe hier. Ich brauche eine Pause.«

Sie zieht ihre perfekt geformten Augenbrauen hoch. »Ich bleibe, wenn du willst …«

Ich weiß, dass sie es tun würde, aber ich scheuche sie trotzdem weg. »Geh!«

Sie lacht, und ihre braunen Augen funkeln vor Begeisterung. »Okay, ich bin bald wieder da!«

Beide Jungen folgen ihr wie zwei Hündchen, und ich lächele im Stillen, da ich weiß, dass die zwei ihr bereits jetzt aus der Hand fressen.

Nachdem ich Dee aus den Augen verloren habe, krame ich mein Handy aus meiner Clutch und stelle seufzend fest, dass ich keine entgangenen Anrufe von Brady habe. Es ist schon nach zehn, und ich wünschte, er hätte angerufen, um mir gute Nacht zu sagen. Aber vermutlich wusste er, dass es hier drinnen sowieso zu laut zum Telefonieren gewesen wäre, und außerdem war er wahrscheinlich nach dem langen Arbeitstag zu erschöpft.

Er ist wieder einmal übers Wochenende nicht in der Stadt, ist wieder einmal bei einem Auswärtsjob für die Werbeagentur seines Onkels, und ich bin es inzwischen gewohnt, neben dem Telefon zu sitzen und zu warten. Gleich nach seinem Abschluss ist er in die Firma eingetreten, als ich noch im zweiten Jahr auf der Highschool war. Geschäftsreisen zu irgendwelchen Kunden sind schon immer ein wichtiger Teil des Jobs gewesen. Trotzdem, in letzter Zeit werden diese Reisen immer häufiger, und sie kommen mir inzwischen weitaus länger vor, als sie tatsächlich sind.

Meine Finger tippen rasch eine SMS.

Vermisse dich. Habe super viel Spaß, aber wünschte, du wärst hier! Hoffe, dein Tag war nicht zu hart. Kann es kaum erwarten, dich morgen zu sehen! Ich liebe dich.

Ich stecke das Handy wieder ein und drehe mich um. Ich muss lachen, als ich Dee in der Menge ausmache, eingeklemmt zwischen ihren beiden Klub-Gorillas, die ihr mit Haut und Haaren verfallen zu sein scheinen.

Sie sieht fantastisch aus, und sie weiß es. Auf der Highschool war sie zwar nicht bei den Cheerleadern, ging aber mit fast allen Jungs aus dem Footballteam. Die meisten anderen Mädchen hassten sie, was ihr aber völlig egal war, ebenso wie mir. Sie hatte einen schlechten Ruf, und das auch zu Recht, aber sie versuchte nie, irgendetwas zu sein, was sie nicht war. Sie ist echt, und dafür liebe ich sie.

Als an der Bar ein Hocker frei wird, stürze ich mich sofort darauf. Mein Glas ist längst leer, daher zücke ich mein hauchdünnes Portemonnaie und gebe dem Barkeeper ein Zeichen. Ich bestelle mir noch einen Wodka Cranberry und krame gerade mein Geld hervor, um zu zahlen, als sich eine schwere Hand auf meine legt.

»Eine heiße Braut wie du sollte ihren Drink niemals selbst bezahlen müssen.« Mit der anderen Hand schiebt der Typ dem Barkeeper eine Kreditkarte zu.

Seufzend blicke ich zu ihm auf und schaue in tief liegende, gewöhnliche braune Augen in einem dümmlichen Gesicht.

»Ich habe einen Freund«, sage ich, bemüht, nicht unhöflich zu klingen, obwohl ich ziemlich genervt bin. So oft, wie ich diesen Satz heute Abend wiederholen muss, wäre es leichter gewesen, mir die Worte auf die Stirn tätowieren zu lassen.

»Ist er hier?«

»Nein …«

»Dann ist er ein Idiot. Tanz mit mir.« Der Typ schnappt sich meinen Drink und versucht mich dann von meinem Barhocker zu ziehen.

»Nein, danke.«

»Ach komm schon«, beharrt er, ohne aufzuhören, an meiner Hand zu zerren. »Lass mich nicht betteln müssen.«

»Tut mir leid.« Ich entziehe ihm meine Hand und lehne mich wieder auf meinem Hocker zurück.

»Warum zum Teufel kommst du denn dann so aufgebrezelt hierher, wenn du die Männer sowieso nur scharf machen willst?«, faucht er, aber ich ignoriere ihn komplett und winke wieder dem Barkeeper zu.

Als der Idiot mich Schlampe nennt und – mit meinem Drink – verschwindet, verdrehe ich die Augen und bestelle mir einen neuen. Schnell zahle ich ihn selbst, bevor noch irgendwelche anderen Arschlöcher die Gelegenheit haben, sich einzumischen. Wenn ich eine Schlampe bin, dann war Mutter Teresa auch eine, denn in der Hinsicht könnte ich genauso gut sie sein.

Bradys Vater ist Pastor, daher hat Brady für uns beide die Entscheidung getroffen, dass wir bis zur Hochzeit warten werden – wann immer das sein wird. Er hat sich bereit erklärt, mit mir zusammenzuleben, unter der Bedingung, dass wir getrennte Schlafzimmer haben, aber allmählich fällt es mir immer schwerer, mich aufs bloße Fummeln zu beschränken. Ich weiß, ich bin erst achtzehn, aber wir führen schon seit drei Jahren eine feste Beziehung, und jetzt leben wir auch noch zusammen, und, na ja, worauf zum Teufel wartet er denn eigentlich noch?

Während ich an meinem Drink nippe und darauf warte, dass Dee sich müde tanzt, beobachte ich die anderen Gäste. Die Gruppe neben mir an der Bar sieht nach einem Haufen Collegekids aus. Sie scheinen nett zu sein, was mich hoffen lässt, dass ich am Montag wenigstens ein paar neue Freunde finden werde. Daneben steht ein Mädchen, das noch nuttiger angezogen ist als ich, umgeben von drei Typen, die sie alle schamlos anbaggern. Ich frage mich, ob die Jungs befreundet sind, und bin gespannt, welcher von ihnen den kleinen Wettstreit gewinnt, den sie da am Laufen haben. Der mit dem blonden Fake-Iro ist ziemlich niedlich; ich würde auf ihn setzen.

Als er den Blick hebt, ertappt er mich dabei, wie ich ihn anstarre. Er lächelt mich an. Rasch sehe ich weg, bevor er es als Aufforderung versteht und beschließt herüberzukommen.

Neben ihm, den Rücken mir zugewandt, steht ein Typ, der sich mit einem Mädchen mit leuchtend violettem Lidschatten unterhält. Sie ist umwerfend, mit dichten braunen Haaren, die zu einem langen Bob frisiert sind. Sie lacht über irgendetwas, was er sagt, woraufhin er ihr eine Hand auf den Unterarm legt und zärtlich mit dem Daumen darüberstreicht. Mit den Wimpern klimpernd, beugt sie sich leicht zu ihm und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. Ich beobachte die beiden noch immer, als sich der Typ zur Bar umdreht, um etwas zu bestellen.

Und mein Herz zerspringt in eine Million spitzer Scherben.

Brady.

Ich blinzele, glaube im ersten Moment, dass ich meinen Augen nicht trauen kann. Ich kneife sie zusammen und starre dann wieder hinüber. Aber er ist es eindeutig. Was zum Teufel tut er denn hier?

Vielleicht ist er hierhergekommen, um mich zu treffen. Ich wühle nach meinem Handy.

Keine ungelesenen SMS. Keine entgangenen Anrufe.

Ich sehe von ihm zu meinem Handy und wieder zurück. Auf einmal fällt mir wieder ein, dass Dee mir versehentlich erst einen anderen Klub, einen am anderen Ende der Stadt, für das Konzert heute Abend genannt hatte, was ich wiederum genau so an Brady weitergegeben hatte. Also konnte er gar nicht wissen, dass ich im Mayhem sein würde. Den Blick auf das Display geheftet, tippe ich noch eine SMS.

Arbeitest du noch?

Ich sehe zu, wie er sein Handy aus der Hemdtasche zieht, einen Blick darauf wirft und es wieder einsteckt. Das Mädchen, mit dem er hier ist, sagt irgendetwas, und er beugt sich nah zu ihrem Ohr vor und küsst sie dann auf die Wange.

Vielleicht sind sie nur Freunde. Bitte seid nur Freunde!

Ich sehe zu, wie sie lachen und sich unterhalten, wie Brady sich schließlich vorbeugt und sie küsst. Und es ist kein Kuss zwischen Freunden. Er holt zwischendurch nicht einmal Luft, und ich kann mich nicht erinnern, wann er mich das letzte Mal so geküsst hat.

Ohne es richtig zu merken, rutsche ich vom Hocker und stürze davon, um hier rauszukommen, bevor ich mich vor allen Leuten in ein heulendes Häufchen Elend verwandle. Durch den Tränenschleier vor meinen Augen kann ich kaum etwas sehen, als ich mir einen Weg durch die Menge bahne, Leute beiseiteschiebe, die mich anstarren oder mir fluchend ausweichen. Schließlich knalle ich gegen eine große Metalltür und schlüpfe genau in dem Augenblick hindurch, in dem ein Schluchzer meiner Kehle entweicht.

An einem kalten Treppengeländer halte ich mich fest und atme keuchend. Nach Luft schnappend, versuche ich verzweifelt, meine Fassung wiederzugewinnen. Wie konnte er das tun? Wie konnte er?!

Drei Jahre. Drei verdammte Jahre! Er hat mich gebeten, bei ihm einzuziehen! Wir leben zusammen, Herrgott noch mal! Ich habe nichts getan, um das hier zu verdienen. Ich wollte nicht einmal mit diesen absolut netten Typen dort drinnen tanzen!

Da sich meine Knie anfühlen, als würden sie mich gleich im Stich lassen, setze ich mich auf die oberste Betonstufe und schlinge die Arme um meine Beine. Es ist kalt geworden, aber das ist jetzt das geringste meiner Probleme. Was soll ich tun? Ich kann morgen Abend nicht unter einem Dach mit ihm schlafen. Das kann ich nicht. Das kann ich einfach nicht.

Es ist stockfinster bis auf eine einzelne Glühbirne, die über der Tür hängt, und eine schwache Beleuchtung über dem Parkplatz. Käfer schwärmen in dem Lichtstrahl über mir. Unter normalen Umständen würde ich in Panik verfallen, den Viechern so nahe zu sein, da ich allergisch auf so ziemlich alle Insektenbisse reagiere, die die Menschheit kennt, aber im Moment ist mir das egal. Sie können mich bei lebendigem Leib auffressen; und hoffentlich leisten sie ganze Arbeit.

Erst als ich eine Hand hebe, um mir die Tränen von den Wangen zu wischen, wird mir bewusst, dass ich weine. Gott, was soll ich bloß tun? Soll ich wieder reingehen? Soll ich es Dee sagen? Sie wird ihn umbringen.

Ich vergrabe das Gesicht zwischen den Knien und heule richtig los. Schluchzer erschüttern meinen Körper. Ich habe ihn geliebt. Ich habe ihn von ganzem Herzen geliebt. Ich hätte ihm alles für immer gegeben. Meine ganze Zukunft …

Plötzlich geht hinter mir die Tür auf, und ich richte mich schniefend auf und fahre mit zitternden Fingern über meine nassen Wangen. Ich höre das Schnippen eines Feuerzeugs, dann setzt sich jemand neben mich auf die Stufe und pafft eine Zigarette. Als ich einen Seitenblick riskiere, bleibt mir fast die Luft weg.

Er starrt mich an, sein Blick fällt auf meine knallrosa High Heels und arbeitet sich langsam hoch. Dann grinst er. »Ist schon Einlass?«

Adam. Ohne Mütze umrahmen seine dunkelbraunen Haare, die ihm fast bis zum Kinn reichen, sein gut aussehendes Gesicht.

Rasch wende ich den Blick ab, in der Hoffnung, dass er nicht sehen kann, dass ich geweint habe. »Tut mir leid, das vorhin«, sage ich. Und ich höre die heisere Traurigkeit in meiner Stimme, gegen die ich nichts ausrichten kann.

Als er eine Hand ausstreckt und mir meine zerzausten Haare aus den Augen streicht, verkrampfe ich.

»Alles okay?«, fragt er, und ich lache gequält.

Nein, nichts ist okay.

»Alles bestens.«

»Warum hast du dann geweint?«

»Ohne Grund.«

»Du hast dich aufgebrezelt, um vor einem Rockkonzert allein draußen zu sitzen und zu weinen?«

Ich hebe den Blick, um ihm in die Augen zu schauen, und irgendetwas in ihnen lässt mich glauben, dass ihn die Antwort wirklich interessiert. Oder vielleicht ist es auch nur das, was ich sehen will, aber auf einmal muss ich es jemandem sagen. »Mein Freund ist dort drinnen.«

»Und?«

»Mit einem anderen Mädchen. Ich habe ihn eben dabei ertappt, wie er mich betrügt.«

Adam zieht tief an seiner Zigarette, dann nickt er, während er den Rauch wieder ausstößt. »Soll ich ihn fertigmachen?«

Ich lache, und er lächelt zurück. »Würdest du das tun?«

»Wenn du es willst.«

»Warum?«

Er zuckt die Schultern. »Weil ich es angeboten habe.«

»Und warum hast du es angeboten?«

»Wer weiß schon, warum ich irgendetwas tue, was ich tue?« Er starrt mich an, während ich auf eine Antwort warte. »Ich tue es eben.«

Das genügt mir als Erklärung, also schaue ich wieder auf meine Knie und atme zitternd aus. Ich kann nicht glauben, dass ich eben gelacht habe. In einem Augenblick wie diesem hat Adam Everest mich zum Lachen gebracht.

»Jedenfalls, dein Freund ist ein Vollidiot«, sagt er aus heiterem Himmel.

»Woher willst du das wissen?«

Die graugrünen Augen blitzen, als er seinen Blick über mich huschen lässt. »Sieh dich doch an.«

Ich werde feuerrot im Gesicht, obwohl ich weiß, dass er nur versucht, mich aufzumuntern. »Du dachtest, ich wäre eine Idiotin, als du mich das erste Mal gesehen hast.«

Grinsend schüttelt Adam den Kopf. »Ich dachte, du bist süß wie ein Pfirsich.« Seine Lippen halten die Zigarette im Mund, während er aufsteht und mir die Hand hinhält.

Mir stockt das Herz: Adam Everest reicht mir seine Hand!

In einer verwaschenen Denim-Jeans, an den Knien aufgerissen, und einem dazu passenden olivgrünen Button-down-Hemd, das er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hat, sorgt er dafür, dass mein Herz auf eine nichtexistente Ziellinie zurast. »Komm schon, Peach.«

Ich ergreife seine Hand, und er zieht mich hoch und führt mich fort von dem Gebäude. »Wohin gehen wir?«

»Wir besorgen dir einen Drink. Ich glaube, du brauchst jetzt einen.«

»Ich hatte schon ein paar«, denke ich laut, und meine Schritte verlangsamen sich, bis ich schließlich ganz stehen bleibe.

Adam sieht über die Schulter zu mir zurück. Er zieht eine Augenbraue hoch. »Soll das heißen, du willst keinen mehr?«

Ich lasse mir einen Moment Zeit, um über seine Frage nachzudenken.

Nur einen Moment, und dann gehe ich weiter.

2

Während ich neben Adam hergehe, schreibe ich Dee rasch eine SMS, damit sie sich keine Sorgen macht, wenn sie mich an der Bar nicht findet.

Ich schnappe ein bisschen frische Luft – mit einem heißen Typen. Bin bald zurück.

Wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich nur frische Luft schnappen will, wäre sie mir in null Komma nichts nach draußen gefolgt. Aber wenn sie denkt, dass ich an einem Typen, der nicht Brady ist, Interesse zeige, weiß ich, dass sie mir ein bisschen Freiraum lassen wird. Ich glaube, der einzige Mensch, der Brady in diesem Augenblick mehr hasst als sie, bin ich.

Und überhaupt, es ist nicht gelogen. Adam ist höllisch heiß, aber um nichts in der Welt verrate ich Dee, mit wem ich gerade unterwegs bin. Ich erschaudere, als ich mir das schrille Gekreische vorstelle, in das sie ausbrechen würde. Sie wäre hier draußen, noch bevor ich die SMS zu Ende getippt hätte, und würde irgendeine Art Voodoo-Praktik anwenden, um mich in seine Arme zu treiben.

Adam drückt seine Zigarette unter dem Schuh aus und öffnet dann schwungvoll die Tür zu seinem, wie ich vermute, Tourbus.

Es ist ein schwarzer Doppeldecker, im Inneren riecht es nach Leder und männlichem Eau de Cologne. Hinter dem Fahrersitz befindet sich eine Reihe lederner Sitzbänke; auf einer von ihnen schläft, die Arme vor der Brust verschränkt und das Gesicht halb in dem grauen Leder vergraben, ein junger Mann, der fast genauso groß ist wie Adam. Ein Bein, das in einer zerschlissenen Jeans steckt, baumelt über den Rand.

Adam schaut mich an und legt einen Finger an die Lippen, dann schleicht er sich an und kauert sich neben die Bank. Er beugt sich über den Schlafenden, als würde er ihn auf die Backe küssen wollen, streckt aber dann die Zunge raus und schlabbert einmal kräftig darüber.

Schreiend schreckt der Typ hoch.

»Scheiße, Adam!« Adam lacht schallend, während sich der Typ mit dem Saum seines Shirts über das Gesicht wischt. »Das ist verdammt eklig, Mann!«

»In zwanzig Minuten ist Showtime«, teilt Adam ihm mit, geht an die Bar und nimmt eine Flasche aus dem Schrank.

Der Typ richtet sich auf und fährt sich unsanft mit den Händen durch das kurze schwarze Haar. »Scheiße.« Jetzt erst entdeckt er mich, und sein Blick gleitet über mein Gesicht, mein eng anliegendes Top, meinen um zehn Nummern zu kleinen Rock, meine nuttigen High Heels. Er seufzt. »Zwanzig Minuten, Adam.« Dann schiebt er sich an mir vorbei und schlüpft zur Tür hinaus.

»Wer war das denn?«, frage ich.

»Das war Shawn. Unser Leadgitarrist.« Adam reicht mir ein Glas Whisky, lässt sich auf den Platz fallen, auf dem Shawn eben noch geschlafen hat, und lümmelt sich in den Sitz. »So wie ich es sehe, hast du jetzt zwei Optionen.«

Ich setze mich neben ihn – es fühlt sich seltsam an, hier mit ihm zu sitzen, denn er spielt in einer völlig anderen Liga als ich. »Nur zwei, ja?«

Grinsend leert er sein Glas. »Erstens, wir können hier bleiben und dich so abfüllen, bis du dich nicht einmal mehr an den Namen von diesem Wie-heißt-er-noch-gleich erinnern kannst.«

»Und zweitens?«, frage ich schmunzelnd.

»Du kannst dich rächen.«

Okay, jetzt bin ich neugierig. »Wie denn?«

Adam stellt sein Glas ab und sieht mich an – sieht mich richtig an. Er schaut mir direkt in die Augen, und ich schlucke schwer; jeder Faser meines Körpers wird plötzlich deutlich bewusst, wie nah ich ihm bin. Sein Blick wandert zu meinen Lippen, und als er sich langsam zu mir vorbeugt, gerate ich in Panik, denn ich weiß, dass er mich gleich küssen wird. Bevor ich meine Entscheidung bereuen kann, rutsche ich von ihm weg.

Er mustert mich prüfend. »Bist du sicher?«

Ich stelle mich dumm, denn auf einmal fühle ich mich im höchsten Maße verlegen. Dee darf hiervon nie erfahren, sonst wird sie mir damit bis in alle Ewigkeit in den Ohren liegen. »Sicher womit?« Ich kippe den Rest meines Drinks herunter, um meinen rasenden Puls zu beruhigen.

Adam bleibt noch einen Moment zu mir hinübergebeugt, bevor er aufsteht und unsere beiden Gläser zurück an die Bar trägt. Erleichtert seufze ich auf. »Also Option eins, Peach«, sagt er, als er mir noch mal nachschenkt.

»Wo ist der Rest deiner Band?«, frage ich in dem Versuch, das Thema zu wechseln.

»Bereitet sich vor.«

»Solltest du dich nicht auch vorbereiten?«

Er dreht sich zu mir um und schwenkt die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas, ein Lächeln auf den Lippen. »Ich bin dabei.«

Ein Klopfen an der Tür unterbricht uns, aber ich lasse Adam nicht aus den Augen, als er zum vorderen Teil des Busses geht, um zu öffnen.

»Hi, Adam.« Es ist die Stimme eines Mädchens, und sie klingt schamlos verführerisch.

»Was willst du, Farrah?« Adam klingt gelangweilt, vielleicht ein bisschen verärgert.

»Kann ich reinkommen?«

Adam tritt so weit zur Seite, dass Farrah mich sehen kann. Und ich kann sie sehen: eine rothaarige Granate und Beine, Beine, Beine. Er deutet mit einem ausgestreckten Arm in meine Richtung. »Ich bin beschäftigt.«

Sie lächelt mich an und fragt zuckersüß: »Genug Platz für noch eine?«

»Nein«, antwortet er und schlägt die Tür zu – genau vor ihrer Nase.

Meine Kinnlade ist mir bis zum Boden heruntergeklappt, als er wieder zu mir herüberkommt. Er setzt sich auf die Bank mir gegenüber und stützt die Ellbogen auf die Knie. »Tut mir leid, das eben«, sagt er.

Stirnrunzelnd entschuldige ich mich dafür, dass ich ihm den Abend verdorben habe.

»Wenn du mir den Abend verderben würdest«, entgegnet er, »dann würde ich dich aus diesem Bus werfen, ohne lange zu überlegen.« Er lächelt mich an, und ich bin mir nicht sicher, was ich von dem halten soll, was er soeben gesagt hat. Würde er mich allen Ernstes aus dem Bus werfen? »Und jetzt erzähl mir von diesem Freund, der dich betrügt.«

»Können wir vielleicht nicht über ihn reden? Ich will nicht einmal über ihn nachdenken.«

»Ist mir recht. Was möchtest du denn gerne tun?«

Mit einem großen Schluck leere ich erneut das Glas mit Whisky, meinen fünften Drink an diesem Abend. Ich beginne den Alkohol zu spüren, und zwar deutlich. »Wie wär’s, wenn du mir den Bus zeigst?« Als ich aufstehe, schwanke ich prompt. Adam ist mit einem Satz bei mir und schlingt einen Arm um meine Hüfte, um mich zu stützen.

Und ich kichere. Ich kichere wie eine Verrückte über mich selbst, weil ich vor dem verdammten Adam Everest in dem verdammten Tourbus seiner Band um ein Haar gestürzt wäre, und er lächelt mich an, als wäre ich das hinreißendste Geschöpf, das er je gesehen hat.

»Augenblick.« Ich bücke mich und löse die Riemchen meiner Schuhe, streife sie ab und lasse sie einfach an Ort und Stelle liegen. »Okay, los geht’s.« Auf einmal bin ich noch mal ein gutes Stück kleiner als er, reiche ihm kaum bis zur Brust. Als er einen Schritt in den hinteren Teil des Busses macht, um mit der Führung zu beginnen, lege ich eine Hand auf seine Schulter und halte ihn fest. »Warte.« Er dreht sich zu mir um. »Ich brauche noch einen Drink.«

Lachend schenkt er mir nach, ohne Fragen zu stellen, reicht mir das Glas, das ich in einem Zug leere und wieder wegstelle, und geht dann voran durch den Tourbus. »Das hier«, sagt er und deutet mit einer Geste auf die Sitzbänke, »ist der Ort, wo Shawn vor einem Konzert gern wegpennt und sich sein nicht unbedingt schmackhaftes Gesicht ablecken lässt.«

Ich versuche nicht wieder loszukichern, aber ich kann nicht anders.

Adam führt mich weiter nach hinten, zeigt auf einen Flachbildfernseher in einer Multimedia-Ecke, die bis oben hin mit Videospielkonsolen vollgestopft ist. »Und das hier ist der Ort, an dem Mikes Gehirn lebt und stirbt.«

Ich grinse und folge ihm in eine kleine Küche voller Edelstahlgeräte. Ein gläserner Minikühlschrank ist mit Bier und Energydrinks gefüllt.

Er greift hinein, nimmt ein Red Bull heraus und reicht es mir. »Wie betrunken bist du?«

»Nicht betrunken genug.«

Er schenkt mir ein anerkennendes Lächeln. »Zähl mal von zehn rückwärts.«

Ich tue es problemlos, und er tritt auf mich zu und drängt mich mit dem Rücken voran gegen den Tresen. »In dem Fall ist das hier der Ort, wohin ich Mädchen bringe, um einen zweiten Versuch zu unternehmen, sie zu verführen.«

Ich stelle die Dose ab, lege die Hände an seine Brust und starre zu ihm hinauf, versuche nicht ohnmächtig zu werden von dem Gefühl, das er in mir auslöst, als er sich an mich presst und zu mir hinuntersieht. Verdammt, er riecht einfach so gut! Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. »Und das kommt so oft vor, dass du einen festen Platz dafür hast?«

Seine Hände verharren auf meiner Taille. »Ehrlich gesagt, glaube ich, du bist die Erste. Aber ich denke, du hast es verdient, dass ein Ort nach dir benannt wird.«

»Oooooh«, mache ich mich über seine Anmache lustig. »Das war ja sooooo schmeichelhaft, Adam Everest.«

Er lacht und öffnet meine Red-Bull-Dose, nimmt einen Schluck und gibt sie mir zurück. »Du hast deine Meinung noch immer nicht geändert, was? Könnte aber lustig werden.«

»Oh, davon bin ich überzeugt.« Ich gleite mit den Fingern über sein Hemd, und auf einmal bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich ihn wirklich abblitzen lassen will. Er könnte mir helfen zu vergessen. Ich sehe zu ihm hoch. Adam gehört zu der Sorte Mann, die Mädchenherzen gebrochen zurücklässt. Er ist nicht der Typ, mit dem ein Mädchen eine Affäre hat und leicht darüber hinwegkommt. Er ist der Typ, der alle Männer, die nach ihm kommen, alt aussehen lässt. »Aber die Antwort bleibt Nein«, gelingt es mir zu sagen, in der Gewissheit, dass es die richtige Entscheidung ist, auch wenn ich mich am liebsten dafür ohrfeigen würde.

»Verdammt.« Er weicht einen Schritt zurück. »Du brichst mir das Herz, Peach.« Er zwinkert mir zu und verlässt die Küche, und ich folge ihm mit weichen Knien, an denen nicht der Alkohol schuld ist.

Wir gehen zurück zum vorderen Teil des Busses, wo wir die Stufen zum Oberdeck hochsteigen. Auch hier befindet sich ein Sitzbereich mit Lederbänken, doch dahinter erstrecken sich Schrankreihen und dann zwölf Schlafkojen, sechs auf jeder Seite. Alle bis auf drei sind sauber und ordentlich.

»Und das hier ist der Ort, wo die Jungs schlafen«, erklärt Adam mit einer Handbewegung zu den Kabinen, bevor er mich tiefer in den Bus führt und am Ende des Gangs eine Tür öffnet. Der Raum dahinter wird fast komplett eingenommen von einem massiven Bett mit schwarzer Satinbettwäsche.

»Und das hier ist der Ort, wo Magisches passiert?« Mit der Dose in der Hand hüpfe ich aufs Bett und ziehe die Beine unter mir an, während ich nach dem Sprung auf die Matratze noch leicht auf- und abfedere.

»Gefährlich, Peach.« Adam lehnt sich gegen den Türrahmen und verschränkt die Arme vor der Brust. »Du bist genau dort, wo ich dich haben will.«

Ich lache … bis er einen Schritt nach vorne macht und die Knie gegen die Bettkante presst. Ich sehe ihn unverwandt an und stelle dann die Dose auf den Boden. »Wie lange noch bis zum Konzert?«

Adam zückt ein Handy aus seiner Gesäßtasche und wirft einen Blick aufs Display. »Nicht lange genug.«

Grinsend verdrehe ich die Augen. »Ich will nicht mit dir schlafen, Adam.«

»Oh doch, das willst du«, sagt er selbstsicher. »Aber du wirst es nicht tun, aus welchem lahmen Grund auch immer. Aber trotzdem: Nicht wollen ist etwas völlig anderes.«

Außerstande, etwas Schlagfertiges zu erwidern, wiederhole ich meine Frage: »Wie lange noch?«

»Sieben Minuten.«

Er setzt sich auf die Bettkante und betrachtet mich eingehend, und ich rutsche auf dem Bett weiter nach hinten.

»Warum bist du so nett zu mir?«

Mit einem lässigen Schulterzucken erwidert er: »Ich habe dir doch gesagt, dass ich das tue, wozu ich Lust habe. Versuch nicht, es zu analysieren. Das tue ich auch nicht.«

»Warum hast du mich nicht für diesen Rotschopf sitzen lassen? Ich bin sicher, sie hätte dich schon vor zehn Minuten hier oben gehabt.«

Er schmunzelt, dann antwortet er: »Ich wollte mein Glück lieber mal bei dir versuchen.«

Ich runzele die Stirn und ertappe mich dabei, dass ich mich schon wieder bei ihm entschuldige, aber er lächelt mich nur an. Es ist ein Lächeln, das Knie in Wackelpudding verwandeln und Herzen in Brand setzen könnte, und als er die Hand nach mir ausstreckt, ergreife ich sie, ohne zu zögern.

»Nicht doch«, sagt er, steht auf und zieht mich ebenfalls auf die Füße.

Als er Anstalten macht, das Zimmer zu verlassen, bleibe ich auf der Türschwelle stehen. »Adam?«

Er dreht sich um.

»Ich werde nicht mit dir schlafen. Ich werde es nicht so weit kommen lassen, aber … meinst du vielleicht, du könntest mir helfen, Wie-heißt-er-noch-gleich für die nächsten sieben Minuten zu vergessen?«

Adam sieht mich an, dann fischt er sein Handy noch einmal heraus. »Sechs Minuten«, korrigiert er mich und steckt es wieder ein. »Kannst du immer noch von zehn rückwärts zählen?«

»Ja.«

»Dann fang an.«

Und so zähle ich rückwärts. Als ich bei fünf angekommen bin, tritt er nah an mich heran. Bei vier legt er die linke Hand um meine Taille und drückt seine Finger sanft in meinen Rücken. Bei drei umfasst seine rechte Hand mein Kinn und hebt es an. Bei zwei beugt er sich vor, seine Lippen nur Millimeter entfernt von meinen. Mir stockt der Atem, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er drängt sich eng an mich, und ich kann alles von ihm spüren.

Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. »Worauf wartest du, Peach?«

»Eins.«