Der Hexer ist eine Romanserie in der Tradition von H.P. Lovecraft, geschaffen von Wolfgang Hohlbein, der auch die meisten Folgen schrieb. Das Epos wurde 1984 in der Reihe »Gespenster-Krimi« begonnen und später als eigenständige Serie unter »DER HEXER« und schließlich als Paperback und Sammeledition fortgesetzt.
Die Geschichte spielt hauptsächlich in London des 19. Jahrhunderts und verstrickt den Hexer Robert Craven und später auch seinen Sohn in fantastisch-schaurige Abenteuer. Immer wieder kommt es dabei zu Begegnungen mit den GROSSEN ALTEN – göttergleichen Wesen, die den Menschen feindlich gesonnen sind – und deren Vertretern auf der Erde.
Wolfgang Hohlbein ist ein Phänomen – einer der produktivsten Autoren fantastischer Literatur mit mehr als hundertsechzig Büchern und einer Weltauflage von über vierzig Millionen Exemplaren! Bekannt wurde er neben seinen Jugendbüchern vor allem durch den Romanzyklus DER HEXER. Die E-Book-Sammleredition präsentiert die Hexer-Geschichten als »Director’s Cut« in ihrer ursprünglichen Form und in chronologischer Reihenfolge, gespickt mit vielen Hintergrundinfos.
Wolfgang Hohlbein gibt in ebenso informativen wie amüsanten Vorworten Einblick in die heiße Schaffensphase der Hexer-Reihe. Seine Anmerkungen beziehen sich dabei in der Regel gleich auf mehrere E-Book-Folgen. Hier das Vorwort zu Band 8 bis 9.
Um eines ganz klarzumachen: So weit ich das beurteilen kann, habe ich es einzig und allein dem Fandom zu verdanken, dass DER HEXER keine Ein (bzw. Drei)tagesfliege blieb, sondern in rekordverdächtiger Zeit auf den Olymp der »eigenen« Serien erhoben wurde, aber es gab da eine klitzekleine Kleinigkeit, die zwei der drei Michaels wohl erst erfahren, wenn sie dieses Vorwort lesen – ich jedenfalls habe mich gehütet, es ihnen jemals zu sagen: Es gab eine Unzahl von Briefen, die mit dem HEXER zu tun hatten, aber die allermeisten beschäftigten sich weniger mit den Romanen, der Handlung oder den tollen Ideen, sondern schlicht mit der Frage: Wer ist eigentlich dieser Robert Craven?
Um die regelrechte Hysterie zu begreifen, die damals um diese simple Frage ausbrach, muss ich noch einmal kurz zurück zum damaligen »Fandom«. Es war einfach so etwas wie eine große Familie. Man kannte sich untereinander, liebte oder hasste sich, und auch die Autoren machten da keine Ausnahme.
Alle – außer eines gewissen Robert Craven eben. Im Nachhinein betrachtet muss ich gestehen, dass ich damals äußerst (wenn auch ganz und gar unabsichtlich) clever entschieden hatte, mir ein neues Pseudonym zuzulegen – und es streng geheim zu halten. Selbst die Quasselstrippe Michael – kein Telefonat unter drei Stunden, wobei der andere kaum zu Wort kommt – hielt eisern dicht, und niemand wusste, wer sich hinter dem »Feigling« verbarg. Die Gerüchteküche kochte. Jeder mögliche Autor wurde erwogen, durchdiskutiert und wieder verworfen. Ich auch, aber ich scheine ein ganz guter Lügner zu sein, denn irgendwie ist mir in den ersten Monaten niemand auf die Schliche gekommen, trotz einiger sehr direkter Fragen.
Bezeichnend ist da vielleicht eine kleine Episode, die ich seither immer wieder zur (fast) allgemeinen Belustigung erzähle: Ich war damals schon mit Frank Rehfeld befreundet, einem der späteren Mitautoren der HEXER-Reihe und selbst Autor zahlreicher Romane. Wie wir alle war er damals sehr viel mehr im Fandom engagiert als heutzutage, und selbstverständlich führten wir endlose Telefongespräche über die weltbewegende Frage, wer dieser geheimnisvolle Robert Craven eigentlich ist. Das eine oder andere Mal hatte ich wohl einen Grinsekrampf in den Backen, nachdem ich aufgelegt und meiner Frau erzählt hatte, wen er gerade mal wieder verdächtigt hatte, Robert Craven zu sein. Gleichwie – wenige Tage später besuchte mich Frank in unserer damaligen 2-Zimmer-Dachwohnung, die natürlich keinen Platz für ein eigenes Arbeitszimmer bot. Will sagen: Mein Schreibtisch stand mitten im Wohnzimmer, direkt darüber (!) hing ein 120 x 80 cm-Poster des Original-Titelbildes des ersten HEXER-Bandes (Frank habe ich erzählt, ich hätte das Bild so toll gefunden, dass ich mir eine Vergrößerung davon besorgt habe …), und die ganzen zwei Stunden, in denen wir Kaffee tranken, eine Zigarette nach der anderen rauchten und uns die Köpfe über die Frage heiß redeten, wer denn nun Robert Craven sein könnte (XYZ? Nö. Viel zu literarisch, das könnte der nie. ZXY? Bestimmt nicht. Das wäre viel spannender) hämmerte mein Typenrad-Drucker eine Zeile nach der anderen des sechsten HEXER-Romanes auf Endlospapier, das sich allmählich zu einem gewaltigen Stapel am Fuße des Schreibtisches aufhäufte – der Ablieferungstermin rückte näher, und, wie gesagt, es gab noch keine E-Mail, sondern nur altmodische Manuskripte auf Papier, die eben ausgedruckt werden mussten. Wäre ich nicht aufgestanden, um mir einen Kaffee zu holen, und hätte Frank die Chance nicht genutzt, meine Ausdrucke zu »ordnen«, hätte er es wahrscheinlich überhaupt nicht gemerkt …
Dafür sehe ich seinen betroffenen Gesichtsausdruck (den Ausdruck »dämlich« vermeide ich hier ganz bewusst) noch heute vor mir, als ihm klar wurde, mit wem er die ganze Zeit über die Frage philosophiert hatte, wer denn dieser geheimnisvolle Robert Craven eigentlich war.
Und das entschädigt für vieles …
Tja, so war das damals. Lang ist’s her. Aber langer Rede, kurzer Sinn: Tatsächlich habe ich es nur den Fans zu verdanken, dass der HEXER VON SALEM überhaupt als eigenständige Serie das Licht der Welt erblickte.
Danke!
Wolfgang Hohlbein
DER HEXER
Band 08
Der Baumdämon
BASTEI ENTERTAINMENT
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG, Köln
Erstmals veröffentlicht als Band 589 der Reihe »Gespenster-Krimi«, erschienen am 24.12.1984.
Projektmanagement: Kevin Winkler
Titelillustration: © Edwards, Les via Agentur Schlück GmbH
Covergestaltung: Christina Seitz, Berkheim
E-Book-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-2174-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
»Still!«
Howard legte warnend den Zeigefinger auf die Lippen, presste sich dichter gegen die Wand und wartete mit angehaltenem Atem, bis die Stimmen und Schritte näher gekommen und wieder verklungen waren. Erst dann wagte er es, sich vorsichtig aus dem Schatten zu erheben und geduckt zu uns zurückzuhuschen. Mit einer fahrigen, nervös wirkenden Bewegung, die seine Erschöpfung mehr als alles andere verriet, ließ er sich zwischen Rowlf und mir in die Hocke sinken, fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht und deutete mit dem Daumen zurück.
»Ich glaube, wir können es riskieren«, murmelte er. »Es sind nur noch ein paar Blocks. Es wird dunkel.«
Seine Art zu reden war noch abgehackter und schneller geworden als normal, und obwohl ich ihn im rasch schwächer werdenden Licht der Dämmerung nur als graufleckigen Schatten erkennen konnte, sah ich ihm seine Erschöpfung überdeutlich an. Wenn er sich bewegte, dann tat er es ruckhaft, starr; als wären an seinen Gliedern dünne Fäden befestigt, an denen ein unsichtbarer Puppenspieler zog.
Müde blickte ich in die Richtung, in die er gedeutet hatte. Der Torbogen erschien mir wie ein finsterer Höhleneingang, und die Straße und die Häuser dahinter waren nur als blinkende, matte Schemen zu erkennen, auf denen sich ab und zu flackernder Feuerschein brach, je nachdem, wie der Wind stand und die Schleier aus strömendem Regen aufrissen, die ununterbrochen auf die Stadt niederstürzten. Der Hafen brannte noch immer.
Howard beugte sich vor, stützte sich mit der linken Hand am Rande einer der Tonnen ab, hinter denen wir Zuflucht gesucht hatten, und griff mit der anderen nach Rowlfs Schulter. Rowlf stöhnte. Seine Lider öffneten sich einen Spalt breit, aber die Augen dahinter waren trüb, ihr Blick leer und glanzlos. Sein Gesicht glühte. In der grauen Helligkeit sahen die Brandblasen darauf aus wie rote Pockennarben, und sein Schweiß roch schlecht und säuerlich.
Howard hatte diesen verlassenen Hinterhof vor sechs oder sieben Stunden entdeckt, und seither verkrochen wir uns hier wie Ratten, die vor der Katze flohen, unter Unrat und Müll verborgen, zitternd vor Kälte und Angst und erbarmungsloser gejagt als Tiere. Rowlf hatte ein paar Mal das Bewusstsein verloren in dieser Zeit. Er wachte immer wieder auf, aber der Unterschied zwischen den Perioden, in denen er halbwegs klar war oder fieberte und phantasierte, wobei er manchmal um sich schlug und im Fieber schrie, sodass wir ihn halten und mit Gewalt zum Schweigen bringen mussten, verschob sich langsam, aber unbarmherzig zu seinen Ungunsten.
Der Anblick versetzte mir einen scharfen, schmerzhaften Stich. Ich kannte diesen großen, ständig zu lauten und ständig gereizt scheinenden Burschen jetzt seit drei Monaten, aber eigentlich war mir erst in den letzten Stunden klargeworden, wie sehr ich ihn mochte, in den Stunden, in denen ich frierend und zitternd vor Angst dagesessen und darauf gewartet hatte, dass es endlich dunkel wurde, und in denen ich hilflos zusehen musste, wie er vor meinen Augen verfiel.
»Er braucht einen Arzt«, sagte ich. Howard blickte kurz auf, sah mich einen Moment schweigend an und machte dann eine Kopfbewegung, die wie eine misslungene Mischung aus einem Nicken und einer Verneinung aussah; wahrscheinlich sollte sie genau dies sein.
»Ich weiß«, sagte er. »Aber er muss durchhalten, bis wir Bettyhill erreichen. Wenn uns auch nur eine Menschenseele sieht, solange wir noch in dieser Stadt sind …«
Er sprach nicht weiter, aber das war auch nicht nötig. Wir versteckten uns nicht aus Spaß wie gemeine Verbrecher in Hinterhöfen und Müllhaufen. Ein eisiger, kalter Zorn stieg in mir auf, als ich an die Ereignisse der letzten Tage zurückdachte die mir jetzt, im Nachhinein, wie Jahre vorkamen.
Als wir Durness erreicht hatten, waren wir ganz normale Touristen gewesen, Großstädter, auf die die Einwohner der kleinen nordschottischen Hafenstadt Durness mit einem gelinden Lächeln und der den Schotten eben üblichen Überheblichkeit herabblickten. Fremde, die sie verachteten und über die sie sich insgeheim vielleicht sogar amüsierten, wenn sie es nicht merkten und ihr gutes Geld in ihren Läden und Pubs ausgaben. Jetzt schrie die ganze Stadt nach unserem Blut.
Meine Gedanken kehrten zurück zu den Ereignissen der vergangenen Nacht und des Morgens, während Howard sich neben mir bemühte, Rowlf mit sanftem Schütteln an der Schulter aufzuwecken und ihm auf die Füße zu helfen, und wieder spürte ich diesen eisigen, mit einem Gefühl quälender Hilflosigkeit gepaarten Zorn. Sie hatten uns gejagt wie die Tiere. Der Zorn des aufgeputschten Mobs war so gewaltig gewesen, dass sie unser Boot angezündet und Petroleum ins Hafenbecken geschüttet hatten, um uns bei lebendigem Leibe zu verbrennen.
Nun, sie hatten die Quittung bekommen, und zwar prompt. Das brennende Petroleum hatte sich mit rasender Geschwindigkeit über das ganze Hafenbecken ausgebreitet und in wenigen Augenblicken nicht nur das Dutzend Schiffe, das dort vertäut lag, sondern auch die angrenzenden Gebäude und Lagerhäuser in Brand gesetzt. Und das Feuer tobte noch immer, obwohl die ganze Stadt zusammengekommen war, um es zu löschen. Dabei glich es schon fast einem Wunder, dass der Brand nicht noch weiter um sich gegriffen und die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte.
»Hilf mir«, sagte Howard leise. Ich schrak aus meinen Gedanken hoch, fuhr fast schuldbewusst herum und legte die Hände unter Rowlfs Rücken. Er war wach und versuchte uns zu helfen, aber seine Bewegungen waren ohne Kraft und ziellos. Er stürzte fast, als er endlich auf seinen Füßen stand und sein Gewicht schwer auf Howards und meine Schultern stützte.
Der Regen peitschte uns eisig in die Gesichter, während wir uns zum Tor schleppten. In den schräg fallenden Schleiern glitzerte Eis und ich roch Schnee. Es war absurd, aber mir fiel plötzlich ein, dass es fast Dezember und nicht mehr lange bis Weihnachten war. Rowlfs Gewicht drückte wie eine Tonnenlast auf meine Schultern und auch Howard taumelte, nachdem wir den Torbogen erreicht und in seinem Schatten stehen geblieben waren.
Behutsam löste er Rowlfs Arm von seiner Schulter, lehnte ihn halbwegs gegen die Wand und wies mit einer Kopfbewegung zur Straße. »Halt ihn einen Moment«, sagte er. »Ich sehe nach, ob die Straße frei ist.«
»Das hat doch keinen Sinn«, widersprach ich. »Wir schaffen es nicht, Howard. Und Rowlf auch nicht.«
Er schwieg. Sein Blick huschte besorgt über Rowlfs Gesicht, und ich sah einen Ausdruck von Mutlosigkeit in seinen Augen, der neu an ihm war. Ich hatte immer gedacht, dass es nichts gäbe, was diesen Mann wirklich erschüttern könnte. Aber das stimmte nicht.
»Wir brauchen Hilfe«, sagte ich, als Howard auch nach einer Weile noch keine Anstalten machte, mir zu antworten. »Einen Arzt. Oder wenigstens einen Wagen.«
Howard antwortete auch diesmal nicht, aber das war auch gar nicht nötig. Die Bewohner von Durness hielten uns für tot; viele von ihnen glaubten uns mit eigenen Augen in den brennenden Fluten des Hafenbeckens umkommen gesehen zu haben, und das war auch gut so. Denn wenn sie auch nur vermuteten, dass wir noch am Leben waren, würde die Hexenjagd von vorne beginnen. Und eine Hexenjagd war es im wahrsten Sinne des Wortes. Die Männer und Frauen von Durness hielten uns – und wohl im Besonderen mich – für Hexer, Diener des Satans. Das Unheil, das die entfesselten Kräfte des Necronomicons über die kleine Hafenstadt gebracht hatte, fiel auf uns zurück, und sie reagierten, wie Menschen seit Urzeiten auf alles reagiert hatten, was sie nicht verstanden und was sie ängstigte: mit Hass und Gewalt.
»Kein … Arzt«, murmelte Rowlf. Er hatte meine Worte verstanden, aber es hatte eine Weile gedauert, bis er die Kraft gefunden hatte, darauf zu antworten. »Niemand darf … uns sehen, Kleiner. Sie … dürfen nicht wissen, dass wir … noch leben.«
»Zumindest in deinem Fall kann sich das ganz schnell ändern, Rowlf«, antwortete ich ernst. »Der nächste Arzt dürfte in Bettyhill sein. Und das sind dreißig Meilen.«
»Robert hat recht«, stimmte Howard düster zu. »Das schaffst du nicht.«
»Dann lasst mich zurück«, antwortete Rowlf. Seine Stimme zitterte vor Schwäche, aber ich spürte, dass er seine Worte vollkommen ernst meinte.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, widersprach ich. »Ich werde irgendwo Hilfe auftreiben. Wenn schon keinen Arzt, dann wenigstens einen Wagen.« Ich deutete mit einer zornigen Kopfbewegung auf die Straße hinaus. Der Widerschein des Großbrandes unten am Hafen ließ das feuchte Kopfsteinpflaster aufleuchten, als wäre es in Blut getaucht. »Irgendjemanden muss es doch in dieser verdammten Stadt geben, der seine fünf Sinne noch beisammen hat.«
»Und wen?«, fragte Howard düster.
Diesmal blieb ich die Antwort schuldig. Die Wut, mit der uns diese Menschen verfolgten, war mit rationalen Gründen nicht mehr zu erklären. Sie waren verhext, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir kämpften gegen Kräfte, die jenseits aller Logik standen.
Mein Blick richtete sich instinktiv auf das großformatige, in schwarzes Leder gebundene Buch, das Howard unter dem linken Arm trug. Es sah so harmlos aus, so verdammt banal. Und doch war es schuld am Tod zahlloser Menschen – und unserer Lage.
Howard erschrak, als er meinen Blick bemerkte. Er sagte nichts, aber die Art, in der er die Hand auf den Buchrücken legte, drückte genug aus. Für einen kurzen Moment hatte ich wirklich mit dem Gedanken gespielt, die Kräfte des Necronomicons auszunutzen, um hier herauszukommen. Natürlich war das unmöglich. Dieses Buch war das Nonplusultra des Bösen. Wer an seiner Macht rührte, der musste dafür bezahlen. Und wie schrecklich der Preis war, den es verlangte, hatte ich mit eigenen Augen gesehen …
»Geht zurück«, sagte ich. »Ich werde versuchen, irgendwo einen Wagen zu stehlen.«
Howard schien widersprechen zu wollen, atmete aber dann bloß hörbar ein und nickte widerstrebend. Die wenigen Schritte, die wir Rowlf gestützt hatten, hatten ihm deutlicher als alle Erklärungen gezeigt, wie sinnlos unser Unterfangen war. Vielleicht – aber auch nur vielleicht – hätten wir es sogar geschafft, die wenigen Blocks bis zum Ortsausgang hinter uns zu bringen, ohne entdeckt zu werden. Aber die dreißig Meilen bis Bettyhill waren schon für einen gesunden, ausgeruhten Mann ein gewaltiger Spaziergang. Für uns – und vor allem für Rowlf – waren sie unüberbrückbar. Genauso gut hätten wir versuchen können, nach London zu schwimmen.
»Versuch es«, sagte er schließlich. »Wir haben wohl keine andere Wahl.«
»Die habt ihr doch«, widersprach Rowlf. »Ihr beide könnt es schaffen, wenn ihr mich hier lasst. Ich komme schon irgendwie durch.«
»Unsinn«, widersprach Howard. »Sobald sie das Feuer gelöscht haben, wird es hier wieder von Menschen wimmeln. Robert hat recht – entweder schaffen wir es alle oder gar keiner.«
Rowlf fuhr auf. »Aber das ist –«
»Das einzig Logische«, unterbrach ihn Howard. »Glaubst du, wir hätten eine Chance, wenn sie dich finden? Sie würden dich umbringen und dann anfangen uns zu suchen. Nein, Rowlf – wir haben gar keine andere Wahl, als dich mitzunehmen.« Er sah mich an. »Geh. Wir warten hier. Aber gib Acht, dass dich niemand sieht.«
Ich nickte, drehte mich ohne ein weiteres Wort um und trat mit gesenktem Kopf auf die Straße hinaus. Vom Hafen drang flackernder, rotgelber Lichtschein und das Raunen einer gewaltigen Menschenmenge herauf; Schreie, Lärmen, das Schrillen einer Glocke. Aber die Straße rechts und links von mir schien ausgestorben zu sein.
Während ich mit weit ausgreifenden Schritten stadteinwärts ging, arbeiteten meine Gedanken auf Hochtouren. Mein Vorhaben war nicht halb so leicht, wie ich Howard Glauben hatte machen wollen. Durness war eine Stadt, kein kleines Bauerndorf, auf dem hinter jedem Haus ein Pferd bereitstand. Ich konnte kaum darauf hoffen, einfach so einen Wagen zu finden, der nur darauf wartete, von mir mitgenommen zu werden.
Aber vielleicht gab es doch jemanden, der uns half …
Es war still hier, tief unter der Erde. Das Ding hatte den Fuß des Kreidefelsens erreicht und war aus der Brandung aufgetaucht wie Klumpen aus Dunkelheit und Gestalt gewordener Furcht, ein schwarzer Dämon, der aus den Abgründen der Zeit und der Hölle emporgewachsen war und den Schrecken einer seit dreißig Millionen Generationen erloschenen Epoche mit sich brachte. Formlos und zitternd wie eine ins Absurde vergrößerte Amöbe war es den schrundigen steilen Fels der Küste emporgeflossen, hatte ihre Kante erreicht und sich – nach einer Weile, als müsse es Kraft schöpfen, sich vielleicht auch orientieren, obwohl es über keine sichtbaren Sinnesorgane verfügte – nach Süden gewandt, mit den vereinten Instinkten des Jägers und des Gejagten den Schutz des nahen Waldes ansteuernd.