(Text nach: Sämmtliche Schriften / Sechster Band / Leipzig, Frankfurt / 1834 Seiten 5 bis 382)

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2 . Auflage 2016

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ISBN 978-3-7412-5766-7

Inhaltsverzeichnis.

[Hinzufügung des Herausgebers.]

Frühlingsliebe.

Mein Vater war ein Landprediger. O wie schön, wie unbeschreiblich lieblich lag unser Dörfchen, in einem weiten, von romantischer Gebirgswelt umgebnen Thale, am Ufer eines klaren Sees, zu welchem die Bächlein von den Bergen lustig hinabtanzten, und dessen blaue Fläche mehrere grüne Inseln belebten! Unsere Wohnung war hell, geräumig und freundlich. Sie lag mitten in einem großen Garten, voll Blumen und prächtiger Bäume, deren Gipfel mir bis in den Himmel zu ragen schienen; dunkle, schattige Laubengänge mit Reben, Aprikosen und duftendem Jelängerjelieber umgaben ihn von allen Seiten. Hyacinthen, Aurikeln, Anemonen, ein ganzes Heer bunter strahlender Tulpen schmückten im Frühlinge die Beete, nahe an dem von Säulen getragenen ländlichen Vordach unseres Hauses, um das der Epheu und die Waldrebe mit zarten Ranken sich anklammerten. Hohe Rosenstöcke mit blühenden Orangenbäumen in bunter Reihe gepaart, ließen im Sommer, wenn jene zarten Boten des Frühlings verblüht waren, uns sie nicht vermissen.

Wir waren sehr wohlhabend und wohnten im eignen, von meinem Vater selbst neu eingerichteten Hause, das zu einem ziemlich bedeutenden Gute gehörte, dessen Eigenthümer er ebenfalls war. Das Pfarrgebäude hatte er, gleich beim Antritte der Predigerstelle, dem Schullehrer eingeräumt. Ein wunderbar verflochtenes Geschick, aus welchem zuletzt eine unwiderstehliche Neigung zu einem stillen, aber dennoch der Welt nützlichen Daseyn, in unbemerkter ländlicher Abgeschiedenheit sich entwickelte, hatte im Sommer des Lebens ihn bewogen, fern von dem Lande, wo er geboren, den Stand eines Landpfarrers sich zu erwählen, und um die Stelle sich zu bewerben, die er jetzt bekleidete.

Meine fromme schöne Mutter mochte wahrscheinlich an diesem wichtigen Schritt ihres Gatten großen Antheil gehabt haben. Meine liebe, liebe Mutter! sie hieß Angelika; ich habe leider sie, und auch meinen Vater schon in meinem fünfzehnten Jahre verloren, aber ihr freundliches Bild kann keine Zeit in meinem Innern verlöschen. Nie hatte sie unser stilles Dörfchen verlassen, in welchem sie geboren war; alles, was sie je von der Aussenwelt gesehen hatte, umfaßte ein Umkreis von zwei Stunden rings um dasselbe her; was sie von höherer geistiger Bildung besaß, verdankte sie einzig und allein ihrem frühesten Freunde, meinem Vater, der mit ihrer Hand den Entschluß, auf dem Lande zu leben, auf immer ergriff.

Mein Vater war ein großer, sehr ernster, stattlicher Mann, von edelm gebietenden Ansehen. Bedeutend älter als meine Mutter, lebte er dennoch in ihr und für sie, und konnte aus liebender Sorge für die angebetete Frau sich nie dazu entschließen, das schöne Gleichgewicht ihres milden Wesens, auch nur durch die kleinste Veränderung ihrer äussern Lage zu erschüttern.

Die innige Liebe meiner Eltern, das ungewöhnlich zart Zuvorkommende in ihrem Benehmen gegen einander, ließen mich die Art ihres Verhältnisses, und auch wohl überhaupt das ganze Menschenleben auf Erden, in einem erfreulicherem höherem Lichte sehen, als mir wahrscheinlich für meine Zukunft gut gewesen seyn mag. Ich wuchs in einem vollkommen ideal gehaltnen Daseyn auf, ohne von der übrigen Welt und ihren beengenden kleinlichen Rücksichten und Konvenienzen das Mindeste gewahr zu werden. Meine Eltern hatten durchaus keinen Umgang, weder mit den Pfarrern noch den Gutsbesitzern in der Nachbarschaft. Die isolirte Lage unseres Dörfchens trennte uns ohnehin um mehrere Meilen von allen. Zu uns kam Niemand, ausser Unglückliche, die bei meinem Vater Hülfe suchten und erhielten, und dann die Bewohner unseres Dorfes, und der ländlichen Hütten, längst dem reich angebauten Ufer unseres Sees, deren Knaben meine Spielkameraden waren.

Wer wäre so arm, daß er nicht gern der Tage seiner Jugend gedächte, und bei der Erinnerung an sie mit gerührtem Gemüthe verweilte? Die meinige aber war ein reiner Abglanz des Himmels, viel zu reich, um der Vorhof eines beschränkten Menschenlebens zu seyn. Sie steht von meinen übrigen, ihr folgenden Jahren ganz abgesondert und in sich vollendet da, ein leuchtender herrlicher Stern, zu dem ich noch immer voll Sehnsucht zurückblicke. Soll ich, mein Freund, den lieblichsten seiner Strahlen dir näher zu leiten versuchen?

Mein vierzehnter Geburtstag war angebrochen, und um ihn nach meiner Art recht fröhlich zu begehen, suchte und erhielt ich die Erlaubniß, ganz allein mit mir selbst, schon am frühen Morgen, auf eine Entdeckungsreise auszuziehen. So nannte ich die Spaziergänge, auf denen ich, seit ich ein wenig herangewachsen war, mich ganz planlos, ohne Führer und bestimmten Zweck, in dem nahen Gebirge vertiefen durfte, zuweilen fünf bis sechs Stunden weit von meinem väterlichen Dache. Mein Vater erlaubte gern und ohne Sorge um mich, mir diese Freude, weil es, wie er sagte, dem Knaben gut sey, wenn er früh lerne, die eigne, von Gott ihm verliehene Kraft zu üben, und sich in mißlichen Lagen zu helfen. Meine gute Mutter blickte freilich mir anfangs ein wenig ängstlich nach, wenn ich so allein auszog, meinen kleinen Tornister auf dem Rücken. Nachdem sie mich aber mehreremale, und immer gesund und froh wiederkehren gesehen hatte, ergab sie sich endlich darein; gewöhnte sich daran, mich ohne Aufsicht und Schutz auswandern zu lassen, versäumte aber nie, mir viel Warnungen vor möglicher Gefahr mit auf den Weg zu geben, die ich mit kindlichen herzlichen Liebkosungen erwiederte, mir aber gewöhnlich aus dem Sinn schlug, ehe ich noch von unserm Hofe herunter war.

Bei diesen kleinen Fußreisen war ich von jeher immer gerne allein gewesen, und selbst meine liebsten Spielkameraden drangen vergebens in mich, sie mitzunehmen. Denn eine geheime Wunderahnung, die innre schönste Poesie eines jugendlichen Herzens, regte, mir selbst unbewußt, die lichten Strahlenflügel in meiner Brust, und trieb mich fort, weit über Berg und Thal. Ach! und an jenem Morgen, den ich mir jetzt mit Entzücken wieder heraufrufe, wie war alles so über die Maaßen herrlich und freundlich, wie war die Sonne so hell, und das Leben in mir und um mich her so klar und froh! Der unbeschreibliche, nur zu schnell schwindende Zauber des neuen frischen Jugendblickes, zeigte mir, wohin ich mich wandte, ein blühendes, an Freuden überschwenglich reiches Paradies.

Was ich längst mir vorgenommen, wollte ich diesesmal, meinem Geburtstage zu Ehren, ausführen, darum hatte ich früher als gewöhnlich mich auf den Weg gemacht. Ein seltsam gestalteter Fels auf der fernsten Seite des, unser Thal und unsern See umziehenden Gebirges, dem ich noch nie genaht, hatte schon längst den Wunsch in mir rege gemacht, ihn zu ersteigen, um zu schauen, wie wohl die hinter ihm liegende Welt aussehen möge. Um mir den Weg abzukürzen, ruderte ich mich in meinem kleinen Nachen den stillen See entlang, der im Abglanz der Morgenröthe gleich einem Meere geschmolzner Rubinen schimmerte. Ich band jenseits den Kahn am Ufer fest, und begann jetzt auf ziemlich ungebahntem Pfade aufwärts zu steigen.

Bald war der Gipfel der Felsen erreicht, den ich zum Ziele meiner Wanderung mir ersehen; er bot mir eine entzückende Aussicht über den See und dessen reich bebaute, in Frühlingspracht blühende Ufer, die ich aber von andern Punkten aus schon oft gesehen hatte. Was ich eigentlich hier suchte, einen Blick in das auf der andern Seite, jenseits der Berge liegende Thal, gewährte er mir nicht. Um diesen doch endlich zu entdecken, kletterte ich von einer Felsenspitze zur andern, durch enge Schluchten hinab, dann wieder steile Felsenspitzen hinauf, und verlief mich, ohne darauf zu achten, immer weiter und weiter. Ehe ich es gewahr geworden, hatte ein immer breiter und bequemer werdender Pfad mich aufgenommen, und endlich abwärts geführt; ich drängte durch eine Hecke mich durch, die mir im Wege stand, und sah mich plötzlich auf der durch Kunst planirten Fläche eines nicht sehr hohen Felsen, neben mir einen kolosalen Blumenkorb voll hoch aufgeschossener Blumen, dicht an diesem einen bequemen Gartensitz, von duftenden fremd blühenden Rankengewächsen umkränzt, die in den Spalten des Felsen von selbst und ungepflanzt zu wurzeln schienen. Ein sehr bequemer Pfad führte von diesem noch tiefer, zu einem wunderlieblichen Plätzchen hinab, wie ich noch keines gesehen. Ein von kunstreicher Hand zwischen den Felsengruppen in mannigfaltigen Schattirungen geordneter Kreis, herrliche Bäume, umschatteten ein Marmorbecken, aus dessen Mitte ein kristallheller Strahl des reinsten Wassers, von Regenbogenfarben umschillert, dem blauen Aether zustieg. Tausende von goldnen und silbernen Fischchen tanzten in den kleinen hellen Wellen zur Melodie des Geplätschers der fallenden Tropfen, in welches die hohen, sich wie im Gespräch gegen einander neigenden Bäume, ihr leises Geflüster mischten. Der Duft der Orangenbäume und Rosen, die hier früher als in unserem Garten blühten, stieg berauschend zu mir auf; überall standen sie, um das Marmorbecken und zwischen den Felsen, in großen Massen vertheilt, und dazwischen unzählige mir zum Theil ganz unbekannte Blumen und Blüthensträuche, so üppig, so duftend, in solch einer überschwenglichen Fülle, als wären sie hier, wie in ihrer eigentlichen Heimath, vollkommen zu Hause.

Mir schwindelte beim Anblick dieser niegesehenen Herrlichkeit, die hier, wo ich nimmer sie vermuthen konnte, so überraschend glanzvoll mir entgegen trat. Und gerade heute, an meinem vierzehnten Geburtstage, mußte das mich erwartende neue Leben, von dem mein Vater am gestrigen Abend sehr ernsthaft mit mir gesprochen, mit so freundlichem Gruße mir entgegen treten!

Laut jubelnd schwang ich mich von der Höhe, wo ich stand, hinab, pflückte ohne Bedenken Rosen und Orangeblüthen, und warf mich, trunken vor Wonne, in das hohe Gras, um einen vollen prächtigen Kranz zu flechten. Der Kranz war fertig, ich drückte ihn in meine dichten krausen Locken, indem ich rasch emporsprang. Da stand ich nun, und blickte um mich her, keck wie ein Held und zugleich schüchtern wie ein Mädchen. In heimlicher nie gefühlter Seligkeit, wußte ich nicht wohin mit mir selbst. Mir war, als müßte jetzt gleich etwas ganz Unerhörtes, nie zuvor von mir Erlebtes geschehen, das die Richtung meines mir neu aufgehenden Lebens völlig umgestalte. Ich weinte, ich wußte nicht worüber, und war doch dabei so unaussprechlich selig! Meine Phantasie, mein ganzes Wesen, schien in immer wachsender Wehmuth und Sehnsucht sich auflösen zu wollen.

Ein Ton ganz aus der Nähe rief mich in die Wirklichkeit zurück. Ein Mädchen, schön und jung wie die Blüthen, aus denen sie hervor trat, stieg eilends vom Felsen hinab, und sah eben so glücklich aus, als ich in meinem Herzen mich fühlte.

Das liebliche Kind war vielleicht noch etwas jünger als ich; es hatte den bequemen Pfad verschmäht, der zu dem Wasserbecken hinabführte, und dafür eine rauhe, schmale, aus unbequemen rohen Steinen zusammengefügte Art von Treppe sich erwählt. Als es beinahe unten war, brachte ein unvorsichtiger Schritt es in Gefahr; es stieß einen kleinen silberhellen Schrei aus. Ich sah die Liebliche ängstlich balanzirend, kaum fähig sich stehend zu erhalten, mit ausgebreiteten Armen sprang ich ihr entgegen, und rettete sie vom Fallen; in der Angst hatte sie die Augen fest zugedrückt, jetzt, als sie von meinem Arm sich gehalten fühlte, schlug sie solche wieder auf, kaum eine Spanne weit war ihr liebes Gesichtchen von dem meinigen entfernt, und als sie die dunkeln lachenden Augen öffnete, war mir, als öffne sich ein ganzer Himmel voll Engel. Sie redete mich an; nie hatte ähnlicher Wohllaut mein Ohr berührt, aber von dem, was sie mir sagte, verstand ich keine Silbe. Die mir ganz unbekannten melodischen Laute ihrer mir fremden Sprache, gingen völlig bedeutungslos an mir vorüber. Sie betrachtete, anscheinend mit Verwunderung, den Kranz in meinen Locken, und streckte ein wenig scheu das zarte Händchen nach ihm aus, als wünsche sie und wage es doch nicht, ihn zu berühren. Ein innerer Instinkt regte sich in mir, und mit ächt ritterlicher Galanterie, die ich wahrlich selbst nie zuvor in mir gesucht, nahm ich den Kranz von meinem Haupte herunter, und legte ihn in das Gras zu ihren Füßen hin.

Mein holdes Wunderkind lächelte mir immer freundlicher und freundlicher zu, und nickte dabei mit dem allerliebsten Köpfchen. Ich kniete endlich selbst zu meinem Kranze in das Gras hin, mir war, als müßte das so seyn, sie aber streckte die kleinen blüthenweißen Hände wie abwehrend vor sich hin, und blieb so zögernd und erröthend in vorgebeugter Stellung, über mir stehen.

Mais Angeline, mais chère Princesse, ou êtes vous donc! quickte eine schneidend gellende Stimme zwischen den Felsen, und wenige Augenblicke später trat eine sehr geputzte ältliche dicke Dame, mit hochrothen Wangen, oben zwischen den Felsen hervor, und fing an mit ängstlicher Behutsamkeit den bequemeren Pfad herunter zu trippeln. Auch mir ward plötzlich sehr bänglich zu Muthe, und selbst mein liebliches Engelsbild wurde meiner Meinung nach blaß, und schien erschrocken.

Aus meinen Himmeln gerissen, von allen poetischen Entzückungen verlassen, blieb ich plötzlich nicht weiter, als was ich eigentlich noch war, ein verlegener, schüchterner, unbeholfner Junge, und sprang auch als ein solcher, auf einer andern Seite, als der von welcher ich gekommen, die Felsen hinauf; in wenigen Augenblicken war ich zwischen diesen verschwunden.

Wie ein Träumender langte ich Abends zu Hause an, und ward dafür, als Einer, mit dem aus übergroßer Ermüdung nichts anzufangen sey, früh zu Bette geschickt. Ich war still, aber unbeschreiblich selig. Angelina, sprach ich leise, Angelina, und wiederholte den süßen Namen, bis ich einschlief. Angelina, Angelika! so heißt ja auch die Mutter — o wie ich dich lieben will, Angelina! nun soll alles anders werden, und wie schön!

So wie ich aufgestanden war, suchten meine Augen am andern Morgen zu allererst den Felsen auf, hinter welchem mein neu gefundenes Paradies lag. Ich selbst durfte freilich sobald nicht wieder hin, aber mir kam es auch gar nicht in den Sinn dieses zu wollen. Ich überlegte gar nicht, daß Angelina dort wahrscheinlich immer wohne, ich verband mit der Erinnerung an sie gar keine andere Idee; ich freute mich nur, daß ich sie gesehen, daß sie wirklich auf der Welt und kein Traumbild sey, wie ich mir deren sonst wohl zuweilen geschaffen. Für einen Engel hielt ich sie gerade nicht, aber daß sie ein Mädchen und obendrein ein sehr vornehmes sey, daran dachte ich vollends gar nicht, obgleich ich die französischen Worte recht gut verstanden, die man ihr zugerufen, und auch in unserm Hause von einer kleinen Prinzessin die Rede gewesen war, die, wie es hieß, seit einigen Wochen das Schloß Belrepôs im Gebirge bewohne. Was ein Schloß sey? wußte ich nicht recht; ich hatte noch keins gesehen, und überhaupt fast nie darüber gedacht, und wann dieses einmal geschah, so waren auch immer Wälle, Zugbrücken, feste Thürme und aller Apparat einer Belagerung dabei. Angelina aber war mir nur sie, der Inbegriff alles Lieblichen und Schönen, was sie weiter noch seyn mochte, ging mich nichts an, und ich bekümmerte mich gar nicht darum.

Meiner Meinung nach gingen, seit ich Angelina gesehen, in stiller aber grenzenloser Seligkeit viele Tage an mir vorüber. Denn in meinem damaligen Alter, hat man noch keinen Maasstab für die Zeit, und eine ganze Woche scheint ein unübersehbar langer Zusammenfluß von Tagen und Stunden zu seyn.

Auch in unserm Garten begannen jetzt Rosen und Orangen zu blühen; der Anblick dieser meiner Lieblingsblumen, ihr süßer berauschender Duft, weckten in mir Erinnerungen, und endlich eine unwiderstehliche Sehnsucht, Angelina wieder zu sehen.

Indessen kostete es mir doch manchen innerlichen Kampf, und es währte ziemlich lange, ehe ich den Muth gewann, auf die Erfüllung dieses köstlichen Wunsches auszugehen.

Endlich am Sonntage in aller Frühe machte ich mich auf, pflückte und band einen großen Straus von den schönsten Blüthen und Rosen in unserem Garten, und machte mit diesem mich auf den Weg zu ihr.

Ich durchschiffte den See, kletterte durch die Felsengewinde, bald in stürmender Eile, bald bange verzagend. Als ich endlich am Ziele ankam, wäre ich beinahe, und ach wie gerne! wieder umgekehrt, wenn ich mich nur nicht dann vor mir selber hätte schämen müssen. Ich faßte mir endlich ein Herz, und guckte durch eine Spalte im Felsen nach dem Springbrunnen — sie war nicht da. Ich schlich mich hinab; alles war still und leer. Ich wagte es endlich, den ganzen, nicht übermäßig großen Garten zu durchspähen, nirgends war eine menschliche Seele zu finden. Auch der Schloßhof, in den ich zuletzt gerieth, und das Schloß selbst, schienen wie ausgestorben. Ich ging quer über den Hof, durch ein großes Thor an der andern Seite desselben, dem Schloße gegenüber, und gelangte in ein Dorf, in welchem ich nie zuvor gewesen war.

Mitten in diesem stand eine heitere, wenn gleich etwas bunt und überladen verzierte Kirche, sie stand offen, es ward eben Gottesdienst darin gehalten. Ohne Bedenken trat ich hinein und endlich auf einer schön geschmückten Emporkirche, dem Altare gegenüber, entdeckte ich mein holdes Wunderkind, andächtig im Gebetbuch lesend. Zum erstenmal in meinem Leben war ich in eine katholische Kirche gerathen, denn mein Vater war ein eifriger Protestant; doch hier hätte ich mit der Gemeine hinknien, und in nie so glühend gefühlter Andacht mein Gebet zum Himmel hinauf schicken müssen, und wäre es eine türkische Moschee oder eine indische Pagode gewesen. Ein feierliches Hochamt ward von einem vornehmen Geistlichen, einem fremden Bischoffe glaube ich, gehalten. Die vielen brennenden Kerzen beim hellsten Sonnenscheine draußen, die bunten Gemälde über den Altären, das wie Gold und Silber glänzende Kirchengeräthe auf denselben, der Weihrauchsdampf, und nun vollends die rauschende Musik, die an sich schlecht genug gewesen seyn mag, mir aber, der ich nie so etwas gehört, ganz überirdisch vorkam. Alles dieses zusammen bemächtigte sich unwiderstehlich meiner jungen Phantasie, und riß mich hoch über mich selbst empor.

Fromm, wie ich in unsrer schmucklosen kleinen Kirche, an der Seite meiner geliebten, engelgleichen Mutter es zu seyn pflegte, war ich hier nicht, wohl aber begeistert, ausser mir, wie sonst noch nie. Das bunte glänzende Wesen, der im Grunde wohl ziemlich ärmlichen Dorfkirche, kam mir höchst prächtig vor; es erinnerte mich an die alten heidnischen Tempel meiner Römer und Griechen, von deren Herrlichkeit ich viel gehört, ohne mir einen eigentlichen Begriff davon machen zu können. Ich gedachte der großen Thaten, zu deren Vollbringung sie in ihren Tempeln die Weihe empfingen, ich suchte nach einem Helden meines Alters, und der junge Hannibal fiel mir ein, wie Hamilkar, sein Vater, ihn am Altare seiner Götter, den Römern ewigen Krieg geloben ließ. Ich war auf gutem Wege mich gewissermaßen darüber zu betrüben, daß wir meines Wissens keine Feinde zu bekriegen hatten. Mein Herz war voll bis zum Ueberfließen, ich mußte es erleichtern, und so kniete ich dann dicht an den Stufen des Hochaltars, mitten unter der leise und andächtig murmelnden Menge hin, und sprach innerlich aber feierlich das Gelübde aus, mit aller Kraft meines Geistes und Gemüthes dem Großen, dem Edlen, jeder hohen Tugend nachzustreben und alles Niedrige, Gemeine ewig zu hassen, um Angelinas willen. Sie war es eigentlich, der ich durch dieses Gelübde mich zu weihen meinte, sie war meine Göttin, deren hoch über mir thronende Gegenwart ich in diesem Augenblicke mir deutlich bewußt war, ohne jedoch den Muth zu besitzen, das wonnetrunkene Auge bis zu ihr zu erheben.

Die Messe war beendet, das rauschende Gloria in excelsis verklungen. Betäubt, mir selbst ganz entfremdet, ließ ich vom Gedränge der Menge mich forttreiben, der Kirchenthüre zu. Ein glänzender, mit sechs Pferden bespannter Wagen, hielt vor derselben; die nemliche roth gemalte, kugelrunde Dame, die ich damals am Springbrunnen den Felsenweg hatte hinunter trippeln gesehen, wurde eben von einem Paar über und über mit Gold besetzter Bedienten in die Kutsche geschoben, meine Angelina aber stand oben auf den zur Kirche führenden Stufen, im Begriff ihr zu folgen. Sie wand sich um, die Landleute zu grüßen, die noch vor der Kirche versammelt standen, und der nemliche kleine silberhelle Schrei, den ich schon einmal von ihr gehört, verrieth mir, daß sie meiner gewahr worden sey. Ohne weiter noch etwas zu hören oder zu sehen, nahm ich mir das Herz zu einem gewaltigen Wagestück, eilte auf sie zu, und überreichte ihr hinter dem Rücken der, noch immer mit dem in den Wagensteigen nicht fertig gewordnen Dame, meinen Straus. Zu meiner unsäglichen Freude nahm sie ihn ohne Weigern, nickte ein paarmal, kurz hinter einander, mit der allerholdseligsten Freundlichkeit, und hüpfte in die Kutsche. Danken, danken, rief sie aus derselben mir noch zu, den Straus in die Höhe haltend, um mir ihn zu zeigen, während die Pferde mit ihr davon jagten.

Freudetrunken, wie von Himmelsflügeln getragen, und kaum die Erde berührend, langte ich wieder zu Hause an. Ich suchte am folgenden Tage alle meine Spielsachen zusammen, die noch nicht gänzlich verabschiedet waren; meine Bälle, mein kleines Kegelspiel, meine Säbel, Lanzen, Rüstungen, Fahnen und Schilde. Ich trug das Alles zu unserem Nachbar, um es unter dessen Kinder zu vertheilen, weil ich doch jetzt beinah erwachsen und kein Kind mehr sey. Ich lernte und arbeitete heute das doppelte von dem, was mir zu vollbringen aufgegeben worden war. Den ganzen Tag umschwärmte ich mit mehr als gewöhnlicher Zärtlichkeit meine Mutter; bei jedem Begegnen küßte ich ihre lieben, schönen Hände, liebkosete sie und nannte sie immer Angelika, wie mein Vater sie zu nennen pflegte. Die liebe Frau sah lächelnd mich an, und wußte nicht was sie heute aus mir machen solle; ich wußte es wohl was ich bei dem Allem mir dachte. Angelika klang ja beinahe eben so schön als Angelina, am Ende waren vielleicht beide nur ein und derselbe Name.

Sonntags durfte ich nur selten bei dem Gottesdienst in unserer Kirche fehlen, aber ich fing an eifrig den Kalender zu studiren, um mir alle die vielen Festtage zu merken, welche wir Protestanten aus der Reihe der unsrigen ausgelöscht, die Bekenner der katholischen Kirche aber noch beibehalten haben. Mit welchem stillen Entzücken lauschte ich oft an ruhigen Abenden dem Schall, der den morgenden Feiertag einläutenden Glocken, den ein günstiger Wind zuweilen über dem See her mir zutrug, und der, bei der großen Entfernung jenes Dorfes, vielleicht wenig andern Ohren hörbar wurde, ausser den meinen. In früher Dämmerung stahl ich an solchen Tagen mich dann aus dem Hause heraus, um nur am Morgen in ihrer Kirche ihr gegenüber zu stehen. Sie grüßte mich jedesmal mit süßer Freundlichkeit, das war aber auch mein ganzer Gewinn dabei, denn die, Gott mag wissen wodurch, rege gewordene Aufmerksamkeit ihrer Hofmeisterin, vergönnte mir nicht mehr, mich ihr zu nähern.

Endlich einmal traf ich am Springbrunnen im Park sie allein; wie oft hatte ich einen solchen Glücksfall mit feuriger Sehnsucht herbei gewünscht? wie oft ihn mir, als wirklich geträumt! Jetzt war er da, und ich verlegner Knabe stand ihr stumm gegenüber, ohne den Muth sie anzureden, obgleich ich die französische Sprache, die sie, wir ich wußte, neben ihrer eignen, mir unbekannten, redete, nicht nur verstand, sondern mich auch leidlich genug darin auszudrücken vermochte. Auch Angelina sprach keine Sylbe; sie lächelte, nickte mir zu, immer freundlicher und freundlicher, und pflückte zuletzt mit einer sehr raschen Bewegung, von einem neben ihr stehenden Bäumchen, einen blühenden Myrthenzweig, den sie mir zuwarf.

Angelina war vielleicht einige Monate, vielleicht beinah ein Jahr jünger als ich, aber sie war ein Mädchen und mir also in gewisser Hinsicht weit vorausgeeilt. Der Instinkt ihres Geschlechtes gab ihr eine Einsicht, die mir noch fehlte, er lehrte sie, unser eigentliches Verhältniß zu einander erkennen, und über das erröthen, was sie halb aus kindischem Muthwillen, halb von ihrem Gefühle für mich hingerissen, in diesem Augenblicke gethan. So wie sie den Zweig in meinen Händen sah, den sie mir zugeworfen, barg sie das mit Purpur übergoßne Gesichtchen, und die lachenden schwarzen Feueraugen, mit beiden Händen; dann zog sie die eine derselben herab, und blinzelte ein wenig mit einem Auge nach mir hin, aber sie winkte mir zugleich fortzugehen. Dieses war mir indessen für den Augenblick unmöglich; reden konnte ich noch immer nicht, aber ich kreuzte ganz andächtig meine Hände über meine Brust, und streckte sie ihr dann mit bittender Geberde entgegen.

Angelina mußte recht herzlich über diese Pantomime lachen, in ihrem jugendlichen Frohsinne besann sie sich nicht lange, sondern sprang auf mich zu, schlug ein, und so hielten wir uns eine ziemliche Weile bei den Händen, und sahen im frohen Gefühl des kindlich-reinsten Glückes uns an, immer noch ohne ein Wort zu reden.

Lautes schallendes Gelächter schreckte uns auf; ein Kreis herrlich geputzter Damen nebst einigen Herren, die sich alle von uns unbemerkt herbeigeschlichen hatten, umgab uns. Meine Angelina wurde unter überlauten französischen Exklamazionen, von ihrer erzürnten Aufseherin mir von der Seite gerissen, und ich? — ich wußte vor der Hand gar nicht, wie mir geschehen.

Erst als ich, jenseits der Felsen, am Ufer meines See's athemlos stand, fand ich meine Sinne wieder. Wonne, unsägliche Freude durchschauerten mich, und doch war ich mir dessen, was mich eigentlich so entzückte, durchaus nicht deutlich bewußt. Nur Angelina schwebte mir vor, und wie sie ihre weichen, weißen Händchen in meine Hand gelegt, und wie sie gewiß, nun ganz gewiß mich ebenfalls lieb habe, wenn gleich nicht so wie ich sie. Heut konnte ich nicht nach Hause, mir war, als habe ich vor allem Bedenken dessen was vorgegangen, nicht Zeit dazu; und so brachte ich denn die laueste, kürzeste Frühlingsnacht, zum erstenmal in meinem Leben, unter freiem Himmel zu.

Meine Mutter war schon aufgestanden, als ich am Morgen, den ich denn doch zuletzt halb verschlafen hatte, zu Hause anlangte. Vielleicht war die gütige liebe Frau, aus mütterlicher Besorgniß um mich, gar nicht zu Bette gegangen gewesen. Sie empfing mich mit einem Gesichte, auf welchem das Bestreben sich erzürnt zu zeigen, mit der innigsten Freude, mich gesund wieder zu sehen, kämpften; meine kindlichen Liebkosungen erstickten ihren Zorn, ihre Sorge um mich und ihre Fragen.

Anders war es bei meinem Vater; ich fand ihn wie gewöhnlich am Morgen, in einer Laube auf einer Anhöhe nahe an der Gartenmauer, von der er den Theil unsres Thales übersehen konnte, durch welchen die Landstraße ging. Ruhig aber ernsthaft forderte er mich auf, ihm Rechenschaft zu geben, wo ich die Nacht zugebracht, und was mich abgehalten habe, Abends wie gewöhnlich nach Hause zu kommen.

Ich nannte und beschrieb ihm die Stelle am Ufer des Sees, wo ich wirklich im Schatten einiger Bäume geblieben war; große Ermüdung und die außerordentliche Milde und Schönheit der mondhellen Sommernacht hatten, wie ich vorgab, zum Ausbleiben mich verleitet.

Ach, zum erstenmal in meinem Leben umging ich, meinen Eltern gegenüber, wissentlich die Wahrheit, und kann doch nicht sagen, daß ich es mit Vorbedacht that. Es kam, ich wußte selbst nicht wie; gewiß ich wollte es nicht! Wie gerne hätte ich ihnen alles gesagt, wenn mich nicht eine Art innerer Verlegenheit, eine heimliche, peinliche Furcht, welche ohne eigentlichen Gegenstand war, davon zurückgehalten hätte, ihnen Angelina's Namen zu nennen. Mit der größten Anstrengung suchte ich mein liebes Geheimniß zu verbergen, und litt dabei Todesangst; das Herz in der Brust that mir wehe, während mein Vater so gütig mich befragte, und die Wahrheit dessen, was ich ihm antwortete, nicht im mindesten zu bezweifeln schien. Ich hätte mich vor mir selbst verbergen mögen, indem ich nicht so wahr und offen, als ich es von Kindheit auf gewohnt war, mich gegen ihn bezeigte, und doch konnte ich nicht anders, und hätte es mein Leben gegolten.

Das erst von Ferne, dann immer näher kommende Rasseln mehrerer Wagen, eine Seltenheit in unserer Gegend, riß aus dem dumpfen Hinbrüten, in welches ich eben versinken wollte, mich empor. Tief unten, am Fuße der Anhöhe, längs welcher unsere Gartenhecke sich hinzog, sah ich eine Reihe hochbepackter Reiseequipagen einem kleinen Gasthofe am See zufahren, der etwa eine Viertelstunde von unserem Hause lag. Nur in seltenen Fällen wurde er von den wenigen Fremden besucht, die von der Schönheit unseres Gebirges, das damals noch nicht, wie einige Jahre später, Mode geworden war, sich bestimmen ließen es zu bereisen.

Hingerissen von der meinem Alter angemeßnen kindischen Lebhaftigkeit eines halberwachsenen Knaben, lies ich den guten Vater mitten in seiner Rede sitzen, sprang über die Gartenhecke, den steilen Hügel hinunter, den Wagen nach. Mein Vater sah dem, ihm sehr verzeihlich dünkenden wilden Jugendstreich lächelnd zu, und hatte weiter kein Arges daraus. Ach! er hatte nicht, wie ich, Angelinas Köpfchen aus einer der Kutschen sich beugen gesehen, und nicht ihr schmerzliches Gesichtchen, nicht die trüben Augen, denen es so deutlich anzusehen war, daß sie geweint hatten.

Ich langte auf einem näher führenden Fußsteige, beinahe mit den Wagen zugleich, im Gasthofe an. Die Reisenden waren ausgestiegen, während die dort sie erwartenden Relais-Pferde angespannt wurden; eine schöne große Dame, von einigen Herren umgeben, stand im Hofe, und sah durch ein Fernglas nach dem See hinaus. Angelinas Hofmeisterin war nicht mit ausgestiegen, sie lag mit geschlossenen Augen in eine Wagenecke gedrückt, und schien sich nicht wohl zu befinden. Bedienten und Kammerfrauen waren theils um die Wagen her beschäftigt, theils standen sie in ehrerbietiger Ferne, zur Bedienung ihrer Gebieter bereit; Angelina war nirgends zu sehen.

Vergebens durchspähte ich, um sie zu finden, das ganze Haus, in welchem ich sehr wohl bekannt war; endlich ging ich hinab in den Garten. Behutsam drängte ich meinen Kopf durch die Seitenwand einer dicht umgrünten Rebenlaube, um zuzusehen, ob in dieser nicht vielleicht die sey, welche ich suchte; da faßten mich von hinten zwei weiche kleine Hände um die Brust, und drehten mich herum. Angelina's liebe süße Augen begegneten den meinen, sie weinte bitterlich, ich weinte mit ihr, und das währte eine gute Weile. Addio, addio, Carissimo, schluchzte sie endlich, und bog sich näher zu mir hin, und legte in unendlicher Betrübniß beide Arme mir um den Nacken, ihr Köpfchen senkte sich an meine Brust, gleich einer Nelke ohne Stab. Ich riß sie fester an mich, da entwand sie sich meiner Umarmung, und floh, ohne sich umzusehen, leicht wie ein Schmetterling zur Gartenthüre hinaus.

Kaum zwei Minuten später hörte ich die Wagen vom Hofe hinunterrasseln, und fühlte zum erstenmal in aller seiner Schwere das herbe Loos des Sterblichen, den Leidenschaft und eigne Thorheit aus dem Paradiese verbannten, wo keine Trennung seinem Daseyn drohte; der erste heftige, keinen Trost ahnende Schmerz ergriff mich, und zu Boden gedrückt von seiner Last, warf ich mich, da wo ich stand, in das hohe Gras, und weinte als wolle ich mein Leben in einem Strome von Thränen ausströmen lassen.

„Ferdinand, Ferdinand, wachen Sie doch auf, der Papa wartet dort oben auf Sie,“ rief nach einer ziemlichen Weile eine mir nicht unbekannte freundliche Stimme, und eine Hand versuchte es, mich aufzurichten. Ich fuhr in die Höhe; vor mir erblickte ich Nanni, die mir wohlbekannte Tochter der Gastwirthin; sie machte mich auf meinen Vater aufmerksam, der auf einem nahen Hügel stand, von welchem aus er den ganzen kleinen Garten übersehen konnte. Er rief mich durch Zeichen zu sich hinauf, und ich nahm mich zusammen so gut ich es konnte, um seinem Winke zu folgen; aber ich war noch zu beklommen, zu seelenbetrübt, um nur daran denken zu können, ihm meine rothen geschwollnen Augen, meine noch immer die Wangen herabschleichenden Thränen verbergen zu wollen; er aber schien beides nicht zu bemerken.

Ich bin jetzt fest überzeugt, daß mein Vater von jener Anhöhe meinem Abschiede von Angelina zugesehen haben muß, und daß weder die Quelle meiner Thränen, noch die Ursache meiner späterhin noch viele Tage anhaltenden Betrübniß ihm ein Räthsel geblieben waren; doch er überlies mich meiner scheinbar von ihm unbemerkt bleibenden Trauer, ohne weder durch Fragen noch auf andere Weise mich ihr entreißen, oder mich zwingen zu wollen, ihm den Grund derselben, in Worte gefaßt, zu gestehen. Er verlies sich auf die glückliche Eigenheit der ersten, nah' an die Kindheit gränzenden Jugend, sich leicht über den Schmerz hinweg, zu einer neuen Freude erheben zu können, wenn man sie nur abhält, den erlittenen Verlust durch Klagen sich stets wieder zu erneuern. Deshalb behandelte er mich, ohne es mir jedoch merken zu lassen, wie ein Kind, das man, durch ein neues, glänzendes Spielwerk mitten in seinen Thränen, weit leichter als durch alle ersinnliche Trostgründe, zum Lächeln bringen kann, indem man dadurch seine Gedanken von dem abwendet, was es verloren hat.

Tausend ganz unmerklich herbeigeführte Zerstreuungen, kleine Fußreisen an seiner Seite, eine noch freundlichere Behandlung als die gewohnte, mußten von dem Brüten über meinen Schmerz mich gleichsam von ungefähr abziehen, ohne daß ich den dabei vorwaltenden Zweck im mindesten gewahr werden konnte. Nähere Bekanntschaft mit Kunst und Poesie älterer und neuerer Zeit, vermehrte Beschäftigungen ernsterer Art, füllten immer mehr meine ehemaligen Spielstunden aus, so daß ich zum Grübeln über Vergangenes wenig Zeit behielt. Am wohlthätigsten aber wirkte auf mein junges verletztes Gemüth die nähere Bekanntschaft mit der Natur, in deren Wunderwelt mich einzuführen, mein edler Vater jede Gelegenheit ergriff; bald unter dem in mitternächtlicher Pracht sich hoch über uns wölbenden Sternhimmel, oder auch gelagert am Fuße des Felsen, verloren im Betrachten des kleinen unscheinbaren Mooses, das ihn kümmerlich kleidet.

Niemals wohl hat ein Mann es besser verstanden als mein Vater, alles was um ihn athmete, zu beglücken; nie wußte ein Gemüth das Glück reiner und ungetrübter in sich aufzunehmen, als das meiner Mutter! ach! und ich, befangen im ersten beseligenden Freudentraum der Jugend, ich stand zwischen beiden, fühlte mit beiden, war der Hauptgegenstand ihrer stets wachsenden unabläßig über mich wachenden Liebe, und zugleich die höchste Freude ihres Lebens.

So von allen Seiten von einem schönen heiteren friedlichen Leben umgeben, konnte ich nicht lange in dumpfem Trübsinn verharren. Der Schmerz wich von mir, doch Angelina's liebliches Bild blieb mein Begleiter; in all' seiner himmlischen Klarheit und Freundlichkeit leuchtete es auf meinen Spaziergängen, aus jeder Blume, im Walde, vom hohen Felsen, mir entgegen. Es glitt über die kleinen blauen Wellen meines Sees, neben meinem Kahne dahin, und wenn Abends die Glocken über dem Wasser her, mir für den morgenden Tag ein Fest verkündeten, das meinem Glauben fremd, meinem Herzen aber durch Erinnerung unendlich theuer und heilig war, dann glaubte ich oft, in dem fernen Silberlaut ihre Stimme zu hören, ihr addio, addio, Carissimo! und unbestimmte Sehnsucht engte mir die Brust ein, und schmerzlichsüße Thränen drängten aus ihr sich hinauf in meine Augen.

Wenn ich erst groß seyn werde, dachte ich oft, dann — aber was dann? — ich wußte es nicht. Tausend Luftschlösser bauete ich, eins über dem andern; in allen thronte Angelina bald als Fee, bald als Königin. Ihr liebes Bild hat bis auf den heutigen Tag durch alle Ereignisse meines Lebens mich begleitet, und wird nicht erlöschen, so lange ein Herz in meinem Busen schlägt.

So hatte denn nach einigen Wochen der erste wahre Schmerz meines Lebens erst in stille Wehmuth, dann in beseligende Erinnerung sich aufgelöset. Ach nur zu bald, nach wenigen Monaten schon, sollte ein zweiter, aber tieferer, ernsterer Art ihm folgen, ein Unglück mich treffen, das ich nie ganz verschmerzen werde, dessen Folgen den schönen, stillen, bis dahin so einfachen Gang meines Lebens abänderten, und aus dem Paradiese meiner unendlich glücklichen Kindheit mich vertrieben.

Mein Vater war Prediger, im edelsten erhabensten Sinne des Wortes. Gleich fern von Fanatismus, Bigotterie, und vernünftelndem Unglauben, verwaltete er mit wahrhaft göttlichem Eifer sein Amt, und war, wie ich späterhin eingesehen habe, mehr ein ächter Bote des Herrn, als ein Wächter auf der Zinne seiner Kirche. Die seinem Geiste, wie seinem Gemüthe inne wohnende Kraft, drängte ihn von allen Seiten zum thätigen Wirken und Walten. Allen, die Hülfe bedürfend ihm nahten, erschien er wohlthätig; auch er pflegte eben so wenig darnach zu fragen, wes Landes und Glaubens der sey, der Beweise seiner Milde erfuhr, als die alles belebende Sonne, die ihre Strahlen auf Gute und Böse fallen läßt. So stand er da, mitten in den Erbärmlichkeiten der Welt; fest auf sich selbst beruhend, immer gebend und niemals empfangend.

Die immer sich mehrenden Schrecken des langen Krieges, der erst damals die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern begann, hatte unser stilles Thal, in welches sogar die Zeitungen nur selten und spärlich ihren Weg fanden, bis dahin verschont. Nur von Zeit zu Zeit stiegen hinter unseren Bergen, gleich schreckenden Gespenstern, Gerüchte von begangenen Gräueln, von angezündeten und geplünderten Städten und Dörfern, von blutigen Schlachten, hervor. Doch wie jene Grausen erregenden Gebilde der Nacht vor dem Tagelicht, so löseten auch diese beängstenden Nachrichten aus der Ferne, vor dem rings uns umgebenden stillen Frieden schnell wieder in Nichts sich auf; sie dienten nur dazu die Bewohner unseres Thales, gleich Kindern, durch ein angenehmes Schaudern zu erschüttern, das die Ruhe ihres glücklichen Daseyns sie nur um so lebhafter empfinden ließ.

Allmählig aber trat dennoch das allgemeine Unheil uns näher. Die Hirten sahen schon zuweilen von den Gipfeln unserer Berge, wie drohende Feuerzeichen den nächtlichen Himmel in der Ferne rötheten, und mancher einzelne Unglückliche, den der Krieg vom eignen Heerde vertrieben, fand Hülfe suchend den Weg zu unseren bis jetzt noch von beneidenswerther Vergessenheit umfriedeten Hütten. In banger Ahnung, mit hochschlagendem Herzen, horchten die mitleidigen Bewohner derselben den Herzzerreissenden Berichten von ihnen noch unbekannten Gräueln zu, und die Zeit, die bestimmt war, uns Allen, besonders aber mir, einen traurigen Wechsel unserer Lage zu bringen, rückte darüber immer näher heran.

Mehrere Männer, die im Spätherbst in den Wald gegangen waren um Holz zu fällen, kehrten eines Morgens mit allen Zeichen heftigen Schreckens zurück, und verkündeten, wie ein nie zuvor gehörtes, dumpfes, wild brüllendes Getöse Wald und Gebirge durchtobe, so daß die Felsen in ihrer mächtigtiefen Grundfeste davor zu erbeben schienen. Mein Vater ließ sich von den Männern sogleich an den Platz führen, wo dieser Lärmen sie erschreckt hatte, doch ehe er ihn noch erreichte, erkannte er schon das laute Toben der wahrscheinlich nicht sehr entfernten Schlacht, das Brüllen der Batterien, das knatternde Getöse des kleinen Gewehrfeuers, das, vom Echo von Felsen zu Felsen getragen, durch das Gebirge hindonnerte, und alles, sogar die Vögel und Thiere des Waldes, mit Schrecken erfüllte.

Den ganzen Tag, die Hälfte der folgenden Nacht, saß ich mit ahnungsvoller Seele auf der Anhöhe hinter unserem Garten, und horchte, halb schaudernd, halb gehoben und begeistert, dem fernen Donner mit nie so gefühltem sehnsüchtigem Herzklopfen zu. Wundersame, ungeheure Bilder, vor denen mir graute, und die doch durch einen ganz eignen Zauber mich anzogen, erfüllten dabei meine junge Phantasie, und ich vermochte es nicht, mich von ihnen abzuwenden, bis endlich alles still geworden war.