Hrsg. Peter M. Frey
„Schatzsucher im Eismeer“ ist der dritte Band aus der Reihe der neu gefassten Erzählungen von Friedrich Meister. In der Neufassung nimmt Peter M. Frey leichte Veränderungen am Originaltext vor, die der Lesbarkeit und der Übertragung in die heutige Zeit geschuldet sind. Ziel ist es, den Charakter des Originals so weit wie möglich zu erhalten.
Peter M. Frey arbeitet als freier Journalist und Autor in Süddeutschland.
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Schatzsucher im Eismeer
Eine Abenteuergeschichte von Friedrich Meister
Neufassung und Digitalisierung von Peter M. Frey
Copyright © 2016 Peter M. Frey
Herstellung und Verlag
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783741278440
Friedrich Meister wurde 1848 in Baruth in Brandenburg geboren und starb 1918 in Berlin. Er war ursprünglich ein Seefahrer der alten Schule. Zu seiner Zeit wurde der überseeische Handelsverkehr zum größten Teil noch durch Segelschiffe besorgt. Auf solchen Segelschiffen fuhr Friedrich Meister zehn Jahre lang durch alle Meere - die Polarmeere ausgenommen - und bei Sonnenschein und Sturm erlebte er manches Abenteuer. Dabei lernte er fremde Länder und Völker kennen. Er bereiste China, Siam, Japan und den Südsee-Archipel bis zur Küste von Neu-Guinea und nördlich davon, die Philippinen. Er war in Westindien, Nord- und Südamerika, England, Italien und Griechenland. Er sah die „Sultansstadt am Goldenen Horn“, das heutige Istanbul, und die Westküsten des Schwarzen Meeres. In Japan erkrankte er an einem Augenleiden, das ihn schließlich dazu zwang, den Seemannsberuf aufzugeben. An Land wusste er zunächst nicht, wovon er leben sollte. Er versuchte dies und das und gelangte schließlich zur Schriftstellerei. Friedrich Meister ist Autor zahlreicher Jugendbücher.
Aus dem Vorwort von „Burenblut“
Über die vom Sonnenbrand ausgedörrte Ebene ziehen langsam zwei schwere, plumpe Planwagen dahin. Die Räder knarren und quietschen; die Köpfe der Pferde sind nach Osten gerichtet, dem atlantischen Ozean zu. An der Spitze der Karawane schreitet ein Mann, der eine lange Büchse über die Schulter gehängt hat. Den Schluss des Zuges bildet ein anderer Mann, wie der erste bewaffnet und marschmäßig ausgerüstet.
Zwei frische, helläugige, sonnengebräunte Jungen marschieren wacker mit, oft vom Pfad abweichend und munter hin und her springend. Zwei andere Jungen lagern innerhalb des einen Planwagens, und wenn sie gegenwärtig auch träger zu sein scheinen als ihre Kameraden, so sind ihre Gesichter doch nicht weniger frisch und wettergegerbt als die jener rüstigen Fußgänger. Die Männer wie auch die Jungen tragen eine unverkennbare Ähnlichkeit miteinander zur Schau. Das ist kein Wunder, denn die ersteren sind Brüder und die Letzteren sind die Söhne derselben. So langsam der Zug sich auch vorwärts bewegte, so erregte er dennoch eine Wolke gelben, blendenden Staubes, der den beiden zuerst erwähnten Jungen endlich lästig wurde und sie bewog, auf den Wagen zu den Genossen unter die schützende Leinwand zu klettern.
„Na, Philipp, bist du nun genug in dem Staub und der Hitze herumgetrabt?“, begrüßte der bequem auf dem Rücken liegende Karl seinen Bruder, als der sich mit einem Krach neben ihm niedergeworfen hatte. Karl war der Ältere der beiden. Ein strammer, achtzehnjähriger junger Mann.
„Ja, wenigstens vorläufig“, versetzte der sechzehnjährige Philipp. „Ich bin halbtot. Daran ist aber nur der dumme Heinz schuld, der in einem fort Käfer und anderes Ungeziefer für seine alberne Sammlung fangen muss.“
Damit gab er seinem Vetter Heinz, der sich inzwischen auch hingestreckt hatte, einen tüchtigen Puff. Heinz blieb denselben nicht schuldig, und so entstand im Nu eine Balgerei.
„Wenn ihr Jungens euch hier nicht sofort mäuschenstill verhaltet, dann setzen wir euch wieder an die Luft“, rief Karl, nachdem er ein paar fehlgegangene Püffe und Stöße ruhig hingenommen hatte.
„Dass solch ein junges Gesindel nie weiß, wie es sich in anständiger Gesellschaft zu betragen hat! Wollen wir sie hinauswerfen, Hans?“ „Meinetwegen“, sagte der Gefragte, sich langsam aufrichtend, und die Ärmel von seinen muskulösen Armen zurückstreifend. „Nicht nötig, wir sind schon fertig“, brummte Heinz, von dem Kampf noch ein wenig außer Atem. „Was hattet ihr denn übrigens so wichtig zu lesen, als ich hereinkam?“
„Wir lasen die Zeitung“, lautete die kurze Antwort.
„Oh, die Zeitung! Die heutige oder die gestrige?“, lachte Heinz.
„Die allerneueste vom 21. Februar“, sagte Karl, ein zerschnittenes, halb zerrissenes Zeitungsblatt emporhaltend, in welchem augenscheinlich etwas sehr Fettiges eingewickelt gewesen war. „Die Beilage einer deutschen Zeitung. Der Name ist aber nicht mehr ersichtlich. Wir fanden darin etwas Amerikanisches, was uns riesig interessierte, da wir jetzt doch selber Amerikaner sind.“
„Lass sehen“, rief Heinz, nach dem Stück Papier langend. Dem Geruch nach war Speck darin eingewickelt gewesen. „Wo steht die Geschichte?“
Karl deutete mit dem Finger auf einen Absatz und Heinz las mit lauter Stimme: „Der vielfach bis zum Wahnwitz übertriebene Unternehmungsgeist der Amerikaner feiert wohl auf seinem Gebiet tollere Orgien als auf dem der Städtegründung. Wenn ein neues Gebiet der Ansiedlung erschlossen wird, oder wenn irgendwo eine neue Eisenbahn geplant wird, dann sind sofort die ‚Boomers’ mit ihren himmelstürmenden Projekten bei der Hand und legen mit demselben Gleichmut, mit dem man in Europa einen kleinen Kramladen gründet, ganze Städte an, in die ein Haufen Geld hineingesteckt wird und die manchmal auch eine kurze Periode der Blüte erleben, um dann aber meist desto schneller wieder zu verfallen und zu veröden. So gibt es im nordwestlichen Teil von Dakota eine Stadt West Lynne, die verlassen dasteht und langsam in Trümmer zerfällt. Einen eigenartigen, unheimlichen Eindruck macht diese Stadt, in der Totenstille herrscht. Öde liegen die Straßen, die Häuser stehen leer, ringsumher tiefes Schweigen, nirgends ein lebendes Wesen. An dem Platz, wo die verödete Stadt liegt, sollte die Nordwest-Eisenbahn vorbeiführen, und darauf begründeten die Unternehmer ihre ganze Hoffnung. Die Stadt wurde so angelegt, dass sie sofort 20.000 Einwohner aufnehmen konnte. Über den Red River wurde eine Stahlbrücke gebaut, die mindestens 200.000 Dollar gekostet haben muss. Die Wohn- und Geschäftshäuser sind meistens aus Ziegeln ausgeführt. Bäume wurden gepflanzt, Parks und Gärten angelegt. Doch die Eisenbahnverbindung blieb aus, und heute ist die ganze Herrlichkeit keinen Pfifferling wert, denn das Land ist trocken und unfruchtbar, und die unbewohnten Häuser zerfallen, weil kein Mensch sich der Mühen unterziehen will sie niederzureißen, um das Material zu retten. Der ‚Boom’ kostete den Kapitalisten mehrere Millionen Dollar. Eine andere solche Boomstadt, Fort Payne in Alabama, wurde dieser Tage vom Sheriff für ganze 60.000 Dollar einem dortigen Einwohner verkauft. Für dieses Geld hat der Käufer 2000 städtische Bauplätze, 30.000 Morgen erzhaltiges Land, Malzwerke, Hochöfen, drei Fabriken, zwei Hotels usw. erworben. Das ‚neue Pittsburgh’ - so hatte man die Stadt genannt - wurde mit Wasserwerken, Gasanstalten, Opernhäusern usw. ausgestattet. Neue Eisenbahnen wurden in Angriff genommen, ein kostspieliges Kanalisationssystem eingeführt, und das alles ehe die neue Stadt das hatte, was sie eigentlich doch am wenigsten entbehren konnte nämlich Einwohner .... so, weiter geht es nicht, das Ende ist abgerissen“, schloss Heinz seine Vorlesung.
„Fortsetzung folgt in der nächsten Nummer“, bemerkte Philipp trocken.
„Ob das wohl alles wahr ist?“, fragte Heinz.
„Buchstäblich“, sagte Karl, „ich habe beinahe ganz dasselbe auch in unseren amerikanischen Zeitungen gelesen. Unsere deutschen Landsleute drüben nennen das Wahnwitz. Ich möchte es aber kühnen Wagemut nennen, der hierzulande wohl seine Berechtigung hat. Wer hier nicht wagt, der gewinnt auch nichts, und die Unternehmer solcher Städtegründungen werden durch dergleichen Fehlschläge noch lange nicht arm.“
„Vater und Onkel haben genug gewagt und doch nichts gewonnen“, warf Philipp ein. „Die Farm, auf der wir unser Glück versuchten, liegt jetzt so verfallen wie jene Städte. Wenn wir nicht sehr bald eine Petroleumquelle finden, dann können wir nur getrost wieder nach Deutschland zurückkehren.“
„Mein Vater tut das nicht, so viel ist sicher“, entgegnete Heinz. „Nur nicht den Mut verlieren, Kinder. In dieser Gegend soll es in der Erde ja mehr Petroleum geben als Wasser.“
„Mag sein, aber ob wir es finden, darauf kommt es an“, sagte Karl, Heinz’ Vetter. „Und finden wir wirklich eine Quelle, dann ist es auch noch sehr fraglich, ob sie lange vorhält. Hast du denn nicht Frank Bassett von der verfallenen Stadt erzählen hören, die er hier herum gefunden haben will? Genau solch ein Ort wie die, von denen wir soeben gelesen haben, mit Läden und Hotels aber ohne Einwohner, bloß unzählige Katzen liefen auf den Straßen umher. Erinnert sich denn keiner von euch?“ „Ich erinnere mich“, sagte sein Bruder Philipp. „Neunschwänzige Katzen waren es ja wohl? Das wird ein Spaß, wenn wir die Katzenstadt finden! Nicht, Karl?“
„Du verdienst die neunschwänzige Katze für deine ewigen faulen Witze“, entgegnete Karl unwillig. „Doch da schaut Vater zum Wagen herein.“
Karl und Philipps Vater hieß Johann Bernsdorf. Derselbe trug die praktische und dauerhafte Kleidung der Waldläufer. Bluse und Beinkleider aus grauem, festem Stoff, Ledergamaschen, Schuhe und Filzhut. Er war von breitschultriger, mittlerer Statur, hatte buschige Augenbrauen, einen rotblonden Bart und scharfblickende, graue Augen. Die hohe, gewölbte Stirn wurde durch die breite Hutkrempe beinahe ganz verdeckt. Johann Bernsdorf hatte in der neuen Welt bisher noch kein Glück gehabt, obwohl er sich bereits lange Jahre in dem von so vielen ersehnten Land befand. Er war mit einigem Kapital aus Baden nach Karolina ausgewandert, um sich hier mit seinem bereits auf einer Farm ansässigen Bruder zusammenzutun. Ein Jahr vor seiner Abreise hatte der Tod ihm seine Frau entrissen, und wiederum ein Jahr nach seiner Ankunft in Amerika wollte es das Unglück, dass auch Bruder Friedrichs Frau starb. Von der Zeit an ging es mit der Wirtschaft bergab. Die Brüder verkauften endlich, was zu verkaufen war und machten sich auf den Weg nach Kanada. Sollte das Glück ihnen auch dort nicht günstiger sein, dann wollten sie in das alte Vaterland jenseits des Ozeans zurückkehren.
Johann Bernsdorf hatte zwei Söhne, Karl und Philipp, sein Bruder Friedrich desgleichen, Heinz und Hans. Alle vier waren die besten Freunde. Fröhliche, lebensfrohe Burschen, denen ihr Dasein bisher mit wenigen Ausnahmen noch wie ein einziger Feiertag erschienen war. Sie hatten eine gute Schuldbildung erhalten, soweit dies unter den angeführten Verhältnissen möglich gewesen war. Im allgemeinen aber waren sie besser mit dem Wesen der Natur als mit den alten Klassikern vertraut, und wenn sie auch in den Elementarwissenschaften noch ganz gut bewandert waren, so verstanden sie doch noch besser, der Fährte eines Bären zu folgen. Sie handhabten das Gewehr und die Axt mit Meisterschaft, hegten große Rücksicht und Liebe für alle Geschöpfe Gottes, ausgenommen Skorpione, Schlangen und Stinktiere, und hatten sich im übrigen bereits nach Kräften amerikanisiert.
Friedrich Bernsdorf war größer und stattlicher als sein Bruder, und ein Mann von den besten Anlagen und Fähigkeiten, von denen er jedoch nicht immer den rechten Gebrauch gemacht hatte. Darin lag zum Teil der Grund seines bisherigen Missgeschicks. Trotzdem war er ein prächtiger, herzensguter Mensch, offen und ehrlich vom Charakter, mit den Jungen noch selbst ein Junge, voll Freundlichkeit und Güte gegen alle, mit denen er in Berührung kam, es sei denn, dass feindselige Menschen oder wilde Bestien ihm in den Weg traten. In einem solchen Fall wehrte er sich schonungslos seiner Haut. Noch ein anderes Mitglied dieser Doppelfamilie müssen wir den Lesern vorstellen, nämlich Troll, den großen Wolfshund, einen starken, zottigen Gesellen; treu, intelligent und so schnellfüßig wie ein Hirsch. Außerdem waren da noch Hiob und Lot, die als Ackerknechte auf der Bernsdorf-Farm gedient hatten. Diese beiden waren unzertrennliche Freunde. Sie hatten Troll, den Hund, in ihren Bund aufgenommen. Am Nachmittag war die Karawane in die dicht bewaldete Gegend gekommen, die, außer der nur an einigen Wagengleisen erkennbaren Fahrstraße, keine Spur von Zivilisation zeigte. Johann Bernsdorf und sein Bruder weckten Hiob und Lot, die im zweiten Wagen schliefen, damit diese die Führung der Pferde und die Bewachung der Fuhrwerke übernehmen sollten, während sie selbst ein wenig rasteten und Rat hielten. Es handelte sich um die Auswahl des nächsten Lagerplatzes.
„Wir müssen sehen, dass wir einen Bach oder ein Wasserloch finden, Friedrich“, sagte der Bruder, als sie nebeneinander im Wagen lagen. „Ohne Wasser geht es nicht länger. Das Beste wäre ja, wenn wir nach Breaker City gelangten. Ich denke, wir können nicht mehr allzu weit davon entfernt sein.“
„Der Ansicht bin ich auch. Das Nest muss hier herum in den Bergen liegen“, antwortete Friedrich Bernsdorf. „Lot wird es schon auffinden, der Kerl hat eine merkwürdig gute Nase für Petroleum, und Breaker City muss doch noch stark nach Petroleum riechen. Wo denkst du, dass wir uns jetzt ungefähr befinden?“
„Nun, in Kentucky, die Grenze von Tennessee haben wir bereits passiert. Ich meine, wir tun gut, wenn wir sobald als möglich an den Ohio und dann nach Pittsburgh zu gelangen suchen. Dort wohnt Robert Bates, der uns beistehen und weiterhelfen muss.“
„Das wird Robert Bates auch gern tun“, erwiderte Friedrich in Gedanken verloren.
„Sag’ mal, Bruder“, fing Johann nach einigem Stillschweigen wieder an, „ist dir nicht auch so eigentümlich zumute, als ob uns irgendetwas bevorstände? Wir haben in dieser Beziehung oft die gleichen Empfindungen und Vorahnungen gehabt, erinnerst du dich nicht? Mir ist, als müsste sich etwas ereignen ...“
„Lass mich mit deinen Vorahnungen in Ruhe. Die haben selten etwas Gutes bedeutet! Was soll sich denn nun schon wieder ereignen?“
„Weiß ich’s? Ich habe so ein Vorgefühl, als müsste etwas geschehen.“
„So, na das ist was Rechtes! Geschieht denn nicht alle Tage etwas? Das Wetter wird sich ändern, das wird alles sein ... hallo! Der Lot biegt links ab, wie ich sehe. Unser Weg liegt geradeaus. Er wird aber seine Gründe dafür haben.“
„Lot weiß, was er tut“, sagte Johann. „Er wird uns einen Lagerplatz für die Nacht aussuchen.“
Die Burschen in dem anderen Wagen hatten Lot ebenfalls beobachtet und kamen nun herbei, um die beiden Alten zu fragen, aus welchem Grund er vom Fahrweg abgewichen sei.
„Führt uns Lot nicht falsch, Vater?“, fragte Karl. „Wenn wir uns in diesem Waldungen verirren, dann können wir lange suchen, ehe wir wieder eine Straße finden.“
„Lass den Lot nur ruhig gewähren“, versetzte Johann Bernsdorf. „Der alte Junge ist nicht dumm. Er sucht uns ein geschütztes Nachtquartier, und das werden wir sehr nötig brauchen, sage ich dir, denn wir kriegen ein Unwetter, wenn mich nicht alles täuscht. Lot riecht Petroleum, wir können nicht weit von Breaker City entfernt sein.“
„Meinst du, dass wir uns hier in einer Petroleumregion befinden, Onkel?“, sagte Hans. „Gewiss, und dein Vater meint das auch. Wer weiß, vielleicht ist das Glück uns günstig und wir machen eine ergiebige Bohrung.“ Friedrich Bernsdorf lachte. „Mein lieber, alter Junge!“, rief er. „Du träumst schon wieder vom Eldorado! Hat das Leben dir denn noch nicht Enttäuschungen genug gebracht?“
Johann schüttelte den Kopf.
„Bruder, lass mir die Hoffnung“, sagte er. „Ich denke dabei nur an unsere Jungen. Sieh nur, wo rast die tolle Sippschaft jetzt schon wieder hin? Sie rennen wahrhaft geradezu in das Dickicht hinein! Ich sehe keinen einzigen mehr.“
Die Wagen knarrten weiter und die Stimmen der im Wald verschwundenen Burschen wurden schwächer und schwächer. Eine Viertelstunde verging. Da hörten die beiden Männer hinter sich einen lauten Zuruf. Die Wagen hielten. Zwei der Jungen kamen in der zunehmenden Abenddämmerung erhitzt und außer Atem herbei.
„Gott sei Dank!“, rief Hans, der seinem Vetter Karl eine Strecke voraus war. „Wir fürchteten schon, euch nicht wiederzufinden! Das war eine tolle Hetze! Wenn Heinz aber einen Käfer fliegen sieht, dann ist er nicht zu halten und das Jagdfieber steckt an. Sind die anderen noch nicht hier?“
„Nein, kommt ihr denn nicht alle zusammen?“, rief Johann Bernsdorf erschrocken. „Mein Gott, wenn die Jungen sich verirrt hätten! Wir müssen hier ausspannen und lagern und uns sogleich auf die Suche begeben. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.“
Hiob und Lot kamen herbei und machten sehr ernste und besorgte Gesichter, als sie vernommen hatten, um was es sich handelte. Sie wussten sehr wohl, wie gefährlich es war, sich bei Anbruch der Nacht in einem kentuckischen Urwald zu verirren.
Das also war es, was Vater Johanns Vorahnung verkünden wollte! Jetzt war allerdings etwas geschehen. Die Pferde - vier an jedem Wagen - wurden ausgespannt und gefesselt, dann machten alle sechs Mann sich auf und durchstreiften den Wald nach den von Karl und Hans angegebenen Richtungen. Es wurde schnell finster und ein Gewitter zog mit Donner und Blitz herauf. Trotz allem Suchen fand sich keine Spur der Verlorenen. Schüsse wurden abgefeuert, dieselben verhallten jedoch ohne die ersehnte Antwort zu bringen. Ein wütender Sturm bog und peitschte die Wipfel der Bäume, und ein schwerer Regen durchnässte die endlich erschöpft und nahezu verzweifelt zu den Wagen zurückkehrenden Streifpartien.
Am nächsten Morgen nahm Friedrich Bernsdorf wahr, dass auch Troll, der Hund, sich nicht mehr bei der Karawane befand.
Er teilte seine Entdeckung den Übrigen mit.
„Das freut mich“, bemerkte Lot ruhig. „Der ist zu den jungen Masters in den Wald gegangen.“
„Freut mich mächtig“, stimmte Hiob ihm bei.
Lot und Hiob hielten zusammen wie Pech, was der eine sagte und tat, das tat und sagte auch stets der andere. Mit bekümmerten Gesichtern setzten die Abenteurer sich zum Frühstück nieder. Während desselben wurde eine wichtige Frage erörtert. Sollte man hierbleiben oder aber weiterziehen? Man kam überein, noch einmal den Wald abzusuchen, dann langsam die Fahrt zu beginnen, dabei wiederholt Rast zu machen und aufs Neue nach den Vermissten zu streifen.
„Lass uns die Suche sofort beginnen“, sagte Johann Bernsdorf zu seinem Bruder. „Wir hauen die Bäume an, damit wir den Weg zurückfinden und sind, wenn die Sonne im Mittag steht, wieder hier. Die Jungens bewachen indessen das Lager.“
Einwendungen waren vergeblich, die jungen Leute sahen sich daher gezwungen, bei den Pferden und den Wagen auszuharren.
Hans verhielt sich ungewöhnlich schweigsam.
„Gräme dich nicht zu sehr, Hans“, tröstete Karl, „sie werden bald wieder bei uns sein. Troll ist bei ihnen, darauf kannst du dich verlassen. Darin aber liegt die Gewähr dafür, dass sie uns wieder auf die Fährte kommen müssen.“
„Das wollen wir hoffen“, antwortete Hans niedergeschlagen. „Ich dachte in diesem Augenblick aber an etwas anderes. Hast du in dem Sturm der vergangenen Nacht wohl die große, entsetzliche Feuersäule bemerkt?“
„Eine große, entsetzliche Feuersäule? Blitze habe ich gesehen, mehr als mir lieb war, aber eine Feuersäule? Nein.“
„Nun, ich habe sie gesehen, dort in der Richtung“, sagte Hans nach Nordwesten deutend. „Es war ein Anblick, als ob eine ganze Stadt in Flammen aufginge, es sah grauenerregend aus.“
„Du hast geträumt, Hans“, war des Vetters Entgegnung. „Die Blitze haben dich bis in den Schlaf verfolgt. Mache dir nicht unnötig noch mehr schwere Gedanken.“
„Nein, Karl, ich habe es wahrhaftig nicht geträumt“, beharrte Hans. „Im Gegenteil, ich fürchtete schon, dass Philipp und Heinz den Wald in Brand gesetzt haben könnten.“
„Wenn das der Fall wäre, dann müssten wir den Rauch und Qualm ja jetzt noch deutlich sehen. Wenn Onkel und Vater zurückkommen, dann wollen wir ihnen von deiner Feuersäule erzählen.“ Die Zeit ging nur langsam dahin. Ringsum herrschte tiefes Schweigen. Der Fahrweg lag ganz verödet. Die Straße war eigentlich kaum sichtbar, da die wenigen Wagenspuren zum Teil von Gras überwuchert waren und hier unter den dichten Bäumen kein Staub darauf lag. Auf allen Seiten breitete sich dicht und scheinbar undurchdringlich der Urwald aus. Fast ein Wunder war es zu nennen, wenn jemand, der sich hier verirrte, jemals wieder zum Vorschein kam. Die Sonne hatte fast die Meridianhöhe erreicht, als Johann Bernsdorf als erster wieder bei den Wagen eintraf. Er war noch sorgenvoller als zuvor. In kurzen Abständen erschienen auch die übrigen Sucher. Friedrich Bernsdorf, Hiob und Lot, keiner hatte eine Spur von den Verschwundenen entdeckt.
Während die Vorbereitungen für das Mittagsmahl getroffen wurden, erzählte Karl den Traum des Vetters Hans von der Feuersäule, wie er sich ausdrückte. Diese Mitteilung brachte einige Bewegung in den Kreis der trübe und schweigend vor sich hin Brütenden. Weder Johann noch Friedrich Bernsdorf hatten die Erscheinung wahrgenommen und sie vermochten auch keine Erklärung für dieselbe zu finden. Hans beschrieb noch einmal ganz genau was er gesehen hatte. Die säulenartige Flamme war plötzlich mitten im Gewittersturm emporgelodert und war dann in nordwestlicher Richtung stehengeblieben.
„Ich habe mein Lebtag so etwas noch nicht gehört“, sagte sein Vater. „Der Lichtschein über einer Stadt kann es nicht gewesen sein, da keine Ortschaften in der Nähe sind. Handelte es sich um einen Waldbrand, dann hätten wir bald den Rauch verspürt, auch wäre der Brand bei dem Wind schnell näher gekommen. Eine seltsame, merkwürdige Sache, was meinst du, Friedrich?“
„Gewiss, höchst seltsam und merkwürdig Vielleicht kann Lot uns die Erscheinung erklären, wenn er mit der Kocherei fertig ist.
„Da kommt ja schon das Essen. Der Himmel stehe unseren armen verirrten Buben bei, damit sie nicht in der Wildnis verschmachten!“
Keiner vermochte viel zu sich zu nehmen. Das Essen wurde eben nur gekostet. Der Gedanke an die Abwesenden, die müde, hungrig, durchnässt im Wald herumirrten reichte hin um allen den Appetit zu nehmen. Lot und Hiob allein stopften sich mit männlicher Fassung den Leib gehörig voll. Nach beendetem Mahl ließ man auch sie an der Beratung teilnehmen. Hans erzählte noch einmal was er gesehen hatte.
„Hm“, bemerkte Lot, „kurios, ungemein kurios ist das.“
„Ja, mächtig kurios“, bestätigte Hiob. „Aber ich denke, ich hab’s - es ist ein Waldbrand.“ Lot schaute die anderen der Reihe nach an. Da jedoch keiner das Wort nahm, sagte er:
„Mein Freund Hiob hat nicht so unrecht - nicht so ganz unrecht - nur, dass er es diesmal nicht ganz getroffen hat. Ein Waldbrand ist das nicht, das glaube ich nicht - aber so ganz unrecht hat er nicht.“
„Er sagte doch aber, es wäre ein Waldbrand“, wandte Hans ein. „Nein, Master, er meinte bloß so. Ich meinte das auch zuerst, jetzt aber weiß ich es besser - es ist eine Gasquelle, könnte ich mir vorstellen.“
„Ja, eine Gasquelle“, wiederholte Lot. „Wir sind hier in der Petroleumgegend, da gibt es viel Gas in der Erde, das sich hier und da Auswege sucht. Ich habe Feuersäulen gesehen, die hundert Fuß, ja hundertfünfzig Fuß hoch waren. Und solch ein Feuer muss es gewesen sein, was Ihr gesehen habt, Master Hans.“
„Das klingt nicht unwahrscheinlich“, bemerkte Friedrich Bernsdorf, „aber solches Gas kann sich nicht von selbst entzünden.“
„Nein“, sagte Hiob schnell, um seinem Partner zuvorzukommen, „aber der Blitz kann das Gas entzünden. So etwas habe ich oft genug gesehen.“
„Das kann nur eine Gasquelle sein und nichts anderes“, bekräftigte Lot.
„Dann meinst du wohl auch, dass hier in der Nähe eine Petroleumstadt sein muss?“, fragte Johann Bernsdorf.
„Gewiss meine ich das, darum habe ich auch diesen Weg eingeschlagen. Dort finden wir gute Unterkunft.“
„Aber unsere Jungs - ob sie auch dorthin kommen werden?“ Das Gesicht des besorgten Vaters hellte sich auf. „Eine innere Stimme sagt mir, dass auch sie den Feuerschein gesehen haben, und dass sie der Richtung desselben folgen werden. Tun wir desgleichen, dann finden wir unsere Verlorenen wieder.“
Die Pferde wurden angeschirrt und langsam setzte sich die Karawane in Bewegung. Man unterließ es nicht, während der Fahrt in bestimmten Zwischenräumen Schüsse und Salven abzufeuern, um nichts zu versäumen, was die Verirrten auf die richtige Spur lenken könnte. Allein kein antwortender Ruf, kein Signalschuss und kein Hundegebell ließen zu vernehmen. Heinz und Philipp hatten ihre Revolver bei sich - die Mitglieder der Karawane legten ihre Waffen weder bei Tag noch bei Nacht ab. Bei eintretendem Abenddunkel wurde im Nordwesten eine eigentümliche Helligkeit, ein Feuerschein, sichtbar. Je finsterer es wurde, desto deutlicher erschien dieses seltsame Licht. Der Pfad hatte bisher im allgemeinen direkt auf die Lichterscheinung zugeführt, einige Krümmungen und Umwege abgerechnet, die nötig wurden, um unwegsame Stellen des Waldes und sumpfiges Terrain zu vermeiden. Nach und nach aber wurden diese Umwege bedeutender, so dass man zuweilen meinen konnte, der Weg wende sich gänzlich einer anderen Richtung zu.
Karl und Hans begannen ungeduldig zu werden und zu murren. „Festina lente“, sagte Friedrich Bernsdorf. „Langsam und sicher führt am weitesten! Vergesst doch nicht, dass durch unser gemächliches Weiterziehen die armen Jungs im Wald am ehesten die Gelegenheit finden können wieder zu uns zu stoßen. Wir wollen hier Halt machen, Johann, wenn es dir recht ist, und unser Lager für die Nacht aufschlagen.“
Die Pferde wurden ausgespannt und das Lager hergerichtet. Am nordwestlichen Horizont loderte die weiße Flamme hoch und stetig, vom Wind nur ein wenig hin und her bewegt. Die Gesellschaft beobachtete die wunderbare Erscheinung lange und mit unvermindertem Erstaunen. Man erging sich in allerlei Mutmaßungen über die Ursache derselben und versuchte die Entfernung dorthin abzuschätzen. Endlich wurden noch einige Salven abgefeuert, und dann begab man sich ermüdet zur Ruhe wobei Hiob und Lot die erste Wache übernahmen.
Heinz und Philipp hatten inzwischen eine keineswegs angenehme Zeit im Wald durchgemacht. Sie waren durch das wild verschlungene Dickicht von den Gefährten getrennt worden und wussten nicht wie. Ehe sie sich dessen versahen, fanden sie sich allein und verlassen in der lautlosen, grünen Einsamkeit und auf all ihr Rufen und Pfeifen erhielten sie keine Antwort.
„Es wird ihnen langweilig geworden sein und da sind sie umgekehrt“, meinte Philipp. „Ich denke, wir gehen auch zurück. Du hast nun Käfer genug. Warte einmal - bei jenem weißen Baum sprach ich zuletzt mit Karl, von da führte eine Lichtung zum Weg. Komm, Heinz!“
Heinz trottete hinter seinem Vetter her. Sie kamen zu dem weißen Baum und sahen hier auch eine Lichtung. Sie wussten nun, dass der Weg nicht mehr fern sein konnte. Langsam und gemächlich schritten sie fünfzehn oder zwanzig Minuten weiter. Dann blieb Philipp stehen und schaute um sich.
„Hm“, sagte er. „Wo bleibt denn der Weg?“
„Ja, wo bleibt der Weg?“, sagte auch Heinz. „Wir hätten ihn doch schon längst haben müssen. Unsere Väter werden uns schön empfangen, wenn wir so lange fortbleiben, dass sie auf uns warten müssen. Wo gehen wir nun entlang?“
„Sind wir da nicht wieder ganz dicht bei dem weißen Baum?“, fragte Philipp ganz erschrocken.
„Bei dem weißen Baum?“, wiederholte Heinz mit sehr einfältigem Gesicht. „Wahrhaftig, da steht er! Aber da ist noch so einer - und da noch einer!“
„Dann war das vorhin am Ende gar nicht der richtige Baum! Himmel, wenn wir uns verirrt haben sollten!“
Das verhängnisvolle Wort war ausgesprochen. Ein kalter Schauer durchrieselte beide Jungen.
„Ach, Unsinn!“, rief nach einer kurzen Pause Heinz, der der Ältere von beiden war. Denn er zählte siebzehn, sein Vetter Philipp nur sechzehn Jahre.
„So leicht verirre ich mich doch nicht! Sieh her, hier ist ein Zweig, den ich selber vorhin abgeschnitten habe - nicht doch, der da ist es - der muss es sein - ich kenne den Strauch noch ganz genau.“
Er war seiner Sache jedoch keineswegs so sicher. Er trat zurück und musterte den Strauch von mehreren Seiten. Dann schüttelte er den Kopf. Sein Herz begann heftig zu pochen und eine bange Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Er ließ sich jedoch davon nichts anmerken. Sie standen und sahen sich erst lange im Kreis um und dann einander in die Augen. „Jetzt sitzen wir drin“, sagte Heinz, indem er zu lächeln versuchte. „Wir finden uns aber wohl wieder heraus“, entgegnete Philipp mit erkünstelter Zuversicht. „Komm!“
Stillschweigend und schnell schritten sie aufs Geratewohl davon, immer vorwärts in den Wald hinein, innerlich hoffend, dass es die rechte Richtung sein möge. Eifrig spähten sie dabei nach Fußspuren und anderen Anzeichen, allein vergeblich. Plötzlich stieß Philipp einen Freudenruf aus.
„Hier ist eine Fährte!“, jubelte er. „Hier sind Karl und Hans gegangen, schau, Heinz, gerade auf jenen weißen Baum zu! Da also ist der richtige Baum! Wir haben doch noch Glück, denn in einer Stunde ist es Nacht.“
Sie eilten in Richtung des Baumes weiter, herzlich froh, endlich wieder frei aufatmen zu können. Schneller und schneller schritten sie aus, erklärte doch Heinz mit Bestimmtheit, schon den Fahrweg in der Ferne zu gewahren. So gelangten sie an einen Ort, der ihnen bekannt erschien.
„Jetzt weiß ich Bescheid!“, rief Heinz. „Den Baum dort habe ich mir gemerkt - dort ist der Weg!“
Was er für den Weg ansah, erwies sich jedoch nur als eine Lichtung.
„Sind wir hier nicht schon einmal gewesen?“, fragte Philipp kleinlaut, „an diesem Baum kamen wir vor einer halben Stunde schon einmal vorbei ... Wir sind unseren eigenen Spuren nachgegangen, Heinz! Mein Gott, wir sind verloren!“
„Noch nicht, Philipp, noch nicht“, antwortete Heinz äußerlich ruhig, aber mit bebender Stimme. „Wir finden uns schon noch heraus. Ich bin nur Vaters und Onkels wegen unruhig.“
„O Heinz, was fangen wir an?“, jammerte Philipp, den Vetter ratlos anblickend.
„Wir können doch nicht die ganze Nacht hier stehenbleiben! Horch! Mir war es, als donnerte es in der Ferne! Hörtest du nichts?“
„Nein. Kann aber sein, dass ein Gewitter heraufzieht. Das wäre übrigens ganz niedlich, hier in Nacht und Regen herumzupatschen. Zudem kann uns ein Blitz treffen - das aber würde nicht das Schlimmste sein.“
„Wie kannst du nur so reden!“, versetzte Philipp vorwurfsvoll.
„Nun, habe ich etwa nicht recht? Solch ein Blitz tötet einen auf der Stelle, man merkt gar nichts davon - ist das kein angenehmerer Tod, als in dieser Wildnis langsam zu verschmachten?“
„Oh, es ist auch vorgekommen, dass Leute durch einen Blitzschlag nur das Augenlicht verloren haben. Wäre es nicht fürchterlich, blind im Wald herumirren zu müssen?“
„Allerdings“, gab Heinz zu. „Und dazu kommen noch alle die anderen Unannehmlichkeiten, die einem solch eine Wildnis bietet, als da sind wilde Bestien jeder Art, dazu giftige Schlangen, Tausendfüßler und Skorpione, ferner Unwetter, Regen, Fieber, Kälte, Hitze, Hunger, Durst - wahrlich, eine nette Aussicht! Aber noch leben wir, Philipp, und so lange wir leben, brauchen wir die Hoffnung nicht aufzugeben. Also Mut!“
Der brave Bursche suchte seinem Gefährten eine Zuversicht einzureden, die er selbst kaum noch zu hegen wagte. Denn ihre Lage war höchst gefährlich. Wenn ihnen nicht bald geholfen wurde, dann war das Schlimmste zu befürchten.
„Hier steht ein schöner, dichter Baum“, fuhr er fort, „der soll uns Schutz gewähren, wenn es regnen sollte. Lass uns hier bleiben bis zum Morgen, dann wollen wir weiter sehen.“
„Wie du meinst, Heinz“, sagte Philipp folgsam. „Mir ist aber, als verspürte ich einen gewaltigen Hunger.“
„Mir geht es ebenso“, versetzte Heinz. „Allein, wenn wir nicht Blätter und Wurzeln essen wollen, müssen wir uns den Hunger schon verkneifen. Beeren und dergleichen Früchte habe ich nirgends bemerkt. Schießen können wir uns auch nichts. Zwar schleppe ich nach Vorschrift meinen Revolver mit mir herum, aber er ist leider nicht geladen.“
„Der meine enthält volle sechs Schüsse“, entgegnete Philipp.
„Bravo!“, rief Heinz ganz vergnügt. „Hier finde ich überdies noch einige Kekse in meiner Jackentasche, heute Abend brauchen wir also noch nicht zu verhungern.“
Sie aßen und plauderten dabei, um sich gegenseitig die Sorgen zu vertreiben. Mit der sinkenden Nacht zog das Gewitter herauf und unter Blitz und Donner prasselte ein gewaltiger Regenguss auf das Blätterwerk des Waldes hernieder. Die Burschen lagen unter ihrem Baum ziemlich geschützt, und als sie sich, nachdem der Sturm hinweggezogen war, von dem feuchten Mooslager erhoben, um in der Dunkelheit, so gut dies anging, Umschau zu halten, da gewahrten sie im Nordwesten die hohe, helle Flamme über den Baumwipfeln, die ihre Angehörigen ebenfalls wahrgenommen hatten.
„Sie haben ein Feuer angezündet, damit wir sie besser auffinden können“, rief Philipp. „Hurra, jetzt sind wir gerettet! Komm, Heinz, lass uns aufbrechen, du bist doch nicht müde?“