for

all the wonderful volunteers

on and around the Appalachian Trail

who, with their never ending dedication and generosity

make this Trail remain the American Classic

to enjoy for future generations as well

Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbiographie;

detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über

<www.dnb.de> abrufbar.

Originalausgabe Februar 2017

© 2017 – Manuela Pinggèra

Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Manuela Pinggèra

Photos und Grafiken, wenn nicht anders angegeben, stammen aus der Hand der Autorin

Umschlagphotos: Southern Balds in den Roan Highlands, North-Carolina/Tennessee

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9-783-74311077-9

Inhalt

Vorwort

Dieses Buch hätte es gar nicht mehr geben sollen.

Es war zwar schon längst als Buchprojekt geplant, bevor ich das erste Mal auf den Appalachian Trail kam, doch hinterher wollte das Ganze einfach nicht klappen – da war nichts zu machen; ich fand keinen rechten Einstieg ins Thema, von dem aus das Ganze entwickelt werden sollte. Ein erstes Manuskript brach ich mittendrin ab, weil es nicht das war, was ich mir vorgestellt hatte. Es war wie verhext.

Da wandert man zwei Mal einen Weitwanderweg, zu dem es reichlich zu berichten gäbe – allein, es will einfach nicht funktionieren.

Es sollte keine Tag für Tag Nacherzählung meiner kompletten Wanderungen werden. Erstens gibt es solche Berichte auf dem amerikanischen Buchmarkt zuhauf, zum anderen aber werden diese Berichte schnell etwas eintönig, denn auch auf dem Appalachian Trail erlebt man nicht pausenlos Abenteuer oder hat aufregende Erlebnisse anderer Art.

Dieses fruchtlose Hin- und Her an angestrengtem Überlegen, ein brauchbares Konzept zu finden, mit der Ratlosigkeit darüber, was daran denn nur so kompliziert sein konnte, dauerte gut drei Jahre, bis ich beschloss, unter das Projekt endgültig einen Schlussstrich zu ziehen. Das Vorhaben war für mich also abgehakt.

Im vergangenen Jahr hatte ich ein Klassentreffen mit Klassenkameraden aus meiner Münchner Realschulzeit, zu dem auch einige Lehrkräfte gekommen waren, die uns damals unterrichtet haben. Der Abend verlief sehr erfreulich, mit allerlei Spaß und Unterhaltung; man tauschte sich über dieses und jenes aus – auch der Appalachian Trail war hier und da Thema, wobei es mehr um die grundsätzlichen Informationsaspekte zum Trail ging, als um Einzelheiten meiner beiden Komplettwanderungen (Thru-hikes). Insgesamt war es ein sehr schöner Abend, von dem ich zufrieden nachhause fuhr.

Am Tag darauf wache ich auf, und als sei irgendwo unbemerkt ein Schalter umgelegt worden, stand mir mit einem Mal klar vor Augen, wie dieses Buch zu schreiben sei.

Warum nun zwei Bücher?

Nachdem das Manuskript fertig war, kamen knapp 260 DIN A 4 Seiten reiner Text zusammen, in die noch zahlreiche Photos und Grafiken eingefügt werden sollten, außerdem standen Satz und Gestaltung des gesamten Buchblocks bevor, damit das Endprodukt lesbar wird.

Es sollte auf keinen Fall ein unhandlicher Wälzer am Ende dabei herauskommen, der womöglich nach kürzester Zeit im Buchrücken auseinanderfällt. Das macht keinem Leser Freude.

Daher gibt es nun einen eher allgemein gehaltenen ersten Teil zu vielerlei Aspekten des Trails mit einigen persönlichen Erfahrungsberichten zwischendrin und als Folgetitel einen zweiten Teil, der dem Verlauf des Appalachian Trails in klassischer Süd-Nordrichtung Bundesstaat für Bundesstaat von Georgia nach Maine folgt, mit gelegentlichen Einschüben aus meiner Erfahrung als Northbounder und als Southbounder.

Beide Buchteile enthalten die vollständigen Anhänge, denn sie ‘funktionieren’ auch als eigenständige Bücher.

Die folgenden Kapitel beider Bücher enthalten oftmals englischsprachige Ausdrücke, die ich bewusst und auch wiederholt verwendet habe. Dabei handelt es sich um spezifisches Vokabular, das für den Trail typisch ist, weil es aus dem dort gebräuchlichen Jargon stammt.

Es hat hier einfach keinen Sinn, diesen Spezialwortschatz krampfhaft ins Deutsche zu übersetzen, nicht nur, weil es sich mitunter dämlich anhört, aber auch deshalb, weil diejenigen Leser, die daran interessiert sind den Appalachian Trail selbst zu wandern, den Trail-Jargon im Originallaut kennen sollten.

Auch Pflanzen und Tiere werden öfter im englischen Wortlaut genannt, denn kein Mensch wird einem in den Appalachen begegnen, der Flora und Fauna auf Deutsch benennt, einmal abgesehen davon, dass es um ortstypische Tiere und Pflanzen geht, die ich noch nie in Deutschland gesehen habe, um einmal eine Auswahl zu nennen: Blacksnakes, Gartersnakes, Spotted Newts, Mayapples, Trillium, Crested Trillium, Bottle Gentian, Mountainlaurel, Springbeauties, Virginia Creepers, Poison Ivy ...

Keines der beiden Bücher hat den Anspruch, einen Wanderführer zu ersetzen – so möchten auch insbesondere Informationen, die ich im Text zu Hostels oder Serviceleistungen entlang des Trails gebe, als individueller Erfahrungsberichtsteil verstanden werden. Ob es eine Einrichtung/Serviceleistung aktuell noch entlang des Trails gibt, muss anhand der neuesten Ausgaben offizieller Handbücher zum Appalachian Trail geprüft werden.

Was die beiden Bücher ebenso nicht bedienen möchten, ist das zurzeit populäre Genre: große Wanderung plus Nabelinnenschau mit womöglicher Selbstfindungsgeschichte.

Eine Weitwanderung ist per se keine Pilgerreise, bei der neben den religiösen Aspekten eine Selbstreflexion durchaus Motivation und Thema sein kann. Zum anderen muss eine Weitwanderung auch nicht zwingend zu einem Selbstfindungstrip werden, um lohnenswert zu sein und die Berechtigung zu erhalten, erzählt zu werden.

Es gibt tatsächlich recht viele Leute, die sich auf einem Weitwanderweg einfinden, einfach, weil sie diesen Wanderweg laufen und die Landschaft mit Drum und Dran erleben wollen, ohne, dass sie unterwegs irgendwelche Baustellen mit sich selbst und ihrem Leben aufzuarbeiten hätten oder nach innerer Wandlung suchten.

Außerdem ist Weitstreckenwandern so, wie man es mit zeitlich begrenztem Visum als Nicht-US-Bürger in den USA zwangsläufig betreiben muss, wenn einer der großen Trails in Gesamtstrecke das Ziel ist, ein körperlich anstrengendes und eher athletisches Unterfangen, bei dem man einfach gar nicht die nötige Muße, geschweige denn Kraft zu einer Selbstreflexion mit möglicher Katharsis hat.

Es gilt, monatelang im Schnitt 10 bis 13 Stunden pro Tag anstrengende Etappen mit Tourenrucksack durch die Berge zu wandern, dabei ein Zeitfenster zu beachten – da ist man nicht mehr imstande, sich auf bahnbrechende innere Wandlungen zu konzentrieren, von denen hinterher groß berichtet werden kann.

Während der Wanderung werden täglich noch viele Photos gemacht, dazu Notizen zu Wetter, Temperatur und diversen Örtlichkeiten, außerdem zu Anekdoten mit anderen Wandernden, Erfahrungen mit Wildtieren und dergleichen mehr.

Obwohl ich eine leidenschaftliche Leseratte bin, war ich nach einem Wandertag nicht mehr in der Lage, mich im Camp entspannt auf ein Buch zu konzentrieren. Die kurzen Einträge in Shelterlogs waren das Maximum.

Ein Buch, das ich noch anfangs bei meiner ersten Wanderung auf dem Appalachian Trail dabeihatte, weil ich dachte, abends im Schlafsack Lesestoff zu benötigen, habe ich bis Hiawassee ungelesen mitgetragen, wo ich es dann aus dem Rucksack entfernte, denn ich war schlichtweg zu müde, um mich geistig noch einem Buch widmen zu können.

Es war A Tramp abroad von Mark Twain, was an sich sehr unterhaltsame und angenehm zu lesende Lektüre ist. Wenn man sich nach einer Tagesetappe Wandern nicht einmal mehr auf Mark Twain konzentrieren kann, dann dürfte zur Gesamtverfassung am Ende eines Trekkingtages alles gesagt sein.

Diejenigen Erfahrungsberichte, die Selbstfindungsthematiken behandeln, sind von Personen, die genügend Zeit hatten, ihren Trip, wenn auch mit Anfangsschwierigkeiten aber dennoch, mit relativer Muße zu bewerkstelligen; die keinen US-Long-Distance-Trail in einer Saison komplett gewandert sind und auch keine Visumsbeschränkungen für die gesamte Wanderung zu beachten hatten, sondern so unterwegs waren, dass es nicht wirklich eine Rolle spielte, wann man irgendwo ankam.

Das sind gänzlich andere Voraussetzungen.

Mit einer Ausnahme, von der im Buch (Teil I) noch die Rede sein wird, habe ich auf dem Appalachian Trail tatsächlich in englisch geflucht, geschimpft und auch das reiche Sortiment amerikanischer Kraftausdrücke ausgiebig genutzt.

Man ist knapp sechs Monate in Amerika, spricht von früh bis spät englisch, liest englische Texte, schreibt Kommentare auf englisch in die Logbücher der Campstellen; das Deutsche wird zwangsläufig zur Nebensache – sogar auf so krasse Weise, dass ich, als mich ein Amerikaner fragte, was 'blanket' auf deutsch hieße, und gemeint war in dem Zusammenhang nicht die Wolldecke, sondern die Bettdecke, erst einmal völlig perplex war, weil mir das Wort Bettdecke nicht einfallen wollte, also sagte ich ihm, das sei ein Federbett ...

Wenig hilfreich war, dass mir in dem Augenblick auch noch die bekannte Wilhelm-Busch-Illustration aus Max und Moritz vor dem geistigen Auge schwebte, in der die Spitzbuben die Tüte Maikäfer unter das aufgeplusterte Plumeau kippen.

In der Hoffnung, dass der Mann sich das nicht gemerkt hat und nun denkt, Bettdecke hieße grundsätzlich Federbett im Deutschen,

verbleibe ich mit einem Happy Trails!

Mittenwald, im Februar 2017

Alpine Strider GA – ME '07
ME – GA '08

Herzlichen Dank - Thank y'all, folks!

Wie schon eingangs berichtet, ist es einem inspirierenden Klassentreffen mit Lehrern und Mitschülern aus meiner Münchner Realschulzeit zu verdanken, dass Tags darauf die ersten Seiten zu diesem Buchprojekt entstanden, das ich längst schon gar nicht mehr verwirklichen wollte. Daher gilt mein besonderer Dank meinen Klassenkameradinnen und -kameraden aus der Klasse 8 bis 10g der Städtischen Wilhelm-Busch-Realschule in München und den Lehrkräften, die uns in dieser Zeit unterrichtet haben, von denen auch einige an diesem sehr netten Abend zugegen sein konnten, für den zündenden Input, wie auch immer das geschehen sein mag – you guys simply are the "bestest" ever!

Ein ganz dickes Vergelt's Gott geht an Eugen Bauer, einem sehr lieben Nachbarn, der sich noch vor etwas über einem Jahr so rührend Mühe gegeben hatte, helfend darüber nachzusinnen, wie ich das Buchprojekt vielleicht doch noch anpacken könnte – Herr Bauer, jetzt ist es also doch noch vollbracht!

Im selben Maße möchte ich mich bei meiner ehemaligen Tiroler Nachbarin Maria vom Raineck bedanken, die mich unermüdlich anstupste, wenn sie mich im Ort traf, was denn das Buch mache – Maria, Dein unerschütterlicher Glaube an dieses Projekt, das ich schon längst zu Grabe getragen hatte, hat sich letztlich eben doch ausgezahlt: Do isches!

Laurie Potteiger from the ever helpful and nice staff of the Appalachian Trail Conservancy Headquarters at Harpers Ferry deserves an extra big Thanks a bunch for providing me with the latest updates on the Trail and helping me kindly in obtaining copyright permission for photos I needed very badly in my history chapter on the AT – this book would not be the same without your great help, Laurie! Thank You so very much and a heartfelt Happy Trails to y'all in Harpers Ferry!

Last but not least hat mich auch mein Ehemann Detlef tatkräftig unterstützt, indem er praktisch die gesamte Heimzentrale am Laufen hielt, als ich nach der überraschenden Wende mit diesem Buchprojekt aus drängender Zeitnot von der Computertastatur nicht mehr wegkam und vollkommen in einer parallel laufenden Trailwelt abtauchte – vielen, vielen Dank für Deine große Hilfe und Dein Verständnis!

"The ultimate purpose of the Appalachian Trail will be:

To walk. To see. And to see what you see."

~ Benton MacKaye

["Der letztendliche Zweck des Appalachian Trails soll sein:

Zu laufen. Zu sehen. Und zu sehen was man sieht."]

"Now the one thing about the whole trek that caused the most comment - my traveling alone [...] For my part, I preferred it so. Before the war, there were two of us who trailed together, and we had our dreams, as many others have had, of hiking the Appalachian Trail some day. But, Iwo Jima was the end of life's trail for him, leaving me to travel alone.

For him, I learned most of my woodcraft and my abiding love of all outdoors. Walter Winemiller was a partner such as one may have only once in life, and no incentive could have been stronger to carry me over the long high Trail than remembering we always wanted to hike it together."

~ Earl Vincent Shaffer, 1949, in Appalachian Trailway News

["Nun, die eine Sache über meinen Trek, die die meisten Kommentare veranlasste – mein Alleinwandern [...] Ich für meinen Teil zog dies so vor. Vor dem Krieg, da gab es zwei von uns, die zusammen unterwegs waren, und wir hatten unsere Träume, so wie sie viele Andere gehabt haben, eines Tages den Appalachian Trail zu wandern. Doch Iwo Jima war das Ende des Lebenswegs für ihn, sodass ich zurückblieb um alleine weiterzuziehen.

Seinetwegen erlernte ich die meisten meiner Fertigkeiten für draußen und entwickelte meine dauerhafte Liebe für alles in der freien Natur. Walter Winemiller war ein Partner, wie man ihn nur einmal im Leben haben kann, und kein Ansporn hätte größer sein können, mich über diesen langen, hohen Trail zu tragen als die Erinnerung daran, dass wir ihn immer zusammen wandern wollten."]

Aussicht von Wayah Bald mit anrollendem Gewitter und dunstige Bergwälder, North Carolina; April 2007

"You've come a long way, baby, when you realize

it ain't what you've bought, it's what you're made of."

~ Lynn Setzer,

A Season on the Appalachian Trail

["Du hast es weit gebracht, Schätzchen, wenn dir klar wird,

dass es nicht darauf ankommt, was du hast, sondern darauf, was in dir steckt."]

April 2007, North Carolina

"You Sonofabitch!!!" – zwei Thru-hiker vor mir drehten sich erschrocken um, als ich in einem plötzlichen Wutanfall die Nerven verlor und drauf und dran war, mit meinen Trekkingstöcken auf das Gebüsch neben mir einzudreschen, weil mein Regenponcho, den ich über den Rucksack drapiert hatte, zum x-ten Male an herausstehenden Ästen hängenblieb und diesmal heruntergerissen wurde.

Nur der Bruchteil einer Sekunde, in dem ich aus dem linken Augenwinkel den Gesichtsausdruck des Hikers aus Vermont sah, der unmittelbar vor mir auf dem Trail unterwegs war, rief mich augenblicklich zur Räson.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits mehrere Wochen auf dem Appalachian Trail zugebracht, in einem sich wiederholenden Wechselbad aus freudiger Überraschung und restloser Erschöpfung.

Ich hatte Sonne, Regen, Nebel, Schneefall mit Graupel und eisige Frostwinde beim Wandern und beim Übernachten im Freien erlebt, hatte eines Morgens mein langärmliges Ersatzshirt an der rechten Schulterpartie von Mäusen zu Konfetti verarbeitet in meinem Rucksack vorgefunden, wusste, wie es sich anfühlt, mit jedem Zusatz-Kleidungsstück am Körper im Schlafsack zu liegen plus Zelt als Decke darüber und dennoch eine schlaflose, frostige Nacht in den Bergen zu verbringen, in der man vor Kälte hin- und herrollt, und seit den Great Smoky Mountains war ich ohne funktionierenden Wasserfilter unterwegs, dessen UV-Lichtlampe der frostigen Nachttemperaturen wegen wohl den Geist aufgegeben hatte.

Vor allem aber hatte ich einen grotesk überpackten Trekkingrucksack 269 Meilen steil bergauf, steil bergab von Georgia bis hierher geschleppt, etwa fünf Meilen südlich vor Hot Springs, der ersten sogenannten Trailtown, durch die der Appalachian Trail direkt hindurchführt.

Nachts war ein Regenschauer über die Berge gezogen. In der Früh beim Aufwachen stellte ich wenig erfreut fest, dass Wasser in mein Zelt eingedrungen war und neben meiner Schlafmatte kleine Pfützen gebildet hatte. Beim Zusammenpacken wusste ich aus leidiger Erfahrung der letzten Wochen, dass das nasse Zelt ohnehin mehr wiegt als sonst und ärgerte mich darüber, dass ich ein schwereres, nasses Zelt mitzuschleppen hatte, das auf einmal nicht mehr regendicht war. Hinzu kamen die ohnehin schmerzenden Schultern vom Gewicht des Rucksacks, die seit dem Start in Georgia noch immer ein unangenehmer, ständiger Begleiter dieser Wanderung waren.

Entsprechend ungeduldig war ich, so schnell wie möglich diese vermaledeiten letzten Meilen in Richtung Stadt hinter mich zu bringen, denn es lockten in geradezu paradiesischer Vorstellung: eine warme Dusche, frische Kleidung, ein Hostel, leckeres Essen und eine hochwillkommene Pause vom Rucksackschleppen. Der letzte Übernachtungsstopp mit Erholungspause lag acht Tage zurück.

Kurz: mein Geduldsfaden war extrem dünn, meine Laune im Keller und ich brauchte dringend einen Erholungstag. Außerdem Seam sealer für die Zeltnähte ...

Das war nun nicht das erste Mal, an dem mir der Geduldsfaden merklich riss – zweieinhalb Wochen zuvor, kaum, nachdem wir in einer losen Gruppe ziemlich ausgepumpt den steinernen Feuerturm auf Wayah Bald erreicht hatten, brach ein Gewitter los mit Donner und einzelnen Blitzen, sodass wir zusehen mussten, so schnell es nur irgend möglich war, vom Berggipfel wieder herunterzukommen, ohne Verschnaufpause von unseren Trekkingrucksäcken, die an Rücken und Schultern noch heftiger zerrten, während wir panisch den steilen, glitschigen Trail hinunterliefen.

Der Trail indes hatte anderes mit uns vor: statt stetig bergab zu führen, in die vermeintliche Sicherheit, ging es nach einigen Kehren wieder munter bergauf, dann wieder etwas bergab und erneut bergauf; das Ganze etwa vier Mal, während es über unseren Köpfen weiterhin donnerte, der Regen intensiver wurde und die Meilen zum Camp sich wie Kaugummi zogen – ein ganz klarer Fall von Murphy's Law in solchen Situationen.

Nach einer der Bergkuppen schließlich hatte ich genug, rammte meine Teleskopstöcke in den Boden und brüllte entnervt in den Bergwald hinein, was das für ein unmöglicher Trailverlauf sei, der einen von einem Berg nicht auch auf direktem Wege wieder hinunterführen könne, ohne dass man erst noch über mehrere andere Berge hinübermüsse, gefolgt von einer Salve wütender Flüche.

Auch diesmal war in der Gruppe vor mir jener Mensch aus Vermont unterwegs, der die Gegebenheiten des Trails mit der stoischen Ruhe eines Neu-Engländers ertrug. Mit ebendieser Ruhe drehte er sich zu mir um und streckte mir wortlos ein rotweiß-gestreiftes, rundes Pfefferminzbonbon entgegen.

Hell, yeah

Ich wollte toben wie ein Schachtelteufel (vorzugsweise ohne Publikum) und bekomme Pfefferminzbonbons ...

– Willkommen auf dem Appalachian Trail!

Willkommen im echten Thru-hiker-Leben und vor allem: willkommen bei den berühmt-berüchtigten PUDS and MUDS, Thru-hiker-Ausdruck für pointless ups and downs und mindless ups and downs, die einem auf der gesamten Wegstrecke zwischen Georgia und Maine in schöner Regelmäßigkeit begegnen, aber bei allem Knurren und Murren halt doch bewältigt werden müssen.

Denn selbstverständlich führt der Trail mit wenigen Ausnahmen stets über die Berge hinüber, nicht etwa daran vorbei. Und noch etwas ist gewiss: Die Appalachen sind ein Gebirge, der Trail ist sehr lang, und es kommt immer wieder ein Berg, und noch einer, und dahinter dann noch einer ...

-2-

Schuld an der ganzen Misere oben war selbstverständlich nur ein Buch, das eben diesen Trail zum Thema hatte und mir zufällig in die Hände geraten war, was den Funken augenblicklich zündete – zwar mit völlig falschen, abenteuerlich-verklärten Vorstellungen von der ganzen Sache, aber dafür umso heftiger.

Am liebsten hätte ich mich nämlich noch während der Lektüre augenblicklich auf und davongemacht, um mich kopflos mit begeistertem Tatendrang in ein Thru-hike-Abenteuer zu stürzen.

Nun war ich allerdings im Sommer 2001, als ich dieses Buch las, weder zeitlich noch sonst irgendwie in der Lage, ein solches Vorhaben auch nur annähernd zu planen, ganz zu schweigen davon, das Ganze in die Tat umzusetzen.

Was mir damals recht schnell Kopfzerbrechen bereitete, ist allgemein nicht ganz ohne, denn im Vorfeld stehen dem Vorhaben einige Hürden im Weg:

Der Appalachian Trail ist um die 3.500 Kilometer lang, erstreckt sich zwischen seinen beiden Endpunkten in Georgia und Maine über 14 Bundesstaaten größtenteils auf dem Rückgrat der Appalachen, einer eher bewaldeten Gebirgskette im Osten der USA.

Diese Strecke läuft man nicht in vierzehn Tagen oder gar wenigen Wochen gesetzlich gewährten Jahresurlaubs – man braucht Monate dazu; im Schnitt zwischen fünf und sechs davon.

Welcher Arbeitgeber klatscht also vor Freude in die Hände und gewährt einem ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub, damit man sich in den USA die Hacken ablatschen kann, während zwischenzeitlich im Betrieb die Kollegen herhalten sollen oder gar eine befristet eingestellte Ersatzkraft gefunden werden muss, die in der Abwesenheit die beruflichen Aufgaben übernimmt?

Und welche beruflichen Karrieren erlauben es einem in den heutigen Zeiten überhaupt noch, ein halbes Jahr lang auszusteigen und auf Erlebnistour zu gehen?

Wie bestreitet man in seiner Abwesenheit laufende Kosten an Miete, Strom, Telefon und anderen Posten, überbrückt die lohnlose Zeit und kommt für die Kosten vor, während und gegebenenfalls nach der Langstreckenwanderung auf?

Gerade diese Punkte sind grundsätzliche Probleme, die jeder lösen muss, ob Amerikaner oder Ausländer, bevor es losgehen kann.

Daher gibt es auf dem AT, wie er kurz und bündig genannt wird, neben den üblichen Ausnahmen einige typische Gruppierungen unter den Thru-hikern:

Einmal sind da die jüngeren Leute, die entweder gerade ihren College- oder ihren Studienabschluss an der Universität gemacht haben, beruflich/familienbedingt noch nicht eingespannt sind und daher den günstigen Zeitpunkt nutzen, den Trail zu wandern. Dann gibt es eine Gruppe ehemaliger US Army Soldaten, die ihre Dienstzeit zu Ende gebracht haben und sich nun mit armeegestählter Disziplin auf dem Trail einfinden – und zwar in unterschiedlichen Altersklassen.

Außerdem gibt es eben die gemischte Gruppe derjenigen, deren Arbeitsverhältnis gekündigt wurde oder die selbst gekündigt haben, um sich ihren Traum, diesen Trail zu wandern, dennoch zu erfüllen, und diejenigen, die entweder bereits in Rente sind und/oder sich auf einen Partner zuhause verlassen können, der in der Zwischenzeit die Heimzentrale am Laufen hält. Die letztgenannte Kategorie ist auch meine. Und mir ist klar, dass das ein großer Glücksfall ist, der mir praktisch in den Schoß gefallen war. Was noch im Jahr 2001 nicht einmal denkbar gewesen wäre, war einige Jahre später mit einem Mal kein Thema mehr.

So flog ich Ende März 2007 nach Atlanta, Georgia, wo mich ein sichtlich entspannter schwarzer Beamter der US-Einwanderungsbehörde fragte, wozu ich mein B2-Visitor's Visa ganze sechs Monate ausreizen wollte. Ich erklärte ihm aufgeregt, dass ich vorhatte, den Appalachian Trail zu wandern.

"The Appalatchin Trail – what's that?" fragte der gutmütige Beamte im breiten Southern Drawl der Südstaaten zurück. Ich gab ihm eine kurze Beschreibung, um was es dabei ging, worauf er mir freundlich belustigt entgegnete: "And that's your idea of vacation in the States?", während er meinen Pass abstempelte und mir den vollen Bewilligungs-Zeitraum handschriftlich ins Visum eintrug.

Ich war also im Süden angekommen, in den Südstaaten der USA.

Dort heißen die Appalachen nicht Appalayshins, um die Aussprache ohne phonetische Zeichen der Lautsprache aus Wörterbüchern wiederzugeben: im Süden, und zwar bis zur Mason-Dixon-Line zwischen Maryland und Pennsylvania, wo die Grenze der Süd- und Nordstaaten verläuft, spricht man von den Appalatchins, mit Betonung auf dem letzten a. Erst nördlich der Mason-Dixon-Line werden die Appalatchins sprachlich zu den Appalayshins.

Neben Unterschieden in der Aussprache zwischen Nord und Süd wartet übrigens noch eine sehr charmante Überraschung im Smalltown-Amerika der Südstaaten auf weibliche Personen, wenn man auf Postämtern, in Geschäften oder Restaurants zugange ist, denn dort wird man üblicherweise ungeachtet seines Alters mit einem freundlichen: "How are you doing today, honey?" begrüßt oder angesprochen mit: "Is that all for today, sugar?", alternativ auch: "You have a very nice day, love!".

Man gewöhnt sich an diese angenehm schmeichelnden Anredeformeln dermaßen, dass es einem nördlich der Mason-Dixon-Line schon in Pennsylvania sogleich richtig unangenehm auffällt, wenn kein 'love', 'sugar' oder 'honey' mehr der Anrede folgt, obwohl die Menschen dort nicht unfreundlicher sind.

Aber da beginnt eben der Norden, wo solche samtweichen Zusätze im verbalen Umgang miteinander nicht mehr angewendet werden.

" To Benton MacKaye, the Dreamer, and to the Trail People who made the Dream come true. "

~ Earl Vincent Shaffer, 1948 Widmung seines Buches Walking with Spring

["Für Benton MacKaye, den Visionär, und für die Menschen des Trails die die Vision wahrgemacht haben."]

The People's Trail – Der Trail der Menschen

Es gibt mehrere Mottos zum Appalachian Trail, die alle zutreffen. Sehr früh macht man bereits beim Walasi-Yi Hostel in Neels Gap, Georgia, Bekanntschaft mit einem großformatigen Willkommens-Banner am Gebäude, auf dem zu lesen ist: "It ain't about the miles, it's all about the smiles!", wenn man vom südlichen Endpunkt auf Springer Mountain nordwärts nach Maine wandern möchte.

Außerdem heißt es, "It's the People's Trail" und "The People are the Trail".

All' das ist dieser Trail von seiner Planung in den frühen zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis jetzt.

Der Appalachian Trail ist kein Weg, der auf Routen diverser Indianerstämme angelegt worden ist. Den alten Wegstrecken der Indianer durch die Appalachen folgen üblicherweise schon längst geteerte US-Bundesstraßen oder Highways.

Er ist auch nicht der älteste Langstreckenwanderweg der USA – das ist der Long Trail im Green Mountain State Vermont, der diesen Bundesstaat auf etwa 273 Meilen von der Grenze Vermont/Massachusetts bis zur Staatsgrenze nach Kanada durchquert.

Doch der Appalachian Trail ist der Amerikanische Klassiker: der allererste, staatenübergreifende Supertrail; die Blaupause für weitere Trails dieser Art, die später im Westen und anderswo in den USA entstanden sind.

Das Konzept dafür entsprang der Idee Benton MacKayes, eines Regionalplaners aus Massachusetts, der sehr früh erkannte, dass mit der zunehmend dichter werdenden Besiedlung, die nach der Jahrhundertwende von den Großstädten aus immer weiter an die Ränder der Appalachen drängte und in ihrem Schlepptau die industrielle Erschließung von bisher unberührtem Land mit sich brachte, langfristig ein Problem auf die Menschen zukäme, indem Naherholungsgebiete und Natur unwiederbringlich zerstört würden.

Und so publizierte MacKaye im Oktober 1921 einen Aufsatz im Journal of the American Institute of Architects mit dem Titel: "An Appalachian Trail, A Project in Regional Planning", in dem er sein Konzept eines groß angelegten Naherholungsgebiets mit einem durchgängigen Wanderweg in den Appalachen vorstellte, damit die Menschen dem Trubel und Stress der wachsenden Städte entfliehen und sich in geschützter Natur erholen könnten.

Schon 1925 formierte sich die Dachorganisation der Appalachian Trail Conference (heute die Appalachian Trail Conservancy) mit Sitz in Harpers Ferry, West-Virginia, die sich bis heute um den Erhalt und um alle Belange dieses Trails in Zusammenarbeit mit den örtlichen Wandervereinen von Maine bis Georgia kümmert, außerdem mit den US-Forstbehörden und den Verwaltungen der Nationalparks zusammenarbeitet.

Benton MacKayes Idee fand bei vielen Wanderclubs entlang der geplanten Route regen Zuspruch; es wurden der Idee wegen sogar neue Clubs gegründet, die alle dazu beitragen wollten, den großen Trail anzulegen.

In dieser Phase kam ein entschlossener, tatkräftiger Rechtsanwalt aus Maine hinzu, der wesentlich dafür sorgte, dass das Projekt Streckenabschnitt für Streckenabschnitt auch in schwierigen Zeiten bis August 1937 komplett fertiggestellt werden konnte.

Myron Haliburton Avery gilt daher als der praktische Vater des Appalachian Trails, Benton MacKaye als dessen geistiger Vater.

Bemerkenswert ist nicht nur die immense Leistung, in vierzehn Bundesstaaten an unterschiedlichen Wegabschnitten beschäftigt einen durchgängigen Trail neu anzulegen – die einzelnen Etappen sind ja nicht hintereinander in Folge entstanden, sondern entsprechender Umstände geschuldet mal hier mal da fertiggestellt, in New Hampshire, Vermont und Maine streckenweise auch an bereits existierende Wanderwege angeknüpft worden. Die älteste und erste Etappe etwa wurde 1923 im Bundesstaat New York südlich der Bear Mountain Bridge nahe des Hudson River angelegt, die letzte Etappe im August 1937 am Sugarloaf Mountain in Maine. Dieser Trail ist zudem in der Zeit der großen Depression realisiert worden, als auch Amerika mit hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte, von Menschen, die aus reiner Begeisterung für die Sache und die Gemeinschaft unzählige Stunden in den Berggebieten von Georgia bis Maine zugebracht haben, um den Appalachian Trail mit seinen Campstellen entlang der gesamten Route zu bauen.

Benton MacKaye (links) und Myron Avery, Oktober 1931 in Pennsylvania

© Appalachian Trail Conservancy, Harpers Ferry

Es gab keinen materiellen Lohn für die Arbeit, aber wohl einen riesigen Gemeinschaftsgedanken, der alle freiwilligen Helfer miteinander verband und bis heute hinter dem Appalachian Trail steht.

Denn bis jetzt werden die Wegstrecken des Trails von freiwilligen Helfern (Trailmaintainers) der einzelnen Wanderclubs entlang der Route unterhalten, markiert und bei Schäden ausgebessert. Es werden kleine Fußbrücken gebaut, umgefallene Bäume am Weg entfernt, Holzbohlen zum Gehen über morastiges Gelände gelegt, bei Campstellen und Sheltern nach dem Rechten gesehen und repariert, was kaputt gegangen ist.

Einer Film-Dokumentation der National Geographic Society aus dem Jahr 2008 zufolge sind jährlich mehr als sechstausend freiwillige Helfer auf dem Appalachian Trail zugange, dafür zu sorgen, dass auch der nächste Wanderer einen begehbaren Weg mit ordentlicher Campstelle vorfindet.

Und so ergab es sich beim Traileinstieg am südlichen Ende von Hot Springs, dass ich in der lose zusammengewürfelten Gruppe, mit der ich seit Beginn der Wanderung unterwegs gewesen war, an eben jenem Apriltag in North Carolina, an dem ich zuvor noch einen Busch in Stücke hauen wollte, zum ersten Mal auf eine Crew von Trailmaintainern traf, die sich gerade anschickte, in voller Montur mit allerlei Arbeitsgerät bepackt in entgegengesetzter Richtung zu einem Trailabschnitt zu wandern, den es zu bearbeiten galt.

Die Männer fragten uns sogleich, ob wir von Georgia kämen und gratulierten uns wohlwollend, dass wir die Etappe bis hierher bewältigt hatten. Außerdem erkundigten sie sich, ob uns unterwegs Stellen am Trail aufgefallen seien, an denen etwas gemacht werden müsse. Dem war nicht so. Wir aber bedankten uns bei den Leuten für ihre wertvolle Arbeit, die zwar den Trail nicht flacher, aber uns Wanderern den Weg dennoch angenehmer macht.

Knapp zwei Monate später sollte ich in Virginia auf denselben Leiter dieser Crew von Trailmaintainern treffen, der dort mit einer anderen Gruppe am Trail arbeitete.

Der Mann erkannte mich sofort wieder und erkundigte sich sogar nach den anderen Hikern, die zwar zu dem Zeitpunkt ein bis zwei Wochen hinter mir am Trail unterwegs waren, an die er sich aber auch noch sehr gut erinnern konnte.