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2.Auflage
Deutsche Erstausgabe März 2016
Copyright © Eskil Burck
ISBN: 9783741219092
Umschlaggestaltung: Eskil Burck
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Cartoons: Psych. Eskil Burck
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Eskil Burck, Rheinstr. 11, 76773 Kuhardt
Tel: 07272/6040
Email: mail@PsychologiederSchule.de
Psychologie-Lehrvideos im Web
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VIDEO: UNBEWUSSTE BEEINFLUSSUNG DURCH WERBUNG: MANIPULATION DURCH MUSIK, DÜFTE ETC…
VIDEO: GEDANKENLESEN LEICHT GEMACHT…
VIDEO: MANIPULATION ENTLARVT - MIT DER REAKTANZTHEORIE VERHALTEN VORHERSAGEN
VIDEO: ANGST UND STRESS NEU BEWERTEN (AUFREGUNG = ENERGIE?)
Und viele mehr!
Außerdem können alle Episoden auch als mp3-Datei heruntergeladen werden. (Link)
Vorwort
Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit waren wir so vielen Beeinflussungsversuchen ausgesetzt wie in der heutigen Konsumgesellschaft. Jeden Tag prasseln tausende Werbebotschaften auf uns ein. Natürlich verfügen wir über gewisse Abwehrmechanismen (siehe Kapitel 1 : Reaktanz). Allerdings werden auch die Manipulationsmethoden immer ausgefeilter. Daran ist sicherlich auch die Erforschung neuer Beeinflussungsmethoden durch Sozialpsychologen und Wirtschaftspsychologen nicht ganz unschuldig. Auch wenn die meisten Techniken zunächst für den „guten Zweck“ erprobt wurden (Spendenaktionen, Hilfsbereitschaft steigern etc.), ist es in der Regel nur eine Frage der Zeit, bis die Erkenntnisse für weniger heroische Ziele (Profitsteigerung, politische Meinungsmache) instrumentalisiert werden. Schon längst werden viele Forschungsinstitute von großen Konzernen gesponsert, um zu erforschen, wie sich Produkte noch besser an den Mann bzw. an die Frau bringen lassen. Die Ergebnisse erscheinen dann in wissenschaftlichen Journals, die der Öffentlichkeit leider kaum bekannt sind:
Journal of Consumer Psychology
Journal of Marketing Research
Journal of Retailing
Journal of Applied Social Psychology
Journal of Experimental Psychology
Communication Research Reports
…
Ziel dieses Buchs ist daher, über die neuesten Entwicklungen in der wissenschaftlichen Erforschung von Manipulationstechniken aufzuklären. Denn – auch das weiß man aus der Forschung – wenn ich einen Beeinflussungsversuch als solchen erkenne, kann ich mich deutlich selbstbestimmter verhalten.
Über den Autor
Eskil Burck absolvierte sein Studium an der Universität Koblenz-Landau. Schon während des Studiums begann er Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Sein Audio-Podcast belegte immer wieder Platz 1 in den iTunes-Charts in der Kategorie „Bildung“.
Seine Lern-Videos wurden allein auf Youtube bereits mehr als 1,5 Millionen mal angeschaut.
Weitere Informationen finden Sie auf www.psychologie-lernen.de.
Youtube-Kanal: psychologie-lernen.de
Dipl. Psych. Eskil Burck
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Über den Autor
1 Reaktanz – Unser Schutzschild gegen Beeinflussungsversuche
2 Die Macht der Berührung
2.1 Die Macht der Berührung in der Erziehung
2.2 Die Macht der Berührung im Verkauf
2.3 Mehr Trinkgeld durch Berührung an Schulter/Arm?
2.4 „Heute empfehlen wir ...“
2.5 Die Macht der Berührung macht uns hilfsbereiter?
2.5.1 Es ist nicht egal, wer uns betatscht
2.5.2 Teurer Anzug + Berührung = Maximale Effektivität?
2.6 Die Macht der Berührung beim Flirten
3 Die Foot-in-the-door-Technik – Wenn kleine Zugeständnisse zum Türöffner werden…
3.1 Neue Forschungsergebnisse zur Foot-in-the-door-Technik
3.1.1 Foot-in-the-door beim Flirten
3.1.2 Kann man mit der Foot-in-the-door-Technik Menschen auch zu moralisch fragwürdigen Taten verführen?
3.1.3 Foot-in-the-door im Internet?
4 Die Foot-in-the-mouth-Technik
4.1 „Wie geht es Ihnen?“
4.2 „Ich hoffe, ich störe Sie nicht, oder?“
5 Die Smalltalk-Technik – Genügt es schon, den anderen in ein Gespräch zu verwickeln?
5.1 Funktioniert die Technik auch bei Meinungsverschiedenheiten?
6 (Vermeintliche) Gemeinsamkeiten verbinden – „Gleich und gleich gesellt sich gern.“
6.1 So ein Zufall! Wir haben den gleichen Namen!
6.2 So ein Zufall! Wir haben am gleichen Tag Geburtstag!
6.3 So ein Zufall! Wir sind der gleichen Meinung!
6.4 So ein Zufall! Wir haben eine ähnliche Persönlichkeit/Lebenseinstellung
7 Die Macht der Nachahmung
7.1 (Unbewusstes) Nachahmen
7.1.1 Wann und warum ahmen wir nach?
7.2 Nachahmen verbindet „Wir sind irgendwie auf einer Wellenlänge.“
7.3 Nachahmen verbindet – sogar mit Menschen, die uns gar nicht nachgeahmt haben…
7.4 Nachahmen verbindet – Auswirkungen auf unsere Hilfsbereitschaft
7.4.1 Nonverbale Nachahmung und Hilfsbereitschaft
7.4.2 Auswirkungen von verbaler Nachahmung auf unsere Hilfsbereitschaft
7.4.3 In Kombination: verbale + nonverbale Nachahmung
7.5 Mehr Geld durch Nachahmung?
7.5.1 Mehr Trinkgeld durch Nachahmung?
7.5.2 Sind nachahmende Verkäufer überzeugender?
7.6 Nachahmung in der Liebe
7.6.1 Automatisches Nachahmen potentieller Liebespartner
7.6.2 Erfolgreicher flirten durch Nachahmung?
7.7 Ist Nachahmung immer von Vorteil?
7.8 Wie kann man sich schützen? (Wenn-dann-Pläne)
8 Sind wir Mitläufer?
8.1 Experimente zum „Mitmachen“ Klassiker der Sozialpsychologie
8.2 Ist Übergewicht ansteckend? Wie unser Essverhalten durch andere Menschen beeinflusst wird
8.3 Es geht auch andersrum! Gemeinsam mit dem Rauchen aufhören ist effektiver
8.4 Ich kauf das Gleiche wie die anderen! Wie unsere Tendenz zum Nachahmen von Verkäufern ausgenutzt werden kann
9 Die Low-ball-Technik – Schlechter als vermutet und wir fallen trotzdem drauf rein…
9.1 Foot-in-the-door vs. Low-ball-Technik
9.2 Die Low-ball-Technik im Alltag
10 Die Köder-Technik – Wenn wir uns durch ein Köder-Angebot anlocken lassen…
10.1 Funktioniert die Köder-Technik, weil man schon etwas investiert hat?
10.2 Funktioniert die Köder-Technik, weil man einen guten Eindruck hinterlassen möchte?
10.3 Funktioniert die Köder-Technik, weil eine neue Motivation entstanden ist?
10.4 Die Köder-Technik im Alltag
11 Die Door-in-the-face-Technik – Wenn sich Verkäufer absichtlich die Tür vor der Nase zuschlagen lassen
11.1 Die Studie, mit der alles begann…
11.2 Neue Forschungsergebnisse zur Door-in-the-face-Technik
11.3 Door-in-the-face auch im Verkaufs-Kontext?
11.4 Door-in-the-face in der Kindererziehung?
11.5 Zusammen noch stärker? Door-in-the-face + Foot-in-the-mouth
12 Zwischen Foot-in-the-door und Door-in-the-face – Die Foot-in-the-face-Technik
13 Die „That's-not-all“-Technik – „Das ist aber noch nicht alles!“
14 Die „But you are free to …“- Technik – „Sie können sich frei entscheiden.“
14.1 Funktioniert die Technik auch mit anderen Formulierungen? „But you are free to...“ vs. „Do not feel obliged...“
14.2 Lässt sich die Effektivität der „evoking freedom“- Technik noch steigern? Doppelt gemoppelt hält besser…
15 (Fadenscheinige) Begründungen – „Entschuldigung, könnte ich bitte vor Ihnen den Kopierer nutzen, weil ich Kopien machen muss?“
16 Die Verwirrungstaktik – Wenn ungewöhnliche Anfragen unsere normalen Handlungsmuster durchbrechen…
16.1 Empirische Befunde
17 Erst verwirren, dann erklären – Die Disrupt-then-reframe-Technik
18 Emotionale Verwirrungstaktik – Erst Angst, dann Erleichterung
18.1 Warum funktioniert die Fear-then-relief-Technik? Eine unerwartete Antwort
18.2 Neuere Forschung
19 „Schon ein einziger Cent würde helfen.“ – Ausreden den Wind aus den Segeln nehmen
19.1 „Even a penny will help...“ als T-Shirt-Aufdruck?
19.2 Zusammen noch effektiver? Fear-then-relief + „Even a penny will help...“
19.3 Zusammen noch effektiver? Smalltalk +„Even a penny will help...“
19.4 Fazit: Die Mutter Theresa unter den Beeinflussungstechniken?
20 Wissen für ein selbstbestimmtes Leben
Literaturverzeichnis
Stichwortregister
Bevor Sie mit der Lektüre dieses Buches beginnen, sollten Sie sicherstellen, dass Sie völlig ungestört sind. Schalten Sie ihr Smartphone aus, um ungewollte Unterbrechungen zu vermeiden. Falls andere Störquellen in Ihrer Nähe sein sollten, wechseln Sie das Zimmer. Halten Sie unbedingt Stift und Notizblock bereit, um wichtige Dinge zu notieren...
Haben Sie alle Vorkehrungen getroffen?
Höchstwahrscheinlich nicht. Zum einen sind wir manchmal einfach ein bisschen faul. Zum anderen können wir es gar nicht leiden, wenn man uns vorschreibt, was wir tun sollen – schon gar nicht, wenn man uns sagt, wir sollten unser Smartphone ausmachen.
Machen wir noch ein zweites Experiment:
Als Psychologe gehört es zu meinen Aufgaben, menschliches Verhalten vorherzusagen. Somit wäre es für mich ein Kinderspiel auch Ihr Verhalten vorherzusagen bzw. Ihre Gedanken zu lesen.
Sie glauben mir nicht? Dann lassen Sie es uns testen. Denken Sie im Folgenden bitte an eine Zahl zwischen 20 und 29.
Haben Sie eine Zahl gewählt? (Meine Vorhersage und eine Erklärung finden Sie im Kasten „Exkurs“ auf der nächsten Seite.)
Exkurs:
Sie haben die Zahl 27 gewählt!1
(Mit ca. 28%iger Wahrscheinlichkeit…)
Wenn jemand behauptet, er könne unsere Gedanken lesen und erraten, an welche Zahl wir gerade denken, versuchen wir i.d.R. das Gegenteil zu beweisen. Also wählen wir eine Zahl, die wenig verdächtig und sehr zufällig wirkt.2
In mehreren Experimenten (Kubovy, 1977; Kubovy & Psotka, 1976; Simon, 1971) konnte gezeigt werden, dass Menschen erstaunlich häufig die Zahl 7 nennen, wenn man sie bittet, eine Zahl zwischen 0 und 9 zu wählen. Da die Ergebnisse dieser Experimente allerdings schon schon lange kein Geheimnis mehr sind, entschied ich mich in diesem Buch für eine etwas weniger bekannte Variante. Laut einer Studie von Kubovy und Psotka (1976) macht es nämlich keinen Unterschied, ob man nach einer Zahl zwischen 0 und 9 oder ob man nach einer Zahl zwischen 20 und 29 fragt. In beiden Fällen ist die Zahl 7 ungewöhnlich häufig beteiligt (ca. 28%). Anders verhält es sich jedoch, wenn man nach einer Zahl zwischen 70 und 79 fragt. Dann wird die Zahl 77 relativ selten genannt (ca. 13%). Schnapszahlen erscheinen uns wohl zu verdächtig…
Abbildung 1.1 Basierend auf Daten von: Kubovy, M. & Psotka, J. (1976). The predominance of seven and the apparent spontaneity of numerical choices. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 2, 291-294.
Bevor wir weitermachen, möchte ich mich an dieser Stelle für mein leicht arrogantes und selbstherrliches Auftreten auf der vorhergehenden Seite entschuldigen. Es diente lediglich dazu, Reaktanz zu erzeugen. Vielleicht haben Sie sich gedacht: „Dem werd ich's zeigen. Niemand kann meine Gedanken vorhersagen. Ich kann mich frei entscheiden!“
Reaktanz – man könnte auch sagen Widerspenstigkeit – tritt immer dann auf, wenn wir das Gefühl haben, jemand möchte uns unserer (Entscheidungs-) Freiheit berauben.
Für den Fall, dass die E-Reader-Darstellung zu klein ist :
Bild 1:
Vater: Iss deinen Salat!
Tochter: Nein!
Bild 2 (Ein Tag später):
Vater: Ab heute gibt es nie wieder Salat!
Tochter: Neiiiinn!!!
Zum einen schützt uns Reaktanz gegenüber Beeinflussungsversuchen. Zum anderen werden wir jedoch genau durch dieses widerspenstige Verhalten umso berechenbarer und auch beeinflussbarer.
Wenn uns zum Beispiel ein Verkäufer vorgaukelt, von einem bestimmten Produkt seien nur noch sehr wenige Exemplare verfügbar oder ein Sonderangebot gelte nur noch wenige Tage, fühlen wir uns in unserer (Entscheidungs-) Freiheit bedroht. Als Konsequenz schlagen wir lieber gleich zu, um es nicht zu einem Freiheitsverlust kommen zu lassen.
Auf großen Online-Handelsplattformen wird daher häufig eingeblendet, wie viele Exemplare eines Produkts noch auf Lager sind. Wer sich jedoch freut, das allerletzte Produkt ergattert zu haben, stellt häufig am nächsten Tag fest, dass erneut „nur noch 3 Exemplare“ verfügbar sind.
Clevere Verkaufsstrategen gehen sogar so weit, den Ausverkauf eines (im schlimmsten Fall sogar erfundenen) Produktes zu inszenieren, um den Verkauf eines nahezu identischen Produkts anzukurbeln. Ein Verkäufer, der zum Beispiel einen Achter-Pack Batterien zum Preis von 2 Euro verkaufen möchte, könnte direkt daneben ein (vermeintlich) ausverkauftes Angebot für einen Vierer-Pack Batterien zum Preis von einem Euro platzieren.
Wie gut diese Strategie funktioniert, konnten Ge, Messinger & Li, (2009) anhand des folgenden Szenarios zeigen:
Stellen Sie sich vor, Sie wären im Ski-Urlaub und müssten sich entscheiden, ob Sie einen Skipass zur Benutzung einer besonders schönen Piste erwerben wollen. Glauben Sie, dass es einen Einfluss auf Ihre Entscheidung hat, ob eine Skipass-Variante (angeblich) schon ausverkauft ist (siehe Abbildung)?
Tatsächlich zeigte sich in der Studie von Ge, Messinger und und Li (2009), dass die Bereitschaft den 20$-Skipass zu kaufen, um fast 30% stieg, wenn man die Versuchspersonen glauben machte, der Skipass für 40$ sei schon ausverkauft (siehe Abbildung 1.2).3
Abbildung 1.2 Basierend auf Daten von: Ge, X., Messinger, P. R., & Li, J. (2009). Influence of soldout products on consumer choice. Journal of Retailing, 85(3), 274-287.
Wahrscheinlich hatten die Probanden den Eindruck, besonders schnell zuschlagen zu müssen, bevor auch das Angebot für den 20$-Skipass ausverkauft sei. Zum anderen wird durch diese Angebotspräsentation auch der Eindruck vermittelt, die Skipiste sei sehr begehrt. Und wenn so viele Menschen die Skipiste schon nutzen, dann kann sie ja nicht schlecht sein...4
Es ist also ein Merkmal reaktanten Verhaltens, dass wir (Handlungs-) Optionen, die man uns verweigert, aufwerten. Jeder weiß, dass Verbote oder Altersbegrenzungen (Zellinger et al., 1975) häufig dazu führen, dass wir etwas nur noch mehr wollen. Eltern sind daher schlecht beraten, Fehlverhalten ihrer Kinder mit Fernseh- oder PlayStation-Verbot zu bestrafen, da dies zu einer weiteren Aufwertung der Flimmerkisten führen kann.
1 Auch wenn die Chancen nicht allzu schlecht standen, kann es sehr gut sein, dass ich mit meiner Vorhersage daneben lag. Aber menschliches Verhalten ist – zum Glück – nicht zu 100% vorhersagbar. Wer jedoch über psychologisches Wissen verfügt, kann in vielen Situationen Entscheidungen treffen, die zumindest mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Ziel führen.
2 Für weitere Erklärungsansätze siehe Griffiths & Tennenbaum, 2001 oder Vandewiele et al., 1986.
3 Um alternative Erklärungsansätze ausschließen zu können, wurde bei 50% der Probanden das Szenario vertauscht. D.h. in der Kontrollbedingung wurde nur der 40$-Skipass präsentiert und in der Experimentalbedingung war angeblich der 20$-Skipass ausverkauft.
4 So effektiv es für den Verkauf eines einzelnen Produkts auch sein mag, Knappheit vorzugaukeln, so kann diese Strategie auf lange Sicht auch zu Reaktanz gegenüber dem Geschäft führen. In einer Untersuchung von Fitzsimons (2000) konnte gezeigt werden, dass Versuchspersonen, die beim simulierten Einkauf in einem Online-Music-Store feststellen mussten, dass ihre präferierte CD nicht verfügbar war, in der Folge sehr häufig diesen Music-Store mieden.
Vielleicht haben Sie schon mal von der schauerlichen Legende um Kaiser Friedrich II. gehört, wonach dieser im 13. Jahrhundert zu wissenschaftlichen Zwecken einige Säuglinge in absoluter Isolation aufwachsen lassen wollte. Die Ammen, welche mit der „Aufzucht“ der Kinder betraut worden waren, durften die Kinder lediglich mit der Brust füttern oder gelegentlich waschen. Jegliche Form von Liebkosung (Streicheln, Tätscheln etc.) und Kommunikation mit den Babys war strengstens untersagt. Warum das alles? Der Kaiser wollte angeblich herausfinden, welche Sprache die Kinder von alleine entwickeln würden, wenn man jegliche Beeinflussung von außen auf Null reduzierte. Aber anstatt zu beginnen hebräisch, griechisch, lateinisch oder arabisch zu sprechen, verstarben die Säuglinge schon nach kurzer Zeit.
Auch wenn diese Schauergeschichte um Friedrich den II. mittlerweile von Historikern stark angezweifelt wird,1 sprechen eine Vielzahl wissenschaftlicher Experimente für die große Bedeutung zwischenmenschlicher Berührung.
So ließ sich z.B. in einer Reihe von Experimenten (z.B. Field, Saul & Schanberg, 1986; Vickers, Ohlsson, Lacy & Horsley, 2004) beobachten, dass Säuglinge, die nach ihrer Geburt gezielt „Massagen“ und Streicheleinheiten erhielten, schneller an Gewicht zunahmen (siehe Abbildung 2.1) und weniger Tage im Krankenhaus bleiben mussten.
Abbildung 2.1 Basierend auf Daten von: Field, T.M., Schanberg, S.M., Scafidi, F., Bauer, C.R., Vega-Lahr, N., Garcia, R., Nystrom, J. & Kuhn, C.M. (1986). Tactile/kinesthetic stimulation effects on preterm neonates. Pediatrics, 77(5), 654-8.
Aber auch im Erwachsenenalter reagiert unser Organismus noch überaus positiv auf Berührung. Insbesondere in Stresssituationen kann eine wohlwollende Berührung der physiologischen Stressreaktion entgegenwirken. Dies zeigte sich u.a. in einer Untersuchung von Ditzen und Kollegen (2007), in welcher man mit 67 Frauen den Trier Social Stress Test durchführte. Dieser Test, der von Forschern aus Trier entwickelt wurde, um soziale Ängstlichkeit zu messen, zählt wohl zu den fiesesten Tests, die es in der Psychologie überhaupt gibt.
Stellen Sie sich vor, sie müssten eine Gruppe von skeptisch dreinblickenden Juroren von sich überzeugen.
Hierfür müssen Sie in den ersten fünf Minuten eine frei vorgetragene Rede über Ihre Stärken und Schwächen zum Besten geben. Als wenn dies noch nicht stressig genug sei, sollen Sie in den nächsten fünf Minuten eine Kopfrechenaufgabe lösen: „Zählen Sie in 13er-Schritten von 1022 abwärts. Aber bitte so schnell Sie können!“
Falls Sie bei dieser Rechenaufgabe einen Fehler machen, müssen Sie sofort wieder bei 1022 beginnen. Und die ganze Zeit läuft immer eine Kamera mit…
Abbildung 2.2 Skeptischer Juror beim Trier Social Stress Test.
Normalerweise ist bei fast allen Menschen unter diesen Bedingungen eine Angstreaktion zu beobachten. Das Herz beginnt deutlich schneller zu schlagen und auch das Stresshormon Cortisol lässt sich vermehrt im Speichel nachweisen. Bei einer Versuchsgruppe der Studie von Ditzen et al. (2007) war der Anstieg dieser physiologischen Stressparameter jedoch wesentlich geringer ausgeprägt: Es handelte sich um Frauen, die kurz zuvor eine Schulter-/Nackenmassage von ihren Lebenspartnern erhalten hatten.
Abbildung 2.3 Basierend auf Daten von: Ditzen, B., Neumann, I., Bodenmann, G., von Dawans, B., Turner, R.A., Ehlert, U. & Heinrichs, M. (2007). Effects of different kinds of couple interaction on cortisol and heart rate responses to stress in women. Psychoneuroendocrinology 32, 565-574.
Interessanterweise hatte die Massage auch einen deutlich größeren Effekt als verbale Beruhigungsversuche. In einer der beiden Kontrollgruppen hatte man den Lebenspartnern nämlich gesagt, sie dürften nur verbale Unterstützung bieten.
Angesichts solcher Ergebnisse verwundert es nicht, dass Massage-Therapie immer häufiger und durchaus erfolgreich bei der Behandlung psychischer Störungen eingesetzt wird (z.B. bei Depression: siehe hierzu die Meta-Analyse von Hou, Chiang, Hsu, Chiu & Yen, 2010).
Aber nicht nur unser Geist, sondern auch unser Immunsystem könnte von der schützenden Wirkung zwischenmenschlicher Berührungen profitieren. Dafür spricht u.a. eine kürzlich erschienene Untersuchung (Cohen, Janicki-Deverts, Turner & Doyle, 2014), in welcher man über 400 Versuchspersonen per Nasentropfen Erkältungsviren verabreichte. Bei 315 Probanden führte dies zuverlässig zu einer Infektion. Bei denjenigen Probanden, deren Immunsystem sich erfolgreich gegen die Viren zur Wehr setzte, ließ sich eine Besonderheit feststellen: Sie berichteten ungewöhnlich oft davon, von ihren Mitmenschen umarmt worden zu sein.
Obwohl manche Forscher schon lauthals verkünden „A hug a day keeps the doctor away!“, sollte man mit solchen Versprechungen vorsichtig sein. Es ist nämlich noch nicht geklärt, ob die Umarmungen wirklich die Ursache für die bessere Immunabwehr sind oder ob sie lediglich ein Indiz für bessere soziale Unterstützungssysteme darstellen.
Viele Eltern würden viel dafür geben, wenn ihre Kinder hin und wieder etwas besser auf sie hören würden. Schließlich meinen es die Eltern ja nur gut, wenn sie ihre Kinder zum Erledigen der Hausaufgaben oder zum Lernen für die nächste Klassenarbeit auffordern. Allzu häufig reagieren Kinder jedoch mit Reaktanz auf solche Beeinflussungsversuche. Schließlich handelt es sich um eine Freiheitseinschränkung, die etwas von ihnen verlangt, das ihnen ungemein schwer fällt: Belohnungen aufschieben.
Wer für eine Klassenarbeit lernt, kann natürlich kein Fernsehen gucken oder Computer spielen. Und die Belohnung für die ganze Lernerei stellt sich auch erst nach Tagen, manchmal sogar erst nach Wochen ein (je nachdem, wie lange der Lehrer für die Korrektur braucht).
Eine Möglichkeit, die Bereitschaft zum Belohnungsaufschub zu fördern, könnte darin bestehen, dem Kind aufmunternd auf den Rücken zu klopfen. Dies legen zumindest die Ergebnisse einer Studie nahe, in welcher man Kinder (Alter: 4-6 Jahre) gebeten hatte, mit dem Verzehr von Süßigkeiten so lange zu warten, bis der Versuchsleiter wieder zurückkehren würde (Leonard, Berkowitz & Shusterman, 2014). Diejenigen Kinder, denen man während dem Erklären der Aufgabe einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken gegeben hatte (nach dem Motto: „Du schaffst das schon“), waren deutlich länger bereit, auf die Süßigkeiten zu warten (siehe Abbildung 2.4).
Abbildung 2.4 Basierend auf Daten von: Leonard, J.A., Berkowitz, T. & Shusterman, A. (2014). The effect of friendly touch on delay-of-gratification in preschool children. Quarterly Journal of Experimental Psychology. 67(11), 2123-33.
Sicherlich wird angesichts solcher Ergebnisse auch manch ein Lehrer aufgehorcht haben. Schließlich sind „Disziplinprobleme“ eine der Hauptursachen für die hohe Verbreitung von Burnout unter Lehrern. Es ist verständlicherweise enorm frustrierend, wenn man viel Zeit in die Vorbereitung einer Unterrichtsstunde investiert hat und dann leider feststellen muss, dass fast alles umsonst war, da sich die Schüler an keinen einzigen Arbeitsauftrag halten.
Die Wirksamkeit nonverbaler Interventionsmöglichkeiten (Schulter klopfen, Hinterkopf tätscheln, Lächeln, Zunicken… etc.) wird von Lehrern häufig unterschätzt. Im Alltag wird oft auf verbale Verstärkung zurückgegriffen:
„Das hast du gut gemacht!“
„Super!“
„…“
Aber schon aus den klassischen Lerntheorien weiß man, dass die inflationäre Verwendung eines Verstärkers irgendwann dazu führen kann, dass er an Wirksamkeit einbüßt. Somit könnte die vermehrte Einstreuung nonverbaler Verstärkungsmaßnahmen den Werkzeugkasten von Lehrern enorm bereichern.
Kazdin und Klock (1973) testeten diese Hypothese, indem sie eine Lehrerin einer Klasse mit geistig behinderten Schülern (IQ: 48-73; Alter: 7-12) darin schulten, deutlich mehr nonverbales Feedback einzusetzen.
Um die Wirksamkeit dieser Intervention zu überprüfen, wurde das Verhalten der Schüler 30 Tage lang von insgesamt 5 Beobachtern dokumentiert. An manchen Tagen sollte die Lehrerin die neu erlernten Strategien anwenden, an manchen Tagen sollte sie sich wieder „normal“ verhalten (ABAB - Versuchsplan2).
Abbildung 2.5 Basierend auf Daten von: Kazdin, A. & Klock, J. (1973). The effect of nonverbal teacher approval on student attentive behaviour. Jounal of Applied Behavior Analysis, 6, 643-654.
Erklärung:
A: Baseline: Wie konzentriert sind die Kinder, wenn die Lehrerin sich normal verhält?
B: Wie verhalten sich die Kinder, wenn die Lehrerin ihr neu erworbenes Wissen anwendet?
A: Die Lehrerin sollte alles vergessen, was sie gelernt hatte, und sich wieder „normal“ verhalten.
B: Die Lehrerin sollte sich wieder an das Gelernte erinnern und vermehrt nonverbales Feedback einsetzen.
Wie den Ergebnissen in Abbildung 2.5 zu entnehmen ist, waren die Schüler deutlich konzentrierter, wenn die Lehrerin häufiger auf Strategien wie Schulterklopfen, Hinterkopf tätscheln, Umarmen, Lächeln etc. zurückgriff.
Jetzt könnte man einwenden, dass diese Vorgehensweise vielleicht nur bei Kindern mit geistiger Behinderung erfolgversprechend sei. Zudem war die Stichprobe auch nicht sonderlich groß (12 Kinder). Daher lohnt sich der Blick auf eine größere Studie mit insgesamt 115 normal-entwickelten Schulkindern (Wheldall, Bevan & Shortall, 1986). Auch in dieser Studie erhielt das Lehrpersonal (vier Lehrerinnen mit großer Berufserfahrung) eine Fortbildung. Besonderes Augenmerk wurde allerdings darauf gelegt, dass die Lehrerinnen nicht nur häufiger nonverbale Zuneigung in Form von Berührung zuteil werden ließen, sondern dass diese gezielter eingesetzt wurde. Jegliches Tätscheln, Schulterklopfen etc. sollte also nur dann angewendet werden, wenn die Schüler tatsächlich konstruktives Verhalten gezeigt hatten. Auch in dieser Studie führte der Strategiewechsel der Lehrerinnen zu einer Veränderung im Schülerverhalten. Die Schüler blieben länger bei der Sache und fielen seltener durch Unterrichtsstörungen auf (siehe Abbildung 2.6).
Abbildung 2.6 Basierend auf Daten von: Wheldall, K., Bevan, K. & Shortall, K. (1986). A touch of reinforcement: The effects of contingent teacher touch on the classroom behaviour of young children. Educational Review, 38, 207-216.
Selbst bei Studenten scheint eine leichte Berührung am Arm zu größerer Unterrichtsbeteiligung führen zu können. Dafür spricht eine Studie mit 105 Teilnehmern eines Statistik-Kurses:
Während die Studenten Statistik-Aufgaben lösten, ging der Professor durch die Reihen und gab verbales Feedback (z.B. „That's good. Well done.“). Eine Hälfte der Probanden tippte er dabei wohlwollend auf den Arm. Die andere Hälfte erhielt nur das verbale Feedback. Als der Professor dann wenig später die Frage stellte, wer denn nach vorne kommen wolle, um die Lösung an die Tafel zu schreiben, meldeten sich die zuvor angetippten Studenten deutlich häufiger (siehe Abbildung 2.7).
Abbildung 2.7 Basierend auf Daten von: Gueguen, N. (2004). Nonverbal encouragement of participation in a course: The effect of touching. Social Psychology of Education,7,89-98.
Das folgende Beispiel basiert auf einer Studie von Hornik (1992) mit 286 Versuchspersonen:
Stellen Sie sich vor, Sie gingen in ein großes Bücher- und Schreibwarengeschäft. Kurz nachdem Sie die Eingangstür passiert haben, begrüßt Sie ein Verkäufer und drückt Ihnen einen Prospekt in die Hand. Während er Ihnen erklärt, wofür dieses Prospekt sei (Sonderangebote, Infos zu Produkten, Preise etc.), berührt er Sie für 2 Sekunden am Oberarm.
Halten Sie es für möglich, dass diese minimale Intervention einen Einfluss auf ihr Einkaufsverhalten hat?
So unglaublich es auch klingen mag, im Vergleich zu den Versuchspersonen einer Kontrollgruppe, die man nicht am Arm berührt hatte, verweilten die „betatschten“ Versuchspersonen deutlich länger in dem Geschäft (siehe Abbildung 2.8), gaben mehr Geld aus und bewerteten das Geschäft deutlich besser.
Abbildung 2.8 Basierend auf Daten von: Hornik, J. (1992). Effects of physical contact on customers’ shopping time and behavior. Marketing Letters, 3, 49-55.
Auch bei (vermeintlichen) Probier-Aktionen3 konnte die verkaufsfördernde Wirkung einer leichten Berührung am Arm nachgewiesen werden. So fragten Smith, Gier und Willis (1982) Besucher eines Supermarktes, ob sie eine neuartige Pizza mit ausschließlich natürlichen Zutaten probieren wollten.
Wenn man die Versuchspersonen währenddessen kurz am Arm berührte, waren sie nicht nur eher bereit, die Pizza zu testen (71% vs. 59%), sondern waren auch nahezu doppelt so häufig bereit, die Pizza zu kaufen (siehe Abbildung 2.9).
Abbildung 2.9 Basierend auf Daten von: Smith, D., Gier, J., & Willis, F. (1982). Interpersonal touch and compliance with a marketing request. Basic and Applied Social Psychology, 3, 35-38.
Guéguen und Jacob (2006) replizierten diese Ergebnisse an einer riesigen Stichprobe (N=1096) auf einem französischen Markt. Diesmal wurden die Passanten angelockt, indem man ihnen Oliven zum Probieren anbot. Auch diesmal verfehlte die leichte Berührung am Arm ihre Wirkung nicht. Im Vergleich zur Kontrollgruppe stieg die Probier-Bereitschaft von 32% auf 43%. Die Verkaufsquote stieg von 10% auf 17,6%.
Auch wer als Kellner(in) in einem Restaurant oder Bar jobbt, könnte vom gezielten Einsatz von Berührung profitieren. Gleich mehrere Untersuchungen, die in unterschiedlichen Ländern durchgeführt wurden, kommen zu diesem Schluss (z.B. Ebesu Hubbard, Tsuji, Williams & Seatriz, 2003; Guéguen & Jacob, 2005; Lynn, Le & Sherwyn, 1998).
In einer Studie mit 400 Versuchspersonen auf Hawaii (Ebesu Hubbard et al., 2003) wurde der Effekt einer leichten Berührung an der Schulter (2-4 Sek.) in zwei unterschiedlichen Umgebungen getestet:
a) Nobles Restaurant (Klientel: Geschäftsleute, Liebespaare)
b) Sport-Bar (Klientel: Studenten, Militär-Personal)
An beiden Schauplätzen führte eine Berührung an der Schulter zu deutlich höherem Trinkgeld (siehe Abbildung 2.10).
Abbildung 2.10 Basierend auf Daten von: Ebesu Hubbard, A. S., Tsuji, A., Williams, C., & Seatriz, V. (2003). Effects of touch on gratuities received insame-gender and cross-gender dyads. Journal of Applied Social Psychology, 33(11), 2427-2438
Hinweis: Der prozentuale Anteil des Trinkgeldes an der Gesamtrechnung ist in der Sport-Bar deutlich größer, da hier die Bestellungen deutlich kleiner ausfallen. Wenn man nur ein Wasser für 2 Euro bestellt und dann 1 Euro Trinkgeld gibt, sind das schon 50% Trinkgeld.