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Für Peterle, Samson, Spock, Anne, Bolli und Kitty
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Das kleinste Katzentier ist ein Meisterstück.
Liebe Leserinnen und Leser, werte Katzenfreundinnen und Katzenfreunde, verehrte Katzen und Kater,
ich mag Hunde. Ganz ehrlich. Unbestritten sind sie wundervolle und putzige Haustiere. Nicht ohne Grund leben unter deutschen Dächern über zehn Millionen dieser possierlichen Art. Wie schrieb schon der alte Geheimrat Goethe so treffend im »Faust«? »Dem Hunde, wenn er gut gezogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen.« Anhänglich, stubenrein und gehorsam ist er, wenn’s gut läuft! Was will man also mehr?
In der Regel ist diese Art auch noch mit einem fast manischen Beschützerinstinkt ausgestattet, welcher selbst einen mickrigen Rehpinscher, zumindest akustisch, in einen tollwütigen sibirischen Schneewolf im Stimmbruch verwandeln kann. Das aber auch nur, wenn er sich dabei Schutz suchend hinter einem meterhohen Zaun verbarrikadieren darf. Für mich als tendenziell schreckhaften und eher Ruhe liebenden Charakter kann eine solche Begegnung dazu führen, einen sonnigen Tag vorzeitig für gelaufen zu erklären.
Cocker Spaniel & Co. sorgen dafür, dass Herrchen oder Frauchen regelmäßig an die frische, herrlich gesunde Luft kommt, um sich die müden Beine zu vertreten. Vorzugsweise morgens um halb sechs bei strömendem Regen im nebligen Spätherbst, versteht sich.
Wie gesagt: Ich mag Hunde. Oder sagen wir besser, ich habe nichts gegen sie. Vorsicht, Ironie! Zumindest nichts Wirksames. Vor allem dann nicht, wenn sie möglicherweise drollige Kunststückchen draufhaben, wie zum Beispiel Bällchen- oder Stöckchenholen … Das kann mich durchaus erheitern und mein Gemüt erfreuen.
Der treue Hund ist mir jedoch generell zu fixiert auf seinen Halter. Mitunter hat das so etwas obsessiv Verbissenes und erinnert mich sehr an Stalking. Als potenzielles Herrchen bräuchte ich schlicht mehr Freiraum, als so ein niedlicher Yorkshire Terrier mir zugestehen würde. Hunde scheinen immer irgendwie darauf zu warten, dass etwas Entscheidendes und Aufregendes passiert. Sie sind dauer-unternehmungslustig. So bin ich nicht. Ich bin froh, wenn mal nichts passiert. Meine Devise lautet: Ruhe im Karton!
Jetzt werden Sie vielleicht denken: Was erzählt der ältere, dickliche Herr uns hier eigentlich vom Pferd … äh, Hund? Das Tier auf dem Buchumschlag ist doch ganz eindeutig eine herzige Katze!
Als ich etwa fünf Jahre alt war, hatte meine Mutter Margret in einem spontanen Anfall von Großherzigkeit einem grauen, herzkranken Riesenpudel namens Whiskey Urlaubsasyl in unseren bescheidenen, mit Blümchentapete verzierten vier Wänden gewährt.
Eine Stammkundin aus Omas Krämerladen, die stets frisch ondulierte und ihrem Hund in Wuchs und Ausdruck nicht unähnliche Frau Melchior, wollte ihre Sommerfrische im bayerischen Bad Reichenhall im Jahre 1969 gänzlich unbepudelt antreten. So hatten Mama und ich also den fast erblindeten Whiskey für ellenlange zwei Wochen an der Backe. Gehört hat er allerdings auch nicht.
»So ein treuer und lieber Weggefährte« sei er. Mit diesen salbungsvollen Worten hatte Frau Melchior uns das Ungetüm seinerzeit wie Sauerbier angepriesen. »Und wachsam ist er schließlich auch.« Fun Fact war: Das bissige Viech hat uns vierzehn Tage lang gekonnt und knurrend in Schach gehalten, ständig observiert und kontrolliert. Whiskey hätte problemlos bei der Stasi anfangen können. Schnell wäre er dort die Karriereleiter hinaufgetrappelt. Der olle Mielke hätte seine helle Freude an dem grau gelockten Ungetüm gehabt. Whiskey war ein Schnüffler vor dem Herrchen.
In diesen unvergessenen vierzehn Tagen erlebten meine Mutter und ich jedenfalls, gänzlich unfreiwillig, die Vorzüge fleischloser Kost. Egal, was wir auch Unveganes in die Hand nahmen und zum Munde führen wollten, ob Leberwurstschnittchen, Bockwurst oder Frikadelle, Whiskey schnappte danach und verlangte mit nicht gespieltem Nachdruck die unmittelbare Herausgabe des Fleischgerichts. Schnapspralinen-Genießer war er darüber hinaus auch noch. Kein Wunder also, dass er herzkrank war und konsequent so hieß wie die irische Edelspirituose! Nach dieser einschneidenden Erfahrung habe ich nie wieder ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, mir einen Hund zulegen zu wollen. Warum auch? Man ist ja schließlich nicht blöd.
Heilfroh waren wir, als wir den teuren Whiskey wieder in Frau Melchiors Zweiraumwohnung in Herten-Scherlebeck abliefern konnten. Die quietschfidele Urlauberin hingegen hatte wohl still und heimlich gehofft – und deshalb vermutlich auch verzweifelte Stoßgebete gen Himmel gesandt –, ich möge mich unsterblich in ihren hochprozentigen Kumpel verknallen, am Ende ihrer Sommerfrische heulend meinen Besitzanspruch auf selbigen anmelden und die Rückgabe fußstampfend verweigern. Weit gefehlt. Stattdessen haben meine Mutter und ich einen Freudentanz am Pudel-Abgabetag aufgeführt.
So kann man sich manchmal irren. Ich nehme an, Whiskey hat Frau Melchior, samt ihrer Wasserwelle und einer Schachtel Likörpralinen, irgendwann schlichtweg aufgefressen. Oder Frau Melchior ihn? Seitdem jedenfalls habe ich es nicht mehr so mit Hunden.
Vielleicht verstehe ich Hunde aber auch einfach nicht!? Jedenfalls begreifen Hunde mich als Person in all meinen schillernden Facetten definitiv nicht. Das muss ich so annehmen, da sie mich meistens mit einem riesigen Fragezeichen über der nasskalten Schnauze erwartungsvoll anschauen.
Hechelt mich beispielsweise ein Boxer mit heraushängender, dampfender Zunge an, frage ich mich: Bedeutet dieses klebrige Sabbern womöglich die Vorbereitung auf einen nahenden brutalen Angriff? Bringt der Hund sich gerade nur in die richtige üble Stimmung dafür? Oder hat er Durst? Hunger? Diabetes, Verdauungsstörungen oder Asthma? Will er gar nur spielen? Ist ihm heiß? Oder soll das einfach nur witzig sein? Genau so sieht es nämlich aus. Geradezu skurril.
Schlussendlich schüttelt der behäbige Hund dann meist völlig unerwartet seinen Kopf, und zwar exakt in der Geschwindigkeit, in der die Erde sich um die eigene Achse zu drehen pflegt. Und wem fliegt der ganze frisch produzierte und zähflüssige Sabber um die Ohren? Mir! Der Hund wollte mich nur ärgern. Das war’s also. Hunde können manchmal recht unerfreuliche Charaktere sein.
Trotzdem vermute ich als überzeugter Tierschützer natürlich stark, dass Hunde eventuell, unter Umständen, möglicherweise doch so etwas Ähnliches wie eine Seele besitzen könnten. Meinen Sie etwa nicht? Könnte doch sein!
Dennoch: Seien Sie mir jetzt nicht gram, und haben Sie mich bitte weiterhin lieb. Ich weiß, das ist jetzt ein ziemlich dicker Hund, aber Boxer, Terrier und Dobermann sind meine Welt nicht. Bobtails, Bernhardiner und Neufundländer? Geht so.
Ach, was soll ich noch lange drum herumreden? Lassen wir die Katze doch einfach aus dem Sack: Ich vergöttere Samtpfoten. Still bete ich sie an. Der geborene Katzenpapa bin ich. Katzen sind meine heimliche Religion. Wo auch immer auf der Welt ich stehe, schlummere oder gehe, Katzen laufen, schnurren, kuscheln oder fliegen auf mich zu, hinter mir her oder an mich ran. Und bei mir liegen sie immer goldrichtig.
Selbst der lauteste Kater der Welt, Merlin aus Torquay in Großbritannien, würde an meiner Begeisterung nichts ändern. Sein Schnurren erreichte in einer Messung sage und schreibe 67,8 Dezibel. Damit ist das Brumm-Monster fast so laut wie ein alter, benzinbetriebener Rasenmäher. Gratulation dazu!
Katzen und meine Wenigkeit: Das ist eine gegenseitige und geradezu zauberhafte Anziehung, quasi feline Magie. Selbst die argwöhnischste und ausgemergeltste Kitty, ausgestattet mit dem miesesten aller Charaktere, kann sich meiner ganzen Bewunderung sicher sein. »Blind vor Liebe« nennt man das wohl landläufig.
Sollten Sie übrigens stolzer Hundebesitzer sein und sich jetzt ein wenig auf den Schlips oder Schweif getreten fühlen, denken Sie bitte immer daran: Wer einen Hund besitzt, der ihn verzückt anhimmelt, sollte unbedingt auch einen Kater haben, der ihn komplett ignoriert. Das erdet ungemein und wirkt ausgleichend auf den Charakter.
In den Achtzigern durfte ich genau so einem gefräßigen US-amerikanischen Katergeschöpf namens Garfield meine Stimme auf Hörspielkassetten leihen. Im Prinzip war das für einen ausgewiesenen Cat Lover wie mich der absolute Höhepunkt der gesamten Showkarriere. Acht Folgen lang säuselte und krächzte ich mich mit ausgefahrenen Krallen und getigerter Wampe durch die wunderbaren Abenteuer. Da gab es auch so einen typischen Hund namens … na, wie hieß er doch gleich? Ach ja, Odie! Er war im Übrigen nicht besonders klug. Sicher nur ein dusseliger Zufall.
Mein allererstes Referat in der Sexta im Fach Biologie am Marie-Curie-Gymnasium in Recklinghausen beschäftigte sich mit dem Thema Hauskatzen. Wie sie so sind, wo sie herkommen, was sie so können, im Allgemeinen und überhaupt. Dafür gab es von Frau Dr. Gabi Biletzki ein Sehr gut minus.
Sie sehen: In meinem Fall haben Sie es mit einer kompetenten und ausgewiesenen Fachkraft zu tun. Insofern können Sie sich also beruhigt zurücklehnen: Alles, was Sie hier zu lesen und zu hören bekommen, stammt aus der Feder einer echten Hobbykoryphäe auf dem Gebiet der »Felis silvestris catus«, sprich Waldkatze.
Finden Sie nicht auch, dass Katzen anmutige, weise und edle Geschöpfe von geradezu royaler Gestalt sind!? Definitiv besitzen sie eine Seele. Das habe ich jedenfalls so für mich entschieden, und in diesem Buch werde ich es Ihnen sogar beweisen. Aufgepasst: Heute quatsche ich Sie so was von in Katzen rein!
Die Menschheit lässt sich laut Francesco Petrarca, dem großen italienischen Humanisten des Spätmittelalters, grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben Benachteiligte. Na, auf welcher Seite stehen Sie?
Mit der Leidenschaft für den gemeinen Stubentiger bin ich gewiss nicht allein. Womit wir auch schon mitten im wunderbaren Thema wären, sozusagen bei des Pudels Kern.
Der Hund gilt ja gemeinhin als der beste Freund des Menschen. Aber Katzen sind die wahren Lieblingstiere der Deutschen. Vielleicht ist das so, weil sie selbstständig aufs Klo gehen? Ich finde ja, es liegt vor allem daran, dass sie einem viele Freunde auf einmal ersetzen, vom besten Kumpel über den guten Zuhörer bis hin zur Zicke.
Die Katze hat in Deutschland als Haustier die weiche Schnauze ganz weit vorn. Über fünfzehn Millionen Exemplare fläzen sich genüsslich zwischen Sylt und Garmisch-Partenkirchen auf teutonischen Wohnzimmercouches. Von der Deutschen Langhaarkatze über den Abessinier bis hin zur Burma oder der Türkisch Angora. Und ich wette, keinem der Millionen von stolzen Katzenbesitzern ist es jemals gelungen, seiner Mieze das Sofa als Thronersatz auszureden. Die Katze ist unter allen Viechern unser absoluter und erklärter Liebling. Fast jeder zweite Katzenbesitzer hat, laut Umfrage, sogar ein Bild seiner Mieze in der Brieftasche.
Der guten Ordnung halber sei hier noch erwähnt, dass bei uns in Deutschland 3,5 Millionen Ziervögel gezählt wurden und es rund 3,2 Millionen Aquarien oder Gartenteiche mit Fischen gibt. Welcher Beamte hat sich eigentlich die Mühe gemacht, da mal ordentlich durchzuzählen? Vielleicht ein tierlieber Schwabe? Zudem gibt es in Deutschland 1,3 Millionen Terrarien. Merken Sie was? Allesamt Beutetiere unserer pelzigen Lieblinge.
Falls Sie sich mit dem Gedanken tragen, eine noble Katze in Ihr Heim zu holen, kann Ihnen dieses Buch vielleicht ein bisschen dabei helfen, dass Sie, ganz sprichwörtlich, nicht die Katze im Sack kaufen. Nachts sind zwar alle Katzen angeblich grau, aber tagsüber erkennt man eben doch gewaltige Unterschiede, vor allem im Charakter.
Eines ist sicher: Eine Katze kann uns eine verwandte Seele sein und das Leben enorm bereichern, solange man sich dem Tier mit einer gewissen Hingabe nähert. Wie sagt das alte chinesische Sprichwort: Glücklicher Besitzer, glückliche Katze. Gleichgültiger Besitzer, unzufriedene Katze.
1. Goldene Katzenregel: Widmen Sie sich Ihrer Katze immer und ausschließlich liebevoll, sonst wird sie auch nur schwer stubenrein. Frei nach den Beatles ist alles, was Sie im Leben brauchen, Liebe und eine Katze.
Was macht die Katze so sympathisch, unwiderstehlich und attraktiv? Warum erscheint sie uns manchmal sogar wie ein überirdisches oder gar mystisches Wesen? Was fühlen Fellnasen? Ist die Katze sich ihrer selbst bewusst? Wie kommuniziere ich mit meinem Liebling? Haben Katzen Humor? Können sich Katzen schämen? Wie verwöhne ich meine Katze? Sind Katzen die besseren Psychologen? Sind unsere Stubentiger vielleicht sogar hellsichtig? Diesen interessanten Fragen wollen wir uns hier ausgiebig widmen.
Natürlich habe ich auch ein paar nützliche Erziehungstipps für Sie auf Lager. Aber, ich sage das hier in aller Offenheit, sie sind fast alle zwecklos. Am Ende verändern die kleinen Löwen immer den Katzenpapa oder die Katzenmama. Wir geben es irgendwann ohnehin auf, unsere Katzen als Kinder zu betrachten. Ein entscheidendes Geheimnis darf ich Ihnen deshalb gleich zu Beginn schon anvertrauen: Ich glaube, Katzen halten uns ihr ganzes Leben lang für ihre Kinder. Sie werden niemals müde, uns zu erziehen und an das Wesentliche zu erinnern.
Liebevoll, entschlossen und klug ermahnen sie uns, immer schön im Moment zu bleiben. Das Jetzt zu genießen und voll auszuschöpfen will der Buddhismus uns lehren. Der Katze gelingt es nahezu mühelos, uns diese wichtige Lebenslektion spielerisch beizubringen. Sie ist ihrer Natur nach eine spirituelle Meisterin. Nicht umsonst heißt es: Nur Katzen können dem Blick eines Königs standhalten.
In diesem Buch werden Sie natürlich so einiges über unsere Freunde mit dem weichen Fell erfahren, doch auch ganz viel über sich selbst. Unfassbar viel Spannendes, Berührendes und Unterhaltendes habe ich bei meiner Recherche für dieses Buch lernen, entdecken und erkennen dürfen. Nun freue ich mich darauf, es mit Ihnen hier zu teilen.
Sind Sie bereit? Dann betreten wir jetzt gemeinsam das geheimnisvolle Universum der Katzen. Es wird kitty-katty-magisch!
Selbstverständlich hoffe ich, dass Sie nach der Lektüre Katzen[1] genauso lieben werden wie ich, denn Sie wissen ja: Jeder Katzenhasser wird unweigerlich als graue Maus wiedergeboren.
Viel Vergnügen bei der Lektüre
Ihr Hape Kerkeling
PS: Meine nigelnagelneue Katze Kitty sitzt übrigens gerade direkt vor der gläsernen Terrassentür und zwinkert mir sanft zu. Das Vorwort hat ihr anscheinend gefallen. Sie hat es genehmigt. Es kann also losgehen. Darauf ein freundliches »Murr«.
Für blinde Seelen sind alle Katzen ähnlich.
Für Katzenliebhaber ist jede Katze von Anbeginn an absolut einzigartig!
Nachdem meine Mutter im Sommer 1973 auf tragische Weise verstorben war, hatten meine Großeltern, beide bereits jenseits der siebzig, meine Erziehung übernommen. Vor allem waren sie nun damit beschäftigt, mich, den achtjährigen Wonneproppen, wieder behutsam in ein seelisches Gleichgewicht hineinwachsen zu lassen. Keine besonders leichte Aufgabe. Dabei sollte nun auch ein passendes Haustier behilflich sein. Hamster, Hase, Huhn oder was auch immer. Irgendetwas Weiches zum Kuscheln eben.
Opa Kerkeling, aufgewachsen auf einem münsterländischen Bauernhof, wusste um die besondere Wirkungskraft eines tierischen Gefährten. So ein Haustier kann einen festen Ankerplatz in einem zerbrechlichen Kinderherzen einnehmen. Ein Tier kann einem dabei helfen, ein barmherziger und gütiger Mensch zu werden. So sehen das inzwischen auch moderne Pädagogen.
Mein Wallach Bubi war erst ein Jahr zuvor an Altersschwäche gestorben. Also wollte ich kein anderes, neues Pferd. Dazu war ich nicht bereit, und auch standen die finanziellen Mittel dafür nicht zur Verfügung.
Man kann schließlich auch kein Familienmitglied nach dessen Tod einfach ersetzen. Stirbt die Mama, dann bleibt sie unersetzlich. Das ändert sich nie, mag es auch noch so schmerzlich sein.
Oma Bertha pirscht sich also eines Morgens beim Frühstück, an ihrer Teetasse nippend, vorsichtig an das tierische Thema heran: »Opa und ich dachten …«
Oje!, schießt es mir durch den Kopf, wenn Oma schon so anfängt, dann gibt es garantiert wieder ein Problem!
»Also, wir dachten …«, fährt sie fort, »du hättest vielleicht Freude an einem kleinen Hund!«
Leicht geschockt, aber durchaus gekonnt, pruste ich den lauwarmen Kakao über den adrett gedeckten Frühstückstisch und vor allem über den weißen Teller mit Kochschinken, einer Hausmacherspezialität der Metzgerei Köster.
Es gibt also tatsächlich ein Problem, und zwar ein gewaltiges, denke ich beim Anblick der gesprenkelten Wurstware und mosere kauend: »Oma!? Bist du verrückt geworden? Was soll ich denn mit einem Hund? Dafür habe ich wirklich keine Nerven!«
Kinder können sich manchmal so unsagbar altklug aufführen. Diesbezüglich war ich vermutlich sogar eine richtige kleine Pest. Meine Großeltern sitzen jedenfalls perplex und stumm betroffen auf der Eckbank; gerade so, als hätte ich sie bei irgendetwas Blödem erwischt. Mein Gott, die zwei waren immer so besorgt um mein Seelenheil. Wie stark mich dieses Bild der zwei Senioren auf der Holzbank unterm Kruzifix heute, im Rückblick aus der Perspektive des gesetzten Herrn, doch rührt. Ihnen war diese Hundediskussion weitaus ernster als mir, dem unbedarften Knirps.
Oma stottert: »Wir dachten, du hättest vielleicht gern einen Hund? Alle Jungs wollen doch immer einen kleinen Hund!«
Tja, Oma hat die Hoffnung anscheinend immer noch nicht ganz aufgegeben, dass ich mich eines Tages doch noch über Nacht, o Wunder, wie alle Jungs aus dem Kohlenpott in einen Fußball spielenden, pöbelnden und Schimpfwörter speienden Rotzlöffel mit bissigem Dobermann an der Leine verwandeln könnte. Nicht, dass ihr das besonders gefallen würde, aber nach ihrer Einschätzung würde es mir das Leben wohl ein nicht unwesentliches Stück leichter machen in dieser rauen Gegend zwischen kargen Kohlenhalden und qualmenden Schloten.
»Ich will aber keinen Hund! Hunde sind doof! Erinner dich an Whiskey, den doofen Köter von Frau Melchior! Aber … wie wäre es mit einer Katze!?«, entfährt es mir erstaunlich spontan.
Jetzt habe ich nicht nur meine Großeltern, sondern auch mich selbst gerade überrascht. Keine Ahnung, wie ich auf diese putzig-pelzige Idee komme. Irgendwo in mir schlummert wohl die drängende Sehnsucht nach einer seelenverwandten Katze. Der Katzenpapa will anscheinend gerade raus aus mir. Mein Cat-Coming-out!
»Wie sein Vater!«, grummelt mein Opa und meint weiter: »Der hat doch als Kind auch immer halb verhungerte und abgemagerte Katzen angeschleppt. Lasst uns am Wochenende mal zu Tante Elfriede nach Billerbeck fahren. Die hat bestimmt Sommerkätzchen auf dem Bauernhof. Da suchst du dir dann das passende aus, Hans-Peter!«
Gesagt, getan. An jenem besagten Augustwochenende geht es also im giftgrünen Renault zu Tante Elfriede ins idyllische Münsterland. Ich bin so was von aufgeregt. Tja, so muss sich jemand fühlen, der sich endlich einen Porsche Carrera leisten kann und zum ersten Mal im Leben ins Luxus-Autohaus fährt. Mein Katzentraum wird wahr.
Tante Elfriede erwartet uns bereits, freudestrahlend und vor Begeisterung wild mit den Armen fuchtelnd, in gepunktetem Kittel und Holzschuhen an der großen Toreinfahrt zu ihrem Hof.
Tante Elfriede mag ich einfach. Sie ist drollig, verschmitzt und extrem kinderfreundlich. Ihre blonde Kunsthaarperücke sitzt heute allerdings schief. Das Ding sieht ohnehin nicht besonders kleidsam aus. Wieso sagt ihr das eigentlich keiner? Wie ein sonnengegerbtes Katzenfell aus billigen Kunstfasern thront der Haarersatz schräg auf ihrem Haupt. Ihr Mann, Onkel Franz, sieht nicht mehr so gut. Das erklärt einiges, aber doch nicht alles.
Einen Moment lang überlege ich, ob ich sie auf die unübersehbare Schieflage ihrer fragwürdigen Kopfbedeckung aufmerksam machen soll, konzentriere mich dann aber doch lieber wieder auf das Wesentliche. Man will ja die Verwandtschaft auch nicht unnötig in Verlegenheit bringen. Und wieso muss eigentlich immer ich die unangenehmen Dinge in dieser bekloppten Familie zur Sprache bringen?
Wenn mein Großvater oder andere Verwandte aus dem Münsterland oder Holland nicht wollen, dass ich zuhöre oder etwas verstehe, wird in Plattdeutsch »gekürt« oder Nederlands »gepraat«, wahlweise direkt an mir vorbei oder über mich hinweg. Da ich aber nicht so doof bin, wie ich anscheinend aussehe und wie alle gemeinhin denken, verstehe ich Knirps das meiste dann wider Erwarten doch. Dieses kleine Geheimnis behalte ich natürlich für mich. Sorry, oder besser gesagt, »dat deit mi leed«. Diese Form der Heimlichtuerei hat man mir ja schließlich peu à peu beigebracht.
Tante Elfriede ruft auf Plattdeutsch: »Kinners, wat ben ick frouh, dass ihr eins von den Kätzchen mitnehmen wollt. Unsere Minka hat dieses Jahr so viele Kätzchen! Aber nehmt man bloß nicht den kleinen Kater mit. So was Freches und ›Dummdriestes‹ habe ich noch nie gesehen. Aber für unseren Hans-Peter habe ich schon mal vorsorglich die ruhigste Katze ausgesucht. Ein Draufgänger ist unser Junge ja auch nicht gerade!«
Ruhige Katze?, denke ich still erheitert. Ich will Spaß und kein komatöses Fellknäuel!
Tante Elfriede scheint mich also auch nicht für einen übermäßig aggressiven Fußballrowdy zu halten, sondern eher für eine Art sympathischen Softie. Auch wenn dieser Begriff noch gar nicht existiert. Jungs wie mich hält man auch gern mal für Vollpfosten. Leider komme ich auch bei Tante Elfriede nicht so hart rüber, wie ich es mir manchmal doch wünschen würde. Ein ganzer Kerl dank Chappi? Das trifft auf mich, den bald Neunjährigen, nun mal nicht zu.
Elfriede, eine Herzenscousine meines Vaters Heinz, ist die geborene Bäuerin. Bei »Bauer sucht Frau« hätten sie sie – Gott hab sie selig – mit Kusshand genommen und problemlos an den vereinsamten geneigten Landmann gebracht. Die Landwirtschaft als solche wurde nämlich eigens für Tante Elfriede erfunden, damit sie ihr gesamtes Potenzial restlos ausschöpfen kann. Auf ihrem Hof leidet kein Tier unnötig, alles ist blitzeblank, jede und jeder hat ihre oder seine Aufgabe, und Elfriede ist die großmütige Königin über Schwein, Huhn, Kuh, Katze, Feld, Flur und Mähdrescher. Besser geht Agrikultur nicht. Zumindest nicht 1973 hier im Münsterland.
Bald stehen wir vor dem Kuhstall. Dort stinkt es bereits vor dem Tor immer bestialisch beißend, egal, wie sauber es hier auch grundsätzlich sein mag. Ich liebe Tiere, doch so manche Ausdünstung ihrerseits erschwert sensiblen Gemütern wie mir das Leben wirklich unnötig.
»Der Gestank ist nix für unsern Hans-Peter. Dat weiß ich schon. Du bist ja ’n empfindliches Kerlchen, nich, Hans-Peter!? Aber die Katze wohnt nun mal hier im Stall. Hol getz mal tief Luft, und dann gehen wir fix rein! Dat schaffste schon. Wenn du es gar nicht aushältst, musst du dir die Nase zuhalten. Bisse so weit, oder soll ich dir ’ne Wäscheklammer auf die Nase setzen?«, kommandiert meine Tante mich entschlossen in den Stall.
Dieser penetrante Geruch ist wirklich gar nix für mich oder für schwache Nerven im Allgemeinen. Aber es muss auch ohne Wäscheklammer, Taucheranzug oder Atemgerät gehen. Ich muss auch mal gegen mein vorherrschendes Weichei-Image ankämpfen. Man sollte die eigene Familie einfach mal an unerwarteter Stelle überraschen. Wenn’s sein muss, kann ich auch kernig … wenigstens für ein paar Momente.
Selbst wenn viele meiner Vorfahren über Generationen hinweg erdverbundene, heimattreue Landwirte gewesen sein mögen, bin ich da anscheinend völlig aus der rustikalen Art geschlagen. Hat doch die Mehrheit meiner Vorfahren zweifelsfrei einen Großteil ihres Lebens schwitzend und ächzend zwischen Mähen, Viehzucht und Pflaumenernte verbracht. Für meine schillernde und rosige Zukunft wünsche ich mir hingegen eher ein etwas luftigeres Leben zwischen Baden-Baden, Babelsberg und Beverly Hills. Übrigens gern mit viel Eau de Cologne. Auch gegen Schloss Neuschwanstein als ständigen Wohnsitz hätte ich rein gar nichts einzuwenden. Katzenpapa eben. Durch und durch.
Falsche Bescheidenheit kenne ich nicht. Insofern bin ich eigentlich kein waschechter Westfale, sondern eher ein blaublütiger, leicht degenerierter Bourbone mit Hang zum Opulenten. Vielleicht sollte ich hier und heute auch gar keine bescheidene Hauskatze wählen, sondern stattdessen gleich auf einer Angora-, Perser- oder Siamkatze bestehen!? Am liebsten natürlich auf allen drei Rassen zusammen.
Katzenmama Minka hat es sich im Stroh bei der schwarz-weiß gescheckten Resi, Tante Elfriedes mehrfach prämierter Erfolgsmilchkuh, gemütlich gemacht.
Die gute Resi ist anscheinend genauso tierlieb wie ich, denn Minka liegt ganz selig zu Resis Hufen, sich ausgiebig putzend, im Heu. Um sie herum toben fünf kunterbunt gemusterte Kätzchen. Das sechste – ein weißes Kätzchen – liegt da und schläft trotz des Tumults seelenruhig mit offenem Mund und heraushängender Zunge. Das macht die Qual der Wahl schon einfacher: Wer meine Ankunft sabbernd verschläft, ist raus. Und tschüs!
Begeisterung beeinflusst offenbar auch die Wahrnehmung positiv. Tatsächlich gewöhnt man sich recht schnell an den penetranten Gestank im Kuhstall. Das schwarz-weiß-grau getigerte Katzenexemplar erblickt mich plötzlich, und nachdem es um meine Beine gestreift ist, hüpft es förmlich begeistert auf mich zu.
So eine schöne Katze habe ich noch nie gesehen. Fit, lustig und hellwach. Die ist ja goldig. Cat for fun! Zugegeben, sie wirkt ein bisschen verrückt und schaut so, als führte sie etwas Freches im Schilde. Während die leicht verschrobene Katzennudel sich in mein Herz miaut, raunzt Tante Elfriede: »Nee, die besser nich.«
Ich höre noch die alarmierte Stimme meiner Großmutter im Nacken: »Hans-Peter, bloß nicht den Kater!«
Aha, das ist er also, der dummdreiste Kater. Es ist zu spät. Das nennt man wohl schockverliebt. Wie heißt es so schön in Marianne Rosenbergs Erfolgsschlager: »Er gehört zu mir!« Der Kater hat das so entschieden. Waren da etwa noch andere Kätzchen? Habe ich nicht gesehen. Ich will dieses agile und quietschfidele Kerlchen, das sich schon bald als außergewöhnliche Intelligenzbestie erweisen soll.
Schwups, habe ich mir meinen Kater auch schon gekrallt, und der ist wiederum bald dabei, seine Krallen endgültig sanft in mein Herz zu schlagen. Das ist mein Kater to go! Peterle, so soll er heißen! Mein Urgroßvater hat mich immer so genannt.
Ach, so eine Samtpfote, frech oder lieb, ist der beste tierische Gefährte, den man nur haben kann. Zwei verwandte Seelen treffen ihrer Bestimmung nach endlich aufeinander. Dieser Kater hat, wie sich zeigen wird, mehr Charakter als ein ganzes Rudel von Schlittenhunden zusammen. Und was um Himmels willen hätte ein Rudel Schlittenhunde auch in meiner schneearmen und grob charmanten Heimatstadt Recklinghausen verloren? Ein sperriger, etwas hochnäsiger Kater passt hingegen perfekt, entweder in die Bronx oder eben ins Kohlerevier! Hier wächst doch tatsächlich zusammen, was zusammengehört.
Während wir mit dem Kater bereits auf dem abendlichen Nachhauseweg in den sauerstoffarmen und stickstoffreichen Kohlenpott sind, redet meine Oma vom Beifahrersitz mahnend und hüstelnd auf mich, auf der Rückbank sitzend, ein: »Der Kater kommt mir aber nicht ins Haus! Das ist dir schon klar, oder?«
»Natürlich!«, sage ich im Brustton der Überzeugung, auch wenn ich der Sache ein wenig skeptischer gegenüberstehe. Abgesehen davon hat meine Oma das größte Herz unter der Sonne. Weder mir noch dem Kater wird sie eine Bitte abschlagen können. Ich habe zwar keine Mutter mehr, und das ist schlimm. Dafür habe ich aber die beste Oma der Welt.
»Er bleibt auf jeden Fall draußen. Peterchen kann ja in Opas Werkstatt im Stall wohnen! Hörst du, Hans-Peter?«, beharrt Oma auf ihrem Standpunkt. So wie sie es sagt, scheint sie bereits zu ahnen, dass dieser Vorsatz schon bald Makulatur sein könnte.
Vielleicht geht Oma davon aus, dass eine Katze, die im Stall geboren wurde, dort auch dringend bleiben möchte. Aber genauso wie der Mensch im Allgemeinen strebt eben auch manches Tier instinktiv nach Höherem. Nicht umsonst heißt es ja: Wie der Herr, so’s G’scherr!
Noch weiß ich ja nicht besonders viel über Peterle, allerdings sieht er definitiv nicht so aus, als wollte er weiterhin im Stall oder in einer Werkstatt wohnen. Wenn ich ihn mir da so in Omas altem Einkaufskorb etwas genauer betrachte, wie er interessiert hervorlugt, komme ich zu dem Schluss, dass er ein feudales Sofakatzen-Gesicht hat. Er hat Lust auf behagliche Gemütlichkeit. Das Motto »herrische Hauskatze« steht ihm unsichtbar auf die Stirn geschrieben. Doch, er würde auch gut nach Versailles passen!
Meine Großeltern neigen zwar manchmal dazu, mich ein bisschen zu unterschätzen, aber bei diesem Kater liegt Oma jetzt völlig daneben. Der Minilöwe ist ein geborener Imperator, denn dieses Raubkätzchen hat Charakter. Ein Sonnenkönig, jedoch einer mit Herz.
Zu Hause angekommen, liefere ich Peter, wie von Oma erwartet, im Stall hinter dem Haus ab. Von hier kann er dann durch ein Kläppchen in der Stalltür, welches Opa eigens für den Kater bereits im Vorfeld gezimmert hat, hinaus in den Garten.
Draußen dämmert es langsam, und auch dem tapsigen kleinen Kater scheint gerade etwas zu dämmern. Ein bisschen verstört wirkt er und verloren, hier zwischen Opas Werkbank und dem himmelblauen Mofa meines Bruders.
Ein weißer Napf mit Katzenfutter wartet vergeblich darauf, angerührt zu werden. Peter miaut aus ganzem Herzen und schaut mich dabei flehentlich an. So schreit nur jemand, der dringend wieder nach Hause will. Es wird jetzt meine vornehmste Aufgabe sein, ihm klarzumachen, dass er von nun an bei mir zu Hause ist. Einen Rückfahrschein zu Tante Elfriede gibt es nicht.
Im Auto war es noch die Katzenbaby-Neugier, die ihn, von der Abenteuerlust getrieben, relativ ruhigen Blutes bis hierher gebracht hat. Doch nun scheint ihm langsam aufzugehen, dass der schnelle und unerwartete Abschied von seiner Mama wohl ein endgültiger war und dass er auch seine Geschwister zukünftig nicht mehr in seiner Nähe haben wird. Ein kleiner, tapferer Kerl muss hier gerade endgültige Wahrheiten verkraften.
Obwohl es noch Spätsommer ist, das Kätzchen scheint mit einem Mal zu frieren. Peter zittert. Annäherungsversuche meinerseits lässt er nicht mehr zu. Er verkriecht sich vor mir unter Opas Werkbank in das hinterste Eckchen.
Von der Haustür schallt Omas Stimme über den Hof: »Hans-Peter, komm bitte ins Haus. Es wird dunkel!«
»Gleich, Oma« brülle ich zurück, »die Katze hat solche Angst!«
»Noch zehn Minuten, dann bist du bitte im Haus!«, hallt es zurück.
Was soll ich machen? Die Katze brüllt wie am Spieß. Peter fühlt sich nicht wohl. Er will nur weg. Kurzum: ein Katzenjammer, das Ganze.
In meiner Not lege ich mich auf den kalten Steinboden. Irgendetwas sagt mir, ich solle gefälligst damit aufhören, den Kater so eindringlich anzustarren und derartig verzweifelt mit Nachdruck auf ihn einzureden. Das nervt nämlich und scheint rein gar nichts Positives zu bewirken. Im Gegenteil: Das Tier fühlt sich dadurch anscheinend sogar von mir bedroht.
Nun gut. Dann gucke ich einfach mal unbeteiligt nach oben, an die Decke, und schaue mir Opas dort aufgehängte Gerätschaften etwas genauer an, vom Besen über die Harke bis zum Rechen. Dabei trällere ich intuitiv und leise das Liedchen »Abendstille überall …«. Das hat meine Mutter mir immer vorgesungen, und geschadet hat es nichts. Vielleicht nützt es ja bei Peter sogar etwas?
Und siehe da! Fixiere ich mich nicht zu sehr auf ihn, wird er sichtlich ruhiger. Die Tatsache, dass ich den rostigen Gartenwerkzeugen meines Großvaters unbeirrbar ein Gutenachtlied vorplärre, scheint ihn zu besänftigen. Oder besser gesagt: Ignoriere ich mein Katerchen, findet er das toll.
Die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren hat einmal konstatiert, dass man in Tiere gar nichts hineinprügeln, aber manches aus ihnen herausstreicheln kann. Sie hat, wie meistens, recht. Geduld ist nämlich auch das entscheidende Schlüsselwort bei der Katzenerziehung. Soweit man bei Katzen eben überhaupt von Erziehung sprechen kann. Nennen wir es lieber: vorsichtiges Einwirken ohne Hoffnung auf erkennbare Ergebnisse.
Je weniger ich Peterle direkt anschaue, je mehr ich ihm den Rücken zuwende und behutsam etwas vor mich hin summe, desto sanfter wird er. Glücklich ist er zwar deshalb noch lange nicht, aber zumindest nicht mehr ganz so verzweifelt. Das nenne ich Fortschritt. Ich mag zwar kein angeborenes Talent fürs Bolzen besitzen, aber vielleicht schlummert in mir ja ein Tierforscher? Vielleicht bin ich weniger Günter Netzer, sondern mehr Heinz Sielmann? Könnte doch sein!
2. Goldene Katzenregel: Starren Sie die Katze nie direkt und lange an.
Dieses »Angestarrtwerden« erlebt das Tier als eine Bedrohung, die im schlimmsten Fall in einer körperlichen Auseinandersetzung enden kann. Als erzieherische Maßnahme darf es jedoch ab und zu maßvoll eingesetzt werden. Wenn Sie Ihrem Stubentiger allerdings sanft und langsam zuzwinkern, bedeutet es wiederum etwas völlig anderes. Dazu später mehr.
Nach knapp einem Monat ist Peter zum vollwertigen und besonders gut gelaunten Familienmitglied herangewachsen. Detailgenau kennt er inzwischen unseren Tagesablauf und hat auch unsere Charaktere eingehend studiert. Komme ich von der Schule nach Hause, wartet er bereits, brav im Hof sitzend, auf mich. Meine Wenigkeit hat er mittlerweile zum besten Kumpel auserkoren. Opa ist zu seinem wohlwollenden Butler mutiert, und Oma akzeptiert er uneingeschränkt als Chefin im Ring. Zumindest lässt er sie in dem Glauben, sie sei der Boss. Er durchschaut uns alle. Genau wie seinerzeit der gute alte Pudel Whiskey. Nur missbraucht Peter dieses Wissen nicht. Er setzt es zwar zu seinem Besten ein, aber ohne dabei jemandem hinterhältig zu schaden oder ihn gar zu ängstigen. Ein guter Kerl eben.
Peter wohnt und schläft zwar weiter im Stall, welchen er durch die schmale Katzenklappe nach Gusto betreten oder verlassen kann, aber morgens und abends gibt es nun Ausnahmen von der strengen Regel. Der Kater darf tatsächlich ins Haus. Durch einen knapp einwöchigen Sitzstreik vor der Haustür hat er das maunzend eingefordert. Katzen hassen nichts mehr, als vom Familienleben ausgeschlossen zu werden. Selbst wenn sie manchmal nur teilnahmslos und wie tot, auf Brokatkissen schnarchend, im Wohnzimmer herumliegen, wollen sie doch um jeden Preis dabei sein und kriegen tatsächlich das Wesentliche immer mit.
Mit dem mitleiderregenden, dahinmiauten Vorwand, er wolle sich nur mal kurz im Hause umschauen, rein interessehalber, hat mein Kater sich nun also nahezu uneingeschränkten Zugang zu allen Räumen verschafft. Meine pseudostrenge Oma ist am Ende doch noch schwach geworden. Die Schlafzimmer bleiben allerdings weiterhin tabu.
Begleitet von den verständnisvoll gesäuselten Worten: »Ach, eigentlich ist er doch ein ganz lieber Kerl!«, hat Oma ihm eigenhändig die Haustür geöffnet. Beim Frühstück darf Peter nun allmorgendlich neben mir auf der Eckbank sitzen und seinen Blick über die angebotenen Köstlichkeiten der Metzgerei Köster schweifen lassen. Mehr aber auch nicht.
Einmal versucht er, seine Pfote ziemlich unsanft auf meinen Teller zu schieben, um die streichzarte, extrafeine Geflügelleberwurst zu ergattern. Diese Köstlichkeit streicht Oma ihm jedoch entschlossen und endgültig von der Speisekarte, indem sie ihm einen etwas längeren, strengen Blick schenkt und ihm einen klitzekleinen, unangenehmen Stupser zielgenau aufs Näschen verpasst, untermalt von der einleuchtenden Bemerkung: »Pfoten vom Tisch!« Und zu mir gewandt: »Genau so erzieht ihn die Katzenmama übrigens auch!« Ansonsten gilt sowieso immer die alte japanische Weisheit: Statt die Katze zu verjagen, stell lieber mal den Teller weg.
Im Anschluss starrt der beleidigte Kater, innerlich vor sich hin maunzend, unbeteiligt an die Küchendecke, seine Pfoten aber behält er fortan bei sich. Sowieso gilt: Ist Oma im Raum, benimmt sich mein Kater stets wie ein Gentleman. Er verhält sich formvollendet, wie ein Dressurpferd auf dem Olympiaparcours, und erlaubt sich keinen einzigen Patzer. Geradezu erstaunlich, dass er sich nicht vor Oma verbeugt. So nimmt es nicht Wunder, dass Oma ihn ihrerseits für einen ganz lieben Kerl hält. Das ist er zwar, aber er ist auch unfassbar raffiniert.
Jeden Morgen öffne ich ihm die schmale Fensterklappe oberhalb der Klinke in der Eingangstür, und Peter springt mit einem Satz gekonnt auf das Fensterbänkchen und in den Hausflur. Ein herrliches Bild, wie der dicke, getigerte Kater da akrobatisch im hohen Bogen ins Haus hineinfliegt, um dann auf Entdeckungsreise zu gehen.
Durch Peterle lerne ich bereits im Kindesalter, was es heißt, Verantwortung für jemanden zu übernehmen. Man baut zu Tieren nun mal eine echte Beziehung auf, durchaus auch mit Höhen und Tiefen, Krisen und guten Phasen.
Der Fressnapf muss zu festen Zeiten morgens und abends gefüllt und dann auch entsprechend wieder gesäubert werden. Gut – ab und zu übernimmt natürlich Opa auch mal diese Aufgabe. Abspülen ist, wie das Fußballspielen, auch nicht so wirklich meins.
Beim Fressen auf Bodenniveau stellt die Katze ihre Ohren automatisch nach hinten, weil sie ihr eigenes Schmatzen nicht hören mag. Das nenne ich halbwegs gut erzogen! Vielleicht laufen Chili-Chips mampfende Teenies deshalb neuerdings mit fetten Kopfhörern durch die Innenstädte? Eine Katze hat übrigens in jedem Ohr 32 Muskeln, die es ihr ermöglichen, die Öhrchen zu drehen, zu bewegen, besonders gut zu hören und zu orten. Menschen haben hingegen nur sechs.