Welches Gelenk im menschlichen Körper ist am größten und am kompliziertesten aufgebaut? An welchem Gelenk lassen sich am häufigsten Verschleißerscheinungen (Arthrose) beobachten? Welches unserer Gelenke muss am häufigsten behandelt werden? Richtig, es ist das Kniegelenk.
Bis zu zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden an Beschwerden des Kniegelenks, ca. drei Millionen haben eine Kniegelenksarthrose. Ungefähr 175 000 künstliche Kniegelenke werden pro Jahr in Deutschland eingesetzt.
Frauen sind laut Statistik deutlich häufiger von der Kniegelenksarthrose betroffen als Männer, wobei unklar ist, warum das so ist.
Entgegen der Meinung vieler entsteht der Gelenkverschleiß nicht erst im Alter, auch Jüngere ab 20 Jahren können bereits daran leiden. Im Alter von 30 Jahren sind schon bei 50 Prozent Aufbraucherscheinungen des Kniegelenks festzustellen. Selbst bei Jugendlichen ohne Verschleißerscheinungen ist das Kniegelenk eine häufige Quelle von Beschwerden.
Vielleicht ist es deswegen an der Zeit, sich mit diesem wichtigen Gelenk zu beschäftigen und Energie in ein Training zu investieren. Wie ist das Knie aufgebaut, wie funktioniert es? Gerade in jungen Jahren kann man die Grundlagen für gesunde und stabile Gelenke legen.
Damit unser Kniegelenk uns auch weiterhin durch das Leben trägt und bewegt, und wir durch einen jungen, dynamischen Gang immer noch frisch und jugendlich wirken.
Es gibt kaum eine Bewegung, an der die Kniegelenke nicht beteiligt sind, selbst im Sitzen und Liegen. Doch welchen Belastungen sind die Kniegelenke beim Gehen und Stehen ausgesetzt?
Beim normalen Gehen kann die Gewichtsbelastung je nach Gangart auf einem Kniegelenk das Vier- bis Sechsfache des Körpergewichts betragen. Beim Treppensteigen erhöht sich die Belastung auf das Sechs- bis Achtfache.
Unser Kniegelenk wirkt hauptsächlich wie ein Scharnier: Es beugt und streckt. In den Beugestellungen kann es aber auch leicht drehen, es ist also ein Dreh-Scharnier-Gelenk mit vielfältigen, komplizierten Bewegungsmöglichkeiten. Bei Beugung und Streckung gibt es keine feste Bewegungsachse, der Oberschenkel rollt und gleitet auf dem Unterschenkel, unterstützt von Bändern, Menisken (Faserknorpelscheiben) und Muskeln. Selbst bei einer kleinen Bewegung sind viele verschiedene Gewebestrukturen (Knochen, Knorpel, Kreuz- und Seitenbänder, Kapsel, Sehnen, Muskeln) gleichermaßen beteiligt. Aus den komplizierten Bewegungsabläufen resultiert die relativ hohe Verletzungsanfälligkeit.
Für unsere Urahnen war die Fortbewegung zu Fuß überlebenswichtig. Um als Jäger und Sammler an Nahrung zu kommen, mussten weite Strecken zurückgelegt werden. Das Gehen ist somit für den Menschen besonders energiesparend ausgelegt. Das Muskelspiel ist perfekt koordiniert und der Verbrauch an Sauerstoff, dem Energiespender, besonders gering. Rennen wir, steigt unser Energieverbrauch auf das Doppelte bis Dreifache an.
Das schnelle Laufen halten wir somit nur kurzfristig durch.
Bereits vor 3,6 Millionen Jahren existierte wohl bei unseren Vorfahren der aufrechte Gang, der nach und nach perfektioniert wurde. Der »Homo erectus« – der »aufrechte Mensch« – tauchte vor 1,9 Millionen Jahren auf. Sein Kennzeichen waren das größere Gehirn und die Fähigkeit zur Herstellung von komplexen Werkzeugen. Unter vielen Faktoren, die unsere Gehirnentwicklung geprägt haben, gilt der aufrechte Gang als der Auslöser für die Intelligenzentwicklung. Dadurch musste nämlich eine perfekte Muskelkoordination und Balance geschaffen werden, wodurch sich die Zahl der Nervenzellen deutlich erhöhte. Außerdem wurden die Hände, die keine Abstützfunktion mehr einnehmen mussten, frei und konnten in ein hochdifferenziertes Werkzeug umgewandelt werden. Die Gehirnentwicklung folgte den wachsenden motorischen Aufgabenstellungen.
Auch die Sprache hat sich aus Regionen des Gehirns gebildet, die für die Bewegung zuständig sind. Gehen und Reden sind ganz eng miteinander verwandt, wie eine internationale Forschergruppe um den Wissenschaftler Henrik Mouritsen, Universität Oldenburg, im Jahr 2008 zeigen konnte.
Alle höheren Gehirnfunktionen haben sich aus alten Bewegungsprogrammen entwickelt. Der aufrechte Gang mit seinen komplizierten Steuermechanismen zur Wahrung des Gleichgewichtes war die entscheidende Voraussetzung für die »Menschwerdung«.
Zur Nahrungssuche hat der Urmensch täglich schätzungsweise 20 bis 50 Kilometer zurückgelegt und war bis zu zehn Stunden unterwegs. Aus diesem Grund ist unser Körpersystem hervorragend für diese Art von Ausdauerleistung ausgelegt, und zwar auch heute noch! Fatal wird es, wenn wir unseren Körper nicht mehr ausreichend trainieren. Unterforderung lässt ebenso wie Überforderung die Gewebestrukturen krank werden.
Die überragende Bedeutung der Fortbewegung wird auch in unserer Sprache deutlich. Die Frage nach dem allgemeinen Wohlbefinden wird mit dem Zustand des Gehens verknüpft. Wenn Sie irgendeine Aufgabe zu Ihrer Zufriedenheit gelöst haben, berichten Sie davon mit den Worten: »Es ging ganz gut.« Der Begriff des Gehens nimmt einen zentralen Platz in der Beschreibung unseres Allgemeinzustands ein.
Das Bundesministerium für Gesundheit (Infobüro für Prävention) hat 2010 eine Statistik zum Sitzen veröffentlicht. Demnach sitzt ein Mann bei uns durchschnittlich 7,1 Stunden, eine Frau 6,7 Stunden. Denkt man an Büroarbeiter, die mindestens 7 Stunden sitzen, und zählt noch die Essenszeiten und Freizeitaktivitäten im Sitzen (wie Fernsehen und Kneipe) hinzu, kommt man auf über 10 Stunden! Die ruhenden Tätigkeiten überwiegen bei Weitem unsere Bewegungsaktivitäten. Um uns zu schonen, nutzen wir so oft wie möglich Fahrstühle, Rolltreppen, öffentliche Verkehrsmittel, Autos usw. Die tatsächliche durchschnittliche Laufleistung beträgt, natürlich abhängig vom Beruf, ca. zwei Kilometer pro Tag.
Gehen ist für die meisten Menschen so selbstverständlich, dass sie sich kaum Gedanken darüber machen. Dabei ist das Gangbild so individuell wie ein Fingerabdruck. Jeder kann an seinem Gangbild identifiziert werden.
Einen langsamen, hinkenden Gang nehmen wir mit zunehmender Gebrechlichkeit im Alter an. Je schlechter dabei die Gelenke sind, desto schleichender wird der Gang.
Was aber sagt das Gangbild über unsere Vitalität aus? Jede Menge! Ein dynamisches, agiles Gehen auch im fortgeschrittenen Alter wird ganz unbewusst mit Kraft und Jugendlichkeit in Verbindung gebracht.
Aber unser Gangbild drückt auch überaus deutlich unser emotionales Befinden aus. Gangmuster, Geschwindigkeit und der Druck des Körpers in den Boden verändern sich, wenn es uns nicht gut geht.
Zudem wird unser Persönlichkeitseindruck wesentlich, das heißt zu über 50 Prozent von der Motorik, also der Körpersprache bestimmt. Die Stimme hat immerhin noch einen Anteil von 38 Prozent, der Inhalt des gesprochenen Worts trägt nur 7 Prozent dazu bei.
Da das Gehen unseren emotionalen Status repräsentiert, ist es natürlich auch möglich, über die Fortbewegung unseren psychoemotionalen Zustand zu verändern. Die moderne Medizin kennt dieses Prinzip zwar, wendet es aber noch viel zu wenig an. Wenn es Ihnen also mal nicht so gut gehen (!) sollte, gehen oder laufen Sie für 30 Minuten. Sie haben dadurch einen direkten positiven Einfluss auf Ihr emotionales System. Gehen Sie flott und mit Nachdruck, setzen Sie die Füße fest auf dem Boden auf und finden Sie einen gleichmäßigen Rhythmus. Nach ein paar Minuten spüren Sie Frische, positive Energie und ein Öffnen des Geistes. Natürlich verschwinden Ihre Probleme nicht, aber Ihre Haltung (die körperliche wie die geistige), Stimmung und Energie werden sich positiv ändern.
Eigentlich besteht das Kniegelenk nur aus wenigen Strukturen. Doch das Zusammenspiel dieser wenigen Strukturen ist, wie so vieles in unserem Körper, faszinierend.
Vier Knochen formen das Kniegelenk: kopfwärts der kräftige Oberschenkelknochen (Femur), fußwärts Schien- (Tibia) und Wadenbein (Fibula), die zusätzlich durch eine kräftige Sehnenplatte fest, aber doch elastisch miteinander verbunden sind, und die Kniescheibe. Schien- und Wadenbein bilden am Kniegelenk ein eigenes kleines Gelenk.
Sie ist der kleinste Knochen im Gelenk und ohne sie wäre das Laufen gar nicht möglich. Zudem ist sie das größte Sesambein in unserem Körper, das heißt ein Knochen, eingebettet in eine Sehne, wo diese ein Gelenk überzieht. Dadurch verstärkt sie die Hebelwirkung der Sehne. Die Kniescheibe ist mit einer dicken Knorpelschicht überzogen, um die gewaltigen Kräfte des Kniestreckermuskels (Quadrizeps) wie ein Flaschenzug ableiten zu können. Beim normalen Gehen beträgt der Anpressdruck der Kniescheibe auf den Oberschenkelknochen ungefähr die Hälfte des Körpergewichts, bei einem Sprung nach unten kann er auf über das 20fache des Körpergewichts ansteigen! Die Kniescheibe wandert je nach Beugegrad des Kniegelenks um fünf bis zehn Zentimeter auf dem Oberschenkelknochen auf und ab.
Unser eigentliches Kniegelenk, das von einer Schleimhaut umkapselt wird, besteht aus zwei Räumen, die aber miteinander in Verbindung stehen. Der eine Gelenkraum, das Kniescheibengelenk, liegt zwischen der Kniescheibe und dem Oberschenkelknochen, der eine furchenförmige Vertiefung zum Gleiten der Kniescheibe aufweist. Der zweite und größere Gelenkraum ist das Kniekehlengelenk zwischen Oberschenkelknochen und Schienbein mit einer großen Aussackung in die Kniekehle hinein, damit genügend Raum für die Beugung und Streckung des Gelenks zur Verfügung steht. Dieser große Gelenkraum hat einen nach innen (medial) und einen nach außen (lateral) gerichteten Anteil, in dem Innen- und Außenmeniskus liegen.
Jeder, der irgendwann einmal Fußball geschaut hat, kennt die Namen dieser Strukturen aus den Verletzungsmustern der Sportler. Trotz der kräftigen Oberschenkelmuskulatur der Fußballer kommt es aufgrund der ungeheuren Kräfte, der Fehlbelastungen und Fouls zu häufigen Verletzungen. Aber nicht nur Profisportler benötigen eine gut ausgebildete Kniegelenksmuskulatur, auch Hobbysportler, klassische Nichtsportler und Arthrosepatienten müssen Kraftspitzen, die beim Treppensteigen, Hinsetzen, Aufstehen, Stolpern ganz natürlich auftreten, abfangen können.
Ist die Muskulatur schlecht, sind eine Menge Strukturen gefährdet:
Berühmt-berüchtigte Menisken: Die beiden Menisken (Innen- und Außenmeniskus) sind Faserknorpelscheiben zwischen Oberschenkelrolle und Schienbein, die eine große Bewegungsvielfalt zulassen. Der Innenmeniskus ist mit dem Innenband verwachsen und dadurch verletzungsanfälliger als der Außenmeniskus. Das Knorpelgewebe der Menisken ist im Erwachsenenalter nicht mehr durchblutet. Einmal eingerissen, findet keine Ausheilung mehr statt. Die oft vorgenommene Kniegelenksspiegelung (Arthroskopie) zur Entfernung von Meniskusteilen ist zwar ein sehr routiniertes und sicheres Verfahren, doch jeder Teilverlust des Meniskus bedeutet eine Eintrittspforte für den Gelenkverschleiß. Vor jeder Operation sollte sorgfältig abgewogen werden, ob diese auch wirklich notwendig ist.
Innen- und Außenband: Die beiden Seitenbänder dienen der seitlichen Stabilisierung des Knies. Es sind verstärkte Bänder innerhalb der Kniegelenkskapsel, dadurch ist bei Rupturen (Bänderrissen) eine gute Heilungschance durch eine spezielle Ruhigstellung auch ohne Operation gegeben. Sind jedoch gleichzeitig noch weitere Strukturen (Kreuzband, Meniskus) von einer Verletzung betroffen, verlangt das komplizierte Zusammenspiel nach einer neuen Therapiestrategie durch einen Spezialisten.
Vorderes und hinteres Kreuzband: Sie stabilisieren das Knie entsprechend der Namensgebung nach vorn und hinten. Der Name Kreuzband kommt vom kreuzförmigen Verlauf dieser Bänder.
Längsschnitt durch den Oberschenkel, das Kniegelenk und den Unterschenkel.
Ein Kreuzbandriss gehört zu den bekanntesten Verletzungen bei Fußballern. Besonders gefährdet sind Spitzensportler und schlecht trainierte Hobbysportler. Ein Riss des Kreuzbands macht für einen motivierten Sportler immer eine Operation notwendig. Nur so lässt sich die Stabilisierung des Kniegelenks sicherstellen. Bei allen anderen Personen muss man abwägen. Aufgrund eines ausgeprägten Stabilisierungsverlustes ist aber immer ein intensives Kniemuskeltraining erforderlich – lebenslang!
Die verletzungsanfälligste Struktur im Kniegelenk ist allerdings der Knorpel, und das ist den meisten weniger bekannt. Die Knochenoberfläche ist als Puffer und zur Minimierung der Reibung mit einer drei bis fünf Millimeter dicken Schicht aus Knorpel überzogen. Der Knorpel ist ein ganz spezielles, gefäßloses und wasserreiches Gewebe, das eine hohe Elastizität und gleichzeitig hohe Stabilität hat. Das Knorpelgewebe kann Stöße beim Laufen und Springen sehr gut abfangen, dämpfen und verteilen. Die Knorpeloberfläche ist spiegelglatt, sodass nur wenig Reibung entsteht.
Das Kniegelenk wird von einer Gelenkkapsel umgeben. Dieser festen Bindegewebshaut kommt die wichtige Funktion der Produktion von Gelenkflüssigkeit zu. Für eine optimale Schmierung des Gelenks sind nur wenige Milliliter Gelenkflüssigkeit (Synovia) notwendig, die wie ein gutes Öl einen Schmierfilm zwischen den Gelenkpartnern bilden. Die Gelenkflüssigkeit wird vom Körper täglich neu gebildet und steht in Verbindung mit dem Blutstrom. So kann das Immunsystem bei Entzündungen des Kniegelenks schnell aktiv werden und Abwehrzellen in das Gelenk transportieren.
Bei Entzündungszuständen schwillt das Kniegelenk dick an, es bildet sich »Wasser« im Gelenk, bestehend aus Gelenkflüssigkeit und Blutflüssigkeit (Reizerguss). Durch diese Anschwellung lässt sich das Kniegelenk nicht gut beugen und strecken. Über den Blutanschluss finden jedoch auch andere Erreger den Weg in das Gelenk und können Entzündungen auslösen. Eine Verdickung der Gelenkhaut mit ständig vermehrter Flüssigkeitsproduktion kommt bei rheumatischen Erkrankungen vor. Die Gelenkhaut muss dann nicht selten operativ entfernt werden.
Die Gelenkkapsel kann bei Verletzungen einreißen. Das passiert besonders häufig als Begleitverletzung bei Rissen (Rupturen) des Innen- oder Außenbands.
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