Jack Kornfield
Frag den
Buddha
und geh den Weg
des Herzens
Was uns auf der spirituellen
Suche unterstützt
Aus dem Amerikanischen
von Ulli Olvedi
KÖSEL
Ein Anfang
1 Habe ich wirklich geliebt?
2 Den Krieg beenden
3 Den einen Sitz einnehmen
4 Heilung
5 Das Hündchen erziehen: Achtsamkeit gegenüber dem Atem
6 Stroh in Gold verwandeln
7 Die »Dämonen« benennen
8 Hartnäckige Probleme und aufdringliche Besucher
9 Die spirituelle Achterbahn: Kundalini und andere Nebenwirkungen
10 Das Selbst erweitern und auflösen: Tiefe Nacht und Wiedergeburt
11 Auf der Suche nach dem Buddha: Eine Leuchte für uns selbst
12 Die Zyklen des spirituellen Lebens annehmen
13 Keine Grenzen des Heiligen
14 Kein Ich/Selbst oder wahres Selbst?
15 Großzügigkeit, gegenseitige Abhängigkeit und furchtloses Mitgefühl
16 Es geht nicht allein: Die Beziehung zu einem Lehrer / einer Lehrerin
17 Psychotherapie und Meditation
18 Des Kaisers neue Kleider: Probleme mit Lehrern
19 Karma: Das Herz ist unser Garten
20 Das Feld erweitern: Ein ungeteiltes Herz
21 Spirituelle Reife
22 Das große Lied
23 Erleuchtung ist Nähe zu allem
Ohne Evelyn Sweeney wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Evelyn ist eine langjährige Schülerin, Lektorin, Freundin und Assistentin und stand mir während der Entstehung dieses Manuskripts in jeder Hinsicht zur Seite. Sie ist unermüdlich in ihrer Arbeit und mit ihren dreiundsiebzig Jahren ein tragender Pfeiler unserer Gemeinschaft. Diesem Buch und den Büchern mehrerer anderer Vipassana-Lehrer stellte sie ihre unerschöpfliche Energie zur Verfügung.
Ich möchte Jane Hirshfield meinen Dank für ihre außerordentliche Klarheit und tiefe Dharma-Weisheit aussprechen. Sie ist Dichterin und Schriftstellerin und eine klarsichtige Schülerin des Dharma, deren Hilfe von unschätzbarem Wert für mich war. Als Hauptlektorin und Ratgeberin trug sie wesentlich zur Struktur und zum Inhalt dieses Buches bei.
Barbara Gates, Schriftstellerin, Lektorin und Freundin im Dharma, gab ebenfalls wertvolle Unterstützung, indem sie mehrere der frühen Kapitel gründlich durchforstete und aus dem Gestrüpp meiner Dharma-Vorträge einen überschaubaren und geordneten Garten gestaltete. Ich sage ihr meinen herzlichen Dank.
Das vorliegende Buch begann in der Form von Vorträgen, die ich 1986 im Rahmen des Spiritual Emergency Network hielt. Dieses Network besteht aus eine Gruppe von Psychologen und spirituellen Unterweisern; sie beraten und unterstützen diejenigen, die sich auf den gewaltigen spirituellen Umbruch einlassen, der in unserer Kultur so wenig verstanden wird und den man oft mit geistiger Krankheit verwechselt. Für die Arbeit dieser Gruppe möchte ich meine große Anerkennung zum Ausdruck bringen.
Ich möchte betonen, dass ich, was mein Dharma-Wissen betrifft, im Laufe der Jahre viel von meinen Lehrer-Kollegen gelernt habe. Besonders viel verdanke ich meinen Freunden Joseph Goldstein, Sharon Salzberg und Stephen Levine, wie auch Stan und Christina Grof – ich schätze sie zutiefst als Initiatoren bestimmter wichtiger Themenbereiche dieses Buches.
Unendlich dankbar bin ich den vielen großen Lehrern in Asien, Europa und Nordamerika für alles, was sie mir gaben.
Ich danke den vielen Schülern und Mitarbeitern, von denen ich in all den Jahren lernen durfte. Die Fallgeschichten, die ich in diesem Buch verwendet habe, sind allesamt authentisch. Allerdings wurden Namen und besondere Umstände mit Rücksicht auf die Privatsphäre geändert.
Schließlich möchte ich auch Leslie Meredith von Bantam Books danken, die sich während der gesamten Entstehung dieses Buches als hervorragende Lektorin, kluge Leserin und hilfsbereite Freundin erwies.
Spirit Rock Center,
Woodacre, Kalifornien
Jack Kornfield
Die Lehrer/Lehrerinnen der Einsichts-Meditation in Amerika und Europa halten seit 1975 regelmäßige Treffen ab. Im Lauf der Jahre sind wir uns unserer Verantwortung als Lehrer und der Sorgfalt, die diese Rolle von uns fordert, bewusster geworden. Im asiatischen Buddhismus ist das Verhalten von Lehrern, die Mönche sind, durch 227 Gelübde und festgelegte Bräuche und Formen geregelt. Doch heute gibt es im Westen viele buddhistische Gemeinschaften, die von nicht-klösterlichen Lehrern geleitet werden. Wir wissen alle, dass die Grundlage unseres spirituellen Lebens eine achtsame und fürsorgliche Beziehung zu allem Leben ist. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir in Ermangelung der klösterlichen Gelübde und asiatischer Bräuche und Gepflogenheiten unbedingt klare Richtlinien für westliche Laienlehrer brauchen. Wir als Lehrer sind uns darüber einig, dass wir zu unserem und unserer Gemeinschaft Wohl weiterhin die Fünf grundlegenden buddhistischen Regeln einhalten wollen, die wir schon so lange lehren. Außerdem haben wir in den Diskussionen, die zu dieser Übereinstimmung führten, diese Regeln differenziert, um sie unserer Rolle als Lehrer des Dharma in dieser geschichtlichen Zeit und in dieser speziellen kulturellen Situation anzupassen. Als Lehrer der Einsichts-Meditation im Westen haben wir für uns die folgenden Richtlinien festgelegt:
1. Wir verpflichten uns, nicht zu töten.
Mit dem Befolgen dieser Regel anerkennen wir das Miteinander-Verbundensein aller Wesen und geben damit unserer Achtung vor allem Leben Ausdruck. Wir stimmen darin überein, unser Verständnis des Nicht-Tötens und Nicht-Schadens in differenzierter Weise in allen unseren Handlungen zu beachten. Wir werden versuchen, die Konsequenzen zu klären, die diese Regel in problematischen Bereichen wie Abtreibung, Euthanasie und Schädlingsbekämpfung hat. Einige von uns empfehlen Vegetarismus und andere nicht; doch wir alle verpflichten uns, diese Regel im Geist der Ehrfurcht vor allem Leben einzuhalten.
2. Wir verpflichten uns, nicht zu stehlen.
Wir verpflichten uns, nichts zu nehmen, was uns nicht gehört, und den Besitz anderer zu respektieren. Wir wollen ganz bewusst üben, die Ressourcen der Erde in einer respektvollen Weise und mit ökologischer Rücksicht zu nutzen. Wir verpflichten uns, im Umgang mit Geld aufrichtig zu sein, und Geld, das für Dharma-Projekte bestimmt ist, nicht anderweitig zu verwenden. Wir verpflichten uns, die Lehren anzubieten, ohne jemanden im Hinblick auf seine oder ihre finanziellen Umstände zu bevorzugen.
3. Wir verpflichten uns, keine falsche Rede zu führen.
Wir verpflichten uns, das zu sagen, was wahr und nützlich ist, und uns in unserer Gemeinschaft der falschen Rede zu enthalten. Wir verpflichten uns, eine bewusste und klare Kommunikation zu pflegen und die Qualität der Herzenswärme und Aufrichtigkeit als Grundlage unseres Redens zu kultivieren.
4. Wir verpflichten uns, sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden. Wir verpflichten uns, niemandem durch Sexualität zu schaden und Ehebruch zu vermeiden. Lehrer, die das Zölibatsgelübde abgelegt haben, verhalten sich gemäß ihrem Gelübde. Verheiratete Lehrer berücksichtigen ihre Gelübde und enthalten sich des Ehebruchs. Alle Lehrer verpflichten sich, ihre Autorität und Position als Lehrer nicht dazu auszunützen, sexuelle Beziehungen mit Schülern einzugehen.
Da einige Lehrer/Lehrerinnen in unserer Gemeinschaft Partnerschaften und Ehen mit früheren Schülern/Schülerinnen eingegangen sind, anerkennen wir, dass solch eine gesunde Beziehung möglich ist, dabei jedoch große Sorgfalt und Sensibilität erforderlich sind. Wir sind uns einig, dass in diesem Fall folgende Richtlinien zu berücksichtigen sind:
5. Wir verpflichten uns, keine Rauschmittel zu konsumieren, die den Verlust unserer Achtsamkeit bewirken.
Es ist eindeutig, dass der Missbrauch von bestimmten Substanzen die Ursache für ungeheueres Leiden ist. Wir sind uns einig, dass während eines Retreats oder in der Vorbereitungszeit vor einem Retreat keine Rauschmittel konsumiert werden sollen. Wir verpflichten uns, zu keiner Zeit Rauschmittel zu missbrauchen. Wir sind uns einig, dass im Falle der Drogen- oder Alkoholsucht eines Lehrers die Gemeinschaft dieses Problem unverzüglich ansprechen soll.
Vor zweieinhalbtausend Jahren legte der Buddha im Patimokka (Disziplin-Kodex) eine Reihe von Maßnahmen fest, die zu befolgen waren, wenn Mönche oder Nonnen ihre Gelübde brachen. In weniger bedeutenden Fällen gehörten dazu eine formale Entschuldigung, das Bekenntnis des Fehlverhaltens und ein erneutes Ablegen der gebrochenen Gelübde. In ernsteren Fällen wurde eine Versammlung von zwanzig Älteren einberufen, die das Fehlverhalten besprachen und eine bestimmte Zeit des Ausschlusses und eine bestimmte Praxis für die Wiederaufnahme festsetzten. Eine weitere Versammlung war nötig, um das ausgeschlossene Mitglied wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen. In den schlimmsten Fällen wurden Mönche oder Nonnen auf Lebenszeit aus dem Orden ausgeschlossen.
Wir erkennen die Notwendigkeit, solch einen Ältestenrat auch in unserer eigenen Gemeinschaft einzusetzen, um mit Schwierigkeiten dieser Art fertigzuwerden. Wir haben beschlossen, eine Ethik-Kommission an jeder Küste einzurichten, bestehend aus jeweils vier Mitgliedern, deren tadelloses Verhalten außer Frage steht.
Wenn das ethische Verhalten eines Lehrers in Frage gestellt ist, wird folgendermaßen vorgegangen:
Die Ethik-Kommission empfiehlt zudem in Verbindung mit dem Lehrkörper ethische Richtlinien für die Mitarbeiter und die Mitglieder des Aufsichtsrats, damit sie ihrer Verantwortung diesen Einrichtungen gegenüber gerecht werden.
Wir hoffen mit der Schaffung und weiteren Entwicklung solcher Richtlinien unsere gesamte Gemeinschaft zu unterstützen und miteinzubeziehen, und wir wollen dabei die Aspekte eines ethischen Lebens weiter erforschen und verfeinern. Wir haben nicht die Absicht, die Ethik-Kommission zu einer Art moralistischer Institution werden zu lassen, die böse Lehrer und Schüler aufspürt, um sie zu bestrafen. Wir alle sind dafür verantwortlich, eine integre Situation zu schaffen. Wir laden alle Schüler und Mitarbeiter ein, uns dabei zu helfen, solch eine Situation zu schaffen, und hoffen, dass wir die Gefühle und Probleme, mit denen wir es zu tun haben, miteinander teilen können.
Wir hoffen und wünschen, dass die Angelegenheiten, die bis vor die Ethik-Kommission gelangen, selten und leicht zu lösen sein mögen. Indem wir die grundlegenden buddhistischen Regeln und unsere Verpflichtung als Lehrer, sie zu befolgen und zu verfeinern, aussprechen und klären, setzen wir uns für ein Leben der wahren Anständigkeit und der Befreiung aller Wesen ein. In der buddhistischen Tradition spricht man nach der Rezitation der Regeln den folgenden Text:
Die Fünf Regeln des Nicht-Schadens
Sind ein Fahrzeug für unser Glück,
Ein Fahrzeug für unser Wohlergehen,
Ein Fahrzeug für die Befreiung aller.
Möge unser gutes Verhalten
in alle Welt hinausstrahlen.
Zu Beginn dieses Buches gehe ich vor allem auf meine eigene innere Reise ein, denn von all den Lektionen, die ich gelernt habe, ist die wichtigste, dass wir das Allgemeine mit dem Persönlichen verbinden müssen, um in unserem spirituellen Leben Erfüllung zu finden.
Im Sommer 1972 kehrte ich nach meinen ersten fünf Studienjahren in Asien nach Hause zu meinen Eltern zurück – mit geschorenem Kopf und in den Roben eines Mönchs. Damals gab es in Amerika noch keine theravada-buddhistischen Klöster; aber ich wollte herausfinden, wie es war, als Mönch in Amerika zu leben, und sei es auch nur für kurze Zeit.
Nachdem ich ein paar Wochen bei meinen Eltern verbracht hatte, beschloss ich, meinen Zwillingsbruder und seine Frau auf Long Island zu besuchen. Im Mönchsgewand und mit der traditionellen Bettelschale versehen, setzte ich mich in den Zug von Washington zur Grand Central Station in New York; das Ticket hatte meine Mutter für mich besorgt, denn als Theravada-Mönch durfte ich nichts mit Geld zu schaffen haben – in keinster Weise.
Es war Nachmittag, als ich in New York ankam, und ich machte mich auf den Weg entlang der Fifth Avenue zum Treffpunkt, wo meine Schwägerin mich erwarten sollte. Nach all den Jahren der Meditationspraxis befand ich mich noch in einer sehr ruhigen Verfassung. Ich ging so, wie man in der Meditation geht, und sowohl die teueren Geschäfte wie Tiffany‘s als auch die Menschenmengen, die an mir vorbeiströmten, waren für meinen Geist nichts anderes als der Wind und die Bäume in meiner thailändischen Klostereinsamkeit. Wir hatten verabredet, dass ich meine Schwägerin vor dem Elizabeth-Arden-Salon treffen sollte. Ihr wurde zum Geburtstag ein Gutschein für einen ganzen Tag intensivster Schönheitspflege in diesem Etablissement geschenkt – Gesichtsmaske, neue Frisur, Massage, Maniküre und was nicht noch alles. Ich stand, wie ich versprochen hatte, Punkt vier Uhr vor dem Schönheitssalon, aber meine Schwägerin erschien nicht. Nach einigem Warten ging ich hinein. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte die Empfangsdame ziemlich schockiert. »Aber gewiss,« erklärte ich, »ich suche Tori Kornfield.« »Oh«, bedauerte sie, »sie ist noch nicht fertig. Aber im vierten Stock ist ein Wartezimmer.« Also fuhr ich mit dem Aufzug hinauf. Dort stieß ich auf die Empfangsdame des Wartezimmers, die ebenfalls höchst verwundert fragte: »Kann ich Ihnen helfen?« Ich erklärte, dass ich auf meine Schwägerin warten wolle und wurde gebeten, Platz zu nehmen.
Ich setzte mich auf eine bequeme Couch, und nach einigen Minuten des Wartens kreuzte ich meine Beine, schloss die Augen und meditierte. Schließlich war ich ein Mönch, und was sollte ich in einer solchen Situation anderes tun? Nach zehn Minuten hörte ich Stimmen und Gelächter. Ich meditierte weiter, aber schließlich hörte ich eine laute Stimme sagen: »Ist der wirklich echt?«, und das bewog mich, die Augen zu öffnen. Im Durchgang zu dem daneben liegenden Raum standen acht oder zehn Frauen in Elizabeth Arden-Negligés (das ist die Bekleidung, mit denen man die Kundinnen während der Schönheitsbehandlungen ausstaffiert), die mich verwundert anstarrten. Die meisten hatten ihre Haare auf Wicklern; einige Gesichter waren grün von einer Paste, die wie Avocadocreme aussah, und andere braun von einer Art Schlammauflage. Ich starrte zurück und fragte mich, in welchen seltsamen Bereich ich hier wohl hineingeboren worden war, und ich hörte mich sagen: »Sind die wirklich echt?«
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich eine Möglichkeit finden musste, die uralten und wunderbaren Lehren, die ich im buddhistischen Urwaldkloster empfangen hatte, mit dem Leben in unserer modernen Welt in Einklang zu bringen. Im Laufe der Jahre wurde dieser Versuch einer harmonischen Verbindung zur interessantesten und wichtigsten aller Aufgaben – für mich wie für viele andere, die sich heute, auf der Schwelle zum einundzwanzigsten Jahrhundert, um ein echtes spirituelles Leben bemühen. Die meisten westlichen Menschen haben kein Interesse daran, als traditionelle Priester, Mönche oder Nonnen zu leben; doch viele von uns möchten das Leben in unserer eigenen Welt mit einer echten spirituellen Praxis verbinden. Dieses Buch handelt von eben dieser Möglichkeit.
Mein eigenes spirituelles Leben wurde durch ein Geschenk ausgelöst, das ich bekam, als ich vierzehn Jahre alt war: Lobsang Rampas Das dritte Auge, ein Roman über mystische Abenteuer in Tibet. Es war ein aufregendes Buch für mich, das mich heftig zum Nachdenken anregte und mir eine Welt eröffnete, die mir viel besser gefiel als diejenige, in der ich lebte. Ich bin an der Ostküste in einer Intellektuellen-Familie aufgewachsen. Mein Vater war Biophysiker, der künstliche Herzen und Lungen entwickelte, in der Raumfahrtmedizin arbeitete und an medizinischen Fakultäten lehrte. Man verpasste mir eine »gute Ausbildung« und schickte mich ans Ivy League College. Ich war von einer Menge kluger und kreativer Leute umgeben; doch trotz all ihrer Erfolge und ihrer intellektuellen Errungenschaften waren viele von ihnen todunglücklich. Es wurde mir klar, dass Intelligenz und eine Stellung in der Welt wenig mit Glück oder gesunden menschlichen Beziehungen zu tun hatte. Am schmerzlichsten musste ich das innerhalb meiner eigenen Familie erfahren. So einsam und verwirrt ich war, erkannte ich doch, dass ich das Glück woanders suchen musste. Also wandte ich mich dem Osten zu.
Am Dartmouth College im Jahr 1963 führte mich ein freundliches Geschick zu einem klugen alten Professor, Dr. Wing Tsit Chan, der mit gekreuzten Beinen auf seinem Schreibtisch saß und Vorlesungen über Buddha und die chinesischen Klassiker hielt. Durch ihn inspiriert, belegte ich Asienkunde und fuhr nach dem Studienabschluss sofort nach Asien (mit Hilfe des Peace Corps), um den Buddhismus zu studieren und Mönch zu werden. Ich begann zu praktizieren, und als ich schließlich ordiniert war, zog ich mich in das thailändische Kloster Wat Ba Pong zurück; es wurde von dem jungen Achaan Chah geleitet, der später sehr berühmt werden sollte. Dort erwartete mich eine unerwartete Ernüchterung. Ich hatte nicht gerade angenommen, dass die Mönche levitieren würden wie in Lobsang Rampas Geschichte, aber ich hatte mir doch gewisse Wirkungen von der Meditation erhofft – ein Gefühl des Glücks, besondere Zustände der Verzückung, außergewöhnliche Erfahrungen. Doch das war es nicht, was mein Lehrmeister in erster Linie anzubieten hatte. Er bot eine Lebensweise, einen lebenslänglichen Pfad des Aufwachens, der Aufmerksamkeit, der Hingabe und der inneren Verpflichtung. Er bot ein Glück, das nicht von irgendwelchen der sich ständig verändernden Bedingungen der Welt abhängig war, sondern allein der eigenen mühsamen und bewussten inneren Verwandlung entsprang. Als ich ins Kloster ging, hatte ich gehofft, den Qualen meines Familienlebens und den Schwierigkeiten der Welt zu entkommen, aber natürlich folgten sie mir, wohin ich auch ging. Es dauerte viele Jahre, bis mir klar wurde, dass diese Schwierigkeiten Teil meiner Praxis waren.
Ich hatte das Glück, jene weisen Anleitungen und die uralte traditionelle Schulung zu erhalten, die man in den besten buddhistischen Klöstern Asiens auch heute noch bekommen kann. Man lebt in äußerster Einfachheit, besitzt kaum mehr als eine Robe und eine Schale und geht täglich sieben Kilometer zu Fuß, um Nahrung für ein einziges Mittagessen zu sammeln. Ich verbrachte lange Perioden der Meditation nach traditioneller Art; das hieß zum Beispiel, eine ganze Nacht lang im Wald zu sitzen und zuzuschauen, wie die Leichen auf dem Friedhof verbrannten; und ich lebte ein Jahr lang in schweigender Zurückgezogenheit in einem Zimmer und praktizierte täglich zwanzig Stunden Meditation im Sitzen und Gehen.
Ich erhielt die hervorragendsten Belehrungen in großen Klöstern, deren Leiter Mahasi Sayadaw, Asabha Sayadaw und Achaan Buddhadasa waren. In diesen Zeiten der Praxis lernte ich ganz wunderbare Dinge, und ich bin diesen Lehrmeistern unendlich dankbar. Doch es zeigte sich, dass die intensive Meditation in dieser exotischen Umgebung lediglich der Beginn meiner Praxis war. Seitdem hatte ich an ganz gewöhnlichen Orten mindestens ebenso intensive Erfahrungen in der Meditation – ganz einfach als Ergebnis einer systematischen Praxis. Damals, am Anfang, wusste ich noch nicht, was vor mir lag. Ich verließ Asien mit sehr idealistischen Vorstellungen und erwartete, dass die speziellen Meditationserfahrungen, die ich dort entdeckt hatte, alle meine Probleme lösen würden.
Die darauffolgenden Jahre verbrachte ich zu weiterer Schulung in Klöstern in Thailand, Indien und Sri Lanka, und danach lernte ich bei mehreren bekannten tibetischen Lamas, Zen-Meistern und Hindu-Gurus. Im Laufe von neunzehn Jahren des Lehrens war es mir vergönnt, mit vielen anderen westlichen buddhistischen Lehrern zusammenzuarbeiten und die Einsichts-Meditation – die buddhistische Praxis der Achtsamkeit – in Amerika zu etablieren. Ich leitete Retreats (Gruppen-Meditation in Zurückgezogenheit) von einem Tag bis zu drei Monaten Dauer und arbeitete mit vielen Zentren zusammen – christlichen, buddhistischen, transpersonalen und anderen. 1976 promovierte ich in Klinischer Psychologie und arbeite seitdem als Psychotherapeut und gleichzeitig als buddhistischer Lehrer. Während all dieser Jahre habe ich versucht, die Frage zu beantworten: Wie kann ich meine spirituelle Praxis in meinem Leben umsetzen, wie kann ich sie an jedem einzelnen Tag meines Lebens zur Entfaltung bringen?
Seit ich lehre, habe ich oft gesehen, wie viele meiner Meditations-Schüler die spirituelle Praxis missverstanden, und wie sie hofften, sie als Mittel zur Flucht vor ihrem eigenen Leben benützen zu können; ich sah, wie sie die Ideale und die Sprache ihres spirituellen Weges benützten, um dem Leiden und den Schwierigkeiten der menschlichen Existenz auszuweichen – nicht anders, als ich selbst es versucht hatte –, und wie sie in Tempeln, Klöstern und Kirchen auf die Suche nach den »special effects« gingen.
Meine eigene Praxis war eine Reise abwärts, verlief also gegensätzlich zu der Richtung, in der nach weit verbreiteter Meinung die spirituellen Erfahrungen verlaufen sollten. Während dieser Jahre konnte ich mich dabei beobachten, wie ich mich von Chakra zu Chakra (spirituelle Energiezentren des Körpers) nach unten arbeitete, anstatt nach oben. Meine ersten zehn Jahre systematischer spiritueller Praxis verliefen hauptsächlich unter der Kontrolle des Verstandes. Ich studierte, las und meditierte und führte das Leben eines Mönchs; dabei benützte ich ständig die Kraft meines Denkens, um alles zu verstehen. Ich entwickelte Konzentration und Samadhi (tiefe Stadien mentaler Versunkenheit) und hatte alle möglichen Erkenntnisse. Ich erlebte Visionen, Offenbarungen und eine Reihe von tiefen Zuständen des inneren Erwachens. Im Verlauf der Entwicklung meiner Praxis wurde mein gesamtes Verständnis meiner Existenz auf den Kopf gestellt, und allmählich lernte ich die Dinge auf eine neue und klarere Weise zu sehen. Ich dachte, diese Erkenntnisse seien der Clou der Praxis, das, worauf es ankäme, und war sehr zufrieden mit meiner neuen Art des Weltverständnisses.
Doch nachdem ich als Mönch in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, brach alles in Stücke. In den Wochen nach meinem Besuch im Schönheitssalon legte ich die Robe ab, schrieb mich an einer Hochschule ein, suchte einen Job als Taxifahrer und arbeitete nachts in einem Nervenkrankenhaus in Boston. Und ich ging eine intime Beziehung ein. Obwohl ich von meinem Kloster so klar, weiträumig und high zurückgekehrt war, entdeckte ich bald – in meiner Liebesbeziehung, in meiner Wohngemeinschaft, und bei meinem Krankenhauspraktikum für die Hochschule –, dass mir die Meditation recht wenig für meine menschlichen Beziehungen gebracht hatte. Noch immer war ich emotional unreif und agierte die qualvollen Muster von Schuld und Angst, Anziehung und Ablehnung aus, von denen ich vor meiner buddhistischen Schulung gefangen gewesen war; nur dass nun noch der Horror dazu kam, diese Muster weitaus klarer zu sehen. Ich konnte die Meditation der Herzenswärme für tausend Wesen irgendwo in der Welt praktizieren, aber ich bekam fürchterliche Probleme damit, mich ganz auf einen Menschen hier und jetzt einzulassen. Ich hatte die Kraft meines Denkens in der Meditation eingesetzt, um schmerzhafte Gefühle zu unterdrücken, und allzu oft bemerkte ich nicht einmal, dass ich wütend, traurig, voller Sorgen oder frustriert war; es fiel mir erst viel später auf. Die Wurzeln meines Scheiterns in Beziehungen hatte ich noch gar nicht erforscht. Ich verhielt mich alles andere als geschickt im Umgang mit meinen Gefühlen, mit Beziehungen auf einer emotionalen Ebene und überhaupt darin, mit meinen Freunden und Lieben in einer angemessenen Art zu leben.
Ich war gezwungen, meine gesamte Praxis tiefer nach unten zu verlagern, vom Verstand zum Herzen. Nun begann ein langer und mühsamer Prozess, in dem ich mich meinen Gefühlen wieder zuwandte, meine Aufmerksamkeit auf meine Beziehungsmuster richtete und lernte, meine Gefühle zu erleben und mit den gewaltigen Kräften menschlicher Beziehung umzugehen. Das Mittel dazu waren Gruppen- und Einzeltherapie, Herzzentrierte Meditationsmethoden, transpersonale Psychologie und eine Reihe von teils guten, teils katastrophalen Beziehungen. Ich untersuchte die Herkunft und Geschichte meiner Familie und wandte dieses Wissen und diese Erkenntnisse auf meine aktuellen Beziehungen an. Schließlich führte dies zu einer anfänglich recht schwierigen Liebesbeziehung, die sich zu einer glücklichen Ehe mit meiner Frau Liana entwickelte und mich mit einer wunderschönen Tochter, Caroline, beglückte. Nach und nach habe ich diese Arbeit des Herzens als einen völlig integralen Teil meiner spirituellen Praxis verstehen gelernt.
Nachdem ich mich zehn Jahre lang auf die emotionale Arbeit und die Entwicklung des Herzens konzentriert hatte, stellte ich fest, dass mein Körper dabei nicht zu seinem Recht gekommen war. Ebenso wie meine Gefühle, hatte ich anfangs auch meinen Körper nur oberflächlich in meine spirituelle Praxis miteinbezogen. Nun lernte ich, mir meines Atmens bewusstzuwerden und mit den Schmerzen und Empfindungen in meinem Körper zu arbeiten; denn ich hatte meinen Körper zum größten Teil nur zu athletischen Gewaltakten benützt. Ich war mit einer guten Gesundheit gesegnet gewesen, sodass ich auf Berge klettern oder zehn bis zwanzig Stunden wie ein Yogi regungslos am Ufer des Ganges sitzen konnte, ungeachtet der höllischen Schmerzen, die ich dabei hatte. Ich konnte als Mönch mit einer einzigen Mahlzeit am Tag auskommen und barfuss lange Strecken gehen; aber nun musste ich erkennen, dass ich meinen Körper eher benützt als wirklich bewohnt hatte. Er war für mich eine Maschine gewesen, die Treibstoff brauchte und die ich bewegen musste, damit ich mein geistiges, emotionales und spirituelles Leben gestalten konnte.
Als ich mit meinen Emotionen wieder mehr Verbindung bekam, wurde mir klar, dass auch mein Körper liebevolle Zuwendung brauchte, und dass es nicht genügte, mit Liebe und Mitgefühl zu sehen und zu verstehen oder sogar zu fühlen; ich musste noch weiter hinunter in der Hierarchie der Chakras. Ich lernte, dass ich, um ein echtes spirituelles Leben führen zu können, in der Lage sein musste, es mit allem, was ich tat, zu verkörpern: mit der Art und Weise, wie ich ging und stand, wie ich atmete und mit der Sorgfalt, mit der ich aß. Alle meine Aktivitäten mussten miteinbezogen sein. In diesem kostbaren Tierkörper auf dieser Erde zu leben, ist ein ebenso großer Teil des spirituellen Lebens wie alles andere. Als ich anfing, in meinem Körper wieder mehr zu Hause zu sein, entdeckte ich neue Bereiche der Angst und des Schmerzes, die mich von meinem wahren Selbst trennten – es wiederholte sich derselbe Prozess wie zuvor, als ich neue Bereiche der Angst und des Schmerzes entdeckt hatte, während ich meinen Geist oder mein Herz öffnen lernte.
In dem Maße, in dem sich meine Praxis die Chakren abwärts bewegte, wurde sie intimer und persönlicher. Sie erforderte bei jedem Schritt auf dem Weg mehr Aufrichtigkeit. Und sie gewann einen ganzheitlicheren Charakter. Denn wie ich mit meinem Körper umgehe, ist nicht davon zu trennen, wie ich mit meiner Familie umgehe oder mit meiner Verpflichtung gegenüber dem Frieden auf unserer Erde. So erweiterte sich auf diesem Weg abwärts die Vorstellung von meiner Praxis, bis sie schließlich nicht nur meinen eigenen Körper und mein eigenes Herz, sondern das gesamte Leben umfasste, alle Beziehungen und auch die Umwelt, die unser Leben ermöglicht.
Während dieses Prozesses der Vertiefung und Erweiterung meiner inneren Verpflichtung für das spirituelle Leben erlebte ich, wie sich sowohl mein Einsatz an Anstrengung als auch meine Motivation gewaltig veränderten. Zu Beginn meiner Praxis und meines Lehrens hatte ich den spirituellen Pfad nur als etwas gesehen, wofür man sich anstrengen und worum man ringen musste. Ich wandte große Mühe auf, um meinen Körper stillzuhalten, mich zu konzentrieren, in der Meditation meinen Geist zu disziplinieren und Schmerzen, Gefühle und Ablenkungen zu überwinden. Ich benützte die spirituelle Praxis, um Zustände der Klarheit und des Lichts, Erkenntnisse und eine veränderte Weltsicht zu gewinnen, und am Anfang war dies auch der Inhalt dessen, was ich lehrte. Nach und nach wurde mir jedoch klar, dass bei den meisten von uns gerade dieser Kampf die Probleme noch verstärkt. Wenn wir zum Urteilen neigen, urteilen wir noch vehementer über uns selbst und unsere spirituelle Praxis. Wenn wir von uns selbst abgeschnitten sind und unsere Gefühle, unseren Körper und unser Menschsein leugnen, werden dieses Getrenntsein und der Kampf um Erleuchtung oder um irgendein spirituelles Ziel noch verstärkt. Wann immer ein Gefühl der Wertlosigkeit oder des Selbsthasses Fuß fassen kann – in der Angst vor unseren Gefühlen oder in der Beurteilung unserer Gedanken –, wird es durch das spirituelle Ringen noch intensiviert. Und doch wusste ich, dass es keine spirituelle Praxis geben kann ohne sehr viel Hingabe, Einsatz von Energie und innere Verpflichtung. Wenn die Anstrengung und der Idealismus nicht weiterhalfen – wo sollte ich diese nötigen Fähigkeiten dann hernehmen?
Was ich jedoch entdeckte, waren ganz wunderbare Neuigkeiten für mich. Um uns zutiefst zu öffnen, wie es ein echtes spirituelles Leben erfordert, brauchen wir ungeheuer viel Mut und Kraft – eine Art Kampfgeist. Doch der Ort, wo sich diese Kraft des Kriegers entfaltet, ist das Herz. Die Energie, die innere Verpflichtung und den Mut brauchen wir nicht dazu, um vor unserem Leben davonzulaufen, und auch nicht, um es mit irgendeiner Philosophie zuzudecken, sei sie materialistisch oder spirituell. Wir brauchen das Herz eines Kriegers, damit wir uns unserem Leben unmittelbar stellen und uns direkt mit unseren Schmerzen und Grenzen, unseren Freuden und Möglichkeiten befassen können. Dieser Mut macht es möglich, jeden Aspekt des Lebens in unsere spirituelle Praxis miteinzubeziehen: unseren Körper, unsere Familie, unsere Gesellschaft, die Politik, die Ökologie der Erde, Kunst, Erziehung und Ausbildung. Nur so können wir Spiritualität wirklich in unser Leben integrieren.
Als ich während meines Promotions-Studiums an einer staatlichen psychiatrischen Klinik zu arbeiten begann, dachte ich ganz naiv, ich könnte einigen Patienten Meditation beibringen. Es wurde schnell deutlich, dass Meditation nicht das war, was sie brauchten. Diese Menschen waren nicht fähig, eine ausbalancierte Aufmerksamkeit aufzubauen, und die meisten von ihnen hatten sich längst in ihrem eigenen Geist verloren. Wenn überhaupt irgendeine Art von Meditation für sie brauchbar war, musste sie die Qualität haben, zu erden, Boden unter die Füße zu geben: Yoga, Gärtnern, Taiji – aktive Methoden, die geeignet waren, sie mit ihrem Körper in Verbindung zu bringen.
Doch dann entdeckte ich eine ganze Menge Leute in diesem Krankenhaus, die selbst dringend Meditation benötigt hätten: die Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Pfleger und viele andere. Diese Menschen versorgten die Patienten und hielten sie nicht selten allein durch Medikamente unter Kontrolle; und sie fürchteten sich vor den Energien in den Patienten und vor den Energien in sich selbst. Einige dieser Helfer schienen jene mächtigen Kräfte, mit denen die Patienten konfrontiert waren, aus erster Hand zu kennen – aus ihrer eigenen Psyche. Doch das ist eine der grundlegenden Lektionen in der Meditation: Stelle dich deiner eigenen Gier, deinem Gefühl der Wertlosigkeit, deiner Wut, deiner Paranoia und deinem Größenwahn, dann findest du die Tür zu Weisheit und Furchtlosigkeit, die hinter diesen Kräften liegen. Das gesamte Klinikpersonal hätte viel Gewinn aus der Meditationspraxis ziehen können – den entfesselten psychischen Kräften ihrer Patienten in sich selbst zu begegnen. Daraus wäre ein neues Verständnis und Mitgefühl in der Arbeit mit ihren Patienten entstanden.
Die Notwendigkeit, das spirituelle Leben in die Behandlung einzubeziehen, wird in psychologischen und psychiatrischen Berufskreisen nach und nach erkannt. Ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Integration einer spirituellen Orientierung beginnt sich auch auf Gebiete wie Politik, Wirtschaft und Ökologie auszudehnen. Um jedoch positiv wirken zu können, muss diese Spiritualität in der persönlichen Erfahrung verankert sein. Für Leser, die dies lernen wollen, bieten die einzelnen Kapitel dieses Buches eine Reihe von traditionellen Methoden und zeitgemäßen Meditationen an. Diese Übungen helfen, mit den hier präsentierten Lehren direkt zu arbeiten, um eine tiefere Verbindung mit dem eigenen Körper und mit dem Herzen aufzunehmen. Der Kern der beschriebenen Meditationsmethoden stammt aus der Tradition des Theravada-Buddhismus Südostasiens. Es ist die Achtsamkeitspraxis der Einsichts-Meditation (Vipassana), die man auch als das Herz der buddhistischen Meditation bezeichnet; sie bietet eine systematische Schulung, um Körper, Herz und Geist zu wecken und uns mit der uns umgebenden Welt zu verbinden. Dies ist die Tradition, die ich viele Jahre lang befolgte und lehrte; es ist die zentrale Lehre, die fast jeder buddhistischen Praxis in aller Welt zugrunde liegt.
Dieses Buch stützt sich zwar auf meine Erfahrung innerhalb der buddhistischen Tradition, doch ich bin der Ansicht, dass die Prinzipien der spirituellen Praxis, auf die es sich bezieht, universell sind. Die erste Hälfte beschreibt die Grundlage eines umfassenden spirituellen Lebens: Praxismethoden, allgemeine Gefahren, Techniken, um mit unseren inneren Wunden und Schwierigkeiten umzugehen, und einige buddhistische Darstellungen spiritueller Zustände des menschlichen Bewusstseins und wie diese außergewöhnlichen Zustände im Boden des gesunden Menschenverstands verwurzelt werden können. Die zweite Hälfte des Buches befasst sich unmittelbarer mit der Integration dieser Praxis in unser modernes Leben und berührt Themen wie Co-Abhängigkeit und Mitgefühl, Abgrenzungsstrategien, Psychotherapie und Meditation sowie Gewinn und Probleme im Umgang mit spirituellen Lehrern. Im letzten Teil geht es um die Früchte des spirituellen Reifungsprozesses: um die Entfaltung von Weisheit und Mitgefühl und um die Leichtigkeit und Freude, mit denen unser Leben bereichert wird.
Zu Beginn habe ich von meiner eigenen inneren Reise gesprochen und von der wichtigsten Lektion für ein spirituelles Leben: das Persönliche mit dem Allgemeinen zu verbinden. Wir sind menschliche Wesen, und das menschliche Tor zur nichtdualistischen Wahrnehmung der Heiligkeit allen Seins sind unser Körper, Herz und Geist, die Geschichte, aus der wir hervorgegangen sind, und die nächsten Beziehungen und Umstände unseres Lebens. Nur hier können wir Mitgefühl, Gerechtigkeit und Befreiung lebendig werden lassen.
Wenn wir ein Gefühl für den alles einbeziehenden Charakter der Spiritualität entwickelt haben, können wir auch verstehen, dass wir zuerst bei uns selbst anfangen müssen, wenn wir Licht oder Weisheit oder Mitgefühl in die Welt bringen wollen. Diese Auffassung der Praxis als etwas ganz auf das Persönliche Bezogenes würdigt ebenso die Einmaligkeit unseres Lebens wie das Gemeinsame und respektiert die zeitlose Qualität des großen Tanzes zwischen Geburt und Tod; sie würdigt auch unseren eigenen Körper, unsere eigene Familie und Gemeinschaft, unsere persönliche Geschichte und alle unsere Freuden und Leiden. So ist unser Erwachen unsere ureigene Angelegenheit, die zugleich alle anderen Wesen auf dieser Erde betrifft.