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Originalausgabe
4. Auflage 2020
© 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
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Redaktion: Sebastian Brück, Düsseldorf
Umschlaggestaltung: Catharina Aydemir, Starnberg
Umschlagabbildung: Ullstein / Unkel
Satz: inpunkt[w]o, Haiger
ISBN Print 978-3-86883-828-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-128-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-129-6
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Vorwort
Adenauers Lüge
Yoga statt Fernsehen
Willemsens Ehrenrunde
Flucht aufs Internat
Willemsen und die englische Austauschschülerin
Willemsen und die dicke Prostituierte
Willemsen der Nachtwächter
Ein Rehbock in der Bank
Der schwarze Afghane
Roger Willemsen und der »zerebrale Schaden«
Der missglückte Roman
Ein Gelehrter im Opiumrausch
Warum eigentlich Roger?
Der Ansager von »Premiere«
Willemsen und der Menschenfresser
Willemsen der Therapeut
Willemsen, Dieter Hildebrandt und die Livesendung
Willemsen und der Dalai Lama
Willemsen, Michel Petrucciani und das NYPD
Willemsen zu Gast bei Berti Vogts
Roger Willemsen der Bahnfahrer
Willemsen sind die Schuhe zu klein
Willemsen und die handgemachten Pferdelederschuhe
Roger Willemsen: ein Sünder im Kloster
Die brennende Unterhose
Der Philosoph und die Mutter Gottes
Willemsen auf dem Klo der Taliban
Willemsen und die afghanischen Kinder
Willemsen und die verbale Kanonade
Literatur und Rotwein
Am Ende der Kurve
Willemsen auf Dantes Spuren
Ein Orang-Utan namens Roger
Willemsen und die Stille
Ein Unfall an der Alster
Willemsen, Saddam Hussein und der Leistenbruch
Willemsen und die tote Großmutter
Willemsen und der erleuchtete Asket
Afghanische Weisheit
Quellennachweis
Reiseleiter, Museumswärter, Nachtwächter, Vorzeigeintellektueller, ewig Reisender, Bestsellerautor, Botschafter für Menschenrechte, Grimme-Preisträger, Womanizer und noch vieles mehr. Es klingt fast zu viel für einen einzigen Menschen. Kaum vorstellbar, dass einer allein so viele Punkte auf dem weißen Blatt der Vita aneinanderreihte und nicht sofort für einen Hochstapler gehalten wurde. Doch wenn Roger Willemsen von seinen vielen Tätigkeiten und Ehrenämtern sprach, kam kein Mensch auf die Idee, ihn der Hochstapelei zu bezichtigen.
Und auch wenn der Mann mit dem schelmischen Funkeln in den Augen ungeniert zugab, dass das Leben durch die eine oder andere Lüge erst interessant wird, wirkte doch alles an ihm so authentisch, so echt. Er schien mit sich und der Welt im Reinen zu sein. Und dennoch oder vielleicht gerade deshalb legte er ein nicht enden wollendes Engagement an den Tag, wenn es darum ging, den Armen und Schwachen zu helfen. Ob es nun um Frauenrechte in Afghanistan, gefolterte Terrorverdächtige aus Guantánamo, die Missstände in indischen Bordellen oder auch einmal ganz eigennützig um den »Schutz des eigenen Lebensraums« ging, der groß gewachsene Publizist mit der Hornbrille war immer wieder in der vordersten Reihe zu finden. Dabei hatte Willemsen keineswegs die Absicht, sich als Held in weißer Rüstung zu präsentieren. Er selbst war bei all seinen Unternehmungen nur von untergeordneter Bedeutung, es ging ihm viel mehr um die Unternehmung selbst und die aus ihr entstehende Botschaft.
Doch der Intellektuelle mit dem schnellen Mundwerk war alles andere als immer nur ernst. Mit seinem jungenhaften Charme erweckte er den Eindruck, als wäre er permanent dabei, neue Streiche auszuhecken. Diese freche Ader lebte er nur zu gern aus, beispielsweise wenn er zusammen mit Dieter Hildebrandt das humoristische Bühnenprogramm »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!« zum Besten gab.
Seine Bücher stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten, seine legendären Interviews haben Kultstatus. Was er anpackte, das schien ihm auch zu gelingen, egal, ob es sich nun um investigativen Journalismus, essayistische Reiseberichte, Kabarett oder Rednerauftritte handelte. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Roger Willemsen sich für die unterschiedlichsten Vorhaben begeistern konnte. Sein Interesse an der Welt schien grenzenlos, und auch er selbst machte den Eindruck, dass Grenzen für ihn nicht immer von besonderer Bedeutung waren. Wohl eher das Überschreiten selbiger, seien sie nun physischer oder geistiger Natur.
Roger Willemsen hat fast die ganze Welt bereist und von dort ein prall geschnürtes Bündel farbenfroher Geschichten mitgebracht. Dieses Buch zeigt eine breite Auswahl an bunten Anekdoten über ihn – mal albern, mal ernst, mal rührend, mal schlüpfrig. So vielschichtig wie der Protagonist selbst, der wusste: »Richtig Mensch ist offenbar erst, wer auch richtig Schwein ist.«
Roger Willemsen ist am Sonntag, den 7. Februar 2016, im Alter von 60 Jahren seinem Krebsleiden erlegen. Über seine Lebenszeit sagte Willemsen einmal: »Ich habe meine Frist. Ich erfülle sie.« Nun ist sie leider abgelaufen. Möge er in Frieden ruhen.
Deutschland Ende der 50er-Jahre, in der Nähe von Bonn: Roger Willemsen ist ein kleiner Junge und lebt zusammen mit seiner Familie in einem kleinen Häuschen neben einem Schloss. Es ist beinahe wie im Märchen. Der Fürst des Schlosses hat sieben Töchter und ist steinreich. Wenn er im Herbst zur Jagd lädt, ziehen sich Spuren blutigen Wildes durch den Kies. Von Zeit zu Zeit empfängt er hohen Besuch, unter anderem den berühmten Schriftsteller Thomas Mann.
Doch das Leben auf dem Schloss klingt romantischer, als es ist. Denn das luxuriöse Anwesen und der feudale Lebensstil des Fürsten stehen in krassem Gegensatz zum Alltag der Willemsens. Als Maler fällt das Einkommen des Vaters sehr bescheiden aus, und der kleine Roger wächst in »bizarren Umständen« auf: Unterm Klo tummeln sich die Mäuse. Wenn der Fürst verreist, dreht er das heiße Wasser ab, und die Familie im Häuschen nebenan kann nur noch kalt duschen. Willemsen selbst bezeichnet den damaligen Lebensstil als »boheme«.
Der eigenen Armut ungeachtet prägt die »höfische Welt« den jungen Roger. Auch wenn er nicht aristokratisch lebt, zeigen sich immer wieder Spuren aus diesen vom Adel gestreiften Kindertagen in seinem Werk.
Eine ganz besondere Erinnerung dreht sich um Konrad Adenauer. Der Kanzler ist ein häufiger Gast des Fürsten. Gerne kommt er zur »Donnerstagsgesellschaft vorbei«. Bei diesen Gelegenheiten sieht ihn auch der kleine Roger immer mal wieder. Einige Zeit später, Roger ist inzwischen sieben und die Familie lebt im Nachbardorf, kommt Adenauer auf seiner Wahlkampftour durch den Wohnort der Willemsens. Der Kanzler beginnt seine Rede, doch schon nach ein paar Sätzen geschieht das Undenkbare: Ein fünfzehnjähriger Junge unterbricht den ehrwürdigen Herrn Bundeskanzler mit den Worten: »Das stimmt nicht.« Daraufhin sieht Adenauer ihn an »wie ein Insekt«. Doch das ändert nichts am Wahrheitsgehalt der Worte des Jungen. Adenauer eröffnet seine Rede nämlich mit der Behauptung, dass er sich noch sehr gut an seine vier Jahre zurückliegende Rede vor derselben »wunderschönen Schule« erinnere. Doch so alt ist die Schule noch gar nicht, und das wissen die anwesenden Bauern. So blamiert sich der Bundeskanzler vor versammelter Runde und bringt Roger Willemsen damit immer wieder zum Lachen. Der beherzte Ausruf des Nachbarjungen bleibt für den weit gereisten Schriftsteller bis zuletzt ein unvergesslicher »Akt der Zivilcourage«.
Wenn man Kinder hat, muss man schon einiges mitmachen – da sind sich wohl die meisten Eltern einig. Dasselbe gilt allerdings auch umgekehrt. Denn auch Kinder brauchen manchmal eine ordentliche Portion Geduld, um die Ideen ihrer Eltern zu ertragen. So geht es Roger Willemsen mit seiner Mutter. Er ist ein Junge von sieben Jahren, und Mama Willemsen durchläuft gerade eine Yogaphase. Zu Rogers Leidwesen animiert sie ihn, sich mit ihr gemeinsam zu verbiegen, da sie glaubt, ihr würden die Yogaübungen »im Synchronakt« mit ihrem Sohn leichter fallen.
So machen die beiden auf dem Teppich im heimischen Wohnzimmer »den abwärtsstrullenden Hund«.