Die Reihe Fördern lernen umfasst drei klare thematische Schwerpunkte. Es sollen erstens die wichtigsten Förderkonzepte und Fördermaßnahmen bei den am häufigsten vorkommenden Lern- und Verhaltensstörungen dargestellt werden. Zweitens gilt es, die wesentlichen Grundlagen pädagogischer Beratungsarbeit und die wichtigsten Beratungskonzepte zu diskutieren, und drittens sollen zentrale Handlungsfelder pädagogischer Prävention übersichtlich vermittelt werden. Dabei sind die Bücher dieser Reihe in erster Linie gut lesbar und unmittelbar in der Praxis einzusetzen.
Im Schwerpunkt Intervention informiert jeder einzelne Band (1–9) in seinem ersten Teil über den aktuellen Stand der Forschung und entfaltet theoriegeleitet Überlegungen zu Interventionen und Präventionen. Im zweiten Teil eines Bandes werden dann konkrete Maßnahmen und erprobte Förderprogramme vorgestellt und diskutiert. Grundlage für diese Empfehlungen sollen zum einen belastbare empirische Ergebnisse und zum anderen praktische Handlungsanweisungen für konkrete Bezüge (z. B. Unterricht, Freizeitbetreuung, Förderkurse) sein. Schwerpunkt des zweiten Teils sind also die Umsetzungsformen und Umsetzungsmöglichkeiten im jeweiligen pädagogischen Handlungsfeld.
Die Bände im Schwerpunkt Beratung (10–15) beinhalten im ersten Teil eine Darstellung des Beratungskonzeptes in klaren Begrifflichkeiten hinsichtlich der Grundannahmen und der zugrundeliegenden Vorstellungen vom Wesen eines Problems, den Fähigkeiten des Menschen usw. Im zweiten Teil werden die Methoden des Beratungsansatzes anhand eines oder mehrerer fiktiver Beratungsanlässe dargestellt und erläutert, so dass Lehrkräfte und außerschulisch arbeitende Pädagogen konkrete Umsetzungen vornehmen können.
Die Einzelbände im Schwerpunkt Prävention (16–21) wenden sich allgemeinen Förderkonzepten und Präventionsmaßnahmen zu und erläutern praktische Handlungshilfen, um Lernstörungen, Verhaltensstörungen und prekäre Lebenslagen vorbeugend zu verhindern.
Die Zielgruppe der Reihe Fördern lernen bilden in erster Linie Lehrkräfte und außerschulisch arbeitende Pädagogen, die sich entweder auf die Arbeit mit betroffenen Kindern vorbereiten oder aber schnell und umfassend gezielte Informationen zur effektiven Förderung oder Beratung von Betroffenen suchen. Die Buchreihe eignet sich auch für die pädagogische Ausbildung und als Zugang für Eltern, die sich nicht auf populärwissenschaftliches Halbwissen verlassen wollen.
Die Autorinnen und Autoren wünschen allen Leserinnen und Lesern ganz praktische Aha-Erlebnisse!
Stephan Ellinger
Intervention |
|
Band 1: |
Förderung bei sozialer Benachteiligung |
Band 2: |
Förderung bei Lese-Rechtschreibschwäche |
Band 3: |
Förderung bei Rechenschwäche |
Band 4: |
Förderung bei Gewalt und Aggressivität |
Band 5: |
Förderung bei Ängstlichkeit und Angststörungen |
Band 6: |
Förderung bei ADS/ADHS |
Band 7: |
Förderung bei Sucht und Abhängigkeiten |
Band 8: |
Förderung bei kulturellen Differenzen |
Band 9: |
Förderung bei Hochbegabung |
Beratung |
|
Band 10: |
Pädagogische Beratung |
Band 11: |
Lösungsorientierte Beratung |
Band 12: |
Kontradiktische Beratung |
Band 13: |
Kooperative Beratung |
Band 14: |
Systemische Beratung |
Band 15: |
Personzentrierte Beratung |
Prävention |
|
Band 16: |
Berufliche Eingliederung |
Band 17: |
Förderung der Motivation bei Lernstörungen |
Band 18: |
Schulische Prävention im Bereich Lernen |
Band 19: |
Schulische Prävention im Bereich Verhalten |
Band 20: |
Resilienz |
Band 21: |
Hilfen zur Erziehung |
Unser Denken und unser Handeln sind sehr eng miteinander verwoben. Die Art und Weise, wie wir Dinge wahrnehmen und sie bewerten, entscheidet darüber, wie wir mit ihnen umgehen werden. Ändert sich unser Denken, verändert sich auch unser Handeln. Da Denken eng an Sprache gebunden ist, gilt dieser Gedanke auch für die Art und Weise, wie wir sprechen. „Wir sprechen nicht nur so, wie wir sind, wir werden auch so, wie wir reden“, schreibt Jesper Juul (2004, 157).
Eine einfache Art, Veränderungsprozesse in seine Handlungsmuster hineinzutragen, besteht demnach darin, sich einzulassen auf neue und andere Denkmodelle und Sichtweisen. „Ausprobieren, wie es wäre, wenn es nicht so wäre, wie es ist“, lautet einer meiner Lieblingssätze von Peter Bichsel (2002, 44). Dies ist der Sinn und Zweck von theoretischer Argumentation, Reflexion und theoriebasiertem Gedankenaustausch. Wenn ein ungewohnter oder bislang unbekannter Gedanke plausibel und nützlich erscheint, wird er dazu führen, dass wir auf bestimmte Phänomene – etwa das Verhalten von Schülern, Eltern oder Kollegen – anders reagieren als bisher. Insofern erscheint es mir sinnvoll und notwendig, auch in einem Buch, das die Praxis der systemischen Beratung zum Gegenstand hat, zu erläutern, auf welchen Überlegungen diese Praxis beruht.
Veränderung ist dabei natürlich kein Selbstzweck, sondern das Mittel der stetigen Verbesserung der Qualität und der Effizienz von Systemen, hier der Schule. Über „lernende Organisationen“, „eigenverantwortliche Schulen“ und die „Schule der Zukunft“ ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben und sehr viel geredet worden. Dabei sind in zahlreichen Entwicklungsprozessen oft erhebliche Energien investiert worden, nicht immer mit dem gewünschten Ergebnis.
Ein zentraler Denkfehler liegt hier meines Erachtens darin, dass sozusagen auf der Ebene der harten Realitäten operiert wird: Veränderungen betreffen das System Schule, das System Schulaufsicht, die formale Struktur der Lehrerausbildung oder es wird der flächendeckende „gemeinsame Unterricht“ eingeführt. Was bei diesen Prozessen auf der Strecke bleibt oder nicht mithält ist die Ebene des veränderten Denkens, denn:
Die Geschichte der Ideen ist die Grundlage der Geschichte der Institutionen und nicht umgekehrt.
Nur verändertes Denken führt zu verändertem Handeln. Die bloße Veränderung von Strukturen (wie z. B. neue Lehr- oder Bildungspläne, Bildungsmanagement statt Schulaufsicht, Umbenennung von Förderschulen in Förderzentren …) reicht nicht.
Spätestens an dieser Stelle kommt der Begriff der Beratung ins Spiel. Systeme, wie Schulen es sind, die autonom und in Eigenverantwortung ihren Entwicklungsprozess vorantreiben und ein individuelles Profil entwickeln sollen, brauchen auch Zeit und Raum – eine „reflexive Schulkultur“ – für intensive und kontinuierliche Prozesse des „Sich-Miteinander-Beratens“. Wie systemische Beratungsideen und Formen für diese Prozesse (und für andere Problemlösungen) genutzt werden können, ist Thema und Gegenstand dieses Buches.
Aus diesem grundlegenden Vorspann ergibt sich folgender Aufbau dieses Buches:
Zunächst werde ich begründen, wieso Beratung im schulischen Kontext immer mehr an Bedeutung gewinnt (Kapitel 1) und welches Verständnis von Beratung hier zugrunde liegt (Kapitel 2).
In Kapitel 3 werde ich vier Ideen vorstellen, die als theoretische Grundlegungen systemischer Beratungspraxis verstanden werden können.
In den Teilen 4 und 5 finden sich Bausteine der Praxis systemischer Beratung.
Kapitel 4 enthält neben der zentralen Denkfigur „statische Probleme umzuformulieren in verantwortete Entscheidungen“ und Hinweisen zur Vorgehensweise bei Beratungsgesprächen als Hauptteil des Buches eine umfangreiche Übersicht und viele Beispiele für „angemessen ungewöhnliche Fragen“.
Kapitel 5 bietet zusätzliche – wie ich finde hilfreiche –, aber wohl nicht unbedingt notwendige weitere Anregungen für die Organisation und Durchführung systemischer Beratungsgespräche.
Klient: |
Mir steht das Wasser bis zum Hals. Was soll ich nur machen? |
Berater: |
Lassen Sie den Kopf nicht hängen! |
In früheren Jahren wurde Beratung im schulischen Kontext nur punktuell eingesetzt. Es gab:
In aller Regel sahen sich die „Berater“ als die Experten für das Auffinden der bestmöglichen Lösung für anstehende Probleme oder notwendig gewordene Entscheidungen.
Vergleicht man diese Rückblende mit dem gegenwärtigen Bild, so wird schnell deutlich, dass sich in punkto Beratung Wesentliches getan hat. Im Kontext von Inklusion und Kooperation beraten sich Grund-, Regel- und Förderschullehrer, aus der Elternarbeit ist Elternmitarbeit geworden und Schüler, die selbstorganisiert lernen (sollen), werden selbstverständlich zu Partnern im Dialog. Der Erwerb der Beratungskompetenz ist fester Bestandteil in der Ausbildung von Referendaren (oder sollte es zum Mindesten sein), Sonder- oder Förderschulen nennen sich heute „Förder- und Beratungszentrum“ und an allen Schulformen gibt es den „Beratungslehrer“.
Der zentrale Grund für das Anwachsen von Beratung und Beratungsbedarf, der – wie sich gleich zeigen wird – in vielerlei Facetten zum Vorschein kommt, liegt in der stetig wachsenden Delegation von Verantwortung und Entscheidungskompetenzen aus übergeordneten Instanzen an die sogenannte Basis sowie aus dem sich daraus ergebenden Arbeiten an „Lösungen vor Ort“.
Dabei gilt dieser Gedanke sowohl für die Schule als Institution und als (lernende) Organisation als auch für die in ihr stattfindenden Inhalte, sprich pädagogisches und unterrichtliches Handeln. Postmoderne Pluralität zwingt auch hier zunehmend zur Aushandlung eigener und gemeinsamer Positionen und Plattformen.
Deshalb werde ich die Ausgangshypothese eines stetig wachsenden Beratungsbedarfes zunächst für Schule allgemein und danach in ihrer Bedeutung für pädagogisches Handeln konkretisieren und begründen.
Für Schule als Organisation und Institution wird die Bedeutung von Beratung unter anderem in folgendem Veränderungsstrang erkennbar. Im Kontext von Schulentwicklung (bzw. Schulentwicklungsprogrammen, -prozessen, Profilbildung etc.) wird die einzelne Schule als das System angesehen, das als eigenständige Größe, als „eigenverantwortliche Schule“ den eigenen Veränderungsprozess betreibt und das als „lernende Organisation“ sowohl in den Bereichen der administrativen Selbstverwaltung als auch der pädagogischen Programmatik zunehmende Autonomie beanspruchen kann und diese auch erhält (Bildungskommission NRW, 1995)1.
Diese Entwicklung ist im Zusammenhang zu sehen mit gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen, die sich zusammenfassen lassen unter dem Stichwort „Postmoderne“ (Welsch, 1988) und den darin enthaltenen Tendenzen zu Pluralität, Individualisierung und Differenzierung, „bunter Vielfalt“ eben.
Der begrüßenswerten Möglichkeit zu mehr Individualität und Eigenständigkeit, der Formulierung unverwechselbarer Profile und inhaltlicher Schwerpunktsetzung steht die Notwendigkeit gegenüber, diesen Prozess nach außen hin transparent zu gestalten und durch kontinuierliche Evaluation vor sich selbst und vor den relevanten Bezugssystemen zu verantworten (Stichwort: Rechenschaftslegung).
Als weitere wünschenswerte Veränderungen könnte man nennen:
Auch hier nehmen die Notwendigkeit von kommunikativer Kompetenz und das Bedürfnis nach Informationsaustausch und Beratung zu.
Alle drei Aspekte,
legen eine intensive Inanspruchnahme interner und externer Beratung nahe, da nur so eine kontinuierliche Reflexion des eigenen Tuns gewährleistet ist und eine theoriegeleitete Praxis entwickelt und begründet werden kann.
Beratung wird heute noch häufig nach dem Kurzmotto: „Wenn Problem – dann Beratung“ verstanden! Sie gilt als begrenzte Arbeitsform, die sich konzentriert auf gelegentliche punktuelle Aspekte oder auf einen bestimmten thematischen Ausschnitt – der in der Regel als Problem definiert und bewertet wird. Ich verwende den Beratungsbegriff in diesem Buch in einem etwas anderen, erweiterten Verständnis (das die obige Sichtweise allerdings nicht ausschließt): Beratungsprozesse bilden einen festen, unverzichtbaren und kontinuierlichen „reflexiven“ Baustein im Schulsystem und begleiten so alle relevanten Handlungsebenen.
Dieser Gedanke lässt sich fortschreiben in Richtung auf die im System Schule befindlichen Subsysteme. Mehr Autonomie und Eigenverantwortung für die Schule lässt sich letztendlich nur denken, wenn dies auch mehr Autonomie und Eigenverantwortung für die in ihr arbeitenden Leiter, Lehrer und auch Schüler bedeutet (vgl. Palmowski, 1998).
Je weiter man voranschreitet auf dem Weg von der einen Vorschrift für alle (Schulen oder Schulleiter oder Lehrer oder Schüler) zur systembezogenen oder individuellen Lösung vor Ort, desto umfangreicher und umfassender wird der Anteil und die Bedeutung von Beratung im schulischen Kontext werden (müssen).
In pädagogischen Arbeitsfeldern, in denen man mit problematischen Verhaltensweisen zu tun hatte, besaß Beratung schon immer eine besondere Bedeutung: „Gerade in der Erziehung bei Verhaltensstörungen jedoch muss die Beratung zum Kern des professionellen Handelns gerechnet werden“ (Hillenbrand, 1999, 143 f.).
Otto Speck verweist jedoch darauf, dass dies inzwischen nicht mehr als ausschließlich oder vorrangig sonderpädagogisches Thema angesehen werden kann. Er schreibt: „Der Beratungsbedarf ist im Besonderen angewachsen im Bereich der Erziehung, speziell der Schule. Es gibt offensichtlich kein Verständnis von Erziehung und Schule mehr. Die normativen Orientierungen sind ebenso plural geworden wie die Erziehungs- und Lernziele und die pädagogischen Methoden und Institutionen“ (Speck, 1989, 361).
Neben den Veränderungen auf institutioneller Ebene lösen sich auch in Bezug auf inhaltliche Bereiche und pädagogische Fragestellungen Sichtweisen und Positionen auf, die man vielleicht noch vor wenigen Jahren als gesichert, konsensfähig und allgemeingültig angesehen hat.
Gegenwärtig ist weder klar noch verbindlich, was denn nun das Wesentliche an der Lehrerrolle ausmacht, etwa in welchem Verhältnis Erziehungs- und Unterrichtsauftrag zueinander stehen, wie man „professionelle Beziehungskompetenz“ (Palmowski, 2010) erwerben kann und worin genau sie besteht, welche Aufgaben den Lehrern zufallen, wenn Schüler weitgehend selbstorganisiert arbeiten, und wie man die Arbeit im Team für alle zufriedenstellend organisieren kann.
Diese Auflösung gemeinsamer inhaltlicher Positionen oder verbindlicher Vorgaben hin zu einer Pluralität (oder Fragmentierung) von Sichtweisen und Meinungen, verlangt vom Einzelnen im professionellen Kontext die kontinuierliche Reflexion des eigenen Handelns zur Bestimmung und Begründung der eigenen Position, zur Formulierung individueller Ziele, zur Vernetzung eigener Projekte (oder Projektideen) mit denen anderer sowie zur Aushandlung, Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung gemeinsamer Vorstellungen über gemeinsame Sachverhalte. Dies alles ist Inhalt von Beratung, verstanden als ein Prozess des „Sich-Miteinander-Beratens“. Da es in diesem Prozess um das gemeinsame Aushandeln von gemeinsamen Positionen und um Sich-Verständigen auf gemeinsame Positionen geht, kann dieses nur in kooperativer Form erfolgen.
Die ständig wachsende Bedeutung von Beratung ergibt sich demnach logischerweise und zwangsläufig aus der immer geringer werdenden Bedeutung oder Akzeptanz allgemeingültiger oder als verbindlich deklarierter Vorgaben. Genau hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der subjektiven oder lokalen Aushandlung und Entscheidungsfindung eigener Wege und Ziele.
Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, deutlich zu machen, dass Beratung in dem hier beschriebenen Sinne nicht mehr ausschließlich der Ort ist, an dem es um die Auflösung von als problematisch erlebten Konstellationen geht, sondern vielmehr: Beratung ist der kontinuierliche und notwendige Prozess der Reflexion und der Planung von Veränderung im Gesamt schulischer Wirklichkeiten.
1 „Zum gemeinsamen Erfahrungshintergrund bisheriger Reformbemühungen gehört die Einsicht, dass Umstellungen als beabsichtigtes Ergebnis einer Durchsteuerung von oben nach unten ineffektiv sind oder ganz erfolglos bleiben“ (Bildungskommission NRW, 1995, 146).
„Langfristig angelegte und gründliche Reformen sind aber unabweisbar geworden. Reparaturmaßnahmen auf der Grundlage traditioneller Gestaltungsmuster und Verantwortungsstrukturen reichen generell in keinem gesellschaftlichen Gestaltungsprozess mehr aus, um die Entwicklungsprobleme zu lösen. Dies gilt auch für das Bildungswesen und die Schule“ (ebd., XI).
„Schulen werden nicht als statisch gesehen, sie müssen lernwillig und veränderungswillig sein, um sich als lernende Organisationen zu entwickeln“ (ebd., XIII).
2 Der Lehrer der Zukunft wird der Experte sein für den Prozess der Organisation der Selbstorganisation der Schüler.
Ich weiß zwar auch keine Lösung,
aber ich bewundere Ihr Problem!
Es gibt zahlreiche Konzepte für das Verständnis, die Organisation und die Durchführung von Beratungsgesprächen, allerdings lassen sie sich alle zurückführen auf zwei fundamentale Grundmuster (vgl. hierzu etwa Barthelmess, 2010).
Im ersten Beratungsansatz versteht sich der Berater als der Experte für die Lösung der Probleme seiner Klienten. Diese Form von Beratung besteht aus zwei Schritten. In einem ersten Schritt sammelt der Berater Informationen von seinen Klienten ein, indem er sie nach den Sachverhalten fragt, die für ihn für das Finden einer Lösung von Belang sind. Er erstellt eine Diagnose oder Anamnese. Aus diesen Daten leitet er – aufgrund seines Expertentums in der Sache – Lösungen ab, die er in einem zweiten Schritt seinen Klienten anbietet oder verschreibt. Diese Form von Beratung ist überall da erfolgreich, wo der Berater über ein Fachwissen zu einem bestimmten Themenbereich verfügt, das die Klienten nicht besitzen, etwa beim Rechtsberater oder beim Steuerberater. Die Klienten übertragen dem Berater die Verantwortung für die Lösung ihres Problems („Lohnsteuerjahresausgleich“) und dieser übernimmt diese Verantwortung auch, weil alle Beteiligten – auch die Klienten selbst – von deren nicht hinreichender Kompetenz in den anstehenden Sachverhalten ausgehen.
Diese Vorgehensweise wird in aller Regel auch von Medizinern angewandt, aber hier funktioniert sie sehr häufig nicht mehr so reibungslos, wie bei den beiden obigen Beispielen. Der Grund liegt wohl darin, dass viele Patienten sich in Bezug auf sich selbst und auf ihre Krankheiten durchaus auch als kompetent und eigenverantwortlich definieren, jedenfalls hält sich die Mehrzahl von ihnen nicht an die genaue Verschreibung des Arztes, sondern nimmt verordnete Medikamente (außerhalb der Zugriffsmöglichkeit des Arztes) nach eigener Lesart, häufig auch gar nicht. „Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums werden jährlich rund 4000 Tonnen verschriebene Arzneimittel im Wert von etwa 500 Millionen Euro weggeworfen. 31 % der zurückgegebenen Packungen waren unangebrochen, 34 % der zurückgegebenen Packungen waren nur zur Hälfte verbraucht“ (http://www.medizin-richtig-einnehmen.detherapietreue.php, S. 4f.). Hier kollidiert das Expertentum des Arztes mit der Eigenverantwortung der Patienten.
Noch schwieriger wird diese Haltung und dieser Anspruch des Beraters, wenn es um psychosoziale Themen geht. Aus der Sicht der Betroffenen kann er einfach nicht besser über einen Konflikt und seine möglichen Lösungen Bescheid wissen als die Beteiligten selbst, sie haben ihren Prozess schließlich in allen seinen Nuancen selbst erlebt. (Dass sie dabei die Fähigkeit, eine Außenperspektive einzunehmen, verloren haben, dürfte ihnen wohl nur sehr selten bewusst sein!) Deswegen erscheint es in Beratungen, in denen es um psychische, soziale oder Beziehungsthemen geht, sinnvoller, die Eigenverantwortung für die Thematik bei den Klienten zu lassen und sich auf den Aspekt der Moderation des Gespräches zu begrenzen. In diesem, zweiten Beratungsansatz versteht sich der Berater als Experte für die Organisation des Gespräches, die Moderation, die Fragen, die er stellt. Die Verantwortung für den Inhalt, der zu verhandeln ist, bleibt bei den Klienten, sie entscheiden, worüber gesprochen wird und worüber nicht. Da der Inhalt in der Zuständigkeit der Klienten bleibt, braucht der Berater auch keine Anamnese oder Diagnose, er muss über das Thema der Klienten überhaupt nichts wissen, und je unvoreingenommener er fragen kann (da ihn keine Vorinformationen beengen), desto weniger wird er sich bei seinen Fragen selbst begrenzen.